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Page 1: A DAS WUNDER STIMME - FONO FORUM · 2011. 10. 18. · „Fenest a ehe lucivo" , „Corengrato" „Tu c nun chaigne", „Addio" sind erschütternde Beispiele einer zum Klang gewordenen

Am 2. August jährte sich Carusos Todes-tag zum vierzigsten Male. Schon zuLebzeiten von seinen Stimmkollegcn

neidlos als größter Meister des Gesangesanerkannt, ist er indessen zum Begriff desSängers schlechthin geworden und insMytische gewachsen. Die magische Wirkungseiner Stimme hat sich auf seine Schall-platten übertragen.

Von Caruso sind insgesamt 265 Aufnahmenerschienen, von denen 26 nicht veröffentlichtwurden.Die ersten drei Aufnahmen erschienen 1900auf Pathe-Zylindern und später auf Pathe-Tiefenschrift-Platten. 1902 folgen 7 Auf-nahmen bei der Anglo-Italian Commerce Co.Genua, in Mailand auf Zonophone (Etikettehellblau) aufgenommen. Diese 7 Aufnahmengehören zu den seltensten und teuerstenPlatten des Sängers.Im März 1902 besingt er die ersten zehnPlatten für „The Gramophone and Type-writer Co." in einem Hotel in Milano. Biszum Jahre 1904 erscheinen weitere 12 Arienund Lieder, die ebenfalls in Milano auf-genommen werden. Alle späteren Platten desSängers erscheinen nunmehr bei der Firma„Victor Co." in New York und Camden.Alle diese Platten zeigen Caruso noch als vor-wiegend lyrischen Tenor. Um seine Wand-lung vom lyrischen zum dramatischenTenor besser zu verstehen, zitiere ich hierdie Worte Alfred Piccavers, die er mir an-läßlich eines Interviews 1956 sagte: „Währendmeines Studiums in Italien unterzog sichCaruso einer Operation. Er soll zweiKnötchen an seinen Stimmbändern gehabthaben. Es ist nun möglich, daß durch dieseOperation die Elastizität der StimmbänderCarusos etwas vermindert wurde, denn vondiesem Zeitpunkt an wurde die WandlungCarusos vom lyrischen zum dramatischenTenor offenbar."

Daß er aber bereits zu dieser Zeit höchstdramatisch singen konnte, beweist sein vomKomponisten am Klavier begleiteter Bajazzo-Monolog. Er zeigt den Sänger in seinervitalsten ungebrochensten Art. Die Kraft derStimme ist eine ungeheure, eruptive. Esherrscht die gleiche Spannkraft in allenLagen vor.Schon sein Lachen, gleich angebunden an dashohe a, ist ein Wunder für sich. Gänzlichunnachahmlich blieb sein Schluchzen, wasnach Ansicht des Gesangslehrers GeorgeArmin folgendermaßen zustande kam: „Wirdnun der Ton bis auf das letzte Quentchenvon Luft ausgehalten und saugt der Sängerunmittelbar darauf blitzschnell, ohne Pause,den Atem wieder ein und wird dieser Vor-gang nun mit einem Geräuschlaut, wie ihn dasSchluchzen bedingt, verbunden, so entstehteben jene Plastik des Ausdrucks, wie sieCaruso zeigt und die die größte Erschütte-rung im Zuhörer hervorruft."Aus dem Jahre 1906 stammt seine „Strctta".Ein dezent angebrachter kleiner Schluchzerbei den Worden „madre felice" — das sindFeinheiten der Technik Carusos. Weniger ge-lungen ist seine Rudolf-Arie und die Faust-Cavatine. Er hätte sie in späteren Jahrensicher flüssiger gesungen. Die große Arieaus „Andre Chenier" ist schlicht gestaltet.Draufgängerischer hören wir sie von Pertileund Martinelli. Aus dem Jahre 1907 stammtdie „gebändigtere" Form des Bajazzo-Mono-logs, die Schlußphase in einem Atem gesungen(manch „großer" Sänger zerhackt sie in dreiTeile!). Sie ist wahrscheinlich die meist-verkauftc Platte Carusos; war es doch dieseOper, die bei ihm und seinen Zuhörern die

DASWUNDER

EINERSTIMME

Enrico Caruso auf Schallplatten

größten seelischen Erschütterungen hervor-rief. Lyrisch ergreifend das Perlenfischer-Duett mit Mario Ancona, in seiner innigenSchlichtheit noch heute unerreicht. „Ladonna e mobile" zeigt seine vollendeteSkalengeläufigkeit, „Questo e quella" charak-terisiert treffend die Leichtfertigkeit desHerzogs vom Mantua. Die vielgeschätztenDuette aus „Boheme" und „Macht des Schick-sals" mit Scotti ziehe ich mit Gigli und deLuca vor. Zu dünn sein piano-c in den„Magischen Tönen" — hier ist Slezak inbeiden Versionen überlegen. Sein „Ah si benmio" wurde von Piccaver (Polydor, akustisch)täuschend nachgeahmt. Ein lehrreicher Ver-gleich! Menschlich ergreifend das Duett „Ainostri monti ritorne-remo" mit LouiseHomer aus dem „Troubadour". Das„Misercrc" mit Frances A!da wird von derunveröffentlichten Version (ich besitze eineKopie) mit Johanna Gadski übertroffen.Im Jahre 1910 beginnt Caruso seinen Zenithzu erklimmen. Im Januar werden die schön-sten Szenen der Oper „Faust" mit GeraldineFarrar, Marcel Journet, Antonio Scotti undder Altistin Gilibert aufgenommen. Bei derAufnahme „Elle ouvre sa fenetre" fehltCarusos Name auf dem Plattenetikett — ersingt nur das eine Wort „Marguerite". Ein-drucksvolle Weißglut-Hochtöne hören wir indem Duett „Solo, profugo" mit MarcelJournet aus der Oper „Martha". Von mit-reißendem Elan die Schlußarie des „Bajazzo".„Di tu sefedele" aus „Maskenball" beweist denhohen Grad seiner Parlondokunst, zeigt unsaber auch die reine Aussprache der Vokaleund den blitzschnellen, unfehlbaren Ansatzder Konsonanten, Eigenschaften, die vonkeinem anderen Sänger erreicht wurden.Im Duett „Invano, Alvaro" mit Amato zeigter sich anderen italienischen Heldentenören,wie Pertile, Martinelli, Lauri-Volpi, turm-hoch überlegen. Vollendete Arienaufnahmenaus dieser Zeit sind „Celeste Aida" (mit Rezi-tativ), „Una furtiva lagrima", „Ah, fuyezdouce image", „Ma se m'e forza perderti".Die Ensembleszenen aus „Martha" mitJournet, Aida und Jacoby sind Kostbar-keiten. Das Mitternachtsquartett gehört zuden seelenvollsten Leistungen Carusos. Ver-gleichen wir das Terzett aus „Die Lombarden"(mit Aida, Journet) mit der modernen Auf-nahme Gigli-Rethberg-Pinza, so fällt uns diedezent verinnerlichte Auffassung Carusos imGegensatz zu Giglis äußerlicher, mit vielenSchluchzern verunzierter Version angenehmauf. Tiefster Schmerz spricht aus den Worten„Mamma, Mamma" im Abschied desTurridu. Das hohe des in „Cujus animam"

klingt unpassend zu den Tönen vorher, hierwar seine Grenze! Unerreicht sein „Sangue"im Racheduett aus „Otello" mit Titta Ruffo.Spitzeninterpretation der Kriegs jähre 1915bis 1918 sind das „Ingemisco" aus demRequiem von Verdi, die wenig bekannteArie „Angelo casto e bei" aus „Duca d'Alba"von Donizetti, „Souverain" aus „Der Cid",„Prete-moi ton aide" aus der „Königin vonSaba" von Gounod, „Je crois entendreencorc" aus den „Perlenfischern", „De monamie fleur endormie" aus der gleichen Oper.Das Quartett aus „Rigoletto" liegt in 4, dasSextett aus „Lucia" in 3 Versionen vor. Dieletzten Fassungen aus dem Jahre 1917 mitGalli-Curci usw. sind die gesanglich voll-endetsten und übertreffen auch die Gigli-Galli-Curci Interpretation. Im Duett „Slealcil segreto fu dunque violato" aus „Macht desSchicksals" besticht die Ähnlichkeit seinerStimme mit der seines besten FreundesGiuseppe de Luca. Die Platte gehört zu dendramatischsten der gesamten Opernliteratur.Ein vollendetes hohes h von eminenterDurchschlagskraft beschließt das Duett.Im September 1918 erscheint seine auf-nahmetechnisch beste Platte — die Kirchen-arie „Pietä Signore" von Stradella. Vonköstlichem Humor gesättigt das Duett „Ventiseudi" aus „Der Liebestrank" mit de Luca.Elf Monate vor seinem Tode im September1920 wurden die letzten 9 Platten auf-genommen. In der Arie des Eleazar ver-nehmen wir deutlich Atembeschwerden, dieVorboten seines allzufrühen Todes. Dieletzte Schallplatte, am 16. September 1920 inCamden angefertigt, führt den Titel: Cruci-fixus aus der Messe Solencilc von Rossini.Caruso beherrschte dank seiner außerordent-lichen Musikalität (obwohl er von Musik-theorie nur wenig verstand) alle Stile derromanischen Musik. Noch mehr als in seinenOpernaufnahmen, vermochte er in die ein-fachen Volkslieder seiner Heimat seine eigeneSeele und die seines Volkes zu versenken.Seine tiefstempfundenen Lieder: „Perche?",„Fenesta ehe lucivo", „Corengrato", „Tu canun chaigne", „Addio" sind erschütterndeBeispiele einer zum Klang gewordenenMcnschenseele. Roland Teuchtler

Diskografie: (alle Aufnahmen auf Telefunken)Caruso LM 6127-1/3Caruso LCT 1007-CCaruso (franz.) ERAT 7 (LP)Caruso singt neapolitanische Lieder LCT 1129-CEnrico Caruso - Fünf Arien von Verdi

ERAT 4 (LP)Enrico Caruso - Vier Arien von Puccini

ERAT 5 (LP)Fenesta ehe lucivo 447-9209O sole mio 447-9209Die vier Bestseller Carusos ERAT 6 (PL)

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