Angewandte Psychologie www.psychologie.zhaw.ch
Zürcher Fachhochschule
Bachelorarbeit
Angehörige psychisch kranker Menschen
Zwischen Kompetenz und Defizit
Remo Siegrist Vertiefungsrichtung Klinische Psychologie
Referentin: Susanne Wipf, Psychiatriepflegefachfrau FH, Sozialarbeiterin FH
Buchs, Mai 2012
Diese Arbeit wurde im Rahmen des Bachelorstudienganges am Departement P der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW verfasst. Eine Publikation bedarf der vorgängigen schriftlichen Bewilli-gung durch das Departement Angewandte Psychologie. ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Departement Angewandte Psychologie, Mi-nervastrasse 30, Postfach, 8032 Zürich.
Abstract
Psychisch erkrankte Menschen sind oft umgeben von einem interdisziplinären Helfernetz-
werk. Neben den professionellen Fachkräften, wie Ärzten, Psychologen, Sozialarbeiter etc.,
übernehmen Angehörige eine wichtige Funktion im Leben des Patienten. In der Begleitung
vor, während und nach einem stationären Aufenthalt, sind sie hohen Anforderungen und
emotionalen Belastungen ausgesetzt. Besonders im Hinblick auf eine optimale Rehabilitation
und Wiedereingliederung, bildet das soziale Umfeld des Patienten die Grundlage im Hinter-
grund einer professionellen Gesundheitsversorgung. Ziel dieser Arbeit ist es, das subjektive
Belastungserleben von Angehörigen und ihre individuellen Strategien im Umgang mit der
Krankheitssituation untersuchen. Zeitgleich wird sowohl nach Erfahrungen im Kontakt mit
Institutionen bzw. professioneller Unterstützung als auch nach Bedürfnissen von Angehörigen
gesucht. In der qualitativen Untersuchung, mittels halbstandardisierter Einzelinterviews, wur-
den fünf Angehörige, die in enger Beziehung zu einem psychisch erkrankten Menschen stehen
und diesen begleiten, befragt. Die Auswertung erfolgte nach der standardisierenden, qualitati-
ven Inhaltsanalyse.
Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass Angehörige meist so lange wie möglich versu-
chen, die Belastungssituation ohne Unterstützung zu ertragen. Grund für die späte Inan-
spruchnahme von professioneller Unterstützung ist einerseits das fehlende Bewusstsein für die
erlebte psychische Belastung und deren Folgen, andererseits aber auch, dass Angehörige sich
von Fachkräften oft zu wenig abgeholt fühlen und keine konkreten Informationen über das
vorhandene Angehörigenangebot erhalten. Angehörige wünschen sich von Fachkräften mehr
Wertschätzung ihrer Arbeit und wollen dabei ernst genommen werden. Eine gesteigerte Zu-
friedenheit mit der Versorgung trägt zu einer höheren Lebensqualität aller Beteiligten bei.
I
Inhalt
1 Einleitung ................................................................................................................ 1
1.1 Hintergrund ................................................................................................................................... 1
1.2 Fragestellung und Ziel der Arbeit .............................................................................................. 1
1.3 Abgrenzung ................................................................................................................................... 2
I THEORETISCHER TEIL .................................................................................... 2
2 Pflegende Angehörige psychisch Kranker .............................................................. 2
2.1 Begriffsdefinition „Pflegende Angehörige“.............................................................................. 3
2.2 Aufgaben pflegender Angehöriger ............................................................................................ 3
2.3 Belastungserleben pflegender Angehöriger .............................................................................. 4
2.4 Angehörigenarbeit und Psychoedukation ................................................................................. 6
2.5 Inanspruchnahme von Unterstützungsangeboten .................................................................. 6 2.5.1 Inanspruchnahme kantonaler Fachstellen für Angehörige ....................................... 7 2.5.2 Bedingungsfaktoren ........................................................................................................ 7 2.5.3 Zeitlicher Aspekt ............................................................................................................. 8
3 Stand der Angehörigenforschung ........................................................................... 8
3.1 Bisherige Bemühungen in der Angehörigenforschung ........................................................... 8
3.2 Erschwerende Faktoren im Sampling ....................................................................................... 9
3.3 Kritik ............................................................................................................................................ 10
3.4 Ausblick ....................................................................................................................................... 10
4 Gesundheitspsychologische Perspektive ............................................................... 11
4.1 Begriffserklärung „Gesundheit“ .............................................................................................. 11 4.1.1 Definition ....................................................................................................................... 12 4.1.2 Psychische Gesundheit weltweit ................................................................................. 12 4.1.3 Gesundheitspsychologisches Verständnis ................................................................. 13 4.1.4 Stressbewältigung und Gesundheit ............................................................................ 14
4.2 Protektive Faktoren ................................................................................................................... 14 4.2.1 Kompetenzerwartung................................................................................................... 14 4.2.2 Optimismus ................................................................................................................... 15 4.2.3 Hardiness ....................................................................................................................... 15 4.2.4 Kohärenzsinn ................................................................................................................ 16 4.2.5 Resilienz ......................................................................................................................... 16
4.3 Soziale Unterstützung ................................................................................................................ 17 4.3.1 Abgrenzung ................................................................................................................... 17 4.3.2 Begriffserklärung „Soziale Unterstützung“ ............................................................... 18 4.3.3 Forschungsstand ........................................................................................................... 18
II
4.3.4 Erhaltene Unterstützung .............................................................................................. 19 4.3.5 Stressfaktoren ................................................................................................................ 20 4.3.6 Faktoren des Hilfeempfängers .................................................................................... 20 4.3.7 Faktoren des Helfenden ............................................................................................... 20 4.3.8 Beziehungsfaktoren....................................................................................................... 21
5 Bewältigung ........................................................................................................... 21
5.1 Krise als Entwicklungschance .................................................................................................. 21
5.2 Begegnung mit Krankheit ......................................................................................................... 21
5.3 Das Ressourcenmodell .............................................................................................................. 22 5.3.1 Theorie der Lebenswelt ................................................................................................ 22 5.3.2 Netzwerkperspektive .................................................................................................... 23 5.3.3 Empowerment ............................................................................................................... 23
5.4 Coping und Gesundheit ............................................................................................................ 23 5.4.1 Reaktives Coping ........................................................................................................... 24 5.4.2 Antizipatorisches Coping ............................................................................................. 24 5.4.3 Präventives Coping ....................................................................................................... 24 5.4.4 Proaktives Coping ......................................................................................................... 24
II EMPIRISCHER TEIL ......................................................................................... 25
6 Methodisches Vorgehen ....................................................................................... 25
6.1 Forschungsdesign ....................................................................................................................... 25
6.2 Datenerhebung............................................................................................................................ 26
6.3 Stichprobe .................................................................................................................................... 26
6.4 Datenauswertung ........................................................................................................................ 27
7 Darstellung der Ergebnisse .................................................................................. 29
7.1 Krankheitsentwicklung und Erleben ....................................................................................... 29 7.1.1 Familiengeschichte ........................................................................................................ 29 7.1.2 Prodromalphase ............................................................................................................. 29 7.1.3 Konfrontation mit Krankheit ...................................................................................... 30 7.1.4 Selbststigmatisierung ..................................................................................................... 30 7.1.5 Fremdstigmatisierung ................................................................................................... 31 7.1.6 Emotionen ..................................................................................................................... 31
7.2 Weg zu professioneller Unterstützung .................................................................................... 32 7.2.1 Grenzen der Belastbarkeit............................................................................................ 32 7.2.2 Kenntnisse über Angehörigenangebote ..................................................................... 32 7.2.3 Erfahrungen mit kantonaler Fachstelle für Angehörige .......................................... 33 7.2.4 Angehörigengruppen .................................................................................................... 33 7.2.5 Psychotherapeutische Unterstützung ......................................................................... 34 7.2.6 Psychoedukative Selbsthilfe ......................................................................................... 35
III
7.3 Protektive Faktoren ................................................................................................................... 35 7.3.1 Soziale Ressourcen familial.......................................................................................... 35 7.3.2 Soziale Ressourcen non-familial ................................................................................. 36 7.3.3 Aktivität .......................................................................................................................... 37 7.3.4 Optimismus ................................................................................................................... 37 7.3.5 Glaube und Religion ..................................................................................................... 38
7.4 Von der Schuld zur Abgrenzung ............................................................................................. 39 7.4.1 Schuld ............................................................................................................................. 39 7.4.2 Selbstschutz ................................................................................................................... 39 7.4.3 Abgrenzung ................................................................................................................... 40 7.4.4 Offenheit ........................................................................................................................ 40 7.4.5 Persönliche Reifung ...................................................................................................... 41
7.5 Anspruch von Angehörigen ..................................................................................................... 42 7.5.1 Angehörige im Kontakt mit Institutionen ................................................................ 42 7.5.2 Angehörige und ihre Wünsche ................................................................................... 42 7.5.3 Verbesserung der Zusammenarbeit ........................................................................... 43
8 Diskussion ............................................................................................................. 43
8.1 Ausgangslage ............................................................................................................................... 44
8.2 Zusammenfassung der Theorie ................................................................................................ 44
8.3 Fragestellung und Arbeitshypothesen ..................................................................................... 45
8.4 Fazit .............................................................................................................................................. 48
8.5 Interpretation und Diskussion der Ergebnisse ...................................................................... 49 8.5.1 Krankheitsentwicklung und Erleben (Kap. 7.1.1 bis 7.1.6) .................................... 49 8.5.2 Weg zu professioneller Unterstützung (Kap. 7.2.1 bis 7.2.6) ................................. 50 8.5.3 Protektive Faktoren (Kap. 7.3.1 bis 7.3.5) ................................................................ 51 8.5.4 Von der Schuld zur Abgrenzung (Kap. 7.4.1 bis 7.4.5) .......................................... 53 8.5.5 Anspruch von Angehörigen (Kap. 7.5.1 bis 7.5.3) .................................................. 54
8.6 Methodenkritik ........................................................................................................................... 54
8.7 Ausblick und weiterführende Überlegungen .......................................................................... 56
9 Literatur ................................................................................................................. 57
10 Anhang .................................................................................................................. 59
IV
Tabellen
Tab. 1: Beschreibung der Stichprobe 28
V
Abkürzungen
bzw. beziehungsweise
bzgl. bezüglich
d.h. das heisst
et al. et alii, „und andere“
GISA Giessener Angehörigenstudie
Kap. Kapitel
m männlich
PDAG Psychiatrische Dienste Aargau
u. a. und andere
vgl. vergleiche
w weiblich
WHO World Health Organisation
Zit. n. Zitat nach
z. B. zum Beispiel
1
1 Einleitung
Hintergrund 1.1
Pflegende Angehörige spielen im Netzwerk der Versorgung von psychisch kranken Menschen,
speziell im häuslichen Bereich, eine zentrale Rolle und übernehmen damit eine Aufgabe von
grosser gesellschaftlicher Bedeutung. Der Alltag in der Begleitung psychisch Kranker kann
über längere Dauer einerseits zur Erkrankung der betreuenden Person selbst führen, anderer-
seits aber auch Anlass zu positiven Veränderungen betreffend deren Lebenseinstellung und
Lebensführung sein. Damit das teilweise gravierende Belastungserleben und seine Folgen ab-
gemildert werden können, und um höchst mögliche Qualität in der informellen Pflege zu ge-
währleisten, bedarf es jedoch eines ausreichend sensitiven Unterstützungssystems.
Fragestellung und Ziel der Arbeit 1.2
Ziel der Arbeit ist es, Angehörige psychisch erkrankter Menschen in den Mittelpunkt zu rü-
cken. Aus einer gesundheitspsychologischen Perspektive soll darauf eingegangen werden, was
Angehörige davor schützt, während der Betreuung von erkrankten Angehörigen, selbst eine
Krankheit zu entwickeln? Dabei soll exploriert werden, welche psychischen und psychosozia-
len Bereiche des Pflegenden inwiefern von einer Veränderung betroffen sind und welchen
Einfluss die Begleitung eines psychisch Kranken auf die Gesundheit von Angehörigen haben
kann.
Da die Bedürfnisse Angehöriger psychisch Kranker oft nicht angemessen befriedigt werden
können, soll ermittelt werden, wann die Betroffenen öffentlich zugängliche Angebote, wie z.
B. Fachstellen, Angehörigengruppen, Internet oder Fachliteratur wahrnehmen und wie sie
diese individuell nutzen beziehungsweise welchen Einfluss diese auf die Bewältigung der sub-
jektiv wahrgenommene Belastungssituation haben.
Hauptfragestellung Weshalb werden pflegende Angehörige psychisch kranker
Menschen nicht krank?
Leitfrage 1 Welche individuellen Strategien, im Umgang mit psychisch er-
krankten Menschen, haben einen stabilisierenden Einfluss auf
das subjektive Wohlbefinden und die Gesundheit der helfen-
den Person?
2
Leitfrage 2 Inwiefern können Angehörigenangebote besser verfügbar ge-
macht werden?
Arbeitshypothese 1 Professionelle Unterstützung für Angehörige psychisch kran-
ker Menschen hat einen stabilisierenden Einfluss auf deren
Wohlbefinden und Gesundheit.
Arbeitshypothese 2 Angehörige psychisch kranker Menschen sind nicht ausrei-
chend über öffentlich zugängliche Unterstützungsangebote in-
formiert.
Abgrenzung 1.3
Diese Arbeit untersucht das Belastungserleben von Angehörigen psychisch kranker Menschen
aus unterschiedlichen Altersgruppen. Um den gesamten Kontext der individuell verschiedenen
Belastungssituationen zu erfassen, wird weder auf störungsspezifische Aspekte noch auf die
Art der Beziehung zwischen Helfer und Hilfeempfänger eingegangen.
I THEORETISCHER TEIL
2 Pflegende Angehörige psychisch Kranker
Zu den informell pflegenden Angehörigen sind neben den nächsten Familienmitgliedern oder
dem erweiterten Familienkreis ebenso Bekannte, Nachbarn, Freunde und andere Personen zu
zählen. Die Bewältigung der häuslichen Pflegesituation entwickelt sich nicht selten zu einer
sehr komplexen Herausforderung, nicht nur für den Pflegebedürftigen selber, sondern auch
für das ihn umgebende Helfernetz. Modelle zur Belastung von pflegenden Angehörigen zei-
gen, dass die pflegerischen Leistungen somit auch potentielle Stressoren darstellen, die die
Gesundheit und das Wohlbefinden der Helfer beeinflussen. Die Belastungen können indivi-
duell sehr unterschiedlich empfunden werden und die Auswirkungen stehen in einem sehr
engen Zusammenhang mit den intra- und extraindividuellen Ressourcen und Bewältigungs-
strategien der informell Pflegenden (Wilms, Bull, Wittmund & Angermeyer, 2005, S. 39).
3
Begriffsdefinition „Pflegende Angehörige“ 2.1
Da Angehörige psychisch kranker Menschen auch im stationären Bereich meist stark in den
pflegerischen Ablauf mit einbezogen werden, und im Vergleich zu professionellen Kräften
eine andere, aber durchaus ähnlich intensive Belastung erleben, erscheint es mehr als berech-
tigt, von „pflegenden“ Angehörigen zu sprechen (2006; zit. n. Allwicher, 2009, S. 39).
In der medizinischen Fachliteratur gibt es verschiedene Ansätze, den Begriff „pflegende An-
gehörige“, auch genannt „Caregivers“, zu definieren. Lamura und Mitarbeiter (2006; zit. n.
Allwicher, 2009, S. 39) formulieren ihre Definition wie folgt:
Personen, die sich selber PflegerInnen nennen und unbezahlt einen Menschen zuhause
oder im stationären Bereich unterstützen oder die Pflege eines Menschen durch andere
Anbieter organisieren.
Weitere Definitionen dazu finden sich in der englischsprachigen Fachliteratur:
One who contributes the benefits of medical, social, economic, or environmental re-
sources to a dependent or partially dependent individual, such as a critically ill person
(Mosby, 2009, S. 310).
A lay individual who assumes responsibility for the physical and emotional needs of
another who is incapable of self-care (Miller-Keane, 1997, S. 276).
Aufgaben pflegender Angehöriger 2.2
Angehörige gelten auf verschiedensten Ebenen als „Helfer“ [Hervorhebung im Original]:
Direkt nach einer Akutbehandlung leben 50-90% der schwer seelisch kranken Menschen bei
ihren Angehörigen. Der vielseitigen Unterstützung von Angehörigen wird dabei eine grosse
Bedeutung zugemessen. Der regelmässige und positive Kontakt zur eigenen Familie ist mit
einer höheren sozialen Kompetenz und der Abstinenz in Bezug auf Drogen verbunden. Wei-
ter übernehmen Angehörige eine sehr wichtige Rolle, wenn es darum geht, die Bereitschaft
des Patienten für jedwede Form von pharmakologischer oder psychologischer Therapie zu
fördern.
Nicht zu vergessen sind die unterschiedlichen Stützfunktionen, die Angehörige im Alltag
übernehmen. Diese werden im Bereich der Finanzen, der Entlastung im Alltag durch Über-
nahme von Haushaltsführung, in der Kindererziehung und Vernetzung mit dem sozialen Um-
feld oder auch in koordinierenden Funktionen im Behandlungsprozess wahrgenommen
4
(Brekke & Mathiesen, 1995; Clark, 2001; Lauber et al., 2003; Vauth, Loschmann, Rusch &
Corrigan, 2004; Willms, Bull, Wittmund & Angermeyer, 2005; zit. n. Vauth, Bull & Schneider,
2009, S. 12).
Belastungserleben pflegender Angehöriger 2.3
Das Ausmass der vielseitigen und individuell verschiedenen Belastungen von Angehörigen
psychisch Kranker zeigt sich auf mehreren Ebenen. Somatische als auch psychische Be-
schwerden der Angehörigen, und die damit verbundene Inanspruchnahme von medizinischer
Versorgung und Rehabilitation, verweisen auf die Folgen der Belastungen. Um die Dimensio-
nen dieser Belastungskomplexe zu erfassen, sucht die Forschung schon seit den 80er-Jahren
nach geeigneten Interventionsansätzen (Widemann & Buchkremer, 1996; zit. n. Wilms, Bull,
Wittmund & Angermeyer, 2005, S. 39).
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen den objektiven Belastungen, die sehr konkret und
auch beobachtbar sind, wie etwa den Finanzen, und den subjektiven Belastungen der Angehö-
rigen. Mit letzteren sind die wahrgenommenen psychologischen Belastungen und deren Aus-
wirkungen auf die Psyche gemeint (Hoenig & Hamilton, 1966; Schulze & Rössler, 2005; zit. n.
Vauth, Bull & Schneider, 2009, S. 12).
Aus der jüngeren Forschungsliteratur ergeben sich spezifische Faktoren, die sich auf die An-
gehörigen sowohl belastenden als auch entlastend auswirken können (Bibou-Nakou, Dikaiou
& Bairactaris, 1997; Birchwood & Cochrane, 1990; Carpentier, Lesage, Goulet, Lalonde, &
Renaud, 1992; Levene, Lancee & Seeman, 1996; MacInes, 1998; Magliano et al., 1998; Proven-
cher & Mueser, 1997; Raj, Kulhara & Avasthi, 1991; Scazufka & Kuipers, 1998; Smith, Birch-
wood, Cochrane & George, 1993; Solomon & Draine, 1995; Veltro, Magliano, Lobrace, Mo-
rosini & Maj, 1994; Winefield & Harvey, 1994; zit. n. Vauth, Bull & Schneider, 2009, S. 12-13):
- Dauer der Erkrankung
- Negativsymptomatik
- Rollenfunktionsfähigkeit
- Kontaktfrequenz und Dauer
- Soziale Unterstützung
- Bewältigungsstrategien und Selbstwirksamkeit
- Zufriedenheit mit Versorgungssystem und professioneller Unterstützung
5
Die Ergebnisse aus jüngster Angehörigenforschung bringen jedoch einige dem Alltagsverstand
widersprechende Befunde mit sich. Die Erwartung, dass mit zunehmender Dauer der Erkran-
kung und bei höherer Kontaktfrequenz und –dichte die Belastung aus Sicht der Angehörigen
durch Habituation abnimmt, wird nicht erfüllt. Im Gegenteil. Die Ergebnisse zeigen, dass in
diesem Fall nicht von einer Abnahme der Belastung auszugehen ist. Ebenfalls erwartungsdis-
krepant ist, dass nicht etwa die Positivsymptomatik die Hauptbelastung für den Angehörigen
ausmacht, sondern die Negativsymptomatik, die eine wesentlich stärkere Belastung darstellt.
Weiter wichtig in Bezug auf das Ausmass der Belastung ist das Funktionsniveau, auf dem sich
das erkrankte Familienmitglied befindet. Wenn also die Funktionsfähigkeit als gering einzustu-
fen ist oder abnimmt, so ist davon auszugehen, dass die Belastung der pflegenden Angehöri-
gen steigt (Vauth, Bull & Schneider, 2009, S. 13).
Ausschlaggebend für das subjektive Belastungserleben [Hervorhebung im Original] von Angehöri-
gen ist das Ausmass der Veränderung in der Beziehung zum erkrankten Familienmitglied
(Lauber et al., 2003; zit. n. Vauth, Bull & Schneider, 2009, S. 12). Das Verhältnis von Nähe
und Distanz wird dadurch entscheidend beeinflusst. Es besteht also auch die Gefahr, dass die
Interaktion der sozialen Beziehung, zwischen der erkrankten Person und Angehörigen, aus
dem Gleichgewicht gerät und dadurch Themen wie emotionale Nähe und wechselseitiges
Aufeinandereingehen gestört werden (Vauth, Bull & Schneider, 2009, S. 12).
In der Begleitung von erkrankten Menschen sehen sich Angehörige meist in unerwartete fi-
nanzielle und moralische Verantwortlichkeiten gedrängt (Schene, Tessler & Gamache, 1994;
zit. n. Vauth, Bull & Schneider, 2009, S. 12). Diese Übernahme von Verantwortung führt oft
dazu, dass Angehörige direkt oder indirekt mit Schuldzuweisungen aus ihrem sozialen Umfeld
zu kämpfen haben und für die Erkrankung verantwortlich gemacht werden (Vauth, Bull &
Schneider, 2009, S. 12).
Als schützend, und damit für Interventionen, die das gesamte Angehörigensystem berücksich-
tigen, bedeutend, erweisen sich die Bereitstellung von sozialem Beistand, die Zufriedenheit mit
dem Versorgungssystem, professioneller Unterstützung sowie die proaktive Entwicklung
problemzentrierter Bewältigungsstrategien, verbunden mit einer hohen Selbstwirksamkeitser-
wartung (Vauth, Bull & Schneider, 2009, S. 13).
6
Angehörigenarbeit und Psychoedukation 2.4
Angehörige von Menschen mit psychischen Störungen sind vor und nach einer Hospitalisati-
on extrem stark belastet. Durch die in der Institution meist kurzen Aufenthaltszeiten, fehlt
eine konstante Bezugsperson als Ansprechpartner, wodurch Angehörige nicht selten in Über-
lastungssituationen geraten. Die professionelle Unterstützung soll ihnen helfen, Antworten auf
individuelle Fragen zu finden und über Krankheitsbilder, Medikamente oder praktische Ver-
haltensweisen zu informieren.
Einzelne psychiatrische Institutionen bieten Angehörigen deshalb eine Beratungsmöglichkeit
an. Angehörigenberatung versteht sich dabei aber nicht als Konkurrenz zum Behandlungspro-
zess, sondern als Ergänzung. Fachstellen für Angehörigenberatung leisten einen wertvollen
Beitrag, indem sie Angehörigen, mit einem hohen Unterstützungsbedürfnis, eine Anlaufstelle
bieten. Persönliche Fragen zum Umgang mit Belastungssituationen und zu krankheitsspezifi-
scher Symptomatik sowie eigene Unsicherheiten, Schuldgefühle und Abgrenzung sollen dabei
thematisiert werden können (Lampert, 2011, S. 1).
Damit eine möglichst auf den einzelnen Menschen zugeschnittene, flexible Methodenauswahl
erreicht werden kann, bedarf es in der Entwicklung von Unterstützungsangeboten für Ange-
hörige einer integrativen Vorgehensweise. Somit können die verschiedenen Methoden an die
jeweilige Bezugsperson und seine Bezüge zur inneren und äusseren Welt angepasst werden
(Widemann & Buchkremer, 1996; zit. n. Wilms, Bull, Wittmund & Angermeyer, 2005, S. 39).
Inanspruchnahme von Unterstützungsangeboten 2.5
Das subjektive Unterstützungsbedürfnis von Angehörigen wurde bislang nur in wenigen Stu-
dien untersucht. Dabei hat sich erwiesen, dass Angehörige psychisch Kranker eine deutliche
Forderung zur Erweiterung professioneller Unterstützungsangebote stellen (Angermeyer, Diaz
Ruiz de Zarate & Matschinger, 2000; Jungbauer, Mory & Angermeyer, 2003; zit. n. Wilms,
Bull, Wittmund & Angermeyer, 2005, S. 30). Teilnahmeverweigerungsraten zwischen 4 und
21% zeigen jedoch, dass diese Angebote längst nicht von allen Betroffenen genutzt werden
(Smith & Birchwood, 1990; zit. n. Wilms, Bull, Wittmund & Angermeyer, 2005, S. 30). Zwi-
schen dem Angebot und der Nutzung von Unterstützungsangeboten für Angehörige psy-
chisch Kranker, besteht demnach eine grosse Diskrepanz:
7
The attempt to engage families in a program of training and support does not always
meet with success, which is surprising in view of the well documented burdens they
face (Smith & Birchwood, 1990; zit. n. Wilms, Bull, Wittmund & Angermeyer, 2005).
Inanspruchnahme kantonaler Fachstellen für Angehörige 2.5.1
Eine Erhebung über die Anzahl, der im Jahre 2010 durchgeführten Angehörigenberatungen
ergibt einen Einblick in die Nutzung des professionellen Beratungsangebotes an institutionel-
len Fachstellen aus dem Raum der deutschsprachigen Schweiz (ausgewiesene Stellenprozente:
St. Gallische Psychiatrie-Dienste Nord 100%/Süd 75%; Universitäre Psychiatrische Dienste
Bern 50%; Psychiatrische Dienste Aargau 80%, Daten ab Juli berücksichtigt; RSE Emmental
30%) (Lampert, 2011, S. 1-5):
Insgesamt wurden im Jahr 2010 816 Beratungsgespräche (518 Fälle) durchgeführt. Davon
fanden 421 Gespräche im Setting persönlicher Beratung statt, 382 Gespräche im Setting tele-
fonischer Beratung und 13 Mal in Form von virtueller Beratung per E-Mail.
Der höchste Bedarf nach professioneller Unterstützung besteht aufgrund einer Diagnose von
Schizophrenie (29%) oder Depression (24%). In 31% der Fälle ist der Ehe- oder Lebens-
partner die engste Bezugsperson des erkrankten Patienten, in 26% die Mutter. Vergleichsweise
tief sind die Werte anderer Bezugspersonen aus dem familiären System.
Bedingungsfaktoren 2.5.2
Im Rahmen der Caregiver-burdens-studies konnten die hohen Belastungen, denen Angehörige
ausgesetzt sind und ein damit verbundenes Bedürfnis nach Unterstützung nachgewiesen wer-
den. Wilms, Bull, Wittmund und Angermeyer (2005) legen in ihrer Studie über die Bedin-
gungsfaktoren zur Inanspruchnahmeentscheidung vier wichtige Aspekte vor (S. 35):
1. Der Angehörige fühlt sich selbst belastet.
2. Der Angehörige hat das Gefühl mit der Situation nicht zurechtzukommen.
3. Der Angehörige hat positive Erwartungen an das Programm.
4. Ein aktueller Veränderungswunsch liegt vor.
Weiter geht aus der Studie hervor, dass die Überforderung durch eine akute Krankheitsepiso-
de die stärkste Motivation für eine Teilnahme darstellt. Schon Murray und Mitarbeiter (1997;
zit. n. Wilms, Bull, Wittmund & Angermeyer, 2005, S. 35) vermuteten, dass die Einsicht von
Angehörigen, nicht mehr mit der Situation klarzukommen, entscheidend mit der Inanspruch-
nahme von Unterstützungsangeboten zusammenhängt. Viele Angehörige wollen ihre Situation
möglichst lange ohne professionelle Hilfe bewältigen. Hinzu kommt, dass für sie oft eine sehr
8
hohe Hemmschwelle besteht, an Angehörigengruppen teilzunehmen (Schulze Mönking &
Buchkremer, 2000; Deger-Erlenmaier, Heim & Sellner, 2000; zit. n. Wilms, Bull, Wittmund &
Angermeyer, 2005, S. 35). Die Einsicht, subjektiv belastet und möglicherweise eingeschränkt
zu sein, sowie nicht mehr mit der Situation zurechtzukommen, scheint also nicht per se aus-
schlaggebend für eine Teilnahme.
Zeitlicher Aspekt 2.5.3
Aus der Studie lässt sich ebenso entnehmen, dass sich die Motivation zur Teilnahme relati-
viert, sobald die akute Phase der Erkrankung überstanden ist und die subjektive Belastung
dadurch stark abnimmt (Wilms, Bull, Wittmund & Angermeyer, 2005, S. 36). Dieser zeitliche
Aspekt wurde auch in anderen Untersuchungen beobachtet, wonach die ersten 36 Stunden
nach einer Aufnahme des Erkrankten als Phase der höchsten Teilnahmebereitschaft von An-
gehörigen gelten. Daher wäre es sinnvoll, in diesem Zeitraum Kontaktgespräche durchzufüh-
ren (Deger-Erlenmaier et al., 2000; zit. n. Wilms, Bull, Wittmund & Angermeyer, 2005, S. 36).
Angehörige suchen meist in akuten Krisensituationen nach Rat und Unterstützung. Ausge-
hend davon, wie gross die Belastung vom Betreuenden erlebt wird, ist anzunehmen, dass es
nur einen begrenzten Zeitraum gibt, in dem eine hohe Bereitschaft zur Teilnahme am Unter-
stützungsangebot vorhanden ist. Um Angehörigen in dieser Phase Unterstützung zu bieten, ist
es wichtig, dass sie durch die klinischen Fachkräfte möglichst umgehend über zur Verfügung
stehende Unterstützungsangebote informiert werden (Wilms, Bull, Wittmund & Angermeyer,
2005, S. 36).
3 Stand der Angehörigenforschung
Die Darstellung des Forschungsstands in dieser Arbeit basiert auf einer Habilitationsschrift,
die im Rahmen der Leipziger Angehörigenstudie, zwischen 1998 und 2001 an der Medizini-
schen Fakultät der Universität Leipzig durchgeführt wurde, sowie auf Ergebnissen aus der
Giessener Angehörigenstudie (GISA).
Bisherige Bemühungen in der Angehörigenforschung 3.1
Trotz zahlreicher empirischer Studien über die Belastungen und Beeinträchtigungen von An-
gehörigen psychisch Kranker bleiben Jones und Jones (1994; zit. nach Jungbauer, 2005) vor-
sichtig, wenn es darum geht in der bisherigen Forschung Bilanz zu ziehen:
9
Although a great deal of research has attempted to assess caregiver burden of those
caring for the chronically mentally ill, many questions remain unanswered due to unre-
solved methodological issues (S. 32).
Damit weisen sie auf die noch vielen ungelösten Fragen sowie theoretischen und methodolo-
gischen Unklarheiten in der Angehörigenforschung hin. Damit gemeint ist beispielsweise die
Schwierigkeit der Operationalisierung ausgewählter Belastungskonzepte, wonach die meisten
entwickelten Fragebogeninstrumente meist nur in einer Studie angewendet wurden und eine
geringe Validität aufwiesen (Maurin & Boyd, 1990; zit. n. Jungbauer, 2005, S.32). Weiter kam
es vor, dass unterschiedliche Belastungskonzepte kombiniert wurden, wodurch von einer
Wechselwirkung auszugehen war und eine klare Differenzierung der einzelnen Variablen die
Auswertung deutlich erschwerte. Maurin und Boyd (1990, zit. n. Jungbauer, 2005) sprachen in
diesem Zusammenhang auch von einer „Simplifizierung der komplexen interaktionalen Belas-
tungen und Beziehungen von Angehörigen psychisch erkrankter Menschen“ (S. 33).
Neuere Konzepte bedienen sich dem theoretischen und konzeptuellen Inventar der Stress-
und Bewältigungsforschung. Somit können neben Belastungen und Defiziten auch die Res-
sourcen besser berücksichtigt werden, als dies bisher der Fall war (vgl. Greenberg, Greenley &
Benedict, 1994; Doornbos, 1996; Horwitz, Reinhard & Howell-White, 1996; zit. n. Jungbauer,
2005, S. 32).
Erschwerende Faktoren im Sampling 3.2
Die Erstellung einer den Angehörigen psychisch Kranker angemessenen Stichprobe gilt als
zentrales methodologisches Problem in der Forschung. Meist sind die Studienteilnehmer nicht
repräsentativ gegenüber der Gesamtheit. Bisher gibt es kaum randomisierte Stichproben, da
bei der Auswahl der Untersuchungspopulation vorwiegend ein pragmatisches und ökonomi-
sches Vorgehen gepflegt wurde (Jones & Jones, 1994; zit. n. Jungbauer, 2005). Die Stichpro-
ben setzten sich vielfach aus Mitgliedern von Selbsthilfe- oder Angehörigengruppen zusam-
men und stellen möglicherweise eine stark selektionierte Gruppe dar, die sich durch höheres
Bildungsniveau, Bereitschaft zu sozialem Engagement und vergleichsweise gute finanzielle
Lebensverhältnisse auszeichnet.
Insgesamt geht die Forschung davon aus, dass in den bis heute vorliegenden Studien einzelne
Gruppen von Angehörigen systematisch unterrepräsentiert sind und die Ergebnisse somit
nicht für die Gesamtheit repräsentativ sind (Jungbauer, 2005, S. 33).
10
Kritik 3.3
Aus entwicklungspsychologischer Perspektive ergibt sich eine weitere Schwachstelle. Die
meisten der bisherigen Untersuchungsergebnisse basieren auf Querschnittsstudien, wodurch
Variablen, wie zeitliche Entwicklungsverläufe sowie Veränderungen vernachlässigt werden
(Baronett, 1999; Hatfield, 1997; zit. n. Jungbauer, 2005). Weiter wird kritisiert, dass die Defini-
tion der Belastung von Angehörigen oft nur ein stark vereinfachtes Konzept darzustellen
vermag und dem komplexen Interaktionsgeschehen dadurch nicht gerecht wird:
The effect of mental illness in the family is not a simple, linear process. It`s more likely
an interactive process between the individual and the family, and the system and the
larger community (Maurin & Boyd, 1990; zit. n. Jungbauer, 2005, S. 33).
Als weiterer Kritikpunkt an standardisierten und quantifizierten Untersuchungen, zu sozialen
Beziehungen schizophrener Menschen, gilt der Verlust der Sinnebene. Dadurch ist eine Erfas-
sung des Menschen in seinen subjektiven Bedeutungen [Hervorhebung im Original] nur begrenzt
möglich, obwohl diese die Wirklichkeit von Angehörigen eigentlich auszeichnen (Klusmann &
Angermeyer, 1989; zit. n. Jungbauer, 2005, S. 33). Die zunehmende Forderung nach vermehr-
ter Anwendung qualitativer, sinnverstehender Methoden soll es der Forschung ermöglichen,
subjektive Sinnzusammenhänge zu analysieren. Somit kann ein adäquates Abbild davon ge-
wonnen werden, wie sich die Krankheit auf den Lebensalltag der Betroffenen und ihre Bezie-
hungsstrukturen auswirkt (Badgar, 1996; Karp & Watts-Roy, 1999; Angermeyer & Zaumseil,
1997; Richter, 1997; Rose, 1996; Zaumseil & Leferink, 1994; zit. n. Jungbauer, 2005, S. 33).
Ausblick 3.4
Dadurch, dass die erkrankungsspezifischen Beziehungsstrukturen [Hervorhebung im Original] in
vielen Untersuchungen vernachlässigt wurden, ist eine differenzierte Einschätzung der Situati-
on von Angehörigen nicht ausreichend möglich. Da z. B. bei schizophrenen Patienten die
Herkunftsfamilie möglicherweise meist als wichtigster sozialer Bezugspunkt gilt, wurden in
dieser Erkrankungsgruppe meist die Eltern als Angehörige befragt, nur selten waren es Ehe-
partner. Im Unterschied dazu hat die Partnerschaft bei depressiven Patienten eine höhere Be-
deutung, wodurch mehrheitlich die Ehe- oder Lebenspartner als Angehörige befragt wurden
(Benazon & Coyne, 2000; Coyne et al., 1987; Johnson & Jacob, 1997; zit. n. Jungbauer, 2005,
S.34).
11
Diese Gegenüberstellung von Eltern schizophrener Patienten und Ehepartner depressiver
Patienten zeigt die aktuelle Problematik in der Angehörigenforschung deutlich auf. Die Frage
nach möglichen Unterschieden im Belastungserleben innerhalb einer diagnosespezifischen
Gruppe bleibt somit unbeantwortet (2005, Jungbauer, S. 34).
Auch Wilms, Bull, Wittmund und Angermeyer (2005) sprechen diese Problematik an und wei-
sen darauf hin, dass in Untersuchungen bezogen auf die Belastungen von Angehörigen bislang
meist Eltern von schizophrenen Patienten befragt wurden. Der Zugangsweg zu den Stu-
dienteilnehmern wurde zudem meist über Angehörigenverbände erschlossen, so dass oft nur
Aussagen sehr engagierter Eltern als Forschungsergebnisse gewonnen werden konnten (S. 10).
Auch aus Befunden der Giessener Angehörigenstudie (GISA) ist zu entnehmen, dass den ver-
schiedenen Dimensionen der Belastung, womit Angehörige von psychisch Kranken konfron-
tiert sind, bisher zu wenig Beachtung geschenkt wurde:
Die Ergebnisse verdeutlichen auch die Notwendigkeit weiterer, noch gezielterer For-
schung. Darüber hinaus zeichnet sich ab, dass es offenbar „Risikogruppen“ von Ange-
hörigen bzw. Familien gibt ... Hier liegt ein Hinweis auf die Notwendigkeit noch diffe-
renzierterer, spezieller Unterstützungsangebote (2004; zit. n. Seifert, S. 166).
Anhand der bisher gewonnenen Forschungsergebnisse können noch keine aussagekräftigen
Schlüsse gezogen werden. Daher besteht ein Anspruch, bei Forschungsarbeiten in Zukunft
noch mehr Wert auf die Differenzierung von erkrankungs- und beziehungsspezifischen Belas-
tungssituationen zu legen (2005, Jungbauer, S. 34).
4 Gesundheitspsychologische Perspektive
Begriffserklärung „Gesundheit“ 4.1
Schon im Jahre 1946 wurde der Begriff „Gesundheit“ durch die WHO als Zustand völligen
körperlichen, psychischen sowie sozialen Wohlbefindens definiert. Die dabei implizierte stati-
sche Vorstellung von Gesundheit und damit verbundene Dichotomie gegenüber der Krank-
heit wurden später jedoch kritisiert. Bründel (2004) weist darauf hin, dass nach heutiger Auf-
fassung niemand vollständig krank oder gesund ist. In jedem Menschen sind gesund erhalten-
de als auch krank machende Anteile vorhanden. Ständig belastende interne und externe Ein-
flüsse sind Teil des menschlichen Lebens, welche mehr oder weniger gut bewältigt werden.
12
Die Abwesenheit von Krankheit oder Störungen bedeutet nicht direkt Gesundheit. Der
Mensch kann demnach auch gesund sein und sich krank fühlen oder sich gesund fühlen und
krank sein (S. 135).
Definition 4.1.1
Das für die Gesundheitswissenschaften heute aktuelle Verständnis von Gesundheit basiert auf
zwei grundlegenden Leitgedanken (Rüesch & Manzoni, 2003, S. 8):
• Gesundheit ist mehr als die Abwesenheit von Krankheit.
• Gesundheit/Krankheit ist als Kontinuum zu verstehen.
Damit eine genauere Charakterisierung dieser Dimension möglich ist, lassen sich ausgehend
vom Monitoring über psychische Gesundheit in der Schweiz, verschiedene Faktoren auf Sei-
ten beider Pole zusammenfassen (Rüesch & Manzoni, 2003, S. 9):
Voraussetzungen psychischer Gesundheit sind
- persönliches Wohlbefinden, Selbstbewusstsein, Lebenszufriedenheit und Beziehungs-
fähigkeit,
- die Fähigkeit , den Alltag zu bewältigen und einer Arbeit nachgehen zu können,
- zu gesellschaftlicher Partizipation in der Lage zu sein.
Voraussetzungen psychischer Krankheit sind
- klinisch erkennbare psychische Störungen oder Verhaltensauffälligkeiten,
- Alkohol- und Drogenmissbrauch sowie schwere Störungen des zentralen Nervensy-
stems (insbesondere Demenz).
Psychische Gesundheit weltweit 4.1.2
Die Häufigkeit psychischer Krankheiten hat nicht nur in der Schweiz zugenommen. Der neue
Weltgesundheitsbericht der WHO zeigt auf, dass weltweit bei 25% der Bevölkerung von einer
hohen Wahrscheinlichkeit auszugehen ist, im Laufe des Lebens eine schwere psychische Stö-
rung zu erleiden, während weitere 10% zu einem gewissen Zeitpunkt durch eine psychische
Erkrankung beeinträchtigt sind. Meist wenden sich die Leute mit ihren Beschwerden zuerst an
ihren Hausarzt, wobei psychische Erkrankungen jedoch oft nicht erkannt werden. Somit geht
die WHO davon aus, dass rund ein Drittel der Patienten, die eine Allgemeinpraxis aufsuchen,
13
an einer oder mehrerer behandlungsbedürftigen psychischen Störungen leiden, wobei es nur
bei 24% der untersuchten Patienten und Patientinnen zu einer Diagnose kommt (Üstün &
Sartorius, 1995; zit. n. Rüesch & Manzoni, 2003, S. 8).
Psychische Störungen sind gegenüber körperlichen Krankheiten auf keinen Fall zu vernachläs-
sigen und führen sowohl zu eindeutigen einschränkenden Konsequenzen für die betroffene
Person als auch zu ökonomischen Folgen für die Gesellschaft (Murray & Lopez, 1996; zit. n.
Rüesch & Manzoni, 2003, S. 8). Psychische Störungen (inkl. Suizid) stehen in Bezug auf Be-
einträchtigung und Behinderung der Lebensqualität, nach Herzkreislaufstörungen an zweiter
Stelle. Würden auch die Folgen von Drogen- und Alkoholmissbrauch berücksichtigt, so wären
psychische Störungen eindeutig an erster Stelle zu finden (Rüesch & Manzoni, 2003, S. 8).
Gesundheitspsychologisches Verständnis 4.1.3
Noch vor einigen Jahren verstand man unter gesundheitsrelevantem Verhalten die Verhinde-
rung und Abwehr von Krankheit. Erst Antonovskys (1979, 1997; zit. n. Rüesch & Manzoni,
2003, S. 8) Modell der Salutogenese befasste sich auch mit den die Gesundheit fördernden
Faktoren. Sein Gedanke über ein Kontinuum von Gesundheit und Krankheit prägte die Ge-
sundheitswissenschaften entscheidend. Das heutige Verständnis umfasst eher die Einbettung
in eine umgreifende Lebensweise, die soziokulturell geformt ist und über Lernen, Gewohn-
heitsbildung und Prozesse sozialen Vergleichs von frühester Kindheit an erworben wird.
Im Unterschied zu einer pathogenetischen Orientierung und der Frage, was den Menschen
krank macht, sucht die salutogenetische Perspektive nach protektiven Faktoren, Ressourcen
und Potenzialen des Menschen. Dabei werden Krankheit und Gesundheit nicht als dichotom
unterscheidbare Zustände definiert, sondern bilden ein Kontinuum. Der Mensch bewegt sich
stets zwischen diesen beiden Polen, wobei Krankheit und Tod als notwendige Bestandteile des
Lebens betrachtet werden. Es gibt keinen wirklichen Fixpunkt, an dem er längere Zeit ver-
harrt, sondern er ist ständig in Bewegung, d.h. die Gesundheit muss fortwährend und immer
wieder neu hergestellt werden. Durch psychosoziale, physische und biochemische Stressoren
befindet er sich ständig in einem Ungleichgewicht, d. h. er ist immer bestrebt, Störungen zu
bewältigen und das Gleichgewicht wieder herzustellen. Daraus geht hervor, dass Anstrengung
und Erholung sich abwechseln, und dass die psychische Gesundheit aus Eigenaktivität be-
steht, mit dem Ziel eine Balance zu erreichen. Schon Menninger (1968; zit. n. Bründel, 2004)
erkannte diese Doppelnatur von Stressoren: Als Krankheitsquelle, aber auch als Anlass zur
Weiterentwicklung (S. 136).
14
Stressbewältigung und Gesundheit 4.1.4
Für das Auftreten einer Krankheit kann das kritische Lebensereignis allein nie als unmittelbar
und ursächlich verantwortlich gemacht werden. In der Forschung finden sich einzelne Zu-
sammenhänge zwischen stressreichen Ereignissen und der Inzidenz von Krankheiten, eine
Aussage über die Ursache der Erkrankung lassen deren Korrelationen jedoch nicht zu (Dou-
gall & Baum, 2001; zit. n. Schwarzer, 2004, S. 169). Der subjektiv aufgefasste Stress betrifft die
kognitive Einschätzung, während der Bewältigungsprozess das Abbild dieser oft langen und
schmerzhaften Phasen der Auseinandersetzung mit sich selbst darstellt. Damit gemeint ist der
Weg von der Lebenskrise zur Krankheit bzw. zur Gesundheit. Der Stressbewältigungsprozess
steht dabei im Vordergrund und ist als primär entscheidender Faktor zu betrachten, nicht das
kritische Ereignis. Ist ein Mensch über längere Zeit nicht in der Lage, den Stress des kritischen
Ereignisses zu kontrollieren, so nimmt der gesamte Organismus Schaden (Schwarzer, 2004,
S. 169).
Protektive Faktoren 4.2
Dennoch bleibt die Frage offen, weshalb Stress und die damit verbundene Bewältigung bei
einigen Menschen zur Krankheit führt und bei anderen nicht? Die Gesundheitspsychologie
sucht zunehmend nach den protektiven [Hervorhebung im Original] Faktoren (vgl. Becker,
1990; zit. n. Schwarzer, 2004, S. 170), die zu einer Erleichterung im Bewältigungsprozess und
einer Stressreduktion entscheidend beitragen können. Dabei handelt es sich um Persönlich-
keitseigenschaften oder um soziale Unterstützung.
Kompetenzerwartung 4.2.1
Als wichtige persönliche Ressource in der Bewältigung von kritischen Ereignissen gilt die
Kompetenzerwartung [Hervorhebung im Original] (Bandura, 1997; zit. n. Schwarzer, 2004, S.
171):
...die Erwartung, eine spezifische Bewältigungshandlung auch tatsächlich selbst ausfüh-
ren zu können.
In zwei unabhängigen Studien konnten bei Patienten aus dem somatischen Diagnosebereich
(Erkrankungen der Atemwege, koronare Herzkrankheiten), deutliche Verbesserungen in der
Bewältigung der Lebenssituation aufgezeigt werden, sofern eine hohe Kompetenzerwartung
vorlag.
15
Optimismus 4.2.2
Als weiteren protektiven Faktor beschreiben Scheier und Carver (1992; zit. n. Schwarzer,
2004, S. 171) den Optimismus [Hervorhebung im Original]:
...die generalisierte Ergebniserwartung, die die subjektive Annahme widerspiegelt, es
werde schon alles gut ausgehen.
Dieser Effekt konnte in diversen Studien erhoben werden. Bei Männern, die sich aufgrund
von Herzerkrankungen einer Bypass-Operation unterzogen, erholten sich die Optimisten
schneller und waren insgesamt zufriedener. Im Vergleich zu den Pessimisten berichteten sie
noch fünf Jahre später von einer höheren Lebensqualität. Die Patientengruppen zeigten unter-
schiedliche Coping-Verhalten. Auffallend dabei war, dass sich die Optimisten schon vor der
Operation zielorientierte Gedanken machten und sich mit der bevorstehenden Situation aus-
einandersetzten, während sich die Pessimisten mehr mit ihren Emotionen in der gegenwärti-
gen Situation beschäftigten. Letztere unterdrückten oder ignorierten nach der Operation ihre
Symptome, während die Optimisten ihre Ärzte um Information und Empfehlungen für das
zukünftige Leben baten.
Hardiness 4.2.3
Die drei Dimensionen Engagement, Kontrolle und Herausforderung (commitment, control, chal-
lenge [Hervorhebung im Original]) gelten als Überzeugungen über sich und die Umwelt, und
als den Bewältigungsprozess begünstigend. Sie werden unter dem Begriff Hardiness [Hervor-
hebung im Original] zusammengefasst (Kobasa, 1982; Maddi, 1990; zit. n. Schwarzer, 2004, S.
171):
- Neugierige, engagierte Menschen sind generell aktiv und interessiert am Leben. Sie
sind in der Lage, ihrem eigenen Sein und der Welt einen Bedeutungsgehalt zu verlei-
hen.
- Menschen mit einer hohen Kontrolle sind überzeugt, dass sie, lediglich abhängig von
der aufgebrachten Anstrengung, Einfluss auf das Geschehen nehmen.
- Menschen, die bereit sind Herausforderungen anzunehmen sehen eine Verbesserung
im Leben, wenn sie durch immer neue Lernprozesse persönliches Wachstum erfah-
ren. Sie geben sich nicht mit dem einmal Erreichten zufrieden.
16
Die Messung der drei Dimensionen erfolgt über den Hardiness-Test, einem Fragebogen mit
50 Items. Auch wenn interessante Forschungsergebnisse gezeigt haben, dass Hardiness weni-
ger verletzlich macht und den Stressbewältigungsprozess fördert, ist das Konzept und seine
Messung umstritten (vgl. Maddi, 1990; zit. n. Schwarzer, 2004, S. 171).
Kohärenzsinn 4.2.4
Als zentrales Konzept in Bezug auf protektive Faktoren für Coping ist der Kohärenzsinn nach
Antonovsky zu nennen (1987, 1990; zit. n. Schwarzer 2004, S. 171). Dabei geht es um soge-
nannte „generalisierte Widerstandsressourcen vs. Widerstandsdefizite“. Darin enthalten sind
sowohl Eigenschaften der Persönlichkeit als auch die mit der Person in Verbindung stehenden
Umweltfaktoren. Gemeint sind z. B. Selbstwertgefühl, soziale Unterstützung, Sozialschichtzu-
gehörigkeit oder kulturelle Stabilität, woraus sich eine „kristallisierte und integrierte Weltsicht“
entwickeln kann (Schwarzer, 2004, S. 172). Antonovsky definiert den Kohärenzsinn wie folgt
(1987, S. 19; zit. n. Schwarzer, 2004, S.172):
...eine globale Orientierung, die das Ausmass zum Ausdruck bringt, in dem jemand ein
umfassendes und dauerhaftes, aber auch dynamisches Vertrauen darin besitzt, dass (a)
die inneren und äusseren Umweltreize im Lebenslauf strukturiert, vorhersagbar und
erklärbar sind, (b) dass man über die Ressourcen verfügt, um den Umweltanforderun-
gen zu begegnen, und (c) dass diese Anforderungen Herausforderungen darstellen, für
die sich Anstrengung und Engagement lohnen.
Resilienz 4.2.5
Die Literatur bietet eine Vielzahl an Definitionen von Resilienz. Zu beachten ist, durch welche
Kriterien sich der Begriff abgrenzen lässt. Wustmann (2004, zit. n. Fröhlich-Gildhoff, K.,
Rönnau-Böse, M., 2009, S. 10) formuliert die vorherrschende Begriffsbestimmung im deutsch-
sprachigen Raum zusammenfassend als „die psychische Widerstandsfähigkeit gegenüber bio-
logischen, psychologischen und psychosozialen Entwicklungsrisiken“. Resilienz ist aber keine
stabile Einheit sondern ein variables Konstrukt. Welter-Enderlins (2004) Definition wider-
spiegelt diesen entwicklungspsychologischen Hintergrund:
Unter Resilienz wird die Fähigkeit von Menschen verstanden, Krisen im Lebenszyklus
unter Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen zu meistern und als
Anlass für Entwicklung zu nutzen“ (zit. n. Fröhlich-Gildhoff, K., Rönnau-Böse, M.,
2009, S. 10).
17
Wettig (2009) benennt Resilienz als Schutzfaktor in der kindlichen Entwicklung und als nicht
zu unterschätzende Ressource, die bis ins Erwachsenenalter hineinreicht. Auch er spricht von
der Fähigkeit, sich nach Störungszuständen relativ eigenständig erholen zu können und legt
die grundlegenden Ergebnisse aus der Resilienzforschung dar (S. 130-131):
- Resilienz ist nicht angeboren, sondern wird im Verlauf der Entwicklung erworben.
- Resilienz ist keine ewige Fähigkeit, sondern sie variiert phasenhaft und unter ver-
schiedenen Lebensumständen.
Die Wurzeln der Resilienz liegen einerseits in der Person des Kindes und andererseits in seiner
spezifischen Umgebung.
Soziale Unterstützung 4.3
Soziale Unterstützung wurde lange Zeit nicht mit dem Gesundheitsverhalten in Verbindung
gebracht und man verstand darunter eine Hilfeleistung vom aktiven Helfer zum passiven Op-
fer. Heute weiss man, dass soziale Unterstützung auf der Interaktion zwischen beiden Parteien
beruht. Die heutige Forschung befasst sich zunehmend mit dem Zusammenspiel zwischen
Helfer und Hilfeempfänger und versucht, die Fragestellung nach hilfreichen Aspekten zu be-
antworten. Im Unterschied zu der in der Sozialpsychologie untersuchten, kurzfristigen Inter-
aktionen zwischen Fremden, stehen in der heutigen Forschung über soziale Unterstützung, die
engen und langjährigen Beziehungen im Zentrum (Schwarzer, 2004, S. 176).
Abgrenzung 4.3.1
Der Begriff der sozialen Unterstützung ist von dem der sozialen Integration abzugrenzen.
Soziale Integration meint die Einbettung in ein soziales Netzwerk, wobei soziale Isolation den
entgegengesetzten Pol darstellt. Die Indikatoren der sozialen Integration umfassen sowohl die
quantitativen als auch die strukturellen Aspekte von sozialen Beziehungen. Diese sind u. a. der
Familienstand (ledig vs. verheiratet), die Anzahl Sozialkontakte aber auch Dauer, Dichte und
Homogenität der sozialen Einbettung (vgl. Ziegler, 1987; zit. n. Schwarzer, 2004, S. 177). Das
soziale Netzwerk bedeutet aber nicht per se Profit für den Betroffenen, sondern enthält auch
Konflikt- und Spannungspotential. Schwarzer (2004) sieht darin die wichtige Grundlage sozia-
ler Unterstützung:
Wer niemanden kennt, wird sich alleine durchschlagen müssen und wenige Chancen
auf eine helfende Hand bei der Bewältigung von Lebensstress haben (S. 177).
18
Begriffserklärung „Soziale Unterstützung“ 4.3.2
Kulik und Mahler (1989; zit. n. Schwarzer, 2004, S. 177) beschreiben soziale Unterstützung als
Wechselbeziehung zwischen zwei oder mehr Menschen, bei welcher es um die Veränderung
eines Problemzustands geht, oder darum dem Leidenden Erleichterung im Umgang mit der
belastenden Situation zu verschaffen, sofern objektiv keine Änderung möglich ist. Hierbei
stehen also die qualitativen und funktionalen Aspekte von sozialen Beziehungen im Mittel-
punkt.
Ferner bringt der Begriff soziale Unterstützung deshalb ein Dilemma mit sich, weil er eine
positive Konnotation in sich trägt und eine wohltuende Wirkung impliziert. Aus verschiede-
nen Studien weiss man, dass soziale Unterstützung sowohl positive als auch negative Auswir-
kungen haben kann, wonach der Begriff „ambivalent definiert“ [Hervorhebung im Original]
werden sollte. Es handelt sich um eine besondere Form von sozialer Interaktion (vgl. Cutrona,
1996; Dunkel-Schetter, Blasband, Feinstein & Bennet, 1991; Rook, 1984, 1990; zit. n. Schwar-
zer, 2004, S. 178 – 179).
Forschungsstand 4.3.3
In bisherigen Studien über soziale Unterstützung wurde meist nur die subjektive Wahrneh-
mung des Hilfeempfängers untersucht, nur wenige befassten sich konkret mit dem interaktio-
nellen Geschehen zwischen Helfer und Hilfsbedürftigen. Die Erfassung subjektiv wahrgenom-
mener Unterstützung [Hervorhebung im Original] geschieht mit Hilfe von Fragebogen, wobei
anhand von Überzeugungen, Erwartungen und Bewertungen, Rückschlüsse auf die kognitiven
Prozesse der Befragten gezogen werden können. Einerseits geben die Antworten preis, auf
wen aus ihrem sozialen Netzwerk sich die Befragten verlassen, andererseits inwiefern die Un-
terstützung als wirksam empfunden wird.
Bei dem auf das Unterstützungsverhalten ausgerichtete Forschungsansatz handelt es sich um
die erhaltene Unterstützung [Hervorhebung im Original]. Dabei erfolgt die qualitativ-funktionale
Erhebung der Anzahl und Qualität von ausgeführten, hilfreichen Handlungen. Auch hier
scheint die Bewertung durch subjektive Interpretation sowie Erinnerungen dominiert zu wer-
den. Die retrospektive Sichtweise ermöglicht jedoch auch eine objektive Betrachtung von er-
haltener Unterstützung wobei das tatsächliche Geschehen neutraler bewertet werden kann.
Heute herrscht Konsens über die drei Konzepte von sozialer Unterstützung: Soziale Integrati-
on, wahrgenommene Unterstützung und erhaltene Unterstützung (vgl. Bolger, Zuckerman &
Kessler, 2000; Burleson, 2003; Cohen, Underwood & Gottlieb, 2000; Glynn, Christenfeld &
19
Gerin, 1999; Klauer & Schwarzer, 2001; Schwarzer, Knoll & Rieckmann, in Druck; Tucker,
Schwartz, Clark & Friedmann, 1999; Uchino, Cacioppo & Kiecolt-Glaser, 1996; Wills & Filer
Fegan, 2001; zit. n. Schwarzer, 2004, S. 177).
Erhaltene Unterstützung 4.3.4
In der Forschung befasst man sich aktuell mit der Frage, welche Kognitionen, Emotionen
oder Verhaltensweisen dazu führen, dass sozialer Rückhalt hervorgerufen wird, über die Dau-
er der Notsituation bestehen bleibt oder scheitert. Daher sind sowohl die kognitiven und be-
havioralen Eigenschaften des Helfers, als auch die des Empfängers von grosser Bedeutung.
Die Schwierigkeit in der Messung von sozialer Unterstützung sind die unterschiedlichen Defi-
nitionen, welche sich in den jeweiligen Skalen unzähliger Erhebungsinstrumente widerspie-
geln. Viele dieser Instrumente geben vor, soziale Unterstützung zu ermitteln, werden einem
mehrdimensionalen Konzept davon jedoch meist nicht gerecht (Schwarzer, 2004, S. 178).
Dunkel-Schetter et al. (1991; zit. n. Schwarzer, 2004, S. 179) haben sich mit der Frage ausei-
nandergesetzt, wodurch eine soziale Handlung qualifiziert sein muss, damit sie als Unterstüt-
zung angesehen werden kann. Ihre systematische Betrachtungsweise basiert auf den drei Per-
spektiven von Helfer, Empfänger und Beobachter. Von Missverständnissen und Fehlinterpre-
tationen ist in sozialen Beziehungen auszugehen, daher sind es trotz konkretem Hilfeverhal-
ten, die Kognitionen, welche entscheidend zum Verständnis über die bestimmten Verhaltens-
weisen beitragen. Für den Aussenstehenden gilt es, entweder die eine oder die andere Kogni-
tion zu erschliessen:
Legt der Handelnde seiner Tat eine altruistische Intention zugrunde, so ist dies als ein
„Unterstützungsversuch“ aufzufassen, während eine „wirksame Unterstützungsaktion“
[Hervorhebungen im Original] auf der Wahrnehmung und Interpretation einer positi-
ven Wirkung seitens des Empfängers beruht (Dunkel-Schetter et al., 1991; zit. n.
Schwarzer, 2004, S. 180).
Damit weitere Erkenntnisse über die Funktionalität von sozialer Unterstützung gewonnen
werden können, bedarf es an Untersuchungen, die mehr als eine Perspektive berücksichtigen.
In den letzten Jahren hat sich auch der Fokus von der Analyse einzelner Handlungen zur der
von langjährigen Transaktionen verschoben. Man geht davon aus, dass enge Bindungen nicht
zwingend als Voraussetzung von sozialer Unterstützung gelten, weiss jedoch, dass die meisten
Prozesse von Unterstützung sich in engen Sozialbeziehungen abspielen wie z. B. in der Ehe.
Hier spielen die Mitteilung von Erwartungen, Rückmeldungen und die Wahrnehmung von
20
Gegenseitigkeit, Verbindlichkeit und Abhängigkeit eine zentrale Rolle (vgl. Coyne, Ellard &
Smith, 1990; zit. n. Schwarzer, 2004, S. 180). Forscher glauben auch deshalb, dass soziale Un-
terstützung von der Geschichte einer Beziehung sowie von den bisherigen Erfahrungen ge-
genseitiger Hilfestellung abhängt.
Stressfaktoren 4.3.5
Ausgehend von Lazarus (1990; zit. n. Schwarzer, 2004, S. 181) Ansatz können Ereignisse als
mehr oder weniger stressreich aufgefasst werden und stehen in Abhängigkeit zu den Situati-
onsmerkmalen und den subjektiv wahrgenommenen Ressourcen. Wenn Anforderungen nicht
erfüllt werden können, führt der erlebte Stress zu Hilfsbedürftigkeit und zu erhöhtem Bedarf
an sozialen Ressourcen. Nehmen dies sowohl Helfer als auch Empfänger in gleicher Weise
wahr, so ergibt sich eine günstige Basis hilfreicher sozialer Interaktion (vgl. Hobfoll, 1988,
1989, 1998; zit. n. Schwarzer, 2004, S. 181).
Faktoren des Hilfeempfängers 4.3.6
Dunkel-Schetter und Skokan (1990; Schwarzer, 2004, S. 181) beschreiben drei Variablen, die
sich in empirischen Untersuchungen gezeigt haben:
a) Ein mittlerer Grad an Belastung (Distress) kann dazu führen, dass mehr Hilfe gewährt
wird, während bei zu hoher oder bei zu lange anhaltender Belastung das soziale Netz
selbst in Mitleidenschaft gezogen wird und weniger geneigt ist, zu helfen.
b) Aktives Bemühen und Suche nach sozialer Unterstützung hat sich als guter Prädiktor
für tatsächliche Hilfeleistung erwiesen.
c) Gute persönliche Ressourcen wie Selbstwertgefühl, Kompetenz, Optimismus und
internale Kontrollüberzeugung rufen eine stärkere Hilfsbereitschaft bei anderen her-
vor.
Faktoren des Helfenden 4.3.7
Als ausschlaggebend für eine hilfreiche Handlung des Helfenden wird die Bewertung ver-
schiedener Kognitionen und Emotionen betrachtet. Der Helfende entscheidet sich anhand der
Ursache des Problemzustandes bzw. ob diese als kontrollierbar oder unkontrollierbar wahrge-
nommen wird. Wenn die Ursache vom Helfer als nicht kontrollierbar erlebt wird, besteht eine
höhere Wahrscheinlichkeit, dass er Mitleid entwickelt und zur Hilfe bereit ist. Wird die Ursa-
che als kontrollierbar bewertet, so entsteht auch nach der Theorie von Batson (1990; zit. n.
Schwarzer, 2004, S. 181) eher eine egoistische Motivation, was schliesslich zu Ärger und
21
Rückzug führen kann. Aus experimenteller Forschung gingen weitere Variablen auf der Seite
von Helfenden hervor: die augenblickliche Stimmung, die subjektiven Kosten der Hilfeleis-
tung und die Einschätzung der Unumgänglichkeit der Situation.
Beziehungsfaktoren 4.3.8
Wie bereits beschrieben (vgl. Kap. 4.3.4) ist die Geschichte einer sozialen Beziehung entschei-
dend für die gegenseitige Hilfsbereitschaft. Das Ausmass an Intimität und die Zufriedenheit
über die Beziehung mit einer Person wirken sich auf die Motivation zu sozialem Rückhalt aus
(vgl. Coyne et al., 1990; zit. n. Schwarzer, 2004, S. 181). Entwickelt sich also im Laufe der Zeit
ein für beide Parteien übereinstimmender Massstab von Gegenseitigkeit, und zeichnet sich die
Beziehung durch positive Erfahrungen von Hilfeleistung, Dankbarkeit, Rückmeldung und
Wechselseitigkeit aus, so wird soziale Unterstützung begünstigt.
5 Bewältigung
Krise als Entwicklungschance 5.1
Lange Zeit galten Angehörige von psychisch Kranken im besten Falle als lästige Begleiter-
scheinung der Patienten. Heute weiss man, dass Angehörige sowohl in Bezug auf den Kran-
ken als auch auf sich selbst über eine breite Erfahrungspalette verfügen, die sie zur Bewälti-
gung der Krankheitsproblematik nutzen können. Angehörige verfügen in gewisser Weise auch
über einen Erfahrungsvorsprung gegenüber professionellen Helfern und sind Experten für
ihren Alltag. Seifert (2004) spricht davon, dass Angehörigen trotz ihres Expertenwissen ein
Vergleichsmassstab fehlt, der es ihnen ermöglicht, individuelle Erfahrungen anhand bestimm-
ter Handlungs- und Reaktionsmuster einzuteilen. Angehörigengruppen können bis zu einem
gewissen Grad als Massstab genutzt werden.
Begegnung mit Krankheit 5.2
Sämtliche Bemühungen um die Verbesserung der Apparatemedizin, diagnostischer Kriterien
wie auch um die Erweiterung pharmakologischer und therapeutischer Hilfsmittel, haben nicht
dazu geführt, dass die Psychiatrie als Garantie auf die Heilung psychischer Krankheiten ange-
sehen werden kann. Auch die immensen Bemühungen in der Forschung, anhand neuer Theo-
rien, Vermutungen und Interpretationen Fortschritte zu erzielen, vermochten daran nichts zu
ändern. So gibt es auch heute meist noch keine eindeutigen Erklärungen für die Entstehung
22
und Entwicklung psychischer Krankheiten. Richter (1997) weist deshalb darauf hin, dass
demnach weniger die Entwicklung neuer Krankheitsmodelle und –theorien wichtig scheint,
sondern vielmehr der Umgang, die Auseinandersetzung und die Begegnung mit den spezifi-
schen Anteilen einer Krankheit (S. 82).
Lipowski (1970; zit. nach Richter, 1997, S. 82) legt drei verschiedene Möglichkeiten dar, wie
der Herausforderung einer Krankheit begegnet werden kann:
1. Das Problem in Angriff nehmen
2. Die Vermeidung der Auseinandersetzung
3. Die Kapitulation und das Aufgeben der Problemlösungsversuchen
Die durch Krankheit ausgelöste subjektive Befindlichkeit, wie auch die damit verbundenen
Reaktionsweisen verweisen einerseits auf die persönlichen Verarbeitungsmöglichkeiten und
andererseits auf die der Person verfügbaren Ressourcen.
Das Ressourcenmodell 5.3
Aus der gesundheitspsychologischen Perspektive erhalten die Ressourcen eines Individuums
zentrale Bedeutung, die mit den Ressourcen der Umwelt in Kontakt stehen. Sie tragen ent-
scheidend zum Schutz vor Krankheit bei und haben einen positiven Einfluss auf die körper-
lich-psychische Gesundheit und auf das psychische und soziale Wohlbefinden (Schwenkmez-
ger, Schmidt, 1994; zit. n. Käppeli, 1999, S. 41).
Das Ressourcenmodell stützt sich hauptsächlich auf die Theorie der Lebenswelt, auf die
Netzwerkperspektive und auf das Empowerment-Konzept (Schachter, 1996; zit. n. Käppeli,
1999, S. 42). Auch hier werden die zwei voneinander isolierten Konstrukte soziale Unterstüt-
zung und Persönlichkeitseigenschaften deutlich sichtbar (vgl. Kap. 4.2).
Theorie der Lebenswelt 5.3.1
Als Lebenswelt wird ein Ausschnitt aus der Wirklichkeit verstanden, zu dem der Mensch Zu-
gang hat und sich darin zu Hause fühlt. Treten im Leben Anforderungen auf, die der Mensch
in seiner Situation nicht zu deuten und zu lösen vermag, kann das gesundheitliche Gleichge-
wicht gestört werden. Der Wandel der Werte und Normen, Arbeitslosigkeit, Armut oder Ob-
dachlosigkeit gelten als weitere Faktoren, die zum Krankwerden beitragen können.
23
Netzwerkperspektive 5.3.2
Die Netzwerkperspektive widerspiegelt die Wichtigkeit sozialer Beziehungsmuster in Bezug
auf das psychosoziale Wohlbefinden, das Bewältigungsverhalten in Krisensituationen aber
auch auf die Suche und Inanspruchnahme von Hilfe gegenüber Institutionen. Anhand der
Sicht auf die Lebenswelt und das Netzwerk ist es möglich, den Menschen in seiner sozialen
Existenzweise zu erfassen.
Empowerment 5.3.3
Empowerment meint die Gewinnung von Energie, Phantasie und Stärke, die eine Gestaltung
der eigenen Lebensverhältnisse überhaupt zulässt. Merlau-Ponty (zit. n. Schachter, 1996) sieht
den Menschen in einem Spannungsfeld zwischen „für sich sein“ und „zur Welt sein“ (S. 42)
Ein Mensch wird sich durchaus von seiner sozialen Welt abwenden können, wird aber unwei-
gerlich immer in Bezug zu ihr stehen.
Coping und Gesundheit 5.4
Kronhe beschreibt (1997; zit. nach Schwarzer, 2004, S. 2) Stress als einen potentiell krankma-
chenden Prozess. Stress wird dabei aber weder als kritischer Reiz noch als darauf folgende
Reaktion verstanden, sondern als interaktiven Vorgang, bei dem eine Person angesichts einer
kritischen Situation Einschätzungsprozesse vornimmt und diese mit zu den eigenen Bewälti-
gungsressourcen in Beziehung setzt. Daraus entwickelt die Person emotionale und physiologi-
sche Reaktionen sowie Anstrengungen zur Bewältigung, auch „Coping“ [Hervorhebung v.
Verf.] genannt.
Um die vielseitigen Strategien der Stressbewältigung zu systematisieren, wurden zahlreiche
Versuche unternommen. Die bisherige Dimensionierung impliziert jedoch immer ein stress-
reiches Ereignisses, welches schon stattgefunden hat oder in der Zukunft liegt. Was bisher
fehlte, ist eine auf die von Bewältigungsstrategien positive Seite gerichtete Perspektive. Damit
gemeint sind persönliches Wachstum, das Meistern von Herausforderungen und das Streben
nach Lebenszielen. Als Grund für das bisherige Fehlen oben genannter Dimensionen kann die
Sicht auf das Leben, als insgesamt stressgeprägter Prozess verstanden werden. Danach sieht
sich der Mensch einem permanenten Bewältigungsverhalten ausgesetzt, worin auch Heraus-
forderungen und Chancen enthalten sind. Auf diesem Hintergrund entstand das Konzept des
„proaktiven Coping“ [Hervorhebung im Original] (Aspinwall & Taylor, 1997; Schwarzer,
2000a; zit. n. Schwarzer, 2004, S. 160). Die früheren Dimensionen von Coping wurden unter
24
Berücksichtigung der Zeitachse, sowie einer Möglichkeit zur Einstufung der Gewissheit über
das Stressereignis weiterentwickelt und lassen sich folgendermassen unterscheiden (Schwarzer
& Knoll, 2003; Schwarzer & Taubert, 2002; zit. n. Schwarzer, 2004, S. 161-162).
Reaktives Coping 5.4.1
Hierbei handelt es sich um eine rückwärtsgerichtete Form von Coping. Im Zentrum steht die
Anstrengung im Umgang mit einem bereits vorgefallenen Ereignis, wie z. B. Ehescheidung
oder Versagen im Beruf. Ziele umzudefinieren, nach einem Sinngehalt für die Lebenssituation
zu suchen oder Verlorenes wieder herzustellen, sind Hauptbestandteile des reaktiven Copings.
Antizipatorisches Coping 5.4.2
Im Unterschied zu reaktivem Coping hat das kritische Ereignis hier noch nicht stattgefunden,
wird aber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eintreten (z. B. Prüfung, Zahnarztbesuch). Ge-
lingt es einer Person nicht, das subjektive Risiko der bevorstehenden Bedrohung oder Heraus-
forderung auf ein Minimum zu reduzieren und damit durch aktive Anstrengung zu bewältigen,
kann dies Schaden oder Verlust bedeuten.
Präventives Coping 5.4.3
Dabei geht es um die Vorstellung des Menschen, sich gegen ungewisse Risiken zu wappnen,
die das Leben in Zukunft mit sich bringen könnte. Es ist also nicht klar, ob und wann das
kritische Ereignis überhaupt eintreten wird. Der Abschluss einer Versicherung oder sparen
von Geld sind gute Beispiele für diese vorsorgende Strategie. Die Einschätzung möglicher
Bedrohung dient dem Aufbau ganz allgemeiner Ressourcen und fördert das Gefühl von Si-
cherheit.
Proaktives Coping 5.4.4
Auch das proaktive Coping ist geprägt durch hohe Ungewissheit kritischer Ereignisse und
impliziert eine Langzeitperspektive, wobei es um den Aufbau allgemeiner Widerstandsressour-
cen geht. Der positive Charakter der kognitiven Einschätzung entscheidet hier darüber, wel-
che Lebensziele sich ein Mensch als Herausforderung setzt. Demnach ist der Mensch in die-
sem Verständnis nicht als reaktiv Handelnder, sondern viel mehr als proaktives, zielorientier-
tes Wesen zu verstehen, welches sich nach einem konstruktiven Lebensplan orientiert und
dabei ständig nach Gelegenheit für Wachstum und Erfolg sucht. Proaktives Coping meint die
Motivation zu stetiger Verbesserung und Optimierung der Lebensbedingungen sowie zur Er-
höhung der Qualität der eigenen Leistungen. Dieses selbstregulative Zielmanagement umfasst
25
das Setzten von hohen Zielen, die Bereitschaft, Herausforderungen anzunehmen und die
selbstgesetzten Ziele ausdauernd zu verfolgen. Begünstigende Faktoren in diesem Zusam-
menhang sind die Selbstwirksamkeit, beziehungsweise eine optimistische Überzeugung, die
gesetzten Ziele als Herausforderung anzunehmen und diese auch trotz möglicher Widerstände
zu verfolgen.
Die differenzierte Betrachtung der genannten Coping-Ansätze ist für die Forschung vorteil-
haft, da sie neben der Analyse negativer Lebensverläufe auch die Untersuchung positiver Le-
bensbewältigung zulässt. Zwar haben Konstrukte, wie Eustress und positive Herausforderun-
gen schon seit einiger Zeit den Weg in die Stresstheorien gefunden, der Anspruch, diese Fak-
toren auch im Bereich des Coping zu untersuchen, konnte bisher aber noch nicht ausreichend
erfüllt werden (Schwarzer, 2004, S. 162).
II EMPIRISCHER TEIL
Damit eine Beantwortung der Fragestellung möglich ist, wird der theoretische Teil der Arbeit
durch den empirischen Teil ergänzt. Die Validierung der Theorie erfolgt anhand der Auswer-
tung von Interviews, welche mit Angehörigen von psychisch kranken Menschen durchgeführt
wurden. Unabhängig von der Störung der jeweiligen Indexpatienten, soll die Arbeit einen
Einblick in das individuelle Belastungserleben von Angehörigen und die damit verbundenen
Bewältigungsmuster schaffen.
Wilms, Bull, Wittmund und Angermeyer (2005) weisen darauf hin, dass gewisse Studien über
Angehörige psychisch erkrankter Patienten existieren, dabei aber vermehrt die Aspekte der
auslösenden Ursachen oder die die Krankheit aufrechterhaltenden Faktoren im Zentrum ste-
hen. Forschungsergebnisse über die Rollen, die Angehörige und besonders Partner im Verlauf
des Erkrankungs- bzw. Genesungsprozess im Allgemeinen und in der Rehabilitation im Be-
sonderen einnehmen, existieren nur spärlich in Form von unzureichenden und vor allem un-
systematischen Befunden.
6 Methodisches Vorgehen
Forschungsdesign 6.1
Das Forschungsdesign der empirischen Untersuchung setzt sich aus mehreren Einzelfallanaly-
sen zusammen. Der qualitative Forschungsansatz verfolgt die Idee, dass die soziale Wirklich-
26
keit kommunikativ bedingt ist und ein ständiger Austausch zwischen qualitativ erhobenen
Daten und theoretischem Vorverständnis vollzogen werden muss. Flick (1999, zit. n. Mayer,
2009) nannte den raschen sozialen Wandel und die resultierende Diversifikation von Lebens-
welten als Hauptgründe dafür, dass die klassischen deduktiven Methodologien für die heutige
Forschung nicht mehr ausreichen und an der Differenziertheit der Gegenstände vorbeizielen.
Er sieht Forschung in stärkerem Masse auf induktive Vorgehensweisen verwiesen und spricht
von der Notwendigkeit sensibilisierender Konzepte, damit eine Annäherung an zu untersu-
chende Zusammenhänge möglich wird. Dabei fliesst – entgegen einem verbreiteten Missver-
ständnis – durchaus theoretisches Vorwissen ein (S. 23).
Datenerhebung 6.2
Die Erhebung der Daten erfolgte anhand von fünf problemzentrierten Interviews nach May-
ring (2002, S. 67). Dabei diente der Interviewleitfaden dem Autor dazu, die Teilnehmerinnen
und Teilnehmer an bestimmte Fragestellungen heranzuführen. Diese konnten jedoch ohne
Antwortvorgaben frei und offen antworten, was erheblich zu einer vielfältigen Datensamm-
lung beiträgt. Die Wahl der Erhebungsmethode ist dadurch begründet, dass problemzentrierte
Interviews für den Erhalt der gewünschten Daten als geeignet gelten. Die Entwicklung des
Interviewleitfadens erfolgte anhand der im Theorieteil behandelten Literatur und wurde in
einem Probeinterview geprüft. Da sich gewisse Fragen als nicht geeignet erwiesen und um-
formuliert werden mussten, wurde der Leitfaden danach leicht abgeändert. Dies hatte keinen
Einfluss auf die zu erhebenden Inhalte, wonach die Ergebnisse des ersten Interviews als für
die Auswertung geeignet betrachtet werden konnten.
Stichprobe 6.3
Die in diesem Forschungsdesign vorliegende Stichprobe setzt sich aus einer Gruppe von
Menschen zusammen, die in der engen Betreuung und Begleitung von psychisch erkrankten
Patienten aus ihrem privaten Umfeld involviert sind. Über die Fachstelle für Angehörige, der
Psychiatrischen Dienste des Kantons Aargaus, PDAG, wurde die Erreichbarkeit der Inter-
viewpartner ermöglicht. Angermeyer, Liebelt und Matschinger (2000, zit. nach Wilms, Bull,
Wittmund und Angermeyer, S. 10) weisen darauf hin, dass in bestehenden Studien über die
Belastung von Angehörigen psychisch Kranker, der Zugangsweg in den meisten Fällen über
die Angehörigenverbände gewählt wurde. Somit ist davon auszugehen, dass dabei meist nur
die besonders engagierten und gut organisierten Angehörigen zu ihrer Situation befragt wur-
den. Forschungsergebnisse zu Belastungen von Angehörigen psychisch kranker Menschen, die
27
in der Regel den Weg zu öffentlichen Angehörigenstellen noch nicht gefunden haben, fehlen
bislang weitgehend (Wilms, Bull, Wittmund und Angermeyer, 2005, S. 10).
Die Stichprobe umfasst fünf Personen, davon vier Frauen und einen Mann. Die Teilnehmer
sind über einen Altersbereich von 19 bis 73 Jahre verteilt und in der Schweiz wohnhaft (siehe
Tab. 1). Die Rekrutierung erfolgte in einem ersten Schritt über die Leitung der kantonalen
Fachstelle für Angehörige, der psychiatrischen Dienste des Kantons Aargau. Dabei wurden
Angehörige von psychisch Kranken, welche die Fachstelle aufgesucht haben, über die Bereit-
schaft zur Teilnahme an der qualitativen Studie befragt. In einem weiteren Schritt wurden die
Teilnehmer durch den Autor über das weitere Vorgehen und den Hintergrund der vorliegen-
den Arbeit in Kenntnis gesetzt, und um Unterzeichnung der Einverständniserklärung gebeten.
Von den sechs potentiellen Teilnehmerinnen und Teilnehmer, entschied sich eine Person aus
persönlichen Gründen dazu, auf eine Teilnahme zu verzichten.
Tab. 1: Beschreibung der Stichprobe
Datenauswertung 6.4
Die Interviews wurden - das Einverständnis des Befragten vorausgesetzt – auf Tonband auf-
gezeichnet und im Anschluss transkribiert (Mayring, 2002, S. 89). Mit einer Ausnahme, auf-
grund des Migrationshintergrundes, wurden sämtliche Interviews in Mundart durchgeführt.
Somit konnten vier von fünf Interviews nicht wörtlich, aber wortgetreu und sinngemäss in die
deutsche Schriftsprache übertragen werden. Um die Anonymität der Befragten zu gewährleis-
ten, wurden sämtliche Aufnahmen nach Fertigstellung der Transkripte gelöscht. Die Tran-
skripte können beim Autor dieser Arbeit eingesehen werden.
Anhand der strukturierten, qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2002, S. 114-121) erfolg-
te in einem weiteren Schritt die Darstellung und Auswertung der erhobenen Daten. Diese
Methode zeichnet sich dadurch aus, dass Inhalte aus verschiedenen Themenbereichen, und
damit verbundene weitere Aspekte, aus der Gesamtheit der Datenmenge zusammengefasst
werden. In einem weiteren Schritt folgte die Bildung und Definition der spezifischen Katego-
rien. Daraufhin wurden die Transkripte auf Textstellen hin analysiert, welche jeweils zu einer
Interview A B C D E Geschlecht w m w w w Alter 50 73 49 73 19 Befragte/r ist Schwester Ehemann Mutter Grossmutter Tochter Vorliegende Diagnose
Schizophrenie, F20
Depression, F32.X
schizoaff. Störung, F25.0
Borderline PS, F60.31
paranoide Schizophrenie, F20.0
28
der erwähnten Kategorien zugeordnet werden konnten. Jede Kategorie wird durch mehrere
Ankerbeispiele untermauert.
Das Kategoriensystem basiert auf einer deduktiven Arbeitsweise und wurde induktiv überar-
beitet. Es umfasst fünf Hauptkategorien, welche in insgesamt 25 Unterkategorien gegliedert
sind:
Kategorie 1: Krankheitsentwicklung und Erleben 1.1 Familiengeschichte 1.2 Prodromalphase 1.3 Konfrontation mit Krankheit 1.4 Selbststigmatisierung 1.5 Fremdstigmatisierung 1.6 Emotionen Kategorie 2: Weg zu professioneller Unterstützung 2.1 Grenzen der Belastbarkeit 2.2 Kenntnisse über verfügbare Angehörigenangebote 2.3 Erfahrungen mit kantonaler Fachstelle für Angehörige 2.4 Angehörigengruppen 2.5 Psychotherapeutische Unterstützung 2.6 Psychoedukative Selbsthilfe Kategorie 3: Protektive Faktoren 3.1 Soziale Ressourcen familial 3.2 Soziale Ressourcen non-familial 3.3 Aktivität 3.4 Optimismus 3.5 Glaube und Religion Kategorie 4: Von der Schuld zur Abgrenzung 4.1 Schuld 4.2 Selbstschutz 4.3 Abgrenzung 4.4 Offenheit 4.5 Persönliche Reifung Kategorie 5: Anspruch von Angehörigen 5.1 Erfahrungen im Kontakt mit Institutionen 5.2 Angehörige und ihre Wünsche 5.3 Verbesserung der Zusammenarbeit
29
7 Darstellung der Ergebnisse
Krankheitsentwicklung und Erleben 7.1
Familiengeschichte 7.1.1
Drei der fünf Probanden geben an, dass in ihrem Familiensystem schon vor dem Ausbruch
der Krankheit, Anzeichen von psychischer Krankheit erkennbar waren, und dass sie dadurch
bereits vor ihrem Engagement als pflegende Angehörige mit psychischen Krankheiten kon-
frontiert waren. Auffallend ist die durch fehlende diagnostische Leitlinien bestehende Unsi-
cherheit früherer Generationen und die damals noch stärker vorhandene Tabuisierung psychi-
scher Auffälligkeiten in der Gesellschaft.
A: Also ich denke, es gab auch in meiner verwandten Familie solche Sachen aber das durfte man nicht
wissen, wenn jemand nicht der Norm entsprochen hat...
C: Meine Mutter wäre mit dem Wissen von heute glaub „bipolar II“ gewesen. Von daher war ich also
auch geprägt. ...heute sagt man, dass sie depressive Verstimmungen gehabt hat. Manische Anteile gab
es bei ihr nicht, nur der depressive Teil. Und ich weiss, dass in dieser Linie, also mütterlicherseits, also
meine Urgrossmutter, da muss auch irgendetwas gewesen sein, wie erzählt wurde.
D: Ich kenne das von meinem Vater, mein Vater war so. Wissen Sie, dieses Verhalten ist mir über-
haupt nicht fremd ... Auch zwei meiner Geschwister, zwei Schwestern haben das gemacht. Und so war
unser Familienleben eigentlich immer durch diese bestimmt gewesen. ... Ich bin völlig überzeugt, das ist
eine familiäre Geschichte.
Prodromalphase 7.1.2
Vier der fünf befragten Personen geben an, dass die Krankheitssymptomatik schon vor dem
Ausbruch der Krankheit, deutlich zu erkennen war. Zwei der Personen sprechen von plötzlich
auftretender Gleichgültigkeit ihrer Angehörigen. Bei den restlichen zwei Personen steht einer-
seits Rückzug aus dem sozialen Umfeld und andererseits eine latente Wahnstimmung im Vor-
dergrund. Die störungsspezifischen Unterschiede zwischen internalisierender und externalisie-
render Symptomatik bei Depression und Schizophrenie zeigen sich nicht eindeutig. Die eher
schleichende Entwicklung bei Depression hat sich laut einer Aussage auch bei einem schizoaf-
fektiven Störungsbild gezeigt.
A: Wir mussten sie einliefern mit Polizei, das hat sich so nicht abgezeichnet. Das kam für uns wie von
einem Tag auf den anderen, ich wohne ja seit 20 Jahren auch nicht mehr zu Hause.
30
B: Von diesem Zeitpunkt an habe ich realisiert, dass sie depressiver geworden ist und möglicherweise
eine Depression hat. ... Sie hat weniger gesprochen. Auch mit Freunden hat sie weniger und weniger
Kontakt gehabt oder war weniger freundlich.
C: Ich hatte immer ein ungutes Gefühl ... mit 20 dann war das schon regelmässiger, da habe ich be-
merkt, dass er sich verändert mit dem Cannabiskonsum. ... Dann Anfangs 20 begann man zu mer-
ken, dass ihm vieles einfach gleichgültig wurde.
E: ...aber dass sie dann plötzlich völlig abwesend war. Also sie hat plötzlich vor sich hingemurmelt und
so Geräusche gemacht. Und das hat man am Anfang einfach nicht verstanden...
Konfrontation mit Krankheit 7.1.3
Die erste Phase im Umgang mit der Krankheit beschreiben alle Probanden als schwierig, da
die neue Situation eine starke Veränderung in ihrem Alltag bedeutete. Themen in dieser Phase
sind Rat- und Hilflosigkeit durch die, die eigenen Vorstellungen überwältigende Situation.
B: ...langsam ist das anders geworden. Realisiert haben das die anderen Leute. Die Nachbarn, die
Freunde und sehr wahrscheinlich der Hausarzt. Da haben wir realisiert, dass es Zeit ist, auch einen
Psychiater zu kontaktieren.
C: Ich habe gedacht, was ist auch mit meinem Sohn los, diese Aggressivität, das Übertriebene, das
kennen wir so nicht ... Unser Sohn sei krank. Wir haben damals auch gar nicht gewusst was das ist.
D: ...ich weiss nie wenn sie Theater macht. Und wann muss man es der Krankheit zuschreiben?
E: Und das war für uns natürlich ziemlich schwierig, weil wir nicht wussten wie damit umgehen. Also
plötzlich so von einem auf den anderen Tag hat das geändert...
Selbststigmatisierung 7.1.4
Zwei der fünf Probanden geben explizit an, dass sie in Bezug auf die Krankheit ihres Angehö-
rigen ein Schamgefühl entwickelt haben, was den Umgang in der Öffentlichkeit erschwert
habe. Eine Person spricht die Schwierigkeit an, durch psychische Krankheit nicht mehr der
gesellschaftlichen Norm zu entsprechen.
A: Es ist natürlich immer noch so etwas, also wenn man in der Gesellschaft nicht der Norm entspricht,
dann ist das etwas Schwieriges.
B: ...wir haben bei uns in Indien eine falsche Art von Höflichkeit. ...dass man ein Auge schliesst und
nichts sagt. Und das habe ich vielleicht zu lange gemacht ohne richtig zu reagieren.
31
D: Ich schäme mich, dass ich den Leuten sagen muss, dass meine Söhne mich ausgeschlossen haben. ... Ich
traue mich nicht, was soll ich dann sagen? ... Nein, das erzähle ich niemandem, das muss ich praktisch
alleine mit mir abmachen.
E: ...also man hat sich schon auch irgendwie geschämt für die Mutter, aber das hat man sich wie nicht
nehmen lassen, dass Kollegen nach Hause kommen konnten.
Fremdstigmatisierung 7.1.5
Die Stigmatisierung in der Öffentlichkeit wurde unterschiedlich wahrgenommen. Während
zwei der befragten Personen von positiven Erfahrungen und Verständnis in der Gesellschaft
sprechen, fühlen sich die anderen zwei Personen durch ihre soziale Welt ausserhalb des Fami-
liensystems stigmatisiert.
A: Ja, ich finde mittlerweile hat sich das schon auch ein wenig verändert. Also die Welt ist ein wenig
sensibilisierter geworden und man hat doch auch vermehrt ein Gehör bekommen für solche Sachen.
B: ...mit der Zeit haben Freunde und Bekannte weniger und weniger mit uns gesprochen.
C: ...nein, man hat schon Verständnis dafür aufgebracht und ich habe mich nicht ausgegrenzt gefühlt,
nein. Es hat niemand gelacht und man merkt dann einfach irgendwie, dass es viele Leute gibt, die ir-
gendjemanden kennen, oder jemanden in der Familie haben, das gibt es viel.
D: ...solche Sachen können sie im Bekanntenkreis, also ich sage nicht Freunde, das können sie im Be-
kanntenkreis nicht erzählen ... Die sagen dann mit der stimmt doch etwas nicht...
E: Doch, also es war einfach so, sonst die Nachbarschaft. Das war halt so Klatsch und Tratsch, wenn
etwas zu reden ist, dann wird geredet. ...es wurde immer gesagt, ja diese armen Kinder und so, aber es
ist dann niemand auf uns zugekommen und hat was gemacht, da wahrscheinlich die Angst zu gross
war, weil man nicht recht wusste, was da eigentlich geht...
Emotionen 7.1.6
Mehrheitlich berichten die befragten Studienteilnehmer von negativen Emotionen und
Schwierigkeiten sich emotional abzugrenzen. Eine Person spricht von Angst und Verzweif-
lung, drei weitere berichten von Trauer oder Mitleid. Eine Person gibt an, sie könne sich nach
einiger Zeit nun auch wieder über kleine Fortschritte freuen.
A: Ich bin sie ab und zu besuchen gegangen, aber es hat mich total deprimiert. ...und es war so ein hin-
und hergerissen sein zwischen traurig sein und mich abgrenzen können
32
C: Also ich musste also schon auch weinen und habe schlecht geschlafen. ...einfach auch jedes gute Ge-
spräch oder jede Mini-Sequenz, die zwischen uns ruhig abläuft, da freu ich mich darüber.
D: Aber diese Verzweiflung, diese Angst der Angehörigen, das ist wirklich einfach schrecklich. ... Die
können nichts mehr geniessen, das ist einfach nur noch traurig.
Weg zu professioneller Unterstützung 7.2
Grenzen der Belastbarkeit 7.2.1
Alle fünf Probanden sprechen davon, dass sie in der Begleitung der angehörigen Person, einen
Punkt der Verzweiflung und Überbelastung im Umgang mit der Belastungssituation erreicht
haben. Drei der fünf Probanden geben an, dass sie erst nach professioneller Hilfe gesucht
haben, als diese Grenze der Belastbarkeit erreicht war.
A: Ich habe dann gemerkt, jetzt geht es einfach nicht mehr. Jetzt muss ich wirklich etwas machen und
Hilfe holen. ...im Moment ist es wieder wie eine Zeitbombe ... Man weiss nicht, was einen erwartet.
B: ...man fühlt das, und wenn man da nichts machen kann, nichts helfen kann, dann belastet das noch
mehr.
C: Und ich habe gewusst, so kann ich ihn nicht mehr zu Hause haben monatelang. Ich habe gewusst,
ich schaff das nicht mehr.
D: Nein, völlig hilflos bin ich dagestanden ... Ich bin völlig verzweifelt gewesen. ... Ich muss jemanden
haben, der mir sagt, wie ich mich verhalten muss um diese Situation zu entspannen.
E: Also die meiste Zeit war man schon verzweifelt, weil nichts lief.
Kenntnisse über Angehörigenangebote 7.2.2
Drei der fünf Personen geben an, dass sie das Angebot einer Fachstelle für Angehörige nicht
gekannt haben und nicht wussten, an wen sie sich mit ihren Anliegen wenden können. Die
zwei anderen Personen geben an, dass sie über weitere Disziplinen aus dem sozialen Berufs-
feld an die Information über Angehörigenangebote gelangt sind.
A: ...ich habe das damals nicht gekannt, hat man ja irgendwie wirklich, also per Zufall, per Zufall ei-
ne solche Sache gesehen, dass da irgend so Vorträge sind... Wir haben auch nicht gewusst, was alles
möglich ist. ...nein, ich habe nicht gewusst, an wen man sich wenden kann.
33
B: Ich habe das durch den sozialen Dienst erfahren. ... Und auch darauf habe ich keine Wichtigkeit
gegeben. Alles kam gut durch eine Tennisfreundin. Sie hat mir gesagt "warum gehst du nicht und redest
über diese Sachen, mach das doch!"
C: Ja, über die Tagesklinik dann schon. Die haben mir schon ein paar Tipps gegeben und da steht
auch ein wenig mehr drin, wo man hin kann und so. Da bin ich dann schon bald mal in die Angehöri-
gengruppe gegangen...
D: ...das System der PDAG, das habe ich nicht gekannt. Und dann habe ich mich zu informieren an-
gefangen... ...und dann habe ich gesehen, dass es diese Stelle gibt für Angehörige.
E: Also ich habe eigentlich auch gar nicht gewusst, dass es so eine Angehörigenstelle gibt. ...da war ein-
fach sonst immer nur die Rede davon, man solle doch zu einem Psychologen gehen...
Erfahrungen mit kantonaler Fachstelle für Angehörige 7.2.3
Vier der fünf Probanden geben an, dass sie das Angebot der Fachstelle für Angehörige sehr
geschätzt und sich in den Gesprächen abgeholt gefühlt haben. Alle vier Probanden fühlten
sich durch den Kontakt mit der Fachstelle für Angehörige in ihrer Situation unterstützt, was
sich auf ihre Belastungssituation entlastend auswirkte.
A: ...und ich aber sehr froh bin, dass ich hier mal Rat einholen konnte und jetzt auch merke, gewisse
Sachen angekurbelt.
B: Ich bin froh, dass ich bei der Fachstelle sprechen kann oder mit dem Hausarzt. Da kann ich sagen
was mich beschäftigt und dann hört mich wieder jemand.
D: Also Frau W hat mir sehr geholfen. Frau W ist einfach, sie kann einen so ausgleichen und kann
einen wieder auf den Boden holen ... Ich habe mich sehr verstanden gefühlt bei ihr ... sie hat mir das
Gefühl gegeben ich hätte das schon im Griff.
E: Für mich hat es das hier schon gebracht, weil es ist einfach ein anderes reden, wenn jemand Aussen-
stehendes mit einem darüber spricht. Also ja, und jemand, der auch ein bisschen Ahnung hat.
Angehörigengruppen 7.2.4
Die Meinungen über Angehörigengruppen sind unterschiedlich. Zwei der befragten Personen
geben an, dass sie das Setting einer Angehörigengruppe als positiv erlebt haben und sich auch
weiterhin damit auseinandersetzen. Die anderen drei Personen berichten von ihrer Unsicher-
heit, vor fremden Leuten über persönliche Anliegen zu sprechen.
34
A: ...und da weiss man, eben man hatte mal was wo man dachte "ou, wir sind nicht alleine" ...das ist
etwas wo ich finde, es ist wahnsinnig wichtig. Dass man weiss, da hat es noch andere ... Es nimmt ei-
nem die Last ein bisschen weg.
B: ...das ist wieder mein Unterbewusstsein, das mir sagt ich brauche das nicht. Ich hätte das probieren
können aber wie sagt man, wenn irgendwer Fremdes mir solche Fragen stellt, dann will ich natürlich
nicht mitmachen.
C: Nein, für mich nicht, aber ich bin auch eine die erzählt. ...ich nehme das an, wie eine andere
Krankheit auch, das ist für mich kein Problem.
D: ...manchmal nimmt man dort so viel Leid mit nach Hause. ... Also ein Grund, dass ich nicht ge-
gangen bin ist, dass ich so wenig gewusst habe von diesen Vorgängen. ... Und ich habe mich zu wenig
kompetent gefühlt da mitzumachen.
E: Da war das Problem, dass ich dann jeweils Training habe... Ich habe mir das wirklich überlegt
aber ich weiss nicht, ob ich schlussendlich auch gegangen wäre, weil irgendwie ja, da ist wahrscheinlich
wieder eine Hemmschwelle, sich dem auszusetzen.
Psychotherapeutische Unterstützung 7.2.5
Vier der fünf Probanden sagen aus, dass sie seit dem Ausbruch der Krankheit schon mindes-
tens einmal eine psychotherapeutische Behandlung in Anspruch genommen haben. Dabei
haben zwei Probanden positive Erfahrungen gemacht, während die anderen zwei von negati-
ven Erfahrungen berichten.
A: ...es hat gewisse verschiedene Orte gegeben, wo ich, also bei einer Psychologin war und einfach Ge-
sprächstherapie gemacht habe und so Familienaufstellung ...das hat mir sehr viel geholfen, also da habe
ich sehr viel profitieren können davon...
B: Ich gehe mit ihr zusammen. Die erste Viertelstunde ist sie alleine, die zweite Viertelstunde bin ich
alleine mit dem Psychiater, und dann die andere halbe Stunde sind wir zusammen. Das ist nun die
letzte Lösung, die wir gefunden haben.
C: ...den habe ich immer wieder gebraucht, also phasenweise bin ich wochenweise gegangen... Und dann
bin ich jeweils gekommen und dann ist es für mich wieder vorwärts gegangen, das hat mir sehr, sehr viel,
also ich habe Hilfe gebraucht, also ohne Hilfe hätte ich das nicht geschafft.
D: ...ich habe ein paar Mal wirklich versucht, psychologische Hilfe zu holen. Und dort habe ich ver-
schiedene Sachen angetroffen. Zwei, drei Mal ist es mir passiert, dass ich am Ende der Stunde beinahe
35
diese Psychologin auf der Schoss hatte. ... Die hat mir so leidgetan, dass ich nach ein, zwei Tagen gesagt
habe, nein, das kann es nicht sein.
E: ...dann habe ich auch das Gefühl gehabt, ich möchte mal zu ihr gehen. Und bin dann auch, also
musste eben zum Hausarzt und wurde vermittelt. Aber das hat dann ein bisschen zu wenig gebracht
und dann war ich nicht mehr so gewillt sonst wo hinzugehen.
Psychoedukative Selbsthilfe 7.2.6
Drei der fünf befragten Personen geben an, dass sich ein Bedürfnis nach Information über die
Krankheit entwickelt hat und sie sich über öffentlich zugängliche Quellen, wie Internet oder
Fachliteratur, informiert haben.
A: ...relativ wenig. Wir haben gefunden, alleine was wir erlebt haben, also ja, wir haben es wirklich
sehr live miterlebt ... Nein, wir haben uns danach nicht gross informiert, also ich.
B: Es gibt das Internet, es gibt Bücher darüber oder - das mache ich weniger oder gar nicht. Aber bei
jedem Gespräch komme ich nun einen Schritt weiter.
C: Ich habe alles verschlungen, ich bin ins Internet, habe mir Infos geholt wo ich nur konnte. ... Für
mich ist das wichtig. Ich war immer ein bisschen extrem, für mich ist das gut. ... Je mehr ich von einer
Sache verstehe, desto besser kann ich damit umgehen.
D: Ich habe im Internet alle möglichen Informationen geholt, habe gelesen und Bücher geholt.
E: Doch, also mich hat das schon immer interessiert. Meine Mutter hat auch Bücher gehabt und auch
die Grossmutter. ... Sonst habe ich halt schon, also auf dem Internet hat man halt mal geschaut und
auf der Fachstelle hat man auch wieder Bücher gekriegt.
Protektive Faktoren 7.3
Soziale Ressourcen familial 7.3.1
Vier der fünf befragten Personen geben an, neben dem erkrankten Familienmitglied, zu min-
destens einer weiteren Person aus ihrem familiären Umfeld eine sehr enge Beziehung zu ha-
ben und sehen diese als wichtige Ressource im Umgang mit der Krankheitssituation. Eine
Person berichtet von negativen Erfahrungen in ihrem familiären Umfeld, wobei Ausgrenzung
und situationsbedingte Konflikte im Zentrum stehen.
36
A: Also ich habe mit meiner Schwester ... mit ihr habe ich ein sehr enges Verhältnis und wir zwei ha-
ben uns schon immer ... wir haben damals miteinander sehr viel bewältigen können und sehr viel zu-
sammen getragen.
B: Sehr, sehr guter Kontakt ... ein gutes Verhältnis zu meiner Tochter und meinem Sohn auch. Mit
meinem Sohn kann ich sprechen so viel ich will, er ist belastbarer.
C: Mein Schwager ist selbständig ... also er hat ihn dann aus Goodwill, schwarz konnte er so ein biss-
chen Sackgeld verdienen. Und da bin ich sehr dankbar gewesen, das hat mir ein paar Stunden Pause
gegeben. ... Ja also mein Vater ist ja immer noch hier ... und meine Schwester und der Schwager und
seine Familie.
D: ...mein Sohn hat sich jetzt mit meinen zwei anderen Schwestern verbündet, die auch solche Kinder
haben. Die sind jetzt wie ein grosses Team, wo alle die gleichen Sorgen haben. Und alle drei sind wü-
tend auf mich. ...Ich behaupte immer, wir sind so viele, wir könnten so stark sein, würden alle am glei-
chen Strick ziehen.
E: Also ich hatte es eigentlich immer gut mit meinen Geschwister und uns hat es eigentlich noch fast
mehr zusammengeschweisst, und also generell die ganze Familie.
Soziale Ressourcen non-familial 7.3.2
Alle der fünf Probanden geben an, auch ausserhalb ihrer Familie wichtige soziale Kontakte zu
pflegen, wodurch Erfahrungsaustausch stattfindet und Gehör sowie Verständnis für die Situa-
tion entgegen gebracht wird. Neben krankheitsbezogenen Gesprächen, dienen die ausserfami-
liären Kontakte auch dazu, Distanz zur Belastungssituation zu schaffen, wobei Freude und
Ablenkung einen die Situation entlastenden Charakter haben.
A: ...wir haben jetzt wirklich auch Freunde, die ähnliches erlebt haben und wo wir uns mit ihnen auch
darüber austauschen, das ist wichtig. ... Durch die sind wir wieder ein wenig reingekommen und wir
haben einen regen Austausch jetzt.
B: Genau gleich im Tennis. Ich mache in einer Seniorengruppe mit. ... Dann habe ich auch die Gele-
genheit mit verschiedenen Leuten zu sprechen. Wir trinken Kaffee, Gipfeli, reden. Es ist Plausch, rich-
tig Plausch.
C: Gott sei Dank habe ich Leute gehabt, das brauche ich - ich muss reden sonst schaffe ich das nicht.
...wir sehen uns nicht viel, aber es ist sehr ehrlich und schön wenn wir uns dann sehen.
37
D: Ich richte teilweise noch PCs ein, da ich PC-Support mache. Bei Schulkollegen und Freundinnen
ein paar Computer einrichten und das brauche ich. ... Ich vermisse die Menschen schon, aber wenn ich
ganz ehrlich bin mit mir, dann habe ich nun wirklich langsam hohe Ansprüche.
E: ...in meinem Kollegenkreis, da kann ich jetzt auch mega gut drüber reden. ... Und was ich jetzt seit
dem Sommer mache ist, dass ich jetzt in den Fussballverein gehe...
Aktivität 7.3.3
Vier der fünf Probanden geben an, dass sie sich in einem Verein als aktives Mitglied beteiligen
und damit einen geeigneten Ausgleich sowie Distanz zum krankheitsbedingten Alltag im
Haushalt schaffen können. Sowohl Aktivität in der Gruppe als auch Beschäftigung mit sich
selbst werden genannt.
B: Ich mache in einer Seniorengruppe mit. Ich bin mit der Gruppe im Tennis von acht Uhr morgens bis
11 Uhr ...das ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass man nach dem Spiel auch entspannen muss. Dann
tut die ganze körperliche Anstrengung gut, ...
C: Ja also, es macht Freude und es lenkt ab. In diesem Sinn ist die Fasnacht auch ein Stück weit mal
"vergessen" oder mal ein wenig fröhlich sein und auf andere Gedanken kommen ... also das ist auch
wichtig.
D: Ich gehe ins Chi-Gong, das beherrscht mich völlig, dort habe ich auch gelernt mit mir selber fertig zu
werden. Ich mache das jeden Tag eine Viertelstunde und das neutralisiert mich. ... Ich gehe aber auch
noch in eine Gruppe.
E: ...ich habe damals angefangen Gitarre zu spielen und zu singen, das hat mich ziemlich herausgeholt.
Und ich bin da auch einfach mal ein bisschen in die Natur heraus, spazieren gegangen und habe Sa-
chen aufgeschrieben. Das hat bei mir eine ziemliche Erleichterung ausgelöst. ... Und was ich jetzt seit
dem Sommer mache ist, dass ich jetzt in den Fussballverein gehe und das ist schon auch ein guter Aus-
gleich.
Optimismus 7.3.4
Im Umgang mit der Belastungssituation geben vier der fünf Befragten an, dass sie diese durch
Hoffnung auf Verbesserung und eine positivistische Haltung besser ertragen konnten. Eine
Person berichtet, sie habe ihre Hoffnung im Zusammenhang mit einer Verbesserung der Situ-
ation aufgegeben.
A: Da muss irgendeine Kraft sein, die einfach da ist. ... Und ich denke das ist eine Stärke in mir drin,
einfach so ein, das so sagt "hey, hallo!" ja.
38
B: Ich weiss nicht warum, aber ich versuche immer etwas Gutes zu tun. ... Auf eine Seite ist positives
Denken gut, auf der anderen Seite ist die fehlende Neugier meiner Meinung nach verantwortlich für
meine Herzprobleme.
C: Ich habe einfach immer gehofft, dass es immer wieder ein Stück weitergeht... ...natürlich hoffe ich
auf Heilung oder ich wünsche mir, dass mein Sohn gesund ist und auch bleibt... Aber ich weiss, dass
das unter Umständen nicht so sein wird und dann bitte ich halt nicht um das rosarote Wölkchen, son-
dern, dass ich lerne damit umzugehen. ...ich warte nicht auf irgendein grosses Glück, ich nehme das halt
so wie es ist.
D: ...ich kann mir nicht vorstellen, dass eines dieser Beteiligten aus Einsicht von sich aus die Einstel-
lung ändert. Ich glaube das nicht mehr. Ich bin heute soweit, dass ich sage, es muss irgendetwas gottver-
gessen Verrücktes passieren, dass alle zur Vernunft kommen, dass das aufhört. ...das ist so hoffnungs-
los!
E: ...wenn ich dann mit Kollegen unterwegs bin, dann ist es nicht so, dass ich immer traurig sein müss-
te. Man lebt trotzdem weiter und dann macht man ein bisschen Spass....
Glaube und Religion 7.3.5
Vier der fünf befragten Personen sprechen davon, an eine höhere Art von Energie zu glauben
und sehen darin eine entlastende Komponente im Umgang mit der Situation. Zwei Personen
verbinden diesen Glauben mit Religion. Eine Person sagt aus, sie sei verunsichert und habe
angefangen mit Gott zu hadern, da sie aus ihrem Glauben nicht die gewünschte Unterstützung
erfährt.
A: Also ich glaube an etwas, ich glaube nicht so das was in der Kirche ist, aber es ist etwas hier, was
einen unterstützt und auch führt, auf jeden Fall, also da glaube ich sehr daran.
B: Aus Gewohnheit bete ich einmal am Tag ... In den letzten paar Jahren habe ich meine Meinung ge-
ändert und habe mich mehr und mehr mit Religion und anderem beschäftigt.
C: Ah, ich bin gläubig. Das bringt mir etwas, also wir haben auch einen sehr guten Pfarrer hier. ...ich
habe nie das Gefühl gehabt – wie mein Vater, der sagt, wieso trifft das jetzt gerade uns und wir sind
doch immer in die Kirche gegangen. Das habe ich nie gehabt. ... Ich habe einfach das Gefühl das Leben
stellt einem Aufgaben und man kann jetzt sagen, göttlicher Plan, Schicksal, Karma.
D: ...eigentlich glaube ich an eine höhere Macht ... aber ich glaube nicht, dass wir alles beeinflussen
können. ... Und in der letzten Zeit finde ich wirklich auch, wenn das ein Gott Vater ist, dann ist das
ein schlechter Vater. Und wenn es im katholischen Glauben heisst, dein Wille geschehe, dann müsste er
39
einem doch auch einen Ausweg zeigen. ... Und jetzt bin ich sehr verunsichert ... Kann man denn wirk-
lich beten, wenn nichts kommt?
Von der Schuld zur Abgrenzung 7.4
Schuld 7.4.1
Vier der fünf Probanden geben an, dass sie Schuldgefühle entwickelt haben oder sich mit dem
Thema Schuld konfrontiert sahen. Eine Person gibt an, dass die Schuldgefühle mit der Zeit
abgenommen haben, während zwei weitere Personen in diesem Zusammenhang von einer
starken Verunsicherung über ihr eigenes Verhalten berichten und eher von einer unbewussten
Schuld auszugehen ist.
A: Das Problem ist einfach, dass bei uns niemand Verantwortung übernimmt. ...wir haben gefunden,
doch müssten wir etwas machen, weil wir das nicht einfach schlittern lassen können und müssen zu-
sammenstehen...
B: Ich war ganz sicher traurig und es ist auch möglich, dass ich Schuldgefühle hatte.
C: Meine Schuldgefühle haben abgenommen. Am Anfang habe ich mich so schuldig gefühlt, so „bin
wirklich schuld an Allem“.
D: Und irgendwann mal hat man dann doch das Gefühl, dass man vielleicht doch selber was falsch
gemacht hat, dass diese Entwicklung nun so gelaufen ist und dann wird man verunsichert ja.
E: Ja, ich habe dann vielleicht meinen Ärger auch zu wenig gezeigt. Ich habe ihn mehr wieder runterge-
schluckt und gedacht, ihr gehe es doch schlecht, wenn ich ihr noch zusetze, dann geht es ihr noch schlech-
ter und dass man dann Schuld trägt.
Selbstschutz 7.4.2
Alle fünf befragten Personen sagen aus, dass sie erst relativ spät gemerkt haben, wie wichtig
das Thema Selbstschutz in der Betreuung von psychisch Kranken ist. Einerseits geht es dabei,
um die Wahrnehmung der eigenen Bedürfnisse, andererseits aber auch um die Bereitschaft,
Hilfe anzunehmen.
A: Dass man sich früher helfen lässt, also dass man einfach nicht zu lange wartet... Und dass man
sich in dieser Zeit nicht selbst vergisst, dass man da wirklich etwas hat, woran man sich festhalten
kann, das einem Kraft gibt...
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B: Ich versuche es immer wieder, dabei sollte ich weniger, aber das kommt automatisch. ...das tut mir
selber nicht gut und das muss ich auch wahrhaben sonst mache ich mich kaputt. Und da brauche ich
eine Bremse in mir selber, die mich reagieren lässt und frühzeitig sagt "Stopp!".
C: ...wir wollen unser Leben trotzdem leben. Und das sagen wir ihm auch, auch wir haben Bedürfnisse
und ja, alle anderen auch...
D: Das tönt vielleicht ein bisschen egoistisch, aber ich habe die Kraft nicht mehr, um für alle zu schau-
en. ... Ja, das ist vielleicht nicht das, was die anderen akzeptieren können, diese Haltung, ich weiss es
nicht.
E: ...jetzt habe ich mich mehr damit auseinander gesetzt, wie es eigentlich für mich ist. Also, wie gehe
ich damit um, was kann ich tun um mich zu schützen.
Abgrenzung 7.4.3
Im Umgang mit der Krankheit der angehörigen Person geben alle Probanden an, sich zu dem
Zeitpunkt mit den Themen Abgrenzung und Verantwortung auseinandergesetzt zu haben, als
sie sich der Situation nicht mehr gewachsen oder überbelastet fühlten.
A: Weil ich kann auch sagen, es ist nicht meins. ... So haben wir die Verantwortung mal den Behör-
den übergeben, weil wir selber überfordert sind mit dieser Situation.
B: ...und der Junge ist 5 Jahre alt. Und der Junge wurde auch mehr und mehr belastet, also hat seine
Mutter immer mehr gebraucht. Das hat also auch sie belastet, da die Belastung zu viel gewesen war.
Von diesem Zeitpunkt habe ich versucht eine Grenze zu ziehen.
C: Und was ich eben auch lerne jetzt, durch die Therapiebegleitung und so, ich muss loslassen, ich muss
immer mehr loslassen und das ist der Teil, je besser ich das kann, desto besser geht es mir. ... Als ich
dann gemerkt habe, dass ich nichts tun kann, da hab ich mehr losgelassen. Am Anfang habe ich noch
alles probiert.
E: Dass man sich generell ein bisschen löst. Und ich habe halt lange das Gefühl gehabt ich müsse hel-
fen. Also dass man das auch ein bisschen los wird. Dass man die Mutter eigentlich als eigenständige
Person anschaut, die für sich selbst schauen kann. ... Und auch dass man nicht für den Zustand der
Mutter verantwortlich ist.
Offenheit 7.4.4
Hierbei wird ein Entwicklungsprozess deutlich. Alle Befragten geben an, dass sie ihre Anliegen
anfänglich nicht in die Öffentlichkeit trugen, mit der Zeit allerdings lernten, offener damit
umzugehen, da dies für sie einen Teil der Abgrenzungsarbeit bildet.
41
A: ...Familie, das ist intern, da geht man nichts erzählen, das ist ja früher ein bisschen so gewesen, und
bis da mal ein Wort über meine Lippen gekommen ist hat es auch relativ lange gedauert. ...jetzt ist es
so, dass ich viel befreiter davon erzählen kann, also das ist kein Geheimnis mehr für uns.
B: ...mit den meisten Leuten, die im Tennisclub mitspielen bin ich offen und sie wissen, dass es meiner
Frau nicht gut geht.
C: Nein, ich bin mit damit sehr offen umgegangen und natürlich, vielleicht also M, ihm wäre es jetzt
peinlich wenn er das wüsste.
D: Aber ich habe wirklich ein wenig das Vertrauen verloren mich zu öffnen. Weil vielmals reagieren
Leute völlig unverständlich und verstehen nicht wovon ich rede.
Persönliche Reifung 7.4.5
Vier der fünf befragten Personen sehen, verbunden mit ihrem Engagement in der Betreuung
und Begleitung einer angehörigen Person mit psychischer Krankheit, einen persönlichen Ent-
wicklungsfortschritt. Alle vier Personen sprechen von mehr Gelassenheit im Umgang mit der
krankheitsbedingten Situation. Zwei Personen sprechen explizit davon, dass sie bei sich einen
Reifungsprozess wahrgenommen haben.
A: ...ich denke ich habe auch mich verändert, ganz klar, und die ganze Sache, wie ich sie anschaue. ...
Und halt für das Leben generell habe ich viel gelernt. Eben dass man bspw. die kleinen Dinge zu
schätzen weiss.
B: Ich fühle mich reifer, ich fühle mich nicht hilflos. ...ich verkrafte es auch mehr und mehr zu fragen,
also ich bin stärker geworden.
C: ...also alter Hase ist zu viel gesagt, aber ich bin das schon viel lockerer angegangen,... ...man wird
mit der Zeit zur Kampfsau – „wer sich nicht wehrt lebt verkehrt“. ... Gut, das ist auch ein Reifungs-
prozess, je älter ich werde...
D: In der Zwischenzeit sage ich, meinen inneren Frieden habe ich gefunden mit mir... Heute würde ich
anders reagieren, würde sagen "ok, ist das dein Wille? Dann mach das“.
E: Ich denke man lernt einfach die kleinen Dinge zu schätzen und fragt sich manchmal, was andere
für riesige Probleme haben, die dann doch nicht so gross sind. ... Und halt für das Leben generell habe
ich viel gelernt.
42
Anspruch von Angehörigen 7.5
Angehörige im Kontakt mit Institutionen 7.5.1
Alle der fünf befragten Probanden geben an, im Kontakt mit Institutionen mindestens eine
negative Erfahrung gemacht zu haben. Zwei Probanden sprechen davon, sich als Angehörige
alleine gelassen gefühlt zu haben, während sich zwei weitere Probanden von der Institution
ausgenützt fühlten. Eine Person berichtet davon, während dem stationären Aufenthalt der
angehörigen Person, auch auf Nachfrage, von Fachkräften nicht ausreichend informiert wor-
den zu sein.
A: Wir haben uns alleine gelassen gefühlt. Es war so unser Problem, womit wir fertig werden mussten.
B: Dieses Thema habe ich auch gegenüber den Ärzten der PDAG x-mal angesprochen, da habe ich
keine richtige Antwort bekommen... Sie sagen mir sie wäre krank und ich akzeptiere das. Aber welche
Krankheit das ist und so weiter, nichts.
C: Das erste Mal habe ich mich nicht abgeholt gefühlt nein. ... Und es ist so in der Psychiatrie, so lange
die Eltern noch signalisieren, dass sie noch immer Ressourcen haben, dann wird alles auf sie abgewälzt.
... Hilflos, und ja, nicht ernst genommen fühlt man sich.
D: Wissen sie, ich habe das Gefühl gehabt, die wissen ganz genau, die zieht das durch. Die schafft das
schon, auch wenn ihr nicht geholfen wird.
E: ...wir hätten uns selber informieren müssen, wir hätten selber schauen müssen, dass wir zu etwas ge-
kommen wären und es wäre nie jemand auf uns zugekommen.
Angehörige und ihre Wünsche 7.5.2
In Bezug auf die Bedürfnisse von Angehörigen äussern sich vier Probanden insofern, dass sie
sich mehr Unterstützung in Form von Verständnis und Wertschätzung von den jeweils ver-
antwortlichen Fachkräften wünschen. Drei Probanden wünschen sich im Kontakt mit der
Institution mehr Gespräche und Aufklärung in Bezug auf den Behandlungsprozess und An-
gehörigenangebote.
A: Dass man mehr Hilfe von gewissen offiziellen Stellen erhält ... dass das einfach auch ernst genom-
men wird und Hilfe angeboten wird.
B: ...natürlich dass man eine Broschüre bekommt, aber der Wille muss auch da sein, das zu lesen.
Mein Wunsch wäre es natürlich – was ich auch mehrmals versuchte – einen Termin zu vereinbaren mit
den Ärzten. Und da habe ich grösste Mühe gehabt. ...das hat mich demotiviert wieder nachzufragen
43
C: Viel mehr Gespräche ja. Also ich finde man kommt ja gar nicht draus. ...einmal hat es das schon
gegeben, aber das war dann schon praktisch wieder das Entlassungsgespräch gewesen. ... Und auch dass
sie einen wahrnehmen als Leidende.
D: Das würde ich mir wünschen, dass mehr für die Angehörigen getan werden kann, für die anderen
wird schon gesorgt.
E: ...in der Klinik, dass da vielleicht am Anfang, vielleicht gerade mal ein Gespräch mit allen, da
könnte die Mutter auch dabei sein.
Verbesserung der Zusammenarbeit 7.5.3
Angesprochen darauf, welche Verbesserungen die Informationskultur zwischen Fachwelt und
pflegenden Angehörigen enger vernetzen könnten, geben zwei der befragten Probanden an,
sie wünschen sich eine konkrete Information darüber, an wen sie sich als Angehörige melden
können.
A: Ja vor allem die Information, an wen man sich wenden kann, wann wie wo was ist. Solche Sachen
halt, das wäre schon wichtig.
B: Ich glaube es wäre gut, man hätte mehr Zeit gehabt um mit den Ärzten zu sprechen. Und wenn es
einmal zu einem Termin gekommen ist, dann habe ich bemerkt, dass die Ärztin ungeduldig war. ...
Man konnte sich nicht in Ruhe über die Unsicherheiten unterhalten.
C: Also es hat welche, da findet ein ganz guter Austausch statt und wo man auch das Gefühl hat „ja,
die beobachten meinen Sohn, die nehmen ihn wahr“. Die nehmen auch das wahr, was ich sage, die
nehmen auch meinen Leidensdruck wahr. Und andere, die „wir dürfen hier nichts sagen“, also die, die
sich hinter irgendwas verschanzen und das hilft mir als Angehörige dann nicht wirklich.
D: Und sie als Eltern haben dann die Verantwortung, wenn sie immer versuchen etwas zu ändern ...
Und deshalb sollte die Betreuung den Eltern Mut machen und sagen, sie sollen Verantwortung abge-
ben.
8 Diskussion
In diesem Kapitel erfolgen die Verknüpfung und Interpretation der zusammengefassten theo-
retischen Grundlagen und empirischen Untersuchungsergebnisse. Die Interpretation der Er-
gebnisse orientiert sich an den leitenden Fragestellungen sowie an den in der Arbeit zu bear-
beitenden Hypothesen. Im Anschluss werden sowohl die Fragen, und wenn möglich, die Hy-
44
pothesen beantwortet als auch ein Fazit gezogen. Die kritische Würdigung und weiterführende
Gedanken bilden den Abschluss des Kapitels.
Ausgangslage 8.1
In dieser Arbeit wird untersucht, welche Strategien Angehörige psychisch kranker Menschen
im Erleben ihrer subjektiven Belastungssituation entwickeln und inwiefern sie über das öffent-
liche Angebot von psychoedukativen Elementen, wie Angehörigen- und Selbsthilfegruppen,
fachliche Beratungsstellen, etc. orientiert sind. Ziel der empirischen Studie ist es, zu erfahren,
ob das vorhandene Angebot sowie die Zusammenarbeit mit Institutionen aus Sicht der Ange-
hörigen als ausreichend sensitiv und transparent wahrgenommen wird und welchen Anspruch
Laien an die Fachkräfte stellen.
Die Datenerhebung basiert auf fünf problemzentrierten, halbstrukturierten Interviews. Alle
Studienteilnehmer sind in der Schweiz wohnhaft und stehen in enger Beziehung zu einem
psychisch erkrankten Mitmenschen aus der Familie oder Partnerschaft. Die Altersspanne der
Probanden, zum Zeitpunkt der Untersuchung, liegt zwischen 19 und 73 Jahren.
Zusammenfassung der Theorie 8.2
Abhängig von den Bewertungen und Ressourcen der Helfer, ergeben sich potentielle Stresso-
ren, welche Einfluss auf die Gesundheit und das Wohlbefinden haben. Die Aufgaben erfor-
dern hohe soziale Kompetenzen im Umgang mit der Krankheitssituation und umfassen viel-
seitige Stützfunktionen im Alltag. Weiter stellen Angehörige einen entscheidenden Faktor in
der Förderung der Bereitschaft für eine Psycho- und Psychopharmakotherapie dar.
Als Hauptfaktor für das subjektive Belastungserleben ist das Ausmass der Veränderung in der
Beziehung zum erkrankten Familienmitglied zu nennen. Weiter hängt die individuell wahrge-
nommene Belastung von der Dauer der Erkrankung, der Negativsymptomatik, der Rollen-
funktionsfähigkeit, der Kontaktfrequenz und –dauer, der sozialen Unterstützung, der eigenen
Bewältigungsstrategien, der Selbstwirksamkeit und der Zufriedenheit mit dem professionellen
Versorgungssystem ab. Die genannten Faktoren können sich sowohl positiv als auch negativ
auf das subjektive Belastungserleben auswirken und beeinflussen sich gegenseitig.
Neuere Untersuchungen über das Unterstützungsbedürfnis von pflegenden Angehörigen zei-
gen, dass eine klare Forderung nach einer Erweiterung der Angebote besteht, dennoch aber
hohe Teilnahmeverweigerungsraten vorliegen. Aus den verschiedenen Bedingungsfaktoren
bzgl. Inanspruchnahmeentscheidung, ist die subjektive Bewertung von einer Überforderung
45
mit der Situation am stärksten zu gewichten. Viele Angehörige versuchen so lange wie möglich
ohne professionelle Unterstützung zu Recht zu kommen und zeigen keine Einsicht, subjektiv
belastet und möglicherweise eingeschränkt zu sein. Ebenfalls entscheidend, für die Motivation
der Teilnahme an Unterstützungsangeboten, ist die Phase der Erkrankung. Angehörige fühlen
sich meist in akuten Krisensituationen überfordert und sind zu diesem Zeitpunkt am ehesten
bereit, ihrem Bedürfnis nach Unterstützung offen Kund zu tun.
Im Unterschied zu älteren Untersuchungen, bedienen sich die neueren Forschungskonzepte
neben den Stresstheorien auch den Ergebnissen aus der ressourcenorientierten Bewältigungs-
forschung. Dennoch gelingt es bisher nicht, die komplexen interaktionalen Belastungen und
Beziehungen von Angehörigen in ihrer Gesamtheit zu erfassen. Die Studien basieren meist auf
einer Querschnittsbetrachtung, wodurch Veränderungen in der Beziehung und dem subjekti-
ven Belastungserleben nicht berücksichtigt werden. Weiter setzen sich die Stichproben meist
aus Teilnehmern von Angehörigen- und Selbsthilfegruppen zusammen und repräsentieren
eine stark selektionierte Gruppe. Die zukünftige Forschung erfordert die differenziertere Be-
trachtung von krankheits- und beziehungsspezifischen Aspekten.
Ergebnisse aus der gesundheitspsychologischen Forschung zeigen, dass sich die protektiven
Faktoren aus diversen Persönlichkeitseigenschaften und sozialen Ressourcen ergeben. Der
Mensch befindet sich in einem Spannungsfeld zwischen „für sich sein“ und „in der Welt
sein“. Darin enthalten sind einerseits die Kompetenzerwartung, Optimismus, Hardiness oder
der Kohärenzsinn, andererseits die erhaltene Unterstützung und der soziale Rückhalt.
Anhand der situationsbezogenen Bewertungsprozesse und vorhandenen Ressourcen entwi-
ckelt der Mensch eine emotionale und physiologische Reaktion sowie Anstrengungen zur Be-
wältigung. Moderne Stressbewältigungs-Modelle pflegen eine auf die in der Krise enthaltenen
Herausforderungen und Chancen gerichtete Perspektive. Dabei geht es um den Aufbau allge-
meiner Widerstandsressourcen und um den Menschen als proaktives Wesen, welches sich
nach einem konstruktiven Lebensplan orientiert und kontinuierlich nach Wachstum und Er-
folg sucht.
Fragestellung und Arbeitshypothesen 8.3
Anhand der Gegenüberstellung der in dieser Arbeit behandelten Theorie mit den erhobenen
Daten, erfolgt die Veri- bzw. Falsifizierung, der die Arbeit leitenden Fragestellungen und Ar-
beitshypothesen.
46
Hauptfragestellung Weshalb werden pflegende Angehörige psychisch kranker
Menschen nicht krank?
Leitfrage 1 Welche individuellen Strategien, im Umgang mit psychisch er-
krankten Menschen, haben einen stabilisierenden Einfluss auf
das subjektive Wohlbefinden und die Gesundheit der helfen-
den Person?
Bezogen auf die Hauptfragestellung und die Leitfrage 1 ergeben sich folgende wesentliche
Aspekte:
- Selbstwirksamkeitserwartung
- Fähigkeit zur Abgrenzung
- Soziale Kontakte
- Bereitschaft Hilfe anzunehmen
- Aktivität
Die individuellen Strategien im Umgang mit der Belastungssituation entwickeln sich, abhängig
von den auf die oben genannten Aspekte bezogenen Ressourcen, während dem Prozess der
Situationsbewältigung. In der Konfrontation mit dem kritischen Lebensereignis dominieren zu
Beginn Gefühle der Hilflosigkeit, Unsicherheit sowie eine starke emotionale Belastung geprägt
durch Abgrenzungsschwierigkeiten und sozialem Rückzug. Die Kraft sich zu informieren fehlt
oft und die teilweise stark belastenden Erfahrungen schränken die Wahrnehmung der Aus-
senwelt zunehmend ein. Soziale Kontakte innerhalb der Familie übernehmen eine stabilisie-
rende Funktion entgegen einer Negativsymptomatik und bieten Möglichkeit zum Austausch
und Verifizierung des subjektiven Belastungserlebens (vgl. Kap. 5.4.1). Kommt es zu einer
ersten akuten Einweisung oder einem ersten geplanten stationären Aufenthalt des Erkrankten,
so finden sich Angehörige in der Welt der Psychiatrie oft nicht zurecht und es fällt ihnen
schwer, sich gegenüber den Fachkräften als Laien durchzusetzen. Dennoch erfolgt durch den
Aufenthalt eine Entlastung. Anhand der erhobenen Daten kann gesagt werden, dass die In-
formation über Angehörigenangebote nicht immer durch behandelnde Fachkräfte zu den Be-
troffenen gelangt, sondern oft durch Eigeninitiative des Helfers (vgl. Kap. 5.4.2). Wenn Ange-
hörige im direkten Kontakt mit psychiatrischen Institutionen gezielt über vorhandene Unter-
stützungsangebote informiert werden können, so besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass
die Bereitschaft zur Inanspruchnahme von Unterstützung steigt und längere Belastungsphasen
dadurch vermieden werden. Die professionelle Unterstützung hilft Angehörigen, sich in der
47
Auseinandersetzung mit der Belastungssituation besser abzugrenzen und führt dazu, dass die
eigene Lebenswelt, d.h. pflegen von sozialen Kontakten ausserhalb der Familie sowie betrei-
ben von Freizeitaktivitäten, wieder verstärkt wahrgenommen werden kann. Durch das von
Fachkräften entgegengebrachte Verständnis für die Situation und durch Wertschätzung für die
Arbeit als pflegende Angehörige, kann sich ein offener Umgang mit dem Thema psychische
Erkrankung in der Öffentlichkeit entwickeln, was für den Betroffenen zu einer höheren Le-
bensqualität führt.
Die Schwierigkeit in der frühzeitigen professionellen Versorgung von Angehörigen ergibt sich
aus der Rollenüberschneidung von Helfer und Hilfeempfänger. Da die Übernahme der Hel-
ferrolle eine hohe Selbstwirksamkeit impliziert, wird diese trotz Überbelastung und vorhande-
nem Unterstützungsbedürfnis möglicherweise erst spät bewusst in Frage gestellt. Dies hat
Einfluss auf die Bereitschaft zur Inanspruchnahme von Unterstützung und ist ein Hinweis
darauf sein, dass Angehörige oft auch über ihre Grenzen gehen bzw. kein bewusstes Unter-
stützungsbedürfnis haben.
Leitfrage 2 Inwiefern kann das Angehörigenangebot besser verfügbar ge-
macht werden?
Die Verbesserung der Verfügbarkeit bestehender Angehörigenangebote umfasst zwei Ebenen.
Einerseits die informelle Ebene bzw. welche Informationen brauchen Angehörige und in wel-
cher Form werden diese bereitgestellt, andererseits aber auch die Ebene der Verantwortlich-
keit, bzw. wer informiert die Angehörigen und inwiefern kann diesbezüglich von Selbstver-
antwortung gesprochen werden. Angehörige sind zum Zeitpunkt einer akuten Krankheitspha-
se emotional stark belastet, wonach von einer eingeschränkten Wahrnehmung der Umwelt
auszugehen ist. Die erhobenen Daten zeigen auf, dass Angehörige meist erst mit Fachkräften
in Kontakt treten, wenn die Belastung ihren Höhepunkt erreicht, bzw. wenn es zu einem sta-
tionären Aufenthalt kommt und sie dann nicht in der Lage sind ihre Bedürfnisse zu formulie-
ren oder einer Holschuld gerecht zu werden. Gründe dafür finden sich beispielsweise in dem
durch Zeit- und Bettendruck bestimmten Alltag in psychiatrischen Institutionen, in fehlenden
personellen Ressourcen oder im Gefühl der Inkompetenz gegenüber Fachkräften. Da Ange-
hörigen das Bewusstsein für den hektischen Klinikalltag mehrheitlich fehlt, fühlen sie sich oft
nicht verstanden und werden in ihrer Erwartungshaltung nach Unterstützung und Wertschät-
zung enttäuscht. Wünschenswert wäre eine gegenseitig sensibilisierte Wahrnehmung der Situa-
tion, wodurch eine lösungsorientierte Beziehungsebene und eine befriedigende Informations-
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kultur zwischen Angehörigen und Fachkräften geschaffen werden kann. Die Zuständigkeit der
Informationsvermittlung sollte dennoch in der Verantwortung von Fachkräften liegen, da
diese durch ihr Wissen in der Lage sind den gesamten Kontext des Patientensystems zu erfas-
sen und mögliche Belastungsfolgen kennen.
Arbeitshypothese 1 Auf Angehörige psychisch kranker Menschen ausgerichtete,
professionelle Unterstützung hat einen stabilisierenden Ein-
fluss auf deren Wohlbefinden und Gesundheit.
Die erhobenen Daten verweisen eindeutig auf einen die Gesundheit stabilisierenden Effekt
und stehen in engem Zusammenhang mit einem Gefühl der Erleichterung. Alle Probanden
konnten den Kontakt mit der kantonalen Fachstelle für Angehörige gewinnbringend in ihren
Bewältigungsprozess integrieren. Im Beratungssetting konnte ihnen das gewünschte Ver-
ständnis für die krankheitsbedingte Situation, für Anliegen und Fragen sowie Wertschätzung
ihrer Arbeit als pflegende Angehörige entgegengebracht werden. Angehörigengruppen oder
fachbezogene Vorträge wurden von Teilnehmenden ebenfalls als den Verarbeitungsprozess
fördernd erlebt. Die Hypothese wird somit bestätigt.
Arbeitshypothese 2 Angehörige psychisch kranker Menschen sind nicht ausrei-
chend über die öffentlich zugänglichen Unterstützungsangebo-
te informiert.
Sowohl die Theorie als auch die erhobenen Daten lassen darauf schliessen, dass Angehörige
psychisch kranker Menschen über das vorhandene Unterstützungsangebot nicht ausreichend
informiert sind. Aus den Interviews geht deutlich hervor, dass der Weg zu professionellen
Hilfeleistungen und Informationen selten einem definierten Prozess entspricht, sondern durch
Zufall und Eigeninitiative entscheidend mitbestimmt wird. Als Gründe werden einerseits As-
pekte der Stigmatisierung, andererseits aber auch eine subjektiv eingeschränkte Wahrnehmung
der Öffentlichkeit, während der Belastungssituation genannt. Betroffene haben zum Zeit-
punkt, wo das Bedürfnis nach Unterstützung am höchsten ist, oft keine oder nur eine verzerr-
te Vorstellung über bestehende Unterstützungsangebote. Die Hypothese wird somit bestätigt.
Fazit 8.4
Der Wunsch von Angehörigen ist es, dass ihnen von Fachpersonen eine engagierte und part-
nerschaftliche Haltung entgegengebracht wird. Sie möchten Verständnis für ihre Situation, für
49
die Belastungen, welchen sie ausgesetzt sind, sowie die Wertschätzung ihrer Arbeit. Dadurch
fühlen sie sich ernst genommen. Angehörige sehen sich in der Zusammenarbeit mit Fachärz-
ten oder zuständigen Psychologen oft als inkompetent und sind auf deren Rat angewiesen, um
die eigene Krankheitsgefährdung zu minimieren. Das heisst, Fachkräfte sollten die Verantwor-
tung übernehmen, Angehörige auf die Erhaltung der eigenen Gesundheit hin zu sensibilisie-
ren, sie über das vorhandene Unterstützungsangebot zu informieren und ihre Bereitschaft zur
Annahme von Hilfe zu fördern.
Weiter bedarf es einem ausführlichen Informationsaustausch während der gesamten Behand-
lungsdauer. Feste Ansprechpartner und Familien- bzw. Partnergespräche tragen dazu bei, dass
sich Angehörige in der für sie meist fremden Welt besser zurechtfinden. Den Tatsachen, dass
es sowohl zu Vertretungen oder Abwesenheiten der zuständigen Fachkräfte als auch zu kurz-
fristigen Austritten kommt, kann durch eine enge und längerfristige Kooperation des gesam-
ten Patienten-Helfernetzwerks entscheidend entgegengewirkt werden.
Interpretation und Diskussion der Ergebnisse 8.5
Krankheitsentwicklung und Erleben (Kap. 7.1.1 bis 7.1.6) 8.5.1
Das Vorliegen von psychischen Krankheiten in früheren Generationen der Familie wurde von
drei der fünf befragten Probanden bestätigt. Da die Einteilung der Störungsbilder zu diesem
Zeitpunkt noch nicht ausreichend sensitiv und das Bewusstsein für psychische Krankheiten in
der Gesellschaft gering war, bestanden jedoch meist keine eindeutige Diagnose, was bei den
Angehörigen zu Ungewissheit und Hilflosigkeit führte. Möglicherweise trägt die Konfrontati-
on im Kindesalter zu einer unbewussten Erweiterung der Belastungsfähigkeit sowie einem
vergleichsweise erhöhten Engagement bei und führt zum Aufbau von Widerstandsressourcen
im Gegenzug zu kritischen Ereignissen im späteren Leben (vgl. Kap. 4.2.5). Wie sich die
Krankheit während der Prodromalphase gezeigt hat, ist störungsspezifisch verschieden. Bei
einem affektiven Störungsbild ergab sich für den Angehörigen eine meist schleichende Ent-
wicklung der Symptomatik, wobei diese, aufgrund der stark internalisierenden Charakteristik,
nur schwer greifbar ist. Im Vergleich dazu zeigt sich die Symptomatik von Störungen aus dem
schizophrenen Formenkreis vermehrt akut und führt aufgrund einer unvorhersehbaren De-
kompensation zu einer plötzlichen Überlastung des Umfelds. Die erste Konfrontation mit der
Krankheit löste bei allen Befragten ein Gefühl von Hilflosigkeit und Inkompetenz aus, da sie
über keine Kenntnisse bzgl. psychischer Krankheiten verfügten. Trotz in der Familienge-
schichte vorliegender Hinweise auf bestehende Krankheiten, wird die erste Konfrontation als
50
schwierig bezeichnet. Über normabweichendes Verhalten wurde früher oft nicht gesprochen,
was zu ungelösten Konflikten für das den Patienten umgebende System führte und ein Inte-
resse für psychische Krankheiten aufgrund der Stigmatisierungseffekte nicht zuliess. Einerseits
geben die Probanden an, sich selbst Vorwürfe zu machen und sich teilweise auch schuldig
gefühlt zu haben, andererseits sind es negative Reaktionen aus dem weiteren sozialen Umfeld,
die dazu beitragen, dass ein Verarbeitungsprozess und die Auseinandersetzung mit sich und
der Belastungssituation erschwert werden.
Weg zu professioneller Unterstützung (Kap. 7.2.1 bis 7.2.6) 8.5.2
Der für die Inanspruchnahme von Unterstützung entscheidende Faktor lässt sich aus der sub-
jektiven Belastung ableiten. Alle fünf Probanden geben an, in der Begleitung ihres erkrankten
Mitmenschen einen Punkt der Verzweiflung und Überbelastung erreicht zu haben, was
schliesslich dazu führte, dass das Bedürfnis nach Unterstützung insofern zunahm, dass sie
aktiv nach Hilfe suchten. Die Ungewissheit über weitere Krankheitsepisoden und deren Aus-
mass, sowie die situationsbedingte Ohnmacht in Bezug auf Herbeiführung einer Veränderung,
sind Indikatoren für ein steigendes Bedürfnis nach Unterstützung im Umgang mit der Krank-
heit (vgl. Kap. 2.5.2). Alle fünf befragten Studienteilnehmer geben an, dass sie die zuständige
Fachstelle für Angehörige, des Psychiatrischen Dienstes des Kantons Aargau, PDAG nicht
gekannt haben oder nicht wussten, dass es diese überhaupt gibt. Den Weg zur Fachstelle ha-
ben die Befragten auf unterschiedliche Weise gefunden. Eine Person wurde durch den sozia-
len Dienst der Institution darauf aufmerksam gemacht, zwei der Befragten fanden die Fach-
stelle durch Eigeninitiative in Form von Internetrecherche und die zwei übrigen Studienteil-
nehmer wurden durch ihre ambulanten Behandler informiert. Die Inanspruchnahme der Bera-
tungsgespräche auf der Fachstelle für Angehörige wurde von allen Befragten als wertvoll be-
zeichnet. Sie fühlten sich dadurch in ihrer Situation verstanden und ernst genommen, und
ihrer Arbeit als Angehörige wurde Wertschätzung entgegengebracht. Weiter geben die Befrag-
ten an, den professionellen Rat sowie die Vermittlung psychoedukativer Informationsquellen
als sinnvoll und gewinnbringend erlebt zu haben. Das Bewusstsein über das subjektive Unter-
stützungsbedürfnis entwickelt sich meist durch die zunehmend nicht mehr zu bewältigende
Belastungssituation, ist aber nicht per se entscheidend für eine Inanspruchnahme. Es bedarf
neben der Einsicht über die eigenen Grenzen auch der gerechten Vermittlung von Informati-
onen, über die Auswirkungen auf die eigene Gesundheit, und dem Wert der vorhandenen
Angebote.
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Angehörigen- und Selbsthilfegruppen werden von den Betroffenen unterschiedlich, jedoch
von allen als sinnvoll und wichtig wahrgenommen. Nur eine Person gibt an, regelmässig an
der Angehörigengruppe teilzunehmen und sieht im regelmässigen Austausch eine zentrale und
für die Verarbeitung förderliche Komponente. Zwei Probanden berichten von einzelnen Er-
fahrungen mit Angehörigengruppen, während zwei weitere angeben, noch nie an einer Grup-
pe teilgenommen zu haben. Als Gründe für eine Nicht-Teilnahme werden das Gefühl der
Inkompetenz, zusätzliche Betroffenheit durch das Leid anderer Teilnehmer, ausreichende
soziale Ressourcen des eigenen Systems oder zeitlich ungünstige Terminierung angegeben. Im
Vergleich zu Angeboten im Gruppensetting zeigt die Untersuchung, dass alle fünf Studienteil-
nehmer seit Ausbruch der Krankheit mindestens einmal ein psychotherapeutisches Angebot
im Einzelsetting wahrgenommen haben. Auch hier zeigt sich deutlich, dass Angehörige Ver-
ständnis für ihre Situation suchen und ein Bedürfnis haben, gehört zu werden. Angehörige mit
ausgeprägtem Wissen und langjähriger Erfahrung im Umgang mit der Krankheit, sind durch
erworbene Kompetenzen eher bereit für eine Teilnahme in einer Gruppe und den Austausch
unter Gleichgesinnten, während Betroffene mit wenig oder keiner Erfahrung, den Kontakt zu
psychotherapeutischen Fachkräften anfänglich eher im Einzelsetting suchen, um die individu-
ell wahrgenommene Belastung sicher zu verifizieren. Drei der fünf Befragten geben an, sich
neben den professionell vermittelten Informationen auch selber über öffentlich zugängliche
Medien, umfassend über die Krankheit informiert zu haben. Dabei wurde vor allem das Inter-
net als Quelle genutzt, wobei auch Fachliteratur zur Wissenserweiterung diente. Letztere wur-
de von den Angehörigen jedoch oft als für den Laien unverständlich und als Fachkenntnisse
voraussetzend beschrieben. Auch hier wird deutlich, welche Schwierigkeiten sich in der früh-
zeitigen Versorgung von Patientensystemen ergeben. Da Angehörige meist lange versuchen,
die Situation ohne Unterstützung zu bewältigen, jedoch ein verdecktes Bedürfnis nach Hilfe
bestehen würde, kommt es zu langfristigen Belastungsphasen mit negativen Auswirkungen auf
die Gesundheit und Befindlichkeit bzw. zu einer Erschöpfung der Ressourcen. Für eine zeit-
lich optimale Versorgung von Angehörigen bedarf es einerseits dem gesellschaftlichen Be-
wusstsein für einen entstigmatisierenden Umgang mit psychischen Erkrankungen und dem
Bedürfnis nach Unterstützung, andererseits einen durch die Fachkräfte vermittelten integrati-
ven Ansatz, wobei das gesamte Helfernetzwerk engmaschig zusammenarbeitet und soziale
Bezüge des Patienten und deren Versorgung hohe Priorität geniessen.
Protektive Faktoren (Kap. 7.3.1 bis 7.3.5) 8.5.3
Die individuellen Ressourcen von Angehörigen psychisch Kranker sind entscheidend für ei-
nen positiven Umgang mit dem kritischen Lebensereignis. Dazu zählen insbesondere die sozi-
52
alen Ressourcen aus dem eigenen Familienkreis, aber auch aus dem weiteren Bekannten- und
Freundeskreis. Vier der fünf Probanden berichten, zu mindestens einer Person aus dem fami-
liären Umfeld eine sehr enge Beziehung zu pflegen. Dieser Kontakt wird von allen als sehr
wertvoll bezeichnet, da ein Austausch auf gleicher Ebene möglich wird und sich durch familiä-
ren Zusammenhalt eine engere Beziehung entwickeln kann. Dies muss laut erhobenen Daten
nicht zwingend gelingen, da gegenseitiges Verständnis oft nicht vorausgesetzt werden kann
und die Dynamik in vielen Systemen durch Ausgrenzung oder Schuldzuweisung gestört sind.
Weiter spielen non-familiale Ressourcen eine wichtige Rolle in der Verarbeitung der Belastung
und Erhaltung der eigenen Gesundheit. Der soziale Kontakt zu Menschen ausserhalb des fa-
miliären Rahmens dient zur Entlastung, Ablenkung und Schaffung von Distanz. Die Möglich-
keit aus der Belastungssituation auszubrechen, dient dem Betroffenen dazu, eigene Bedürfnis-
se wieder besser wahrnehmen und sich gegenüber der Krankheit klar abgrenzen zu können.
Der eigene Lebensplan steht dabei im Mittelpunkt, nicht die Belastungssituation. Dabei spielt
Aktivität eine wichtige Rolle. Vier der fünf Befragten geben an, sich in einem Verein als akti-
ves Mitglied zu beteiligen. Durch Sport und Geselligkeit würden sie einen Ausgleich zum
krankheitsbedingten Alltag und eine Möglichkeit zum Abbau von Spannungszuständen und
innerer Unruhe finden. Die individuellen Ressourcen auf einer kognitiven Ebene finden sich
in verschiedenen Persönlichkeitseigenschaften. Eine positive Einstellung gegenüber der
Krankheit und die Überzeugung, dass die Situation bewältigt werden kann, gelten als Schutz-
faktoren, da sie entscheidend zur Relativierung der subjektiven Belastung beitragen und die
Abgrenzung der eigenen Person fördern (vgl. Kap. 4.2.2). Meist finden Angehörige keine kon-
kreten Erklärungen für ihre positivistische Haltung, geben aber an, dass sich diese, in Verbin-
dung mit steigendem Selbstvertrauen, erst in der Auseinandersetzung mit der Krankheit ent-
wickelt habe und zu Beginn eher negative Gedanken und Verzweiflung im Vordergrund ge-
standen wären. Der Glaube im Zusammenhang mit Religion kann diesbezüglich speziell in der
Anfangsphase eine wichtige Funktion einnehmen. Zwei der befragten Personen sprechen aus-
drücklich von Glaube in Verbindung mit Gott, und dass sie durch Gebete und lesen heiliger
Schriften von Erleichterung profitieren. Eine Person gibt an, mit Gott zu hadern, da sich ihre
Situation auch durch Religiosität über längere Zeit nicht verbessert habe. Die restlichen Stu-
dienteilnehmer glauben an eine nicht klar definierbare, höhere Macht oder höhere Energie,
setzten diese aber nicht gleich mit einem Gott, wie er durch die Bibel vermittelt wird.
53
Von der Schuld zur Abgrenzung (Kap. 7.4.1 bis 7.4.5) 8.5.4
In Bezug auf negative Emotionen zu Beginn und während der Belastungssituation berichten
vier der fünf Befragten, dass sie Schuldgefühle entwickelt haben oder sich indirekt mit dem
Thema Schuld auseinandergesetzt haben. Eine Person gibt an, dass sie die Schuldgefühle
durch Selbsthilfe und professionelle Unterstützung zunehmend abbauen konnte. Das die
Entwicklung begünstigende Gesamtbild ergibt sich in diesem Fall durch ein hohes Mass an
Selbstwirksamkeit und die vielseitige Inanspruchnahme vorhandener Unterstützungsangebote.
Diese sind Psychotherapie im Einzel- und Familiensetting, Familienaufstellung, Kontakt zu
behandelnden Ärzten und anderen beteiligten Disziplinen, aber auch die regelmässige Teil-
nahme an Angehörigengruppen, die Erweiterung der sozialen Kontakte zum Austausch und
das vertiefte Studium psychoedukativer Informationsquellen. Die weiteren Schilderungen der
Befragten verweisen eher auf eine unbewusste Schuld. Diese widerspiegelt sich in der berichte-
ten Unsicherheit über das eigene Verhalten im Umgang mit dem erkrankten Mitmenschen
oder einer Angst diesbezüglich etwas falsch zu machen und dafür verantwortlich gemacht zu
werden. Entscheidend für die Fähigkeit zur Abgrenzung und den Aufbau von Selbstschutz-
mechanismen ist laut Aussagen der Probanden das subjektive Belastungserleben. Alle Stu-
dienteilnehmer geben an, sie hätten lernen müssen, die Verantwortung abzugeben, konnten
dies allerdings erst zum Zeitpunkt, als sie sich der Situation nicht mehr gewachsen fühlten und
sich eine Erschöpfung zeigte. Erst wenn das subjektive Belastungserleben vom Betroffenen
über eine unbestimmte Zeit als unerträglich eingestuft wird, entwickelt er Strategien zum
Selbstschutz, da die eigene Lebenswelt und die eigenen Bedürfnisse nicht mehr ausreichend
wahrgenommen werden kann. Alle der fünf Befragten geben an, dass ihre Bereitschaft zur
Inanspruchnahme professioneller Unterstützung zu diesem Zeitpunkt stark gestiegen sei. Dies
habe anschliessend auch erstmalig zur Auseinandersetzung mit dem Thema Abgrenzung ge-
führt. Nach diesem Zustand der Erschöpfung und Annahme von Hilfe berichten alle Proban-
den, dass dieser Prozess zu einer grossen Entlastung geführt hat, sie ihr Leben dadurch wieder
besser bestreiten und ihren eigenen Bedürfnissen vermehrt Beachtung schenken können. Vier
der fünf Befragten geben an, dass sie nach der Auseinandersetzung mit dem Thema Abgren-
zung und durch diesen Prozess, hin zu einer inneren Akzeptanz der Situation auch in der Öf-
fentlichkeit offener mit ihrer Geschichte umgehen können. Dieser Reifungsprozess wird von
allen fünf Befragten bestätigt und durch mehr Gelassenheit im Umgang mit der krankheitsbe-
dingten Situation und einer tieferen Wahrnehmung der eigenen Person begründet.
54
Anspruch von Angehörigen (Kap. 7.5.1 bis 7.5.3) 8.5.5
Den Kontakt zu Institutionen und Fachkräften zu Beginn ihrer Tätigkeit als pflegende Ange-
hörige, bezeichnen alle der fünf Interviewpartner als unbefriedigend. Alle berichten von min-
destens einer negativen Erfahrung, die meist eine verminderte Bereitschaft zur Inanspruch-
nahme von Unterstützung und zur Zusammenarbeit mit Fachkräften nach sich zog. Die Be-
fragten berichten, dass sie sich nicht ernst genommen und alleine gelassen fühlten, für ihre
Arbeit keine Wertschätzung erhielten und auch auf Nachfrage nicht ausreichend informiert
worden seien.
Weitere Aussagen beschreiben das Gefühl, von der Institution ausgenützt worden zu sein, da
aus Erfahrung schnellstmöglich auf Ressourcen der Angehörigen zurückgegriffen, und die
Verantwortung wieder an diese zurückgegeben werde. Angesprochen darauf, was Angehörige
sich diesbezüglich wünschen, geben alle der fünf Befragten an, dass ein verbesserter und in-
tensiverer Kontakt zu behandelnden Fachkräften für sie gewinnbringend wäre. Sie wünschen
sich mehr Gespräche, mehr Informationen über ihre erkrankten Angehörigen und deren Be-
handlungsverlauf sowie mehr Raum für ihre eigenen situationsbedingten Anliegen und Fragen.
Alle Studienteilnehmer fordern eine verbesserte und sensitivere Informationskultur von Seiten
der Fachkräfte und geben an, dass ihnen die Kenntnis über für sie vorhandene Unterstüt-
zungsangebote anfänglich gefehlt habe und diese auch in der akuten Phase der Krankheit und
im Kontakt mit Fachkräften nicht vermittelt wurde. Sie hätten nicht gewusst, wo sie sich hät-
ten melden können, was zu Hilflosigkeit und zu Gefühlen wie „alleine gelassen werden“ oder
„verantwortlich sein“ geführt habe.
Noch immer sind die meisten psychiatrischen Institutionen darauf ausgerichtet, möglichst
kurze Aufenthalte zu planen und arbeiten nach der Regel „ambulant vor stationär“. Es ist
wichtig, dass Angehörige eine Vorstellung der professionellen Gesundheitsversorgung erhal-
ten und darüber im Bild sind, dass die gesetzlichen Richtlinien und Regeln der gesundheitli-
chen Versorgungskonzepte auch auf Seiten der Fachkräfte für Druck sorgen. Das Angebot
von Fachstellen für Angehörige ist sehr sinnvoll und dient auch der Entlastung des behan-
delnden Teams, darf aber nicht dazu führen, dass die Ansprechbarkeit der zuständigen Ärzte
und Psychologen für Angehörige nicht mehr gewährleistet ist.
Methodenkritik 8.6
Die gewählte Interviewform hat sich als geeignet erwiesen. Die Probanden wurden insofern
gelenkt, dass sie auf eine bestimmte gesellschaftliche Problemstellung befragt wurden, den-
55
noch aber frei und offen aus ihrer subjektiven Perspektive dazu Stellung nehmen konnten. Ein
Vergleich zwischen vorgängig erarbeiteten objektiven Aspekten und den erhobenen subjekti-
ven Erfahrungsberichten ist auf diese Weise gut möglich und bringt Aufschluss über allfälligen
Bedarf der Anpassung bestehender Theorien.
Erneut muss aber darauf hingewiesen werden, dass eine wissenschaftlich fundierte Aussage
anhand der vorliegenden Arbeit nicht möglich ist, da die Grösse der Stichprobe als zu gering
eingestuft werden muss. Ferner ist zu beachten, dass die befragten Probanden eine stark selek-
tionierte Gruppe darstellen. Alle Studienteilnehmer wurden über die kantonale Fachstelle für
Angehörige (PDAG, Psychiatrische Dienste Kanton Aargau) rekrutiert, wonach einerseits von
einem generell hohen sozialen Engagement auszugehen ist, andererseits aber auch von einer
Dunkelziffer an pflegenden Angehörigen, welche aufgrund fehlender Informationen oder
finanzieller Mittel keine Hilfe in Anspruch nehmen. Die Betrachtung der vorliegenden Unter-
suchung im Querschnitt lässt auch keine repräsentative Aussage über die Entwicklung der
subjektiven Belastungssituation zu und gibt nur ansatzweise Aufschluss über den individuellen
Bewältigungsprozess.
Grundsätzlich ist die Methode, für die Art der in dieser Arbeit zu erhebenden Daten, nicht zu
kritisieren. Entscheidend sind die im Leitfaden entwickelten, für den Laien klar formulierten
Leitfragen, die eine Erfassung problemzentrierter Themeninhalte ermöglichen sollen. Dies
zeigte sich beispielsweise bei Fragen, die Bezug auf die emotionale Ebene und das Erleben
von Gefühlen nehmen. Die Interviewpartner waren sich ihrer Gefühle oft nicht sicher und es
fiel ihnen meist schwer, diese ausführlich zu benennen. Möglicherweise kann dies auch als ein
durch Schamgefühl und Überschreitung der Intimitätsgrenze bedingtes Ausweichen verstan-
den werden, da das Interviewsetting nur eine spontane Beziehungsaufnahme zulässt. Dieser
Umstand schliesst jedoch nicht aus, dass wichtige Daten erhoben werden können. Vielmehr
führte er bei der Durchführung dazu, dass die Einhaltung des zeitlich definierten Rahmens
erschwert wurde. Bei Personen mit geringen Deutschkenntnissen muss diesem Effekt zusätz-
liche Beachtung geschenkt werden.
Die beschriebene verständliche Operationalisierung der Fragestellung im Interviewleitfaden
alleine reicht nicht aus, um an die gewünschten Daten zu gelangen. Oftmals verlassen die Be-
fragten mit ihren Erzählungen den Kontext der problemzentrierten Themen und müssen ge-
lenkt werden. Aus einer Vielzahl an Informationen die entscheidenden Inhalte zu erfassen,
bedarf einer hohen Kompetenz seitens des Interviewers.
56
Ausblick und weiterführende Überlegungen 8.7
Noch immer fühlen sich Angehörige psychisch kranker Menschen mit Beginn der Behand-
lung, ob stationär oder ambulant, alleine gelassen. Dies führt dazu, dass ihr grosses Erfah-
rungswissen an Bedeutung verliert und sich Angehörige in der Zusammenarbeit mit den
Fachkräften nicht ernst genommen fühlen.
Neuere Konzepte einer „integrierten psychiatrischen Behandlung“ setzten den Einbezug von
Angehörigen als Ziel voraus und sehen darin eine wichtige Ressource für den gesamten Be-
handlungsprozess. Dabei soll bspw. die Klärung konkreter alltagsbezogener Fragen verfolgt
werden. Neben der Vermittlung von Informationen über die Erkrankung gilt es aber auch,
den Fachbereich der Psychiatrie und Psychotherapie an sich, näher mit der Gesellschaft zu
verknüpfen. Das heisst Fachpersonen sind dazu aufgerufen den gesellschaftlichen Fantasien
die Wirklichkeit gegenüber zu stellen. Nur so kann die Komplexität des klinisch-
psychiatrischen Systems für Laien verständlich gemacht und ihrerseits eine höhere Akzeptanz
erreicht werden. Die ehrliche und offene Begegnung wirkt sich auf das Belastungserleben von
Angehörigen entlastend aus, bestärkt sie und vermag sie von überhöhten Ansprüchen an sich
selbst zu befreien.
Damit diese Übertragung möglich wird, bedarf es einer transparenten Behandlungskultur, aber
auch eine auf das nicht-professionelle Helfernetzwerk ausgerichtete Handlungs- und Informa-
tionsebene. Dass die meisten psychiatrischen Institutionen über ein vielseitiges Angebot an
Informationen für Angehörige verfügen, heisst aber noch lange nicht, dass dieses für die Be-
troffenen ausreichend wahrgenommen werden kann. Die Beziehung zwischen den Fachkräf-
ten und den Betroffenen bildet die Basis, um das Potential der ausreichend vorhandenen In-
formationsquellen, wie Broschüren, Flyer etc. auszuschöpfen und um Angehörigen den Wert
vorhandener Unterstützungsangebote bzgl. Wahrung ihrer eigenen Gesundheit zu vermitteln.
Die Qualität von Angehörigenarbeit während ambulanter oder stationärer Behandlung steigt
mit dem Bewusstsein der Fachärzte und behandelnden Psychotherapeuten dafür, dass die
Vernetzung mit Angehörigen eine stabilisierende Auswirkung auf das gesamte System haben
und einer Rezidivierung der Krankheit nachhaltig entgegenwirken kann.
Diese Entwicklung, hin zu patientensystem-orientierten Behandlungskonzepten muss weiter
verfolgt werden und trägt dazu bei, dass die emotionale Belastung von Angehörigen durch
Zufriedenheit mit der Versorgung positiv beeinflusst und eine höhere Lebensqualität aller
Beteiligten erreicht werden kann.
57
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59
10 Anhang
Anhang A: Einverständniserklärung
Einverständniserklärung
Herr Remo Siegrist hat mich im Rahmen seiner Bachelorarbeit an der Zürcher Hochschule für
Angewandte Wissenschaften (ZHAW), Departement Angewandte Psychologie, angefragt, ob
ich für die Teilnahme an einer qualitativen Studie zum Thema „Angehörige psychisch kranker
Menschen – zwischen Kompetenz und Defizit“ bereit bin.
Ich bestätige hiermit, dass ich mit der Verwendung des mit mir durchgeführten Interviews
einverstanden bin.
Ich wurde darüber informiert, dass alle Daten anonymisiert und vertraulich behandelt werden.
Das Interview wird zur Verarbeitung auf Band aufgezeichnet, wird aber nach der Transkripti-
on gelöscht.
Ich bestätige hiermit, die oben aufgeführten Punkte gelesen zu haben und bin mit dem Vor-
gehen einverstanden.
Ort, Datum
Name, Vorname
Unterschrift
Alter
Geschlecht
Beruf Art der Beziehung zu erkrankter Person Vorliegende Krankheitsdiagnose(n)
60
Anhang B: Interviewleitfaden
Interviewleitfaden
Einleitung
- Im Rahmen meines Studiums der klinischen Psychologie an der Zürcher Fachhoch-schule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), Departement Angewandte Psycho-logie, schreibe ich meine Bachelorarbeit zum Thema „Angehörige psychisch erkrank-ter Menschen – zwischen Kompetenz und Defizit“.
- Ich möchte dabei untersuchen, weshalb pflegende Angehörige nicht krank werden.
- Anhand der Interviews mit Angehörigen psychisch erkrankter Menschen möchte ich dieser Frage nachgehen. Ich bitte Sie deshalb, möglichst offen und unzensuriert von Ihrer Erfahrung zu berichten.
- Sie können frei erzählen. Falls ich etwas nicht verstehe oder noch genauer wissen möchte, werde ich nachfragen.
- Das Interview wird auf Tonband aufgenommen. Nach der Transkription wird es ge-löscht. Das Interview wird nur anonymisiert wiedergegeben.
- Haben Sie gerade noch eine Frage, die wir vor dem Interview klären sollten?
Aufnahmegerät einschalten.
61
Thema Hauptfrage Nachfragen K
rank
heits
-en
twic
klun
g Wodurch war Ihr
Leben vor der Erkrankung ihres Angehörigen be-
stimmt?
- Kindheit, Beruf, Zivilstand - Soziales Umfeld, Hobbies - Sind Sie schon einmal mit dem Thema „psychische Erkrankung“ in
Kontakt gekommen? Welche Bedeutung hatte das Thema „psychi-sche Krankheit“ vor der..?
- Gab es Anzeichen für eine Krankheit (innerhalb der Familie)? - Wie ist es Ihrer Meinung nach dazu gekommen? - Wie haben Sie davon erfahren?
Bew
ältig
ung
Was hat sich ver-ändert seit der
Erkrankung ihres Angehörigen?
- Wie hat sich Ihr Leben seit der Erkrankung verändert? - Wie hat ihre Familie/ihr soziales Umfeld darauf reagiert? Positi-
ve/negative Erfahrungen? - Inwiefern haben Sie sich als Angehörige/r durch Familie und Um-
feld unterstützt gefühlt? - Was hilft Ihnen dabei, daran zu glauben die schwierige Situation
bewältigen zu können? Wo sehen Sie Ihre Ressourcen? - Wie finden Sie Ihren Ausgleich und Erholung im Gegenzug zu die-
ser grossen Belastung? Wo tanken Sie Energie? - Was ist für Sie das wichtigste, das Sie aus der Zeit seit der Erkran-
kung gelernt haben? Gewinnen Sie der Krankheit einen Sinn ab? - Können Sie von sich aus von einem „Reifungsprozess“ sprechen? - Inwiefern haben Sie sich als Angehörige/r professionell unterstützt
gefühlt? - Wann haben sie sich dazu entschieden professionelle Hilfe zu su-
chen? Weshalb? - Wie informieren Sie sich über die Krankheit ihrer/s Angehörigen? - Nutzen Sie Selbsthilfegruppen, Angehörigengruppen oder derglei-
chen? Wenn nein, wieso nicht? - Was könnte man Ihrer Meinung nach verbessern, damit Angehöri-
ge sich besser abgeholt fühlen?
Em
otio
nen
Wie würden Sie ihre Stimmung
beschreiben (da-mals/heute)?
- Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie von der Erkrankung erfahren haben?
- Was ist für Sie das schlimmste in dieser Zeit als Angehörige/r? - Haben Sie bei sich eine Veränderung wahrgenommen (emotional)? - Gibt es bestimmte Auslöser für gewisse Emotionen (Schuld, Wut,
Aggression, Trauer)? - Gibt es trotz der Belastung durch die Krankheit ihres/r Angehöri-
gen auch positive Seiten/schöne Momente? Welche (Freude, Glück)?
End
e Gibt es etwas, das Sie gerne anmer-
ken möchten?
- Wenn ja: was? - Wenn nein: dann schliessen wir das Gespräch hier ab. - Vielen Dank.
62
Anhang C: Kategorien
1 Krankheitsentwicklung und Erleben 1.1 Familiengeschichte Zeile A Also ich denke es gab auch in meiner verwandten Familie solche Sachen aber das durfte man
nicht wissen, wenn jemand nicht der Norm entsprochen hat... 19
B Und diesen Gedanken habe ich mir nicht gemacht. Es sind so verschiedene Sachen, die so nach-träglich kamen. ...und möglicherweise war jemand ihrer Familie auch schon krank und hatte Depressionen.
37
C Meine Mutter wäre mit dem Wissen von Heute glaub „bipolar II“ gewesen. Von daher war ich also auch geprägt. ...heute sagt man, dass sie depressive Verstimmungen gehabt hat. Manische Anteile gab es bei ihr nicht, nur der depressive Teil. Und ich weiss, dass in dieser Linie, also mütterlicherseits, also meine Urgrossmutter, da muss auch irgendetwas gewesen sein, wie erzählt wurde.
135/ 192
D Ich kenne das von meinem Vater, mein Vater war so. Wissen sie, dieses Verhalten ist mir über-haupt nicht fremd ... Auch zwei meiner Geschwister, zwei Schwestern haben das gemacht. Und so war unser Familienleben eigentlich immer durch diese bestimmt gewesen. ... Ich bin völlig überzeugt, das ist eine familiäre Geschichte.
42
E Also das allererste Mal war im Jahr 98. Dort war ich etwa in der ersten Klasse. ... Ich war halt noch klein und habe das nicht so richtig mitbekommen.
13
1.2 Prodromalphase Zeile A Wir mussten sie einliefern mit Polizei, das hat sich so nicht abgezeichnet. Das kam für uns wie
von einem Tag auf den anderen, ich wohn ja seit 20 Jahren auch nicht mehr zu Hause. 48
B Von diesem Zeitpunkt an habe ich realisiert, dass sie depressiver geworden ist und möglicher-weise eine Depression hat. ... Sie hat weniger gesprochen. Auch mit Freunden hat sie weniger und weniger Kontakt gehabt oder war weniger freundlich.
118/ 130
C Ich hatte immer ein ungutes Gefühl ... mit 20 dann war das schon regelmässiger, da habe ich bemerkt, dass er sich verändert mit dem Cannabiskonsum. ... Dann Anfangs 20 begann man zu merken, dass ihm vieles einfach gleichgültig wurde.
60/74
D ...dann hat sie mir gesagt, mit X stimme etwas überhaupt nicht und sie würde sich für keinen Beruf entscheiden, sie hocke zu Hause nach der Schule, sie wolle nicht arbeiten, sie blocke alles ab.
19
E ...aber dass sie dann plötzlich völlig abwesend war. Also sie hat plötzlich vor sich hingemurmelt und so Geräusche gemacht. Und das hat man am Anfang einfach nicht verstanden...
81
1.3 Konfrontation mit Krankheit Zeile A Also wirklich ein einschneidendes Erlebnis. Soviel ich weiss hat das mein Vater gemacht und das
war sicher auch für ihn extrem schwierig, wie auch für uns. 32
B ...langsam ist das anders geworden. Realisiert haben das die anderen Leute. Die Nachbarn, die Freunde und sehr wahrscheinlich der Hausarzt. Da haben wir realisiert, dass es Zeit ist, auch einen Psychiater zu kontaktieren.
226
C Ich habe gedacht, was ist auch mit meinem Sohn los, diese Aggressivität, das Übertriebene, das kennen wir so nicht ... Unser Sohn sei krank. Wir haben damals auch gar nicht gewusst was das ist.
92/ 631
D ...ich weiss nie wenn sie Theater macht. Und wann muss man es der Krankheit zuschreiben? 142 E Und das war für uns natürlich ziemlich schwierig, weil wir nicht wussten wie damit umgehen. Also
plötzlich so von einem auf den anderen Tag hat das geändert... 33
1.4 Selbst-Stigmatisierung Zeile A Es ist natürlich immer noch so etwas, also wenn man in der Gesellschaft nicht der Norm ent-
spricht, dann ist das etwas Schwieriges. 393
B ...wir haben bei uns in Indien eine falsche Art von Höflichkeit. ...dass man ein Auge schliesst und nichts sagt. Und das habe ich vielleicht zu lange gemacht ohne richtig zu reagieren.
238
63
C Am Anfang habe ich mich so schuldig gefühlt, so „bin wirklich schuld an allem“. 706 D Ich schäme mich, dass ich den Leuten sagen muss, dass meine Söhne mich ausgeschlossen
haben. ... Ich traue mich nicht, was soll ich dann sagen? ... Nein, das erzähle ich niemandem, das muss ich praktisch alleine mit mir abmachen.
230
E ...also man hat sich schon auch irgendwie geschämt für die Mutter, aber das hat man sich wie nicht nehmen lassen, dass Kollegen nach Hause kommen konnten.
364
1.5 Fremd-Stigmatisierung Zeile A Ja, ich finde mittlerweile hat sich das schon auch ein wenig verändert. Also die Welt ist ein
wenig sensibilisierter geworden und man hat doch auch vermehrt ein Gehör bekommen für solche Sachen.
203
B ...mit der Zeit haben Freunde und Bekannte weniger und weniger mit uns gesprochen. 287 C ...nein, man hat schon Verständnis dafür aufgebracht und ich habe mich nicht ausgegrenzt
gefühlt, nein. Es hat niemand gelacht und man merkt dann einfach irgendwie, dass es viele Leute gibt, die irgendjemanden kennen, oder jemanden in der Familie haben, das gibt es viel.
353
D ...solche Sachen können sie im Bekanntenkreis, also ich sage nicht Freunde, das können sie im Bekanntenkreis nicht erzählen ... Die sagen dann mit der stimmt doch etwas nicht...
217
E Doch, also es war einfach so, sonst die Nachbarschaft. Das war halt so Klatsch und Tratsch, wenn etwas zu reden ist, dann wird geredet. ...es wurde immer gesagt, ja diese armen Kinder und so, aber es ist dann niemand auf uns zugekommen und hat was gemacht, da wahrscheinlich die Angst zu gross war, weil man nicht recht wusste, was da eigentlich geht...
105
1.6 Emotionen Zeile A Ich bin sie ab und zu besuchen gegangen, aber es hat mich total deprimiert. ...und es war so ein
hin- und hergerissen sein zwischen traurig sein und mich abgrenzen können. 64/ 419
B Ich habe manchmal Mitleid mit meiner Frau. 169 C Also ich musste also schon auch weinen und habe schlecht geschlafen. ...einfach auch jedes gute
Gespräch oder jede Mini-Sequenz, die zwischen uns ruhig abläuft, da freu ich mich darüber. 316/ 811
D Aber diese Verzweiflung, diese Angst der Angehörigen, das ist wirklich einfach schrecklich. ... Die können nichts mehr geniessen, das ist einfach nur noch traurig.
901/ 904
E Wir haben immer das Gefühl gehabt, wir müssen für die Mutter schauen. 139
2 Weg zu professioneller Unterstützung 2.1 Grenzen der Belastbarkeit Zeile A Ich habe dann gemerkt, jetzt geht es einfach nicht mehr. Jetzt muss ich wirklich etwas machen
und Hilfe holen. ...im Moment ist es wieder wie eine Zeitbombe ... Man weiss nicht, was einen erwartet.
316/ 353
B ...man fühlt das, und wenn man da nichts machen kann, nichts helfen kann, dann belastet das noch mehr.
428
C Und ich habe gewusst, so kann ich ihn nicht mehr zu Hause haben monatelang. Ich habe ge-wusst, ich schaff das nicht mehr.
379
D Nein, völlig hilflos bin ich dagestanden ... Ich bin völlig verzweifelt gewesen. ... Ich muss je-manden haben, der mir sagt, wie ich mich verhalten muss um diese Situation zu entspannen.
11/ 353
E Also die meiste Zeit war man schon verzweifelt, weil nichts lief. 125
2.2 Kenntnisse über Angehörigenangebote Zeile A ...ich habe das damals nicht gekannt, hat man ja irgendwie wirklich, also per Zufall, per Zufall
eine solche Sache gesehen, dass da irgend so Vorträge sind... Wir haben auch nicht gewusst, was alles möglich ist. ...nein, ich habe nicht gewusst, an wen man sich wenden kann.
155
64
B Ich habe das durch den sozialen Dienst erfahren. ... Und auch darauf habe ich keine Wichtigkeit gegeben. Alles kam gut durch eine Tennisfreundin. Sie hat mir gesagt "warum gehst du nicht und redest über diese Sachen, mach das doch!"
745
C Ja, über die Tagesklinik dann schon. Die haben mir schon ein paar Tipps gegeben und da steht auch ein wenig mehr drin, wo man hin kann und so. Da bin ich dann schon bald mal in die Angehörigengruppe gegangen...
535
D ...das System der PDAG, das habe ich nicht gekannt. Und dann habe ich mich zu informieren angefangen... ...und dann habe ich gesehen, dass es diese Stelle gibt für Angehörige.
348
E Also ich habe eigentlich auch gar nicht gewusst, dass es so eine Angehörigenstelle gibt. ...da war einfach sonst immer nur die Rede davon, man solle doch zu einem Psychologen gehen...
410
2.3 Erfahrungen mit kantonaler Fachstelle für Angehörige Zeile A ...und ich aber sehr froh bin, dass ich hier mal Rat einholen konnte und jetzt auch merke, gewis-
se Sachen angekurbelt. 105
B Ich bin froh, dass ich bei der Fachstelle sprechen kann oder mit dem Hausarzt. Da kann ich sagen was mich beschäftigt und dann hört mich wieder jemand.
523
C Das hat schon auch geholfen. Da habe ich auch wieder mehr Informationen und Adressen erhalten und konnte mal über meine Bedenken sprechen.
476
D Also Frau Z hat mir sehr geholfen. Frau Z ist einfach, sie kann einen so ausgleichen und kann einen wieder auf den Boden holen ... Ich habe mich sehr verstanden gefühlt bei ihr ... sie hat mir das Gefühl gegeben ich hätte das schon im Griff.
356/ 474
E ...für mich hat es das hier schon gebracht, weil es ist einfach ein anderes reden, wenn jemand Aussenstehender mit einem darüber spricht. Also ja, und jemand der auch ein bisschen Ahnung hat.
383
2.4 Angehörigengruppen Zeile A ...und da weiss man, eben man hatte mal was wo man dachte "ou, wir sind nicht alleine" ...das
ist etwas wo ich finde, es ist wahnsinnig wichtig. Dass man weiss, da hat es noch andere ... Es nimmt einem die Last ein bisschen weg.
158
B ...das ist wieder mein Unterbewusstsein, das mir sagt ich brauche das nicht. Ich hätte das pro-bieren können aber wie sagt man, wenn irgendwer fremdes mir solche Fragen stellt, dann will ich natürlich nicht mitmachen.
669
C Nein, für mich nicht. Aber ich bin auch eine die erzählt. ...ich nehme das an, wie eine andere Krankheit auch, das ist für mich kein Problem.
548
D ...manchmal nimmt man dort so viel Leid mit nach Hause. ... Also ein Grund, dass ich nicht gegangen bin ist, dass ich so wenig gewusst habe von diesen Vorgängen. ... Und ich habe mich zu wenig kompetent gefühlt da mitzumachen.
488/ 499
E Da war das Problem, dass ich dann jeweils Training habe... Ich habe mir das wirklich überlegt aber ich weiss nicht, ob ich schlussendlich auch gegangen wäre, weil irgendwie ja, da ist wahr-scheinlich wieder eine Hemmschwelle, sich dem auszusetzen.
303
2.5 Psychotherapeutische Unterstützung Zeile A ...es hat gewisse verschiedene Orte gegeben, wo ich, also bei einer Psychologin war und einfach
Gesprächstherapie gemacht habe und so Familienaufstellung ...das hat mir sehr viel geholfen, also da habe ich sehr viel profitieren können davon...
176
B Ich gehe mit ihr zusammen. Die erste Viertelstunde ist sie alleine, die zweite Viertelstunde bin ich alleine mit dem Psychiater, und dann die andere halbe Stunde sind wir zusammen. Das ist nun die letzte Lösung, die wir gefunden haben.
244
C ...den habe ich immer wieder gebraucht, also phasenweise bin ich wochenweise gegangen... Und dann bin ich jeweils gekommen und dann ist es für mich wieder vorwärts gegangen, das hat mir sehr, sehr viel, also ich habe Hilfe gebraucht, also ohne Hilfe hätte ich das nicht geschafft.
540/ 544
65
D ...ich habe ein paar Mal wirklich versucht psychologische Hilfe zu holen. Und dort habe ich verschiedene Sachen angetroffen. Zwei, drei Mal ist es mir passiert, dass ich am Ende der Stun-de beinahe diese Psychologin auf dem Schoss hatte. ... Die hat mir so leidgetan, dass ich nach ein, zwei Tagen gesagt habe, nein, das kann es nicht sein.
220
E ...dann habe ich auch das Gefühl gehabt, ich möchte mal zu ihr gehen. Und bin dann auch, also musste eben zum Hausarzt und wurde vermittelt. Aber das hat dann ein bisschen zu wenig gebracht und dann war ich nicht mehr so gewillt sonst wo hinzugehen.
415
2.6 Psychoedukative Selbsthilfe Zeile A ...relativ wenig. Wir haben gefunden, alleine was wir erlebt haben, also ja, wir haben es wirklich
sehr live miterlebt ... Nein, wir haben uns danach nicht gross informiert, also ich. 366
B Es gibt das Internet, es gibt Bücher darüber oder - das mache ich weniger oder gar nicht. Aber bei jedem Gespräch komme ich nun einen Schritt weiter.
663
C Ich habe alles verschlungen, ich bin ins Internet, habe mir Infos geholt wo ich nur konnte. ... Für mich ist das wichtig. Ich war immer ein bisschen extrem, für mich ist das gut. ... Je mehr ich von einer Sache verstehe, desto besser kann ich damit umgehen.
365/ 731
D Ich habe im Internet alle möglichen Informationen geholt, habe gelesen und Bücher geholt. 349 E Doch, also mich hat das schon immer interessiert. Meine Mutter hat auch Bücher gehabt und
auch die Grossmutter. ... Sonst habe ich halt schon, also auf dem Internet hat man halt mal geschaut und auf der Fachstelle hat man auch wieder Bücher gekriegt.
313
3 Protektive Faktoren 3.1 Soziale Ressourcen familial A Also ich habe mit meiner Schwester ... mit ihr habe ich ein sehr enges Verhältnis und wir zwei
haben uns schon immer ... wir haben damals miteinander sehr viel bewältigen können und sehr viel zusammen getragen.
145
B Sehr, sehr guter Kontakt ... ein gutes Verhältnis zu meiner Tochter und meinem Sohn auch. Mit meinem Sohn kann ich sprechen so viel ich will, er ist belastbarer.
537/ 540
C Mein Schwager ist selbständig ... also er hat ihn dann aus Goodwill, schwarz konnte er so ein bisschen Sackgeld verdienen. Und da bin ich sehr dankbar gewesen, das hat mir ein paar Stun-den Pause gegeben. ... Ja also mein Vater ist ja immer noch hier ... und meine Schwester und der Schwager und seine Familie.
419/ 613
D ...mein Sohn hat sich jetzt mit meinen zwei anderen Schwestern verbündet, die auch solche Kinder haben. Die sind jetzt wie ein grosses Team, wo alle die gleichen Sorgen haben. Und alle drei sind wütend auf mich. ...Ich behaupte immer, wir sind so viele, wir könnten so stark sein, würden alle am gleichen Strick ziehen.
92/ 739
E Also ich hatte es eigentlich immer gut mit meinen Geschwister und uns hat es eigentlich noch fast mehr zusammengeschweisst, und also generell die ganze Familie.
134
3.2 Soziale Ressourcen non-familial Zeile A ...wir haben jetzt wirklich auch Freunde, die ähnliches erlebt haben und wo wir uns mit ihnen
auch darüber austauschen, das ist uns ganz wichtig. ... Durch die sind wir wieder ein wenig reingekommen und wir haben einen regen Austausch jetzt.
186/ 193
B Genau gleich im Tennis. Ich mache in einer Seniorengruppe mit. ... Dann habe ich auch die Gelegenheit mit verschiedenen Leuten zu sprechen. Wir trinken Kaffee, Gipfeli, reden. Es ist Plausch, richtig Plausch.
441
C Gott sei Dank habe ich Leute gehabt, das brauche ich - ich muss reden sonst schaffe ich das nicht. ...wir sehen uns nicht viel, aber es ist sehr ehrlich und schön wenn wir uns dann sehen.
329
D Ich richte teilweise noch PCs ein, da ich PC-Support mache. Bei Schulkollegen und Freundin-nen ein paar Computer einrichten und das brauche ich. ... Ich vermisse die Menschen schon, aber wenn ich ganz ehrlich bin mit mir, dann habe ich nun wirklich langsam hohe Ansprüche.
432/ 854
E ...in meinem Kollegenkreis, da kann ich jetzt auch mega gut drüber reden. ... Und was ich jetzt seit dem Sommer mache ist, dass ich jetzt in den Fussballverein gehe...
359/ 262
66
3.3 Aktivität Zeile A Nein, das mache ich momentan nicht, aber ich denke immer ich sollte, aber irgendwie
"macht`s" es nicht. 232
B Ich mache in einer Seniorengruppe mit. Ich bin mit der Gruppe im Tennis von acht Uhr mor-gens bis 11 Uhr ...das ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass man nach dem Spiel auch entspan-nen muss. Dann tut die ganze körperliche Anstrengung gut, ...
442/ 449
C Ja also, es macht Freude und es lenkt ab ... in dem Sinn ist die Fasnacht auch ein Stück weit mal "vergessen" oder mal ein wenig fröhlich sein und auf andere Gedanken kommen ... also das ist auch wichtig.
561/ 576
D Ich gehe ins Chi-Gong, das beherrscht mich völlig, dort habe ich auch gelernt mit mir selber fertig zu werden. Ich mache das jeden Tag eine Viertelstunde und das neutralisiert mich. ...gehe aber auch noch in eine Gruppe.
287/ 619
E ...ich habe damals angefangen Gitarre zu spielen und zu singen, das hat mich ziemlich heraus-geholt. Und ich bin da auch einfach mal ein bisschen in die Natur heraus, spazieren gegangen und habe Sachen aufgeschrieben. Das hat bei mir eine ziemliche Erleichterung ausgelöst. ... Und was ich jetzt seit dem Sommer mache ist, dass ich jetzt in den Fussballverein gehe und das ist schon auch ein guter Ausgleich.
450/ 262
3.4 Optimismus Zeile A Da muss irgendeine Kraft sein, die einfach da ist. ... Und ich denke das ist eine Stärke in mir
drin, einfach so ein, das so sagt "hey, hallo!" ja. 208
B Ich weiss nicht warum, aber ich versuche immer etwas Gutes zu tun. ... Auf eine Seite ist positi-ves Denken gut, auf der anderen Seite ist die fehlende Neugier meiner Meinung nach verant-wortlich für meine Herzprobleme.
515/ 660
C Ich habe einfach immer gehofft, dass es immer wieder ein Stück weitergeht... ...natürlich hoffe ich auf Heilung oder ich wünsche mir, dass mein Sohn gesund ist und auch bleibt... Aber ich weiss, dass das unter Umständen nicht so sein wird und dann bitte ich halt nicht um das rosaro-te Wölkchen, sondern, dass ich lerne damit umzugehen. ...ich warte nicht auf irgendein grosses Glück, ich nehme das halt so wie es ist.
322/ 816
D ...ich kann mir nicht vorstellen, dass eines dieser Beteiligten aus Einsicht von sich aus die Ein-stellung ändert. Ich glaube das nicht mehr. Ich bin heute soweit, dass ich sage, es muss irgen-detwas gottvergessen Verrücktes passieren, dass alle zur Vernunft kommen, dass das aufhört. ...das ist so hoffnungslos!
707
E ...wenn ich dann mit Kollegen unterwegs bin, dann ist es nicht so, dass ich immer traurig sein müsste. Man lebt trotzdem weiter und dann macht man ein bisschen Spass....
434
3.5 Glaube, Religion Zeile A Also ich glaube an etwas, ich glaube nicht so das was in der Kirche ist, aber es ist etwas hier,
was einen unterstützt und auch führt, auf jeden Fall, also da glaube ich sehr daran. 215
B Aus Gewohnheit bete ich einmal am Tag ... In den letzten paar Jahren habe ich meine Meinung geändert und habe mich mehr und mehr mit Religion und anderem beschäftigt.
507/ 579
C Ah, ich bin gläubig. Das bringt mir etwas, also wir haben auch einen sehr guten Pfarrer hier. ...ich habe nie das Gefühl gehabt – wie mein Vater, der sagt, wieso trifft das jetzt gerade uns und wir sind doch immer in die Kirche gegangen. Das habe ich nie gehabt. ... Ich habe einfach das Gefühl das Leben stellt einem Aufgaben und man kann jetzt sagen, göttlicher Plan, Schick-sal, Karma.
304/ 310
D ...eigentlich glaube ich an eine höhere Macht ... aber ich glaube nicht, dass wir alles beeinflussen können. ... Und in der letzten Zeit finde ich wirklich auch, wenn das ein Gott Vater ist, dann ist das ein schlechter Vater. Und wenn es im katholischen Glauben heisst, dein Wille geschehe, dann müsste er einem doch auch einen Ausweg zeigen. ... Und jetzt bin ich sehr verunsichert ... Kann man denn wirklich beten, wenn nichts kommt?
659
E ...nein, eigentlich nicht. Ich glaube schon dass es einen Gott gibt, aber das ist ein bisschen schwierig zu erklären. Ich gehöre nicht zu denen, die jeden Sonntag in die Kirche gehen.
473
67
4 Von der Schuld zur Abgrenzung 4.1 Schuld Zeile A Das Problem ist einfach, dass bei uns niemand Verantwortung übernimmt. ...wir haben gefun-
den, doch müssten wir etwas machen, weil wir das nicht einfach schlittern lassen können und müssen zusammenstehen...
101/ 111
B Ich war ganz sicher traurig und es ist auch möglich, dass ich Schuldgefühle hatte. 173 C Meine Schuldgefühle haben abgenommen. Am Anfang habe ich mich so schuldig gefühlt, so
„bin wirklich schuld an allem“. 706
D Und irgendwann mal hat man dann doch das Gefühl, dass man vielleicht doch selber was falsch gemacht hat, dass diese Entwicklung nun so gelaufen ist und dann wird man verunsichert ja.
350
E Ja, ich habe dann vielleicht meinen Ärger auch zu wenig gezeigt. Ich habe ihn mehr wieder runtergeschluckt und gedacht, ihr gehe es doch schlecht, wenn ich ihr noch zusetze, dann geht es ihr noch schlechter und dass man dann Schuld trägt.
346
4.2 Selbstschutz Zeile A Dass man sich früher helfen lässt, also dass man einfach nicht zu lange wartet... Und dass man
sich in dieser Zeit nicht selbst vergisst, dass man da wirklich etwas hat, woran man sich festhal-ten kann, das einem Kraft gibt...
299
B Ich versuche es immer wieder, dabei sollte ich weniger, aber das kommt automatisch. ...das tut mir selber nicht gut und das muss ich auch wahrhaben sonst mache ich mich kaputt. Und da brauche ich eine Bremse in mir selber, die mich reagieren lässt und frühzeitig sagt "Stopp!".
517
C ...wir wollen unser Leben trotzdem leben. Und das sagen wir ihm auch, auch wir haben Bedürf-nisse und ja, alle anderen auch...
786
D Ja, das ist vielleicht nicht das, was die anderen akzeptieren können, diese Haltung, ich weiss es nicht. ... Das tönt vielleicht ein bisschen egoistisch, aber ich habe die Kraft nicht mehr um für alle zu schauen.
136/ 889
E ...jetzt habe ich mich mehr damit auseinander gesetzt, wie es eigentlich für mich ist. Also, wie gehe ich damit um, was kann ich tun um mich zu schützen.
332
4.3 Abgrenzung Zeile A Weil ich kann auch sagen, es ist nicht meins. ... So haben wir die Verantwortung mal den Be-
hörden übergeben, weil wir selber überfordert sind mit dieser Situation. 326/ 110
B ...und der Junge ist 5 Jahre alt. Und der Junge wurde auch mehr und mehr belastet, also hat seine Mutter immer mehr gebraucht. Das hat also auch sie belastet, da die Belastung zu viel gewesen war. Von diesem Zeitpunkt habe ich versucht eine Grenze zu ziehen.
531
C Und was ich eben auch lerne jetzt, durch die Therapiebegleitung und so, ich muss loslassen, ich muss immer mehr loslassen und das ist der Teil, je besser ich das kann, desto besser geht es mir. ... Als ich dann gemerkt habe, dass ich nichts tun kann, da hab ich mehr losgelassen. Am An-fang habe ich noch alles probiert.
594
D ...ich kann das nicht ändern. Ich kann nur mich ändern. Und wenn ich nicht daran zerbrechen will, dass muss ich sagen, ich kann das nicht ändern. Ich muss es annehmen...
109
E Dass man sich generell ein bisschen löst. Und ich habe halt lange das Gefühl gehabt ich müsse helfen. Also dass man das auch ein bisschen los wird. Dass man die Mutter eigentlich als eigen-ständige Person anschaut, die für sich selbst schauen kann. ... Und auch dass man nicht für den Zustand der Mutter verantwortlich ist.
508
4.4 Offenheit Zeile A ...Familie, das ist intern, da geht man nichts erzählen, das ist ja früher ein bisschen so gewesen,
und bis da mal ein Wort über meine Lippen gekommen ist hat es auch relativ lange gedauert. ...jetzt ist es so, dass ich viel befreiter davon erzählen kann, also das ist kein Geheimnis mehr für uns.
142/ 184
68
B ...mit den meisten Leuten, die im Tennisclub mitspielen bin ich offen und sie wissen, dass es meiner Frau nicht gut geht.
466
C Nein, ich bin mit damit sehr offen umgegangen und natürlich, vielleicht also Y, ihm wäre es jetzt peinlich wenn er das wüsste.
351
D Aber ich habe wirklich ein wenig das Vertrauen verloren mich zu öffnen. Weil vielmals reagie-ren Leute völlig unverständlich und verstehen nicht wovon ich rede.
873
E Und sonst, also in meinem Kollegenkreis, da kann ich jetzt auch mega gut darüber reden. Ich erzähl das natürlich nicht gleich jedem, der mir über den Weg läuft... Ich habe wirklich auch lange gehabt, bis ich das mal jemandem erzählt habe.
359
4.5 Reifungsprozess Zeile A ...ich denke ich habe auch mich verändert, ganz klar, und die ganze Sache, wie ich sie anschaue.
... Und halt für das Leben generell habe ich viel gelernt. Eben dass man bspw. die kleinen Dinge zu schätzen weiss.
332/
B Ich fühle mich reifer, ich fühle mich nicht hilflos. ...ich verkrafte es auch mehr und mehr zu fragen, also ich bin stärker geworden.
609/ 644
C ...also alter Hase ist zu viel gesagt, aber ich bin das schon viel lockerer angegangen,... ...man wird mit der Zeit zur Kampfsau – „wer sich nicht wehrt lebt verkehrt“. ... Gut, das ist auch ein Rei-fungsprozess, je älter ich werde...
377/ 590/ 711
D In der Zwischenzeit sage ich, meinen inneren Frieden habe ich gefunden mit mir... Heute wür-de ich anders reagieren, würde sagen "ok, ist das dein Wille? Dann mach das."
130
E Ich denke man lernt einfach die kleinen Dinge zu schätzen und fragt sich manchmal, was ande-re für riesige Probleme haben, die dann doch nicht so gross sind. ... Und halt für das Leben generell habe ich viel gelernt.
432/ 512
5 Anspruch der Angehörigen 5.1 Angehörige im Kontakt mit Institutionen Zeile A Wir haben uns alleine gelassen gefühlt. Es war so unser Problem, womit wir fertig werden
mussten. 351
B Dieses Thema habe ich auch gegenüber den Ärzten der PDAG x-mal angesprochen, da habe ich keine richtige Antwort bekommen... Sie sagen mir sie wäre krank und ich akzeptiere das. Aber welche Krankheit das ist und so weiter, nichts.
629/ 639
C Das erste Mal habe ich mich nicht abgeholt gefühlt nein. ... Und es ist so in der Psychiatrie, so lange die Eltern noch signalisieren, dass sie noch immer Ressourcen haben, dann wird alles auf sie abgewälzt. ... Hilflos, und ja, nicht ernst genommen fühlt man sich.
361/ 380/ 435
D Wissen sie, ich habe das Gefühl gehabt, die wissen ganz genau, die zieht das durch. Die schafft das schon, auch wenn ihr nicht geholfen wird.
382
E ...wir hätten uns selber informieren müssen, wir hätten selber schauen müssen, dass wir zu etwas gekommen wären und es wäre nie jemand auf uns zugekommen.
371
5.2 Angehörige und ihre Wünsche Zeile A Dass man mehr Hilfe von gewissen offiziellen Stellen erhält ... dass das einfach auch ernst
genommen wird und Hilfe angeboten wird. 437
B ...natürlich dass man eine Broschüre bekommt, aber der Wille muss auch da sein, das zu lesen. Mein Wunsch wäre es natürlich – was ich auch mehrmals versuchte – einen Termin zu verein-baren mit den Ärzten. Und da habe ich grösste Mühe gehabt. ...das hat mich demotiviert wie-der nachzufragen.
724
C Viel mehr Gespräche ja. Also ich finde man kommt ja gar nicht draus. ...einmal hat es das schon gegeben, aber das war dann schon praktisch wieder das Entlassungsgespräch gewesen. ... Und auch dass sie einen wahrnehmen als Leidende.
385/ 389/ 758
D Das würde ich mir wünschen, dass mehr für die Angehörigen getan werden kann, für die anderen wird schon gesorgt.
899
69
E ...in der Klinik, dass da vielleicht am Anfang, vielleicht gerade mal ein Gespräch mit allen, da könnte die Mutter auch dabei sein.
403
5.3 Verbesserung der Zusammenarbeit Zeile A Ja vor allem die Information, an wen man sich wenden kann, wann wie wo was ist. Solche
Sachen halt, das wäre schon wichtig. 384
B Ich glaube es wäre gut, man hätte mehr Zeit gehabt um mit den Ärzten zu sprechen. Und wenn es einmal zu einem Termin gekommen ist, dann habe ich bemerkt, dass die Ärztin un-geduldig war. ... Man konnte sich nicht in Ruhe über die Unsicherheiten unterhalten.
733
C Also es hat welche, da findet ein ganz guter Austausch statt und wo man auch das Gefühl hat „ja, die beobachten meinen Sohn, die nehmen ihn wahr“. Die nehmen auch das wahr, was ich sage, die nehmen auch meinen Leidensdruck wahr. Und andere, die „wir dürfen hier nichts sagen“, also die, die sich hinter irgendwas verschanzen und das hilft mir als Angehörige dann nicht wirklich.
391
D Und sie als Eltern haben dann die Verantwortung, wenn sie immer versuchen etwas zu ändern ... Und deshalb sollte die Betreuung den Eltern Mut machen und sagen, sie sollen Verantwor-tung abgeben.
727
E Oder eine Broschüre, irgendetwas das man so mitgeben kann ... Dass man sich irgendwo melden könnte.
503
Ich erkläre hiermit, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne Benützung anderer als der angege-benen Hilfsmittel verfasst habe. Unterschrift: