Bauanleitung Tallbike
ohne Gewähr, ohne Haftung, ohne alles April 2013
von Stefan von der Bikekitchen Augsburg
Tallbikebau ist immer individuell. Es gibt keine Standardlösung.
Vier Typen sind grob beschreibbar:
1. ganz einfach zwei Rahmen aufeinander
2. unterer Rahmen kopfüber (z.B. für die Version ohne Schweißen)
3. verlängerter Hinterbau und Reisetallbikes
4. individuell bis komplett verrückt
Selbst gebaut habe ich bisher fünf Tallbikes – darunter ein Tandem-Tallbike, ein dreistöckiges Tallbike
und eine Version ohne Schweißen – und bei vier Projekten mitgeholfen. Ich habe das Internet
abgesurft für alles, was man über Tallbikes finden kann.
Anleitung für ein typisches Tallbike
1 Die Rahmen
Der untere Rahmen entscheidet über die Art der Bremsaufnahmen (V-Brake/Canti oder Seitenzug),
über die verwendete Gabel und die Art der Hinterradnabe. Seine Höhe entscheidet über die
Aufstiegshöhe (Höhe unterste Pedalposition). Das Innenlager wird nicht gebraucht, Art und Zustand
sind also egal.
Der obere Rahmen entscheidet über die Sitzposition/-geometrie (Rahmenhöhe usw.). Hier ist ein
funktionierendes Innenlager wichtig. Von Vorteil ist ein Vierkant-Lager, da der Austausch des
Kettenblatts leicht möglich ist. Unten unter „Kettenlinie“ mehr dazu.
Passen die Rahmen zusammen? Zur Prüfung am besten die Gabeln ausbauen. Ein langes Rohr durch
die offenen Steuerrohre stecken, damit diese in einer Linie sind. Jetzt sollte das Innenlagergehäuse des
oberen Rahmens mittig auf dem Sitzrohr des unteren Rahmens aufliegen. Abweichungen von ein bis
zwei Zentimetern kann man bei den Schweißvorbereitungen (s.u.) ausgleichen.
Gewichtsverteilung: die Sitzrohre sind bei allen Fahrrädern nach hinten geneigt. Je mehr Rahmen
aufeinander sitzen, desto weiter rückt der Sattel nach hinten. Schon bei zwei Rahmen aufeinander
kann das Ergebnis unfahrbar werden, weil das Vorderrad bei jedem Antritt abhebt. Faktoren sind:
• Rahmenhöhen,
• Sitzrohrwinkel (steil=sportlich/flach=Cruiser),
• Hinterbaulänge und
• verwendete Laufradgrößen.
Ideal: steile Sitzrohrwinkel plus langer Hinterbau des unteren Rahmens. Ausgleichsmaßnahmen: vorne
kleineres Laufrad einbauen (ggf. mit entsprechend kurzer Gabel, damit die Vorderradbremse wieder
dazu passt) oder Hinterbau verlängern, z.B. durch Einschweißen eines zusätzlichen nach hinten
versetzen Hinterbaudreiecks.
Bilder ab Seite 3
2 Schweißvorbereitungen/Schweißen
Rahmenverbindung: am unteren Rahmen das Sitzrohr so ausfeilen, dass das Innenlager des oberen
Rahmens sauber in der Kuhle liegt. Rund um die Schweißstelle alles entlacken.
Gabelverbindung: ein altes Wasserrohr oder ein vergleichbares Rohr. Unten wird es einfach statt des
Vorbaus in das Gabelrohr gesteckt und rundum verschweißt, direkt mit dem aus dem Steuerrohr
herausschauenden Gabelrohr. Die Gabellagereinstellung kann man dann nicht kontern (die
Kontermutter würde den Gabelschaft verdecken), aber mittels Schweißpunkt fixieren. Wichtig:
Gabellager gut einstellen und fetten, eine spätere Pflege ist nicht mehr möglich.
In die obere Gabel wird das Verbindungsrohr von unten gesteckt. Die meisten Gabeln sind unten
offen, jedoch mit kleinerem Durchmesser als das Rohr. Dazu das Wasserrohr mit der Flex achtfach je
2-3 Zentimeter einschneiden und mit dem Hammer wieder rundum zusammenklopfen. Auch hier alles
entlacken und rundum am Gabelkopf festschweißen.
Das wars schon. Wer will, kann noch Rahmenversteifungen einschweißen. Entweder parallel zum
Verbindungsrohr der Gabeln oder z.B. vom oberen Unterrohr zum Oberrohr des unteren Rahmens
(sofern unten ein Herrenrahmen verbaut wurde. Auch Damen/Damen ist möglich).
Der Hinterbau des oberen Rahmens kann entfernt werden. Falls es ein Damenrahmen ohne Oberrohr
ist, bleibt das Sitzrohr allerdings alleine stehen. Das kann sich verbiegen. Lösung: es kann nach unten
zur Hinterachse abgestützt werden oder nach vorne zum Oberrohr des unteren Rahmens.
Achtung: Lagerfette können sich beim Schweißen verflüssigen und auslaufen. Beim Schweißen an der
unteren Gabel nicht zu lange draufbleiben und die Schweißstelle zwischendurch abkühlen lassen.
Rahmen aufrecht stellen, so dass flüssiges Fett trotzdem in der Schale bleibt. Beim Schweißen der
Verbindung Innenlager/Sitzrohr das Tretlager besser ausbauen (vor allem bei Plastikschalen). Manche
Lager haben außerdem einen Plastikmantel zwischen den Lagerschalen. Dieser kann schmelzen und
das Lager blockieren.
3 Anbauteile
Wir fahren unsere Tallbikes auch im Alltag. Polizeiprobleme hatten wir noch nie. Allerdings achten wir
darauf, dass die grundlegenden Sicherheitsfeatures dran sind: zwei Bremsen und Beleuchtung.
Rücktritt ist akzeptabel, weil man sich eine Bremskonstruktion spart. Rücktritt ist schlecht, weil das
Pedal zum Aufsteigen in der untersten Position sein sollte. Das geht – wenns nicht gerade richtig steht
– nur durch Hochheben des Hinterrads bzw. ein Stück schieben, mit gleichzeitigem Drehen der Kurbel.
Auch das Anfahren am Berg ist bei ungünstiger Pedalposition erschwert.
Kettenschaltung haben wir in der Regel nicht aktiviert. Aber die Ritzelauswahl hilft, die ideale
Kettenlinie zu finden. Der Kettenspanner kann weiter verwendet werden, nach vorne/oben verdreht.
Kettenlinie: die Kette verläuft jetzt schräg nach unten und passiert sehr knapp die Hinterbaustrebe.
Meistens sind deshalb die kleineren Ritzel nicht erreichbar. Man kann unterschiedliche Kettenblätter
und Achsbreiten ausprobieren, um die Kettenlinie und Übersetzung zu optimieren. Achtung: bei nah
am Rahmen liegendem Kettenblatt kann dessen Kurbel an der schräg nach unten laufenden
Hinterbaustrebe des unteren Rahmens streifen.
4 Ideen
Ab hier beginnt die Individualität. Es gibt fast alle Fahradtypen auch als Tallbike. Wassertallbikes,
Swingtallbikes, Liegeradtallbikes, Minitallbikes, zerlegbare Tallbikes, Riesentallbikes, Reisetallbikes,
Lastentallbikes, Rennradtallbikes, Mountainbiketallbikes.
bei Fragen: [email protected]
5 Bilder: Die Schritte bis zum Schweißen
Leichter Versatz
akzeptabel
Kontaktstelle
anpassen
Schweißstelle 1
Schweißstelle 2
Schweißstelle 3
8fach
eingeschnitten und
zusammengeklopft
Nach dem Schweißen mit einer
Drahtbürste säubern und grundieren.
Schweißstellen nachbearbeiten
(überschüssiges Material abschleifen),
wenn die Nähte schöner aussehen sollen.
Oder besser schweißen lernen.
Holzlatten und Schraubzwingen für eine
genaue Ausrichtung
Grundiert sehen die Nähte besser aus
(auch ohne Nachbearbeitung).
Lackierung, hier dreifarbig
Typische problematische Stellen beim Tallbikebau:
Geometrietest:
zwei gleich große Laufräder, keine
Hinterbauverlängerung.
Trotzdem akzeptabler Schwerpunkt. Das
Tallbike ist gut fahrbar. Das Vorderrad
ist ausreichend belastet (hebt aber
schneller ab als bei einem normalen
Fahrrad).
Hier wird es meistens eng.
Tipps:
Lenkungsdämpfer sinnvoll gegen
Umschlagen des Vorderrades
beim Abstellen.
Kettenschaltungs-Laufrad im
Nabenschaltungs-Rahmen sitzt zu
weit links. Die Bremse kann man
entsprechend einstellen, es wird
jedoch knapp für das linke Pedal.
Schaltwerk streift am kleinsten
Ritzel. Lösung: Zähne abflexen.
Typische Kettenlinie
Ritzel einstellen: alten Bremszug verwenden, ein
paar Zentimeter Länge genügen. Der Nippel steckt in
der Einstellschraube, diese kann zur Feineinstellung
weiterhin benutzt werden.
Schaltwerkposition
Das fertige Tallbike.
Schutzbleche, Beleuchtung, Ständer, Gepäckträger usw. nach Wunsch montieren.
Videos zu Auf- und Abstieg unter http://www.youtube.com/user/BikekitchenAugsburg.
Mein Zeitbedarf für das abgebildete Tallbike:
(keine größeren Komplikationen, keine Schutzbleche und Beleuchtung)
Rahmen auswählen 1 Stunde
Rahmen und Gabelverlängerung fürs Schweißen vorbereiten 2 Stunden
Schweißen mit Vor- und Nachbereitung 2 Stunden
Lackierung (Grundierung und Lack) 2 Stunden
Anbauteile zusammensuchen 2 Stunden
Zusammenbau, Anpassungen und Tests: 7 Stunden
gesamt: 16 Stunden