Die Legende vom Priester Johannes - ein Internationales Kolloquium in Damaskus: Ein Bericht mit einer Anmerkung über anscheine
Die Legende vom Priester Johannes - ein Internationales Kolloquium in Damaskus: Ein Bericht mit einer Anmerkung über anscheinend
vergessene Erklärungen von Titel und Namen Preste Gianni - Presbyter Johannes - Prêtre Jean - Priester Johannes.
von
Manfred Kropp
Vom 2. bis 4. Juni 2003 fand am Institut Français du Proche-Orient IFPO (in
das das Institut Français des Etudes Arabes de Damas IFEAD - neben dem
Institut Français d'Archéologie du Proche-Orient IFAPO und dem Centre
d'Etudes et de Recherches sur le Moyen-Orient Contemporain CERMOC im
Jahre 2002 aufgegangen ist) ein Internationales Kolloquium mit dem Thema Le
Prêtre jean et l'Orientalisme statt. Neben dem IFPO waren das Collège de France
(ausgehend von der Initiative von Prof. Michel Tardieu) und das OIB
Mitveranstalter.
Die Figur des Priesters Johannes beschäftigt in der Tat bis heute die westliche
Mediävistik sowie mehrere Teildisziplinen der Orientalistik, und gelegentlich
auch (post-)moderne Semiotiker und Literaten (vgl. Umberto Eco Baudolino; zur
deutschen Übers. vgl. http://www.hanser.de/literatur/specials/eco/jobrief.htm
sowie einen lesenswerten Essay von Umberto Eco
http://www.tribunes.com/tribune/alliage/45/Eco_45.htm – Ausflüge im Internet
mit den Suchbegriffen Presbyter Johannes - Preste Gianni - Prêtre Jean - Prester
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John - Priester Johannes lohnen sich generell). Zum ersten Mal erwähnt in der
Chronik Ottos von Freising († 1158 n. Chr.) macht sie erstaunliche
Entwicklungen der Phantasie aber auch der ernsthaften Erforschung des Orients
durch. Otto von Freising stützt sich auf den (mündlichen?) Bericht eines sonst
nicht bekannten (lateinischen?) Bischofs Hugo von Gabala (beim heutigen
Lattakia), der mitteilt, daß wenige Jahre zuvor ein mächtiger christlicher
Herrscher im Osten bei der alten Stadt Ekbatana ein muslimisches Heer unter
dem Fürsten Semiard (wohl Sanjar) besiegt habe (1141 n.Chr.). In der Folge habe
er versucht, auch Jerusalem zu befreien, sei aber am Tigrisübergang gescheitert.
Der Herrscher werde von den Seinen Presbyter Johannes genannt; hier ist aber
wohl zu berücksichtigen, daß wir es mit der gelehrten lateinischen Übersetzung
des mündlich übermittelten italienischen Preste Gianni zu tun haben, das am
Anfang aller anderen Formen (prêtre Jean, Prester John, Priester Johannes usw.)
steht.
Diese knappe Nachricht beflügelt in der Tat Hoffnung und Phantasie
verschiedener, bis heute anonymer Autoren im Unfeld und Bann der
Kreuzzugsbewegung. 25 Jahre später taucht ein erster lateinischer Brief des
legendären Herrschers aus dem Osten an den byzantinischen Kaiser Manuel auf,
wenig später der gleiche an Kaiser Friedrich Barbarossa. In der folgenden Zeit
werden hebräische Fassungen, aber auch solche in praktisch allen im damaligen
christlichen Europa geschriebenen Sprachen folgen. Der Inhalt des Briefes ist im
wesentlichen zweigeteilt: Neben der ausführlichen Beschreibung des Reiches des
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"Priesters und Königs Johannes" steht ein Angebot und die Aufforderung zu einer
Allianz im Kampf gegen die muslimischen Herrscher im Orient (zu einer
umfassenden Bibliographie und Darstellung der verschiedenen Fassungen und
deren Funktion und Geschichte vgl. Wilhelm BAUM Die Verwandlungen des
Mythos vom Reich des Priesterkönigs Johannes. Rom, Byzanz und die Christen
des Orients im Mittelalter. Klagenfurt, 1999 - http://www.kitab-verlag.com). Im
letzteren Teil erkennt man unschwer die Projektion einer großen, wenn auch
letztlich unrealistischen Hoffnung der Kreuzfahrer und deren Staaten im Orient,
eine Hoffnung, die sich später erst an den Nachrichten über christliche
Mongolenkhane zu verwirklichen schien, schließlich, nach der Islamisierung der
Mongolen, sich an weit nebulöseren Nachrichten über China, dann Indien
fortsetzte. Die letzte Etappe der Suche nach dem sagenhaften Reich war dann
Äthiopien, und dies aus verschiedenen Gründen.
Zunächst war die Beschreibung und Schilderung des christlichen Reiches im
Osten, neben durchaus zeitgenössischen und zutreffenden Nachrichten aus und
über den fernen Orient, im wesentlichen geprägt vom christlichen
Alexanderroman. Damit war inhaltlich Indien als geographischer Raum
festgelegt; in der Tat passen denn auch viele konkrete Einzelheiten - die
berühmteste das Land, wo der Pfeffer wächst - nur auf Indien. Indien war aber in
der antiken Geographie und deren Erben aufgrund der Vorstellung, daß Afrika
und Asien um den Indischen Ozean zusammengewachsen sind (wie dies die alten
Karten belegen), vieldeutig und umfaßte die afrikanische Küste des Roten
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Meeres, den heutigen Indischen Subkontinent und andere Teile Südostasiens.
Während der Belagerung von Damiette (1214 n.Chr.) hören die belagerten
Kreuzfahrer von einem christlichen Monarchen und Reich im Süden,
Widersacher des muslimischen Ägypten, der ihnen zu Hilfe kommen wolle.
Damit war der Zirkelschluß über Indien zustandegekommen: man suchte von nun
an, zuerst alternativ und nicht ausschließlich, im Laufe des 14. und 15. Jhdts.
immer mehr darauf konzentriert, den Priester Johannes in Äthiopien. Angefügt sei
hier, daß die Beschreibung des Reiches des Priesters Johannes nach (post-
)moderner Interpretation (stellvertretend für andere István BEJCZY La lettre du
Prêtre Jean, une utopie médiévale. Paris, 2001) zwar die genannte literarische
Grundlage hat, aber in der Funktion und damit willkürlichen Kreation nichts
anderes ist als eine utopische Gegenkonzeption der jeweiligen Autoren in ihrer
Zeit zu ihrer - abgelehnten und evtl. sogar bekämpften - Gegenwart, eine
Interpretation, die natürlich Versuche, von konkreten Details der Beschreibung
auf die historisch-geographische Verortung der Legende in der Geschichte zu
schließen, fragwürdig macht.
Die Festlegung auf Äthiopien entsprach nicht nur zeitgenössischen beiderseitigen
Bestrebungen der Kontaktaufnahme zwischen dem christlichen Reich im Horn
von Afrika und christlichen Staaten des Mittelmeers, Katalonien allen voran,
sondern fügte sich in die damals beginnende, von langer Hand geplante
Indienunternehmung Portugals ein. Blieben die Kontakt- und Allianzversuche zu
Katalonien, zumeist über muslimische ägyptische Kaufleute nur Episoden, mit
"geringem Handelsvolumen", wohl aber einem Hochverratsprozeß gegen einen
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solchen Kaufmann, Tabrizi, in Kairo, so führte ein Briefwechsel der äthiopischen
Kaiserin Elleni, dann des Kaisers Lebna-Dengel zu einer Gesandtschaftsreise
eines äthiopischen Hofklerikers nach Portugal, in deren Gefolge eine
portugiesische Mission nach Äthiopien (über Indien) aufbrach. Die berühmte
Carta das novas que vieram a el Rey Nosso Senhor do desobrimento do Preste
Joham (Lisboa, 1521) markiert auf der einen Seite das erfolgreiche Ende der
Suche nach dem Reich des Priesters Jouhannes. Verschiedene Elemente der
äthiopischen Geschichte und Verhältnisse ließen sich zwanglos in die
bestehenden Nachrichten einordnen und umdeuten, angefangen von einer rein
zufälligen Lautgleichung äthop. jan ist Anrede der Majestät (etwa "Sire") bis hin
zu der Tatsache, daß´es in Äthiopien im 13. Jhdt. tatsächlich Könige gab, die
zugleich Priester waren (und später Heilige wurden). Auf der anderen Seite trifft
der Mythos auf die - unausweichlich enttäuschende - Wirklichkeit, deren Gipfel
in der Umkehrung der ursprünglichen Hoffnung liegt: es ist Portugal, das dem
von einer muslimischen Invasion bedrängten Äthiopien zu Hilfe eilen muß.
Zum Punkt Orientalismus sei angemerkt, daß der Priester Johannes im
wesentlichen eine westliche Angelegenheit, wenn nicht ganz Erfindung war;
somit ist der Mythos hervorragend geeignet, exemplarisch Herangehensweisen,
Denkfiguren, Vorstellungen und Sehnsüchte im Okzident zu exemplifizieren, die
in manchem bis heute fortwirken. Dies sei freilich nicht ohne die anti-
postmodernistische, bewußt positivistische Note gesagt, daß in den Dokumenten
eine Fülle konkreter Informationen steckt, die wie immer deutbare Erfindung
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letztlich mit positive, positivistische Forschung mit all der begleitenden
Erweiterung von Wissen und Weltbild ausgelöst hat.
Das Kolloquium behandelte an drei Tagen unter den Hauptthemen Mythologies es
Historiographie - Les Terres du Prêtre Jean - Modèles et Périphéries mit
Vorträgen und sehr regen Diskussionen den Themenbereich; die begonnene
Arbeit soll mit einer Serie von Seminaren am Colège de France im kommenden
Frühjahr in Paris fortgesetzt werden. Es ist zu wünschen, daß die Akten des
Damaszener Treffens bald veröffentlicht werden.
Während der Mitarbeit beim Kolloquium und den Vorbereitungen dazu fiel mir
ein merkwürdiges Faktum auf: die einzigen Erklärungen, die beiden Teilen des
Namens und Titels gerecht werden und gleichzeitig unzweideutig festlegen, daß
die italienische Form Preste Gianni die Ausgangsform sein muß, wurden wohl
seit Assemani (1728 n.Chr.) vergessen oder verdrängt. Bis in die jüngsten Studien
hinein wird immer nur der Versuch gemacht, "Johannes" o.ä. zu deuten - z.B. aus
Khan und dem schon angeführten äthiopischen, wobei Khan mit (hebr.) kahen oft
noch eine Doppelrolle übernehmen muß. Gleich ob mündlich oder schriftlich
über liefert, bietet doch nur das Persische mit den beiden möglichen Wortwurzeln
parastan "verehren, anbeten" oder ferestan "schicken" sowohl beide Bestandteile
umfassende, lautlich plausible und inhaltlich akzeptable Erklärungen:
etwa: ferestegani (gleichbedeutend arab. - und damit muslim. - rasuli)
"apostolicus" oder parastar khan (vielleicht parallel zu arab. amir al-mu'minin
oder 'ibad) "Herrscher der Gottesdiener". Ich hoffe in Bälde eine Studie, die an
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den abgerissenen bibliographischen Erklärungsstrang anknüpft, vorlegen zu
können. Als Illustration dazu die betreffenden Stellen aus Hiob Ludolfs Ad suam
Historiam Aethiopicam antehac editam Commentarius (Frankfurt 1691) und
Joseph Simon Assemani Bibliotheca Orientalis Clementina Vaticana. III,2: De
Syris Nestorianis. Roma, 1728.
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