Datum
Thema
Sprecher
Reduktion von Fixierung
25.04.23
Prof. Dr. habil Thomas Klie, Evangelischen Hochschule Freiburg Rechtsanwalt
Eine würdevolle Pflege verträgt keine Freiheitseinschränkenden Maßnahmen
Redu Fix Praxis | Reduktion von Fixierung
1. Zugang zum Thema: Menschenwürde
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Johann Christoph Friedrich von Schiller(1759 – 1805)
Nicht mehr davon,Ich bitt Euch.Zu essen gebt ihm und ein Dach – Habt Ihr die Blöße erst bedecktDann ergibt sich die Würde von selbst
Menschenwürde
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Im Grund genommen beginnt die ganze feinfühlige, die Menschenwürde achtende Auseinandersetzung mit dem anderen damit, dass wir ihm einen fundamentalen Respekt entgegenbringen
Richard Sennett
Würde und Respekt
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Die zwei Seiten der Würde
Privatheit– Mein Leben
leben dürfen– Bei mir sein
können– Respekt vor
meinen Grenzen erleben
– Abwehr von Übergriffen, auch fürsorglichen
– Nicht Objekt werden
– Nicht gläsern sein
– Geheimnisse haben dürfen
Zugehörigkeit– Sich als Teil der
für einen relevanten Gesellschaft / Gemeinschaft erleben
– Wertschätzung in sozialer Interaktion erfahren
– Bedeutsam sein
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Menschenwürde und soziale Beziehung
Würde ist kein Zustand, sondern eine soziale Beziehung, die nicht das leiseste Schwanken im Gleichgewicht zwischen Selbstachtung und der durch die anderen erfahrenen Bestätigung zulässt (Le Breton 2003)
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2. Menschenwürdige Pflege
Sicherheit– Essentielle Bedürfnisse– Vor Bedrohung, Schaden, Schmerz
Kontinuität– Persönliche Biographie– Konsistente Unterstützung
Zugehörigkeit– Bildung/ Aufrechterhaltung
bedeutsamer BeziehungenBedeutsamkeit
– Anerkennung und Wertschätzung der Person
Entscheidungen– Über Entscheidungsspielräume
verfügen– Ziele. Etwas erreichen können
Menschenrechte _ Wahrung fundamentaler
Freiheitsrechte
Nolan u.a. 2001
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3. Freiheitsentziehende Maßnahmen
Segufix® Kompakt -Produktinfo 2008
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Ein Thema von zunehmender Bedeutung
> Prognose:– Bis zum Jahre 2050 nimmt die Zahl Demenzkranker
um 144 % zu– Oberschenkelhalsfrakturen um 125 % (Fritz Beske
Institut 2009)
> Politische und rechtliche Bedeutung:– Recht auf persönliche Freiheit und Teilhabe zentraler
Schutzauftrag– Massengeschäft für Betreuungsgerichte– Verdeckt: häusliche Betreuung und FEM– Behindertenrechtskonvention
> Wissensbestände:– Belastung– Risiken– „Alternativen“– Hilfsmittel – Kooperation
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International Pflegeheim: 12 – 49 % (The Joanna Briggs Institute 2002,
Hamers et al. 2004)
Akutkrankenhaus: 3 – 25 % (The Joanna Briggs Institute 2002)
Stationäre Geriatrie: 24% (Karlsson et al. 1998)
Deutschland Pflegeheim: 26 – 42% 5-10% „körpernahe“ Fixierungen
(Klie&Pfundstein 2002; Becker et al. 2003, Meyer&Köpke 2008)
Stationäre Gerontopsychiatrie: 21-25 % (Hirsch et al. 1992, Kranzhoff et Hirsch 1997)
30% (Inzidenz) (Bredthauer et al. 2005)
Wie häufig sind FeM?
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Köpke S, Meyer G: Pflegezeitschrift 10/2008
Grosse Unterschiede in den Einrichtungen !
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auch ambulant ein Thema:Formen von FeM in 2008/2009
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FFMBHS
Anmerkungen: Basis: n = 104 bis 109 / 282 bis 289. Ausgewiesen sind die Angaben zur Kategorie "Ja, das habe ich beobachtet / Kenntnis erlangt". Nein-Kategorien sind redundant.
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Gründe für FeM
Patientenorientierte Gründe: DemenzStürze, Verhalten
Behandlungsorientierte Gründe: Medizinische/ Pflege- Maßnahmen (z.B. Katheter, Sonde)
Sozialorientierte Gründe: Konfliktvermeidung
Personal- und organisations- Personalschlüssel, Recht, Arbeitsabläufeorientierte Gründe:
Einstellungen, Haltungen
Bredthauer 2002; DeSantis et al. 1997; Evans 2002; Hantikainen et al. 2001; Hamers & Huizing 2005; Haut et al. 2004 (Review); Kirkevold et al. 2004;Klie et al. 2004; Mammun et al., 2005; Moore et al. 2007; Werner et al. 2002;Haut et al. 2007
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1. Fixierte Menschen: Stürze ↔ (↑)Ernsthafte sturzbedingte Verletzungen ↑Verhaltensauffälligkeiten ↑
2. Verzicht auf Fixierung: (durch Interventions- Stürze ↔↑
programme): Sturzbedingtes Verletzungsrisiko ↔ ↓Verhaltensauffälligkeiten ↔↓Psychopharmaka ↔↓Personalschlüssel ↔
1. Keine Studie weltweit zeigt positiven Effekt von Fixierungen !
2. Daten über negative Folgen (Verletzungen, Stress) sind dagegen alarmierend
Evans et al. 2002; Joanna Briggs Systematic ReviewSailas & Fenton 2000; Cochrane Systematic ReviewCapezuti et al. 2007, Evans et al. 1997. Testad et al 2005, ReduFix 2006, Healey 2007
„State of the Art“
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Sturzbedingte VerletzungsgefahrFordernde Verhaltensweisen
Fixierung
Direkte Verletzungen, Tod, Psychischer Stress, Indirekte Schäden: Mobilität ↓ Verhaltensauffälligkeiten ↑
Psychopharmaka werden gegeben bzw.
erhöht
Sturzgefährdung↑ Nahrungs-,Flüssigkeitsaufnahme ↓ Kontrakturen, Dekubitus, Pneumonie
Allgemeinzustand ↓ Lebensqualität ↓Tod
Angehörige, Personal: Schuldgefühle ↑ Arbeitszufriedenheit ↓„Burn-Out“
FeM: Risiken und Nebenwirkungen
Evans 2002 (Systematic Review, Joanna Briggs Insitute Australia) Berzlanovich 2007, Parker 1997, Pedal 1996, Mohsenian et al 2002; www.bfarm.de/ (Suchmaske: „Fixierungen“)
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Hilfsmittel / Technik
Raum/ Umgebung
Pflegende / Organisation
Person mit Demenz und
Sturzgefährdung/ fordernden
Verhaltensweisen
Trotz grösstenteils nur schwacher oder fehlender Evidenz für Einzelinterventionen!!
Alternative Interventionen (risikospezifisch, individuell)
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1. Vor dem Einsatz müssen alle Alternativen ausgeschöpft sein
2. Der potentielle Nutzen muss höher sein als der mögliche Schaden3. Die minimalste Variante sollte eingesetzt werden4. Der Einsatz sollte kurzfristig erfolgen5. Die Notwendigkeit der Maßnahmen muss regelmäßig überprüft
werden6. Eine institutionseigene Richtlinie sollte vorhanden sein7. Die Anwendung muss fachkundig erfolgen8. Ein kontinuierliche Beobachtung der fixierten Bewohner ist notwendig9. Alle Mitarbeiter müssen in deren korrekten Gebrauch geschult sein
nach Evans 2002, Joanna Briggs Institute
Internationale Empfehlungen
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4. Fixierung und Menschenwürde
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Gegensatz Freiheit - Sicherheit: das Dilemma?
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Freiheit durch Fürsorge
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Rechtliche Gemengelage
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4. Hilft Recht, Fixierungen zu vermeiden?
Kultur: Gesellschaft macht sich gesetzliche Wertungen zu eigenBeispiel England: lazy nursing
Professionen: maßgebliche Berufsgruppen (Pflege, Medizin, Soziale Arbeit) integrieren rechtliche Wertungen in ihre Haltungen , Vorgehensweisen und StandardsBeispiel: Wissenschaftlich / thearetisch: ja
Management: Träger und Einrichtungen nehmen gesetzliche Wertungen als verbindliche Maßgabe für ihr ( Qualitäts-) Management auf.Beispiel: Hamburg, Bonn
Betreuer: üben ihre Tätigkeit konsequent advokatorisch ausBeispiel: Sachsen Anhalt?
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Rechtliche und fachliche Anliegen: kein Widerspruch
Rechtliche Vorgaben
Verfassungsrechtliche Vorgaben: Freiheit der Person, rechtsstaatlicher Schutz, Rechtsschutz
Betreuungsrechtliche Vorgaben: Absenkung von Fixierungsraten durch Legitimationsverfahren
Heimrechtliche Vorgaben: Schutz der Interessen und Bedürfnisse vor Beeinträchtigungen, Dokumentationspflicht
Sozialrechtliche Vorgaben: Qualitätsmaßstab Selbstbestimmung, Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse („Expertenstandards“)
Fachliche Vorgaben
Schutz und Förderung der Mobilität „State of the Art“ Individuelle Assessments und Hilfeplanung Konzeptionelle Aussichtung auf die Sicherung der Selbstbestimmung
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Rechtliche Kategorien von freiheitsentziehenden Maßnahmen (FEM)/bewegungseinschränkenden Maßnahmen (BEM)
Freiheitseinschränkende Maßnahmen = Jeder Eingriff in die Fortbewegungsfreiheit (Art. 2 II GG)
Freiheitsentziehende Maßnahmen (Art. 104 GG)= Ausschluss der körperlichen Bewegungsfreiheit
unerheblich: Motiva tion, es reicht aus: potentieller Gebrauch
Unterbringungs-ähnliche Maßnahmen
§1906 Abs. 4 BGB
Unterbringung
§1906 Abs. 1 BGB
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FreiheitsbeschränkendeMaßnahmen
= Eingriff in die Bewegungs- freiheit von geringer Intensität und /oder Dauer
Freiheitsberaubung = wenn ein Mensch eingesperrt oder auf andere Weise des Gebrauchs seiner persönlichen (Bewegungs-)Freiheit beraubt wird (§ 239 StGB)
Liegt nicht vor: EinwilligungGerechtfertigt: Notstand
Liegt nicht vor: EinwilligungGerechtfertigt: Entscheidung des Betreuers und gericht. Beschluss
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Rechtsschutz durch Verfahren
Luhmann: LegitimationsbeschaffungQualitätssicherung: ReflexionsschleifenSupervision: anderes Setting für an Menschenrechten orientierte Entscheidungsfindung
Gefahren:MassengeschäftRitualkollusives Zusammenwirkensinkende Zustimmungzu hoher AufwandAblenken von
Fachverantwortung
Werdenfelser Weg:• reagiert auf unbefriedigende fachliche und Rechtspraxis• Nutzt Verfahrensrecht• neues Bündnis / neue
Kooperation zwischen Justiz und Fachpflege
In Hamburg:“ironische Konstellation”:
• Wesentlich für Einführung des § 1906• Ort von Alliancen zur
Vermeidung von FEM• Gute Kooperationskultur
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Industrie: Produktentwicklung
Reduzierung Freiheitsentziehender
Maßnahmen
Gesetzgebung und Rechtsprechungz.B.: BGH Rechtssprechung, Werdenfelser Weg
Träger: Qualitätsmanagementansätze
Medien: Wettbewerbe & Kampagnen
Bildungssektor: Schulung und Qualifikation
Internationale OrganisationenElder abuse Awarenessday
Professionen und Wissenschaft:Qualitätsstandards und Leitlinien
Konzertierte Bemühungen
Forschung: national und international
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Kampagne RedufixDie Partner: Deutsche Alzheimer Gesellschaft, Aktion Demenz, BAGSO, KDA , BGT
“Eure Sorge fesselt mich”
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KampagneSensibilisierung für eine vernachlässigte Wirklichkeit
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Zwischen Freiheit und Risiko
> Es geht um die Minimierung und Verantwortung von Risiken– Riskmanagement
> Es geht um die Gestaltung individueller Freiheitsräume– Unterstützung bei der Lebensgestaltung und
Bewältigung> Es geht um einen professionellen Umgang mit den Spannungsverhältnissen in der
Begleitung von Menschen mit Demenz– Multiprofessionell
> Es geht um die gemeinsame Verantwortung von Bewohnerinnen, Angehörigen, Betreuer, Ärzten, Pflegekräften, Therapeuten
– Aushandlungsorientierung> Es geht um die Realisierung von Rechten und die Vermittlung von Lebensqualität
– Ernstnahme rechtlicher Institutionen> Es geht um andere Bilder von einem Leben mit Demenz und Hilfeabhängigkeit
– Altersbilder– Abschied von der Aufpasserrolle
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Commitment: Freiburger Erklärung
1. Wir stellen die Menschenwürde und die Lebensqualität auf Pflege angewiesener Menschen in den Mittelpunkt unseres gemeinsamen Handelns. Fixierungsmaßnahmen tangieren beides.
2. Wir fördern wo möglich die Selbstständigkeit und Mobilität von Bewohnerinnen und Bewohnern von Pflegeheimen. Wir wissen, dass der Erhalt der Mobilität ist die wichtigste Voraussetzung dafür ist, Sturzgefahren vorzubeugen. Fixierungen, die mit Sturzgefahren begründet werden entbehren in aller Regel einer fachlichen Berechtigung. Es stehen ausreichend Vorsorgemaßnahmen und Alternativen zur Fixierung zur Verfügung.
3. Wir verwenden Freiheitsentziehende Maßnahmen nur als ultimatio ratio, als letzte Behandlungsmethode bei dokumentierter erheblicher Selbst- oder Fremdgefährdung. Wir sehen sie als ungeeignet Maßnahme zur Behandlung von Verhaltensauffälligkeiten.
4. Wenn wir Freiheitsentziehende Maßnahmen ergreifen und mitverantworten, werden wir sie nur dann und dort einsetzen, wenn und wo alle maßgeblichen ethischen, fachlichen und rechtlichen Gesichtspunkte beachtet und gegeneinander abgewogen wurden. Wir dokumentieren dies und verpflichten uns, unsere Entscheidungen in kurzen Abständen immer wieder zu überprüfen.
5. Wir berücksichtigen bei unseren Entscheidungen die aktuellen Wissensbestände, die für eine menschwürdige und fachlich fundierte Begleitung maßgeblich sind und bilden uns entsprechend fort.
6. Wir sehen die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit aller entscheidungsrelevanten Akteure - der Betroffenen, ihrer Angehörigen, den Bevollmächtigten und Betreuern, Pflegekräften, Ärzten, Therapeuten, Gerichten. Wir verpflichten uns zur Zusammenarbeit, um eine für den Betroffenen Entscheidung zu treffen, die ihnen gerecht wird.
7. Für unseren Alltag orientieren wir uns an transparenten und verbindlichen Leitlinien für unser Handeln. Sie machen ein abgestimmtes Vorgehen möglich und geben Handlungssicherheit im Alltag.
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Nicht nur eine Rechtsfrage
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Danke für die Aufmerksamkeit