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Walter Mischel, Professor für Psychologie in Harvard, Stanford und an der

Columbia-Universität in New York, interessierte sich in den späten

1960er- und frühen 1970er-Jahren für die Frage, ob Kinder im Vorschulalter

und frühen Schulalter fähig sind, auf Belohnungen zu warten. Dazu

führte er eine große Serie von experimentellen Studien durch, die heute

als «Marshmallow-Experimente» berühmt sind. Haben diese Experimente

und deren Ergebnisse eine Bedeutung für Unternehmen? Der folgende

Beitrag sagt: «Ja!»

IneinemtypischenMarshmallow-ExperimentwurdenKinderimAltervonvierbis

sechsJahrenmitfolgenderEntscheidungssituationkonfrontiert:VordemKindlagauf

einemTischeinMarshmallow(dassüß-klebrigeZeug,dasKindersehrgerneessen).

DerVersuchsleiterteiltedemKindmit,dasserfüreineandereAufgabedenRaum

verlassenmüsse.SolltedasKinddasMarshmallowessenwollen,dannsolleesmit

einerKlingelnachdemVersuchsleiterklingeln.DerVersuchsleiterkämedannsofort

zurückunddasKindkönntedasMarshmallowessen.SolltederVersuchsleiteraber

zurückkommen,bevordasKindklingelt,dannwürdedasKindvomVersuchsleiter

nocheinzweitesMarshmallowbekommen.

WalterMischelwolltemitdieserVersuchsanordnungprüfen,inwelchemAlter

Kinderlernen,dieZukunftinihreHandlungeneinzukalkulierenundaufeineerstre-

benswerteBelohnunginderZukunftzuwarten.LetztlichistdasdieFrage,wann

KinderStrategienfüreinindieZukunftgerichtetesHandelnentwickelnkönnen,was

eineGrundvoraussetzungfürGeduldist.EinsolchesHandelnsetztSelbstkontrolle

undWillenskraftvoraus.WeilSelbstkontrolleundWillenskraftaberansichschwerzu

messensind,suchteMischelnacheinerAufgabe,indereinNäherungsmaßdafür

gefundenwerdenkonnte.DasMarshmallow-Experimentermöglichteeinsolches

Maß,nämlichdenZeitraum,deneinKindwartenkonnte,bevoresdieKlingel

betätigte,umdasersteMarshmallowzuessen.DieunterschiedlichenWartezeiten

wurdenvonMischelalsMaßfürGeduldundSelbstkontrolleinterpretiert.

NachfolgeuntersuchungenmitdenselbenKindernmehrereJahreundteilweise

JahrzehntespäterbrachtendanneinenZusammenhangzwischendemVerhalteneines

KindesimMarshmallow-Experiment(undanderenAufgaben,beidenenGeduld

undAusdauergemessenwurden)undseinerEntwicklungimJugend-undErwachse-

nenalteransLicht.Eszeigtesich,dassdasAusmaßanGeduldundSelbstkontrolle

inderKindheiteinebemerkenswerteVorhersagekraftfürdenweiterenLebensweg

DasMarshmallow-Experiment

Eszeigtesich,dassdasAusmaßanGeduld

undSelbstkontrolleinderKindheiteinebemerkens-

werteVorhersagekraftfürdenweiteren

Lebensweghat.

Geduld, Verlässlichkeit und Erfolg (im Unternehmen)VonMatthiasSutter

Kurzfristiger Verzicht, langfristiger Erfolg

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hat.DemnachtreffenaufKinder,dieimAltervonvieroderfünfJahrengeduldig

aufeinegrößereBelohnung(wieeinzweitesMarshmallow)wartenkönnen,anstatt

einekleinereBelohnungsofortzunehmen,imErwachsenenalterimDurchschnitt

folgendeAussagenzu:

• SiesindbesserausgebildetaufgrundbessererNoteninderSchuleundeinem

längerenDurchhaltevermögeninlangjährigenAusbildungsprogrammen.

Die besserenNotenbeziehensichauchaufdieVerhaltensnoteinderSchule,die

auchalsguterIndikatorfürVerlässlichkeitundDisziplinamArbeitsplatzgilt.

• SiehabenbessereBerufschancenunddamiteinhöheresEinkommen,wassie

seltenerinfinanzielleSchwierigkeitenbringt.

• SiefindenimFallevonArbeitslosigkeitschnellerwiedereineArbeitsstelle.

• SiekommenalsErwachsenemitgeringererWahrscheinlichkeitmitdemGesetz

inKonflikt.

• SieleidenseltenerunterSuchtverhaltenwieSpielsucht,Alkoholismusoder

Drogenabhängigkeit.

• SiehabenallgemeineinenbesserenGesundheitszustand.

NatürlichtreffendieseAussagennichtnotwendigerweiseinjedemeinzelnenFallzu,

sonderneshandeltsichhierumAussagen,obeinebestimmteEigenschaftoderein

bestimmtesVerhaltenimErwachsenenaltermehroderwenigerwahrscheinlich

anzutreffenist,wenneinMenschalsKindgeduldigwartenkonnte.Selbstverständlich

sindnebenderGeduldnochandereFaktoren,wiedieIntelligenzoderderfamiliäre

Hintergrund,fürdenLebenswegeinesMenschenundeineguteEntwicklungsehr

bedeutsam.JedochspieltGeduldeineerstaunlichgroßeRolle,undsiekannIntel-

ligenzoderungünstigefamiliäreRahmenbedingungenteilweiseersetzen.

DieFähigkeit,geduldigwartenbzw.ausdauerndaufeinZielinderZukunfthinarbei-

tenzukönnen,wirdwesentlichbeeinflusstvonderVerlässlichkeitderUmgebungdas

giltfürdiefamiliäreUmgebungebensowiefürdasUmfeldineinemUnternehmen.

PsychologischeStudienzeigen,dassKinderwenigerzukunftsorientierteEntscheidun-

gentreffen,wennsichwichtigeBezugspersonenalsunzuverlässigerwiesenhaben.

Dasliegtdaran,dasszukunftsorientierteEntscheidungen–etwaaufeinegrößere

BelohnunginderZukunfthinzuarbeiten,anstatteinekleinereBelohnungsofortzu

nehmen–dieVoraussetzungbrauchen,dassdasZielinderZukunfterreichtwerden

kannunddasssichdieBezugspersonenanVersprechenhaltenwerden.Dasgiltnicht

nurinFamilien,sondernauchinUnternehmen.

InvielenFällenistesfürdennachhaltigenErfolgeinesUnternehmensnotwendig,

dassdieMitarbeiterAnreizezurVerfolgunglangfristigerZielehaben,beispielsweise

beiderEntwicklungeinesneuenProdukts.SolcheAnreizebestehennormalerweise

inBelohnungen,zumBeispielinFormvonBeförderungen,Gehalts-

erhöhungen,BonuszahlungenoderAuszeichnungennachErreichungdeslangfristi-

genZiels.EswärefüreinUnternehmenfatal,nachderangestrebtenZielerreichung

diegegebenenVersprechennichteinzuhalten.EinesolcheEnttäuschungwürde

einerseitsdieMotivationderMitarbeiterstarknegativbeeinflussen.Andererseits

würdeeseinemUnternehmeninderZukunftsehrschwerfallen,langfristigeZiele

durchdasSetzenvonAnreizenzuerreichen.WenndieGlaubwürdigkeiteinesUnter-

nehmensersteinmalerschüttertist,istderAufwandgroß,dasVertrauendarauf

wiederherzustellen,dasssichdieArbeitanlangfristigenZielen,dasssichGeduld

auszahlt.

DieFähigkeit,geduldigwartenbzw.ausdauernd

aufeinZielinderZukunfthinarbeitenzukönnen,

wirdwesentlichbeeinflusstvonderVerlässlichkeit

derUmgebung.

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Univ.-Prof.Dr.MatthiasSutter,geboren1968inHard,Vorarlberg,istProfessorfürAngewandteÖkonomie

amEuropeanUniversityInstituteinFlorenzundProfessorfürexperimentelleWirtschaftsforschungan

derUniversitätInnsbruck.EristeinerderproduktivstenExperimental-ÖkonomenseinerGeneration.Seine

ForschungsschwerpunktebetreffenTeamentscheidungen,dieAuswirkungenvonGeduldunddieEnt-

wicklungvonökonomischemEntscheidungsverhalteninderKindheitundJugend.NachseinerHabilitation

inVolkswirtschaftslehreforschteerunteranderemamMaxPlanckInstitutfürÖkonomikinJenaundan

derUniversitätGöteborg.DerzeitisterauchMitgliedderInternationalFacultyderUniversitätzuKöln.

MatthiasSutteristverheiratetundVaterzweierTöchter.

[email protected]

EinpersischesSprichwortsagt:«GeduldisteinBaummitbitterenWurzeln,der

süßeFrüchteträgt.»WartenzukönnenundausdauerndeingrößeresZiel(etwa

einegrößereBelohnung)inderZukunftanzustreben,bedeutetzuallererst

(bitteren)VerzichtaufdieschnelleBefriedigung(mittelseinerkleinerenBelohnung).

Nurdarauskannderlangfristige(süße)Erfolgerwachsen.

GeduldisteinBaummitbitterenWurzeln,der

süßeFrüchteträgt.

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