REENCUENTROS CON LA LITERATURA EN LENGUA ALEMANA
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LITERATURA HÍBRIDA. REFLEXIONES SOBRE
DE BIRGIT WEYHE
Hybride Literatur. Reflexionen über von Birgit Weyhe
Annekathrin Schäfer
Facultad de Lenguas
Universidad Nacional de Córdoba
Resumen
La hibridez es un término proveniente de la biología que originalmente describe mezclas, hermafroditas o combinaciones de diferentes partes. Desde el siglo XX se aplica a fenómenos culturales. Se refiere entonces a personas que se encuentran en dos o más espacios culturales y por lo tanto en una situación de contradicciones. Es esta situación que representa el potencial para una innovación cultural. Una reflexión sobre Madgermanes de Birgit Weyhe (*1969) bajo ese aspecto es especialmente fructífero. Ahí lo híbrido se encuentra tanto en los lenguajes artísticos que elige la autora, como en las
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vivencias de los personajes de la novela, como también en la biografía de la autora misma que se entrelaza con la obra y forma parte de la misma. El hecho de que Weyhe se cría en Kenia y Uganda se refleja en el lenguaje pictográfico de la novela que crea una relación entre el continente europeo y el continente africano. Pero también la coexistencia de palabra e imagen corresponde al sentimiento de encontrarse en un estado “entre”. La relación imagen-texto representa más que una cuestión técnica un espacio de antagonismos culturales, políticos y sociales. En ese espacio se genera un encuentro entre los personajes ficticios de la novela que relatan la historia de los trabajadores de la Republica de Mozambique que contrató la ex RDA entre 1979 y 1988. Veremos que con el lenguaje artístico hibrido la autora logra una reflexión sobre Heimat y pertenencia particularmente profunda e intensa que incluye su propia biografía, la de los personajes mozambiqueñas y la pertenencia al género literario para expresar ciertos contenidos y/o al lenguaje pictórico para resumir sensaciones, dolores o metáforas de una manera muy intensa.
Palabras clave: Literatura alemana contemporánea; novela gráfica; hibridez; cruces de géneros; literatura y arte.
Zusammenfassung
Hybridität ist ein Begriff, der ursprünglich aus der Biologie stammt und „Gemischtes“, „Zwitterhaftes“ und aus „Verschiedenem zusammengesetztes“ beschreibt. Seit dem 20. Jahrhundert aber wird er im Hinblick auf kulturelle Phänomene verwendet. Hier bezieht er sich auf Akteure, die aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu zwei oder mehr kulturellen Standorten in eine Situation des Widerspruchs
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geraten. Diese Situation bildet das Potential für kulturelle Innovation und Wandel. Eine Reflexion über Madgermanes von Birgit Weyhe (*1969) unter diesem Aspekt erscheint uns besonders fruchtbar. Hier findet sich das Hybride sowohl in der künstlerischen Sprache, die die Autorin wählt, wie in den Lebensumständen der Romanfiguren, als auch im Lebenslauf der Autorin selbst, der sich mit dem Werk verknüpft und Teil dessen wird. Die Tatsache, dass Weyhe in Kenia und Uganda aufwächst, spiegelt sich in der Bildsprache der Graphic Novel wider, die eine Verbindung zwischen dem afrikanischen und europäischen Kontinent kreiert. Aber auch die Koexistenz von Wort und Bild bezieht sich auf das Gefühl eines Zustands des „dazwischen“. Mehr als eine rein technische Frage stellt die Bild-Text-Beziehung in diesem Werk einen Raum kultureller, politischer und sozialer Antagonismen dar. In diesem vollzieht sich ein Zusammentreffen der Romanfiguren, welches von der Geschichte der mosambikanischen Vertragsarbeiter erzählt, die die ehemalige DDR zwischen 1979 und 1988 anstellte. Es wird deutlich, dass die Autorin durch ihre spezifische künstlerische Sprache eine besonders tiefgründige und intensive Reflexion über die Themen Heimat und Zugehörigkeit erreicht, die sowohl ihre eigene Biografie einschliesst, die der mosambikanischen Vertragsarbeiter als auch die Zugehörigkeit zur literaturischen Sprache, um bestimmte Inhalte auszudrücken bzw. der Bildsprache, um Empfindungen, Schmerzen oder Metaphern auf sehr intensive Weise zu verdeutlichen.
Schlüsselwörter: Zeitgenössische deutsche Literatur; Graphic Novel; Hybridität; Überschreitung von Gattungsgrenzen; Literatur und Kunst.
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Hybridität ist ein Begriff, der seinen Ursprung in der Biologie
und der Botanik hat. Hier meint er „Gemischtes“,
„Zwitterhaftes“ und „aus Verschiedenem
zusammengesetztes“. Seit dem 20. Jahrhundert aber wird er
im Hinblick auf kulturelle Phänomene verwendet und stellt ein
Sinnbild für Subversion, Kreativität und Innovation dar. Er
bezieht sich auf Akteure, die aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu
zwei oder mehreren kulturellen Standorten in eine Situation
des Widerspruchs geraten. Diese Situation bildet das Potential
für kulturelle Innovation und Wandel (Canan, 2015: 51 und 71).
Eine Reflexion über Madgermanes von Birgit Weyhe unter
diesem Aspekt erscheint uns besonders fruchtbar.
Birgit Weyhe, geboren 1969 in München, arbeitet als freie
Illustratorin und Comic-Zeichnerin. Ihre Kindheit verbrachte sie
in Uganda und Kenia. 1997 schloss sie in Hamburg ihr Studium
der Literatur und Geschichte ab, 2002 ihr Studium der
Illustration mit einem Diplom zu autobiographischem Erzählen
im Comic. Was Weyhe besonders interessant für unseren
Kontext macht, ist der Umstand, dass ihre Werke in
Südamerika eine große Resonanz finden. Mehrere
Arbeitsaufenthalte in Argentinien, Brasilien und Uruguay
bestätigen dies: 2011 und 2013 Workshops für das Goethe
Institut in Córdoba/ Argentinien und Montevideo/ Uruguay,
2012 eine Artist in Residence in Sao Paulo/ Brasilien, 2013 die
Teilnahme an einer Ausstellung des Museo Genaro Perez in
Córdoba/ Argentinien (Weyhe, 2018). Birgit Weyhes Graphic
Novel Madgermanes erzählt die Geschichte dreier
Vertragsarbeiter aus Mosambik, die in den 1980er Jahren in
die ehemalige DDR kommen. Die Geschichte beruht auf der
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Tatsache, dass die DDR zwischen 1979 und 1990
Staatsverträge mit anderen kommunistischen Verbündeten,
wie z.B. Vietnam, Angola oder Mosambik, abschloss, um
Gastarbeiter zu bekommen. Im Fall Mosambiks wurden die
Arbeitskräfte in der DDR, je nach Arbeitskräftemangel, als
Fleischer, Schlosser, Mechaniker oder Textilfacharbeiter
eingesetzt. Die DDR zahlte den Arbeitern ab 1986 nur 40%
ihres Lohns aus, der Rest wurde an die mosambikanische
Regierung gezahlt und sollte den Arbeitern nach ihrer
Rückkehr ausgezahlt werden. Die Tatsache, dass dies nie in
seiner Gänze geschah, lässt vermuten, dass das afrikanische
„Bruderland“, die gezahlten Devisen nutzte, um die
Lieferungen von Lastwagen, Baumaschinen und
Pharmazeutika von Seiten der DDR zu zahlen. Heute gelten die
Madgermanes, wie sich die Rückkehrer in Mosambik nun
nennen, als Unruhestifter, da sie ihr Recht einfordern und jede
Woche in Maputo demonstrieren (vgl. Myburgh, 2010;
Grunkowski, 2005). Weyhe kreiert die drei Figuren Anabella,
Basilio und Jose, anhand derer sie verschiedene Arten mit den
Umständen des Vertragsarbeiterdaseins umzugehen, aufzeigt.
Dabei kommt Anabella die Rolle der sich anpassenden
Afrikanerin zu, Basilio, die des Immigranten, der den
Fremdenblick des Gastlandes erfüllt und sich „authentisch“
afrikanisch verhält und José, die des die Realität Verklärenden.
Über die Graphic Novel, eine noch relativ junge
Literaturgattung, gibt es bisher wenig theoretische
Reflexionen. Einige Gedanken, die uns für unseren
Analyseversuch dienen, sollen im Folgenden kurz vorgestellt
werden. Zunächst ist festzustellen, dass das Wesen der
Graphic Novel der Austausch und das Miteinander zwischen
textualen und figuralen Werten ausmacht. Wort und Bild
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stellen die elementaren Einheiten der Graphic Novel dar. Im
Unterschied zu anderen Bildmedien, die ebenfalls als Zyklus
angelegt sind, wie beispielsweise Fresken, fällt bei der Graphic
Novel die Bedeutung des geschriebenen Wortes auf, die von
grundlegender Bedeutung für das Verständnis der Geschichte
ist. Die Graphic Novel erscheint desweiteren in Buchform,
wobei hier im Gegensatz zu einem Roman, die Buchseite eine
technische Einheit und eine ästhetische Referenz darstellt
(Groensteen, 2009: 130). Es handelt sich um eine Gattung, in
der in ganz besonderem Maße das Ideal der „formalen
Reinheit“ (Mitchell, 2009: 116) der verschiedenen
Kunstgattungen kritisiert wird. Dass Worte Bilder beinhalten,
beziehungsweise Bilder literarische Bedeutung besitzen
können, wird hier besonders thematisiert. Die Graphic Novel
besitzt eine ausgesprochen hybride Natur, in der das „Lesen“
bildlicher Elemente in den Vordergrund rückt. Sie ist weit
mehr als ein illustriertes Buch, denn hier folgt das Bild nicht
dem Text, sondern stellt eine eigene Sprache dar, die den Text
erweitert, ergänzt, vervollständigt. Weder Text, noch Bild
bilden ohne einander eine Sinneinheit. Sukzessivität,
Simultaneität und Lesen wird vor allem in Bezug auf die Bilder
erzeugt (Trebeß, 2006: 70). Mitchell (2009: 116) spitzt zu, dass
die Bild-Text-Beziehung nicht nur eine rein technische Frage
darstellt, sondern einen Ort des Konflikts bildet, an dem sich
politische und soziale Antagonismen ausspielen. In der Graphic
Novel muss man deshalb nach der Beziehung von Bild und
Wort fragen. Wie sind sie verbunden, überlagert oder
getrennt?
Vor allem in den Bildern der Graphic Novel finden wir
„textuelle“ Elemente: Worte, Klänge, Sinneseindrücke,
Narrativität oder allegorische Bedeutungen. Schon die
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Gattungsbezeichnung macht uns auf diese Besonderheit
aufmerksam. Sprach man bis zu den 70er Jahren des 20.
Jahrhunderts vor allem von Comics, vollzieht sich ab 1977 eine
Hinwendung zum Comic als erzählender Kunstform. Die
ursprünglich mehrteilig gezeichneten Bildsequenzen nähern
sich der literarischen Form des Romans an
(Burdorf/Fasbender/Moennighoff, 2007: 129). Auch
hinsichtlich der Perspektive zeigt sich die hybride Natur von
Weyhes Graphic Novel. Hier verschmilzt das Verständnis von
Perspektive der bildenden Kunst, die sie als zweidimensionale
Raumdarstellung versteht, mit der Vorstellung von Perspektive
in der Literatur, wo sie den Standort, von dem aus ein
Geschehen erzählt wird meint. Weyhes Geschichte ist nicht
nur eine zweidimensionale Raumdarstellung, da sie mit Bildern
arbeitet, sondern schildert das Geschehen außerdem aus drei
unterschiedlichen (literarischen) Perspekitven: S. 7-17 widmen
sich der Perspektive der Autorin, S. 19-95 der Perspektive
Josés, S. 97-161 der Basilios und S. 163-237 der Anabellas.
Die Bildsprache in Weyes Graphic Novel ist einerseits an der
europäischen Comic-Tradition angelehnt und weist eine klare
Linienführung auf (ligne claire, vgl. Bursdorf/
Fasbender/Moenninghoff, 2007: 129) andererseits bedient sie
sich der reichen Form- und Symbolsprache afrikanischer
Tradition, und ist somit auch in dieser Hinsicht hybrid. Diese
Verschränkung von Kulturelementen unterschiedlicher
Herkunft hat sich vor allem seit den 1990er Jahren in der
Graphic Novel ausgebildet (Trebeß, 2006: 69).
Beziehen wir das breite Bedeutungsfeld von Bild im Deutschen
ein (vgl. Trebeß, 2006: 63), ergibt sich eine sehr umfassende
Lesart von Weyes Graphic Novel. Im Deutschen spricht man
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von natürlichen Bildern in Bezug auf Schatten, Spiegelungen
oder Abdrücken. Weyhe nutzt diese beispielsweise, um den
Tod, das Fehlen einer Person im Leben anderer auf sehr
eindrücklicher Weise Ausdruck zu verleihen (vgl. Abbildung 1
bzw. Weyhe, 2016: 93).
Abbildung 1 Weyhe, 2016: 93.
Sie nutzt künstliche Bilder, wie Fotos, Reklameschilder,
Etiketten oder Briefmarken um große Zeiträume grafisch
komprimiert darzustellen, komplexe Veränderungen und
Entwicklungen zusammenzufassen oder vielfältige Eindrücke
auf einen Blick erfassbar zu machen (Weyhe, 2016: 137, 66 und
179). Innergeistige Bilder, wie Vorstellungen, Erinnerungen
oder Träume werden von Weyhe grafisch hervorgehoben.
Hierfür wendet sie sich von ihren typischen klaren Linien ab,
und findet zu einer Bildsprache, die durch grobe Pinselstriche,
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eine aquarellierte Optik und vereinfachte Formen
gekennzeichnet ist. Vor allem starker Schmerz (Weyhe, 2016:
202), Angst (Weyhe, 2016: 28) und Verlust und Trauer (vgl.
Abbildung 2 bzw. Weyhe, 2016: 211) bewirken durch diese
plötzliche Änderung der Bildsprache, den abrupten Wechsel
zwischen klaren Linien und verschwommenen Linien, eine
besondere Betroffenheit beim Leser. Durch den hergestellten
Kontrast wird die Unmittelbarkeit, Stärke und Härte dieser
Gefühle sehr intensiv dargestellt. Dadurch erreicht Weyhe auf
nur einer Buchseite und ganz ohne Worte eine Tiefe, die in
Worten unvergleichbar viel mehr Raum hätte einnehmen
müssen, um die gleiche Wirkung beim Leser zu erreichen.
Abbildung 2 Weyhe, 2016: 211.
Den Ausdruck völliger Aussichtslosigkeit erreicht die Autorin
an anderer Stelle durch die Auflösung der gezeichneten Gestalt
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der Figur. Die Linien zerfallen hier zunächst in unterbrochene
Linien, um sich schließlich in ihren kleinsten Einheiten, in
Punkten, aufzulösen (vgl. Abbildung 3 bzw. Weyhe, 2016: 198).
Sprache und Bild ziehen sich zurück, und machen Platz für
sprachliche Stille und bildliche Leere.
Abbildung 3 Weyhe, 2016: 198.
Desweiteren bedient sich Weyhe sprachlichen Bildern.
Metaphern oder Vergleiche drückt sie in zweifacher Weise aus:
sprachlich und bildlich. Hier greift sie vor allem auf eine
afrikanische Bilder- und Formenwelt zurück. Aufällig ist, dass
diese Bilder sehr aussagekräftig sind und meist mit intensiven
Gefühlen zusammenhängen. Die komplexe Frage nach „Was
ist Heimat?“ wir auf nur einer Buchseite thematisiert (Weyhe,
2016: 13). Dabei veranschaulichen eine Löwin und eine Brezel
jeweils die Zugehörigkeit zu zwei unterschiedlichen kulturellen
Kontexten. Beide sind miteinander verbunden: Die Löwin hält
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die Brezel im Maul. Das Gefühl sich kulturell und in Bezug auf
Heimat in einem „Raum des Dazwischen“ zu befinden,
synthetisiert Weyhe gekonnt. Das Medium Bild erweist sich als
aussageintensiver. Eine andere Metapher ist die eines
kratzenden und beißenden Raubtieres, um starken Schmerz zu
verdeutlichen. Hier wird das Gefühl sprachlich dargestellt, die
gewählte Metapher dagegen bildlich (Weyhe, 2016: 81). Die
Bilder Weyhes sind in der Lage, abstrakte Begriffe, Ideen oder
Vorstellungen mit Anschauung zu füllen. Sie machen das
Imaginäre sichtbar. Dazu steht Weyhe auch die Farbe zur
Verfügung. Sie ist nicht als rein ästhetisch zu begreifen,
sondern ist ebenso Träger von Bedeutungen. Die Graphic
Novel Weyhes ist in den Farbtönen braun, weiß und schwarz
gehalten. An der Stelle jedoch, an der die Figur Anabella einen
Zusammenbruch erlebt, nachdem sie vom Tod ihrer gesamten
Familie erfahren hat, setzt Weyhe bewußt einen Unterschied
in der Farbwahl, um den Schmerzen, dem Grauen und der
Trauer, die sie in den Dialogen sprachlich bearbeitet, mehr
Ausdruck zu verleihen. Der Nachricht über den Tod der Familie,
schließt sich eine Doppelseite an, die vollständig schwarz ist
(Weyhe, 2016: 194/195). Völlig ohne Worte erreicht Weyhe
hier eine maximale Wirkung. Dass sprichwörtlich, dass „Leben
an Farbe verlieren kann“, „Farbe dem Leben entweichen
kann“, erlebt der Leser auf den Folgeseiten nicht nur verbal,
sondern zusätzlich, und somit verstärkt, im Bild: Weyhe wählt
einen helleren Braunton, der dem Braunton des restlichen
Buches erst wieder weicht, als sich die Figur Anabella erholt
(Weyhe, 2016: 200/204). Unvergessliche Eindrücke hebt
Weyhe außerdem im Bezug auf die Bildgröße besonders
hervor. Die Graphic Novel präsentiert sich in den typischen
kleinen eingerahmten Bildsequenzen mit Text. Einigen
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wenigen Momenten aber, wird eine ganze Doppelseite
eingeräumt: dem ersten Eindruck von Kälte und ungekanntem
Schnee (Weyhe, 2016: 46/47), der Hässlichkeit von Tod,
Verlust, Schmerz (Weyhe, 2016: 196/197), der Tatsache, dass
die Wahlheimat die eigentliche Heimat nicht ersetzen kann
(Weyhe, 2016: 233/232) und der Reflexion über die Bindungs-
und Ankerlosigkeit zwischen zwei Kulturen, die das Buch
schließt (Weyhe, 2016: 236/237). Ein letztes Bedeutungsfeld
von Bild, das wir in Weyhes Arbeit finden, ist das der
Ausdrucksform, die dem Schema nahe kommt (Weyhe, 2016:
213). In der erklärenden Sprache der Graphic Novel wird auf
den strengen und immer gleichen Takt des Alltags Anabellas
verwiesen, aber erst durch die sich auf einer Seite immer von
Neuem wiederholenden Bildchen wird die Monotonie, die
Erschöpfung und die Routine erlebbar. Was wir an einigen
Beispielen aus Weyhes Graphic Novel untersucht haben,
beschreiben G. Boehm in seinem iconic turn beziehungsweise
W.J.T. Mitchell im pictorial turn: Bilder bieten pro Zeiteinheit
mehr Informationen als Sprache (Trebeß, 2006: 63).
Gleichzeitig aber benötigt die Wahrnehmung eines Bildes
mehr Zeit, da Bilder die Wirklichkeit reduzieren. Hier erlaubt
das Medium Bild große Zeitsprünge (Weyhe, 2016: 181) und
die Veranschaulichung von komplexen politischen und
gesellschaftlichen Veränderungen in extrem synthetisierter
Form (Weyhe, 2016: 85).
Besonders in den drei bzw. vier Erzählsträngen, die Weyhe in
ihrem Werk kreiert, wird deutlich, dass es sich um ein
postmodernes Kunstwerk handelt. Die Autorin schildert einige
Ereignisse aus der Perspektive verschiedener Betrachter und
macht somit darauf aufmerksam, dass es keine
subjektunabhängige und allgemeingültige Wahrheit gibt. Die
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Erkenntnis der Welt ist von der Perspektive des Betrachters
abhängig. Indem Weyhe beispielsweise die
Schwangerschaftsunterbrechung, die Anabella vornimmt, aus
der Perspektive der drei Hauptfiguren erzählt ohne dabei
jedoch kommentierend oder moralisierend einzugreifen, wird
jeder Figur in ihrer Art Dinge zu entscheiden, bewerten oder zu
empfinden, Rechnung getragen. Die Konstruktion der
Wirklichkeit als „subjektive Setzung“ (vgl. Zima, 2014: 156)
erfährt in der viergeteilten Graphic Novel einen adäquaten
Ausdruck. Auch die Vorliebe des postmodernen Romans für die
Selbstreflexivität und die Verschachtelung verschiedener
Erzählebenen (vgl. Bursdorf et al., 2007: 662) ist bei Weyhe zu
beobachten. Ihre Geschichte beginnt in einer Metaebene, in
der sie ihr eigenes Zuhause zwischen zwei Kulturen beschreibt
(und bebildert) und ihr Vorgehen und ihre Methodik als
Romanschreiberin erläutert (beispielsweise Weyhe, 2016:
16f.). Diese personale Erzählsituation, in der anstelle der
Erzählerfigur eine Reflektorfigur tritt (vgl. F.K. Stanzel, in
Nünning, 2001: 359), schafft eine Illusion der Unmittelbarkeit
der Darstellung.
Zurückkehrend zu unserem Ausgangspunkt, Weyhes Graphic
Novel als hybride Literatur zu bezeichnen, konnten wir also
festgestellen, dass dieses Kunstwerk des 21. Jahrhunderts in
vielerlei Hinsicht eine hybride Natur aufweist. Auf der einen
Seite wurde es erschaffen von einer Künstlerin, die in
verschiedenen kulturellen Räumen aufgewachsen ist und sich
in einer besonderen Situation des „dazwischen“ befindet. In
ihrem Roman wiederrum erschafft sie drei fiktive Figuren, die
sich ebenfalls weder vollständig dem deutschen kulturellen
Kontext zugehörig fühlen, in den sie als Vertragsarbeiter
geraten, als auch ihrer afrikanischen „Heimat“, in der sie sich
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nach ihrer Rückkehr nicht mehr verstanden und zugehörig
fühlen. Vor allem aber handelt es sich bei Madgermanes um
hybride Literatur, da die künstlerische Sprache ihren Ausdruck
in Wort und Bild findet. Diese besondere Koexistenz von Wort
und Bild ermöglicht es der Autorin, einen Raum zu schaffen für
kulturelle und politische Antagonismen. Ihr Rückgriff auf eine
sowohl „okzidentale“ Bildsprache als auch eine von der
afrikanischen Bildsprache inspirierten, verleihen ihrer Aussage
mehr Nachdruck. Wir begegnen also einer Autorin, die sich
diesen Raum zwischen zwei kulturellen Räumen zu eigen
macht, und zu einer innovativen Wort- und Bildsprache findet.
Die Sprache bekommt die Aufgabe, die Figuren einzuführen
und die Geschichte voranzutreiben, die Bildsprache aber wird
besonders extensiv bemüht, um Emotionen und Gefühle zu
repräsentieren. Weyhe sagt dazu: „Genauso wie ich mich in
Deutschland nicht 100-prozentig beheimatet finde, ist aber
natürlich weder Kenia noch Uganda mein Zuhause, jetzt schon
lange nicht mehr. Und eben dieses Miteinander von Bild und
Wort, da muss ich micht nicht festlegen. Ich kann immer das
nehmen, von dem ich das Gefühl hab, dass es passt“ (Selg,
2015).
Es handelt sich, mit den Worten der argentinischen
Literaturwissenschaftlerin Florencia Garramuño, um eine
„literatura fuera de sí“ (Garramuño, 2015: 46). Ein hybrides
literarisches Werk, dass darauf aufmerksam macht, dass
Literatur nicht als abgeschlossener und autonomer Bereich
betrachtet werden kann, sondern vielmehr aus der Spannung
und Instabilität innerhalb des Werks wirkt. Die zeitgenössische
Ästhetik drückt die Krise der Vorstellungen zu Autonomie,
künstlerischer Disziplin und Zugehörigkeit aus:
Gattungsgrenzen werden überschritten und innovative
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Verbindungen zwischen den verschiedenen Künsten
entstehen. Madgermanes von Birgit Weyhe erscheint uns
dafür ein besonders gelungenes Beispiel.
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