Modellierung des akustischen Verhaltens elektrischer Traktionsantriebe
für Elektro- und Hybridfahrzeuge
Matthias Bösing1, Rik W. De Doncker2
Institut für Stromrichtertechnik und Elektrische Antriebe, RWTH Aachen, 52056 Aachen, Deutschland1 [email protected] 2 [email protected]
Einleitung
In Elektro- und Hybridfahrzeugen ersetzen beziehungs-weise ergänzen elektrische Antriebe den Verbrennungs-motor und stellen eine neue Geräusch- und Vibrations-quelle dar. Dieser Beitrag erläutert, wie das akustischeVerhalten elektrischer Antriebe effizient modelliert undsomit bei Antriebsentwicklung und Systemintegrationberücksichtigt werden kann. Im Vergleich mit Messungenan einem Traktionsantrieb für ein Hybridfahrzeug wirddas vorgestellte Verfahren verifiziert.
Modellierungsansatz
Im Unterschied zu stationären Antrieben geringer Dy-namik, wo oftmals die Betrachtung einzelner Betrieb-spunkte ausreicht, ist bei Traktionsanwendungen dieCharakterisierung des gesamten Drehzahl- und Drehmo-mentbereichs erstrebenswert. Die isolierte Berechnung ei-ner Vielzahl von Betriebspunkten ist hierbei aufgrunddes enormen Rechenaufwands nicht zielführend. Kerndes diskutierten Modellierungsansatzes [1, 2] ist die be-triebspunktabhängie Überlagerung von Strukturschwin-gungsantworten auf charakteristische, normierte Kraft-anregungsformen. Hierdurch können trotz Verwendungrealitätsnaher Finite-Elemente-Modelle die akustischenBetriebsschwingungen für beliebige Betriebspunkte be-stimmt werden. Die einzelnen Schritte sind in Abbil-dung 1 dargestellt und werden im Folgenden erläutert.
Bestimmung der Kraftanregung (offline)
Eingangs dient ein elektromagnetisches Finite-Elemente-Modell zur Bestimmung der wegen der Eisensättigungstromabhängigen Kraftanregung und zur Ableitungelektrischer Ersatzschaltbildparameter. Die auf Statorund Rotor wirkende Kraftverteilung im Luftspalt wirdräumlich und zeitlich zerlegt und auf die wesentlichenKomponenten reduziert. Mithilfe der Ersatzschaltbild-parameter sowie unter Berücksichtigung von Regelungs-strategie und Grenzen der Leistungselektronik wird diestromabhängige Kraftanregung in eine vom Betrieb-spunkt (d. h. von Drehmoment und Drehzahl) abhängigeüberführt. Diese wird in Tabellen abgelegt.
Berechnung der Strukturschwingungsant-worten (offline)
Parallel zur Kraftanregung werden die zur späterenÜberlagerung verwendeten Strukturschwingungsantwor-ten berechnet. Die Struktur wird in Bezug auf die ge-ringen Auslenkungen der betrachteten Vibrationen als
Abbildung 1: Akustik-Modellierungsprozess. Offline-Bestimmung von Kraftanregung und Schwingungsantwortenund interaktiver Schwingungssynthese
linear angesehen, was eine Superposition erlaubt. Die we-sentlichen Kraftanregungsformen werden durch die ma-gnetische Konfiguration einer elektrischen Maschine be-stimmt. Diese Kraftanregungsformen werden nun mit ei-ner Einheitsamplitude nacheinander auf ein strukturdy-namisches Finite-Elemente-Modell aufgebracht. Per har-monischer Analyse wird die Schwingungsantwort berech-net. Die Strukturmoden (Eigenformen) sind unabhängigvon der Kraftanregung, so dass diese nur einmal gespei-chert werden müssen. Pro Kraftanregung kommen ledig-lich die skalaren Beitragsfaktoren der Moden hinzu, wasdie zu speichernden Daten begrenzt und die spätere Syn-
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Drehzahl n in 103 r/min
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(a) Messung
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(b) Simulation
Abbildung 2: Spektrogramme der normalen Oberflächen-schnelle für Volllasthochläufe von 0 bis 6000 r/min
these beschleunigt.
Schwingungssynthese (interaktiv)
Bei der abschließenden Schwingungssynthese wird dieBetriebsschwingung durch Skalierung und Überlagerungder Schwingungsantworten synthetisiert. Hierzu werdenfür jeden Betriebspunkt die Kraftanregungskomponenteneingelesen und die Strukturschwingungsantworten ent-sprechend überlagert. Dieser Prozess ist interaktiv undbietet dem Nutzer vielfältige Möglichkeiten zur Auswer-tung. Im Folgenden sind beispielhaft zwei Ergebnisse dar-gestellt. Ein Hochlauf unter Last erlaubt einen schnellenÜberblick über das generelle akustische Verhalten einerelektrischen Maschine. Abbildung 2 zeigt für einen Trak-tionsantrieb eines Hybridfahrzeugs die über vier auf demUmfang verteilte Punkte gemittelte Oberflächenschnellebei einem Volllasthochlauf. Abbildung 2a zeigt das Mes-sergebnis, während in Abbildung 2b das simulierte Er-gebnis dargestellt ist.
Abbildung 3 zeigt ein Simulationsergebnis für die im Be-trieb auftretende Verformung von Gehäuse und Statorbei der Frequenzkomponente 20fmech (das 20-fache dermechanischen Drehzahl, hier bei 1600 Hz) für den Be-triebpunkt bei 4800 r/min und 20 Nm (vgl. Markierungin Abbildung 2b). Derartige Darstellungen veranschau-lichen nicht nur die Schwingungsvorgänge, sondern er-leichtern auch das Ableiten konstruktiver Änderung bzw.Bedämpfungen des Gehäuses zur Geräuschreduzierung.
Ausblick
Vielfältige weitere Auswertungen und Parameterstudiensind möglich. So können verschiedene Maschinenversio-nen oder Regelungsstrategien verglichen, der Einfluss ein-zelner Kraftanregungskomponenten studiert, Kennfelder
(a) 0◦ (b) 90◦ (c) 180◦ (d) 270◦
Abbildung 3: Simulierte Betriebsschwingungsform für20fmech bei 1600 Hz, 4800 r/min und 20 Nm für vier Zeit-punkte einer Schwingungsperiode
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Abbildung 4: Exemplarische Abstrahlcharakteristik bei1360 Hz bei Mode-2-artiger Strukturschwingung
erstellt und Gehäuse optimiert werden. Zudem könnenSchnittstellendaten für weitere Transferpfadanalysen [3]erzeugt und Luftschallabstrahlungsberechnungen [4] an-geschlossen werden. Eine für eine Kraftanregungsformmittels BEM gewonnene Abstrahlcharakteristik wird bei-spielhaft in Abbbildung 4 gezeigt. Durch klare Schnitt-stellen ist es möglich, das Verfahren für vielfältige Typenelektrischer Maschinen zu implementieren, die einzelnenSchritte getrennt zu optimieren und durchzuführen so-wie numerische durch analytische oder messtechnischeAnsätze auszutauschen. So können Daten und Wissenvon Maschinenausleger, Regelungstechniker, Konstruk-teur, Akustiker, NVH-Experte und Messtechniker effizi-ent verknüpft werden.
Literatur
[1] M. Boesing, T. Schoenen, K. Kasper, and R. De Don-cker, “Vibration synthesis for electrical machines ba-sed on force response superposition,” IEEE Transac-tions on Magnetics, vol. 46, pp. 2986 –2989, 2010.
[2] M. Boesing and R. De Doncker, “Exploring a vibrati-on synthesis process for the acoustic characterizationof electric drives,” in ICEM Conference, Rome, 2010.
[3] P. Sellerbeck and C. Nettelbeck, “Enhancing noi-se and vibration comfort of hybrid/electric vehiclesusing transfer path models,” in Aachen Acoustic Col-loquium, Aachen, Nov. 2010.
[4] M. Müller-Trapet, P. Dietrich, M. van der Giet,J. Blum, M. Vorländer, and K. Hameyer, “SimulatedTransfer Functions for the Auralization of ElectricalMachines,” in EAA Euroregio Congress, Ljubljana,Sep. 2010.
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