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Die Klapperschlange mochte zwei-einhalb Meter lang sein. Sie lag im vor Feuchtigkeit dampfenden Unter-holz und visierte ein Beutetier an, das völlig ahnungslos nur knapp einen Meter entfernt war. Es han-delte sich um einen rattenähnlichen Nager, der an saftigen Trieben knab-berte und mit sich und der Welt zufrieden war. Es schien nur noch eine Frage von Sekunden, bis die Klapperschlange zustieß und ihre Giftzähne in das Opfer schlug. Doch dann kam alles ganz anders… Auch die Klapperschlange spürte deutlich die Vibration des Waldbodens, die das Nahen eines großen Tieres ankündigte. Das Beutetier nahm diese nachhaltige Erschütterung allerdings ebenfalls wahr und hüpfte sicherheitshalber davon. Die Klapperschlange geriet dadurch in einen Gemütszustand, den man nur als äußerst gereizt bezeichnen konnte. Sie hatte sich auf den Leckerbissen bereits gefreut, ging nun leer aus, züngelte und versuchte herauszubekommen, wer sie um die Beute gebracht hatte. Sie wollte dem Störenfried zumindest ihre Gift-zähne in den Körper jagen und somit ihren Ärger abreagieren.

Wie alle Schlangen sah sie nicht besonders gut. Sie glitt näher an den Pfad heran und machte die vagen Umrisse eines Zweibeiners aus, der seltsam gekleidet war. Er trug näm-

lich tiefschwarz und eine Kopfbede-ckung, die die Schlange als Heraus-forderung empfand. Dieses schwarze Halbrund hatte einen umlaufenden schwarzen Rand. In der rechten Hand hielt der Zweibei-ner ein schwarzes Etwas, das wie eine Liane aussah und über einen Meter lang sein mußte.

Die Klapperschlange, ein erfahre-nes Reptil, dem man schon einige Male nachgestellt hatte, entschloß sich zu einem Klappern der horni-gen Schwanzspitze, doch dann ver-zichtete sie lieber darauf.

Ein zweiter Zweibeiner tauchte nämlich auf, der achtungseinflößend aussah. Auf dem Kopf dieser Gestalt saß ein Gegenstand, der an einen eingedrückten Kürbis erinnerte. Eine Art zweigeteilter Sack hüllte den Zweibeiner ein, an dessen Hand ein Beutetier baumelte, das einladend glänzte und glitzerte.

Die Klapperschlange konnte nicht widerstehen. Sie spannte ihre nicht unbeträchtlichen Muskeln und… schoß vor. Sie schlug ihre Giftzähne voller Gier und Freude in den bau-melnden Gegenstand und sorgte dafür, daß eine gehörige Portion Gift freigesetzt wurde.

Sie hörte einen Aufschrei, aber sie achtete kaum darauf. Die langen Giftzähne drangen durch eine wei-che Materie und… erreichten dann allerdings einen sehr harten Kern.

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Die Klapperschlange spürte, daß der linke Giftzahn absplitterte, was sie verständlicherweise nicht sonderlich schätzte. Dennoch hielt sie eisern fest und wartete darauf, daß ihre Beute erlahmte, wie sie es schließlich nicht anders gewohnt war.

Genau das Gegenteil war aber der Fall!

Das Opfer geriet in wilde Schwin-gungen und wirbelte um seine Längsachse. Die Kreisbewegungen wurden immer schneller, und die Klapperschlange wurde eindeutig luftkrank. Sie vermochte sich mit ihren Zähnen nicht länger zu halten, mußte, ob sie wollte oder nicht, die Muskeln lockern und… flog dann in hohem Bogen schwungvoll durch die Luft. Benommen landete das Reptil auf dem bemoosten Ast eines Mahagonibaumes, um den sich ihr langer Leib wickelte. Dann verlor die Klapperschlange vorübergehend das Bewußtsein – und übrigens auch noch den zweiten Giftzahn, der beim Aufschlag nach hinten kippte.

*

»Eine ausgemachte Frechheit«, sagte Lady Agatha Simpson und ver-suchte herauszufinden, wo die Schlange im Geäst gelandet war. »Haben Sie das mitbekommen, Mr. Parker? Ich bin von einem Reptil angefallen worden!«

»In der Tat, Mylady«, erwiderte

Josuah Parker, »es dürfte ihm aller-dings schlecht bekommen sein, wenn der Augenschein meine bescheidene Wenigkeit nicht getro-gen hat.«

»Scheußlich.« Die ältere Dame schüttelte sich. Sie war groß, stattlich und von junonischer Fülle. Sie trug ein derbes Tropenkostüm, das – was die Weite betraf – an zwei alte, aus-gediente Jutesäcke erinnerte. Auf ihrem Kopf befand sich ein Hut, der eine aparte Kreuzung aus einem Südwester und einem Napfkuchen darstellte. Die resolute Dame, die das sechzigste Lebensjahr bereits überschritten hatte, musterte ihren perlenbestickten Pompadour, dessen Halteschlaufen in ihrer Hand lagen.

Parker trug trotz der schwül-feuchten Hitze hier im tropischen Regenwald seinen schwarzen Zwei-reiher, ein Hemd mit gestärktem Eckkragen und eine schwarze Kra-watte. Auf seinem Kopf thronte ein schwarzer Bowler, im Volksmund auch gern Melone genannt. Über dem angewinkelten linken Unter-arm hing ein korrekt gebundener Regenschirm, der kaum in diese Landschaft paßte. Butler Parker, nur wenig größer als Lady Agatha, war noch schlank zu nennen. Hinsicht-lich seines Alters tappte man im dunkeln, was wohl mit seinem glat-ten und ausdruckslosen Gesicht zusammenhing. Er konnte fünfzig, er konnte aber auch durchaus sech-

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zig Jahre zählen. »Mylady sollten vielleicht ein

wenig zur Seite treten«, riet Josuah Parker seiner Herrin und deutete mit der Schirmspitze nach oben in den Baldachin aus Astwerk und Blättern, »mich deucht, daß die von Mylady erwähnte Schlange gleich zu Boden fallen wird.«

»Wohin haben Sie mich ver-schleppt?« Sie bewegte sich rasch zur Seite und fuhr beeindruckt zusammen, als dort, wo sie eben noch gestanden hatte, das Reptil nach unten klatschte.

»Eine Diamantklapperschlange, Mylady«, klassifizierte der Butler höflich und gemessen, »Mylady mögen die goldgelbgeränderte Rau-tenkette beachten. Es handelt sich um ein wahrhaft beeindruckendes Exemplar seiner Gattung, wenn ich so sagen darf.«

»Giftig, Mr. Parker?« Sie beugte sich vor und musterte das Reptil, das eindeutig unter Zahnschmerzen litt. Es öffnete und schloß das große Maul und schien darüber hinaus sogar Tränen zu vergießen, was allerdings auch nur eine Täuschung sein mochte.

»Giftig, Mr. Parker?« wiederholte die ältere Dame ihre Frage.

»In der Tat, Mylady, äußerst giftig«, antwortete der Butler, »falls meine bescheidenen zoologischen Kenntnisse mich nicht trügen, haben Mylady es mit Crotalus adamanteus

zu tun.« »Ist das alles, was Sie mir zu sagen

haben?« Sie sah ihn empört an. »Um ein Haar wäre ich dieser Bestie zum Opfer gefallen.«

»Der Dschungel, Mylady, birgt so seine Gefahren.« Parker hielt seinen Universal-Regenschirm in der rech-ten Hand. Es zeigte sich, daß er schwarze Handschuhe trug, obwohl der Wald förmlich dampfte. Mit der Spitze des Regenschirms schob er die Schlange behutsam zurück ins Unterholz. Sie war noch derart benommen, daß sie es sich ohne wei-teres gefallen ließ.

»Sie übertreiben ihre Rücksicht-nahme wieder mal«, grollte Lady Agatha und sah ihren Butler gereizt an. »Sie hoffen wohl, daß das Tier mich beim nächsten Mal voll erwi-scht, wie?«

»Keineswegs und mitnichten, Mylady.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an. »Es handelt sich bei dieser Reaktion um Mitleid mit der unschuldigen Kreatur, wenn ich es so ausdrücken darf.«

»Und wie hätten Sie reagiert, wenn die Schlange mich gebissen hätte?«

»Dies, Mylady, wäre mir überaus peinlich gewesen«, erwiderte der Butler steif und gemessen. »Bis zum Camp dürfte es fast noch ein Kilo-meter sein.«

*

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»Wir bekommen Besuch«, sagte Mike Rander und deutete auf den Jeep, der auf der langgestreckten Lichtung erschien. »Ich hatte die Hoffnung fast aufgegeben, Kathy.«

»Sieht nach Polizei aus, Mike«, erwiderte Kathy Porter. Die mittel-große, schlanke Fünfundzwanzig-jährige trug fast kniehohe, schmale Stiefel, Shorts und eine leichte Bluse. Ihr Haar war aschblond, ihr Gesicht besaß einen exotischen Ausdruck, was mit der leichten Schrägstellung ihrer Augen zusammenhing.

Mike Rander hingegen wirkte wie ein Brite aus dem Bilderbuch. Groß, schlank und braunhaarig, gab er sich ein wenig steif und zurückhaltend. Er trug einen lässig sitzenden, wahr-scheinlich sehr teuren Leinenanzug und beugte sich nach einem Alumi-niumkoffer, auf dem einige Fotoap-parate lagen. Er nahm einen davon hoch und schoß dann in schneller Reihenfolge einige Aufnahmen vom Jeep und seinen Insassen.

»Hallo«, grüßte er gleichmütig den Mann, der aus dem Wagen stieg. »Wie kommen Sie denn in diese Wildnis?«

»Danach möchte ich Sie fragen«, lautete die Antwort des schwarzhaa-rigen Mannes. Der Dreißiger grüßte militärisch und zog seinen hochge-rutschten Waffenrock glatt. Er hatte nur Augen für Kathy Porter und stellte seine Frage übrigens in spani-scher Sprache. Mike Rander zuckte

ratlos mit den Schultern. »Der Herr wünscht zu wissen, was

wir hier tun«, übersetzte Kathy Por-ter.

»Sie wollen tatsächlich behaupten, kein Englisch zu sprechen?« Mike Rander sah den Polizeileutnant fast entgeistert an. »Du hebe Zeit, wo sind wir denn?«

»Sie befinden sich im Peten-Dis-trikt von Guatemala«, antwortete der Polizeioffizier ironisch. »Hof-fentlich haben Sie sich nicht verlau-fen, Sir?«

Es zeigte sich, daß der Leutnant ein gutes Amerikanisch sprach, wenn auch mit leichtem Akzent. Er sah Kathy Porter nach wie vor faszi-niert an. Sie schien Gefallen an die-sem drahtigen Mann gefunden zu haben und lächelte mehr als nur unverbindlich.

»Ich bin Mike Rander, das dort ist Miß Porter«, stellte Rander vor, »woher, um alles in der Welt, wissen Sie von unserem Aufenthalt hier?«

»Der Dschungel hat viele wach-same Augen«, erwiderte der Polizei-offizier, »und meine Regierung möchte auf keinen Fall, daß Sie von den falschen Augen gemustert wer-den.«

»Wenn schon, Leutnant.« Mike Rander winkte lässig ab. »Wir ste-hen unter dem Schutz Ihrer Maje-stät.«

»Sagen Sie das dem Puma, der Sie anspringt, oder sagen Sie es auch

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der Giftschlange, die nach Ihnen stößt, Mr. Rander! Mein Name ist Pedro Cordoba, ich bin von der Dis-triktspolizei.«

»Okay, Leutnant. Und Sie sind wegen uns durch den Dschungel gekommen?«

»Die Zeiten sind unsicher, Mr. Rander. Es gibt überall in Zentral-amerika Terroristen, die auf schnel-les Geld hoffen. Sie verstehen hof-fentlich.«

»Kein Wort, Leutnant. Wir haben nur Travellerschecks bei uns.«

»Darf ich einen Blick in Ihre Papiere werfen, Sir?« Pedro Cordoba wurde dienstlich. »Sie wissen hof-fentlich, daß Sie sich in einer verbo-tenen Zone aufhalten?«

»Was ist hier schon schützenswert?« Mike Rander deu-tete auf die grüne, ein wenig dro-hende Wand des nahen Dschungels.

»Das dort, Mr. Rander.« Im Gegen-satz zu Rander deutete der Polizeiof-fizier auf die Umrisse eines Maya-tempels, der von Lianen und Baum-wurzeln geradezu umklammert wurde. Er mochte ungefähr dreißig Meter hoch sein und bestand aus etwa zwölf sich nach oben hin ver-jüngenden Stufen. Den krönenden Abschluß bildete eine Art Krone, die mit Fresken übersäht war.

»Wann fand hier die letzte Bestandsaufnahme statt, Leutnant?« erkundigte sich Mike Rander beiläu-fig. Er nickte Kathy Porter zu.

»Kümmern Sie sich um den scheuß-lichen Papierkrieg, wollen Sie?«

Er wandte sich ab und griff nach einem anderen Fotoapparat. Er nickte Pedro Cordoba zu und schlenderte zu dem Mayatempel hinüber, um dort wieder zu fotogra-fieren.

Kathy Porter reichte dem Leutnant eine Mappe mit Ausweisen, Papie-ren und Dokumenten. Sie lächelte ihn entschuldigend an und hob die Schultern in einer Art hilflosen Geste.

»Ein sympathischer Zeitgenosse«, meinte der Leutnant ironisch.

»Er ist mein Chef«, gab sie zurück. »Archäologe? Nein, ich sehe hier,

er ist Anwalt. Er hat sich ein teures und seltsames Hobby ausgesucht.«

»Im vergangenen Jahr waren wir in Ägypten«, gab sie zurück. »Mr. Rander arbeitet an einem Buch über Pyramiden der alten und neuen Welt.«

»Wie lange schon?« fragte der Offizier ironisch.

»Seit dem vergangenen Jahr, Mr. Cordoba. Im vorvergangenen Jahr wollte Mr. Rander ein Buch über fliegende Untertassen schreiben.«

»Er scheint demnach ziemlich unabhängig zu sein, wie?«

»Sehr unabhängig sogar.« Sie nickte und lächelte neutral. »Wenn man entsprechend geerbt hat, kann man sich vieles leisten.«

»Ich ersehe aus den Papieren,

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Madam, daß zu Ihrer Reisegruppe noch eine Lady Simpson und ein Mr. Josuah Parker gehören.«

»Lady Agatha Simpson.« Kathy Porter nickte. »Mr. Parker ist ihr Butler.«

»Ein echter Butler? Hier im Dschungel.« Leutnant Pedro Cor-doba lächelte mokant. »Er ist für den Tee zuständig, nehme ich an, oder?«

»Sie haben es genau getroffen, Sir.« Kathy lächelte. »Und ich bin die Sekretärin und Gesellschafterin der Lady Simpson, bevor Sie zu einem falschen Schluß kommen soll-ten.«

»Ich verstehe, Miß Porter.« Er schmunzelte. »Sie wissen, daß Sie sich hier auf gefährlichem Boden befinden?«

»Sie haben eben von Terroristen gesprochen.«

»Genau die meine ich, Miß Porter. Sie stecken in den Regenwäldern und sind kaum zu erwischen. Wer-den Sie noch lange bleiben?«

»Ich weiß es wirklich nicht, Leut-nant.« Sie hob bedauernd die Schul-tern. »Ich werde nie gefragt, sondern nur vor vollendete Tatsachen gestellt.«

»Sie wohnen in Tikalodos, Miß Porter?«

»Hoffentlich nicht mehr lange«, erwiderte sie und lachte jetzt. »Besonders anregend ist der kleine Ort ganz sicher nicht.«

»Vielleicht sieht man sich dort?«

Der Leutnant zeigte seine blendend weißen Zähne und bemühte seinen Charme. »Wenn ich zu bestimmen hätte, müßten Sie dort für immer wohnen.«

»Gut, daß Sie nicht bestimmen können, Leutnant.« Sie deutete auf die nahe Wand des Dschungels. »Ist es dort wirklich gefährlich?«

»Bleiben Sie möglichst hier auf der Lichtung, Miß Porter«, warnte er sie.

»Mr. Rander will morgen nach weiteren Tempeln suchen. Es sollen noch viele unentdeckt sein.«

»Müssen Sie ihn dabei unbedingt begleiten?«

»Ich glaube schon, daß er darauf bestehen wird.«

»Und wo sind die beiden anderen Personen?«

»Drüben im Dschungel«, gab sie zurück, »aber sie müßten schon längst wieder zurück sein, Leut-nant.«

»Mr. Rander scheint das keine Sor-gen zu bereiten.« Er deutete auf Mike Rander, der unentwegt foto-grafierte.

»Er macht sich nur Sorgen um sich«, gab sie ein wenig abfällig zurück. »Ein kleiner Schock könnte ihm wirklich nicht schaden.«

»So etwas kann schneller kommen, als man denkt«, antwortete Cordoba und lachte leise. »Der Dschungel hat viele Augen und ist erbarmungslos. Wenn Sie erlauben, werde ich mich ab sofort ein wenig um Sie küm-

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mern. Ich möchte nämlich nicht…« Er brachte seinen Satz nicht zu

Ende, denn genau in diesem Augen-blick peitschten einige Schüsse auf. Im Drehbuch zu einem Abenteuer-film hätte der Zeitpunkt nicht tref-fender und dramatischer ausfallen können.

*

Pedro Cordoba hechtete auf Kathy Porter, riß sie an sich und ging mit ihr zu Boden.

Dicht über ihre Köpfe hinweg pfif-fen ein paar Geschosse und landeten klatschend in den Ästen einiger Bäume. Die beiden uniformierten Polizisten, die bisher im Jeep zurückgeblieben waren, flankten aus dem offenen Wagen und suchten Schutz hinter der Karosserie.

Mike Rander, der Anwalt aus Lon-don, verschwand hinter einer etwa zweieinhalb Meter hohen Stein-Stele, ohne sich dabei allerdings son-derlich zu beeilen. Er beobachtete die kleinen Erd- und Staubfontänen, die aus dem Boden stiegen. Dort schlugen Geschosse ein, die nicht gerade zielsicher abgefeuert wur-den. Mike Rander zündete sich eine Zigarette an und beobachtete den Polizeileutnant, der sich ausgiebig um Kathy Porter kümmerte und einen zweiten Aluminiumkoffer auf den ersten schob, um noch besser geschützt zu sein.

Die beiden uniformierten Beamten schossen inzwischen zurück. Einer von ihnen besaß eine Maschinenpis-tole und vergeudete damit seine Munition. Mike Rander war es uner-findlich, worauf dieser Mann schoß. Die Kugeln fetzten Äste und Blätter von den Bäumen, richtete sonst jedoch keinen Schaden an.

Das Feuer aus dem nahen Dschun-gel wurde schwächer, löste sich in Einzelschüsse auf und war dann plötzlich beendet. Auch der Besitzer der Maschinenpistole wurde ruhi-ger. Nach einem letzten Feuerstoß ließ er die Maschinenwaffe sinken.

»Das war knapp«, sagte Pedro Cordoba und erhob sich vorsichtig. Er hielt seine Pistole noch feuerbe-reit in der rechten Hand.

»Wer war das?« fragte Kathy Por-ter und zeigte sich beeindruckt.

»Terroristen, Miß Porter«, antwor-tete Cordoba, »ich habe ja kein Recht, mich in Ihre Angelegenheiten zu mischen, aber an Ihrer Stelle würde ich die Tempelanlage verlas-sen.«

»Darauf habe ich keinen Einfluß, Leutnant.« Sie kniete hoch und spähte über die zweite Aluminium-kiste zum Dschungelrand.

»Aus Sicherheitsgründen müßte ich Sie und Ihre Begleiter eigentlich zurück nach Tikalodos schicken.«

»Das wird nicht so leicht gehen, Leutnant. Lady Simpson kann ziem-lich starrköpfig sein.«

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»Einen Augenblick, bitte.« Cor-doba lief in geduckter Haltung zum Jeep hinüber und überschüttete seine beiden Mitfahrer mit einer Flut von Komiriandos. Daraufhin verlie-ßen sie ihre Deckung und liefen reichlich ungeniert zum Dschungel-rand der Lichtung.

»Erwischen werden sie die Angrei-fer bestimmt nicht«, meinte Cor-doba, als er zu Kathy Porter zurück-gekommen war, »aber so werden sie wenigstens weiter in den Dschungel zurückgetrieben.«

»Netter Flurschaden.« Mike Rander erschien hinter Cordoba und nickte ihm zu. »Wer kann was dage-gen haben, daß man den Mayatem-pel fotografiert? Würde mich inter-essieren.«

»Vielleicht befindet sich hier in der Nähe eine Basis der Terroristen«, vermutete der Polizeioffizier, »ich würde Ihnen raten, so schnell wie möglich nach Tikalodos zurückzu-fahren, Sir. Ja, eigentlich müßte ich darauf sogar bestehen, schon im Interesse Ihrer Sicherheit.«

»Schlagen Sie das Lady Simpson vor«, sagte Mike Rander und deu-tete lässig auf die ältere Dame, die zusammen mit Butler Parker erschien.

Man sah ihr deutlich an, daß sie sich in einer Armochstimmung befand. Der kleine Zwischenfall mit der Klapperschlange und die anschließende Schießerei schien

ihren Kreislauf aktiviert zu haben.

*

»Das Dinner ist serviert, Mylady«, sagte Josuah Parker in seiner unge-mein höflichen Art. Er deutete eine knappe Verbeugung an und rückte dann den leichten Klappsessel zurecht, auf dem seine Herrin Platz nahm.

»Womit werden Sie mich denn heute verwöhnen?« erkundigte sie sich und schnupperte. Sie lächelte Kathy Porter und Mike Rander zu, die ebenfalls am Klapptisch vor dem Zelt saßen.

Es war dunkel geworden, und bis zum endgültigen Einbruch der Nacht konnte es nicht mehr lange dauern. Die Übergänge vollzogen sich in diesen Breitengraden mit erstaunlicher Schnelligkeit. Mike Rander hatte sich übrigens umgezo-gen, wie es sich für einen Briten von Stand gehörte: Er trug ein weißes Dinnerjackett und dunkle Hosen. Selbstverständlich trug er trotz der immer noch herrschenden Schwüle eine passende Smokingschleife.

Lady Simpson hatte sich für ein weites und wallendes Gewand ent-schieden, das an einen indischen Sari erinnerte, Kathy Porter für Kha-kihosen, Stiefeletten und eine leichte Bluse. Man schien sich nicht im weltverlorenen Dschungel im Nor-den Guatemalas zu befinden, son-

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dern irgendwo in England auf dem Land.

»Mylady erwarten zuerst eine Geflügelcremesuppe«, beantwortete Butler Parker Agatha Simpsons neu-gierige Frage, »anschließend wird man Maismehlrollen, gefüllt mit einer pikanten Fleischfüllung, ser-vieren. Frische Melone, gefüllt mit altem Portwein, Mylady, wird als Nachspeise gereicht werden.«

»Wird das genügen, Mr. Parker?« fragte die ältere Dame und sah ihren Butler mißtrauisch an.

»Geröstete Maiskolben in Butter runden die Hauptmahlzeit ab, Mylady.«

»Und diverse Nachtfalter«, warf Mike Rander lächelnd ein. Er deu-tete auf wahrhaft riesengroße Insek-ten, die um das Licht der Propangas-lampe schwirrten.

Mike Rander, seines Zeichens Anwalt, war selbstverständlich nicht der ein wenig hochnäsig wirkende Brite, den er Leutnant Cordoba gegenüber gespielt hatte. Genau das Gegenteil war der Fall! Er zeichnete sich durch einen lakonischen Humor aus und war von einer phlegmati-schen Lässigkeit.

Vor Jahren hatte Josuah Parker in seinen Diensten gestanden, und gemeinsam hatten sie zahllose Kri-minalfälle gelöst. Dann war es zu einer freundschaftlichen Trennung gekommen. Mike Rander war in die Staaten gegangen, um dort als juris-

tischer Berater englischer Firmen tätig zu werden. Vor einiger Zeit hatte es ihn jedoch zurück auf die Insel gezogen, und er war von Lady Agatha sofort vereinnahmt worden, wie Rander es ironisch ausdrückte. Sie hatte ihn mit der Verwaltung ihres Vermögens beauftragt und ihn wie selbstverständlich in ihre Krimi-nalaffären hineingezogen. Aus dem Trio, Lady Simpson – Kathy Porter – Butler Parker war somit ein Quartett geworden, das sich traumhaft gut verstand.

Es gehörte zu Kathy Porters Rolle, daß sie Fremden gegenüber häufig nur die unterdrückte und unzufrie-dene Angestellte spielte. Tatsächlich jedoch wurde sie von der älteren Dame wie eine Tochter behandelt. Darüber hinaus träumte Lady Aga-tha davon, daß Kathy und Mike eines Tages ein Paar werden wür-den. Sie hing solchen Vorstellungen nicht ohne Grund nach, denn die beiden Leute verstanden sich ausge-zeichnet.

Der Aufenthalt des Quartetts im Norden Guatemalas hatte natürlich überhaupt nichts mit alten Maya-tempeln zu tun. Man war ganz gezielt in diese tropische Region gekommen, um gewisse Nachfor-schungen anzustellen.

Vor etwa einem Monat war vom relativ nahen Kuba aus eine Sport-maschine aufgestiegen, um über die Straße von Yucatan nach Mexico

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City zu fliegen. Der Pilot dieser Maschine, ein gewisser Manuel Olmeda, hatte aus Zeit- und Sicher-heitsgründen leider nicht die offizi-ellen kubanischen Flugbehörden nach der allgemeinen Wetterlage fragen können. Wenn man es sogar genau betrachtete, war dieser Start einer hastigen Flucht gleichgekom-men.

Manuel Olmeda war nämlich im Besitz wertvoller Unterlagen, die Aufschluß über die Stationierung gewisser Militärberater auf Kuba gaben. Dazu gehörten auch genaue Lageskizzen von Raketenstationen, die von diesen Militärberatern gehegt und gepflegt wurden.

Der Pilot war in eine Schlechtwet-terfront geraten und vom Kurs abge-kommen. Ein Hurrican hatte ihn räumlich versetzt und in Richtung Yucatan abgetrieben. Vor seiner Bruchlandung hatte Manuel Olmeda gerade noch Zeit gehabt, eine Funk-meldung abzusetzen.

Sie war von einem Verbindungs-mann in Mexiko City aufgefangen und auf geheimnisvolle Weise nach London weitergeleitet worden. Hochkarätige Beamte des Geheim-dienstes ließen nach dieser Maschine, nach dem Piloten und vor allen Dingen nach den Unterlagen suchen. Um dies so unauffällig wie möglich zu machen, hatte man sich an Parker und Lady Simpson gewandt. In der Vergangenheit hatte

dieses skurrile Duo schon oft heiße Kastanien aus diversen Feuern geholt.

Butler Parker, Kopf und Motor all dieser Unternehmungen, servierte inzwischen das Dinner im Dschun-gel Guatemalas und sah wirklich nicht aus wie ein Einzelkämpfer, der brisantes Material herbeischaffen sollte. Er war durch und durch But-ler, wie man ihn nur noch in Kostümfilmen sah.

»Darf ich mich erkühnen«, schickte er voraus, »eine zeitlich allerdings nur kurz befristete Servierunterbre-chung anzumelden?«

»Was soll denn das, Mr. Parker?« grollte die Sechzigerin, »ich habe doch erst die Suppe zu mir genom-men. Sie war übrigens eßbar.«

»Vielen Dank, Mylady«, antwor-tete Josuah Parker und… schaltete ohne jede Vorwarnung plötzlich das grellweiße Licht der Butangaslampe aus.

»Was ist los, Parker?« erkundigte sich Mike Rander.

»Man scheint sich offensichtlich für die Herrschaften zu interessie-ren«, meldete der Butler. »Darf ich anregen, Schutz hinter den Mauer-quadern zu suchen?«

»Wir werden angegriffen?« Lady Agathas Stimme klang durchaus nicht ängstlich. Sie schätzte jeden Zwischenfall, der Aufregung und Abwechslung versprach.

»Möglicherweise, Mylady.« Josuah

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Parker dirigierte die stattliche Dame höflich in den Schutz einiger riesiger Mauerquadern, die sich irgendwann mal aus der Flanke des Mayatem-pels gelöst hatten. Kathy Porter folgte dichtauf und blieb neben der älteren Dame. Sie sorgte automa-tisch dafür, daß Lady Simpson nicht auf eigene Faust angriff.

»Terroristen, Parker?« fragte Mike Rander leise.

»Es gibt der Möglichkeiten viele, Sir«, lautete Parkers Antwort, »man sollte allerdings auch die hiesige Polizei nicht außer Betracht lassen.«

Mike Rander und Josuah Parker hatten das Vorzelt inzwischen eben-falls verlassen und sich hinter eine Stein-Stele aufgebaut. Wie richtig diese Entscheidung war, sollte sich Sekunden später bereits erweisen, denn plötzlich war ein Flammenstoß zu beobachten, der den Rand der Lichtung für einen Moment auf-hellte. Dann zischte ein feuriges Etwas durch die Dunkelheit und nahm Richtung auf das Zelt. Es ver-fehlte nur knapp, klatschte gegen den Fuß der Pyramide und platzte hier wie ein Feuerwerkskörper aus-einander.

Metall- und Steinsplitter sirrten wie giftige Insekten durch die Luft, es roch nach Phosphor und Tod.

»Eine ausgemachte Frechheit«, grollte dann die Stimme der Detekti-vin. »Muß ich mir das bieten lassen, Mr. Parker? Lassen Sie sich gefälligst

etwas einfallen!«

*

Parker befand sich auf der Pirsch. Er hatte sich von Anwalt Mike

Rander getrennt und arbeitete sich gemessen an den Dschungelrand heran, von wo aus die kleine Boden-Boden-Rakete abgefeuert worden war. Dank seiner tiefschwarzen Klei-dung verschmolz er mit der Schwärze der Nacht und wurde ein Teil von ihr.

Als Waffe hatte er nur seinen Uni-versal-Regenschirm dabei, der es im wahrsten Sinn des Wortes in sich hatte. Der Schirmstock war hohl und nichts anderes als eine Art Gewehr-lauf. Durch diesen Lauf ließ sich je nach Wunsch verschiedene Muni-tion verschießen. In diesem Fall hatte Parker sich für Blasrohrpfeile entschieden, die nicht größer waren als normale Stricknadeln. Bewegt wurden sie von komprimierter Koh-lensäure, die sich in einer Patrone befand und ihren Platz im Bambus-griff des Regenschirms hatte.

Der Butler war ein Mann der Unauffälligkeit und Geräuschlosig-keit. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß kleine und große Gangster eine geradezu panische Angst zeigten, wenn sie von einem Blasrohrpfeil getroffen wurden. Hieb- und Stich-waffen aller Art waren ihnen ver-traut, auch mit Geschossen aller

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Kaliber wußten sie etwas anzufan-gen, doch diese stricknadellangen, bunt gefiederten Blasrohrpfeile lös-ten stets akute Nervenkrisen aus. Die Vorstellung, solch ein Pfeil müsse selbstverständlich vergiftet sein, ließ selbst hartgesottene Bur-schen umgehend knieweich und hilflos werden.

Parkers Pfeile waren tatsächlich vergiftet. Er hatte sich von Chemi-kern eine ›Giftpaste‹ entwickeln las-sen, die es in sich hatte. Durchbohrte die Pfeilspitze die Haut, so stellten sich in Sekundenschnelle Allergien und Muskelschwäche ein. Zu einem intensiven Juckreiz kam dann noch das Erschlaffen der Muskulatur, was bei den Getroffenen eine gewisse Hilflosigkeit auslöste. Gesundheits-gefährdend war diese ›Giftpaste‹ selbstverständlich nicht. Die Wir-kung verlor sich meist schon nach Minuten.

Parker hatte inzwischen den nahen Dschungelrand erreicht. Rechts hin-ter ihm befand sich die Mayatempel-Ruine, von deren unteren Reliefs noch immer Feuer tropfte, das von der Rakete herrührte. Die Verwen-dung solch eines Geschosses deutete daraufhin, daß die Unbekannten hier im Busch keine Rücksicht üben wollten. Eine Drohgebärde war die-ser mißglückte Schuß keineswegs. Hier hatte man eindeutig töten wol-len!

Der Butler blieb neben einem

dicken Baumstamm stehen und son-dierte die Lage. Er konnte sich kaum vorstellen, daß man sich nach dem Abfeuern der Rakete sofort wieder in den Dschungel zurückgezogen hatte. Die Gegner waren schließlich in der Absicht gekommen, hier für reinen Tisch zu sorgen. Das konnte doch nur bedeuten, daß wahrschein-lich noch ein zweiter Raketenkopf abgefeuert wurde. Vielleicht ver-suchte man aber auch, sich an das Lager heranzuarbeiten, um aus nächster Nähe die geplanten Morde auszuführen…

Angst oder Unsicherheit waren dem Butler fremd. Für ihn machte es so gut wie keinen Unterschied, ob er sich in London oder im Dschungel von Guatemala befand. Er war ein Meister der Anpassung und Impro-visation. Zudem war ihm bekannt, daß die Bewohner solcher Dschun-gel nur höchst selten angriffen und es vorzogen, einem Menschen aus dem Weg zu gehen. Dies galt auch für Reptilien aller Art. Ausgenom-men von dieser Regel schienen aller-dings gewisse Insekten, wie zum Beispiel Stechmücken, die es hier in großer Zahl gab. Sie umschwirrten den Butler, sie hätten sich liebend gern mit seinem Nacken und seinem Gesicht befaßt, doch sie trauten sich an ihn nicht heran. Dies hing entwe-der mit dem Gesichtwasser zusam-men, das Parker nach der Morgenra-sur zu benutzen pflegte, oder aber

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diese schwirrenden Insekten besa-ßen einen untrüglichen Sinn für Gefahr. Parker war nämlich nicht der Mann, der sich unter Druck set-zen ließ.

Die erwähnten Stechmücken stell-ten ihre Orientierungsrunden ein, formierten sich zu kleinen Geschwa-dern und flogen davon. Sie hatten längst bemerkt, daß es in der Nähe ebenfalls warmes und frisches Men-schenblut gab, das nur noch ange-zapft zu werden brauchte.

Butler Parker hörte wenig später unterdrücktes Fluchen und diskretes Klatschen. Nicht weit von ihm ent-fernt mußten sich demnach Men-schen aufhalten, die mit dem Besuch der stechenden und saugenden Quälgeister absolut nicht einverstan-den waren. Seiner Schätzung nach mußte es sich um wenigstens drei Personen handeln.

Josuah Parker näherte sich der Stelle, an der er die drei Männer ver-mutete. Und dann machte er sie aus! Sie standen neben einem mächtigen Wurzelgewirr, das zu einem halb umgestürzten Baum gehörte. Diese Personen rauchten hinter vorgehal-tener Hand Zigaretten und redeten leise miteinander. Ob sie noch Rake-tenwaffen bei sich trugen, war wegen der tiefschwarzen Dunkelheit nicht festzustellen.

Der Butler hob die Spitze seines Universal-Regenschirms und visierte einen der beiden glühenden

Punkte an. Dann senkte er die Spitze des Schirmstocks, bis er seiner Schät-zung nach den Unterarm oder aber die Körperseite im unsichtbaren Visier hatte. Nach dem Druck auf einen versteckt angebrachten Auslö-seknopf unterhalb des Schirmgriffs jagte die Kohlensäure den bunt gefiederten Blasrohrpfeil durch den Lauf in die Nacht.

Ein leiser Aufschrei war die Ant-wort, ein Aufschrei, der eigentlich mehr Überraschung oder Erstaunen ausdrückte. Wenig später stöhnte ein Mensch und überschüttete seine Begleiter mit einer Flut von spani-schen Schimpfwörtern.

Parker sprach Spanisch und nahm zur Kenntnis, was dieser Getroffene seinen Nebenleuten ins Ohr flüs-terte. Es waren zuerst ausgesuchte Flüche, die dann von bestürzten Fra-gen abgelöst wurden. Anschließend behauptete der Getroffene, vergiftet worden zu sein, was von den Beglei-tern bezweifelt wurde.

Dann erfolgte ein Aufschrei! Der Getroffene spürte also bereits

eine gewisse Muskelschwäche und glaubte mit letzter Sicherheit, daß das Pfeilgift bereits wirkte. Josuah Parker hatte keine Schwierigkeiten, noch näher an die Gruppe der Geg-ner heranzukommen, denn sie rede-ten nervös durcheinander. Sie kamen zu dem Schluß, das momen-tane Feld möglichst umgehend zu räumen, und formierten sich zum

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Abmarsch zurück in den tiefen Dschungel.

Butler Parker hatte keine Schwie-rigkeiten, den bleigefütterten Bam-busgriff auf den Hinterkopf jenes Mannes zu legen, der den Schluß der Gruppe bildete, die im Gänse-marsch von dannen zog. Der Mann knickte wortlos in sich zusammen und landete in den Armen des But-lers, der ihn blitzschnell seitlich hin-ter einen Baum zog.

*

»Habe ich dieses Subjekt nicht schon mal gesehen?« Agatha Simpson rich-tete sich auf, nachdem sie das Gesicht des Mannes prüfend gemus-tert hatte.

»Er gehört eindeutig zu den bei-den uniformierten Polizisten, die im Jeep saßen, Mylady«, antwortete Mike Rander.

»Und wo sind die anderen Indivi-duen, Mr. Parker?« Lady Agatha sah den Butler mißbilligend an.

»Mylady werden gütigst verzei-hen«, schickte Parker gemessen vor-aus und deutete eine höfliche Ver-beugung an, »in Anbetracht der Situation war es meiner bescheide-nen Wenigkeit nicht möglich, noch weitere Herren dazu zu bewegen, hierher ins Lager zu folgen.«

»Es ist tatsächlich einer aus dem Jeep«, warf Kathy Porter ein, die sich das Gesicht des immer noch ohn-

mächtigen Mannes genau angesehen hatte. »Diese kleine Narbe dort an der Stirn ist unverkennbar.«

»Haben Sie eine Ahnung, wer die beiden anderen Burschen gewesen sein könnten?« erkundigte sich Anwalt Rander bei Parker.

»Diese Frage kann leider nur ver-neint werden, Sir«, gab Parker zurück, »die herrschenden Lichtver-hältnisse erlaubten dies nicht.«

»Natürlich hat dieser Leutnant den Überfall verübt«, behauptete die ältere Dame in einer Tonlage, die keinen Widerspruch duldete. »Für mich liegen die Zusammenhänge deutlich auf der Hand.«

»Tatsächlich?« fragte Mike Rander und sah Lady Agatha interessiert an. Er wußte inzwischen, wie schnell sie als Detektivin sich ein Urteil bildete, um es bei nächstbester Gelegenheit wieder über Bord zu werfen.

»Dieser Leutnant steht mit den Terroristen in Kontakt«, erklärte Agatha Simpson, »er wird natürlich von ihnen bezahlt, das ist klar. Sie sind hoffentlich meiner Meinung, Mike, oder?«

»Eine Möglichkeit, an die ich noch gar nicht gedacht habe«, bekannte der Anwalt.

»Wahrscheinlich ist auch er hinter der abgestürzten Maschine und den Unterlagen her«, führte die Detekti-vin schwungvoll und begeistert wei-ter aus. »Ja, wahrscheinlich will er sie diesen Terroristen in die Hände

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spielen, die sie dann zurück nach Kuba schicken.

Mr. Parker, wie sehen Sie das?« »Aspekte, die geradezu bestür-

zend sind, Mylady.« Parker legte sich selbstverständlich nicht fest. »Darf ich mir erlauben anzuregen, vielleicht einen besseren Schutz vor möglichen weiteren Überfällen zu suchen?«

»Sie glauben, daß die Lümmel sich noch mal an mich heranwagen?«

»Myladys Gegenwart scheint die Gegner, wer immer sie auch sein mögen, zu irritieren.«

»Das möchte ich mir auch ausge-beten haben, Mr. Parker. Sind wir hier nicht sicher genug?«

»Würden Mylady ein Ersteigen der Pyramide scheuen?« Parker deu-tete diskret auf die steile Treppe, die zur Spitze des Maya-Tempels führte.

»Wenn Ihnen nur nicht die Puste ausgeht, Mr. Parker.« Agatha Simp-son stand auf. »Ich wollte auch gerade vorschlagen, sich dorthin zurückzuziehen.«

Ihre Kondition war beachtlich. Die Sechzigerin schnaufte nach

oben, abgesichert von Mike Rander und Kathy Porter. Parker blieb mit seinem Gefangenen unten zurück. Er wollte später folgen, wie er seiner Herrin mitgeteilt hatte.

Der Mann war inzwischen wieder zu sich gekommen, hatte jedoch keine Möglichkeit, sich überra-schend zu empfehlen. Parker hatte

ihm die Handgelenke gebunden. Der Mann überschüttete ihn mit

Drohungen, Verwünschungen und Befehlen in seiner Landessprache, doch Parker tat so, als verstünde er kein Wort. Der Polizist aus dem Jeep, der eine Art Räuberzivil trug, beendete plötzlich seinen Wort-schwall und nahm ruckartig den Kopf zur Seite. Auch Josuah Parker hatte das aufdringliche Kreischen eines Nachtvogels registriert. Die Reaktion seines Gefangenen deutete daraufhin, daß dieser Nachtvogel von einem Menschen imitiert wor-den war. Es mußte sich um ein ver-einbartes Signal handeln.

Parker bewegte sich einige Meter zur Seite und ließ seinen Gefange-nen allein zurück. Er blieb hinter einer der vielen Stelen, die hier stan-den, stehen und harrte der Dinge, die seiner Schätzung nach unbedingt kommen mußten.

Der Mann nutzte indes seine Chance.

Er war aufgestanden und schaute in die Richtung, in die der Butler verschwunden war. Dann rannte er los und hielt genau auf jene Stelle zu, wo er sich mit seinen beiden Begleitern aufgehalten hatte. Parker tat nichts, um diesen Fluchtversuch zu verhindern. Es genügte ihm zu wissen, daß dieser Mann zu Leut-nant Cordobas Begleitern gehörte. Daraus ließen sich in der Tat Schlüsse ziehen, die Lady Agatha

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bereits mehr als deutlich aufgezeigt hatte.

Im fahlen Mondlicht, das aufge-kommen war, konnte Parker den Flüchtenden ausmachen. Er hatte die Hälfte der Distanz bereits hinter sich gebracht, als plötzlich eine Maschinenpistole ratterte.

Der Flüchtende wurde wie von unsichtbarer Hand zur Seite geris-sen, überschlug sich und blieb dann auf der Lichtung liegen. Ob er bereits tot oder nur verwundet war, ließ sich nicht feststellen, dazu war das Mondlicht zu schwach.

Josuah Parker entschloß sich, dem armen Teufel wenigstens nachträg-lich noch Schutz zu gewähren und griff nach seiner zusammenlegbaren Gabelschleuder, die sich in der Innentasche seines schwarzen Zwei-reihers befand.

*

Die Sportschleuder war eine konse-quente Weiterentwicklung jener Geräte, die Lausejungen von einem bestimmten Alter an noch immer zu verwenden pflegen. In diesem Fall war die kleine Astgabel natürlich durch Stahlprofile ersetzt worden; die beiden Gummistränge, die die Lederschlaufe zur Aufnahme der Wurfmittel zusammenhielten, zeich-neten sich durch eine erstaunliche Spannkraft aus. In den Händen des Butlers, war diese Y-förmige Sport-

schleuder eine außerordentlich wirksame Waffe.

Er setzte sie auch umgehend ein, um dem Mann auf der Lichtung ein wenig zu helfen. Butler Parker ver-schoß zwei Tonmurmeln, die nach dem Aufprall auf den Boden zu Miniatur-Nebelgeschossen wurden. Beim Aufplatzen setzten sie einen chemischen Grundstoff frei, der in Sekunden eine dichte Nebelbank schuf, die von einem leichten Nacht-wind in Richtung Dschungel getrie-ben wurde.

Wie geistesgegenwärtig Parker gehandelt hatte, zeigte sich unmittel-bar darauf. Vom Dschungelrand wurde zwar wieder geschossen, doch der am Boden liegende Mann konnte nicht mehr unmittelbar anvi-siert werden.

Nach wenigen Feuerstößen gaben die Schützen auf. Sie hatten heraus-gefunden, daß die Lichtung nicht mehr einzusehen war. Zudem wur-den sie von dichten Nebelfetzen umwabert, die ihnen die Orientie-rung nahmen. Offensichtlich zogen die Angreifer sich zurück.

Parker wollte sich gerade in Bewe-gung setzen, um den Mann zu ber-gen, als er ein Keuchen und Schlei-fen hörte. Er trat hinter der Stele her-vor und entdeckte dann den Mann, der sich mühsam zurückschleppte.

Er hatte zwei Treffer erhalten, die insgesamt aber nicht lebensgefähr-lich waren. Sein linker Oberarm und

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die linke Hüfte hatten Fleischwun-den davongetragen. Parker half dem Mann in Deckung und verarztete die Wunden.

»Sprechen Sie Englisch?« fragte er, und der Mann nickte zögernd.

»Dies dachte ich mir bereits.« Par-ker zeigte kein Erstaunen. »Ihre Freunde kann man nur als rigoros bezeichnen.«

»Die Bastarde«, stöhnte der Mann, denn Parker desinfizierte die Fleischwunden gerade in einem jod-ähnlichen Präparat.

»Sie sind kein Polizist, wie ich wei-ter vermuten möchte?«

»Diese Bastarde«, stöhnte der Mann erneut.

»Man sollte sich nicht wiederho-len«, empfahl Josuah Parker gemes-sen, »auch Mr. Cordoba gehört selbstverständlich nicht der Polizei an – oder ist das eine Täuschung?«

»Er… Er wollte mich umbringen«, lautete die wütende Antwort, »er wird uns alle umbringen.«

»Er gehört den Terroristen an?« »Er kommt von Kuba«, lautete die

überraschende Antwort. Dann fügte der Verwundete in einem Anfall von Angst und Nervosität hinzu: »Wir müssen weg, verstehen Sie? Wir müssen sofort weg! Er kommt wie-der, er wird uns alle umbringen!«

»Man sollte Mr. Cordoba vielleicht nicht überschätzen«, gab Josuah Par-ker höflich zurück, »darf man unter-stellen, daß Mr. Cordoba zusammen

mit Ihnen und einigen anderen Mit-arbeitern hier in der Region mittels Fallschirm abgesprungen ist?«

»Dieser Bastard«, sagte der Ver-wundete noch mal. Er schien in die-sen Ausdruck verliebt zu sein. »Er wollte mich umbringen.«

»Daran besteht in der Tat kein Zweifel«, pflichtete der Butler dem Verwundeten bei. »Darf man höf-lichst fragen, warum Sie hier über dem Dschungel abgesprungen sind? Ich darf wohl davon ausgehen, daß Sie keine Touristen sind, oder?«

»Was Cordoba genau will, wissen wir nicht, er ist hinter einer abge-stürzten Maschine her«, sagte der Verwundete.

»Die sich in dieser Region befin-den muß?«

»Hier in der Gegend«, bestätigte der Mann, »wir haben sogar schon einige Trümmer gefunden. Hören Sie, wir müssen weg! Cordoba wird zurückkommen.«

»Über wie viele Mitarbeiter ver-fügt der erwähnte Mr. Cordoba?« wollte Josuah Parker wissen.

»Wir sind mit zehn Männern abge-sprungen«, gab der Mann preis, »wir alle sind Dschungelkämpfer, verstehen Sie? Sie werden uns erwi-schen, wenn wir nicht sofort ver-schwinden. Hoffentlich reicht die Zeit noch. Groß sind die Chancen wirklich nicht.«

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»Sie haben ihn gehen lassen, Mr. Parker? Ich verstehe die Welt nicht mehr!«

Lady Agatha sah ihren Butler grimmig an und schüttelte dann ausgiebig und vorwurfsvoll den Kopf.

»Er suchte das in der Flucht, Mylady, was man geheimhin das persönliche Heil zu nennen pflegt«, antwortete der Butler höflich, »es bestand kein akuter Anlaß, den Herrn festzuhalten.«

»Es genügt Ihnen zu wissen, daß er mit etwa zehn Männern hier über dem Dschungel abgesprungen ist? Ich, Mr. Parker, ich hätte noch wesentlich mehr aus diesem Flegel herausgeholt!«

»Er ist wahrscheinlich nur ein tum-ber Spezialist, der auf die Befehle seines Kommandoführers angewie-sen ist, Mylady«, warf Mike Rander ein. »Immerhin schön zu wissen, daß Cordoba aus Kuba kommt und hinter den Raketenplänen her ist.«

»Ich hätte herausbekommen, wo Olmedas Maschine zu finden ist«, behauptete Lady Agatha gereizt.

»Ganz in der Nähe wahrschein-lich«, redete Mike Rander lächelnd weiter, »ohne Grund will dieser Cor-doba uns doch nicht vertreiben oder sogar erledigen. Ich möchte wetten, wir sitzen fast auf den Trümmern und wissen es nur nicht.«

»Die letzte Funkdurchsage, Sir, die

Mr. Olmeda absetzte, verweist auf diese Region«, bestätigte Josuah Par-ker, der sich durch das Grollen der älteren Dame überhaupt nicht aus der Ruhe bringen ließ. »Bei Tagesan-bruch könnte man die Suche fortset-zen.«

»Gut«, sagte Lady Simpson, »und ich werde mich diesem Subjekt von Cordoba als Ziel anbieten und ihn ablenken.«

»Wir sollten den Mann und seine Kommandoleute nicht unterschät-zen«, warnte Mike Rander.

»Waren es seine Leute, die auf ihn und die beiden Begleiter im Jeep geschossen haben?« fragte Kathy Porter.

»Mit letzter Sicherheit, Miß Porter«, bestätigte Josuah Parker, »dies alles war als eine Art Ablen-kungsmanöver gedacht, um Ver-trauen zu erwecken. Es fragt sich allerdings, warum dann mit einer Boden-Rakete geschossen wurde?«

»Liegt das denn nicht auf der Hand, Parker?« Mike Rander lächelte, »Sie und Mylady müssen dicht am Flugzeugwrack gewesen sein. Sie machten doch den kleinen Spaziergang durch den Dschungel, nicht wahr? Okay, Cordobas Leute haben diesen Weg rückverfolgt und herausgefunden, wie nahe Sie bereits den Wrackteilen waren. Cor-doba will jetzt kein Risiko mehr ein-gehen und klare Verhältnisse schaf-fen.«

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»Eine Erklärung und Deutung, Sir, die man nur als überzeugend bezeichnen kann«, antwortete Josuah Parker.

»Sie haben mir das Wort von der Zunge genommen, Mike«, schaltete sich die Detektivin umgehend ein, »genau das wollte ich natürlich gerade sagen. Mr. Parker, warum haben Sie kein Wrackteil gesehen?«

»Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit betroffen und zer-knirscht«, behauptete der Butler, »falls Mylady gestatten, wird man bei Anbruch des Tages die Exkur-sion noch mal wiederholen.«

»Und den Kommandoleuten direkt vor die Mündungen laufen«, sorgte sich Kathy Porter. »Sie werden uns mit allen Mitteln daran hindern, die Lichtung zu verlassen.«

»Das möchte ich mir aber auch ausgebeten haben«, erklärte die ältere Dame grimmig. »Ich möchte hier schließlich nicht vor Langeweile umkommen, Kindchen.«

Während sie diese Feststellung traf, griff sie nach ihrem langen Sportbogen und nach dem Köcher mit den Aluminiumpfeilen. Lady Simpson war nicht nur eine begeis-terte Golferin, sie wußte auch mit dem Sportbogen umzugehen. Sie freute sich bereits im vorhinein dar-auf, einige dieser Pfeile verschießen zu können.

»Wir sollen also noch in dieser Nacht angegriffen und möglichst

umgebracht werden«, erinnerte Mike Rander und wandte sich an Josuah Parker, »schon irgendwelche Pläne, Parker, dem aus dem Weg zu gehen?«

»Das Kommandounternehmen dürfte inzwischen sehr genau wis-sen, daß man sich hierher auf die Spitze des Maya-Tempels zurückge-zogen hat«, antwortete der Butler gemessen. »Die Gegenseite wird also unbedingt versuchen, diesen Punkt unter Feuer zu nehmen.«

»Es wäre angebracht, das Feld hier zu räumen, wie?« Rander lächelte amüsiert.

»Sie sagen es, Sir«, bestätigte der Butler, »man sollte stets das tun, was der Gegner nicht erwartet.«

*

Sie nutzten die Tatsache, daß der Mond sich hinter regenschweren Wolken versteckte.

Das Quartett verließ daraufhin umgehend die flache Spitze der Pyramide und stieg nach unten. Aus Sicherheitsgründen hielt man sich an den Vorschlag des Butlers, der dafür plädiert hatte, auf die steile und relativ bequeme Treppe zu ver-zichten, die in früheren Zeiten wohl nur den Maya-Priestern vorbehalten war. Nein, man stieg mühsam über die gewaltigen Steinquader nach unten und legte etwa in halber Höhe des Bauwerks eine kleine Pause ein.

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»Dem Stand der Wolke nach zu urteilen, dürften wir noch etwa zehn Minuten völligen Sichtschutz genie-ßen«, sagte Parker leise, »darf ich vorschlagen, diese Zeit zu nutzen?«

»Ich mache doch nur wegen Ihnen eine Pause«, erwiderte Lady Agatha prompt. »Geht es denn jetzt wieder, Mr. Parker?«

Die Detektivin war ein wenig außer Atem gekommen, aber sie wollte es natürlich nicht zugeben.

»Ich möchte nicht versäumen, mich für Myladys Rücksichtnahme zu bedanken«, sagte Parker höflich, »für ein paar Minuten müßten meine bescheidenen Kräfte noch rei-chen.«

Er setzte sich sofort in Bewegung, denn sein Gefühl sagte ihm, daß sie sich in Sicherheit bringen mußten. Nachdem er von dem Verwundeten erfahren hatte, daß er es mit einem Kommandotrupp aus Kuba zu tun hatte, befand sich Parker in Alarm-stimmung. Diese Gegner durfte man auf keinen Fall unterschätzen. Es handelte sich mit Sicherheit um erfahrene Einzelkämpfer, die sich dazu noch im Dschungelkrieg bes-tens auskannten.

Parker ging voraus. Er benutzte die anderthalb Meter breite Pyrami-denstufe als Fußweg und führte die kleine Gruppe zur Rückseite des Bauwerks. Hier drängte sich der Dschungel bereits intensiv an die Pyramide heran. Mächtige Wurzeln

griffen wie mit langen Fingern nach den Steinquadern. Sie bildeten über-all kleine Nischen und natürliche Baumwurzelhöhlen. Lianen und Buschwerk erschwerten das Fort-kommen.

»Laufen wir diesen Burschen nicht direkt in die Arme?« fragte Mike Rander leise, als sie eine kleine Pause einlegten.

»Falls die Herren angreifen sollten, dann nur über diesen Weg«, bestä-tigte der Butler.

»Ich verstehe.« Rander schmun-zelte. »Angriff ist die beste Verteidi-gung, nicht wahr?«

»In manchen Fällen durchaus, Sir«, entgegnete der Butler, »falls es erlaubt ist, möchte ich allerdings darauf verweisen, daß an einen Angriff keineswegs gedacht ist. Das Kräfteverhältnis wäre zu ungleich, das Risiko entschieden zu groß.«

»Sie wollen sich überrollen lassen?«

»Dies, Sir, ist die erklärte Absicht.« Parker ging bereits vorsichtig weiter, und es war erstaunlich, wie gut die ältere Dame sich hielt. Es zeigte sich, daß der häufige Aufenthalt auf den Golfplätzen für eine gute Kondition gesorgt hatte. Die Lady war aber dennoch heilfroh, als Parker mit der Spitze seines Regenschirms auf eine dicke Wurzel deutete.

»Darf ich mir erlauben, Mylady dies als Versteck anzubieten?« erkundigte er sich.

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»Was ist das?« wollte sie wissen. »Eine hoffentlich annehmbare

Baumhöhle.« erwiderte Parker, »natürlich wird man sich vergewis-sern, ob sie nicht bereits besetzt ist.«

»Von wem denn?« Agatha Simp-sons Stimme drückte Abscheu und Skepsis aus.

»Möglicherweise von Reptilien, Mylady.«

»Wollen Sie mich umbring… – Was war das?« Sie hatte es auch gehört. Vom Fuß der Pyramide waren scharrende Geräusche zu ver-nehmen.

»Die Kommandoeinheit, Mylady«, deutete Parker. Er zog einen seiner vielen Patentkugelschreiber aus der Westentasche und drückte auf den Halteclip. Ein feiner, scharf gebün-delter Lichtstrahl fuhr in die natürli-che Baumhöhle und suchte nach exotischen Bewohnern.

»Schnell, schnell«, drängte Mike Rander, »sie kommen bereits hoch.«

Lady Agatha und Kathy Porter schlüpften nacheinander in das Ver-steck, dann folgten Mike Rander und Butler Parker, der wie ein über-großer Korken die Höhle verschloß. Dank seiner schwarzen Kleidung hob er sich gegen das dunkle Wur-zelwerk nicht ab.

Es dauerte nur wenige Minuten, bis zwei Gestalten im Blickfeld des Butlers erschienen.

Der Mond war hinter der Wolken-bank wieder hervorgekommen und

ließ sie recht gut erkennen. Die bei-den Gestalten bewegten sich mit großer Geschmeidigkeit über die großen Steinquader nach oben. Sie kamen gar nicht auf den Gedanken, ihre Opfer könnten sich inzwischen von der stumpfen Spitze der Pyra-mide abwärts bewegt haben.

Dies hatte allerdings einen ganz bestimmten Grund.

Josuah Parker hatte den Angrei-fern eine Art Orientierungshilfe gegeben und oben eine Lampe zurückgelassen. Die Männer des kubanischen Kommandotrupps mußten also annehmen, ihre Opfer befänden sich noch an dem vermu-teten Ort.

Josuah Parker hätte die beiden Männer ohne weiteres ausschalten können, doch er war klug genug, auf diese leichte Beute zu verzichten. Sie waren ja schließlich nicht allein, und Parker wußte nicht, wer noch folgen würde! Benutzten die Mitglieder des Kommandounternehmens nur die-sen Weg hier – oder aber griffen sie konzentrisch und von allen Seiten aus an?

Seine Vorsicht zahlte sich aus. Wenig später erschienen zwei wei-

tere Gestalten, die sich nach oben bewegten, dann folgten dichtauf weitere zwei Männer. Sechs mit Sicherheit trainierte Dschungel-kämpfer strebten nach der Pyrami-denspitze. Blieben nach Abzug des Verwundeten, der sich privat abge-

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setzt hatte, noch wenigstens drei Gegner. Der angeschossene Mann hatte von zehn Fallschirmspringern gesprochen, doch Parker wußte nicht, ob er diesen angeblichen Leut-nant Cordoba dabei mitgezählt hatte.

Butler Parker verständigte sich durch ein Handzeichen mit Mike Rander, verließ die niedrige Höhle und bewegte sich über die Pyrami-denstufe zurück in Richtung Steil-treppe. An der riesigen Längskante der Pyramide blieb er stehen und schaute hinunter auf die Lichtung.

Genau in diesem Augenblick rat-terten einige Maschinenpistolen los, die die Stille der Nacht jäh beende-ten…

*

»Zum Teufel, Parker, ich mache mir bereits Sorgen.« Mike Rander bemühte sich um Gleichmut, als Par-ker zum Versteck zurückgekehrt war. »Haben die Schüsse Ihnen gegolten?«

»Keineswegs und mitnichten, Sir.« Parker schüttelte andeutungsweise den Kopf. »Die Herren des Kom-mandounternehmens dürften auf die Äste geschossen haben, die ich ein wenig als schlafende Person her-zurichten mir erlaubte.«

»Und wie geht’s jetzt weiter?« »Man sollte die Pyramide verlas-

sen, Sir.«

»Wie Sie meinen, Parker.« Rander wandte sich um und informierte die Lady und Kathy Porter. Die beiden Frauen beeilten sich, aus der sticki-gen Höhle zu kommen und folgten dann dem Butler, der auf den teil-weise von der Witterung zerstörten Quadern immer den richtigen, und bequemsten Weg nach unten fand.

Das Feuer aus den Maschinenpis-tolen war inzwischen eingestellt worden, dafür riefen sich die Mit-glieder des Kommandounterneh-mens gegenseitig Flüche und Hin-weise zu. Es war deutlich zu hören, wie enttäuscht diese Männer waren.

»Ab sofort nehmen wir keine Dschungelaufträge mehr an, Mr. Parker«, erklärte Lady Simpson, als sie den Fuß der Pyramide erreicht hatten, »ich bin schließlich kein Tee-nager mehr.«

»Wo wird jetzt nach uns gesucht, Parker?« wollte Mike Rander wis-sen.

»Darüber scheint man gerade intensiv zu reden, Sir.« Parker hob lauschend den Kopf und erkannte die Stimme des angeblichen Polizei-offiziers. Cordoba schmetterte gerade einen Befehl nach oben und verlangte die Durchsuchung eines Stollens, der in das Innere der Pyra-mide führte.

»Ein passender Vorschlag«, urteilte Josuah Parker und über-setzte Lady Agatha diesen Befehl.

»Ich möchte wetten, Parker, Sie

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haben diesen Stollen längst präpa-riert, wie?« Mike Rander lächelte. Der Butler war ihnen ja erst später hinauf zur Spitze der Pyramide gefolgt.

»Die Herren werden wohl kaum widerstehen können«, erwiderte Josuah Parker und dachte an die bei-den Korbflaschen, die er dort depo-niert hatte.

»Dann können wir hier also in aller Ruhe warten?«

»Davon soll und kann man ausge-hen, Sir«, sagte Josuah Parker. »Mr. Cordoba wird wohl bald ein wenig irritiert sein.«

Das Quartett stand im Schutz hoher Baumwurzeln, die wie Trenn-wände wirkten. Parker fing mit dem Bambusgriff seines Universal-Regenschirms einige dicke Lianen ein und drapierte sie wie Vorhänge über die schmalen Kanten der Wur-zeln.

»Darf man sich nach Myladys Kreislauf erkundigen?« fragte er dann.

»Das fällt Ihnen aber ziemlich spät ein, Mr. Parker«, beschwerte die ältere Dame sich umgehend. Der Butler griff in die Innentasche seines Zweireihers und holte eine flache, lederumhüllte Taschenflasche her-vor, deren ovaler Verschluß als Becher diente. Er füllte guten alten Kognak ab und reichte Lady Agatha die Erfrischung. Sie kippte den Inhalt des nicht gerade kleinen

Bechers. mit geübtem Schwung. »Er stabilisiert sich«, sagte sie

zufrieden, »aber er ist noch ein wenig in Unordnung.«

Parker reichte seiner Herrin einen zweiten Kreislaufbeschleuniger, der nicht weniger schnell verschwand. Die ältere Dame seufzte zufrieden.

»Warum hört man plötzlich nichts mehr?« fragte sie dann mißtrauisch.

»Einige Herren dürften inzwischen die beiden Korbflaschen entdeckt haben, Mylady.«

»Sie haben dort oben im Stollen Wein deponiert?« In Myladys Stimme schwang eine leichte Erbitte-rung mit.

»Weinflaschen, Mylady, in der Tat«, antwortete der Butler, »der Inhalt dürfte jedoch nicht den Erwartungen durstiger Männer ent-sprechen.«

»Das möchte ich mir auch ausge-beten haben, Mr. Parker.«

»Das Öffnung der Korken werden die Riechorgane der Männer emp-findlich beleidigt werden«, fügte der Butler weiter aus, »daraufhin wer-den die Herren die beiden Flaschen verärgert gegen die Stollenwand werfen, möglicherweise aber auch zu Boden, was am geplanten Effekt kaum etwas ändern wird.«

»Was haben Sie sich denn jetzt wieder ausgedacht, Mr. Parker?« fragte Kathy Porter und lachte leise.

»Nach dem von mir erwarteten Zerschlagen der Flaschen, Miß Por-

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ter, werden Dämpfe austreten, die ein mehr oder weniger intensives Schlafbedürfnis auslösen werden.«

»Scheint bereits soweit zu sein«, stellte Mike Rander fest, »dieser Cor-doba schreit sich die Lunge aus dem Hals, bekommt aber keine Antwort.«

»Ergo wird er sich hinauf bemü-hen, Sir.«

»Und diese Dämpfe im Stollen ebenfalls einatmen?« Rander schüt-telte den Kopf. Er bewunderte die Listen dieses Josuah Parker.

»Falls auch Mr. Cordoba einschla-fen sollte, Sir, so wäre dies als eine erfreuliche Beigabe zu werten«, ent-gegnete der Butler würdevoll, »man sollte allerdings niemals nach den Sternen greifen, wenn ich es so for-mulieren darf!«

*

Josuah Parker hatte es durchaus richtig formuliert, wie sich bald zei-gen sollte.

Den Stimmen nach zu urteilen, war Cordoba mit dem Rest seiner Leute über die steile Treppe zur Mitte der Pyramide hinaufgestiegen – um dort nach dem Grund für das Schweigen seines hochgeschickten Kommandotrupps zu fahnden. Als er den Eingang zu dem freigelegten Stollen erreicht hatte, war seine Stimme noch mal deutlich zu ver-nehmen, doch dann herrschte bald

wieder Stille. Und nach einer gewis-sen Weile des Abwartens machten sich die Rufe der nächtlichen Tier-welt wieder bemerkbar.

»Hat’s ihn nun erwischt oder nicht, Parker?« fragte Anwalt Rander.

»Eine Frage, Sir, deren Beantwor-tung meiner bescheidenen Wenig-keit ungemein schwer fällt«, antwor-tete Josuah Parker, »Mr. Cordoba ist durchaus gewisser Listen fähig.«

»Sie meinen, er könnte oben dar-auf warten, daß sich einer von uns blicken läßt?«

»In der Tat, Sir! Man sollte sich vielleicht noch ein wenig Zeit lassen, bevor man den Stollen in Augen-schein zu nehmen gedenkt.«

»Papperlapapp, Mr. Parker«, machte Lady Agatha sich bemerk-bar. Sie war unwillig. »Wie lange soll ich hier noch herumstehen? Tun Sie gefälligst etwas, um dieses Sub-jekt auszuschalten. Ich brauche schließlich meinen Schlaf.«

»Sehr wohl, Mylady.« Parker holte seine Sportschleuder aus der Innen-tasche seines Zweireihers und ver-sorgte sich mit einigen handlichen Steinen, die es hier in reicher Fülle gab. Er lüftete in Richtung Lady Simpson seine schwarze Melone und begab sich in Schußposition. Von der Längskante der Maya-Pyra-mide aus jagte er dann einen pflau-mengroßen Stein zum Stollenein-gang. Den Eingang selbst konnte er

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wegen der steil ansteigenden Stufen nicht ganz erreichen, doch er pla-zierte sein Geschoß so, daß es in der Nähe aufschlug.

Es blieb alles ruhig, nachdem der Stein gelandet war. Entweder hatte Cordoba erstaunlich gute Nerven, oder er und seine Begleiter hatten sich ebenfalls schon niedergelegt und pflegten der Ruhe.

Butler Parker jagte einen zweiten, ein wenig größeren Stein nach oben, um dann sofort eine seiner Spezial-Tonmurmeln folgen zu lassen. Sie stammte aus einer seiner Westenta-schen und enthielt einen Reizstoff, der krampfartigen Husten auslöste.

Wie wirkungsvoll dieses Mittel war, erwies sich umgehend.

Durch die Dunkelheit war plötz-lich bellendes Husten zu verneh-men, das Sekunden später jäh erstickt wurde. Dann brach das Hus-ten wieder los und hallte über die Lichtung. Die Nachttiere des Dschungels hielten daraufhin den Atem an und lauschten.

»Ganz schön clever«, meinte Anwalt Mike Rander, der den Butler begleitet hatte, »Cordoba hat auf uns gewartet. Er scheint ganz vorn im Stollen zu stehen.«

»Mr. Cordoba scheint darauf zu warten, Sir, daß seine Leute wieder zu sich kommen.«

»Wie lange wird das dauern, Par-ker?«

»Etwa noch dreißig Minuten, Sir.«

»Die sollte man aber nutzen. Wis-sen Sie was, Parker, belegen Sie diese Burschen mit einem netten Dauerfeuer… Ich werde mich dort oben mal umsehen.«

»Sir, das könnte lebensgefährlich sein!«

»Kann, Parker, muß aber nicht… Bis gleich!«

Mike Rander ließ sich auf keine weitere Diskussion ein. Er trug inzwischen nicht mehr das weiße Dinnerjackett, sondern einen dunklen Blazer. Er winkte dem But-ler noch mal kurz zu und war dann bereits in der Dunkelheit ver-schwunden. Parker kam dem Wunsch des Anwalts nach und jagte einen Stein nach dem anderen hin-auf in Richtung Stolleneingang. Er versuchte herauszufinden, wo Mike Rander sich inzwischen befand, doch er konnte nichts ausmachen. Der Anwalt, dem man auf den ers-ten Blick nur zutraute, sich auf Par-tys behaupten zu können, war ein sehr sportlicher und geschickter Ein-zelkämpfer, der den Mitgliedern des Kommandotrupps leicht noch etwas vormachte.

*

Mike Rander hütete sich selbstver-ständlich, die steil ansteigende Opfertreppe zu benutzen. Er stieg über die mächtigen Steinquader der Stufenpyramide nach oben, holte

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dabei weit aus und überstieg den Eingang zum Stollen. Er näherte sich ihm von oben und war auf den letz-ten Metern sehr vorsichtig. Er wollte sich nicht durch ein ungewolltes Geräusch verraten.

Als er sich endlich vorbeugen konnte, entdeckte er zwei Männer, die sich Tücher vor Mund und Nase preßten. Einer von ihnen war Leut-nant Cordoba. Sie hielten ihre Waf-fen schußbereit in Händen und zuckten von Zeit zu Zeit zusammen. Nur mit letzter Mühe unterdrückten sie offensichtlich Hustenkrämpfe.

»…werden sie kommen«, sagte Cordoba gerade leise. Mike Rander verstand die spanische Sprache recht gut. »Die Neugier wird sie hochtrei-ben.«

»Und wer sind Sie?« fragte Cordo-bas Begleiter.

»Englische Agenten, das ist doch klar. Oder vielleicht gehören sie auch der amerikanischen CIA an. Sie suchen die Papiere.«

»Wir wissen immerhin, wo die abgestürzte Maschine liegt«, erwi-derte Cordoba und krümmte sich dann wieder unter einem Husten-reiz.

»Viel Zeit bleibt uns nicht mehr«, stellte der Begleiter fest, »irgend-wann wird die Distriktpolizei ihre Leute vermissen.«

»Bis dahin haben wir unseren Auf-trag abgeschlossen.« Cordoba rich-tete sich wieder auf, »weit kann der

Pilot nicht gekommen sein. Wir wer-den ihn morgen bestimmt finden.«

»Und die Agenten dort unten?« »Schicken wir in die Hölle. Sieh’

nach, wie weit unsere Freunde sind, aber paß auf!«

Cordobas Begleiter atmete ein paar Mal tief durch und schob sich dann in den mannshohen, schmalen Tun-nel. Cordoba blieb vorn zurück und wagte sich jetzt ein wenig weiter vor. Er wartete eindeutig darauf, daß seine Mitbewerber um die Papiere sich endlich heraustrauten.

Mike Rander tippte Cordoba sanft auf die linke Schulter. Der angebli-che Polizeileutnant reagierte auto-matisch, wandte sich um und… starrte dann entsetzt auf den Anwalt, der diese Begegnung mit einem blitzschnellen Karateschlag beendete. Er schleifte Cordoba zur Seite und baute sich rechts vom Stol-leneingang auf. Er hörte bereits schnelle Schritte, dann ein Hüsteln, das in bellendes Husten überging. Der Mann wankte förmlich aus dem Stollen und hielt sich an einem Stein fest. Es schien ihn im Stollen beinahe erwischt zu haben.

»Hallo, alter Junge«, sagte Rander lässig, »es ist ja gleich überstanden, wirklich.«

Der Mann hatte keine Kraft, die Maschinenpistole wenigstens ver-suchsweise anzuheben. Er rutschte schon in sich zusammen, bevor Mike Rander auch ihn mit einem Jagdhieb

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ausschaltete.

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Butler Parker hielt die Nachtwache. Er saß neben dem Stolleneingang,

der übrigens kaum noch als solcher auszumachen war. Zusammen mit Mike Rander hatte er den Eingang mit großen und kleineren Steinen blockiert und so in eine Art Massen-gefängnis verwandelt. Parker schaute auf die Lichtung hinunter und gab sich seinen Gedanken hin.

Der Anwalt hatte ihm mitgeteilt, was er aufgeschnappt hatte. Cor-doba und seine Leute wußten also inzwischen, wo sich die abgestürzte Maschine befand. Sie rechneten damit, daß der Pilot nicht weit von der Maschine entfernt irgendwo im Dschungel lag. Wahrscheinlich hat-ten die Männer im Stollen anhand von Blutspuren im Wrack der Maschine zu diesem Schluß kom-men müssen. Anders ließ ihr Opti-mismus sich ja wohl nicht erklären.

Josuah Parker machte sich keine Illusionen. Die Männer dieses Kom-mandotrupps würden niemals reden und die Lage des Flugzeugwracks verraten. Selbst wenn man das Wrack auch aufspürte, kostete die Suche nach dem toten Piloten viel Zeit. Der Dschungel hier war dicht und voller Gefahren. Parker dachte unwillkürlich an die Klapper-schlange, die es auf Agatha Simpson

abgesehen hatte. Es gab hier nicht nur Klapperschlangen, sondern auch eine Vielzahl anderer, hochgiftiger Reptilien. Im Grund war es unver-antwortlich, so relativ ungeschützt durch den dichten Regenwald zu gehen.

Parker hörte eine Stimme, die ihn leise anrief. Sie drang durch den Steinwall, der den Stollenmund ver-sperrte.

»Kann ich möglicherweise etwas für Sie tun?« fragte er halblaut.

»Hier Cordoba«, erwiderte die Stimme, »wo sind Ihre Begleiter?«

»Im Lager«, erwiderte Parker fast wahrheitsgemäß. »Sie bringen hof-fentlich Verständnis dafür auf, daß man Sie zusperrte.«

»Ein Vermögen für Sie, wenn Sie uns ‘rauslassen.«

»Führen Sie einen alten, müden und relativ verbrauchten Mann nicht unnötig in Versuchung«, ant-wortete Josuah Parker.

»Alt und müde, jawohl, das ist es!« Cordoba legte seine verbalen Leim-ruten aus. »Denken Sie an Ihr Alter und denken Sie daran, daß man Sie eines Tages auf den Müll werfen wird!«

»Sie erschrecken meine beschei-dene Wenigkeit, Sir…«

»Irgendwann sind Sie nicht mehr flink genug auf den Beinen, Mr. Par-ker. Und dann wird man Sie entlas-sen! Und was wird dann aus Ihnen nach jahrelanger Treue? Sie werden

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in einem miesen möblierten Zimmer auf Ihren Tod warten.«

»Darf ich davon ausgehen, daß Sie meiner bescheidenen Person eine Alternative anzubieten haben?«

»Reichtum, Unabhängigkeit, Frei-heit.«

»Dazu bedarf es der klingenden Münze, Mr. Cordoba.«

»Ein Vermögen für Sie, wenn Sie uns hier ‘rauslassen.«

»Ich weiß es mit letzter Sicherheit, daß Ihre Brieftaschen leer sind, von ihren Anzugtaschen ganz zu schwei-gen.«

»Zwanzigtausend Dollar in bar, Mr. Parker. Sie liegen in unserem Camp.«

»Sie sprachen, falls ich mit richtig erinnere, von Reichtum, Unabhän-gigkeit und Freiheit, Sir. Mit zwan-zigtausend Dollar?«

»Als… Als Anzahlung, Mr. Par-ker.«

»Und wie soll ich diese Summe bekommen?«

»Sie gehen mit uns ins Camp, dann…«

»Ich erlaube mir vorzuschlagen, dieses Gespräch zu beenden«, ant-wortete Josuah Parker. »Sie sollten einen im Dienst ergrauten Butler nicht unnötig beleidigen.«

»Wieso beleidigen, Mr. Parker?« Cordobas Stimme wurde geradezu beschwörend.

»Sie würden mich in Ihrem Camp umbringen, wenn nicht bereits

wesentlich früher.« »Ich schwöre bei der Madonna

von…« »Wo ist das Camp? Wo ist das

Geld?« fragte Parker kurz und knapp. »Nach der Inbesitznahme der Summe bin ich zu weiteren Gesprächen bereit.«

Hinter den festgestopften Steinen wurde es still.

»Sind Sie noch da?« meldete sich Cordoba nach einer halben Minute.

»Nur noch für etwa dreißig Minu-ten, – dann werde ich von Mr. Rander abgelöst.«

»Okay, ich werde Ihnen genau beschreiben, wo unser Camp ist, Mr. Parker.«

»Sie trauen meiner Wenigkeit?« Seine Stimme drückte Überraschung aus.

»Was hat man mit uns vor, Mr. Parker?«

»Mylady spielt mit dem Gedan-ken, die Behörden zu verständigen. Sie deutete allerdings noch weitere Möglichkeiten an.«

»So reden Sie doch, Mr. Parker?« Cordobas Stimme verriet Ungeduld, Wut und auch Angst.

»Mylady könnte Sie und Ihre Freunde allerdings auch festhalten, bis ein gewisses Flugzeugwrack gefunden worden ist.«

»Was wissen Sie davon?« »Einen Butler pflegen die Herr-

schaften niemals in ihre persölichen Absichten einzuweihen«, gab Parker

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zurück. »Mich deucht allerdings, daß dieses Wrack von einigem Wert sein soll.«

»Nun hören Sie genau zu, Mr. Par-ker: Hunderttausend Dollar für Sie, wenn Sie mitspielen. Haben Sie ver-standen. Hunderttausend Dollar!«

»Dies klingt, mit Verlaub gesagt, ein wenig unseriös, Mr. Cordoba.«

»Sie sind im Camp, Mr. Parker. Sie brauchen sie sich nur zu holen.«

»Und wo findet man dieses Camp, Mr. Cordoba?«

»Etwa zwei Kilometer hinter der Lichtung, von der Opfertreppe aus gesehen, gibt es einen kleinen See. Dorthin führt sogar ein Fußpfad, den Sie bestimmt schon entdeckt haben.«

»Er ist mir bekannt, Sir. Ich hatte bereits das ein wenig zweifelhafte Vergnügen, Mylady zum See führen zu müssen.«

»Ausgezeichnet, Mr. Parker! Der Pfad endet am Wasser… Setzen Sie mit dem Schlauchboot über, das im Dickicht versteckt ist! Auf der Insel ist unser Camp.«

»Dies alles hört sich ungemein ein-fach an.«

»Weil es so verdammt einfach ist, Mr. Parker. Paddeln Sie zur Insel ‘rüber und holen Sie sich das Geld! Dann kommen Sie zurück und set-zen sich während Ihrer nächsten Wache einfach ab. Alles weitere erle-digen dann wir.«

»Ihr Angebot erhält plötzlich einen

Anstrich, den ich als seriös bezeich-nen möchte.«

»Mann, das ist die Chance Ihres Lebens!«

»Sie werden verstehen, daß man sich solch ein Angebot erst mal gründlich durch den Kopf gehen las-sen muß, Mr. Cordoba. Wo, bitte, findet man das erwähnte Schlauch-boot?«

»Links vom Pfad, in einer Baum-wurzelhöhle. Ein Teil der Wurzeln steht im Wasser.«

»Ein gewisses Mißtrauen läßt sich nicht unterdrücken«, meinte Josuah Parker, »wieso führen Sie ein Schlauchboot mit sich?«

»Weil wir über dem kleinen See abgesprungen sind, so einfach ist das, Mr. Parker.«

»Um nach dem Flugzeug zu suchen?«

»Ja doch, Mr. Parker, aber das alles geht Sie schon nichts mehr an, falls Sie nicht von ein paar internationa-len Geheimdiensten gejagt werden wollen.«

»Hunderttausend Dollar«, sagte Parker, »ich denke, Ihre Argumente haben meine bescheidene Person überzeugt, Mr. Cordoba. Nach dem Morgentee werde ich sofort Ihr Camp aufsuchen. Ertragreicher kann kein Morgenspaziergang ausfallen, möchte ich sagen…«

*

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»Er dürfte ziemlich unter Zeitdruck stehen«, vermutete Mike Rander, nachdem er den Bericht des Butlers gehört hatte. »Und wir hier dürften gar nicht weit von der abgestürzten Maschine sein, Mr. Parker.«

»In der Tat, Sir!« Der Butler nickte zustimmend. »Darf ich noch mal an den letzten Funkspruch des Piloten erinnern? Er lautete sinngemäß, er, der Pilot also, müsse wegen Treib-stoffmangels eine Notlandung ver-suchen.«

»Richtig, so lautete der Funk-spruch, bevor die Verbindung abriß.«

»Dieser Versuch einer Notlandung wurde durch starke Regenfälle zusätzlich noch erschwert, Sir.«

»Das Wetter muß scheußlich gewesen sein.«

»Und der Regenwald hier, Sir, sieht aus der Luft aus wie eine rie-sige, homogene Fläche, wenn man mal von den vielen kleinen Seen absieht.«

»Sie wollen doch auf irgend etwas hinaus, Parker.« Mike Rander lächelte. Er befand sich mit dem But-ler auf dem Weg zum See, um das Camp aufzusuchen.

»Ich erlaube mir, Sir, mich in die Rolle eines verzweifelten Piloten zu versetzen«, redete Josuah Parker weiter. »Da wäre mal akuter Treib-stoffmangel, dann kämen noch wol-kenbruchartige Regenschauer hinzu. Solch ein Pilot sucht verzweifelt

nach einer Möglichkeit, seine Maschine und sich relativ heil zu Boden zu bringen.«

»Er kann sich in solch einer Zwangslage nur für einen See ent-scheiden, Parker. Ich habe bereits begriffen.«

»Oder auch für eine Lichtung, Sir?«

»Moment mal, Parker, Sie glauben doch nicht…« Rander nickte lang-sam.

»See oder Lichtung, Sir, das ist hier die Frage.«

»Gibt es noch andere Lichtungen oder Tempelbezirke in der näheren Umgebung?«

»Nach den Karten, die das Archäo-logische Institut von Guatemala freundlicherweise zur Verfügung stellte, gibt es in der Tat noch einen zweiten Tempelbezirk, Sir. Er liegt südlich des kleinen Sees.«

»Sollten wir endlich eine brauch-bare Spur gefunden haben?«

»Mit einiger Gewißheit, Sir. Ich darf darauf hinweisen, daß Mr. Cor-doba sicher nicht ohne Grund alles daransetzte, hier in der Region ungestört operieren zu können.«

»Okay, sehen wir uns erst mal das Camp an, Parker. Glauben Sie übri-gens an die hunderttausend Dollar?«

»Es handelt sich um eine unge-mein beträchtliche Summe, Sir.«

»Ziemlich viel Spesen für dieses Kommandounternehmen. Irgendwie bin ich mißtrauisch. Wo soll sich das

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Geld denn befinden?« »In einem kleinen Aluminiumkof-

fer, Sir, wie Mr. Cordoba sagte.« »Den sollten wir sicherheitshalber

wie ein rohes Ei behandeln, Parker. Ich traue diesem Cordoba eine Menge zu.«

»Sie hegen einen bestimmten Ver-dacht, Sir?«

»Sie etwa nicht, Parker?« Die bei-den Männer hatten inzwischen das Ufer des gar nicht so kleinen Sees erreicht und suchten nach dem Schlauchboot.

»Mr. Cordoba hält meine beschei-dene Wenigkeit für einen unter-drückten Lohnabhängigen«, gab der Butler zurück, »kaum anders wird er Miß Porter einschätzen. Er geht also davon aus, daß sowohl Miß Porter als auch meine bescheidene Wenig-keit an einer gewissen Summe äußerst interessiert sein müßten.«

»Wahrscheinlich möchte er Miß Porter und Sie nacheinander aus dem Weg räumen, Parker, um es dann nur noch mit Mylady und mir zu tun zu haben.«

»So sollte man die Dinge sehen, Sir«, pflichtete Parker dem Anwalt bei und nickte andeutungsweise.

»Okay, gehen wir davon aus, daß er Miß Porter und Sie auf den Alu-miniumkoffer hetzt«, nahm Rander jetzt wieder den Faden auf. »Dieser Koffer enthält also mit Sicherheit nicht nur Banknoten.«

»Sie sagen es, Sir.«

»Eine Sprengladung kann sich darin nicht befinden, Parker. Nach dem öffnen würde sie den Behälter zerstören und den nächsten Glücks-ritter warnen.«

»Besagter Aluminiumkoffer, Sir, steht in einem gut getarnten Erd-loch«, präzisierte Josuah Parker, »die Lage wurde von Mr. Cordoba genau beschrieben. Daraus läßt sich fol-gern, daß der Koffer möglicherweise von Giftzähnen bewacht wird.«

*

Das kleine Schlauchboot hatte sie sicher zur Insel gebracht. Nach der Landung benutzten Mike Rander und Josuah Parker einen schmalen Trampelpfad, der sich durch das feuchte, dichte Unterholz schlän-gelte. Die beiden Männer waren äußerst wachsam. Sie hielten Aus-schau nach geschickt getarnten Tret-minen und dünnen Nylonläden, die nach der Berührung hochempfindli-che Zünder aktivierten, die dann ihrerseits Sprengladungen auslösten.

»Stopp, Parker«, sagte Mike Rander plötzlich und schob sich vor-sichtig mit dem Oberkörper zurück. Er hatte gerade eine fettgrüne, fin-gerdicke Liane zur Seite schieben wollen, doch er traute ihr nicht.

»Sie hängt sehr betont und absichtslos über dem Pfad«, stellte Josuah Parker höflich fest.

»Zu betont absichtslos, Parker!

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Wie wär’s denn, wenn Sie Ihre Schleuder mal einsetzen würden, aber vorher sollten wir uns in Sicherheit bringen.«

Sie gingen ein gutes Stück zurück, und Parker holte dann aus der Innentasche seines Zweireihers die zusammenlegbare Sportschleuder. Er klappte sie auseinander, arretierte die beiden Hälften und spannte ver-suchsweise die starken Gum-mistränge. Er verbeugte sich höflich, als Mike Rander ihm einen walnuß-großen Stein reichte.

Josuah Parker visierte die Liane an und schoß den Stein ab. Er traf mit einer schon fast bestürzenden Sicherheit die Liane und fetzte sie nach hinten.

Daraufhin tat sich einiges… Ein dumpfer Schuß war zu hören,

der die Vögel, die hoch in den dich-ten Baumwipfeln saßen, kreischend hochstieben ließ. Eine Schrotladung zerfetzte kleine Äste und Blattwerk. Das Aufklatschen von Schrotkör-nern in nahen Bäumen war deutlich zu vernehmen.

»Ganz hübsch«, konstatierte Mike Rander und sah den Butler an.

»Beeindruckend, Sir, in der Tat!« Josuah Parker deutete mit der Spitze seines Universal-Regenschirms auf einen ziemlich entlaubten Strauch. »Ein ahnungsloser Passant hätte solch einen Schuß niemals überstan-den.«

»Irgendwie bedaure ich es jetzt,

Lady Agatha und Kathy an der Pyramide zurückgelassen zu haben«, meinte der Anwalt nach-denklich. »Cordoba wird sich auch dort einiges einfallen lassen.«

»Er kann den Geröllstopfen im Stolleneingang nicht per Hand-streich beseitigen, Sir.«

»Sorgen wir dafür, daß wir so schnell wie möglich wieder zurück-kommen, Parker. Wird es hier noch weitere Überraschungen geben?«

»Möglicherweise dicht vor dem eigentlichen Camp, Sir. Man sollte diesen Trampelpfad vorzeitig verlas-sen, wenn ich dies anregen darf.«

»Und ob Sie anregen dürfen, Sie frustrierter Lohnabhängiger«, frot-zelte der Anwalt, »ich rechne aller-dings damit, daß im Camp selbst noch einige Selbstschüsse installiert wurden.«

Sie benötigen gut eine Viertel-stunde, bis sie endlich das Camp des Kommandotrupps erreicht hatten. Aus Ästen und Blättern hatten die Männer kleine, niedrige Unterkünfte errichtet. Von der Luft aus konnte dieses Basislager unmöglich ausge-macht werden.

»Wo soll sich denn diese Dollar-grube befinden, Parker?« erkundigte sich der Anwalt lächelnd.

»Laut Mr. Cordoba unter einem Schutzdach, das die Fallschirme tarnt, Sir.«

»Dort drüben also! Okay sehen wir uns die Sache mal aus der Nähe an.«

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Unter einem niedrigen Schutzdach aus Ästen und großen Blättern waren die Fallschirme zu sehen, die die Mitglieder des Kommando-trupps nach unten getragen hatten. Man hatte diese Fallschirme ziem-lich wüst und oberflächlich verstaut.

»Sehr dubios, Parker, finden Sie nicht auch?« Mike Rander blieb in respektvoller Entfernung vor dem Schutzdach stehen. »Irgendwie habe ich ein verdammt unangenehmes Gefühl.«

»Das zu teilen ich mir die Freiheit nehme, Sir.«

»Wie wollen wir’s anpacken?« »Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich

einen sogenannten verlängerten Arm herstellen.«

»Und ob ich das erlaube! Ich traue mich nicht, auch nur nach einem dieser Fallschirme zu greifen.« Mike Rander zündete sich eine Zigarette an und schaute dem Butler zu, der sich inzwischen bereits einen pas-senden, langen und starken Ast aus-gesucht hatte. Und, erneut bewun-derte Mike Rander, mit welcher Geschicklichkeit der Butler dieses saftstrotzende Holz vom Stamm trennte.

Er benutzte weder einen Ast noch ein Messer. Josuah Parker verließ sich auf seine flexible, zusammen-rollbare Säge, die im Grund an einen starken Schnürsenkel erinnerte. Sie war etwa fünfzig Zentimeter lang und besaß an beiden Enden starke

Ösen aus Stahldraht. Die Sägezähne dieses Instruments

bestanden aus einem besonders gehärteten und behandelten Spezial-draht. Zentimeterdicke Eisenstäbe ließen sich mit dieser ›Bandsäge‹ innerhalb weniger Minuten durch-trennen. Das Urmodell dieser Schnürsenkelsäge stammte aus dem Zweiten Weltkrieg, wie Mike Rander wußte. Britische Komman-dotrupps wurden damit für ihre Operationen hinter den Fronten aus-gerüstet.

Das zähe Holz leistete keinen Widerstand. In unglaublich kurzer Zeit hielt der Butler den langen Ast in den schwarz behandschuhten Händen. Er rollte die ›Bandsäge‹ wieder ein und ließ sie in einer der Innentaschen seines Zweireihers verschwinden. Nachdem die letzten hinderlichen Seitenäste durchtrennt worden waren – Mike Rander besorgte das mit einem Buschmesser – fingerte der Butler mit der Spitze der Lanze nach den Fallschirmen.

Genau das empfand eine lange, giftgrün aussehende Schlange als eine Störung. Sie schoß wie ein Pfeil aus der Seide hervor und biß nach der schlanken Spitze der Stange.

»Sieht giftig aus, wie?« Mike Rander verzog das Gesicht.

»Ihr Gift tötet innerhalb weniger Minuten«, antwortete Parker höflich und beförderte das Reptil schwung-voll in den nahen Busch.

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»Ist sie da zufällig hineingeraten?« »Dies, Sir, wird eine weitere Unter-

suchung ergeben.« Parker stocherte weiter, doch auch nach dem Weg-räumen des letzten Fallschirms ließ sich keine Giftschlange mehr sehen.

»Da hätten wir ja auch die Grube«, stellte Mike Rander fest. »Sieht einla-dend und unverdächtig aus.«

Parker nahm die Abdeckung der Grube in Augenschein. Sie bestand aus einer Strohmatte, die mit Steinen beschwert war. Mit der Spitze seines Universal-Regenschirms schob er die Strohmatte zur Seite und schaute dann in die Grube, die einem soge-nannten Einmannloch glich.

»Ein Aluminiumkoffer ist in der Tat vorhanden, Sir«, meldete Josuah Parker, »man könnte den Griff durchaus ergreifen, wenn man sich flach auf den Boden legt und mit ausgestrecktem Arm hinunterlangt.«

»Worauf Cordoba es ja wohl offen-sichtlich angelegt haben dürfte«, lau-tete Mike Randers spöttische Ant-wort, »ich schlage vor, wir werden ihm diesen Gefallen aber nicht tun.«

*

Pedro Cordoba redete wie mit Engelszungen auf Kathy Porter ein. Sie stand neben dem zugestopften Stolleneingang und hatte dem angeblichen Leutnant gerade versi-chert, sie sei allein und Lady Agatha befinde sich unten im Lager.

»Hunderttausend Dollar?« fragte sie zurück und ließ Interesse hörbar werden. »Wer sagt mir, daß Sie mich nicht hereinlegen?«

»Warum wollen Sie sich für dieses arrogante Pack abschinden?« fragte Cordoba eindringlich. »Ich habe doch selbst gesehen, wie man Sie behandelt, Miß Porter. Sie sind doch nur ein Gegenstand, der zu funktio-nieren hat. Mit dem Geld können Sie sich Freiheit kaufen.«

»Oder mir einen Schuß einhan-deln.«

»Sind Sie wirklich allein hier oben auf der Pyramide?«

»Natürlich, sonst könnte ich mich ja gar nicht mit Ihnen unterhalten.« Kathy zwinkerte Lady Agatha zu, die an der anderen Seite der Stollen-mündung auf einem Klappstuhl saß. »Mr. Rander und Lady Simpson sind unten im Lager.«

»Und der Butler, Miß Porter?« »Er will Frischfleisch schießen«,

schwindelte Kathy. »Lenken Sie nicht ab, Cordoba! Welche Garantien habe ich, daß Sie mich nicht erledi-gen?«

»Holen Sie sich das Geld und set-zen Sie sich ab! Ich werde mich bestimmt nicht weiter um Sie küm-mern.«

»So einfach ist das?« »Nun ja, Sie könnten ja vorher

noch diese beiden Kapitalisten außer Gefecht setzen. Nein, nein, nicht töten, mißverstehen Sie mich nicht,

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nur etwas außer Gefecht setzen, damit wir die Steine hier in aller Ruhe abräumen können…«

»Und wo ist das Geld, Cordoba?« Der Anführer des Kommandoun-

ternehmens lieferte eine genaue Beschreibung der Grube, die sich auf der Insel befand.

»Sie brauchen nur den Koffer aus ihr zu holen und verschwinden«, drängte Cordoba. »Hunderttausend Dollar, Miß Porter! Unten im Lager vor der Pyramide stehen schließlich zwei Land-Rover. Nehmen Sie sich einen und fahren Sie nach Tikalodos und dann zur nächsten Kreisstadt… Warum wollen Sie sich weiter ein Leben lang herumstoßen lassen?«

»Moment, was war das?« Kathy richtete sich steil auf. Sie hatte einen dumpfen Schuß gehört, der im Dschungel abgefeuert worden sein mußte.

»Wahrscheinlich hat der Butler geschossen«, sagte Cordoba hastig. »Miß Porter, entscheiden Sie sich, aber versuchen Sie nicht, uns zu betrügen! Wir haben Freunde hier in der Region, viele Freunde. Irgendei-ner wird Sie dann mit Sicherheit erwischen, und wenn man Ihnen bis nach England folgen sollte.«

Er redete… Kathy Porter und Agatha Simpson

bekamen durchaus mit, daß dies nicht ohne eine gewisse Nebenab-sicht geschah. Wenn man genau hin-hörte, war immer wieder das Schar-

ren und Kratzen von Steinen zu hören. Die Männer im Stollen waren eindeutig damit beschäftigt, den Geröllstopfen abzubauen. Vorsichtig entfernten sie einen Stein nach dem anderen, um dann in einem Überra-schungscoup ausbrechen zu können.

»Ich… Ich traue mich nicht allein durch den Dschungel«, sagte Kathy Porter jetzt.

»Es kann doch überhaupt nichts passieren«, beschwor Cordoba sie. »Sie müssen nur viel Lärm machen. Jedes Tier wird Ihnen dann auswei-chen.«

»Und der See? Gibt es darin nicht Kaimane?«

»Die sind doch längst ausgerottet«, behauptete Cordoba, »wir sind ja ‘reingesprungen. Nun, was ist? Wol-len Sie sich das Vermögen verdie-nen?«

Stein scharrte auf Stein. Kathy Porter und Lady Agatha

sahen sich kurz an und machten sich bereit, den Männern eine Lektion zu erteilen. Sie brauchten nicht lange zu warten, bis ein Stein in der aufge-schichteten Mauer nach innen ver-schwand und gegen eine Hand aus-getauscht wurde, die sich vorsichtig nach außen schob.

Darauf hatte die Detektivin nur gewartet.

Sie hielt schon seit geraumer Zeit ihre lange Hutnadel in der Hand und stieß damit jetzt in das Handge-lenk des Mannes, der überrascht rea-

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gierte. Kathy hörte, daß es Cordoba war.

»Was… Was soll denn das?« schrie er dann in unterdrückter Wut, »was war das?«

»Eine kleine Lektion, Sie Lümmel«, schaltete die ältere Dame sich genußvoll ein, »für wie naiv halten Sie Miß Porter eigentlich?«

Während sie noch sprach, benutzte sie die kleine Spraydose, die der Butler ihr zurückgelassen hatte. Laut Aufschrift enthielt sie angeblich ein Mittel zur Vertreibung lästiger Insekten, doch tatsächlich befand sich in ihr ein Reizmittel, das die Augen haltlos tränen ließ.

Es dauerte nur Sekunden, bis man hinter der aufgeschichteten Stein-mauer ein gequältes Schluchzen und Schniefen hörte. Cordoba und einige seiner Leute mußte es voll erwischt haben. Sie weinten eindeutig um die Wette…

*

Auch die beiden ausgewachsenen Diamantenklapperschlangen vergos-sen Tränen.

Sie hatten ihre schützenden Seiten-höhlen links und rechts vom kleinen Aluminiumkoffer verlassen und ver-standen ihre Reptilienwelt nicht mehr. Sie hatten das gereizte Rasseln ihrer Hornklappern an den Schwan-zenden längst aufgegeben und wandten sich verzweifelt um.

»Eine tödliche Falle«, sagte Mike Rander und schüttelte sich unwill-kürlich.

»Die beiden Seitenhöhlen wurden absichtlich angelegt«, meinte Josuah Parker. »Mr. Cordoba weiß, wie man einen Schatz hütet, Sir.«

»Glauben Sie wirklich, daß sich im Koffer Banknoten befinden?«

»Wenn Sie erlauben, Sir, möchte ich mich nicht festlegen.«

»Ich würd’s auch nicht tun, Parker. Angeln Sie das Ding doch mal her-aus!«

»Sollte man dazu nicht eine kleine Vorrichtung bauen, Sir?«

»Ich habe bestimmt nichts dage-gen, Parker, ich möchte nämlich nicht in die Luft fliegen.«

Josuah Parker machte sich sofort an die Arbeit. Er schnitt ein langes Stück von einer Fallschirmleine ab und bastelte aus einer kleinen Astga-bel eine Art Angelhaken. Er ließ ihn vorsichtig in die Grube hinunter und brauchte einige Zeit, bis er diesen improvisierten Haken unter den Griff des Aluminiumkoffers gescho-ben hatte. Die beiden Diamanten-klapperschlangen faßten dieses Her-umwerkeln als eine Bedrohung auf und stießen immer wieder mit ihren Giftzähnen zu.

Als der Griff fest am Haken saß, warf Parker die Leine über einen weit hervorstehenden Ast und trat dann zurück. Mike Rander folgte ihm sofort. Sie rollten die Fall-

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schirmleine etwa zehn Meter lang ab und nahmen dann hinter der provi-sorischen Feuerstelle Deckung, die ihrerseits hinter einem dicken Baum-stamm angelegt worden war.

»Ihr Einverständnis vorausset-zend, Sir, werde ich jetzt den Koffer ein wenig heben.«

»Und ich mache mich auf eine Überraschung gefaßt, Parker.«

Der Butler zog vorsichtig an der Leine und trat dabei dicht neben den Anwalt, der sich art den Stamm preßte. Zentimeterweise liftete Par-ker den Koffer an und… zuckte trotz seiner oft gerühmten Selbstbeherr-schung ein wenig zusammen, als eine reißende Detonation erfolgte.

Die Schlangengrube verwandelte sich in einen tiefen Granattrichter. Der Koffer, nur noch aus Fetzen bestehend, löste sich etwa zehn Meter hoch in der Luft vollends auf und vermischte sich mit den Erd-und Steinbrocken. Von den beiden zu Tränen gerührten Diamanten-klapperschlangen war selbstver-ständlich nichts mehr zu erkennen.

»Sehr eindrucksvoll«, stellte Mike Rander trocken fest, als die Stein-und Erdbrocken wieder den Boden erreicht hatten, »da hat Cordoba sich allerhand einfallen lassen!«

»Für den Fall seiner Festnahme, Sir«, bestätigte der Butler, »sollte man davon ausgehen, daß dieses Camp noch wesentlich explosiver ist, als anzunehmen war.«

»Wir sollten den Rückzug antre-ten, Parker«, schlug Mike Rander vor, »das hier scheint mir so eine Art Riesenfalle zu sein. Das eigentliche Camp kann das nicht sein.«

»Wenn Sie erlauben, Sir, möchte ich Ihnen erneut beipflichten.«

»Räumen wir das Feld!« Rander schaute sich mißtrauisch nach allen Seiten um, »mich würde es nicht wundern, wenn die ganze Insel gleich in die Luft fliegt.«

»Dazu bedürfte es einer erhebli-chen Menge an Sprengstoff, Sir.«

»Zu Ihrer Orientierung, Parker, das sollte ein Scherz sein.« Mike Rander lächelte.

»Wie Sie meinen, Sir.« Parker ver-zog keine Miene. »Sollte man nicht einen Blick auf den ganzen See wer-fen?«

»Was versprechen Sie sich davon?«

»Bietet er einem Piloten die Chance, eine Notwasserung vorzu-nehmen?«

»Sie denken an Olmeda, klar. Okay, gehen wir, aber ich sage Ihnen gleich, daß ich irgendwelche Tram-pelpfade nicht mehr benutzen werde. Hier scheinen überall Selbst-schüsse oder Sprengladungen ver-steckt worden zu sein.«

Sie nahmen sich viel Zeit und brauchten rund zwanzig Minuten, bis sie das andere Ende der kleinen Insel erreicht hatten. Mike Rander benutzte sein Fernglas und suchte

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den See ab, der eine Senke füllte und vom Dschungel umklammert wurde. Er entdeckte noch andere, kleinere Inseln, doch er konnte keine Flugzeugtrümmer ausmachen.

»Vielleicht versuchen Sie’s mal«, sagte er zu Parker und reichte ihm das Glas. »Offen gesagt, als Pilot hätte ich keine große Lust, hier eine Notlandung zu versuchen. Da wäre mir die Tempellichtung schon wesentlich lieber.«

»Sie denken an zusätzliche Gefah-ren, die der See bergen könnte, Sir?«

»Sie etwa nicht? Ich denke hier in den Tropen automatisch an Panze-rechsen.«

»Mr. Olmeda könnte durchaus ähnlich gedacht haben, Sir.«

»Und was folgern Sie daraus?« »Im Umkreis von einigen Kilome-

tern, Sir, gibt es nur diesen flachen See und die gerade erwähnte Tem-pellichtung.«

»Halten wir mal fest, daß die Lich-tung für eine Notlandung auf jeden Fall zu klein ist, Parker. Olmeda mußte hier ‘runtergehen. Er konnte noch seinen letzten Funkspruch absetzen, also muß er noch Zeit genug gehabt haben, sich zu ent-scheiden. Ich hätte die Maschine hier auf dem Wasser so aufgesetzt, daß sie im Absacken möglichst nahe dem Ufer war.«

»Und zwar in Richtung Tempel-lichtung, Sir, wenn ich mir diesen Hinweis erlauben darf. Diese Lich-

tung bedeutete für den Piloten wahrscheinlich so etwas wie ein Anschluß an die Zivilisation.«

»Warum nehmen wir nicht das Schlauchboot und suchen das ent-sprechende Ufer ab, Parker? Cor-doba und seine Leute sind ja bestens aufgehoben. Übrigens, Parker, haben Sie schon mal daran gedacht, daß Olmeda vielleicht eine völlig falsche Standortmeldung abgesetzt haben könnte?«

»Eine Vorstellung, Sir, die man nur als bestürzend bezeichnen kann«, lautete Josuah Parkers Antwort. »Er vermeldete, eine Lichtung mit einer Maya-Pyramide dicht an einem See gesehen zu haben. Solche Mayatem-pelstätten gibt es hier im Peten zur Freude der Archäologen in sprich-wörtlicher Hülle und Fülle. Von der Vielzahl der flachen Senken und Seen mal ganz zu schweigen, die sich offensichtlich nach Belieben auf-füllen oder austrocknen.«

»Warum hat man uns nicht gebe-ten, eine Nadel im Heuhaufen zu suchen?« meinte der Anwalt iro-nisch. »Unsere Chancen wären wesentlich größer!«

*

»Eindeutig ein ungehobelter Ameri-kaner«, urteilte Agatha Simpson abfällig und musterte den riesigen, lauten Weißen, der am Fuß der Stu-fenpyramide herumstiefelte und sich

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im Lager des Quartetts neugierig umschaute. »Wir hatten damals lei-der nicht Zeit genug, diesen Flegeln Manieren beizubringen.«

Die ältere Dame spielte in ihrer so überaus liebenswürdigen Weise auf den Unabhängigkeitskrieg an, der nun doch schon einige Jahre zurück-lag.

Der Mann war nicht allein. Er wurde von einem halben Dut-

zend Einheimischer begleitet, die ihn mit größtem Respekt behandelten und ihm sorgsam aus dem Weg gin-gen. Der Mann, dessen Körpermaße an die eines Gorillas erinnerten, war fett und schwer. Er trug Breechesho-sen, Stiefel und eine Khakijacke. In der rechten Hand hielt er eine Reit-peitsche, die so gar nicht zu den bei-den Lastwagen paßte, die auf der Lichtung parkten.

»Hallo, ihr da oben?« Der Mann hatte eine Stimme, die elektrisch ver-stärkt zu werden schien. »Was ist hier los? Ist das ‘ne Art, einen Landsmann zu empfangen?«

»Er kann unmöglich ein Engländer sein.« Lady Agatha sah Kathy Porter ungläubig und fast entsetzt an.

»Nehmen Sie gefälligst den Hut ab, wenn Sie mit einer Dame spre-chen!« grollte Lady Agatha. Ihre Stimme hatte es in sich. Sie hallte wie ein kleines Gewitter über die Lichtung.

Der Mann stutzte, grinste und nahm dann seinen breitkrempigen

Hut ab. Er verbeugte sich bewußt und eindeutig ironisch sehr tief in Richtung Lady Simpson.

»Hank Bunkers«, stellte er sich dann vor, »was dagegen, wenn ich ‘raufkomme?«

»Es ist Ihr Risiko, junger Mann«, rief die Detektivin nach unten. »Wer sind Sie und was wollen Sie hier?«

»Junger Mann ist gut.« Bunkers lachte dröhnend. Er war immerhin an die fünfzig. »Ich bin Tierfänger und komme vom Amazonas. Ich brauche noch ein paar hübsche Jaguare, Pumas und Stachelrochen. Sie vermessen hier die alten Stein-haufen, habe ich mir in Tikalodos sagen lassen.«

Er kam langsam zur steilen, noch recht gut erhaltenen Opfertreppe und stieg nach oben. Er bewegte sich trotz seiner Fülle mit erstaunlicher Geschmeidigkeit. Der Anstieg schien ihm überhaupt nichts auszumachen. Als er die beiden Frauen auf der Pyramidenstufe erreicht hatte, inter-essierte er sich sofort für den Stollen-eingang und den Steinpfropfen.

»Brauchen Sie Hilfe?« fragte er und deutete mit der Reitpeitsche auf die Steine. »Kleinigkeit für mich.«

»Sind Sie etwa britischer Staats-bürger?« erkundigte sich Agatha Simpson.

»Liegt lange zurück, ich lebe seit ‘ner Ewigkeit in den Staaten.« Der Mann, der sich als Hank Bunkers vorgestellt hatte, lachte dröhnend.

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Er musterte Kathy Porter mehr als ungeniert, ja, er schien sie jetzt sogar mit seinen Augen auszuziehen.

»Haben Sie nicht zwei Männer mit?« fragte Bunkers weiter.

»Sie scheinen sich ausgiebig erkundigt zu haben.« Lady Agatha musterte ihn mit einem abschätzen-den Blick.

»Worauf Sie sich verlassen kön-nen, Madam. Hier soll’s schließlich Terroristen geben.«

»Nachdem sie Ihre Stimme gehört haben, dürften sie sich über die Lan-desgrenzen zurückgezogen haben.«

»Sie haben Haare auf den Zähnen, Madam«, dröhnte Bunkers erfreut und grinste. »Ich schätze so was, ehrlich. Wo stecken denn Ihre Begleiter?«

Während er fragte, trat er dicht vor den Steinpfropfen und fingerte mit seinen mächtigen Pranken an den Steinen herum.

»Die Herren vertreten sich etwas die Beine«, entgegnete die Detekti-vin und sah ihn kühl an. »Wollen Sie’s nicht auch tun und wieder hin-untergehen?«

»Hier stimmt doch was nicht«, sagte Bunkers und legte sein Ohr gegen einen Spalt in der Steinmauer. »Ich höre doch Stimmen! Haben Sie Ihre Begleiter etwa eingemauert?«

»Und wenn? Würde Sie das etwas angehen?« Der Pompadour an Myla-dys Handgelenk geriet in leichte Schwingung, doch der riesige Mann

achtete nicht weiter darauf. »Was ist da hinter der

Steinmauer?« fragte er noch mal. »Das sind doch Stimmen, Madam!«

»Terroristen«, warf Kathy Porter höflich und bescheiden ein. Sie war in die Rolle der Sekretärin geschlüpft, die im Grund nur zu gehorchen hatte.

»Terroristen?« Bunkers stutzte. »Wollen Sie mich auf den Arm neh-men? Ich will sofort wis… Ach was, ich sehe selbst nach.«

Der Mann beging den Kardinalfeh-ler, die aufeinandergetürmten und ineinander verkeilten Steinbrocken wegräumen zu wollen. Er fuhr zusammen, als sei er von einer Tarantel gestochen worden. Dann bewegte er seine Körpermasse um gut anderthalb Zentimeter senkrecht hoch in die Luft und brüllte.

Agatha Simpson hatte ihm ihre lange Hutnadel in die linke Gesäß-hälfte gerammt.

Bunkers fuhr nach der Rückkehr auf die Steinquader herum und holte instinktiv zu einem Schlag mit der Reitpeitsche aus. Lady Agatha aber war wesentlich schneller. Sie donnerte dem Mann ihren Pompa-dour auf die rechte Kinnlade. Der ›Glücksbringer‹ im perlenbestickten Handbeutel tat prompt seine Wir-kung. Die Augen des Mannes nah-men einen glasigerstaunten Aus-druck an. Dann rutschte der massige Biese in sich zusammen und schielte

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die ältere Dame an. »Sie Lümmel«, herrschte sie ihn

an, »Sie wagen es, eine alte und hilflose Frau zu schlagen?«

Bunkers versuchte auf die Beine zu kommen. Er mühte sich ehrlich ab, kniete hoch und rutschte dann erneut weg. Diesmal landete er auf seinem massiven Leib und zappelte noch einen Moment mit den Beinen. Dann streckte er sie aus und bewegte sich nicht mehr.

Agatha Simpson schaute auf den Pompadour, der noch mal einge-schlagen hatte und schüttelte dann vorwurfsvoll den Kopf in Richtung Kathy Porter.

»Diese jungen Leute von heute können nichts mehr vertragen«, meinte sie verächtlich. »Ich hätte große Lust, ihn über die Treppe nach unten zu werfen. Wie denken Sie darüber, Kindchen?«

»Er würde sich wahrscheinlich das Genick brechen, Mylady«, warnte Kathy Porter.

»Wenn schon!« Sie schnaufte ver-ärgert. »Dann kann er wenigstens keine Frauen mehr belästigen. Glau-ben Sie wirklich, daß er nur Tierfän-ger ist? Ich nicht, Kindchen! Er gehört zu diesem Cordoba, möchte ich wetten. Wir werden ihn erst mal unschädlich machen.«

Kathy Porter schaute nach unten. Die Einheimischen standen in

einer Gruppe beisammen und rede-ten leise miteinander. Dann, völlig

überraschend, warfen sie ihre Hüte in die Luft und applaudierten der älteren Dame.

Sie nickte huldvoll nach unten und lächelte.

»Sehr nette und höfliche Leute«, meinte Lady Simpson dann, »ich denke, ich werde sie später zum Tee einladen, Kathy. Erinnern Sie mich daran, falls ich es vergessen sollte!«

*

Der weiße Riese fuhr hoch, als von weither eine dumpfe Detonation zu hören war.

Er richtete sich auf und schaute sich verwirrt um. Dann griff er nach seiner Kinnlade und anschließend nach der Beule am Hinterkopf. Der ›Glücksbringer‹ im Pompadour der älteren Dame hatte seine Spuren hinterlassen.

»Verdammt, was war eigentlich los?« fragte er mit gepreßter Stimme, die dann in ein Stöhnen überging.

»Sie sind ausgerutscht, junger Mann«, behauptete Lady Agatha süffisant und lächelte zuckersüß. »Sie sollten in Zukunft besser auf sich aufpassen.«

»Sie… Sie haben mich von den Bei-nen gehauen, nicht wahr?« Der Mann, der sich Bunkers nannte, sah Agatha Simpson respektvoll an. »Sie… Sie müssen ‘nen Hammer in der Hand gehabt haben.«

»Reden Sie gefälligst keinen

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Unsinn, junger Mann«, widersprach die Detektivin. »Haben Sie immer noch Lust, den Steinwall einzurei-ßen?«

»Schon gut, schon gut.« Bunkers winkte ab und setzte sich hoch. Er war noch zu benommen, um sich auf die Beine zu wagen. »Wer ist da im Stollen?«

»Einige Terroristen«, warf Kathy Porter ein. Sie hielt die Pistole in der Hand, die sie Bunkers weggenom-men hatte. Kathy ließ sich ihre Unruhe nicht anmerken. Die dumpfe Detonation konnte nur mit dem Ausflug von Butler Parker und Mike Rander zusammenhängen. Waren sie das Opfer einer raffinier-ten Falle geworden? Waren sie auf weitere Kommandotrupps gestoßen?

»Worauf warten Sie eigentlich noch?« grollte Lady Agatha inzwi-schen Bunkers an und deutete nach unten auf die Lichtung, »wollen Sie sich nicht endlich um Ihre Pumas und Rochen kümmern?«

»War da nicht eben ‘ne Detona-tion?« fragte Bunkers. Inzwischen war er wieder voll da, wie man sei-nen Augen ansah.

»Sie reagieren ja ungewöhnlich schnell, junger Mann«, spottete die ältere Dame.

»Terroristen?« Bunkers schob sich langsam hoch und schätzte seine Chancen ab.

»Sonntagsjäger sind hier kaum

anzutreffen«, gab die resolute Dame ironisch zurück.

»Sie trauen mir nicht, wie?« Bun-kers war offensichtlich noch nicht zu einem Entschluß gekommen.

»Überhaupt nicht.« Lady Agatha nickte grimmig. »Sie stecken natür-lich mit diesem Cordoba unter einer Decke, oder wollen Sie das etwa abstreiten?«

»Wer ist Cordoba, Madam?« »Sie sprechen mit Lady Agatha

Simpson«, stellte Kathy Porter klar. »Okay, okay, Miß, wer also ist Cor-

doba?« »Fragen Sie ihn, Bunkers!« Lady

Agatha deutete auf den Steinwall. »Er wird Ihnen mit Sicherheit die Wahrheit und nichts als die Wahr-heit sagen.«

»Hallo, da hinter den Steinen, hören Sie mich?« Bunkers sprach wieder mit normaler Lautstärke, und Kathy Porter war versucht, sich die Ohren zuzuhalten.

»Leutnant Cordoba von der Dis-triktpolizei«, kam die verschnupfte Antwort. »Sorgen Sie dafür, daß wir hier herauskommen.«

»Wie sind Sie denn da ‘reingekom-men?« fragte Bunkers.

»Durch einen miesen Trick«, ant-wortete der angebliche Polizeioffi-zier. »Einzelheiten später. Hüten Sie sich vor den beiden Frauen, wer immer Sie auch sein mögen! Sie sind gerissen wie Profis…«

»Wem sagen Sie das«, murmelte

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Bunkers und grinste fast anerken-nend. Und noch mal tastete er die Schwellungen an Kinnlade und Kopf vorsichtig ab.

»Sie haben mit ihren Begleitern einen alten Goldschatz der Mayas gestohlen. Auf Sie wartet eine hohe Belohnung.«

»Goldschatz?« Der Mann, der Tier-fänger zu sein behauptete, wandte sich zu Lady Agatha und Kathy Por-ter um.

»Tonnenweise Gold«, sagte Lady Agatha spöttisch. »Warum gehen Sie nicht endlich auf uns los? Sie haben es doch nur mit zwei wehrlosen Frauen zu tun, Bunkers?«

*

»Dort drüben sieht’s ziemlich wüst aus, Parker«, stellte Mike Rander fest. Er saß vorn im Schlauchboot und beobachtete durch das Fernglas den Rand des Dschungels, der sich bis ins seichte Wasser vorgeschoben hatte.

»Äste und Lianen sind eindeutig abgerissen, Sir.« Parker brauchte kein Fernglas. Er betätigte das kleine Paddel und dirigierte das Schlauch-boot in die schmale Bucht. Erstaunli-cherweise stieg der Boden hier um einige Meter steil an und schien aus Kalkfelsen zu bestehen.

»Eindeutig, Parker.« Mike Rander deutete auf den zerrissenen Vorhang aus Lianen und Blattwerk. »Dort

muß die Maschine aufgeschlagen sein.«

Parker fuhr bereits in die schmale Bucht und legte neben einem umge-stürzten, mächtigen Baumstamm an, dessen Wurzelwerk sich noch in der Böschung festklammerte.

»Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich eine erste Inspektion unternehmen«, sagte er. »Ohne den Dingen vorgrei-fen zu wollen, möchte ich zu sagen mir gestatten, daß man sich wohl dem Zentrum des seinerzeitigen Geschehens nähert.«

»Passen Sie hin und wieder auf sich auf, Parker!« Rander hielt das Schlauchboot an einem vorstehen-den Ast fest, und Parker stieg auf den Baumstamm über, der übrigens auf natürliche Art und Weise umge-stürzt sein mußte. Das notlandende Flugzeug hätte niemals die Energie freigesetzt, solch einen Baum aus seiner Lage zu bringen.

Mit der Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit eines professionellen Seiltänzers balancierte Josuah Parker über den glitschigen, bemoosten Stamm zum Kalkfelsen hinüber, der von tiefen Einschnitten durchzogen war. Die vielen Regenfälle hatten das leichte Gestein ausgewaschen.

Mike Rander bewunderte wieder mal Josuah Parker. Der Butler schien keine Furcht zu kennen. Selbst hier im tropischen Regenwald, wo auf Schritt und Tritt die unglaublichsten Gefahren lauerten, bewegte er sich

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wie auf dem Parkett eines engli-schen Herrenhauses. Auch die fast unerträglich schwülfeuchte Hitze machte diesem außergewöhnlichen Mann nichts aus. Er schien tatsäch-lich über so etwas wie eine innere Klimaanlage zu verfügen.

Der Butler hatte inzwischen das Ufer erreicht und mußte den Baum-stamm verlassen. Er stieg zu steil an und war zu rutschig. Die Gefahr eines Abrutschens wäre wohl doch zu groß geworden. Parker benutzte eine der tief eingeschnittenen Was-serrinnen im Kalkfels und stieg wie über eine unsichtbare Treppe nach oben. Er erreichte das kleine Plateau und schaute hinter den zerrissenen Vorhang aus Kletterpflanzen und Schlinggewächsen.

Der Autor eines Dschungelfilms hätte die Szene nicht dramatischer entwerfen können.

Butler Parker sah sich plötzlich einem Jaguar gegenüber, der ihn äußerst gereizt anfauchte, was wohl mit dem Tapir zusammenhing, den er gerade geschlagen haben mußte.

Der Jaguar duckte sich, fauchte und zeigte seine Reißzähne. Er wollte sich seine Beute nicht streitig machen lassen.

Butler Parker löste dieses für ihn kleine Problem auf seine Art. Er nahm den Universal-Regenschirm vom linken Unterarm und – spannte ihn einfach ruckartig auf. Der Jaguar fuhr entsetzt zusammen und starrte

auf dieses kreisrunde, schwarze Etwas, das er noch nie in seinem ereignisreichen Dasein im Dschun-gel zu sehen bekam.

Dazu spürte er deutlich die Gefahr, die von diesem schwarz gekleideten Zweibeiner ausging. Knurrend und fauchend trabte das elegante Tier zurück ins Unterholz, um dann hastig die Flucht zu ergrei-fen. Es verzichtete sicherheitshalber und freiwillig auf jede Konfronta-tion.

Hinter dem zerrissenen Vorhang aus Lianen zeigte sich eine erstaunli-che geologische Formation. Regen-güsse hatten hier den kalkigen Fels tief ausgewaschen und eine Art Karst gebildet. Es gab tiefe Rinnen bis zu zweieinhalb Metern, runde Kessel, die an Brunnenöffnungen erinnerten, und Feldeinbrüche, die wohl den Zugang zu Höhlen dar-stellten.

Der Dschungel hatte hier nicht Fuß fassen können. Die vielen Regen-güsse wuschen alles Grün immer wieder hinunter in den flachen See. Butler Parker kam wesentlich schneller voran, als er dachte. Und dann stand er ohne Übergang plötz-lich vor den Trümmern einer völlig zerfetzten Maschine, deren Motor sich aus der Halterung gelöst hatte und in einem weiten Kessel lag.

Parker ließ sich seine Überra-schung nicht anmerken. Selbstbe-herrschung gehörte zu seinen

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Tugenden. Er näherte sich dem Wrack, nach dem der Dschungel bereits gegriffen hatte. Obwohl die Maschine erst vor knapp einem Monat hier notgelandet war, wurde sie bereits bedeckt von sattem Grün.

Nach wenigen Minuten wußte Parker mehr.

Von dem Piloten war nichts zu sehen. Er schien nach der Notlan-dung, die einem Absturz fast gleich-gekommen war, noch die Kraft gehabt zu haben, die Maschine zu verlassen. Wohin mochte er sich geschleppt haben?

*

»Haben Sie eine passende Idee auf Lager, Parker?« erkundigte sich Mike Rander. Er war inzwischen nachgekommen und stand neben dem Butler. Dann schaute er hoch und wunderte sich nicht mehr dar-über, daß man das Flugzeugwrack aus der Luft nicht hatte ausmachen können. Die riesigen Bäume mit ihren unwahrscheinlichen Laubkro-nen versperrten jede Sicht. Auch von der Seeseite aus hätte man wegen der überwuchernden Grüns nichts sehen können.

»Mr. Olmeda wird versucht haben, Sir, die Lichtung zu erreichen«, ant-wortete Parker, »meiner bescheide-nen Schätzung nach ist sie von hier aus etwa bis zu anderthalb Kilome-ter entfernt.«

»Wenn nicht mehr, Parker! Der arme Teufel kann das nie geschafft haben. Wir sollten davon ausgehen, daß er sich so ziemlich jeden Kno-chen im Leib gebrochen hatte.«

»Dem ist leider beizupflichten, Sir.«

»Hat er’s überhaupt versucht, Par-ker? Anderthalb Kilometer Dschun-gel! Das muß man sich mal vorstel-len! Die schafft ja kaum ein Gesun-der.«

»In der Tat, Sir, ein fast aussichts-loses Unterfangen.«

»Was also wird er getan haben?« Rander hatte sich eine Zigarette angezündet und trat an einen der tiefen Einschnitte und deutete nach unten. »Woher stammen eigentlich diese seltsamen Einbrüche?«

»Diese Region, Sir, besteht aus einer Kalkdecke, die durch örtliche Erdstöße immer wieder neu gefaltet wird«, antwortete der Butler, »Ken-ner sprechen von einer sogenannten Karstlandschaft. Es gibt hier größere und kleinere Seen, die neu entstehen und plötzlich wieder verschwinden. Flußläufe von teils beachtlichem Ausmaß verlassen an bestimmten Stellen die Erdoberfläche, fließen unterirdisch kilometerweit und tau-chen plötzlich wieder auf. Man spricht von großen unterirdischen Höhlensystemen, die selbstverständ-lich noch nicht mal annähernd auch nur registriert, geschweige denn erforscht wurden.«

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»Sie haben sich wieder mal bestens auf diesen Ausflug vorbereitet, Par-ker«, stellte der Anwalt lächelnd fest. »Warum sickert all das Wasser nicht grundtief ab?«

»Unter der Kalkdecke, Sir, befindet sich eine wasserundurchlässige Ton-schicht«, wußte der Butler weiter zu berichten. »Die Erwähnung von natürlichen Tunnelsystemen und Flußläufen bringt meine bescheidene Wenigkeit auf einen Gedanken, den man vielleicht näher erörtern sollte.«

»Sie denken an Olmeda, nicht wahr?«

»Er wußte, daß er sterben würde, Sir, er befand sich im Besitz wichti-ger Unterlagen, die unbedingt ihren Empfänger erreichen sollten.«

»Olmeda könnte sich in eine Höhle zurückgezogen haben, das meinen Sie doch, Parker, oder?«

»Solch eine Überlegung bietet sich an, Sir, wenn man sich in die Gedan-kenwelt des Mr. Olmeda versetzt.«

»Schwer verletzt, wird er nicht lange gesucht haben«, warf Mike Rander ein. »Es goß wie aus Eimern, und diese Einschnitte hier müssen so etwas wie kleine reißende Gebirgsbäche gewesen sein.«

Mike Rander machte dieses Gedankenspiel Spaß. Er spürte, daß man einer Lösung immer näher kam. Er sah das schäumende und tosende Wasser in den tiefen Rinnen und wußte, daß Olmeda ihnen aus-gewichen sein mußte. Josuah Parker

dachte wohl ähnlich, denn er war bereits zurückgegangen und näherte sich einer kleinen Böschung, die von oberschenkeldicken Baumwurzeln umklammert wurde.

»Ich glaube, Parker, Sie sind auf dem richtigen Weg«, meinte der Anwalt und folgte dichtauf. Er stellte sich einen schwer verletzten Olmeda vor, der sich mit letzter Kraft noch aus der Maschine hatte retten können. Die Böschung dort konnte nur seine einzige Zuflucht gewesen sein.

Butler Parker stand inzwischen vor dieser Böschung und hielt Ausschau nach natürlichen Höhlungen. Es gab viele davon, doch sie alle waren nicht groß genug, einen Menschen aufzunehmen. Dennoch machte der Butler sich die Arbeit, die ganze Böschung abzuschreiten. Hinter jeder Baumwurzel konnte schließ-lich eine Überraschung verborgen sein.

»Fehlanzeige, Parker«, meinte der Anwalt nach zehn Minuten, »da haben wir mit frischen Zitronen gehandelt.«

»Solch einer Befürchtung möchte auch ich Ausdruck verleihen, Sir.«

»Entweder ist er ‘runter in den See gespült worden, Parker, oder aber er hat doch versucht, durch den Dschungel auf die Lichtung zu kom-men.«

»Wenn Sie gestatten, Sir, möchte ich mich erneut in die mögliche

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Gedankenwelt des Mr. Olmeda ver-setzen«, antwortete Josuah Parker.

»An diesem Spiel werde ich mich beteiligen, Parker.« Mike Rander lächelte. »Olmeda war Agent und wußte, daß er hochbrisantes Mate-rial bei sich hatte. Dieses Material muß nach seinem Willen unbedingt in die richtigen Hände gelangen.«

»Bei einem etwaigen Marsch durch den Dschungel wäre die Gefahr zu groß gewesen, daß es hätte verloren gehen können, Sir.«

»Eben, Parker, und darum wird er es ganz bewußt in der Nähe der Maschine zurückgelassen haben.«

»Und zwar an einem Ort, den man wahrscheinlich erst durch intensives Nachdenken finden wird, Sir.«

»Der Kommandotrupp wird die Maschine und die Böschung längst durchsucht haben.«

»Ebenfalls die nähere und weitere Umgebung des Geländes hier, Sir.«

»Olmeda hat uns da eine recht ver-trackte Denksportaufgabe zurückge-lassen, Parker.«

»Jedoch wohl kaum ohne Hinter-lassung eines Codes, um diese Auf-gabe lösen zu können, Sir.«

»Worauf spielen Sie an, Parker?« »Dieser Code, Sir, muß mit Mr.

Olmedas Beruf oder seinen Interes-sen zusammenhängen, wenn ich es so ausdrücken darf.«

»Klingt plausibel, Parker. Wissen Sie etwas darüber? Ich wette, Sie haben sich mit dem Vorleben dieses

Olmeda gründlich befaßt.« »Mr. Olmeda, Sir, war ein passio-

nierter Sportfischer und Fotograf. Ich darf darauf verweisen, daß er in Havanna ein kleines Fotogeschäft betrieb, das ihm als Tarnung für seine wirkliche Profession diente.«

»Angler also und Fotograf.« Mike Rander nagte an seiner Unterlippe. »Könnte er eines dieser Hobbys dazu benutzt haben, die Unterlagen zu verstecken?«

»Davon sollte man in der Tat aus-gehen, Sir.«

»Fotograf!« Rander suchte nach einer Eingebung. »Ich denke da automatisch an eine Fotoausrüstung, Parker. Sie wissen, was ich meine: Er hat vielleicht einen Fotoapparat und Objektivköcher mitgenommen. Ja, Objektivköcher! Die bestehen in der Regel aus Leder und dürften groß genug sein, Fotos und Lageskizzen aufzunehmen.«

»Ein Schluß, den ich als beste-chend bezeichnen möchte, Sir.«

»Versetzen wir uns also noch mal in Olmedas Situation, Parker. Er hatte hier die Bruchlandung gebaut, war schwer verletzt und wußte, daß er nicht mehr viel Zeit hatte. Er wollte aber seine Unterlagen sicher unterbringen.«

»Er könnte sie in einen Objektivkö-cher gesteckt haben, Sir.« Parker nickte höflich.

»Und wohin schaffte er ihn, Par-ker?« Mike Rander schaute sich nach

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allen Seiten um. »Er wußte, daß man nach seiner Maschine suchen würde. Er konnte sich ausrechnen, daß man hier jeden Quadratzentimeter genau absuchen würde.«

»Ein erfahrener Agent wie er mußte davon ausgehen, Sir.«

»Jeden Quadratzentimeter Boden«, präzisierte der Anwalt und schaute dann ruckartig hoch zu den Bäum-stämmen, die über und über mit Schlingpflanzen bedeckt waren. »Wie hätten Sie reagiert, Parker?«

»Möglicherweise wäre solch ein Köcher von meiner bescheidenen Wenigkeit hinauf in das Gewirr der Lianen geschleudert worden, Sir.«

»Eben, Parker, daran denke ich gerade. Auch ich hätte meinen Foto-apparat samt den Köchern zwischen die Lianen geschleudert. Der Trag-riemen mußte sich dann irgendwo verfangen und das alles hoch über dem Boden festhalten.«

*

Hank Bunkers hatte die beiden angeblich so hilflosen Frauen gemustert und verzichtete darauf, den starken Mann zu spielen. Er lächelte ein wenig verlegen und winkte dann ab.

Seine echte oder gespielte Resigna-tion hing übrigens mit dem Erschei-nen von Butler Parker und Mike Rander zusammen, die gerade die Lichtung betraten.

»Sind das Ihre beiden Begleiter?« erkundigte er sich.

»Mr. Parker und Mr. Rander«, bestätigte Kathy Porter, die noch immer Bunkers’ Schußwaffe in der Hand hielt. »Vielleicht sollten Sie Kontakt mit Ihnen aufnehmen, Mr. Bunkers.«

»Mach’ ich, werd’ ich tun!« Bun-kers hatte es plötzlich eilig, über die steile Treppe nach unten zu steigen. Wahrscheinlich rechnete er sich dort unten auf der Lichtung gewisse Chancen aus, denn er hatte natürlich mit einem schnellen und prüfenden Blick das Aussehen der beiden Män-ner registriert, die so gar nicht in diese exotische Umgebung paßten. Lady Agatha folgte ihm, während Kathy Porter weiterhin den Geröll-stopfen im Stolleneingang bewachte.

»Warum wollen Sie eigentlich Selbstmord begehen?« begann Cor-doba sofort wieder. »Früher oder später kommen wir hier ja doch ‘raus, Miß Porter.«

»Ich traue Ihnen nicht.« »Diesem Bunkers würde ich schon

gar nicht trauen«, redete Cordoba eindringlich weiter, »der Bursche ist doch die Hinterlist in Reinkultur.«

»Und Sie sind ein edler Ritter, wie?« Kathy Porter lachte spöttisch auf. »Warum sagen Sie mir nicht endlich, was Sie hier eigentlich suchen?«

»Gold«, log Cordoba, und Kathy hörte erneut das Scharren von Stei-

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nen. Cordobas Begleiter waren nach wie vor damit beschäftigt, den Stein-pfropfen abzutragen. »Gold, verste-hen Sie, Miß Porter? Okay, ich lasse jetzt die Katze aus dem Sack: Nicht weit von hier, also drüben auf einer der kleinen Inseln im See, steht ein Mayatempel – und der ist vollge-stopft mit Gold.«

Kathy Porter hatte den Steinwall nicht aus den Augen gelassen. Ihr war nicht entgangen, daß es bereits eine Lücke gab, die man gerade has-tig wieder geschlossen hatte, um sie nicht vorzeitig zu warnen. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis die Männer einen ersten Ausbruchver-such unternehmen würden.

Um kein unnötiges Risiko einzuge-hen, nahm Kathy ihre Umhängeta-sche hoch und holte eine Blech-büchse hervor, die sie vorsichtig öff-nete. Sie entnahm ihr einen schlaffen Plastikbeutel, der zugeschweißt war und eine wasserklare Flüssigkeit enthielt. Kathy legte die Schußwaffe weg, riß den Plastikbeutel an einer besonders gekennzeichneten Stelle auf und drehte die so entstandene Einreißstelle schnell und fest zu. Dann wartete sie, bis wieder einer der Steine versuchsweise entfernt wurde. Als es soweit war, drückte sie den Plastikbeutel blitzschnell durch diese Öffnung nach innen in den Stollen. Dann trat sie vorsichtig zur Seite und wartete ab. Und es konnte nicht mehr lange dauern, bis

die Männer sich wieder der Ruhe hingaben und eine längere Schlaf-pause einlegten.

Parkers chemische Präparate waren stets zuverlässig.

*

»Sie haben vielleicht Nerven«, meinte Bunkers und grinste abfällig. Er hatte Mike Rander und Josuah Parker mehr als abfällig gemustert. »Sie marschieren so ganz ohne Waf-fen durch den Dschungel?«

»Nehmen Sie dazu ein paar Maschinenpistolen mit?« erkundigte sich der Anwalt. »Schießen oder fan-gen Sie Tiere?«

»Ich arbeite nach ‘ner völlig unblu-tigen Methode«, gab Bunkers zurück. »Die hab’ ich den Eingebo-renen unten am Amazonas abgese-hen.«

»Sie machen mich neugierig, Bun-kers.«

»Neugierig bin ich schon seit eini-ger Zeit.« Der riesige Mann deutete hinauf zur Maya-Pyramide. »Wen haben Sie da eigentlich in den Stol-len einquartiert?«

»Ein paar Burschen, die etwas zu aufdringlich wurden«, erwiderte Mike Rander. »Sie kennen sie natür-lich nicht, wie?«

»Nee, ich arbeite ohne Partner, ich bin freier Unternehmer.« Bunkers ging auf einen der beiden Lastwa-gen zu und zog dann ein langes

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Blasrohr hervor, wie es die Indios in den Regionen des Amazonas benutzten. Es mochte etwa zweiein-halb Meter lang sein und sah aus wie poliert.

»Damit erledige ich meine Tiere«, sagte Bunkers, »ich verwende Blas-rohrpfeile mit ‘nem schwachen Läh-mungsgift. Selbst Pumas und Jaguare brechen nach ein paar Minu-ten zusammen und lassen sich ohne weiteres einwickeln.«

»Darf man höflichst fragen, Sir, wie Menschen auf diese Blasrohr-pfeile reagieren?« schaltete sich Josuah Parker ein. Er schien solch ein Blasrohr noch nie in seinem Leben gesehen zu haben.

»Die kippen sofort um«, meinte Bunkers. Es gefiel ihm, daß diese Waffe offenbar tiefen Eindruck machte.

»Und sterben sie an diesem Pfeil-gift?«

»Nicht gerade«, lautete Bunkers’ Antwort, »aber die haben nach ‘nem Treffer für ein paar Stunden ganz schöne Schwierigkeiten, das kann ich Ihnen flüstern.«

»Und damit ist man in der Lage, ein Ziel zu treffen?« Josuah Parkers Erstaunen war grenzenlos.

»Punktgenau«, sagte Bunkers stolz, »aber man muß mit diesem Ding natürlich umgehen können. Ich habe Monate gebraucht, bis ich soweit war, aber so gut wie die Indios schaffe ich das nie.«

Er ging zum Lastwagen zurück und hatte die Absicht, wie es schien, das lange Blasrohr wieder verstauen zu wollen. Doch plötzlich blieb er stehen und hob das Ende an. Er führte das Mundstück an die Lip-pen.

»Siehst ja direkt unheimlich aus«, meinte Anwalt Rander.

»Im Rohr steckt ein Pfeil.« Bun-kers’ Gesicht hatte einen tückischen Ausdruck angenommen. Er richtete die Mündung des Blasrohrs auf den Butler.

»Ein Anblick, den ich als imponie-rend bezeichnen möchte«, ließ Josuah Parker sich vernehmen.

»Und der verdämmt ernst gemeint ist.« Bunkers schwenkte das Roh-rende herum und visierte Lady Aga-tha an, die hinter einem der beiden Land-Rover erschien. »Ich glaube, es wird jetzt höchste Zeit, daß hier mal ein paar Dinge geklärt werden.«

»Was soll das heißen, junger Mann?« fragte die Detektivin umge-hend und grollend. »Was soll diese Gardinen-Stange?«

»Sind Sie an ‘nem Giftpfeil interes-siert?« fragte Bunkers, behielt das Mundstück jedoch in Reichweite sei-ner Lippen. »Ich jag’ Ihnen ‘nen Pfeil in die Haut, wenn hier nicht alles sofort die Hände hochnimmt. Ver-dammt, ich laß mich doch nicht von Laien hochnehmen, wo kämen wir denn da hin!«

»Sollte es hinreichende Gründe

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geben, die Ihren Unmut erregt haben könnten?« erkundigte sich Josuah Parker höflich.

»Und ob!« Bunkers behielt Lady Agatha, Mike Rander und den But-ler unter Blickkontrolle. »Los, die Flossen hoch! Ich zieh’ hier keine Fernseh-Show ab!«

»Man sollte dem Wunsch des Herrn vielleicht nachkommen«, schlug Josuah Parker in seiner gemessenen und höflichen Art vor, um seine Arme dann leicht anzuhe-ben. Die Hände befanden sich in Höhe der schwarzen Melone, doch darauf achtete Bunkers nicht weiter.

Lady Agatha und Mike Rander folgten dem Beispiel des Butlers, und die Einheimischen, die Bunkers mitgebracht hatte, standen in einer engen Gruppe neben einem der Lastwagen und verfolgten aufmerk-sam die Szene.

»Kommen Sie ‘runter, Süße«, rief Bunkers hinauf zur Pyramide und winkte Kathy Porter mit dem linken Arm energisch. »Und werfen Sie die Kanone nach unten, wenn der Lady nichts passieren soll!«

Kathy Porter gehorchte augen-blicklich. Sie holte weit aus und warf die Schußwaffe nach unten. Sie blieb am Fuß der Pyramide auf dem Boden liegen.

»Schon besser«, sagte Bunkers und lachte volltönend, »und nun möchte ich mal genau wissen, was hier so alles über die Bühne gegangen ist.

Ach, da wäre noch etwas: Der Pfeil im Blasrohr ist mit Curare vergiftet! Hatte ich eben vergessen zu sagen. Curare! Schneller und tödlicher kann kein Gift sein!«

*

»Darf man davon ausgehen, daß Sie natürlich kein Tierfänger sind?« fragte Parker.

»Erraten, Mann!« Bunkers lachte wieder volltönend. »Also, wo ist die abgestürzte Maschine? Hinter der sind wir doch alle her, oder?«

»Auch die Herren dort oben im Stollen«, erwiderte der Butler höf-lich. »Falls richtig gezählt worden ist, handelt es sich um neun Männer, die aus Kuba anreisten.«

»Ach nee!« Bunkers machte einen überraschten Eindruck. »Neun Män-ner?«

»Neun«, bestätigte Mike Rander lässig. Auch er hatte die Hände erhoben, doch mehr andeutungs-weise, wie Lady Simpson es getan hatte. Er sah hinüber zur Pyramide, auf deren steiler Opfertreppe Kathy Porter nach unten stieg.

»Es handelt sich um ein Komman-dounternehmen, das per Fallschirm hier anreiste«, präzisierte der Butler. »Aber dies alles dürften Sie ja wis-sen, wie man wohl annehmen darf. Sie gehören zu Mr. Cordobas Leu-ten, oder?«

»Neun Männer stecken da oben im

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Stollen!« Bunkers schien diesen Hin-weis noch immer nicht ganz verdaut zu haben. Er bellte Befehle zu seinen Leuten hinüber, in Spanisch selbst-verständlich. Sie liefen zur Opfer-treppe hinüber und stiegen wieselar-tig nach oben. Sie machten sich daran, den Steinpfropfen wieder undurchlässig zu machen. Wenigs-tens hatte Bunkers ihnen diesen Auf-trag erteilt.

»Junger Mann, Sie bringen meinen Kreislauf in Unordnung«, stellte Lady Simpson inzwischen gereizt fest, »wie lange soll ich denn noch unsichtbare Wäsche aufhängen?«

»Bis ich das Gegenteil befehle, klar?« Er fühlte sich als Herr der Situation. »Also, wo ist die abge-stürzte Maschine?«

»Darüber wird Mr. Cordoba dort oben im Stollen nähere Auskunft erteilen können«, entgegnete der Butler, »seinen Andeutungen zufolge dürfte er das Flugzeugwrack inzwischen entdeckt haben.«

»Welche Seite vertreten denn eigentlich Sie, Bunkers?« wollte Mike Rander fast gelangweilt wis-sen. »Kommen Sie von der CIA, oder hat irgendeine östliche oder fernöstliche Macht Sie geschickt?«

»Vielleicht arbeite ich auf eigene Rechnung.« Bunkers grinste wie ein Filmschurke.

»Woher sollten Sie wissen, wie wichtig und interessant diese abge-stürzte Maschine ist?«

»Für wen arbeiten denn Sie?« fragte Bunkers, »nee, antworten Sie erst gar nicht. Sie strampeln sich für den Britischen Geheimdienst ab, das liegt doch auf der Hand.«

»Könnte man nicht gemeinsam nach dem Flugzeug suchen?« schlug Josuah Parker vor.

»Ich bin und bleibe Einzelgänger«, erwiderte Bunkers, »ich laß mir nicht gern in die Karten sehen, klar?«

»Ihre Karten haben Sie bereits auf-gedeckt, wenn ich höflichst darauf aufmerksam machen darf«, gab Par-ker zurück, »Sie sind ebenfalls von der Kubanischen Abwehr mit der Suche beauftragt worden.«

»Wie… Wie kommen Sie denn darauf, Sie komischer Witzbold?« Das spöttische Auflachen des Riesen war nicht gerade überzeugend.

»Ihr Erstaunen, Mr. Bunkers, sprach das, was man gemeinhin Bände nennt.«

»Was für’n Erstaunen?« »Jenes, das Sie zeigten, als Sie von

dem kubanischen Kommandounter-nehmen hörten.«

»Die Weisheit mit Löffeln gefres-sen, wie?« Bunkers maß den Butler mit abschätzendem Blick, »wir beide werden uns gleich mal unterhalten, Sie Witzblattfigur! Hallo, Miß, hier-her… Und schön die Hände hoch-strecken! Ich trau’ keinem von euch…«

»Nun sagen Sie schon endlich, was

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Sie mit mir vorhaben?« grollte die ältere Dame gereizt. »Das alles wird hier ziemlich langweilig.«

»Ich schätze, Sie alle werden hier irgendwo im Dschungel verschwin-den«, antwortete Bunkers, »ich kenn’ mich mit Giftschlangen ziem-lich gut aus. Euer Pech, wenn ihr nacheinander erwischt werdet.«

»Sie planen einen Massenmord, Sie Flegel?« Agatha Simpson maß den Riesen mit eisigem Blick.

»Vielleicht rutschen Sie auch in irgendeine Höhle ab«, redete Bun-kers genußvoll weiter. Er musterte Kathy Porter und winkte sie noch näher zu sich heran. »Sie, Süße, haben vielleicht noch eine echte Chance, wenn Sie sich mächtig anstrengen.«

»Wie wäre es denn mit einem Ver-gleich, Bunkers?« Mike Rander blieb gelassen. »Angenommen, wir haben das Flugzeug gefunden… Ange-nommen, wir haben inzwischen noch mehr gefunden…«

»Was denn zum Beispiel?« Bun-kers zeigte sofort reges Interesse.

»Vielleicht gewisse Papiere, Unter-lagen, Zeichnungen, Skizzen und Fotos!?«

»Klingt interessant, Mann. Warum sollte ich nicht mit mir reden lassen?«

»Was bieten Sie, wenn wir Ihnen das alles ausliefern?«

»Dann könnt ihr von mir aus abhauen, sobald ich von hier ver-

schwunden bin.« »Und wie stellen Sie sich diese

Übergabeverhandlung vor?« fragte Mike Rander weiter.

»Ganz einfach!« Bunkers lachte dröhnend. »Ihr reicht mir das ganze Zeug ‘rüber, und ich werde dann mit der Kleinen hier als Geisel ver-schwinden.«

Er deutete auf Kathy Porter und begann sie erneut mit seinen Augen auszuziehen.

»Und was wird aus Miß Porter?« »Die laß ich dann später frei, wenn

ich einen ausreichenden Vorsprung habe. So einfach ist das. Also, los, wo sind die Unterlagen? Ich habe meine Zeit nicht gestohlen.«

»Mr. Parker, wir haben keine andere Alternative«, sagte Mike Rander und wandte sich dem Butler zu. »Übergeben Sie dem Mann die Unterlagen!«

»Dazu müßte ich meine Kopfbede-ckung abnehmen«, antwortete der Butler und sah den weißen Riesen an. »Wären Sie mit solch einer Handbewegung eventuell einver-standen, Mr. Bunkers?«

»Von mir aus, Mann.« Bunkers lachte verächtlich. Er konnte nicht wissen, welch gefährliche Waffe diese Melone in der Hand des Josuah Parker darstellte. »Aber den-ken Sie daran, Mann, der Pfeil hier im Blasrohr ist mit Curare bestri-chen! Das ist kein Bluff!«

»Sehr wohl, Mr. Bunkers«, entgeg-

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nete der Butler und griff vorsichtig nach dem Rand seiner schwarzen Kopfbedeckung, während Bunkers die Mündung des Blasrohrs wieder direkt auf Lady Simpson richtete.

*

Mit einer blitzschnellen Bewegung aus dem Handgelenk schleuderte Josuah Parker die schwarze Melone auf Bunkers, der dies erst mit einiger Spätzündung mitbekam. Bevor er etwas unternehmen konnte, landete der Rand der Melone bereits an sei-ner rechten Halsseite.

Der Effekt war geradezu umwer-fend, und das im wahrsten Sinn des Wortes. Bunkers schnappte nach Luft, und vielleicht hatte er durch-aus noch die Absicht gehabt, den Blasrohrpfeil zu verschießen, doch dazu reichte es einfach nicht mehr.

Er flog zur Seite, knickte in der Hüfte ein, ließ das überlange Blas-rohr fallen und griff mit beiden Hän-den nach seinem massigen Hals, da ihm die Luft knapp wurde, der stahlverstärkte Rand der Melone hatte wie ein Handkantenschlag gewirkt und das anstehende Pro-blem gelöst.

Bunkers setzte sich auf den Boden und stierte teilnahmslos auf das Gras. Er stand sichtbar unter einem schweren Schock und reagierte überhaupt nicht, als Parker neben ihm erschien, um erst mal seine

Kopfbedeckung zu bergen. »Sie dürfen versichert sein, Mr.

Bunkers, daß ich diesen Vorfall außerordentlich bedaure«, sagte er, »aber Ihr Verhalten zwang mich lei-der zu Maßnahmen, die mir im Grund meines bescheidenen Wesens zutiefst verhaßt sind.«

»Ich habe große Lust, ihm den Blasrohrpfeil ins Fell zu jagen«, ließ die ältere Dame sich empört verneh-men. »Vielleicht sollte ich ihm auch meinen Pompadour um die Ohren schlagen.«

»Im gegenwärtigen Augenblick dürfte er nichts zur Kenntnis neh-men, Mylady«, antwortete Parker höflich. »Wenn es erlaubt ist, sollte man Mr. Bunkers kommende und noch zu erwartende Aktivitäten ein wenig einschränken.«

»Sie glauben wirklich, daß auch er von Kuba geschickt worden ist?« fragte Mike Rander, während Butler Parker sich daran machte, dem wei-ßen Riesen Handfesseln anzulegen, was Bunkers ohne jede Reaktion über sich ergehen Heß.

»Vieles, Sir, dürfte dafür sprechen«, gab Parker zurück, »man dürfte Mr. Bunkers zusätzlich enga-giert haben. Von Kuba direkt scheint er allerdings nicht gekommen zu sein.«

»Was halten Sie von den Leuten da oben am Stollen?« Rander deutete zu den Einheimischen hinauf, die dabei waren, so etwas wie einen

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zweiten Steinwall aufzuschichten. Sie schienen den Zwischenfall mit Bunkers gar nicht mitbekommen zu haben.

»Es dürfte sich nur um Tagelöhner handeln, Sir, die überhaupt nicht wissen oder gar ahnen, um was es hier geht.«

»Wir bekommen schon wieder Besuch«, meldete Kathy Porter und deutete auf den schmalen Weg, über den die Lichtung und der Maya-Tempel zu erreichen waren. Rander machte zwei Jeeps aus, in denen je vier uniformierte Polizisten saßen.

»Terroristen, ein weiterer Kom-mandotrupp oder echte Polizisten?« Mike Rander hielt die Schußwaffe in der Hand, die Kathy Porter vom Fuß der Tempelpyramide mitgebracht hatte.

»Ich werde sie als Feinde behan-deln«, schaltete die Detektivin sich ein. Der Pompadour an ihrem linken Handgelenk geriet in leichte Schwin-gung, »haben wir nicht noch einen zweiten Stollen, Mr. Parker? Irgendwo müssen wir diese Subjekte doch unterbringen.«

»Es dürfte sich um echte Behör-denvertreter handeln, Mylady«, gab Josuah Parker zurück, »vielleicht sollte man sie mit abwartendem Wohlwollen behandeln.«

»Ihre Höflichkeit wird uns alle noch mal unterbringen«, grollte die ältere Dame. Sie maß den ausstei-genden Polizeioffizier mit großem

Mißtrauen und machte einen aggres-siven Eindruck.

Der mittelgroße, schlanke und in einer elegant geschnittenen Uniform gekleidete Mann stellte sich knapp und forsch als Leutnant Salvados vor. Seine Männer schwärmten dis-zipliniert aus und bildeten einen Halbkreis. Sie alle waren mit Maschinenpistolen ausgerüstet.

Salvados sprach ein fast akzent-freies amerikanisches Englisch und ließ sich von Anwalt Rander einen Lagebericht erstatten. Dann schickte er zwei seiner Leute hinauf zu den Männern, die am Stolleneingang Steine aufschichteten.

»Sie werden diese Subjekte hof-fentlich hinter Schloß und Riegel bringen«, sagte die ältere Dame. »Wie soll man hier arbeiten, wenn man ununterbrochen gestört wird?«

»Sie werden mit mehr zu rechnen haben als nur mit Schloß und Riegel«, antwortete Leutnant Salva-dos, »sie stehen im Verdacht, eine Polizeistation überfallen und dabei drei Polizisten getötet zu haben. Und wer ist dieser Mann dort?«

Er deutete auf Bunkers, der inzwi-schen wieder klarer sah.

»Ein verrückter Lümmel, der angeblich Tierfänger sein will und mit einem Indio-Blasrohr herum-spielt«, antwortete Mike Rander, »nichts dagegen einzuwenden, wenn Sie ihn ebenfalls mitnehmen, Sir.«

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»Sie haben keine Erklärung dafür, daß diese Leute hier plötzlich in Massen auftauchen?«

»Man scheint davon auszugehen, Sir«, schickte Parker voraus, »daß sich in der Tempel-Pyramide Gold-schätze befinden, eine Vermutung, die man nur als vollkommen absurd bezeichnen kann.«

»Gibt es hier tatsächlich Terroris-ten?« wollte Lady Agatha wissen. »Allerdings, Mylady!« Leutnant Sal-vados nickte und zog ein ernstes Gesicht. »Offen gestanden, ich begreife nicht, wieso man Ihnen eine Erlaubnis für gerade diese Region geben konnte. Ich habe nach dem Überfall auf die Polizeistation bei Tikalodos Einwände dagegen erho-ben. Zu Ihrer Sicherheit werde ich mit einigen Männern hier bleiben und Ihren Schutz übernehmen.«

»Diese Strapazen können Sie sich ersparen«, erwiderte Mike Rander umgehend, »wir können selbst auf uns aufpassen, Officer.«

»Immerhin habe ich diese Lümmel dort oben im Stollen eingesperrt«, übertrieb die Lady wie gewohnt. »Sie werden darin neun ausgewach-sene Männer finden.«

»Wie haben Sie das eigentlich geschafft?« wunderte sich Leutnant Salvados und lächelte unwillkürlich.

»Eine kleine Kriegslist, Sir«, schal-tete sich Josuah Parker ein, »zudem sollte man nicht übersehen, daß sich auch die sogenannte Glücksgöttin

beteiligte und eindeutig Partei ergriff.«

»So etwas wiederholt sich kaum.« Salvados schüttelte den Kopf. »Ich werde diese Männer dort oben weg-schaffen lassen. Den Abtransport kann mein Sergeant übernehmen, ich aber werde hier bei Ihnen blei-ben. Das ist eine Anweisung meiner vorgesetzten Dienststelle.«

Der Polizeioffizier wandte sich an seine Männer und erteilte Befehle.

Lady Agatha interessierte das alles nicht mehr. Sie marschierte in grim-miger Laune hinüber zu einem Zelt und ließ sich in einem Klappsessel nieder. Butler Parker kam zu dem Schluß, daß ihr Kreislauf möglicher-weise ein wenig angegriffen war. Er folgte seiner Herrin und reichte ihr das bekannte Belebungsmittel.

»Natürlich sind es ebenfalls Agen-ten aus Kuba«, sagte sie, »ein zwei-ter Kommandotrupp, Mr. Parker. Ich hoffe, Sie widersprechen nicht.«

»Der Augenschein weist auf eine andere Deutung hin, Mylady«, ant-wortete Josuah Parker. Er beobach-tete, wie die Polizisten zusammen mit den Einheimischen den Stein-wall wegräumten. Kurz danach mußten die Eingeschlossenen aus dem Stollen kommen und wurden mit Handschellen aneinanderge-schlossen.

»Nichts als Farce, um mich zu täu-schen«, unkte die Detektivin weiter, »aber so leicht führt man eine Lady

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Simpson nicht hinters Licht, Mr. Par-ker. Wir müssen doch noch irgendwo die Waffen dieser Subjekte haben, oder?«

»Sie befinden sich dort im Zelt in einer Aluminium-Transportkiste, Mylady.«

»Dann verschaffen Sie mir eine Maschinenpistole«, verlangte die ältere Dame kriegerisch, »ich lasse mich nicht widerstandslos abschlachten. Eine Lady Simpson stirbt, aber sie ergibt sich nicht!«

*

Sie brauchte sich weder zu ergeben noch zu sterben.

Im Laufe des Mittags hatte man sich aneinander gewöhnt, und Aga-tha Simpson fand Leutnant Salvados schon fast passabel, wie sie es aus-drückte.

Salvados’ Begleiter waren mit ihren Gefangenen zurück nach Tika-lodos gefahren, um sie dort erst mal in einem Gefängnis unterzubringen. Später sollten sie zur Provinzhaupt-stadt Flores gebracht werden.

Leutnant Salvados, der mit zwei Polizisten auf der Lichtung zurück-geblieben war, fand natürlich schnell heraus, daß von einer archäologischen Bestandsaufnahme überhaupt keine Rede sein konnte. Er sagte deutlich und ironisch, diese alte Maya-Pyramide seil wenigstens schon ein dutzendmal vermessen

und erforscht worden. Mit Neuig-keiten sei überhaupt nicht zu rech-nen.

»Mich geht’s zwar nichts an«, sagte er während einer Unterhal-tung, »aber suchen Sie nicht viel-leicht nach einem Flugzeugwrack?«

»Sie glauben doch nicht etwa, daß eine Lady Simpson an Schrott inter-essiert ist, junger Mann, wie?« Aga-tha Simpson sah ihn empört an.

»Es kommt auf den Schrott an, Mylady«, gab er lächelnd zurück. »Die Maschine muß vor etwa einem Monat in in der Region abgestürzt sein, wenn ich das richtig in Erinne-rung habe. Kurz danach sahen wir viele Hubschrauber.«

»Und was schließen Sie daraus?« erkundigte sich Mike Rander.

»Pilot oder Fracht müssen sehr wertvoll sein.«

»Wurde das Flugzeugwrack denn je entdeckt, Sir?« wollte Josuah Par-ker höflich wissen.

»Es wird mit Sicherheit niemals gefunden werden.« Salvados zuckte die Achseln. »Ich bin hier groß geworden und weiß, wie dicht der Regenwald ist. Was einmal unter-halb der Baumkronen verschwun-den ist, kann man aus der Luft nicht mehr erkennen. Und dann die Vege-tation: Schlagen Sie heute mit einer Machete einen Pfad durch das Grün, in ein paar Tagen ist alles längst wie-der zugewuchert. Man sieht die Pflanzen ja förmlich wachsen.«

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»Die von Ihnen erwähnte Maschine kann natürlich auch im See dort drüben verschwunden sein«, deutete Josuah Parker an.

»Ist er tief?« fragte Kathy Porter. Sie saß zusammen mit den anderen vor einem Zelt. Die beiden Begleiter von Salvados hielten sich in der Nähe der Pyramide auf. Sie saßen vor einer der Stein-Stelen und hiel-ten Siesta.

»Zehn bis zwanzig Meter, aber das ändert sich immer wieder.« Leut-nant Salvados hob bedauernd die Hände. »Es kann vorkommen, daß solch ein See plötzlich verschwindet, verstehen Sie? Das Wasser sackt dann in irgendwelche Höhlungen ab. Es kann sein, daß nach starken Regengüssen das Wasser derart steigt, daß sich riesige Sumpfgebiete bilden. Der Regenwald ist gut für jede Überraschung.«

»Hat Ihre Regierung nicht intensiv nach dem Flugzeug gesucht, von dem Sie gerade gesprochen haben, Leutnant?« wollte Mike Rander wis-sen.

»Wahrscheinlich ist das eine Kos-tenfrage«, erwiderte Salvados. »Würde man eine kleine Armee auf-bieten, bestünde eine gewisse Erfolgsaussicht, die Maschine zu fin-den. Aber lohnt sich das? Das Flug-zeug müßte ja sonst vollgestopft mit – sagen wir – Diamanten oder Bank-noten sein, wobei Banknoten wahr-scheinlich schon längst von der

Feuchtigkeit zersetzt worden wären.«

»Wie gut, daß ich mich nur für diese Maya-Pyramide interessiere«, erklärte die ältere Dame sehr betont.

»Eben, Mylady.« Leutnant Salva-dos lächelte wissend. »So kommen Sie wenigstens nicht den echten Ter-roristen ins Gehege. Sie sind hier überall. Echte Grenzlinien gibt es hier nicht. Sie wären auch gar nicht zu kontrollieren.«

»Sie gibt es überall, Sir?« warf But-ler Parker gemessen ein.

»Wenn jemand das Flugzeug gefunden hat, dann die Terroristen, glauben Sie mir«, schloß Leutnant Salvados. »Und was wertvoll an Bord gewesen ist, hat man längst geborgen. Diese Leute können alles gebrauchen.«

Der Polizeioffizier entschuldigte sich und schlenderte zu seinen bei-den Begleitern hinüber, die respekt-voll aufstanden und Haltung annah-men. Bald darauf verschwanden die Männer seitlich hinter der Stufenpy-ramide.

»Ich traue ihm doch nicht«, stellte die Detektivin grimmig fest.

»Herrliche Aussichten«, meinte Anwalt Rander. »Sieht so aus, als hätten die Terroristen das Wrack tat-sächlich bereits ausgeplündert.«

»Eine Möglichkeit, Sir, die nicht auszuschließen ist«, antwortete der Butler, »aber ich verweise auf den Piloten, der wohl noch Zeit gefun-

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den haben dürfte, gewisse Dinge zu verbergen. Ich erlaube mir, auf seine Intelligenz zu setzen, wenn ich es so ausdrücken darf.«

*

»Ich bringe schlechte Nachrichten«, sagte Leutnant Salvados, der einen nervösen und angespannten Ein-druck’ machte, »ich habe gerade eine Nachricht per Funk erhalten.«

»Sollten Ihre Gefangenen entkom-men sein, Sir?« fragte Parker gemes-sen.

»Genau das!« Salvados wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Cordoba, dieser Bunkers und alle anderen Männer konnten sich befreien. Sie haben drei von meinen Leuten erschossen, die übrigen ver-wundet.«

»So etwas hatte ich erwartet«, stellte Agatha Simpson ärgerlich fest, »Sie können sich hoffentlich vorstellen, wohin die Gangster zurückkehren werden, nicht wahr?«

»Sie werden zurückkommen, Mylady.« Leutnant Salvados schwitzte noch intensiver. »Sie besit-zen jetzt alle Waffen, ihre eigenen und die meiner Leute.«

»Was schlagen Sie vor, Leutnant?« erkundigte sich Mike Rander gelas-sen. Er deutete zum Himmel. Die Sonne sank bereits. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis die Dunkel-heit hereinbrach.

»Wir sollten die Lichtung räumen«, antwortete Salvados, »gegen diese Übermacht haben wir keine Chancen.

Eine Frage am Rande: Wie sieht’s eigentlich bei Ihnen mit Schußwaf-fen aus?«

»Mr. Parker, dafür sind Sie zustän-dig.« Lady Simpson sah den Butler erwartungsvoll an.

»Außer einem Gewehr und einer kleinkalibrigen Pistole kann man Ihnen nichts anbieten«, antwortete der Butler, der bewußt die Tatsachen verschwieg.

»Und wir hier haben drei Maschi-nenpistolen und kaum Munition«, meinte der Polizeioffizier, »also sehr schlechte Aussichten. Sie können uns in aller Ruhe niedermachen.«

»Nun geraten Sie gefälligst nicht gleich in Panik«, fuhr die Lady den nervösen Mann an.

»Wir haben es mit zehn bis an die Zähne bewaffneten Kerlen zu tun«, zählte Salvados auf, »Bunkers mit-eingerechnet, natürlich. Und wir hier sind in der Minderzahl, dazu kaum bewaffnet.«

»Sie können offenbar nicht gut zählen, junger Mann«, meinte die ältere Dame grimmig, »wir sind sie-ben Personen, oder etwa nicht?«

»Aber fast ohne Waffen und Muni-tion.«

»Als erfahrener Polizeioffizier wer-den Sie Mylady sicher mit einem Rat dienen können, Sir«, vermutete Par-

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ker. »Wir müssen erst mal die Lichtung

räumen«, entschied Salvados und sah zu dem schmalen Weg hinüber, über den seine Leute die Mitglieder des Kommandotrupps abtranspor-tiert hatten. »Ich schlage vor, daß wir irgendwo im Busch in Deckung gehen und erst mal abwarten.«

»Wieso konnte der betreffende Funkspruch noch abgesetzt werden?« wollte Mike Rander wis-sen.

»Einer der Verwundeten hat das Gerät bedient, aber dann riß die Ver-bindung plötzlich ab.«

»Bin ich für ein Ausweichen in den Dschungel?« fragte die Detektivin und wandte sich an ihren Butler.

»Wir können uns oben in der Pyra-mide verschanzen«, schlug Mike Rander vor und deutete auf den Stolleneingang.

»Dort können sie uns aushungern«, widersprach Salvados aufgeregt, »wir müssen uns schnell entscheiden, wenn wir nicht über-rascht werden wollen. Die Leute besitzen die Fahrzeuge und müssen bald hier sein.«

»Was halten Sie denn von der Insel im See, Parker?« fragte Mike Rander.

»Wollen Sie mich etwa noch mal durch den Dschungel hetzen, Mike?« protestierte die altere Dame. »Sie sollten doch wissen, daß die Schlangen etwas gegen mich haben!

Ich bin für die Pyramide!« »Ich bin für die Insel«, sagte Salva-

dos, »Sie können sich mir anschlie-ßen, dann aber sofort! Ich trage schließlich die Verantwortung für das Leben meiner Leute!«

Er deutete auf die beiden Männer, die nicht weniger aufgeregt waren als er. Er schmetterte ihnen einige Befehle in der Landessprache entge-gen und hastete dann zum schmalen Dschungelpfad, während das Quar-tett zurückblieb.

»Ein Held«, spottete die Lady. »Woher weiß er von der Insel?«

fragte. Rander. »Schön, unterstellen wir mal, daß er sich hier auskennt, aber er scheint doch verdammt genau zu wissen, wie er über den See kommt.«

»Das Schlauchboot, Mike?« warf Kathy Porter lächelnd ein.

»Eben, Kathy. Von dem Ding scheint er zu wissen.«

»Wir werden die Pyramide erneut besetzen«, entschied die Detektivin, »Mr. Parker, werden wir uns gegen die Feuerkraft dieser Subjekte behaupten können?«

»Diese Frage möchte ich in aller Form bejahen«, gab Josuah Parker steif und gemessen zurück, »ich war so frei, die Waffen des Kommando-trupps ein wenig unbrauchbar zu machen.«

»Richtig, das hatte ich Ihnen die ganze Zeit über vorschlagen wollen«, behauptete sie umgehend.

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»Die Schlagbolzen fehlen«, erklärte der Butler weiter, »man wird es also nur mit den Waffen der Polizisten zu tun haben.«

»Sind es tatsächlich Polizisten?« bezweifelte Kathy Porter.

»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Miß Porter, sonst hätte Leutnant Salvados den Nachmittag genutzt, Sie und meine bescheidene Wenigkeit zu überwäl-tigen oder gar sogar endgültig außer Gefecht zu setzen. Das hastige Absetzmanöver, um es mal so aus-zudrücken, liefert ein zusätzliches Indiz: Leutnant Salvados und seine beiden Begleiter zeigten deutliche Angst. Sie sind nicht bereit, sich auf ein Feuergefecht einzulassen.«

»Was nehmen wir mit auf die Pyramide, Parker?« wollte der Anwalt wissen. »Konserven natür-lich, ein paar Wasserkanister…«

»Feldbetten und Sessel«, warf die Bequemlichkeit gewohnte Dame ein.

»Hören Sie doch!« Kathy hob lau-schend den Kopf, »das sind doch Motorengeräusche…«

»Sie kommen!« Agatha Simpson griff nach ihrem Sessel und mar-schierte zur nahen Pyramide hin-über, dicht gefolgt von Kathy Porter, die einen Verpflegungskoffer auf die Schulter genommen hatte. Mike Rander schleppte zwei weitere Alu-miniumkoffer, und Josuah Parker griff nach seiner schwarzen Lederta-sche, die ein ganz spezielles Inventar

enthielt. Doch dann blieb er plötz-lich stehen und hob das überlange Blasrohr auf, das Bunkers notge-drungen zurückgelassen hatte. Exo-tische Waffen dieser Provenienz hat-ten ihn schon immer interessiert.

Das Quartett befand sich knapp auf der Hälfte der steilen Opfer-treppe, als plötzlich vom Fahrweg Maschinenpistolen ratterten, deren Geschosse die immer noch gut erhal-tenen Fresken der Stufen demolier-ten.

Josuah Parker zeigte keine sonder-liche Eile.

Er griff in eine der vielen Westen-taschen und zog einen seiner Patent-Kugelschreiber hervor. Er verdrehte beide Hälften gegeneinander, nach-dem er seine große Reisetasche in aller Ruhe abgesetzt hatte. Er warf dieses Schreibgerät auf die Stufen unter sich und verschwand Sekun-den später in einer sich schnell aus-breitenden Nebelwolke.

»Darf ich mir erlauben vorzuschla-gen, die Opfertreppe zu verlassen?« rief er seinen Begleitern zu, »sie dürfte gleich im konzentrischen Feuer der Gegner liegen, falls meine bescheidenen Vermutungen mich nicht täuschen.«

*

Sie täuschten ihn nicht. Die Männer, die weit unten neben

ihren Wagen standen, mit denen sie

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zurück zur Lichtung gekommen waren, konnten wegen der dichten Nebelwolke zwar nichts sehen, doch sie wußten sehr gut, wo sich die steile Treppe befand, die zum stumpfen Gipfel der Pyramide führte. Und genau darauf konzen-trierten sie das Feuer ihrer Waffen. Sie waren der Ansicht, ihre Opfer würden nichts anderes im Sinn haben, als so schnell wie möglich zum Stolleneingang zu kommen.

In Wirklichkeit hatte das Quartett im Schutz der Nebelwand längst die abgekehrte Seite der Pyramide erreicht und befand sich in Sicher-heit.

»Ganz hübsch, wie intensiv sie ihre Munition vergeuden«, meinte Anwalt Rander lächelnd, »sollen wir nicht die Nebelwand nutzen und im Dschungel verschwinden, Parker?«

»Dort dürften die Überlebenschan-cen in der Tat größer sein, Sir, als hier auf oder in der Pyramide.«

»Trotz dieser scheußlichen Schlan-gen?« fragte Lady Agatha mißge-launt. und sah Parker prüfend an.

»Dagegen ließe sich ein Gegenmit-tel verwenden, Mylady, wenn ich dies andeuten darf.«

»Und das sagen Sie mir erst jetzt?« grollte sie.

»Ich muß gestehen und einräu-men, Mylady, daß diese Lösung sich erst jetzt einstellte.«

»Und wie soll ich mich gegen die Reptilien schützen?« Sie stieg bereits

mit Kathy Porter und Mike Rander wieder nach unten, während die Gegner nach wie vor schossen und auf einen Glückstreffer hofften.

»Die Schlangen pflegen, wenn ich darauf verweisen darf, Mylady, immer erst die Beine zu attackieren«, schickte Parker voraus, »also sollte man sie vor allen Dingen schützen.«

»Das klingt schon besser.« Sie schöpfte ein ein wenig Luft, nach-dem man den Abstieg geschafft und das dichte Wurzelwerk auf der Rückseite der Pyramide erreicht hatte. Sie schaute sich aber bereits mißtrauisch nach Schlangen um.

Das Feuer war inzwischen schwä-cher geworden. Wahrscheinlich rechneten die Schützen damit, daß das Quartett inzwischen doch den Stollen erreicht hatte.

»Wenn Sie erlauben, Mylady?« Parker griff nach dem Klappsessel, von dem seine Herrin sich bisher nicht getrennt hatte. Er löste die Schnallen und Gurte, die die dicken Schaumstoffpolster auf der Sitzflä-che und an der Lehne bisher fixiert hatten. Mit wenigen Handgriffen zauberte Josuah Parker daraus zwei Beinschützer, die allerdings recht unförmig aussahen.

»Sie wollen mir doch nicht etwa zumuten, so etwas zu tragen?« fragte sie grollend. »Wollen Sie mich zum Gespött der Dschungelbewoh-ner machen?«

»Eine zustoßende Schlange,

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Mylady, hätte keine Möglichkeit, ihre Giftzähne durch diese dicken Polster zu schlagen«, antwortete der Butler höflich. »Ich möchte aller-dings einräumen, daß’ die Bein-schützer nicht dem neuesten Stand der Mode entsprechen.«

»Schon gut, ich bin nicht eitel«, behauptete sie plötzlich und nickte zustimmend, »Kathy, helfen Sie mir, die Beinschützer umzubinden.«

Rander wandte sich ab und lächelte. Josuah Parker aber beob-achtete intensiv die Pyramide und nahm zur Kenntnis, daß nicht mehr geschossen wurde. Wahrscheinlich beratschlagten die Männer, was sie jetzt tun sollten. Es konnte lange dauern, bis sie es wagten, über die gewaltigen Stufen nach oben zum Stolleneingang zu steigen.

»Fertig«, meldete Kathy Porter, »Sie können sich wieder umdrehen, meine Herren!«

»Und falls Sie es wagen, auch nur andeutungsweise zu lächeln, werde ich Ihnen meinen Pompadour um die Ohren schlagen«, warnte Lady Agatha. »Es gibt einen Punkt bei mir, wo der Spaß aufhört.«

Rander hüstelte leicht, als er das Ergebnis wahrnahm und biß ener-gisch die Zähne aufeinander. Parkers Gesicht aber blieb tatsäch-lich ausdruckslos wie das eines pro-fessionellen Pokerspielers, obwohl Lady Simpson auch seine Lachmus-keln ungemein reizte.

Die Lady hatte plötzlich Beine, die der Dicke von Elefantenstempeln Konkurrenz machten. Da die ältere Dame ohnedies nicht gerade schlank war, erinnerte sie jetzt fast an einen riesigen Baseball, dem aus einer Laune der Natur heraus Arme gewachsen waren…

*

Das Glück stand auf ihrer Seite. Nach einer halben Stunde Fuß-marsch, der mehr als strapaziös gewesen war, deutete der Butler auf eine Art Rutsche, die in einem etwa zwei Meter tiefen Bodeneinschnitt endete. Die Bodenformation glich jener, die Mike Rander und er bereits am Seeufer ausgemacht hat-ten.

Der Boden dieses Einschnitts, der etwa anderthalb Meter breit war, machte einen zuverlässigen und fes-ten Eindruck. Das Grün des Waldes hatte hier ebenfalls kaum Fuß fassen können. Der Einschnitt im Waldbo-den sah aus wie eine frische Wunde, wenngleich die Seitenwände auch grauweiß waren und von Lianen versuchsweise überwuchert wurden.

»Eine wahre Schlangengrube«, behauptete Lady Agatha mißtrau-isch. »Sie wird von diesen scheußli-chen Reptilien nur so wimmeln.«

»Wenn Sie erlauben, Mylady, möchte ich mir die Freiheit nehmen, die Begehbarkeit dieses Weges zu

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testen«, antwortete Parker. »Ausgeschlossen, das erlaube ich

nicht.« Sie sah ihn flammend an. »Wollen Sie sich umbringen?«

»Mittels meines Schirms, Mylady, ließe sich dies umgehen.«

»Sie gehen nur dann dort hinunter, wenn Sie meine Beinschoner anle-gen, Mr. Parker.«

»Die Zeit drängt, Mylady. Die Ver-folger dürften inzwischen den Pfad entdeckt haben, den man hinterlas-sen hat.«

»Sie werden sich meine Beinscho-ner umbinden, Mr. Parker, ich bestehe darauf!«

Butler Parker sah ein, daß Wider-spruch sinnlos war. Er wartete geduldig ab, bis seine Herrin ihren Beinschutz losgebunden hatte. Dann half Mike Rander ihm, sie fest um die Beine zu schnallen. Butler Parker mußte es über sich ergehen lassen, daß die ältere Dame sich ebenfalls davon überzeugte, daß alles ordent-lich saß, erst dann durfte er vorsich-tig hinunter in den Einschnitt stei-gen.

Mit der Spitze seines Universal-Regenschirms stocherte Parker in dem etwa zwanzig Zentimeter hohen Blumenteppich herum, der sich auf dem Grund gebildet hatte. Er räumte kleine und große abge-storbene Zweige und Äste zur Seite und hielt auf einen Knick des Ein-schnitts zu, der vom Regen beson-ders tief ausgewaschen war.

Dann geschah es plötzlich und ohne jede Vorwarnung…

Eine Schlange, vielleicht zwei Meter lang, fühlte sich ungemein gestört und stieß nach Parkers rech-tem Bein. Sie sah wunderschön aus, war aber auch mit Sicherheit giftig. Sie hatte hinter einem armdicken, verrotteten Ast gelegen, war sehr gereizt, schlug ihre langen Giftzähne in Richtung Knie und… blieb dann zu ihrer Überraschung im weichen Kunststoff hängen. Sie rüttelte und zerrte wütend, wollte sich losreißen, schaffte es aber nicht.

Butler Parker hatte wirklich keine Schwierigkeiten, sie hinter dem drei-eckigen Kopf zu packen. Er hob sie aus dem Schaumstoff und wandte sich zu seinen Begleitern um.

»Ich möchte nicht versäumen, mich bei Mylady höflichst zu bedan-ken«, rief er zurück und zeigte das Reptil, das sich wütend und auch verzweifelt um den Regenschirm wandt, »darf ich empfehlen, meiner bescheidenen Wenigkeit jetzt zu fol-gen? Diese Schlange hier möchte ich später als eine Art Wachhund zurücklassen.«

»Parker, Ihre Nerven möchte ich haben!« Mike Rander schob sich vor-sichtig an Parker vorüber und warf einen respektvollen Blick auf das Reptil.

Anschließend folgten Lady Agatha und Kathy Porter. Man sah ihnen deutlich an, daß auch sie sich nicht

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sonderlich wohl in ihrer Haut fühl-ten.

»Ich werde sofort wieder die Spitze übernehmen«, sagte Parker, »vorher möchte ich das Reptil aber noch auf den Boden zurück brin-gen.«

»Aber weit, weit weg, Mr. Parker!« Agatha Simpson schluckte, »und dann brauche ich etwas gegen mei-nen zusammengebrochenen Kreis-lauf. Ich bin schließlich kein junger Wirbelwind mehr…«

*

»Sehen Sie sich das an, Parker!« Mike Rander staunte und deutete auf die Reste einer kleinen Stufenpy-ramide, die eigentlich nur noch in vagen Umrissen auszumachen war. »Hier scheint’s damals so etwas wie einen Bau-Boom gegeben zu haben.«

»Zur Blütezeit der Mayas, Sir, war der Peten dicht besiedelt«, antwor-tete der Butler.

»Wann war das denn?« Lady Simpson tat wieder mal sehr wis-send, »ich hab’s auf der Zunge lie-gen, aber es fällt mir einfach nicht ein.«

»Man könnte tausend nach Chris-tus als die Blütezeit bezeichnen«, entgegnete der Butler höflich, »spä-ter wurde dieses blühende Reich dann von den spanischen Eroberern zerstört.«

»Richtig«, bestätigte sie wohlwol-

lend. »Dazu wäre noch viel zu sagen, aber später mehr.«

Das Quartett hatte wieder mal eine kleine Pause eingelegt. Der tiefe Bodeneinschnitt war ohne weitere Zwischenfälle passiert worden, und auch Schlangen hatten sich nicht mehr sperrend in den Weg gestellt.

»Es wird gleich Nacht werden«, sagte Parker und sah besorgt zu den mächtigen Laubkronen der überho-hen Bäume, »wenn ich anregen darf, so sollten wir uns ein passendes Nachtlager suchen.«

»Der Rest der Pyramide dort bietet sich ja freundlich an«, meinte Anwalt Mike Rander, »wie nahe dürften die Verfolger sich inzwi-schen an uns herangearbeitet haben, Parker?«

»Wenn Sie erlauben, Sir, möchte ich davon ausgehen, daß sie kaum einen Meter gewonnen haben. Sie mußten davon ausgehen, daß man ihnen mehr oder weniger raffinierte Fallen gestellt hat. Dies dürfte sich auf das allgemeine Marschtempo äußerst negativ ausgewirkt haben.«

Parker nahm die zerfallene Pyra-mide in näheren Augenschein. Sie mochte im ursprünglichen Zustand vielleicht zwanzig Meter hoch gewe-sen sein und bestand ebenfalls aus sich nach oben hin verjüngenden Riesenstufen, die allerdings zum größten Teil abgebröckelt waren.

Baumwurzeln hatten das Stein-werk gesprengt und auseinanderge-

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drückt. Dicke, grüne Lianen zogen sich wie Kabel um die Ruine, und wucherndes Grün bis zur Manns-höhe ließ die Konturen verschwim-men.

»Wären Mylady mit dieser Insel im Grün einverstanden?« erkun-digte er sich bei seiner Herrin.

»Und wie sieht es mit diesen Schlangen aus, Parker?«

»Eine letzte und endgültige Garan-tie, Mylady, ist nicht zu überneh-men.«

»Wohin haben Sie mich ver-schleppt, Parker?« Sie sah ihn grol-lend an. »Ich war ja bereits in Lon-don gegen diesen Ausflug, aber sie mußten Ihren Kopf wieder mal durchsetzen.«

Diese Behauptung war wirklich mehr als frei erfunden. Es war gerade Lady Agatha gewesen, die diesen »Ausflug« gewünscht hatte. Butler Parker hatte sogar Bedenken geltend gemacht, war mit seinen Vorbehalten aber nicht durchge-drungen.

Josuah Parker beeilte sich, einen passenden Lagerplatz ausfindig zu machen. Er klopfte ihn mit der Spitze seines Universal-Regen-schirms nachdrücklich ab und ent-fernte zwei überraschte Reptilien, die sich bereits zusammengerollt hatten. Er beförderte sie schwung-voll weit ins Unterholz, denn es ent-sprach nicht seiner Natur, Tiere sinnlos zu töten.

Lady Agatha und Kathy Porter richteten sich ein, so gut es ging. Parker hatte einen Aluminiumkoffer geöffnet und einen kleinen Kocher hervorgeholt, der mit Trockenspiri-tus betrieben wurde. Schon nach knapp zehn Minuten war er in der Lage, durchaus formvollendet Tee zu servieren. Dazu reichte er Knäckebrot und Büchsenfleisch.

»Wie schaffen wir uns die Verfol-ger vom Hals, Parker?« fragte Mike Rander später, als er mit dem Butler hinter einem halb ausgebrochenen Eckstein Stellung bezogen hatte. »Solange die Kerle hinter uns her sind, werden wir nicht gezielt wei-tersuchen können.«

»In der Tat, Sir!« Parker hielt das überlange Blasrohr des angeblichen Tierfängers Bunkers in seinen schwarz behandschuhten Händen. »Darf ich übrigens darauf verwei-sen, daß es bis zum See nicht mehr weit sein dürfte.«

»Dachte ich mir auch schon, Par-ker. Unser Problem ist also, die Ver-folger zu verscheuchen. Vergessen wir nicht, daß wir es mit gewieften Einzelkämpfern zu tun haben, die auf Kampf im Dschungel trainiert sind. Und diesem Bunkers traue ich darüber hinaus noch eine ganze Menge fauler Tricks zu.«

»Gerade ihn sollte man nicht unterschätzen, Sir. Auf diese Karte könnte man allerdings auch positiv setzen, wenn ich es so formulieren

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darf.« »Sie dürfen, Parker, Sie dürfen mir

aber auch mal sagen, wie Sie das meinen.« Rander lachte leise auf und lehnte sich mit dem Rücken gegen einen Steinquader. Es war inzwi-schen völlig dunkel geworden, und die Geräusche der Nachttiere stei-gerten sich von Minute zu Minute. Menschen mit schwachen Nerven wären mit Sicherheit zumindest von einer gelinden Panik erfaßt worden. Überall schienen Gefahren zu lau-ern, von überallher schienen sich Monster heranzuschieben.

»Mr. Bunkers, Sir, ist ein Einzel-gänger, der von kubanischen Dienst-stellen zusätzlich beauftragt wurde, die Unterlagen zu beschaffen. Man dürfte ihm eine ansehnliche Erfolgs-prämie in Aussicht gestellt haben.«

»Sie hoffen, daß er insgeheim gegen den Kommandotrupp dieses Cordoba arbeitet?«

»Solch ein Verdacht und solch eine Hoffnung bieten sich durchaus an, Sir.«

»Als Tierfänger, der er ja auch noch ist, könnte ihm manch teufli-scher Trick einfallen.« Mike Rander nickte nachdenklich.

»Er dürfte selbst einen raffinierten Mord nicht scheuen, Sir.«

»Sowas traue ich ihm durchaus zu, Parker. Also, icn habe nichts dage-gen, wenn die Burschen sich gegen-seitig außer Gefecht setzen. Dadurch erhöhen sich unsere Chancen.«

Butler Parker hatte den ursprüngli-chen Blasrohrpfeil, der angeblich mit Curare präpariert war, längst zer-brochen und unterwegs weggewor-fen. Das Blasrohr war jedoch »gela-den«, denn der Butler hatte in seiner schwarzen Spezialtasche andere Pfeile, die in den Lauf seines Regen-schirms paßten. Er wollte, falls er das Blasrohr benutzte, keinen Men-schen töten.

»Was war denn das?« Rander rich-tete sich plötzlich steil auf und hielt den Atem an. Er hatte einen spitzen Schrei gehört. »War das ein Tier?«

»Ich fürchte, Sir, ein Mensch hat diesen Schrei produziert.«

»Klang aber sehr entsetzt, finden Sie nicht auch?«

»Ich gestattete mir, automatisch an Mr. Bunkers zu denken, Sir.«

»Sie glauben, er könnte zugeschla-gen haben?«

»Falls ja, Sir, dann galt dieser Anschlag dem vorgeblichen Leut-nant Cordoba«, antwortete der But-ler. »Mr. Bunkers muß daran interes-siert sein, gerade den Anführer des Kommandotrupps auszuschalten.«

»Sie glauben, er könnte ihn umge-bracht haben, Parker?«

»Leider eine Kleinigkeit für einen Mann wie Mr. Bunkers, Sir. Man sollte sogar davon ausgehen, daß Bunkers im Grund der einzige Geg-ner ist, den wir wirklich zu fürchten haben. Falls Mr. Cordoba schon nicht mehr unter den Lebenden

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weilt, dürften die Mitglieder seines Kommandotrupps entweder unter seinen Einfluß geraten, oder aber es vorziehen, bei Tagesanbruch den Dschungel zu verlassen.«

»Und womit rechnen Sie, Parker?« Mike Rander bewunderte wieder mal die Fähigkeit des Butlers, sich in die Gedankenwelt seiner Gegner zu versetzen und daraus dann seine Schlüsse zu ziehen.

»Mr. Bunkers wird es darauf anle-gen, Sir, allein weiterarbeiten zu können«, schloß Parker. »Ich darf noch mal an die Prämie erinnern, die ihn mit letzter Sicherheit erwartet. Sie wird ein kleines Vermögen dar-stellen, das Mr. Bunkers um jeden Preis einstreichen will.«

*

Parker hielt Nachtwache. Er stand hinter einem Steinquader

und sah hinunter in den Dschungel. Lady Agatha Simpson, Kathy Porter und Mike Rander schliefen hinter einem dicken Baumstamm, der sich nach einem Sturm, der sich irgend-wann mal hier ausgetobt haben mußte, halb über die Ruine der Pyramide gelegt hatte.

Der Butler hatte eben erst seine zwiebelförmig aussehende Taschen-uhr nach der Zeit befragt. Es ging auf zwei Uhr, und im Dschungel war es inzwischen ein wenig leiser geworden. Parker hatte sich sorgfäl-

tig auf einen überraschenden Angriff vorbereitet. Neben ihm lag das überlange Blasrohr und stand die geöffnete Reisetasche.

Er hatte großen Respekt vor Bun-kers.

Dieser Mann, der mit Sicherheit im Amazonasgebiet Tiere gejagt hatte, verfügte natürlich über immense Erfahrung, was das Leben im Dschungel betraf. Parker war sich durchaus klar darüber, daß ihm solch ein Repertoire an Tricks nicht zur Verfügung stand. Er war gezwungen, aus dem Moment her-aus zu improvisieren, während Bun-kers langfristig operieren konnte.

Parker schüttelte die Gedanken ab, als er plötzlich das gereizte Fauchen eines Jaguars hörte, der sich unten irgendwo im dichten Unterholz her-umtrieb und wohl erschreckt wor-den sein mußte. Der Butler hörte das Brechen von Zweigen und das Rau-schen von nassen Blättern. Dann herrschte wieder Stille.

Freiwillig konnte die Raubkatze nicht die Flucht ergriffen haben, das stand fest. War sie mit Bunkers zusammengestoßen, der sich seiner-seits an die Pyramide heranpirschte? Oder waren alle Mitglieder des Kommandotrupps dabei, die Ruine einzuschließen und zu ersteigen? Bunkers wußte mit Sicherheit längst, daß seine potentiellen Opfer hier die Nacht verbrachten.

»Was war?« hörte er Mike Rander

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knapp hinter sich fragen. Der Anwalt flüsterte.

»Man sollte sich auf gewisse Über-raschungen vorbereiten, Sir«, ant-wortete der Butler nicht weniger leise, »Mr. Bunkers scheint offensiv zu werden.«

»Provozieren wir ihn doch, Par-ker.«

»Ein Vorhaben, Sir, daß meine bescheidene Wenigkeit gerade plant.« Parker langte nach einem faustgroßen Stein, der neben seinem rechten Knie lag. Er erhob sich, holte aus und warf ihn dann mit großer Wucht nach unten.

»Das war doch ein Fluch, oder?« Rander lachte leise auf.

»Dem erlaube ich mir beizupflich-ten, Sir. Würden Sie sicherheitshal-ber Ihre Augen schützen?«

»Was haben Sie denn jetzt noch auf Lager?«

»Eine Blitzlichtbombe, Sir, um es mal salopp auszudrücken. Der Lichtschein wird ungewöhnlich grell sein, wie ich versichern darf.«

Mike Rander schloß schleunigst die Augen und bedeckte sie noch zusätzlich mit seinen Handflächen. Der Butler hatte die Blitzlichtbombe inzwischen aus seiner schwarzen Reisetasche geholt und zündfähig gemacht. Er schleuderte sie nach unten und wandte sich dann ein wenig zur Seite, schloß aber beileibe nicht die Augen. Er hatte sich eine Art Schweißerbrille aufgesetzt und

brauchte daher keine Sehstörungen zu befürchten.

Der Effekt war geradezu bestür-zend.

Nachdem der tennisballgroße Kör-per explodiert war, schien eine kleine Sonne geboren zu werden. Grellweißes Licht flutete durch den Dschungel und leuchtete ihn in einem Halbkreis von etwa fünfzig Meter total aus. In diesem grellwei-ßen Licht stand Bunkers und wirkte wie versteinert. Er hielt eine Maschi-nenpistole in der rechten Hand und befand sich bereits unten am Rand der Schutt- und Geröllhalde, die mit Grün überwuchert war.

Er war übrigens nicht allein, wie Parker durch seine Schutzbrille sah.

Links von ihm lag eine Gestalt wie ein nasses Handtuch über einer hohen Luftwurzel. Parker hatte den Eindruck, daß es sich um Leutnant Cordoba handeln konnte. Die Gestalt machte einen schlaffen und leblosen Eindruck.

Butler Parker war versucht, nach dem langen Blasrohr zu greifen und Bunkers mit einem Pfeil zu beden-ken, doch er beherrschte sich. Noch brauchte dieser erfahrene Dschun-gelspezialist nicht zu wissen, daß die Gegenseite ebenfalls mit solch einem Blasrohr umzugehen verstand. In nächster Zukunft ergaben sich wohl noch bessere Einsatzmöglichkeiten für diese unheimliche Waffe.

Butler Parker begnügte sich mit

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einem zweiten faustgroßen Stein. Als das grellweiße Licht in sich zusammenfiel, hatte er diesen Stein bereits auf die Reise geschickt.

Er landete genau auf der Brust des Mannes, der zurückgeworfen wurde und dann ins Unterholz flog. Gleich-zeitig betätigte Bunkers den Abzug seiner Maschinenpistole. Der Feuer-stoß jagte zu den Laubkronen der riesigen Bäume empor und richtete im Blattwerk einige Zerstörung an.

Dann herrschte wieder erträgliche Ruhe…

*

»Tatsächlich, es ist Cordoba«, sagte Mike Rander am Morgen, als die aufgehende Sonne Licht genug lie-ferte, um den Mann identifizieren zu können, der immer noch schlaff und regungslos über der Luftwurzel hing.

»Eine Herausforderung, sich mit ihm zu befassen«, meinte Josuah Parker. Er bereitete den Tee auf dem kleinen Kocher. Lady Simpson und Kathy Porter befanden sich noch immer im Schutz des Baumstamms, aber sie wußten inzwischen längst, was sich während der Nacht zuge-tragen hatte.

»Sie glauben, Bunkers rechnet damit, daß wir Cordoba beerdigen?« fragte der Anwalt. Er beobachtete die grüne Wand des Dschungels.

»Darauf wird Mr. Bunkers sehr

große Erwartungen setzen, Sir«, gab Josuah Parker zurück.

»Ob er sich in der Nähe befindet?« »Dies sollte man als sicher unter-

stellen, Sir.« »Können wir uns überhaupt noch

hier von der Pyramide hinunterge-trauen?« Lady Simpson nahm die Tasse Tee entgegen, die Parker ihr reichte. Er versorgte anschließend auch Kathy Porter und Mike Rander.

»Zu irgendeinem Zeitpunkt sollte man es durchaus wagen, Mylady«, beantwortete Parker die Frage seiner Herrin. »Es ist eine Frage der Geduld, wenn ich es so ausdrücken darf.«

»Er lauert da irgendwo unten, nicht wahr?«

»Gewiß, Mylady. Mr. Bunkers dürfte jetzt recht viel Zeit haben.«

»Und seine Begleiter? Ich meine die Leute, die zu Cordoba gehören?«

»Diese Männer müßten meiner bescheidenen Ansicht nach längst das Weite gesucht haben.«

»Sind Sie ein Hellseher, Mr. Par-ker?« fragte Lady Agatha streng.

»Keineswegs und mitnichten, Mylady.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an, »aber nach Mr. Cordobas Tod dürften sie sich zurückgezogen haben.«

»Um was zu tun?« Sie ließ nicht locker, sie wurde ungeduldig.

»Sie werden wahrscheinlich von ihrem Inselcamp magnetisch ange-zogen werden, Mylady.«

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»Wo dieser hoffentlich echte Leut-nant sich befindet?«

»Mr. Salvados, Mylady, in der Tat!«

»Was sollen diese Kommandosub-jekte sich von der Insel denn noch versprechen?«

»Sicherheit vor Mr. Bunkers, Mylady. Und dann dürfte der See der Punkt sein, von dem aus die Kommandomitglieder wieder aufge-nommen werden. Wenn es gestattet ist, rechne ich mit einem Wasserflug-zeug, das dort gut landen könnte.«

»Sie haben auf alles eine Antwort, Mr. Parker«, sagte sie gereizt und deutete nach unten, »und wie wol-len Sie diesen Bunkers ausschalten? Was könnte mir dazu einfallen?«

»Man müßte ihn mit seinen eige-nen Waffen bekämpfen, Mylady.«

»Lassen Sie sich nicht aufhalten, Mr. Parker.« Sie nickte zustimmend, »zeigen Sie ihm, daß ich nicht mit mir spaßen lasse.«

»Sie wollen doch nicht etwa ‘run-tersteigen, oder?« Mike Rander sah den Butler ehrlich besorgt an. »Wenn Sie die Deckung hier verlas-sen, können Sie ein besseres Ziel bie-ten.«

»Achtung, da unten rührt sich etwas!« Kathy Porter, die nach einer Bewegung Ausschau gehalten hatte, war alarmiert worden. Sie deutete verstohlen auf Cordobas Körper. Butler Parker konzentrierte sich augenblicklich auf diesen Punkt und

erkannte für wenige Augenblicke Bunkers, der sich hinter dem Toten zu schaffen machte.

»Er biegt einen dünnen Baum zur Seite«, konstatierte Mike Rander. »Was kann das bedeuten?«

»Mr. Bunkers scheint dabei zu sein, eine Art Katapult zu installie-ren«, entgegnete der Butler. »Dies kann logischerweise nur bedeuten, daß er gedenkt, irgend etwas hier hinauf zur Pyramide zu schicken.«

»Bestimmt kein Gastgeschenk, das er da vorbereitet, Parker.«

»Sie sagen es, Sir!« Parker nickte andeutungsweise und griff dann nach seinem Universal-Regen-schirm, um abwehrbereit zu sein…

*

Es dauerte fünf Minuten, bis Bun-kers endlich handelte.

Der überstark nach hinten gebo-gene dünne Baumstamm schnellte plötzlich vor und beförderte ein dunkles, ovales Etwas durch die Luft. Dieses ovale Etwas war gut ausgerichtet worden und trudelte hinauf in Richtung Baumstamm, hinter dem das Quartett Stellung bezogen hatte.

Butler Parker erwies sich als Herr der Lage.

Er wartete den richtigen Zeitpunkt ab. Als das Etwas auf den Baum-stamm zutorkelte, spannte er blitz-schnell seinen Regenschirm auf und

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fing mit der gewölbten Innenseite des Schirms dieses Etwas auf, das wie ein Korb aussah.

Parker schwenkte dieses korbähn-liche Etwas kreisförmig durch die Luft und… schickte es dann geschickt zurück zum Fuß der Pyra-mide. Der Korb torkelte wieder in Richtung Cordoba und zerschellte an einem starken Ast.

»Was… Was ist denn das?« Lady Simpson war in Eifer geraten und erhob sich recht unvorsichtig aus der Deckung. Sie sah plötzlich ein gelb-schwarzes Gewimmel in der Luft und hörte ein dunkles Brausen, das in ein giftiges Sirren überging.

»Hornissen oder Wespen«, sagte Josuah Parker höflich. »Der Korb war das Nest dieser Insekten, die man als höchst giftig und angriffs-lustig bezeichnen muß.«

Und wie angriffslustig sie waren! Verärgert darüber, daß ihre Behau-

sung so rücksichtslos zerstört wor-den war, suchten die sirrenden Insekten nach einem Schuldigen und fanden in der Nähe wohl einen Men-schen, dem ab sofort ihre Forsorge galt.

Zuerst war nur einer von Cordo-bas Begleitern zu sehen, der wie ein Tapir durch das Unterholz brach und davonjagte. Er wurde verfolgt von einem Geschwader, das recht schnell aufholte. Was dann im ein-zelnen geschah, konnte man nur noch hören. Da gellten Schreie durch

den Dschungel, Hilferufe, dann Schüsse und dann wieder Schreie.

»Sie dürften ihn inzwischen erreicht und gestellt haben«, vermu-tete der Butler.

»Und was hat er zu erwarten, Par-ker?« fragte Mike Rander beein-druckt.

»Den Tod, Sir«, lautete Parkers lakonische Antwort.

Weitere Männer jagten durch das dichte und üppig grüne Unterholz. Sie schlugen wie rasend um sich und versuchten sich der angreifen-den Insekten zu erwehren, was natürlich aussichtslos war. Sie ver-schwanden wenig später ebenfalls im Unterholz und brüllten um Hilfe.

»Und wo bleibt Bunkers?« frage Lady Agatha enttäuscht.

»Er dürfte gewisse Vorsichtsmaß-nahmen ergriffen haben, Mylady«, erwiderte der Butler, »darf ich übri-gens darauf hinweisen, daß der gestörte Schwarm einige Pfadfinder ausgeschickt hat?«

Parker deutete mit der schwarz behandschuhten Hand auf einige erstaunlich große Wespen, die her-anbrummten und offenbar bereits Witterung aufgenommen hatten. Sie umkreisten das Quartett, konnten sich aber noch nicht zu einem kon-zentrischen Angriff entschließen.

Parker sorgte dafür, daß es zu kei-ner Konfrontation kam.

Er hielt bereits einen Taschenzer-stäuber in der rechten Hand und

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wartete, bis die Einzelflieger sich zu einer kampfbereiten Rotte zusam-mengeschlossen hatten. Als sie sich auf Lady Simpson stürzen wollten, sprühte der Butler die zornigen Insekten an.

Der Erfolg war außerordentlich, geradezu frappierend.

Die Wespen wurden voll erwischt und gerieten aus dem Kurs. Sie kurvten umeinander, behinderten sich gegenseitig und verloren jede Übersicht. Wahrscheinlich husteten sie sogar, doch dies war natürlich nicht zu hören. Sie formierten sich endlich und stürzten in verwegenem Flug nach unten. An der Pyramide schienen sie nicht weiter interessiert zu sein.

Die Schreie der flüchtenden Geg-ner waren leiser geworden und kamen teilweise aus bereits großer Entfernung. Die von den Insekten gejagten Dschungelspezialisten aus Kuba hatten in erstaunlich kurzer Zeit beachtliche Entfernungen hinter sich gebracht.

»Wenn ich mir gestatten darf, so würde ich vorschlagen, jetzt die Pyramide zu verlassen«, sagte Josuah Parker, »die Herren, Mr. Bunkers eingeschlossen, dürften jetzt wohl andere Sorgen haben, als sich um Mylady zu bemühen. Mich deucht, daß ich Mr. Bunkers Geduld wohl doch ein wenig überschätzt habe.«

*

Es war früher Nachmittag gewor-den, als sie sich endlich bis zum Seeufer durchgekämpft hatten. Der Marsch durch den dichten Regen-wald war strapaziös gewesen, und ohne Butler Parker hätte man es wohl kaum geschafft.

Agatha Simpson ließ sich in der Nähe des Flugzeugwracks auf einem natürlichen Hocker aus Kalkstein nieder und stärkte ihren Kreislauf. Kathy Porter war zu der Maschine hinübergegangen und wunderte sich, was die tropische Vegetation in einem Monat geschafft hatte. Das Wrack war bereits zu einem Teil des Waldes geworden.

»Wo bleibt Bunkers?« fragte Mike Rander mißtrauisch. »Dieser Bur-sche lauert bestimmt irgendwo auf seine Chance.«

»Wenn es erlaubt ist, Sir, möchte ich meine ursprüngliche Vermutung korrigieren.«

»Dann korrigieren Sie mal.« Rander lächelte.

»Er wird auf eine weitere Verfol-gung verzichtet haben, Sir. Meiner bescheidenen Ansicht nach dürfte Mr. Bunkers jetzt auf der alten Lich-tung auf unsere Rückkehr warten.«

»Klingt plausibel. Wir sollen ihm quasi die Unterlagen bringen, nicht wahr?«

»Dies, Sir, dürfte seine Absicht sein. Er weiß, daß auf der Lichtung

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die beiden Rover der Lady stehen, ohne die man kaum zurück in die Zivilisation gelangen kann.«

»Wir werden für ihn also die Kas-tanien aus dem Feuer holen.«

»Ein treffliches Sprichwort, Sir.« »Wenn wir die Kastanien nur erst

mal hätten, Parker.« »Ein Problem, Sir, das in der Tat

erst noch der Lösung harrt.« »Wir sind davon ausgegangen,

daß er die Unterlagen vielleicht in einen Objektivköcher gestopft hat, um ihn dann hoch ins Geäst zu wer-fen.«

»Dies, Sir, war die erste Arbeitshy-pothese.« Parker nickte andeutungs-weise.

»Haben Sie inzwischen eine zweite oder dritte gefunden, Parker?«

»Zumindest eine zweite, Sir.« »Jetzt machen Sie mich aber neu-

gierig, Parker.« »Mr. Olmeda, der Pilot der

Maschine, Sir, war nicht nur ein begeisterter Fotoamateur, sondern auch ein Sportfischer.«

»Richtig, und… Moment mal… Sie meinen…?« Anwalt Rander hatte sofort verstanden und schlug die fla-che Hand gegen seine Stirn. Er wandte sich um und sah zum Seeu-fer.

»Man sollte auch solch eine Mög-lichkeit nicht übersehen, Sir.«

»Warum schauen wir nicht mal nach, Parker? Kathy, haben Sie einen Moment Zeit für uns?«

»Ich werde wohl gar nicht erst gefragt, wie?« Lady Simpsons Stimme grollte schon wieder kräftig. Sie erhob sich und kam näher. »Was ist mir da gerade eingefallen, Mr. Parker?«

»Mr. Olmeda stürzte ab, Mylady. Schwer verletzt, wie anzunehmen ist, sorgte er sich um die Unterlagen, die er aus Kuba herausschaffte. Er wußte, daß er bald sterben würde, aber er wollte über seinen Tod hin-aus dafür sorgen, daß diese Unterla-gen dennoch den Empfänger errei-chen. Also mußte er sich schnell etwas einfallen lassen.«

»Natürlich, das sage ich doch die ganze Zeit«, erwiderte die Detekti-vin.

»Er schleppte sich in strömendem Regen an das Seeufer und brachte dort die Unterlagen in Sicherheit, Mylady.«

»Wo denn sonst?« Sie tat wieder mal so, als wüßte sie vollkommen Bescheid.

»Mr. Olmeda konnte davon ausge-hen, Mylady, daß man seine soge-nannte Vita kennt. Er durfte sicher sein, daß man seine Hobbys in sei-nen Papieren festgehalten hatte.«

»Fotoamateur und Sportfischerei«, warf Mike Rander ein.

»Er wird die Unterlagen aus Kuba im See versenkt haben«, fuhr Josuah Parker zielstrebig fort.

»Schnickschnack, Mr. Parker«, sagte die ältere Dame verärgert,

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»wie sollte man sie dort je finden? Jetzt ist die Phantasie aber mit Ihnen durchgegangen!«

»Man darf davon ausgehen, Mylady, daß ein Sportfischer oder Angler eine Angelrute benutzt.«

»Die er natürlich in der Maschine hatte, oder?« Lady Agatha sah den Butler ironisch an.

»Solch eine Angelrute kann Mr. Olmeda natürlich nur improvisiert haben, Mylady«, redete Josuah Par-ker höflich und geduldig weiter, »aber sie dürfte so am Seeufer ange-bracht worden sein, daß man sie als solche erkennen kann.«

»Jetzt überfordern Sie auch mich«, warf Mike Rander ein.

»Eine Angelrute, Sir, pflegt man von Zeit zu Zeit mittels einer Gabel zu fixieren«, sagte der Butler. »Die Rute wird mit dem Griff am Ufer festgesteckt, das andere Ende erhebt sich, gestützt von einer Gabel, hoch über das Wasser, damit die Leine frei im Wasser treiben kann.«

»Und das alles schafft Olmeda in strömendem Regen?« Agatha Simp-son schüttelte ungläubig den Kopf.

»Und als Schwerverletzter?« Auch Mike Rander beteiligte sich an die-sem Kopfschütteln.

»Er kann nur improvisiert und angedeutet haben«, erklärte Josuah Parker. »Man sollte sich daraufhin vielleicht mal das Ufer näher anse-hen.«

»Verschwendete Zeit.« Lady Aga-

tha winkte ab. »Offen gesagt, Parker, viel Hoff-

nung habe ich auch nicht«, gestand Mike Rander.

»Aber ich, Mike«, rief Kathy Porter in diesem Moment und deutete auf einen ansehnlichen Baum, der im Wasser stand. »Sehen Sie sich doch den dünnen Ast dort an! Er ragt weit ins Wasser und verschwindet darin.«

»Wie viele Äste hier, Kathy.« Rander lächelte höflich.

»Aber der dort ist doch abgestor-ben…«

»Ein Blick kann durchaus nicht schaden.« Josuah Parker setzte sich sofort zusammen mit Kathy Porter in Bewegung und untersuchte den dünnen, peitschenartigen Ast. Er war in Kniehöhe durchtrennt wor-den und lag tatsächlich auf einer Art natürlichen Gabel.

»Und was ist das hier?« Kathy Por-ter zeigte auf eine Kunststoffschale, die wohl zu einem Messergriff gehört haben mußte. Josuah Parker benutzte die Spitze seines Universal-Regenschirms, um weiter im wei-chen Kalkboden zu stochern. Er för-derte schon nach wenigen Augenbli-cken eine völlig verrostete Messer-klinge zutage.

»Sie scheinen das große Los erwi-scht zu haben, Kathy«, sagte Mike Rander, der mit Lady Agatha neu-gierig gefolgt war.

»Es ist Ihre Entdeckung, Miß Por-

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ter«, erinnerte Josuah Parker und deutete auf den schmalen Ast, des-sen Spitze ins Wasser reichte. »Sie sollten jetzt auch die Angel heben und die Beute bergen.«

Kathy Porter holte tief Luft, dann griff sie nach der langen, rutenähnli-chen Gerte und zog sie aus dem Wasser.

»Ich hab’s doch gleich gewußt«, sagte Lady Agatha Sekunden später, als an der Spitze der Gerte ein klei-ner Plastiksack aus dem Wasser kam, in dem einige Steine lagen, die zum Beschweren dienten. »Ich wußte es doch sofort, aber auf mich hört man ja nicht!«

»Ich gebe mich geschlagen«, räumte Mike Rander ein, »alle Ach-tung! Dieser Olmeda hat Nerven gehabt.«

»Und auch Pech, Sir, wie zu befürchten ist.« Parker deutete auf den Plastikbeutel, in dem ein grauer Brei zu sehen war, »der Plastikbeutel scheint nicht ganz dicht gewesen zu sein.«

»Die Unterlagen haben sich aufge-löst«, stöhnte Rander, »das darf doch wohl nicht wahr sein!«

»Es handelt sich leider nur noch um Papierbrei«, stellte Parker end-gültig fest. Er hatte den Plastikbeutel an sich genommen und den Inhalt kurz untersucht.

»Und dafür lasse ich mich fast umbringen«, reagierte Lady Simp-son verärgert, »Mr. Parker, ich bin

sehr enttäuscht! Ich hatte mir von diesem Ausflug doch erheblich mehr versprochen…«

*

Erst gegen Mittag des folgenden Tages hatten sie wieder die ursprüngliche Lichtung erreicht, auf der die Zelte und die beiden Rover standen. Sie waren vorsichtig gewe-sen und hatten immer wieder mit heimtückischen Fallen gerechnet, doch Bunkers hatte nichts derglei-chen angelegt. Ihm schien daran gelegen zu sein, daß das Quartett heil und gesund zur alten Maya-Pyramide zurückkehrte.

»Wann werde ich ein vorgezoge-nes Dinner haben können?« erkun-digte sich Lady Simpson seufzend.

»Mylady können in einer knappen halben Stunde speisen«, antwortete Josuah Parker, der die Lichtung wachsam absuchte. Seine innere Alarmanlage hatte sich gerade zag-haft gemeldet, Gefahr lag also in der Luft.

Er stellte sein Gepäck ab und legte quer darüber das Blasrohr, von dem er sich nicht getrennt hatte. Er ging die Zelte und die Wagen ab, kontrol-lierte alles sehr sorgfältig und wun-derte sich, daß Bunkers aber auch nicht die Andeutung einer ›Visiten-karte‹ hinterlassen hatte. Sollte auch er ein Opfer der Wespen geworden sein?

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»Nichts«, meldete auch Mike Rander, der ebenfalls nachgeforscht hatte, »irgendwie unheimlich, Par-ker, finden Sie nicht auch?«

»Dem möchte ich in aller Form beipflichten, Sir«, entgegnete Parker, »ein Bursche wie Bunkers…«

»Hallo, Freunde«, war genau in diesem Augenblick die Stimme des Mannes zu vernehmen, von dem Parker und Rander gerade gespro-chen hatten. Der Anwalt wirbelte herum, Parker besorgte das jedoch wesentlich langsamer und gemesse-ner.

Was sich seinem Blick bot, war nicht gerade erfreulich.

Bunkers hielt Kathy Porter in sei-nen Pranken. Der weiße Riese stand hinter ihr, hatte ein Messer gegen ihre Kehle gedrückt und grinste tückisch und triumphierend. Kathy Porter war klug genug, keine Abwehr zu riskieren. Sie machte übrigens einen recht gefaßten Ein-druck.

»Hallo, Bunkers«, sagte Mike Rander, der sich inzwischen wieder unter Kontrolle hatte, »wo haben Sie denn die ganze Zeit über gesteckt?«

»Hier auf der Lichtung.« Bunkers beobachtete Lady Agatha, Mike Rander und den Butler, »ich zieh’ das Messer durch, wenn ihr Dumm-heiten macht, das ist keine leere Dro-hung!«

»Wo stecken denn Ihre Begleiter?« fragte Rander weiter.

»Schlangen, Wespen und Giftdor-nen«, meinte Bunkers lässig, »der Dschungel ist eben kein Rummel-platz.«

»Soll das heißen, daß Sie alle Ihre Begleiter umgebracht haben?« Lady Agathas Stimme grollte wie ein Gewitter.

»Nicht alle«, korrigierte Bunkers, »ein paar konnten sich absetzen, vielleicht kommen sie durch, viel-leicht aber auch nicht, mein Problem ist das nicht.«

»Sie wollen an Mylady gewiß einige Wünsche richten«, schaltete sich der Butler ein.

»Wünsche?« Bunkers grinste. »Ich will die Unterlagen, die ihr doch inzwischen gefunden habt, oder? Dann lasse ich die Kleine hier später frei, aber erst geht sie als Geisel ein Stück mit mir.«

»Um sie dann umzubringen – wie Mr. Cordoba, wie?« Lady Simpsons Pompadour geriet in leichte Schwin-gung.

»Cordoba hat auf ‘ne Schlange getreten«, sagte Bunkers, »kann aber auch sein, daß ich sie ihm ins Genick geworfen habe… Also, wo sind die Unterlagen?«

»Arbeiten auch Sie für gewisse Behörden in Kuba?« fragte Anwalt Mike Rander.

»Mehr indirekt, verstehen Sie?« Bunkers lachte dröhnend. »Ich werde von den Leuten bezahlt, die die Raketen installiert haben. Die

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zahlen noch besser, aber jetzt Schluß mit der Fragerei! Die Unterlagen!«

»Woraus schließen Sie, daß sie gefunden wurden?« erkundigte sich Josuah Parker.

»Wären Sie sonst schon zurückge-kommen?« Bunkers zog Kathy Por-ter noch fester an sich. »Ich hatte Ihnen drei bis vier Tage gegeben, aber heute schon zurück? Das kann doch nur bedeuten, daß Sie sie haben!«

»Sie haben gewonnen, Bunkers, oder wie immer Sie heißen mögen.« Rander zuckte die Achseln. »Geben Sie mir Ihr Wort, daß Miß Porter nichts geschieht!«

»Ich verspreche Ihnen alles, Mann, alles, was Sie wollen…«

»Okay, ich werde sie Ihnen jetzt bringen…«

»Nee, besser nicht… Moment mal, da ist ja mein Blasrohr! Hängen Sie das Zeug vorn dran und reichen Sie’s mir ‘rüber. Wir wollen doch keinen Ärger machen, wie?«

Josuah Parker nahm das Blasrohr hoch, und Mike Rander reagierte sofort.

Er öffnete Parkers schwarze Reise-tasche und entschied sich für eine verbeulte Blechdose, die etwa so groß war wie eine Zigarrenkiste. »Schieben Sie die Dose ‘rüber«, sagte Bunkers, der seine Aufforderung abänderte, »und ganz schön vorsich-tig, ist das klar? Das Messer ist ver-dammt scharf.«

Josuah Parker kam dem Befehl des Mannes nach und schob die Blech-dose vorsichtig über den unebenen Boden nach vorn zu Bunkers hin-über. Der Mann betrachtete sie mit gierigen Augen, glaubte am Ziel sei-ner Wünsche zu sein.

Doch dann rutschte Parker mit der Spitze des Blasrohrs ein wenig ab und hatte Mühe, das lange Rohr im Gleichgewicht zu halten. Es zischte nach oben und schwankte in der Luft. Bunkers bekam gar nicht mit, daß Parker das Mundstück an seine Lippen setzte.

Mike Rander, der sich eine Ziga-rette angezündet hatte, tat arglos. Er sah den Pfeil in Bunkers’ Unterarm, und erst jetzt bekam der Mann mit, daß ihn etwas getroffen haben mußte. Er sah auf seinen Unterarm und… schrie auf. Er stieß Kathy Por-ter wütend von sich und riß den bunt gefiederten Pfeil aus dem Arm.

»Sind… Sind Sie wahnsinnig?« brüllte er. »Das Ding ist doch… Mein Gott… Curare! Ich bin erledigt!«

»Vielleicht nicht sofort, aber später mit Sicherheit«, stellte Josuah Parker gelassen und höflich fest, »ich habe mir erlaubt, einen meiner eigenen Pfeile zu verwenden, wie Sie inzwi-schen eigentlich hätten erkennen müssen. Aber ich liefere Ihnen gern noch ein weiteres Beweisstück.«

Er hatte bereits einen zweiten sei-ner privaten Blasrohrpfeile einge-

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schoben und jagte ihn in den linken Oberschenkel des weißen Riesen, der daraufhin einen Tanz absol-vierte, den man nicht gerade graziös nennen könnte.

Agatha Simpson fühlte sich gera-dezu beleidigt und ließ ihren Pom-padour fliegen. Der perlenbestickte Handbeutel zischte durch die Luft, und der ›Glücksbringer‹ darin legte sich auf die Stirn des mächtigen Mannes.

Es riß ihm die Beine unter dem Leib weg. Nach einem leicht miß-glückten Purzelbaum krachte der weiße Riese zu Boden und rührte sich nicht mehr.

»Jetzt ist mir wohler«, sagte die ältere Dame und wandte sich ab, als sei überhaupt nichts geschehen. Sie schaute den Butler an. »Was reichen Sie denn zum vorgezogenen Dinner, Mr. Parker?«

»Könnten Mylady sich möglicher-weise für ein Chili con carne erwär-men? Die anderen Spezialitäten hat Mr. Bunkers leider bereits zu sich genommen, wie ich anhand der lee-ren Konservendosen feststellen

mußte.« »Wo ist mein Pompadour?« ver-

langte sie grollend, »ich werde die-sen Lümmel lehren, sich an meinen Vorräten zu vergreifen.«

»Da wäre noch eine Dose mit Plumppudding, Mylady. Man könnte ihn mit Kognak zusätzlich flambieren.«

»Klingt schon besser.« Sie nickte und wirkte ein wenig versöhnt, »aber das mit dem Flambieren las-sen Sie, Mr. Parker, den Kognak nehme ich lieber in reiner Form zu mir.«

»Wie Mylady meinen und wün-schen.« Parker deutete eine Verbeu-gung an und machte sich daran, das vorgezogene Dinner vorzubereiten. Lady Agatha aber ließ sich in einem Sessel neben Bunkers nieder und brachte ihren Pompadour in Aktion. Sie wartete darauf, daß der weiße Riese wieder zu sich kam. Sie wollte sich auf ihre ganz spezielle Art mit dem Subjekt unterhalten, das ihre Vorräte vertilgt hatte.

Bunkers erlebte somit schwere Zei-ten…

ENDE

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