zemente, sondern speziell genormte Tiefbohrzemente verwendet. Bezüg-lich der Phasenzusammensetzung zeichnen sich Tiefbohrzemente durch einen besonders niedrigen Gehalt (unter 2 Massen-%) an Tri -cal cium aluminat (Ca3Al2O6, C3A) aus. Nur dadurch erreichen sie in Kombination mit verzögernden Zu-satzmitteln die erforderlichen Ver-pumpungszeiten von bis zu acht Stunden, in denen die Zement-schlämme flüssig bleiben muss. Tief-bohrzemente sind weltweit nach den Normen des American Petroleum Institute (API) genormt.1)
Abbildung 1 zeigt im Anschliff mit folgender Ätzung die Phasen-zusammensetzung eines Zementpar-tikels vom Typ API Class G. Gut er-kennbar sind die großen Kristalle (Durchmesser etwa 5 bis 10 µm) von Tri- (Ca3(SiO4)O, C3S) und Di -calciumsilicat ( Ca2SiO4, C2S), den Hauptbestandteilen eines Portland-zements. Die Schmelzmatrix besteht aus xenomorphem Tetra calcium -aluminat ferrat (Ca4Al2Fe2010, C4AF). Daneben liegen als Verunreinigun-gen nicht eingebautes CaO (Frei-kalk) sowie MgO (Periklas) vor.
Die Klinkerphasen, also die vier Hautbestandteile industriell her-gestellter Zemente sind nie rein, sondern stets mit bis zu 5 Massen-% Fremd ionen dotiert. Typisches Bei-
� Bei der Suche nach Öl und Gas durchteufen Explorationsunterneh-men mit Bohrmeißeln die unter-schiedlichen Gesteinsschichten, bis sie auf die erhofften Lagerstätten treffen. Aus Sicherheitsgründen schreiben die Behörden in allen Län-dern vor, in das Bohrloch Rohre ein-zuzementieren, um einen möglichen Ausbruch von Öl oder Gas zu ver-hindern. Außerdem isoliert der Ze-ment unterschiedliche Gesteins-schichten, die häufig Lagerstätten-fluide, also salzbeladenes Wasser, das sich in den Gesteinsporen befin-det, enthalten und verschiedene Drücke aufweisen (zonal isolation).
Tiefbohrzemente
� Bei der Tiefbohrzementierung werden aufgrund der hohen Anfor-derungen keine gewöhnlichen Bau-
Johann Plank
Tiefbohrungen nach Öl oder Gas stellen besondere Anforderungen an den Zement, der das Bohrloch
befestigt. Erst polymere Zusatzmittel wie Verzögerer, Wasserretentionsmittel, Dispergiermittel,
Entschäumer und Schäumer machen den Einsatz bei Tiefen bis fast 10 000 Meter mit Tempera turen
bis 260 °C und Drücken bis 2000 bar möglich.
Polymere für die Tiefbohrzementierung
�Erdölförderung�
spiel dafür ist der Einbau von Mg2+ in die Ferratphase (C4AF). Diese Dotierung bewirkt einen Farb-umschlag von rostbraun (reines C4AF) nach graugrün. Da die übri-gen Zementklinkerphasen C3S, C2S und C3A weiß gefärbt sind, verleiht das Mg-dotierte C4AF dem Zement seine charakteristische graue Farbe.
Portlandzement bindet durch schrittweises und zu verschiedenen Zeitpunkten eintretendes Auflösen der einzelnen Klinkerphasen ab (Hydratation). Es entstehen übersät-tigte Lösungen, aus denen die Reak-tionsprodukte (die Hydratphasen) auskristallisieren und ein festes Ge-füge, den Zementstein, bilden. Der Hauptbestandteil in diesem Gefüge sind die Calcium silicat hydrate (C-S-H-Phasen). Sie fallen nanokris-tallin mit einem Durchmesser von etwa 10 nm an und sind deshalb röntgen amorph (Abbildung 2; S. 512). Mit 28Si-MAS-NMR-Spek-troskopie lassen sie sich jedoch er-fassen.
Im Gegensatz zur landläufigen Meinung2) sind die beim Abbinden von Zement ablaufenden Prozesse außerordentlich komplex und trotz der heute verfügbaren enormen ana-lytischen Möglichkeiten nur zu etwa 80 Prozent aufgeklärt. Ein Beispiel für das ungewöhnliche Verhalten von Zement ist das inkongruente
� QUERGELESEN
�� Das verheerende Unglück auf der BP-Bohrung im
Golf von Mexiko hat gezeigt, welche Bedeutung
die richtige Tiefbohrzementierung hat.
�� Die chemische Industrie leistet mit maßgeschnei-
derten Polymeren einen bedeutenden Beitrag zur
Erdölfördertechnik.
�� Da Temperatur und Druck im Bohrloch immer ex-
tremer werden, sind in Zukunft noch speziellere
Hochleistungsadditive gefragt.
510
Nachrichten aus der Chemie | 59 | Mai 2011 | www.gdch.de/nachrichten
Abb. 1. Phasenzusammensetzung eines Tiefbohrzements API Class G.
Löseverhalten von Tricalciumsilicat: Bei Kontakt mit Wasser gehen die Ca2+-Ionen sofort in Lösung, wäh-rend sich die Monosilicatanionen nur sehr langsam auflösen. Außer-dem kommen in der Zementporen-lösung so ungewöhnliche Ionen wie Ca(OH)+ oder KSO4
– vor.
Polymere Zusatzmittel
� Die erfolgreiche Zementierung von Tiefbohrungen ist angesichts der extremen Bedingungen im Bohr-loch ohne Zusatzmittel zum Zement undenkbar. Die wichtigsten che-mischen Zusatzmittel sind Verzöge-rer, Wasserretentionsmittel (Fluid-Loss-Additive), Dispergiermittel, Entschäumer und Schäumer für die Herstellung von Schaumzementen. Die Zusatzmittel sollen Eigenschaf-ten des Zements wie Rheologie, Wasserabgabeverhalten oder Abbin-dezeit auf die jeweiligen Bohrloch-bedingungen einstellen.
Verzögerer verlangsamen das Ab-binden des Tiefbohrzements. Sie sor-gen dafür, dass die Schlämme aus Zement, Wasser und gegebenenfalls Silicamehl (bei Bohrlochtemperatu-ren von über 115 °C) während der vier bis acht Stunden des Verpum-pens flüssig bleiben. Besonders häu-fig werden gereinigte, zuckerfreie Lignosulfonate eingesetzt. Sie wirken bis 150 °C, ihre Dosierungen schwan-ken je nach Temperatur und Druck im Bohrloch zwischen 0,1 Massen-% und 1,5 Massen-%, bezogen auf Ze-ment.3) Bei Temperaturen bis 200 °C werden entweder Mischungen aus
Lignosulfonaten mit a-Hydroxycar-bonsäuren (z. B. Weinsäure) verwen-det, oder man greift zu synthetischen Copolymeren aus 2-Acrylamido-me-thanpropansulfonsäure (AMPS) und Acrylsäure. Der derzeit effektivste Verzögerer ist ein Copolymer aus AMPS und Itaconsäure. Mit ihm bleibt die Zementschlämme auch bei Temperaturen bis 250 °C noch über viele Stunden flüssig. Seine Wirkung beruht auf einem hohen Calcium-bindevermögen. Es hält die Ca2+-Io-nen komplex gebunden in Lösung und verzögert so die Auskristallisati-on der C-S-H-Phasen.
Wasserretentionsmittel (Fluid-Loss-Additive) verhindern in Tiefbohr ze ment schlämmen die un-kontrollierte Wasserabgabe beim Verpumpen entlang poröser Gestei-ne.4) Der Verlust von Wasser würde die Viskosität der Schlämme stark erhöhen und damit die Verpumpbar-keit einschränken. Außerdem hätte der Zement nicht ausreichend Was-ser, um vollständig abbinden zu können.
Im Jahr 1958 benutzte das US-amerikanische Unternehmen Dowell mit Hydroxyethylcellulose erstmals ein Fluid-Loss-Additiv im Tiefbohrzement. Diese Erfindung erschloss Öl- und Gaslagerstätten in Tiefen bis zu 5000 Meter – ein Meilenstein für die Ölversorgung. In den Folgejahren wurden mit Po-lyvinylalkohol, Carboxymethyl -hydroxyethylcellulose und Poly -ethylenimin weitere Fluid-Loss-Ad-ditive für den moderaten Tempera-turbereich vorgestellt.
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Erdölförderung �Magazin� 511
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Links: Prinzip der Tiefbohrzementierung.
Rechts: Verrohrungsschema einer zementierten Tiefbohrung (Beispiel).
retentionswirkung noch die hervor-ragende Eigenschaft, nach einer be-stimmten Zeit ein schlagartiges Ab-binden und Verfestigen des Ze-ments (right angle set) herbei-zuführen. Dies verkürzt die Zeit zwischen der flüssigen und festen Konsistenz der Zementschlämme (transition time) von vormals ein bis zwei Stunden auf wenige Minu-ten – ein wichtiger Faktor, um wäh-rend dieser Zeit das Eindringen von Gas ins Bohrloch zu begrenzen. Die Einführung dieses Additivs hat we-sentlich dazu beigetragen, das kriti-
wird das Wasser in der Zement-schlämme mit NaCl gesättigt, um eine Auswaschung der Bohrloch-wand zu vermeiden.
In den Folgejahren tüftelten die Forscher weiter: Mit AMPS-NNDMA-Copolymeren (NNDMA = N,N-Dimethylacrylamid) sowie mit Pfropfcopolymeren auf Lignit/Hu-minsäure-Basis stehen heute so-wohl verdickende als auch verflüs-sigende Fluid-Loss-Additive zur Verfügung. Das AMPS-NNDMA-Blockcopolymer (Abbildung 3 links) besitzt neben der Wasser-
Im Jahr 1982 gelang Chemikern von Hoechst mit der Entwicklung eines sulfonierten Copolymers ein weiterer Durchbruch (Abbildung 3 rechts). Sie polymerisierten AMPS, N-Vinyl acetamid und Acrylamid ra-dikalisch in einem Lösemittel-gemisch aus n-Butanol und Wasser und erhielten bei dieser Fällungs-polymerisation ein hochmolekula-res Fluid-Loss-Additiv, das nicht nur bis 220 °C stabil war, sondern auch in Gegenwart hoher Salzkon-zentrationen gut wirkte. Bei der Ze-mentierung von Salzformationen
� Prinzip der Tiefbohrzementierung
stets ein kleinerer Durchmesser für
Bohrmeißel und die später einge-
Bei der Tiefbohrzementierung wer-
den 27 Meter lange Metallrohre
(Casing) in das Bohrloch geschoben
und anschließend der Hohlraum
(annular space) zwischen Rohr und
Bohrlochwand mit einer Zement-
schlämme gefüllt.5) Pumpen brin-
gen eine auf der Bohrplattform
frisch angemischte Zementschläm-
me durch das Casing zur Bohrloch-
sohle und drücken sie von unten
nach oben in den Ringraum zwi-
schen Rohr und Gestein. Nur so ist
eine hohlraumfreie Füllung mit Ze-
ment möglich.6)
Tiefbohrungen werden grundsätz-
lich abschnittsweise erstellt: Zuerst
wird eine Strecke von etwa 500 bis
2000 Meter gebohrt, verrohrt und
anschließend zementiert, bevor der
nächste Abschnitt angegangen
wird. So entsteht ein teleskoparti-
ger Aufbau der Verrohrung im
Bohrloch, da beim Weiterbohren
setzte Verrohrung verwendet
werden.
Abb. 2. Nanokristalline Calciumsilicathydrate im Gefüge
eines erhärteten Tiefbohrzements (Esem-Aufnahme,
Vergrößerung: 12 000-fach).
Abb. 3. AMPS-basierte synthetische Wasserretentionsmittel für die Tiefbohrzementierung.
CH2
CH
C
NH
C CH3H3C
CH2
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CH2
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CH2
CH
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C CH3H3C
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CH
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m n
0,5 Ca2+ 0,5 Ca2+
�Magazin� Erdölförderung 512
Nachrichten aus der Chemie | 59 | Mai 2011 | www.gdch.de/nachrichten
sche Problem des Aufsteigens von Gas im Zement (gas migration) zu beseitigen.
Ein dispergierendes Fluid-Loss-Additiv stellte 1985 das US-amerikanische Unternehmen Nalco vor. Her-gestellt wird es durch radikalisch initiierte Pfropfung von AMPS, N,N-Dimethyl acryl amid und Acrylsäure auf Lignit (gereinigte, in Natronlauge gelöste Braun-kohle) oder Huminsäure als Pfropfgrundlage in Form eines Core-Shell-Polymers (Abbildung 4, S. 514). Es wirkt bis 220 °C; die Anzahl anionischer Gruppen im Molekül (AMPS- und Acrylsäure-Gehalt) steuern ge-zielt die Dispergierwirkung.
Dieses Fluid-Loss-Additiv spielt aufgrund seiner ver-flüssigenden Wirkung auf Zement u. a. beim endgültigen Abdichten verunglückter Öl- oder Gasbohrungen eine wichtige Rolle. Solche Kill-Flüssigkeiten sind Zement-schlämmen mit sehr hohem spezifischem Gewicht. Dies wird durch Zusatz von Eisenoxid (Hämatit) sowie durch einen besonders hohen Zementgehalt erreicht.
Aktuell befasst sich die Forschung damit, Fluid-Loss-Additive mit noch höherer Temperaturstabilität herzu-stellen, um auch Bohrungen jenseits von 250 °C zu er-möglichen. Mit dem neuen Monomer Allyloxy-3-hydro-xypropansulfonsäure (AHPS) ist dies möglich.
Die akademische Forschung – soweit es sie auf diesem sehr speziellen Gebiet überhaupt gibt – konzentriert sich darauf, die Wirkmechanismen der verschiedenen Polyme-re zu untersuchen. Aufbauend auf grundlegenden Arbei-ten des Unternehmens Schlumberger7,8) zeigte sich, dass
� Ölmultis
In der Öffentlichkeit wird – nicht zuletzt wegen
des BP-Unfalls – das Geschehen am Ölmarkt weit-
gehend mit dem Auftreten großer Ölgesellschaf-
ten wie Exxon Mobil, Shell, BP oder Chevron ver-
bunden. Dieser Eindruck trügt jedoch, da die Öl-
multis heute nur noch über etwa 10 Prozent der
bekannten Erdölreserven verfügen – mit abneh-
mender Tendenz. Die übrigen 90 Prozent befinden
sich weitgehend im Besitz nationaler Ölgesell-
schaften wie Saudi Aramco (Saudi-Arabien), Gaz-
prom (Russland), Pemex (Mexiko) oder Pertamina
(Indonesien). Diese bestimmen zusammen mit
den Händlern an den Rohölbörsen den derzeitigen
Ölpreis.
Die Ölmultis sehen sich heute gezwungen, primär
nach besonders schwierigen Lagerstätten (etwa in
der Tiefsee oder der Arktis) zu suchen, da die Staa-
ten die einfacher zu erschließenden Bohrgebiete
ihren nationalen Ölgesellschaften vorbehalten.
Die Ölmultis sind deshalb Technologietreiber der
Branche und besitzen das größte Know-how.
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sulfonierte Fluid-Loss-Additive auf den Oberflächen positiv geladener Zementhydratphasen (Ettringit und Monosulfoaluminat) physikalisch adsorbieren und aufgrund ihrer Grö-ße (Rh(z) ~ 100 – 500 nm) die Poren im Zementsteingefüge verstopfen. Dies reduziert die Wasserabgabe stark.9) Da Tiefbohrzementschläm-men häufig mit anderen, zum Teil stärker anionischen Zusatzmitteln (z. B. Dispersants, siehe unten) ver-setzt sind, birgt dieser Mechanismus das Risiko eines Wirkungsverlusts durch kompetitive Adsorption: Ein stärker anionisches Zusatzmittel kann die Adsorption dieses Polymers reduzieren oder vollständig verhin-dern.10) In diesem Fall kann das Was-serretentionsmittel seine Wirkung nicht mehr entfalten, die Anwender sprechen dann von einer „Unverträg-lichkeit“ der beiden Additive.
Robuster bezogen auf ihre Ver-träglichkeit mit anderen Additiven sind Fluid-Loss-Additive, deren Wir-kung auf der Bildung großer, ver-stopfender Molekülassoziate (Hy-droxyethylcellulose) oder von Poly-elektrolytkomplexen (Polyethyleni-min mit anionischen Polymeren) so-wie auf Filmbildung (Polyvinylalko-
O
O
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HC
HC
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4
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Abb. 4. Wasserretentionsmittel für Tiefbohrzement, hergestellt durch Pfropfung von AMPS, N,N-Dimethylacrylamid und Acrylsäure auf Huminsäure.
Abb. 5. Polykondensatbasierte Dispergiermittel für Zement. Links: b-Naphthalinsulfon säure-Formaldehyd-Harz,
rechts: Aceton-Formaldehyd-Sulfit-Harz.
Abb. 6.
Prinzip des shallow
water flow bei Tief-
seebohrungen: im
Mündungsgebiet
großer Flüsse flie-
ßen unter dem
Meeresboden enor-
me Wassermengen.
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�Magazin� Erdölförderung 514
hol) beruht. Ihr Nachteil ist jedoch die begrenzte Temperaturstabilität.
Dispergiermittel (Dispersants) sind eine weitere Gruppe von Zusatz-mitteln für Tiefbohrzemente. Disper-sants sorgen dafür, dass die Zement-schlämme eine niedrige Rheologie aufweist und über Strecken von fast 20 Kilometer (bei Bohrlochtiefen von etwa 10 000 Meter) verpumpt werden kann. Ihre Geburtsstunde schlug im Jahr 1959 in Oklahoma. Dort setzte das Unternehmen Halliburton erst-mals erfolgreich ein patentiertes Po-lykondensat auf Basis von b-Naph-thalinsulfonsäure und Formaldehyd zur Verflüssigung des Zements ein11) – viele Jahre vor der Entwicklung von Dispergiermitteln für Beton, einem tausendfach größeren Anwendungs-gebiet.
In den 1980er Jahren kam mit dem Aceton-Formaldehyd-Sulfit-Po-lykondensat ein verbessertes Disper-giermittel auf den Markt (Abbil-dung 5). Es ist auch in Gegenwart von Salzen wirksam und verstärkt den Effekt Celluloseether-basierter Wasserretentionsmittel.12) Aus die-sem Grund ist es das derzeit weltweit am meisten eingesetzte Dispersant.
Die im Beton mittlerweile weit verbreiteten Polycarboxylat-Fließ-mittel haben in der Tiefbohrzemen-tierung bisher wenig Eingang gefun-den. Ursachen sind eine geringere Temperaturstabilität sowie die hohe Zementsensitivität; je nach Phasen-zusammensetzung des Zements wir-ken Polycarboxylate sehr unter-schiedlich.
Tiefbohrzementschlämmen wer-den während des Einpumpens in das Bohrloch kontinuierlich und unter sehr starkem Rühren angemischt. Dabei wird häufig eine große Menge an Luft eingerührt, welche die Poro-sität des Zementsteins erhöht und seine Festigkeit reduziert. Um dies zu vermeiden, werden Entschäumer auf Siliconharz-Basis (z. B. Poly-dimethylsiloxane) oder Polyglykole zugegeben. Die Schwierigkeit be-steht darin, aus den öligen Ent-schäumersubstanzen Pulver herzu-stellen, die sich mit dem Zement klumpenfrei vermischen lassen. Da-zu dienen aus der Pharmaindustrie
bekannte Beschichtungs- und Ver-kapselungstechniken. Teilweise wer-den die Entschäumeröle auch auf anorganischen Materialien mit ho-her spezifischer Oberfläche adsor-biert, z. B. auf Diatomeenerde, Talk oder amorphen Kieselsäuren.
Mit Beginn der Ölexploration in der Tiefsee durch das brasilianische Mineralölunternehmen Petrobras Mitte der 1980er Jahre gewannen Schaumzemente große Bedeutung. Grund war der shallow water flow, also der unterirdische Fluss enormer Wassermengen unter dem Meeres-boden im Mündungsgebiet großer Flüsse wie dem Amazonas, Missis-sippi oder Niger (Abbildung 6). Mit üblichen Zementschlämmen ließen sich diese Abschnitte nicht dicht ze-mentieren, die Schlämme ver-schwand häufig in der porösen For-mation anstatt den Ringraum zwi-schen Verrohrung und Bohrloch-wand zu füllen. Jahrelange Entwick-lungsarbeit führte schließlich zu Tensiden, die mit Meerwasser als Anmachwasser funktionieren, mit anderen Zusatzmitteln verträglich sind und gleichmäßig im Zement verteilte Luftporen mit Durchmes-sern von etwa 250 µm ergeben. Der am häufigsten eingesetzte Schäumer ist derzeit ein zwitter ionisches Decyl amido propyl betain.
Ausblick
� Eine weitere aktuelle For-schungsrichtung sind CO2-beständi-ge Tiefbohrzemente für die geologi-sche Entsorgung von CO2 (carbon capture and storage, CCS). Die der-zeit eingesetzten Tiefbohrzemente sind langfristig nicht CO2-beständig. Es gilt daher, völlig neuartige Ze-mentzusammensetzungen zu ent-wickeln. Ein interessanter Ansatz zeichnet sich mit einem Calcium -aluminat-Phosphat-Zement ab.13) Dieser silikatfreie Zement erscheint ausreichend CO2- und temperatur-beständig, es fehlen jedoch die Zu-satzmittel, die seine Feldanwendung erst ermöglichen. Es wird wiederum Aufgabe der chemischen Industrie sein, diese Lücke mit maßgeschnei-derten Polymeren zu schließen.
Johann Plank, Jahrgang
1952, ist seit dem Jahr 2001
Inhaber des Lehrstuhls für
Bauchemie am Chemie-De-
partment der TU München.
Er promovierte 1980 mit ei-
nem Thema zur metallorganischen Chemie
und war bis 2001 in der Industrie im Bereich
Bau- und Ölfeldpolymere tätig. Seine aktuel-
len Forschungsgebiete sind Zementchemie,
polymere Zusatzmittel, Nanopartikel, Wirt-
Gast-Chemie und Photokatalyse. Plank ist
langjähriges Mitglied im Normenausschuss
des American Petroleum Institute und wurde
für seine Verdienste um die Tiefbohrtechnolo-
gie mehrfach ausgezeichnet. Er betreibt das
einzige Forschungslabor für Bohrlochzemen-
tierung an einer europäischen Hochschule.
Literatur und Anmerkungen
1) Specification for cements and materials
for well cementing, API Specification 10A,
24th Ed, American Petroleum Institute,
Washington DC, 2010.
2) Dem Autor wurde 2008 fast die Einreise in
die USA verwehrt, da dem Immigration Of-
ficer der Besuch einer Zementkonferenz als
Grund für den Aufenthalt unglaub würdig
erschien. Der Beamte war der Meinung,
dass man über den mehr als hundert Jahre
bekannten Zement doch keine Forschung
mehr betreibe. Erst die Vorlage einiger zu-
fällig mitgeführten aktuellen Publikatio-
nen konnte ihn vom Gegenteil überzeugen.
3) Der beschleunigende Einfluss von Druck
auf die Abbindegeschwindigkeit von
Zement wird häufig weit unterschätzt.
Insbesondere bei relativ moderaten
Temperaturen (bis 100 °C) kann der Effekt
des Drucks wesentlich gravierender sein
als derjenige der Temperatur.
4) F. Dugonic-Bilic, J. Plank, N. Recalde
Lummer, Synthetische Wasserretentions-
mittel – Chemie, Eigenschaften und
Wirkmechanismus im Tiefbohrzement,
in GDCh Monographie Bd. 41, 2009,
43–50.
5) E. B. Nelson, Well Cementing, Schlum -
berger Dowell, SugarLand, TX, 2006.
6) D. K. Smith, Cementing, in SPE Mono-
graph Vol. 4, Chapter 1, 1990.
7) J. Desbrières, Cem. Concr. Res. 1993, 23,
347–358.
8) J. Desbrières, Cem. Concr. Res. 1993, 23,
1431–1442.
9) J. Plank, F. Dugonic-Bilic, N. Recalde
Lummer, D. Sadaswian, paper SPE
121542, International Symposium on
Oilfield Chemistry, The Woodlands, Texas,
USA, 2009.
10) J. Plank, A. Brandl, Y. Zhai, A. Franke,
J. Appl. Polym. Sci. 2006, 102,
4341–4347.
11) C. F. Weisend, US Patent 3,359,225, 1967.
12) A. Aignesberger, J. Plank, DE 3,344,291,
1983.
13) T. Sugama, L. E. Brothers, L. Weber, J. Mat.
Sci. Lett. 2002, 37, 3163–3173.
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