Entwicklungspsychologie und Jugendarbeit
Prof. Dr. Eva DreherLudwig-Maximilians-Universität München
Department Psychologie
Fachtagung
„BUNT - BESSER - BERECHTIGT“Offene Jugendarbeit hat viele Qualitäten ...
... auch im Bereich Interkultureller Jugendarbeit
30. November und 1. Dezember 2009, Graz
„Nichts ist so praktisch, wie eine gute Theorie“ *)
Praxistransfer
Entwicklungsbasierte Qualitätsstandards offener Jugendarbeit
*) Kurt Lewin
Entwicklung über die gesamte Lebensspanne
Konzeption Lebensende
Entwicklungskontexte / Entwicklungspfade
Veränderungskonzepte
� Alterskorrelierte Entwicklungsaufgaben� Übergänge als veränderungssensitive Zonen� Kritische Lebensereignisse als Herausforderungen
ErklärungskonzepteAnlage Umwelt
aktive Selbstgestaltung
vgl. Dreher & Dreher, 1997; Dreher, 2007
� Das Zusammenspiel der Basisbedürfnisse definiert Entwicklungspfade� Die Befriedigung der Basisbedürfnisse erfordert eine soziale Umwelt� Basisbedürfnisse sind kontext- und kulturübergreifend
Basisbedürfnisse unterliegen einer entwicklungsbezogenen Differenzierung
Basisbedürfnisse
AutonomieKompetenz
SozialeEinbindung
Deci & Ryan, 2000
� Psychosoziale Reife� Nutzung sozialer Ressourcen
� Emotionale Intelligenz
� Verantwortungsübernahme� Kompetenzen im Umgang mit sich selbst
� Toleranz gegenübersozialen Unterschieden
� Selbstbewusstheit� Orientierung an Güte-
maßstäben / � Leistungsmotivation
� Anpassung an kulturelleStandards
� Selbstregulation- handlungsbezogen- kognitiv / evaluativ- motivational / emotional
� Aufsuchen von Heraus-forderungen
� Problemlösefähigkeit
� Internalisierung vonRegeln; Normen undWerten
� Selbstkenntnis� Handlungseffizienz� Emotionale Sicherheit
Entwicklungsaufgaben
AutonomieKompetenzSoziale Einbindung
Entwicklungsbedürfnisse
Entwicklung bedarf der Unterstützung von Basisbedürfnissen
� nach sozialer Einbindung
� nach Kompetenz
� nach Autonomie
vgl. Ryan & Deci, 2000
Bedürfnis nach Autonomie
Entwicklung von Regulationskompetenz
Optimierung von motorischen, kognitiven, emotionalen und sozialen Funktionen einer Person
Externale Regulation - die externe Verhaltenskontrolle ist sehr stark und die Autonomie des Handelnden ist im Prinzip nicht vorhanden, d.h. die Handlungen werden wegen einer Belohnung oder dem Entgehen von Bestrafung ausgeführt.
Introjiezierte Regulation - die externe Verhaltenskontrolle ist stark und die Autonomie des Handelnden ist gering, d.h. die Handlungen werden ausgeführt, um Schuld- oder Schamgefühlen vorzubeugen.
Identifizierte Regulation - die externe Verhaltenskontrolle ist schwach und die Autonomie des Handelnden ist deutlich vorhanden, d.h. es werden persönlich wichtige Ziele bewusst übernommen und eine Akzeptanz und Identifikation mit der Tätigkeit liegt vor.
Integrierte Regulation - im Prinzip gibt es keine externe Verhaltenskontrolle, die Autonomie ist sehr hoch und Ziele sowie Werte der Tätigkeit sind fest im Selbstkonzept verwurzelt.
Regulationstypen: Entwicklungslogik
Intrinsische Regulation
Übergänge als
veränderungs-sensitive Phasen
Transeszenz
Periodisierung des Jugend - und frühen Erwachsenenalters
- 9 – 10 – 11 – 12 – 13 – 14 – 15 – 16 – 17 – 18 – 19 – 20 – 21 – 22 � ����
Kindheit Jugendalter
Pubertät Frühe / mittlere Adoleszenz späte Adoleszenz
Entwicklungsfortschritte:���� Körperliche Entwicklung���� Erweiterung kognitiver Fähigkeiten���� Veränderung sozialer Beziehungen
Entwicklungsrisiken:���� Verlust von Sicherheiten���� Erhöhte Vulnerabilität���� unzureichendes Bewältigungspotential
‚Emerging adulthood‘‚Übergänge‘
vgl. Dreher & Dreher, 1997
*J. Giedd ist Neurowissenschaftler am ‚National Institute of Mental Health‘ (USA)
Langzeitstudie zur Gehirnentwicklung normaler Kinder (Giedd et al., 1999)
Wachstumsschub im Jugendalter
� Fortgesetztes Wachstum in entscheidenden Hirnarealen
- in den Scheitellappen- in den Schläfenlappen- in den Stirnlappen (Präfrontaler Kortex)
� Stirnlappen spielen im menschlichen Gehirn einen Schlüsselrolle
- für das Kurzzeitgedächtnis- für die Impulssteuerung
Umstrukturierung des Präfrontalen Kortex in der Adoleszenz:
Erklärung für das jugendtypische ‚ungehemmte Verhalten‘
Aufbau von Regulationskompetenz als zentrale Entwicklungsaufgabe!
Aspekte der Gehirnentwicklung in der Adoleszenz
Transeszenz
- 9 – 10 – 11 – 12 – 13 – 14 – 15 – 16 – 17 – 18 – 19 – 20 – 21 – 22 � ���� 29
Kindheit Jugendalter
Pubertät Frühe / mittlere Adoleszenz späte Adoleszenz
‚Emerging adulthood‘‚Übergänge‘
Asynchronie zwischen der Entwicklung in präfrontalen Regionen
assoziiert mit Emotionen assoziiert mit exekutiven Funktionen(frühe Entwicklung) (späte Entwicklung)
Regulationsdefizite sind Risiken für die Entwicklung emotionaler und behavioraler Störungen (Depression, soziale Ängste, Drogenmissbrauch und -abhängigkeit, Essstörungen, antisoziales Verhalten)
“starting an engine without yet having a skilled driver”(Steinberg et al., 2006, p.721)
Neurobiologie der Affektregulation
Denkprozesse unter Bedingungen geringer emotionaler und/oder Erregungs-Beteiligung
Denkprozesse unter Bedingungen starker Gefühle oder hoher Erregung („Bauchgefühle“)• Produkt affektiver Systeme (größtenteils
unbewusste Vorgänge)• kein rationales Abwägen (bewusster
Vorgang) der relativen Risiken und Konsequenzen von Verhalten
���� starker Einfluss von Gefühlen auf Verhalten���� ‚valider Erklärungswert‘ für viele riskante
Entscheidungen von Jugendlichen
‚cold cognition’‚hot cognition’
Verbindung zwischen pubertätsbezogener Reifung und Entwicklungsveränderungen in verschiedenen motivationalen, emotionalen und (externalen) Erregungs-Aspekten führt zu intensiverem und länger anhaltendem Erleben von affektiven Zuständen.
Der Erwerb eines bewusst kontrollierten Sets von Regulationskapazitäten ist ein langwieriger Entwicklungsprozess.
Rolle des sich weiterentwickelnden präfrontalen Kortex in der Adoleszenz � Regulationsfähigkeit
� Koordination und Integration von zahlreichen kognitiven Elementen von Planung, Monitoring, Reflektion und Evaluation � exekutives Set
� Koordination und Integration von Kognition bezogen auf Emotion und Verhalteninterindividuelle Unterschiede � Entwicklungspfade hin zu Kompetenzen bzw. Psychopathologien
� Ausbau interregionaler Kommunikation zwischen präfrontalem Kortex und anderen Gehirnregionen
� Integration von Regulationssystemen und bewusster Kontrolle � onto- und phylogenetischer Einfluss des sozialen Kontexts / der Kultur
Rolle des sich weiterentwickelnden präfrontalen Kortex in der Adoleszenz � Regulationsfähigkeit
vgl. Steinberg, 2006; Dreher & Dreher, 2008
Entwicklungsziele
� Positive Selbstwertschätzung
� Realistisches Selbstkonzeptund Selbstakzeptierung
� Perzipierte Verantwortlichkeit für das eigene Verhalten
� Selbstregulation und Selbstreflexion
Entwicklungsmentoren
� Förderung von Eigenaktivität
� Zugestehen von Handlungs-spielraum und Aufzeigen von Begrenzungen
� Wertschätzung und Anerkennung von Fortschritt
� Regulierung von Autonomie und externer Kontrolle
Entwicklungsbasierte Qualitätsstandards offener Jugendarbeit
Praxistransfer
vgl. Dreher, 2007
Entwicklungsbasierte Qualitätsstandards offener Jugendarbeit
führt zu führt zu
Welter-Enderlin, R. (1999)
bestätigt Theorie Folgerung
���� Erhaltung / Förderungvon Fähigkeiten
���� Verantwortung���� Optimismus
(regulieren können)
���� mit Menschen entscheiden, handeln, tätig sein
���� Partizipation���� Handlungsfreiräume anbieten
���� Aktivität���� Auseinandersetzung���� Kooperation
���� neugierig���� interessiert���� soziale Wesen
"Ressourcenorientiertes Menschenbild"Menschen sind ‚von Natur aus‘
„Nichts ist für eine Handlungstheorie so effizient,wie eine reflektierte Praxis“!
Entwicklungsbasierte Qualitätsstandards offener Jugendarbeit
Handle stets so, dass die Zahl der Möglichkeiten wächst!Heinz von Foerster (1986)
Literatur
Deci, E. L. & Ryan, R. M. (2000). The “What” and “Why” of Goal Pursuits: Human Needs and the Self-Determination of Behavior. Psychological Inquiry, 11(4), 227-268.
Dreher, E. & Dreher, M. (2008). Kognitive Entwicklung im Jugendalter. In M. Hasselhorn & R. K. Silbereisen (Hrsg.) Enzyklopädie Psychologie, Serie V (Entwicklung), II Grundlegende Veränderungen während des Jugendalters (S. 55-107). Göttingen: Hogrefe.
Dreher, E. (2007). Optimierung von Selbstwirksamkeit. Entwicklungspotenziale (er-)kennen und nutzen! In A. Bucher, K. Lauermann & E. Walcher (Hrsg.). Ich kann. Du kannst. Wir können. Selbstwirksamkeit und Zutrauen. 55. Tagungsband der Internationalen Pädagogischen Werktagung, Salzburg, 2006, S. 33-57.
Dreher, E. (2006). Entwicklung zwischen Fortschritt und Risiko. Sozialpädagogische Impulse, 2, 12-13.Dreher, E. & Dreher, M. (1997). „Zu Risiken und Nebenwirkungen ... “ - ein entwicklungspsychologischer Beitrag zur
Identifikation von Gefährdungs- und Schutzfaktoren im Kindes- und Jugendalter. In: ‘Sicher Leben’ – Band 8. Kindersicherheit: Was wirkt? (S. 34-45). Wien: Kuratorium für Verkehrssicherheit.
Dreher, E. & Dreher, M. (1985b) Entwicklungsaufgaben im Jugendalter: Bedeutsamkeit und Bewältigungskonzepte. (1985). In D. Liepmann & A. Stiksrud (Hrsg.), Entwicklungsaufgaben und Bewältigungsprobleme in der Adoleszenz. (S.56-70). Göttingen: Hogrefe.
Foerster, H. v. (1986). Das Konstruieren einer Wirklichkeit. In P. Watzlawick (Hrsg.). Die erfundene Wirklichkeit. Wie wir wissen, was wir zu wissen glauben? Beiträge zum Konstruktivismus (S. 39-60). München: Piper.
Giedd, J. N., Blumenthal, J., Jeffries, N. O., Castellanos, F. X., Liu, H., Zijdenbos, A., Paus, T., Evans, A. C. & Rapoport, J.L. (1999). Brain development during childhood and adolescence: A longitudinal MRI study. Nature Neuroscience, 2 (10), 861-863.
Ryan, R. M. & Deci, E. L (2000). Self-determination theory and the facilitation of intrinsic motivation, social development, and well-being. American Psychologist, 55, 68-78.
Steinberg, L., Dahl, R., Keating, D., Kupfer, D. J., Masten, A. S. & Pine, D. S. (2006). The study of developmental psychopathology in adolescence: Integrating affective neuroscience with the study of context. In D. Cicchetti & D. J. Cohen (Eds.), Developmental Psychopathology (Vol. 2: Developmental Neuroscience, pp. 710-741). Hoboken, NJ: J. Wiley & Sons, Inc.
Welter-Enderlin, R. (1999). Wie aus Familiengeschichten Zukunft entsteht. Neue Wege systemischer Therapie und Beratung. Freiburg: Herder.