Statement Dr. Jens Baas Vorsitzender des Vorstands der Techniker Krankenkasse Pressekonferenz zum TK-Meinungspuls 2014 am 09. Oktober 2014 in Berlin
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Der TK-Meinungspuls stellt dem deutschen Gesundheitssystem ein gutes Zeugnis aus. Das
vorneweg. Drei Viertel der Menschen, die Forsa in unserem Auftrag befragt hat, sind zufrieden.
Neun von zehn sehen allerdings auch Reformbedarf. Soweit die Haupterkenntnis. Aber lassen Sie
mich doch noch ein bisschen mehr zu unserer Umfrage sagen, bei der wir immerhin 2.000
Deutsche nach ihrer Einschätzung des Systems, aber auch nach ihren Wünschen und
Befürchtungen gefragt haben.
Es ist ganz genau einen Monat her, da standen die drängenden Fragen der deutschen
Gesundheitsversorgung zuletzt umfassend auf der Agenda. Das war in rund 500 Meter Luftlinie
Entfernung: bei der Haushaltsdebatte im Bundestag. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe
hat über zukunftsfeste Versorgungsstrukturen in Deutschland gesprochen und darüber, wie er
diese mit einem Paket unterschiedlicher Gesetze innerhalb seiner Legislatur bewahren, aber auch
verbessern will. Zukunftsfest aufstellen heißt nichts anderes, als sich auf die demografischen und
soziodemografischen Entwicklungen der kommenden Jahre einzustellen.
Zum einen müssen wir uns fragen, wie wir die Kostenspirale im deutschen Gesundheitssystem in
den Griff bekommen, sonst haben wir im Jahr 2050 einen Beitragssatz von 50 Prozent. Das kann
niemand wollen. Das wichtigste Steuerungsinstrument ist dabei eine Qualitätsorientierung. Fast
jeder zweite unserer Befragten fürchtet, dass die Qualität der medizinischen Versorgung in
Deutschland künftig sinken wird. Dem können wir entgegenwirken, indem wir Qualität stärker zur
Ausgabensteuerung nutzen. Das ist bei Weitem keine leichte Aufgabe. Denn es gilt nicht nur zu
klären, was Qualität ist, sondern auch, wie man sie misst und schlussendlich dann sinnvoll
bezahlt.
Unser Meinungspuls zeigt außerdem, dass nur jeder Dritte davon ausgeht, dass auch künftig alle
an den neuesten medizinischen Erkenntnissen und Behandlungstechniken teilhaben können.
Gerade dies ist den Menschen aber besonders wichtig, deutlich wichtiger etwa als der Erhalt des
Leistungsumfangs oder des Solidarprinzips. Zwei Drittel würden sogar höhere Beiträge in Kauf
nehmen, um weiter am medizinischen Fortschritt teilhaben zu können. Genau diese Teilhabe für
alle zu gewährleisten, ist unsere Aufgabe: Wir müssen Versorgung so organisieren, dass unsere
Versicherten Zugang zum medizinischen Fortschritt haben - dieses Ziel steht für uns außer Frage.
Und deshalb brauchen wir hier eine starke Verhandlungsposition gegenüber Leistungserbringern
wie beispielsweise den pharmazeutischen Unternehmen, deren Aufgabe es naturgemäß ist, ihre
Gewinne zu steigern. Wir brauchen die entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingungen, um
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unseren Versicherten Zugang zu sinnvollem medizinischen Fortschritt zu einem vernünftigen Preis
zu ermöglichen.
Es geht zweitens darum, eine flächendeckende ambulante Versorgung zukunftsfähig zu
organsieren. Wir wissen, dass wir nicht zu wenig Ärzte in Deutschland haben, sondern ein
Verteilungsproblem. Wir haben nicht nur ein Stadt-Land-Gefälle, sondern auch innerhalb der
Ballungsgebiete, in denen wir auf dem Papier keinen Ärztemangel haben, ein Ungleichgewicht
etwa zwischen ärmeren und wohlhabenderen Stadtteilen. Auch hier will die Politik mit einem
Maßnahmenpaket gegensteuern. Es soll verbesserte Anreize zur Niederlassung in
unterversorgten Gebieten geben und es soll ambulante und stationäre Versorgung besser
verzahnen. Tatsächlich sind hier kluge Lösungsansätze gefragt wie nie: Immerhin klagt im TK-
Meinungspuls bereits jeder fünfte Befragte, der auf dem Land wohnt, über eine löchriges
Angebotsnetz an Arztpraxen. In den Großstädten sieht nur jeder Elfte Defizite.
Klar ist, die demografische Entwicklung fordert in ländlichen Gebieten Konsequenzen. Denn immer
mehr Menschen kehren ländlichen Regionen den Rücken. Gleichzeitig wird es immer schwieriger,
junge Mediziner dafür zu gewinnen, dort eine Praxis zu übernehmen. Bei den Hausärzten droht
Überalterung, Facharztpraxen werden rar und viele Krankenhäuser in der Fläche schreiben rote
Zahlen oder gehen in eine medizinisch nicht sinnvolle Leistungsausweitung. Ein Lösungsansatz ist
die Delegation und Substitution ärztlicher Leistungen. Und unsere Umfrage zeigt: Drei Viertel der
Deutschen sind dafür aufgeschlossen, dass medizinisches Fachpersonal wie Krankenschwestern
Aufgaben von Landärzten übernehmen, um diese zu entlasten – etwa Hilfe bei Kuranträgen,
Hausbesuchen zur Routinekontrolle bei chronisch Kranken oder Erklärungen zu Arzneimitteln.
Auch die Telemedizin bietet Chancen. Hier hat der Bundesminister ein Gesetz noch für dieses
Jahr angekündigt. Und sollte dort mehr drin stehen, als dass die Notfalldaten auf der
elektronischen Gesundheitskarte gespeichert werden sollen, dann könnte auch hier ein
vielversprechender Lösungsansatz liegen. Wir haben die Chancen von Telemedizin daher in
unserem Meinungspuls abgefragt und erfahren: Ein Arztgespräch per Video ist bereits für jeden
Dritten eine Option. Gerade in strukturschwachen Regionen können Patienten so längere Wege
vermeiden und schneller Zugang zu einem Spezialisten bekommen. Gute Erfahrungen haben wir
zum Beispiel in einigen Flächenländern auch bereits mit einem telemedizinischen Ansatz für
Patienten gemacht, die an einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) leiden. Bei
ihnen ist die regelmäßige Kontrolle ihrer Gesundheitswerte entscheidend – in unserem Projekt
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übernimmt dies ein elektronischer Helfer, der bei ihnen zu Hause steht und direkt mit Fachärzten
vernetzt ist.
Andererseits müssen wir künftig auch längere Wege in Kauf nehmen, vor allem auf dem Land und
für eine Spezialbehandlung. Ein umfassendes Facharztangebot ist nicht mehr überall organisier-,
geschweige denn finanzierbar. Bei Kommunal- und Landespolitikern ist das naturgemäß ein
unbeliebtes Thema. Hier haben wir gute Nachrichten: Unser Meinungspuls zeigt, für eine bessere
Untersuchungs- oder Behandlungsqualität ist die große Mehrheit der Menschen bereit, weitere
Wege in Kauf zu nehmen – sowohl bei niedergelassenen Ärzten als auch bei Krankenhäusern.
Und die Menschen auf dem Land sind sogar etwas eher bereit, länger zu fahren, als Großstädter.
Zum Dritten müssen wir uns auf das Thema Alterung einstellen – und damit die Pflege in den
Fokus rücken. Hier haben wir bei unserer Umfrage gemerkt, dass es eine große Diskrepanz
zwischen Wissen und Tun gibt. Die Deutschen gehen zwar ganz realistisch davon aus, dass die
gesetzliche Pflegeversicherung nur einen Teil der Kosten für Pflege im Alter abdeckt. Dennoch
geben vier von zehn Deutschen an, darüber hinaus noch gar nichts zur eigenen Absicherung
getan zu haben. Die monatlichen Kosten für einen Pflegeplatz in der höchsten Pflegestufe 3
betragen im Bundesdurchschnitt aktuell 3.300 Euro. Der Pauschalbetrag aus der gesetzlichen
Pflegeversicherung für diese Pflegestufe beträgt 1.550 Euro. Das bedeutet: Weniger als die Hälfte
der durchschnittlichen Kosten ist gedeckt. Und hier kommen ja noch Nebenkosten hinzu wie zum
Beispiel Reinigung oder Friseurdienstleistungen. Jeder dritte Befragte unterschätzt allerdings die
Pflegekosten, gleichzeitig rechnet jeder Vierte mit einem größeren Zuschuss der Pflegekasse. Das
Kostendelta, das im Pflegefall auf sie zukommt, ist damit deutlich größer als viele Menschen
erwarten. Kein Reformtrick wird dieses demografische Problem lösen. Tatsache ist: Es wird für alle
teurer.
Abschließend möchte ich noch ein Schlaglicht auf das Thema Wettbewerb werfen. Denn unser
Meinungspuls zeigt ein deutliches Votum für mehr Wettbewerb im deutschen Gesundheitssystem.
Die Mehrheit der Menschen in Deutschland will entscheiden können und verspricht sich von mehr
Wettbewerb im System auch mehr Qualität – und zwar auf allen Ebenen. Das ist umso
interessanter, weil die Krankenkassen ab dem kommenden Jahr verpflichtet sind, ihre
Zusatzbeiträge auf der Internetseite des GKV-Spitzenverbandes zu veröffentlichen. Mehr noch:
Wer einen überdurchschnittlichen Zusatzbeitrag verlangt, muss in einem gesonderten Schreiben
auf günstigere Kassen hinweisen. Das ist eine merkwürdige Art von Wettbewerb, den es so
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nirgends in Deutschland gibt. Es ist falsch, die Krankenkassen auf den Preis zu fokussieren.
Vielmehr müssen wir die Möglichkeit zu einem umfassenden Preis-Leistungs-Service-Wettbewerb
haben. Das haben die Versicherten längst erkannt.
Jeder Zweite verspricht sich von mehr Wettbewerb auch ein besseres Kassenmanagement mit
geringeren Verwaltungskosten. Und das ist berechtigt: Hier setzen die Regelungen des
morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA) allerdings im Moment völlig falsche
Anreize und benachteiligen effizient wirtschaftende Krankenkassen wie die TK systematisch. Zum
Beispiel beim Stichwort Verwaltungskostenausgleich gilt heute: Unsere unterdurchschnittlichen
Verwaltungskosten, die wir uns hart erarbeiten, werden im heutigen Zuweisungssystem nicht
belohnt − im Gegenteil. Hier besteht Änderungsbedarf. Wir müssen für faire
Wettbewerbsbedingungen sorgen, die die Kassen zu einem effizienten Management zwingen und
sie gleichzeitig in die Lage versetzen, die Beiträge ihrer Versicherten für eine zukunftsfeste und
innovative Gesundheitsversorgung einzusetzen.
Dieser stärkere Wettbewerb zu fairen Bedingungen kann und muss dann mittelfristig auch das
Nebeneinaner von gesetzlicher und privater Krankenversicherung ablösen. Mit diesen
Parallelwelten kann es auf Dauer nicht weitergehen, wir brauchen einen einheitlichen
Versicherungsmarkt mit den gleichen Regeln für alle. Mit neun von zehn Befürwortern geben in
unserer Umfrage sogar die privat Versicherten ein deutliches Votum für das Solidarprinzip ab.
Und: Privat Versicherte empfinden das Gesundheitssystem nicht nur als deutlich ungerechter,
sondern sehen auch einen größeren Reformbedarf als gesetzlich Versicherte.
Dies sind nur einige Schlaglichter auf die Ergebnisse unseres Meinungspulses. Das gesamte
Themenspektrum ist noch deutlich breiter: von der Kommunikation zwischen Ärzten und ihren
Patienten über Fragen der Patientensicherheit und IGeL-Angebote bis zur Prävention. Eine
Auswahl stellt Ihnen nun Forsa-Geschäftsführer Professor Manfred Güllner vor.