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Weltreligionen & religiöser Fundamentalismus
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Grundlegendes
Religion ist eine der wichtigsten geistigen Antriebs- und Bewegungskräfte der Menschheit
Steht in vielfältigen strukturellen und akuten Wechselwirkungen zur Politik
Nachdem säkulare Heilsideologie des Kommunismus verloren hat, ist Einfluss der Religion gestiegen
In USA, Israel und in islamischen Ländern haben religiöse Einstellungen neue Intensität erlangt
Politik wird direkt unter simplifizierte religiöse Kategorien subsumiert
In Europa ist politische Prägekraft der Religion eher zurückgegangen
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Definition
Religion [lateinisch] ein System von Glaubensaussagen und -praktiken,
wobei der Sinn stiftende Grund in der jeweiligen Religion entweder überweltlich (Gott, Götter, Geister) oder innerweltlich (Natur, Universum) verstanden wird und dementsprechend jeweils unterschiedliche praktische Konsequenzen in Ethik, Kultus und Mythos nach sich zieht. Welche Inhalte konkret mit dem Begriff Religion verbunden werden, definiert jede Kultur und Epoche anders. Dabei stehen von Anfang an zwei Aspekte im Mittelpunkt: das spirituelle Erlebnis und das ethische Handeln.
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Die Verbreitung der Religionen
Rang Religion Hauptverbreitung Anhänger in Millionen
1 Christentum Europa, Australien, Nord- und Südamerika 1928,0
2 Islam Vorderasien, Nordafrika, Indonesien 1299,6
3 Hinduismus Indien 750,5
4 Buddhismus Japan, China, Taiwan 323,9
5 Neu-Religionen Nordamerika, Europa 121,3
6 Stammes- und Naturreligionen Afrika, Asien, Ozeanien 99,2
7 Daoismus China, Taiwan 31,0
8 Sikhs Indien (Punjab) 19,2
9 Judentum Israel 14,1
10 Schamanismus Asien 11,0
11 Zeugen Jehovas Weltweit 6,6
12 Bahaismus Indien, Iran 6,1
13 Konfuzianismus China, Süd-Korea, Taiwan 5,3
14 Shintō Japan 4 bis 5
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Die 3 monotheistischen Religionen: Judentum, Christentum und Islam
Religionen schließen sich kulturell gegeneinander ab
Opportunitätsstruktur für intensive Konflikte Nordirland-Konflikt zwischen Protestanten und
Katholiken Ehemaliges Jugoslawien: orthodoxe Serben,
katholische Kroaten, muslimische Bosniaken, islamische Albaner
An die Stelle des Antisemitismus ist eine „Islamophobie“ getreten (d. Thränhardt), nach Ende des Kalten Krieges neues Feindbild
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Nationalstaaten und Religion
Enge Beziehungen bestehen noch heute zwischen bestimmten Religionen und Nationalstaaten
Sowohl in Europa, als auch in den USA und Lateinamerika
Extreme Formen in einigen islamischen Ländern (Irans theokratische Verfassung, in Saudi-Arabien ist Islam einzig erlaubte Religion)
Problematisch für Minderheiten
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Weltweite Zusammenschlüsse
Buddhismus am wenigsten institutionalisiert (in China strikt atheistisches Regime)
Hinduismus weitgehend auf Indien beschränkt Islam in loser Staatenkonferenz mit 52 Ländern
und die islamische Weltorganisation (von Saudi-Arabien finanziert)
Katholische Kirche, größte religiöse Organisation, als Wahlmonarchie konstituiert mit hohem Maß an Zentralisierung
Weltrat der Kirchen in Genf (fast alle nichtkatholischen Kirchen)
Jüdischer Weltkongress seit Ende des Nazi-Regimes
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Moderne synkretistische Religionen: USA (Mormonen, Zeugen Jehovas), Japan (Soka Gakkai), Korea (Moon-Sekte)
Straffe Leitung, strenge Formierung und Zentralisierung
In allen Industrieländern neue Kulte, die Anhänger in psychische Abhängigkeit bringen
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Reiche und arme Welt
In den dominierenden internationalen Organisationen sind hauptsächlich „christliche“ Länder vertreten
NATO: Ausnahme Türkei OECD: Ausnahmen Japan und Südkorea 4 der 5 Mitglieder des UN Sicherheitsrates Türkei und EU (ehem. türkischer
Ministerpräsident Yilmaz: EU als „christlicher Club“)
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„Kampf der Kulturen“ Samuel Huntington 1993 Größte Befürchtung: „antiwestliche Hauptachse“,
die „konfuzianisch-islamische“ mit der „orthodoxen-hinduistischen“ Achse verbünden sich und kippen das Gleichgewicht in Eurasien gegen den Westen
Kritik an Huntington: fast Staaten mit den unterschiedlichsten politischen
Ansätzen zu neuen Gruppen zusammen „Kulturen“: mal religiös, mal geographisch, mal
politisch „Zusammenprall“ der westlichen, christlichen Welt
mit der muslimischen Welt bewahrheitet
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Religiöser Fundamentalismus
Religiöser Fundamentalismus kein Phänomen bestimmter Kulturkreise oder Religionen, sondern in allen Religionen und Weltanschauungen zu finden
Fundamentalismus Versuch, Modernisierungsprozesse, die auch zu
einer Öffnung kultureller, sozialer und politischer Systeme führen, aufzuhalten und rückgängig zu machen
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Religiöser Fundamentalismus
Wenn Vertreter einer Religion ihre Interpretation ursprünglicher religiöser Inhalte und Werte politisieren, zu einer Ideologie stilisieren und sie damit zur Grundlage einer allumfassenden universalen Wertvorstellung machen
Islamischer Terrorismus am weitesten verbreitete Variante des religiösen Fundamentalismus und hat sich als einziger global und transnational organisiert
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Religiöser Fundamentalismus
Islamismus Steht für den ideologisch-politischen Moment
radikal- islamischer Vorstellungen Eine (Minderheiten-) Strömung im Islam und
vertritt entgegen eigener Zielvorstellung die überwiegende Mehrheit der Muslime nicht, da er sich religiöser Symbole nur bedient, diese ideologisch-politisch verfremdet und mit neuen Bedeutungsinhalten füllt
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Religiöser Fundamentalismus
Hauptvorwurf der heutigen Islamisten ist, dass sich Regierungen und Eliten der muslimischen Länder vom Islam abgewandt und eine „gottlose“, an westlichen Mustern orientierte Gesellschaft begründet hätten
Ihre Forderung dagegen lautet eine „wahre“ islamische Gesellschaft nach dem Vorbild des Propheten mit einer auf den Koran und Sunna begründeten Rechts- und Werteordnung wiederherzustellen
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Religiöser Fundamentalismus
Islam begreift sich als einzig wahre Religion und aus diesem Selbstverständnis leiten die Islamisten einen Universalitätsanspruch ab und begreifen den Islam als allumfassende Lebensform und natürliche göttliche Ordnung
Notwendigkeit der Rückbesinnung auf den ursprünglichen Islam, der Überlegenheit und Prosperität bedeutete
Während der Westen durch eine Periode der Prosperität ging, hat sich die Situation in vielen islamischen Staaten drastisch verschlechtert
Muslimische Staaten dem Westen politisch, militärisch und wirtschaftlich unterlegen
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Religiöser Fundamentalismus
Diese Unterlegenheit führte zu einer ökonomischen und politischen Abhängigkeit vom „Westen“ die zunehmend als entwürdigend begriffen wird, da aufgrund ihrer Abhängigkeit für Druck aus der westlichen Welt anfällig und somit auch politisch beeinflussbar
Gewaltbewegungen, die sich auf den Islam berufen, schöpfen aus einem großen Reservoir an Ungerechtigkeit, Furcht, Frustration, Hass berechtigten Klagen, berechtigten und unberechtigten Forderungen und irrationalen Erwartungen
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Religiöser Fundamentalismus
Die von außen herangetragen kulturellen Werte der westlichen Moderne konnten in der islamischen Welt keine Wurzeln schlagen und erzeugten bei vielen Muslimen ein Gefühl der Orientierungslosigkeit
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Vom religiösen Fundamentalismus zur Gewalt
Islamismus keine homogene Einheit Wichtig im Islamismus zwischen
gewaltbereiten oder gar terroristisch aktiven und nicht gewalttätigen Gruppierungen zu unterscheiden
Innerhalb der Strömungen des Islamismus zwei Strömungen zu unterscheiden
Radikalen des Wortes Radikalen der Tat, die glauben, ihre ideologische
Überzeugungen mit Gewalt durchsetzen zu müssen
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Vom religiösen Fundamentalismus zur Gewalt
Gewalt die ihre Motivation und Rechtfertigung aus der Religion bezieht keine neue Erscheinung
Aber erst nach Ende des Ost-West-Konfliktes löste der der religiöse den ethno-nationalistischen und politisch motivierten Terrorismus ab
Islamismus des 20.Jhs. war im Ursprung eine breite Reformbewegung, die durch Umgestaltung der Gesellschaft die Rückständigkeit der islamischen Gesellschaft überwinden wollte
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Islamistischer Netzwerkterrorismus – „Al-Quaida“
Ideologische Weltsicht: Die muslimischen Staaten sind heute in praktisch jedem Bereich „dem Westen“ unterlegen. Ihre Gesellschaften sind durch Armut, und ein großes soziales Gefälle geprägt.
Diese schlechte Entwicklung muslimischer Staaten liegt nach Bin Laden vor allem an der Aufzwängung ihrer Werte- und Verhaltensmuster durch die „Feinde“, was daran liegt, dass die muslimischen Regierungen vom „wahren Islam“ abgefallen seien
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Islamistischer Netzwerkterrorismus – „Al-Qaida“
Wurzel des „Al-Qaida“ Netzwerkes liegt im Widerstandskampf gegen die Sowjet-Invasion in Afghanistan 1980-1988
Widerstand gegen die Besatzer wurde in einen Dshihad umgedeutet Dem Werben folgten Tausende Rekruten
aus den muslimischen Ländern Krieg gegen die Sowjetunion in Afghanistan ein
Wachstumsmodell und Bin Laden baute mit seinem Geld und Know-how Trainingscamps und Bunkersysteme
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Islamistischer Netzwerkterrorismus – „Al-Qaida“
Dr. Abdullah Azzam, als Gelehrter ein wichtiger ideologischer Lehrer der Dschihadisten, lieferte das ideologische Dach der Organisation
Beide Elemente verschmolzen zu einer Rekrutierungsorganisation „Al-Qaida“
Bin Laden verfügte somit Anfang der 90er Jahre über Ideologie, Trainingslager und ein weit verzweigtes Netz von Anhängern unter den Afghanistan-Veteranen
Zur Etablierung einer weltweiten „Dschihad-Organisation“ knüpfte er weltweit Kontakte zu regionalen islamistischen Terrorgruppen und vereinte sie schließlich 1998 zur „Internationalen Islamischen Kampffront gegen Juden und Kreuzfahrer“
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Islamistischer Netzwerkterrorismus – „Al-Qaida“
Kampffront eine Art Terror-Holding als Dachverband unter dem heute ca.15 Gruppen aus 11 muslimischen Staaten sowie weiterhin Tausende unverbundene Einzelkämpfer aus über 50 Staaten zusammengeschlossen sind
Experten schätzen, dass von 1991-2001 ca. 20.000 – 30.000 Kämpfer aus ca. 60 Staaten ausgebildet worden sind
Nach der Zerstörung der Al-Quaida- Strukturen in Afghanistan reorganisierte sich Al-Qaida, da ein gemeinsames Dach nicht mehr möglich war in regionale „Mini-Al-Qaida-Netzwerke
Viele spätere regionale Konflikte sind seitdem unterwandert worden (Bosnien-Herzegowina, Tschetschenien und seit Mitte 2003 Irak)
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