Wiedergesundung (Recovery)
durch Selbsthilfe
Bericht über die Selbsthilfe der Psychiatrie-Erfahrenen und einen
Recovery-Prozess
Sylvia Kornmann
(Vorstandsmitglied des Landesverbandes Psychiatrie-
Erfahrene Hessen e.V.)
Ablauf des Vortrages
• Selbsthilfe,
• Trialog,
• Exkurs: Ex-In,
• Meine Recovery-Geschichte als
ein Beispiel,
• Fazit.
Sylvia Kornmann: Wiedergesundung (Recovery) durch Selbsthilfe
2
Begriff: Selbsthilfe
• Es gilt das Prinzip: „Hilf Dir selbst, sonst
helfen Dir andere“.
• Im Bereich Psychiatrie heißt das: „Wenn
wir unsere Meinung nicht äußern, bilden
sich andere ihre Meinung für uns“.
• Wenn wir nichts sagen , erhalten wir
ein Angebot was wir nicht möchten.
Sylvia Kornmann: Wiedergesundung (Recovery) durch Selbsthilfe
3
Selbsthilfebewegung
• Die Selbsthilfebewegung ist in den Angelsächsischen und Nordeuropäischen Ländern entsprungen.
• Seit den 90er Jahren gibt es immer mehr Selbsthilfeinitiativen in Deutschland, die sich hauptsächlich um gesundheitliche Themen befassen, aber auch um gesellschaftliche.
• Grund hierfür ist die Tatsache, dass sich der Staat immer mehr aus den Gesundheits- und Sozialaufgaben herausnimmt.
Sylvia Kornmann: Wiedergesundung
(Recovery) durch Selbsthilfe 4
Selbsthilfegruppen
• Eine Selbsthilfegruppe ist eine Gruppe von Menschen, die ein gleiches Problem oder Anliegen haben.
• Im Bereich Psychiatrische Erkrankungen sind dies z.B. Psychiatrie-Erfahrenen-Gruppen, Depressionsgruppen oder Borderline-Gruppen.
• Das Kennzeichen ist, dass alle Vollmitglieder Betroffene sind. Von Professionellen geleitete Gruppen sind keine Selbsthilfegruppen!
Sylvia Kornmann: Wiedergesundung (Recovery) durch Selbsthilfe
5
Selbsthilfe der Psychiatrie-
Erfahrenen • Weltverband Psychiatrie-Erfahrener
(WNSUP: World Network of (Ex-)-Users and Survivors of Psychiatry),
• Europäisches Netzwerk der Psychiatrie-Erfahrener (ENUSP: European Network of (Ex-)-Users and Survivors of Psychiatry),
• Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e.V. (BPE),
• Landesverband Psychiatrie-Erfahrener e.V. (Lvpeh),
• Psychiatrie-Erfahrenen Selbsthilfegruppen.
Sylvia Kornmann: Wiedergesundung
(Recovery) durch Selbsthilfe 6
Der BPE e.V. • Der Bundesverband ist ein Lobbyverband
für Patienten und ehemaligen Patienten
der Psychiatrie (Psychiatrie-Erfahrene
PE).
• Gegründet wurde er 1991. Sein Sitz ist
Bonn. Die Geschäftsstelle befindet sich in
Bochum. Der BPE hat ca. 1.000
Mitglieder.
• Der BPE ist psychiatriekritisch – aber nicht
anti-psychiatrisch. Sylvia Kornmann: Wiedergesundung
(Recovery) durch Selbsthilfe 7
Aufgaben des BPE e.V.
• Der BPE e.V. nimmt Stellung zu Gesetzgebungsvorhaben und Verfahren des Bundesverfassungsgerichtes.
• Ein Ziel ist die Abschaffung von Zwang und Gewalt in der Psychiatrie. Der BPE e.V. orientiert sich in seinen Forderungen an die UN-Behindertenrechtskonvention.
• Ein weiteres Ziel ist die Abschaffung der Stigmatisierung Psychisch Kranker und die Erlangung bürgerlicher Rechte rechtlich Betreuter.
Sylvia Kornmann: Wiedergesundung (Recovery) durch Selbsthilfe
8
Angebote für Mitglieder • Seminare zu verschiedenen Themen, wie
Medikamente, Selbsthilfegruppenaufbau,
• Jahreshauptversammlung mit kulturellem
Angebot,
• Juristische Beratung,
• Medikamentenberatung,
• Mitgliederzeitung.
Sylvia Kornmann: Wiedergesundung (Recovery) durch Selbsthilfe
9
Die BPE e.V.
• Nicht mit dem BPE e.V. zu verwechseln: Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Psychiatrie-Erfahrenen arbeitet anti-psychiatrisch.
• Ist aus dem BPE e.V. entstanden, da einige mit der psychiatrie-kritischen Arbeitsweise des BPE e.V. nicht zurechtkamen.
• Herausgeber der PatVerFü®.
Sylvia Kornmann: Wiedergesundung (Recovery) durch Selbsthilfe
10
LvPEH e.V.
• Landesorganisation des BPE e.V.
• Gegründet 1997 in Wiesbaden. Sitz ist in
Offenbach. Es gibt zwei Geschäftsstellen:
Hessen Süd in Taunusstein und ab Mitte
Juli Hessen Mitte in Wetzlar.
• Ca. 120 Mitglieder.
• Mitglied im Paritätischen Landesverband.
Sylvia Kornmann: Wiedergesundung (Recovery) durch Selbsthilfe
11
Aufgaben des LvPEH e.V.
• Interessenvertretung der PE in Hessen. Vernetzung mit den Selbsthilfegruppen in Hessen. (Diese Aufgabe muss von uns noch stärker ausgebaut werden).
• Der LvPEH e.V. arbeitet im Fachbeirat Psychiatrie welches dem Sozialministerium angliedert ist, mit. Hier nimmt der LvPEH e.V. Stellung zu Gesetzgebungsvorhaben. Aktuell ist dies die Einführung des Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes und das Maßregelvollzugsgesetz.
• Wir haben uns mit verschiedenen sozialen Institutionen vernetzt. So stehen wir u.a. in Kontakt mit dem Landesverband der Angehörigen Psychisch-Kranker, der DGSP (Deutsche Gesellschaft für soziale Psychiatrie e.V.), dem LWV (Landeswohlfahrtsverband Hessen), der Diakonie und der Caritas.
• Wir möchten zusammen mit den anderen Trägern Alternativen finden, die für PE´s einen guten Platz in der Gesellschaft darstellen. Dazu gehören auch Beschäftigungsmöglichkeiten in der Selbsthilfe.
Sylvia Kornmann: Wiedergesundung
(Recovery) durch Selbsthilfe 12
Forderungen des LvPEH e.V.
Wir fordern:
• die Umsetzung des Persönlichen Budgets,
• Teilzeitausbildung für PE´s,
• Weg von der Arbeit in Behindertenwerkstätten hin zu Arbeitsplätzen
auf dem 1. Arbeitsmarkt,
• Bezahlte Aufgaben für PE´s (mit und ohne Ex-In-Ausbildung) im
sozialen Bereich,
• Leichterer Zugang zu Fördergelder für die Selbsthilfe (auch wieder
Geld vom Staat),
• Abschaffung von Zwang in Hessen,
• keine aufgezwungenen Betreuungen,
• echte Hilfen zum Leben in der Gemeinschaft.
Sylvia Kornmann: Wiedergesundung (Recovery) durch Selbsthilfe
13
Angebote für Mitglieder
• Hessentreffen und Mitgliederversammlung.
• Beratung zu Psychiatriethemen: wie Medikamente,
persönliches Budget, Führerscheinentzug, Betreuung,
Psychiatrischen Krankheiten und Diagnosen.
• Kostenfreie Mitgliedschaft für BPE e.V. Mitglieder.
• Möglichkeit der Finanzierung der Teilnahmegebühren von
Seminaren und Tagungen für Mitgliedern.
• Neu: Geschäftsstellen mit Treffpunkten. In Taunusstein 2-mal
monatlich Frühstückstreff und in Wetzlar 2-mal wöchentlich
Spättreff. Geschäftsstellen sollen Anlaufpunkte werden für
regional sesshafte PE´s. Auch andere Mitglieder des LvPEH
e.V. sollen diese Angebote nutzen können.
Sylvia Kornmann: Wiedergesundung
(Recovery) durch Selbsthilfe 14
Trialog
• Hierbei geht es um die Auseinander-
setzung der Akteure im Psychiatrischen
Bereichs. Professionelle, wie Ärzte,
Krankenpfleger, Sozialarbeiter sollen mit
Psychiatrie-Erfahrenen und ihren
Angehörigen auf „Augenhöhe“ sprechen.
• Es gibt bereits vereinzelt Trialogtreffen
oder Psychoseseminare in Hessen.
Sylvia Kornmann: Wiedergesundung
(Recovery) durch Selbsthilfe 15
Probleme des Trialogs
• Es ist schwierig trialogische Veranstaltungen dauerhaft einzurichten.
Wie bei vielen Vereinen ist die Dauer immer davon abhängig, wie
sich Leute finden, die diese Treffen organisieren.
• Meist sind PE´s eher bereit an einem Trialog teilzunehmen. Auch
Angehörige sind öfters unter ihnen zu finden. Bei Professionellen
sind weniger Personen bereit, nach ihrer Arbeit an solchen Treffen
teilzunehmen.
• Vielleicht sollten Professionelle Punkte, wie für andere
Weiterbildungen wie Seminare erhalten. Evtl. sollten sie die
Besuche solcher Termine auch als Überstunden abrechnen können.
• Es nehmen i.d.R. auch nur solche PE´s und Angehörige an solchen
Veranstaltungen teil, die unzufrieden sind mit dem System.
Sylvia Kornmann: Wiedergesundung (Recovery) durch Selbsthilfe
16
Probleme im Gesamtsystem
• Machtkämpfe: Es geht um das Leben von Menschen. Vielen ist nicht bewusst, wie sensibel viele geworden sind. In den Vorständen der Verbände und Gruppen herrscht ein Machtkampf, der teilweise Tote fordert. PE´s sind hier nicht besser als Profis!
• Machtstrukturen in Hessen: Hier gibt es anscheinend noch Relikte aus der Zeit um 1940: Es gibt immer noch Profis, die haben nicht verstanden, dass es auch PE´s gibt, die wissen was ihnen gut tut und was nicht, und auf welchen Gebieten sie Hilfe benötigen und wo nicht.
• Die meisten PE´s können oder wollen sich nicht für ihre Rechte einsetzen. So entsteht aber der Eindruck das momentane System funktioniert. Dies fördert aber die Selbststigmatisierung Betroffener!
• Das System ist schweineteuer und für Viele, evtl. die Meisten nicht sinnvoll! Es fördert die Armut und die Ausgrenzung der PE´s.
Sylvia Kornmann: Wiedergesundung (Recovery) durch Selbsthilfe
17
Ex-In
• Bei Ex-In (Experienced Involvement) geht es darum das Expertenwissen durch Erfahrung von PE´s so zu nutzen, dass er mit dieser Erfahrung anderen PE´s helfen kann. Der Begriff Ex-In wird fast nur in Deutschland verwendet.
• Bereits in den 80er-Jahren machte man in Großbritannien, den Niederlanden und in Norwegen gute Erfahrung mit diesem Ansatz. Hier gibt es den Begriff des Peer Support oder Peer Counseling.
• In Deutschland wurde dieses Konzept zuerst in Bremen und Hamburg umgesetzt. In Hessen gab es bereits Kurse in Wiesbaden (Mainz), Wetzlar und Marburg.
Sylvia Kornmann: Wiedergesundung (Recovery) durch Selbsthilfe
18
Ausbildung zum Genesungsbegleiter
• Um PE´s zu schulen, wurde ein Curriculum (Lehrplan)
entwickelt, um die fehlenden Qualifikationen zu
erlangen, um später auf diesem Gebiet tätig zu werden.
• Der Ex-In-Kurs besteht aus 12 Modulen, die vom Thema
vorgegeben sind. Bei den ersten Modulen handelt es
sich um Basismodule. Der Rest sind Aufbaumodule.
• An die Ausbildung für Genesungsbegleiter kann man
eine Ausbildung zum Dozenten Ex-In anschließen und
kann dann Genesungsbegleiter ausbilden.
• Im Rahmen der Ausbildung muss man 2 Praktika im
psychiatrischen Bereich absolvieren. Zum Abschluss
fertigt man ein Portfolio und eine Abschlusspräsentation
an. Sylvia Kornmann: Wiedergesundung
(Recovery) durch Selbsthilfe 19
Probleme der Ausbildung
• Bisher ist der Kurs noch nicht anerkannt. Man weiß noch nicht wie und wo man Ex-In-ler einsetzen kann.
• Wahrscheinlich wird versucht die Ex-In-ler als Sparmaßnahmen im System anzustellen. Unsere Forderung ist, mindestens die gleiche Bezahlung , wie eine andere Person auf diesem Posten erhalten würde.
• Nicht jeder kann sich eine Ex-In-Ausbildung leisten. Jemand der vom Jobcenter abhängig ist, kann nicht einfach so eine Ausbildung anfangen. Deshalb fordern wir als Verband auch Personen eine Chance zu geben, die diese Ausbildung eigentlich nicht brauchen, weil sie schon länger in der Selbsthilfe tätig sind.
• Viele ausgebildete Ex-In-ler verhalten sich gegenüber anderen Betroffenen oft als fachlich überlegen, weil sie diese Ausbildung haben. Sie wechseln auf die Profiseite und verhalten sich dann auch so gegenüber Profis.
Sylvia Kornmann: Wiedergesundung (Recovery) durch Selbsthilfe
20
Abgrenzung Selbsthilfe zu Ex-In
• Die Selbsthilfe ist eine Zusammenkunft von
Betroffenen mit dem Ziel, dass System
zugunsten von Betroffenen zu ändern. In
erster Linie geht es nicht ums Geld
verdienen.
• Ex-In hat grundsätzlich nichts mit Selbsthilfe
zu tun. Hier geht es um Geldverdienst-
möglichkeiten für Betroffene. Die Betroffenen
möchten im System arbeiten.
Sylvia Kornmann: Wiedergesundung (Recovery) durch Selbsthilfe
21
Begriff Recovery
• Recovery kann man als (Wieder)genesung beschreiben.
• Im Psychiatrischen Bereich bedeutet dies soviel, wie wieder am Gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können.
• Grundsätzlich kann man von jeder psychiatrischen Erkrankung wieder genesen. Dies kann sehr lange dauern, oder auch plötzlich geschehen.
• Im Gegensatz zu somatischen Erkrankung kann man selbst etwas dafür tun, dass man wieder auf die Beine kommen kann.
• Manchmal benötigt man aber Hilfen, dass man wieder für sich selbst sorgen kann. Bei manchen Menschen müssen die vorhandenen Ressourcen erst aufgedeckt werden. Die meisten sind lernfähig und können fehlende Fähigkeiten und Kenntnisse sich noch aneignen. Es gibt viele gute Angebote im sozialen Bereich, für einige sind sie aber nicht hilfreich.
• Die Selbsthilfe ist auch eine Möglichkeit zu „genesen“ .
Sylvia Kornmann: Wiedergesundung (Recovery) durch Selbsthilfe
22
Meine Recovery-Geschichte
Kindheit - Jugend • Ich habe eine relativ behütete Kindheit und Jugend gehabt.
• Bin in Wetzlars Altstadt aufgewachsen und habe zwei Brüder.
Ich bin das Sandwich-Kind.
• Mein Vater war Elektriker, meine Mutter Hausfrau. Wir lebten
mit Oma und Opa in einem Haus.
• Reich waren wir nicht, wir hatten keine Heizung, kein Bad und
keine Kinderzimmer. Wir fuhren auch nicht in den Urlaub.
• Im Gegensatz zu den meisten meiner Freunde, hatte ich eine
intakte „typische“ Familie. Wir hatten auch Kontakte zu
einigen Verwandten. Familienfeiern waren bei uns häufig.
• Bis zum Abschluss der Schule lief bei mir alles im normalen
Bereich.
Sylvia Kornmann: Wiedergesundung (Recovery) durch Selbsthilfe
23
Erste „Krankheitsphase“
• 1986-1987 erste „Episode“.
• Nach meinem Abi fuhr ich nach England, da ich keine Lehrstelle gefunden hatte. Zuerst arbeitete ich als Erntehelferin und dann als Au-pair.
• Ich hatte nicht viel Glück mit meinen Familien. Vielleicht war ich auch nicht der Familientyp. Ich machte den Tag zur Nacht. Irgendwann entwickelte ich eine Psychose.
• Meine Eltern holten mich in London ab und nach einer, nicht geschlafenen Nacht, schleppte mich meine Mutter zum Psychiater. Dieser wies mich nun in die Psychiatrie ein.
Sylvia Kornmann: Wiedergesundung (Recovery) durch Selbsthilfe
24
Erster Psychiatrie-Aufenthalt
• Kam aufgrund meines Verhaltens sofort auf die Geschlossene,
• wurde fixiert und bekam eine Haldolspritze,
• kann mich nicht erinnern, dass ich einen Richter gesehen habe,
• Die Mitarbeiter haben nachgeschaut, ob ich Geschlechtsverkehr hatte, kann mich noch an das Staunen erinnern, dass ich noch Jungfrau war,
• ich weiß nicht wie lange ich fixiert war,
• Ich bekam Ausgangssperre und wurde zwangsmedikamentiert,
• das Essen war schlecht, einmal spukte mir jemand auf den Teller,
• man sprach nicht mit mir, weder Ärzte, noch Patienten,
• nur im Raucherraum konnte man kommunizieren,
• es ging erst „bergauf“ als ich eine engagierte Betreuerin fand, die mir die Spielregeln in der Klapse erklärte,
• meine Verwandten hatten Angst mich zu besuchen,
• 8 Wochen blieb ich drin.
Sylvia Kornmann: Wiedergesundung (Recovery) durch Selbsthilfe
25
Die Zeit danach • Andere Frauen bekommen Kinder, bei mir war es die Psychiatrie: Ich kam als Jugendliche rein
und war dann schlagartig erwachsen.
• Ich ging nach der Entlassung zum niedergelassenen Psychiater, den meine Mutter ausgesucht
hat. Der sagte: „Ich bin jetzt geistig behindert und kann keine Ausbildung mehr machen und
müsste jetzt mein Leben lang Medikamente nehmen“. Ich ging raus und schmiss meine Tabletten
in den Müll.
• Ich habe Anfangs nichts erzählt. Aber ich habe meinen Freundeskreis nicht verloren. Die Zeit
danach war eigentlich mit die schönste meines Lebens.
• Ich fand relativ schnell eine Ausbildungsstelle, musste zwar einmal den Arbeitgeber wechseln,
konnte aber trotzdem meine Ausbildung gut abschließen.
• Nachdem ich meine Ausbildung abgeschlossen hatte begann ich mein BWL-Studium. Es war eine
schöne Zeit. Ich rechnete gar nicht damit, dass ich mein Studium abschließe. Erstens war ich
schon recht alt und musste mein Studium selbst finanzieren. Ich kam aber relativ finanziell
zurecht, da ich in meinem Ausbildungsbetrieb weiter arbeiten konnte und Bafög bekam.
• Bereits 1992 kurz bevor ich nach Wien als Praktikantin fuhr bekam ich Probleme mit der
Schilddrüse. Was die Ursache hierfür war, weiß ich nicht. Es kann erblich bedingt gewesen sein,
da meine Oma väterlicherseits auch Probleme hatte. Oder es kam von den Neuroleptika, die ich
zwangsweise nehmen musste.
• Einen ersten Versuch bei der Abschlussprüfung konnte ich noch unternehmen. Dann musste ich
operiert werden. Ich bestand drei von 5 Prüfungen, was damals aber normal war.
• Kurz nach der Operation habe ich mich wieder merkwürdig verhalten. Ich habe es noch geschafft,
mich krankschreiben zu lassen und meine Freundin schaffte mich zur Caritas in Gießen.
Sylvia Kornmann: Wiedergesundung (Recovery) durch Selbsthilfe
26
Die Zeit zwischen den Prüfungen • 1996 kam ich dann wieder in die Klinik, kurz bevor meine Krankenakte vernichtet
wurde. Man behandelte mich aufgrund der Datenlage von 1986, berücksichtigte aber
dabei nicht, dass ich mich weiterentwickelt habe.
• Zuerst kam ich in die Uniklinik. Dort fiel mir auf, dass ich nun die Möglichkeit hatte,
mit den Ärzten und Krankenpflegern zu reden. Ansonsten war die Behandlung
ähnlich und sie dauerte genauso lange. Ich wurde auch zwangsmedikamentiert und
hatte Ausgangssperre.
• Nach Entlassung ging ich zu einem niedergelassenen Psychiater und bekam eine
Depotspritze. Danach rastete ich wieder aus und kam dann in die Vitos Klinik. Dort
wurde ich mit Haldol behandelt.
• Ich wurde zum Drehtürpatient. Mal war ich in der Klinik, mal kurz Zuhause. Setzte die
Medikamente ab, weil sie nur Nebenwirkungen hatten. Bekam eine Betreung. Diese
wurde wieder abgesetzt usw. Mein Studium hatte ich unterbrochen. Ob ich überhaupt
es zu Ende bringen konnte, war fraglich. Zu den gesundheitlichen Problemen, kamen
nun auch finanzielle.
• Irgendwann hatte ich es geschafft, Kontakt zur Uniklinik aufzunehmen, da ich dort
besser behandelt wurde. Ich hatte Glück. Der Leiter nahm sich Zeit. Ich bekam
Gespräche mit einer Psychologin und lernte anders als vorher an mein Lernmaterial
ranzugehen. Im Juni 1999 bestand ich meine Prüfungen.
Sylvia Kornmann: Wiedergesundung (Recovery) durch Selbsthilfe
27
Die Zeit nach der Prüfung
• Nach der Prüfung viel mir ein Stein vom Herzen. Ich feierte monatelang, bis ich anfing in Frankfurt zu arbeiten und ich meinen häutigen Mann kennenlernte.
• Leider war mir berufliches Glück vergönnt. Meine Karriere entwickelte sich anstatt nach oben, nach unten.
• Am 12.09.2001 löste ich meine schöne Altstadtwohnung aus finanziellen Gründen auf und zog „zu meinen Eltern“ zurück. Michael und ich machten eine Ehe „auf Probe“. Außerdem entschied ich mich, nicht mehr ganztags in Frankfurt zu arbeiten.
• Ich machte einen Absetzversuch, weil meine Medikamente vom Markt genommen wurde. Mein Arzt wusste Bescheid. Er unterstützte mich aber nicht dabei.
• Außerdem lebte ich zu dieser Zeit relativ ziellos. Ich hatte keine Alternative im Kopf, da Familie für mich nicht möglich war und beruflich wusste ich auch nicht weiter.
• Nach 2 Jahren Ruhe kam ich wieder in die Psychiatrie.
Sylvia Kornmann: Wiedergesundung (Recovery) durch Selbsthilfe
28
Neuorientierung / Selbsthilfe /
Recovery • 2001 recherchierte ich im Internet und fand etwas über Selbsthilfe im psychiatrischen
Bereich. Ich war nicht die Einzige, der so etwas passierte.
• Ich nahm an dem Verbandstreffen des BPE e.V. teil und trat in den Verband ein. Kurzum wurde ich auch Mitglied im Vorstand des LvPEH e.V., der damals sich schon fast aufgelöst hatte.
• In Gießen gab es eine große Selbsthilfegruppe in der ich auch Mitglied wurde.
• Nun hatte ich wieder ein Ziel: Die Selbsthilfe in Hessen mit Anderen aufzubauen! Arbeit, die mir Spaß macht, wo ich gefordert werde und ich viele Leute kennenlerne. Einziger Wermutstropfen: Ich kann (noch) kein Geld damit verdienen.
• Zu dieser Zeit nahm ich auch wieder mein Hobby auf: Das Malen und Gestalten. Inzwischen habe ich schon einige Ausstellungen gegeben. Vielleicht lässt sich das auch weiter ausbauen.
• Bis zum Jahr 2007 hatte ich noch einige viele Aufenthalte in der Vitos in Herborn und in der Gießener Uniklinik. Schon lange gehe ich nicht mehr zu einem niedergelassenen Psychiater, da ich dort nur negative Erfahrungen gemacht habe. Eine Betreuung habe ich nicht mehr. Meinen Führerschein habe ich auch noch. Inzwischen habe ich eine Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht.
• 2013 – 2015 nahm ich an einer Ex-In-Ausbildung teil. Mein Ziel war weniger der Abschluss, sondern die Neugierde was ist das ? Die Ex-In-Schiene kann genau das gleiche bezwecken wie die Selbsthilfe, nämlich die Selbststigmatisierung verhindern oder beseitigen. Es ist ein anderer Ansatz, mit dem Ziel Geld zu verdienen.
Sylvia Kornmann: Wiedergesundung (Recovery) durch Selbsthilfe
29
Fazit
• In die Psychiatrie zu kommen kann jedem passieren. Es wäre schön gewesen, wenn ich vorher
gewusst hätte, wie man sich dort verhält, dann hätte man vielleicht mich anders diagnostiziert.
• Es gibt und gab viele Fehlentwicklungen auf dem Gebiet der Psychiatrie. Zwang gehört
abgeschafft. Zwang macht krank. Ich denke, mir hätte man ohne Medikamente besser geholfen.
Gespräche hätten mir beim ersten Aufenthalt noch etwas genutzt.
• Es gibt zum Glück die Selbsthilfebewegung, denn ohne Gleichgesinnte hätte ich mir wohl
irgendwann eingeredet ist bin doof und hätte mich selbst-stigmatisiert und mich eventuell
suizidiert.
• Es gibt nette Institutionen und Angebote. Aber mir fehlten weder Freunde, Tagesstruktur und ich
konnte meinen Haushalt immer selbstständig führen. Das Einzige was mir immer und zum Teil
auch noch heute fehlt, sind sichere finanzielle Mittel!
• Ich bin seit ca. 8 Jahren nicht mehr eingewiesen worden. Noch nehme ich Medikamente, hoffe
aber irgendwann mal jemanden zu finden, der mich beim Absetzen unterstützt.
• Ich bin froh, dass es eine Selbsthilfebewegung gibt, sonst wäre ich nicht dort wo ich heute bin. Ex-
In steht noch am Anfang. Ich hoffe sehr, dass in Zukunft echte Arbeitsplätze für Betroffene
eingeführt werden. Es gibt noch viel zu tun und ich denke wir sind auf dem richtigen Weg. Reden,
Reden, Reden und dabei etwas tun ist wichtig und zwar im Trialog. So können Fehlentwicklungen
verhindert werden.
Sylvia Kornmann: Wiedergesundung (Recovery) durch Selbsthilfe
30