T. Scholz · U. Heil · M. JungKatholisches Klinikum Mainz, St. Hildegardis Krankenhaus, Innere Abteilung, Mainz
Zunehmende Obstipation bei unklarer Rektumstenose
Gastroenterologe 2009 · 4:232–235DOI 10.1007/s11377-009-0301-7Online publiziert: 8. Mai 2009© Springer Medizin Verlag 2009
Bild und Fall
Anamnese
Der 64-jährige Patient stellte sich wegen eines Stuhlverhaltes seit 4 Wochen statio-när vor. Seit 6 Jahren bestand eine zuneh-mende Obstipationsneigung. Zuletzt hatte die Defäkation über eine Stunde gedauert und war mit starken, krampfartigen Un-terbauchschmerzen verbunden gewesen. Vier Jahre zuvor war erstmals die Diagno-se eines Mukosaprolapses mit zirkulärem Rektumulkus gestellt worden.
An Vorerkrankungen war eine Mig-räne bekannt, die der Patient seit 10 Jah-ren mit im Ausland erworbenen „Kopf-schmerzzäpfchen“ behandelte. Der Pati-ent war als Kind appendektomiert wor-den. Serologisch bestand ein Zustand nach Hepatitis-B-Virusinfektion.
Diagnostik
Koloskopie
Bei 5 cm fand sich eine nicht passier-bare, zirkuläre, narbige Stenose mit ei-
ner kleinen gelblichen Zunge zentral, sehr derb und hart (. Abb. 1). Als Befund der Histologie aus dem Zen-trum der Stenose ergab sich eine chro-nisch-rezidivierende, partiell florid-ero-sive, unspezifische Entzündung mit fi-bromuskulärer Dissoziation ohne dys-plastische oder adenomatöse Schleim-hautveränderungen.
Kolonkontrasteinlauf
Beim Kontrasteinlauf wurde eine 1 cm lange, glatt begrenzte Stenose rund 3 cm oberhalb des Schließmuskels festgestellt (. Abb. 2).
Abdomen-CT
Im CT zeigte sich kein raumfordernder rektaler Prozess; neben etwas Aszites rechtsseitig im kleinen Becken fanden sich rechtsseitig pararektal Phleboliten. Das Kolon erschien stuhlgefüllt und luft-überbläht (. Abb. 3).
RedaktionB. Kohler, BruchsalW. Schepp, München
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen
Hier kann auch Ihr Fall dargestellt werden!
Haben Sie Anregungen oder eine interessante Falldarstellung? Senden Sie diese bitte an:
Prof. Dr. Bernd Kohler Fürst-Stirum-Klinik Bruchsal Medizinische Klinik Gutleutstr. 1-14 76646 Bruchsal [email protected]
Prof. Dr. Wolfgang ScheppAbteilung für Gastroenterologie, Hepatologie und gastroenterologische Onkologie Städt. Krankenhaus München-BogenhausenEnglschalkinger Straße 7781925 Mü[email protected]
232 | Der Gastroenterologe 3 · 2009
Ihre Diagnose? D
Abb. 1 7 In der Kolos-kopie war eine Stenose
mit einer kleinen gelblichen Zunge
nachweisbar
Abb. 2 7 Im Kolon-kontrasteinlauf war
eine 1 cm lange Stenose detektierbar
Abb. 3 7 Die Compu-tertomographie
ergab etwas Aszites und Phleboliten.
Insgesamt war das Kolon luftüberbläht. Es zeigte sich kein raum-
fordernder Prozess
233Der Gastroenterologe 3 · 2009 |
D Diagnose: Anorektaler Ergotismus
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Abb. 4 8 Ergotamin
Abb. 5 9 Ballondilatati-on (a, endoskopisches Bild) mit einem CRE-Ballonka-theter (b)
KrankheitsbildIn der Vergangenheit wurden mehrfach Ulzera, Stenosen und rektale Fistelun-gen unter Therapie mit ergotaminhal-tigen Suppositorien beschrieben. Hier-für hat sich der Begriff anorektaler Ergo-tismus in der Literatur eingebürgert. Ur-sächlich für diese Nebenwirkungen ist am wahrscheinlichsten die starke lokale vasokonstriktorische Wirkung von Ergo-tamin. Das Krankheitsbild wird mit dem Rückgang der Verwendung dieses Me-dikamentes jedoch immer unbekannter. Das in Deutschland erhältliche Präparat ( mg Ergotamintartrat plus 100 mg Kof-fein) ist rezeptpflichtig. Im Ausland sind entsprechende Präparate jedoch rezept-frei erhältlich.
Unser Patient war Pilot und hat sich seine Medikation in Saudi-Arabien ge-
kauft. Er hatte seit über 10 Jahren während Migränephasen bis zu 5 ergotaminhaltige Suppositorien täglich eingenommen.
Ergotamin
Ergotamin (. Abb. 4) ist ein hochaffiner Agonist, partieller Agonist und Antago-nist an Alpha-1-, Alpha--, Dopamin- und Serotonin-(5-HT-)Rezeptoren. Es wird zu den Mutterkornalkaloiden gezählt. Die systemische Überdosierung führt zum Krankheitsbild des Ergotismus, das im Mittelalter auch als „Antoniusfeuer“ be-zeichnet wurde.
Im Rahmen einer Überdosierung mit Ergotamin kommt es zur ausgeprägten Vasokonstriktion und in der Folge zu Ischämien (kardial, renal und im Bereich der Extremitäten). Auffällig sind kalte
und blasse Gliedmaßen, Parästhesien und Hypästhesien, gegebenenfalls auch Pare-sen, häufig ein Raynaud-Syndrom, im Ex-tremfall auch gangränöse Veränderungen. Zusätzlich bestehen in der Regel Allge-meinsymptome wie Erbrechen, Verwirrt-heit, Wahnvorstellungen, Kopfschmerzen und Diarrhöen.
> Die Ergotamin-Überdosierung führt u. a. zu ausgeprägten Vasokonstriktionen und Ischämien
Bei lokaler rektaler, chronischer Überdo-sierung bilden sich zunächst Ulzerationen, bei fortgesetzter Anwendung des Medika-mentes entstehen im Verlauf narbige Ste-nosen oder Fistelbildungen. Therapeu-tisch wurden in der Vergangenheit opera-tive Verfahren (tiefe anteriore Rektumre-sektion, Rektumextirpation) und Dilatati-onsverfahren eingesetzt. Einige Patienten führen auch über Jahre selbständig die Di-latation des stenosierten Bereiches durch.
Therapie
Wir behandelten den Patienten über insge-samt ein Jahr mittels endoskopischer Bal-londilatation (CRE-Ballonkatheter) in ins-gesamt 10 Sitzungen (. Abb. 5). Die Ste-nose wurde auf maximal 1 mm dilatiert.
Letztlich hat sich bei 16 mm ein sta-biles Endergebnis eingestellt, der Patient berichtete von einer guten Funktionali-tät (die Defäkation war ohne Schmerzen möglich, es bestand eine Stuhlkontinenz).
234 | Der Gastroenterologe 3 · 2009
Bild und Fall
Auf die ursprünglich geplante Operation (tiefe anteriore Rektumresektion) konnte verzichtet werden.
Fazit für die Praxis
Eine Überdosierung mit Ergotaminzäpf-chen kann zu lokalen Vasokonstriktionen und in der Folge zu Ulzerationen, Steno-sen und Fistelbildungen führen. Vor einer Operation sollte ggf. ein Dilatationsver-fahren versucht werden. In unserem Fall führte die konsequent durchgeführte en-doskopische Ballondilatation zu einem guten Ergebnis.
KorrespondenzadresseDr. T. Scholz
Katholisches Klinikum Mainz, St. Hildegardis Krankenhaus, Innere AbteilungAm Lungenberg 1, 55122 [email protected]
Interessenkonflikt. Die Autorin gibt an, dass kein In-teressenkonflikt besteht.
Zusammenfassung · Abstract
Gastroenterologe 2009 · 4:232–235DOI 10.1007/s11377-009-0301-7© Springer Medizin Verlag 2009
T. Scholz · U. Heil · M. Jung
Zunehmende Obstipation bei unklarer Rektumstenose
ZusammenfassungBei hartnäckiger Obstipationsneigung sollte in der Anamnese auch an das Kopfschmerz-mittel Ergotamin gedacht werden, das im Ausland teilweise noch frei erhältlich ist und vasokonstriktorische Nebenwirkungen auf-weisen kann. Unser Fall handelt von einem 64-jährigen Piloten, bei dem es nach Ergota-mineinnahme unter anderem zu Defäkation-beschwerden mit krampfartigen Unterbauch-schmerzen kam.
SchlüsselwörterErgotamin · Rektumstenose · Defäkationsbe-schwerden · Obstipation · Vasokonstriktionen
Progressive obstipation caused by obscure rectal stenosis
AbstractIn cases of persistent obstipation ergotamine, a substance taken for migraine which is freely available in other countries and acts as a va-soconstrictor, should also be considered as a cause. The case described here concerns a 64-year-old pilot who suffered from problems with defaecation and convulsive lower ab-dominal pain.
KeywordsErgotamine · Rectal stenosis · Defaecation problems · Obstipation · Vasoconstriction
235Der Gastroenterologe 3 · 2009 |
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Schwerpunkte 2009
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F Heft 2/09 Autoimmune Leber- erkrankungen
F Heft 3/09 Ösophagus- und Magen- karzinom
F Heft 4/09 Viszeralmedizin – komplexe Krankheitsbilder aus hepatologischer und chirurgischer Sicht
F Heft 5/09 Viszeralmedizin – komplexe Krankheitsbilder aus gastroenterologischer und chirurgischer Sicht
F Heft 6/09 Leber und Pankreas
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