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UNIVERZA V MARIBORU
FILOZOFSKA FAKULTETA
Oddelek za germanistiko
DIPLOMSKO DELO
Ime in priimek kandidatke:
Katja Krapež
Maribor, 2010
UNIVERSITÄT IN MARIBOR
PHILOSOPHISCHE FAKULTÄT
Abteilung für Germanistik
Diplomarbeit
SOZIOKULTURELLE ASPEKTE DER
SCHRIFTKULTUR IM FRÜHEN MITTELALTER
Mentor: Autorin:
Izr. prof. dr. Dejan Kos Katja Krapež
Maribor, 2010
UNIVERZA V MARIBORU
FILOZOFSKA FAKULTETA
Oddelek za germanistiko
Diplomsko delo
DRUŽBENI IN KULTURNI VIDIKI PISNE
KULTURE V
ZGODNJEM SREDNJEM VEKU
Mentor: Ime in priimek kandidatke:
Izr. prof. dr. Dejan Kos Katja Krapež
Maribor, 2010
Lektorici:
Barbara Wehrle, prof. nemškega jezika
Vesna Voglar, prof. slovenskega jezika
ZAHVALA
Na tem mestu bi se rada iskreno zahvalila mojemu mentorju izr. prof. dr. Dejanu
Kosu za pomoč, ideje in nasvete pri sestavljanju diplomske naloge.
Posebna zahvala pa gre tudi mojim staršem za omogočanje študija, za podporo in
razumevanje.
Prav tako se moram zahvaliti sestri in vsem prijateljem za vzpodbudo pri pisanju
diplomske naloge in celotnem študiju.
Nenazadnje pa se zahvaljujem tudi Daretu za vso podporo in potrpežljivost.
IZJAVA
Podpisana Katja Krapež rojena 16.12.1982 študentka Filozofske fakultete
Univerze v Mariboru, smer Nemški jezik s književnostjo, izjavljam, da je
diplomsko delo z naslovom Soziokulturelle Aspekte der Schriftkultur im frühen
Mittelalter pri mentorju izr.prof.dr. Dejanu Kosu avtorsko delo.
V diplomskem delu so uporabljeni viri in literatura korektno navedeni; teksti
niso prepisani brez navedbe avtorjev.
__________________________________
(podpis študenta-ke) Maribor december 2010
ZUSAMMENFASSUNG:
Das frühe Mittelalter wurde vor allem von den Merowingern und Karolingern
gekennzeichnet. Die Mehrheit der Bevölkerung stellten die Bauern dar. Der
größte Teil der Bevölkerung konnte daher weder lesen noch schreiben. Lesen
oder/und schreiben konnte nur die geistliche Elite, Kleriker und Mönche.
Klöster waren in jener Zeit die Zentren der Literatur. Eine wichtige Rolle spielte
dabei auch die Kirche. Andererseits hatte der Adel im frühen Mittelalter in
sozialer und kultureller Hinsicht eine zentrale Bedeutung, wobei man den
Beginn der Regierung Karls des Großen mit dem Beginn der deutschen Literatur
gleichsetzen kann. Die mündliche und schriftliche Kultur vervollständigten sich
im frühen Mittelalter. Obwohl sich die schriftliche Kultur allmählich
durchsetzte, kam sie noch immer in Verbindung mit der mündlichen Kultur vor.
Schlüsselwörter: das frühe Mittelalter, schriftliche Kultur, mündliche Kultur,
Kloster, Hof, Medienkultur
POVZETEK:
Zgodnji srednji vek sta zaznamovali predvsem dinastiji Merovingov in
Karolingov. Večini prebivalstva je bila pismenost tuja. Brati in pisati so znali
samo duhovniki in menihi. Samostani so bili takrat središča pisne kulture,
pomembno vlogo pa je imela seveda tudi Cerkev. Po drugi strani je bilo z
družbenega in kulturnega vidika v zgodnjem srednjem veku osrednjega pomena
plemstvo, pri čemer se začetek vladanja Karla Velikega enači z začetkom
nemške književnosti. Ustna in pisna kultura se v srednjem veku dopolnjujeta.
Čeprav se je pisna kultura vedno bolj uveljavljala, se je še vedno pojavljala v
povezavi z ustno kulturo.
Ključne besede: zgodnji srednji vek, pisna kultura, ustna kultura, samostan,
dvor, kultura medijev
INHALTSVERZEICHNIS
1. EINLEITUNG..................................................................................................... 1
2. KULTUR- UND MEDIENGESCHICHTLICHE KONZEPTE ......................... 3
3. DAS FRÜHE MITTELALTER .......................................................................... 6
3.1. Kulturgeschichtliche Bedingungen .............................................................. 6
3.1.1. Regierung Karls des Großen ................................................................. 6
3.1.2. Regierung nach Karl dem Großen......................................................... 7
3.2. Lebensweise der Menschen.......................................................................... 8
3.3. Bildung im frühen Mittelalter .................................................................... 11
4. SCHRIFTLICHKEIT IM FRÜHEN MITTELALTER .................................... 16
4.1. Medien des frühen Mittelalters .................................................................. 22
4.1.1. Mündlichkeit vs. Schriftlichkeit.......................................................... 28
4.1.2. Handschriftenkultur............................................................................. 32
4.2. Soziale Strukturen: Handlungsrollen ......................................................... 34
4.2.1. Auftraggeber ....................................................................................... 35
4.2.2. Vermittler und Produzenten ................................................................ 35
4.2.3. Publikum und Adressaten ................................................................... 36
4.3. Soziale Strukturen: Institutionen................................................................ 36
4.3.1. Hofkultur ............................................................................................. 36
4.3.2. Klosterkultur ....................................................................................... 39
4.4. Schriftkultur: Gattungen............................................................................. 45
4.4.1. Glossen, Wörterbücher, Übersetzungen.............................................. 46
4.4.2. Kurzepische Texte............................................................................... 47
4.4.3. Bibelepik ............................................................................................. 48
4.4.4. Andere Texte....................................................................................... 49
5. SCHLUSSFOLGERUNG................................................................................. 51
6. LITERATURVERZEICHNIS .......................................................................... 52
6.1. Literatur...................................................................................................... 52
6.2. Internetquellen............................................................................................ 56
1
1. EINLEITUNG
In der Diplomarbeit werden zunächst die theoretischen Voraussetzungen
diskutiert und die kulturgeschichtlichen Bedingungen untersucht. Das frühe
Mittelalter wurde von der Antike, dem Christentum und Germanentum
gekennzeichnet. Karl der Große war eine bedeutende Person des frühen
Mittelalters, so muss auch auf seine Regierungszeit hingewiesen werden. Dann
wird die soziale Gliederung der Bevölkerung thematisiert. Die Gesellschaft teilte
sich in Adel, Klerus und Bauern. Größtenteils war aber im frühen Mittelalter das
Leben durch die Landwirtschaft geprägt. Es wird beschrieben, in welchen
Beziehungen die Menschen damals lebten. Da aber von der Art der Lebensweise
auch die Bildung abhängig war, werden anschließend noch die
Bildungsvoraussetzungen im frühen Mittelalter näher dargestellt.
Das frühe Mittelalter war am Anfang durch die Mündlichkeit geprägt, die
Schriftlichkeit gewann aber zunehmend an Bedeutung. Daher werde ich
versuchen, folgende Fragen zu beantworten: wer konnte überhaupt lesen und
schreiben, wer hat die Schriftlichkeit bzw. Literatur weiterentwickelt und in
welchen kulturellen Zusammenhängen übte die Schriftkultur ihre spezifische
Funktionen aus? Am Anfang der Schriftlichkeit war noch immer die Mündlichkeit
vorhanden, deshalb wird auch das Verhältnis von Mündlichkeit und
Schriftlichkeit beschrieben.
Mit der Entwicklung der Schriftlichkeit begannen sich auch die Prozesse der
Materialisierung, Dekontextualisierung und Individualisierung zu entwickeln.
Diese Prozesse beeinflussten die Entwicklung der Schrift und stellten Aspekte
dar, in denen sich die Unterschiede zwischen der mündlichen und schriftlichen
Kultur beobachten ließen. Mit der Materialisierung ist die schriftliche Fixierung
der Gedanken gemeint, mit der Dekontextualisierung die Ablösung der
Kommunikation von der Face-to-Face Situation und mit der Individualisierung
2
die neuen Formen der Selbstreflexion, die u.a. im persönlichen Verhältnis zu Gott
und in der Entstehung der ersten Biographien sichtbar wurde.
3
2. KULTUR- UND MEDIENGESCHICHTLICHE KONZEPTE
Vor 750 n. Chr. wurden die kulturellen Traditionen bei den Germanen nur
mündlich überliefert. Erst danach gab es erste schriftliche Aufzeichnungen in
deutscher Sprache und somit kann man auch von einer deutschen Literatur
sprechen. Die Literatur des frühen Mittelalters war vor allem Literatur der Klöster
und Kirchen und zwar vom 8. bis 12. Jahrhundert. Zwischen den Jahren 900 und
ungefähr 1050 gab es kaum Werke oder Texte in deutscher Sprache. Die Texte
waren nur in lateinischer Sprache verfasst, es entstanden noch einige deutsche
Verse, die mit Latein gemischt waren. Die althochdeutsche Phase dauerte bis
1050, danach begann sich die frühmittelhochdeutsche Literatur zu entwickeln.
Im frühen Mittelalter wurde als Literatur alles bezeichnet, was schriftlich fixiert
war. Es war nicht wichtig, ob es sich um einen Bienensegen von wenigen Zeilen,
ein Buchepos, einen Glosseneintrag oder ein Heiligenlied mit deutlichem
Kunstanspruch handelte, jedes Schriftstück in deutscher Sprache ist ein
Gegenstand der Literaturgeschichte. Dazu gehören auch Bibeldichtung,
christliches Helden- und Heiligenlied, vorchristliche Heldendichtung,
Markbeschreibungen, Glossen und Wörterbücher, Gebete und Eidformeln,
Zaubersprüche und Segen. (vgl. Klein, 2006, S. 7).
Vor dem 9. Jahrhundert kann man also nicht von einem deutschen Volk und einer
deutschen Dichtung sprechen. Erst mit der Bildungspolitik Karls des Großen
wurden die Fundamente für die deutsche Sprache und das Deutschtum gelegt. Der
Beginn der schriftlichen Überlieferung in deutscher Sprache hängt auch mit dem
Beginn der Regierung von Karl dem Großen zusammen. Man kann auch erst von
diesem Zeitpunkt an von einer deutschen Literatur sprechen. Die Kulturpolitik
Karls des Großen schuf also die Voraussetzungen für das Entstehen der deutschen
Literatur. Als Zentrum seiner Bildungspolitik galt die Hofakademie. (vgl. Walz,
1976, S. 15).
4
Alkuin, Paulus Diaconus, Theodulf von Orleans, Lupus und Walafrid Strabo
waren Gelehrte, die Karl der Große an seinen Hof eingeladen hat bzw. holen ließ.
Die Gelehrten arbeiteten in der neugegründeten Hofakademie und in den Klöstern.
Sie haben Schriften verfasst, die zu Unterrichtszwecken dienten. Im 9.
Jahrhundert entstanden drei große Biographien Karls des Großen. Es gab auch
eine ununterbrochene Tradition der Annalen der Könige. Sie reichen von der
Mitte des 8. Jahrhunderts bis zum ersten Viertel des 10. Jahrhunderts und wurden
unter verschiedenen Titeln und von verschiedenen geistlichen Schriftstellern
verfasst. So sieht man, dass sich gleichzeitig eine geistliche Literatur entwickelte,
die den Ruhm der Kirche verkündet hat. (vgl. Dhondt, 1968, S. 347).
Träger der Literatur waren Mönche und Kleriker, also vor allem Geistliche und
Angehörige des Klerus. Zentren der Literatur im frühen Mittelalter waren daher
Klöster, die auch Hauptträger der Bildungsreform waren. In den Klöstern (z.B.
Fulda und St. Gallen) haben die Kleriker für Überlieferungen gesorgt. Sie haben
Texte abgeschrieben, übersetzt und bearbeitet. In der Kultur des frühen
Mittelalters kommen verschiedene Oppositionspaare vor:
o schriftliche Kultur – mündliche Kultur
o Latein – Volkssprache
o „litterati“ – „illitterati“
o geistlicher Inhalt – weltlicher Inhalt
o Gelehrsamkeit – Laizität
Die deutsche Literatur war über Jahrhunderte hin nur in engster Symbiose mit der
lateinischen Literatur denkbar. Ihre Entwicklung Literatur verlief unter ständigen
Einwirkungen lateinischer Begrifflichkeit und Denkweise. Die älteste deutsche
Literatur war also nur ein Medium zum Verständnis der lateinischen Literatur.
(vgl. Kartschoke, 2000, S. 56). In lateinischen Texten des frühen Mittelalters kann
man so einen großen Anteil volkssprachiger Wörtern finden. (vgl. Bergmann,
Pauly und Moulin, 2004, S. 145).
5
Es ist aber auch möglich, dass es mehr volkssprachliche Texte gegeben hat, als
uns überliefert ist. Es lässt sich schließlich schlecht einschätzen, was und wie viel
durch Überlieferungsverluste für immer untergegangen ist. (vgl. Kartschoke,
2000, S. 55). Gründe dafür waren Zerstörungen der Handschriften durch Kriege
und Naturkatastrophen oder man hat die Schriften einfach nicht für wichtig
gehalten. Die Reste hat man als Buchbindematerial verwendet. Die Bücher waren
vor allem auch deshalb so rar, weil die Mehrheit sowieso nicht lesen und
schreiben konnte. So sieht man, dass die mündliche Überlieferung noch immer
bedeutend war. Verluste entstanden auch wegen den Überschreibungen. Weil
Pergament teuer war, musste man damit sparsam umgehen und Texte wurden
nicht selten überschrieben.
Die deutsche Literatur befasste sich mit zentralen Lebensbereichen der Zeit wie
Religion, Recht und Kriegerleben und stand so in einem unmittelbaren Bezug zur
allgemeinen Geschichte. Neben der engen Verbindung mit der zeitgenössischen
Kultur und Politik, überlieferte die deutsche Literatur auch die bis dahin nur
mündlich tradierte Dichtung vorangegangener Jahrhunderte. Mündliche
Weitergabe und freies Vortragen der Literatur waren noch jahrhundertelang neben
der schriftlichen Überlieferung üblich. Das ist auch der Grund, warum man die
Entstehungszeit eines Erzählstoffes, die Zeit der Entstehung seines formulierten
Textes und die Zeit seiner Niederschrift schwer festlegen kann. Deswegen
weichen verschiedene Handschriften eines Textes oft in der Wortwahl, im
Umfang und sogar im Inhalt voneinander ab. (vgl. Baumann und Oberle, 1985, S.
11).
Im Rahmen der Bildungsreform Karls des Großen hat sich die sogenannte
„karolingische Minuskel“ entwickelt, mit dem Ziel, das Lesen und Schreiben zu
erleichtern.
6
3. DAS FRÜHE MITTELALTER
Erst die Humanisten bezeichneten die Epoche des Mittelalters als die Zeit
zwischen dem Verfall der Antike und ihrer vermeintlichen Wiedergeburt in der
Renaissance. Den Beginn des frühen Mittelalters kann man nicht genau festlegen.
Das Mittelalter und somit auch das frühe Mittelalter sind mit dem Ende des
Weströmischen Reiches verbunden. Mit dem Beginn des frühen Mittelalters
verbindet man auch das Ende der Antike und die Völkerwanderungen. Die
Völkerwanderungen kann man auch als eine Verbindung zwischen der Antike und
dem Beginn des frühen Mittelalters verstehen, da sie in beiden Epochen
vorhanden waren.
3.1. Kulturgeschichtliche Bedingungen
Am Anfang des frühen Mittelalters herrschten noch die Merowinger. Einer ihre
bekanntester Herrscher war Chlodwig I. Nach den Merowingern begann die Zeit
der Karolinger. Im Jahr 751 wurde der letzte Merowinger durch Pippin den
Jüngeren abgesetzt. Pippin herrschte bis 768, dann übernahm bis 814 Karl der
Große die Herrschaft. Die Epoche der Merowinger hat mit ihren politischen und
kirchlichen Strukturen wichtige Grundlagen für das karolingische Reich gelegt.
Den Karolingern folgten die Ottonen, die fast bis zum Ende des frühen
Mittelalters herrschten. Da für die Bildung und Entwicklung der Literatur und
Schriftlichkeit das Herrschergeschlecht der Karolinger bzw. die Zeit der
Regierung Karls des Großen eine zentrale Rolle spielte, wird diese Zeit näher in
Betracht gezogen.
3.1.1. Regierung Karls des Großen
Wie schon erwähnt, kam Karl der Große im Jahr 768 an die Macht. Erst teilte er
sich die Macht mit seinem Bruder Karlmann, mit dem er aber nicht immer einer
Meinung war, was die Herrschaft anging. Im Jahr 771 starb Karlmann und so
7
wurde Karl der alleinige Herrscher. Unter seiner Herrschaft erreichte das Reich
seine größte Ausdehnung. Die Franken sahen sich in der Nachfolge des
Weströmischen Reiches und haben auch die christliche Religion übernommen.
Karl der Große wollte das ganze Land zum Christentum bekehren, so schreibt
auch Kartschoke: „Die Ausbreitung des Christentums ging Hand in Hand mit der
Ausweitung der fränkischen Herrschaft“. (Kartschoke, 2000, S. 64). Im Jahr 800
wurde Karl der Große vom Papst zum Kaiser gekrönt. „Mit dem Christentum
stieg eine neue, vielfach gegensätzliche Welt religiöser, ethischer und politischer
Ideen herauf, die, auf schriftliche Überlieferung sich gründend, lateinische
Vorbilder vor Augen, die Anfänge frühmittelalterlichen Schrifttums in
Deutschland grundierte.“ (Fricke und Schreiber, 1988, S. 9).
Unter Karl dem Großen kam es aber auch zu einem kulturellen Aufschwung.
Dichtung, Bildung und Baukunst begannen sich zu entwickeln. Diese Zeit nannte
man auch karolingische Renaissance oder karlische Bildungsreform. In den
Klöstern ließ Karl Schulen aufbauen und Bibliotheken gründen. Der Hof, die
Kirchen und die Klöster entwickelten sich so zu Zentren der kulturellen
Entwicklung und geistiger Gelehrsamkeit. Klöster wurden auch als Hauptträger
der damaligen Bildungsreform angesehen.
Die Mönche lebten nach den Grundsätzen der Benediktinerregel. Eine der
bedeutendsten und strengsten Regeln war „ora et labora“, „bete und arbeite“.
Man verlangte Gehorsamkeit dem Abt gegenüber.
3.1.2. Regierung nach Karl dem Großen
Karl der Große starb im Jahr 813. Das Reich erbte dann Ludwig der Fromme.
Später wurde das Reich unter dessen Söhne aufgeteilt. Das waren Lothar I., Karl
der Kahle und Ludwig der Deutsche. Die Karolinger herrschten im östlichen Teil
dann bis 911. Mit dem Tod des letzten Karolingers trat die Zeit der Ottonen an.
Das war auch der Anfang des deutschen Reiches.
Unter den Karolingern wurde das Reich immer schwächer und stand ohne einen
Nachfolger da. Dann kam der Sachsenherzog Heinrich an die Macht und wurde
8
919 König. Er hat Lothringen mit dem Ostfränkischen Reich verbunden und
herrschte bis zum Jahr 936, als er die Herrschaft an seinen Sohn Otto I. weitergab.
Im Jahr 962 wurde er zum Kaiser gekrönt. Bis zu der Kaiserkrönung wurde das
Adelsgeschlecht nach den Liudolfingern benannt, der Begründer war nämlich
Graf Liudolf. Der berühmteste und bedeutendste Vertreter der Ottonen war Otto
I., der sich, wie dann auch seine Nachfolger, Otto II. und Otto III., um die
Förderung der Künstler und Wissenschaftler und um die Bildung des Adels
bemühte. Nach ihrer Herrschaft kam im Jahr 1002 Heinrich II. an die Macht und
herrschte bis zum Jahr 1024, fast bis zum Ende des frühen Mittelalters.
3.2. Lebensweise der Menschen
Im frühen Mittelalter spielte sich das Leben überwiegend auf dem Land ab,
deswegen wird im Folgenden zunächst die Welt der Bauern näher beschrieben.
Die Bauern waren von ihren Grundherren abhängig und hatten wenig
Lebensfreiheit. Die Grundherren waren der König, Adlige, Bischöfe und Äbte.
Den Grundherren gehörte das Land und das haben sie weiter verpachtet. Sie trafen
auch Entscheidungen über das Leben der Bauern. Der Bauer musste regelmäßig
Dienste und Abgaben an seinen Grundherrn geben. Zu den Diensten gehörte der
Frondienst und zu den Abgaben zählte man zum größten Teil die Ernte, also
Naturalien oder auch Geld. Zu den Pflichten zählte auch noch die Abgabe des
zehnten Teils vom Ertrag eines Grundstücks an die Kirche. Aber auch die
Grundherren hatten den Bauern gegenüber ihre Pflichten - ihre Aufgabe war es,
die Bauern zu beschützen und zu unterstützen.
Die Grundherrschaft leitete man vom Hof des Grundherrn. Zu den
Grundherrschaften zählte man die Herrenhöfe, Felder, Wirtschaftseinrichtungen
(Brauerei, Mühle, Kelterei,…), und Werkstätte (Lederwerkstatt, Schneiderei,
Schuhmacherei, …). Der König war der oberste Lehensherr, der Grundbesitze und
Ämter für Kriegsdienste an die Kronvasallen (Bischöfe, Herzöge, Grafen und
Reichsäbte) vergab. Diese verliehen dann Land und Ämter gegen Kriegs- und
Amtsdienste an die sogenannten Aftervasallen. Zu ihnen gehörten Äbte, Ritter
und Ministerialen. Sie verliehen wiederum Land an die Bauern. Die Bauern
9
bekamen so das Land zur Bearbeitung und mussten an ihre Lehensherren
Naturalabgaben abgeben und ihnen Arbeitsdienste anbieten. So entstand eine
Rangordnung, in der jeder Vasall seinem unmittelbaren Lehensherrn einen
Treueid leistete.
In der agrarischen Gesellschaft der Karolingerzeit hatten die „Großen“ alle
Vorteile auf ihrer Seite. Auf einer Seite bildeten die reichen Landbesitzer eine
Kaste, auf der anderen Seite waren die „Kleinen“ ganz auf ihr Stück Land
beschränkt. Der „Kleine“ war nicht imstande, die Domäne zu verlassen, zu der er
gehörte. Er war aber auch mit größeren Gemeinschaften, wie z.B. den
Stammesgemeinschaften eng verbunden. Das waren Faktoren, die die Menschen
der unteren Schichten voneinander trennten. (vgl. Dhondt, 1968, S. 27).
Bei der Gliederung der Gesellschaft müssen wir aber noch einen anderen Faktor
berücksichtigen. Das ist der Faktor der Freiheit bzw. Unfreiheit. Es gab noch eine
andere Teilung und zwar in freie Oberschichten, freie Mittelschichten und unfreie
Unterschichten. Freiheit der Mittel- und Oberschichten bedeutet nach Hilsch
„Unversehrbarkeit des Körpers, persönliche Freizügigkeit und freie Verfügung
über Besitz und Eigentum“. (2006, S. 50). Zu welcher Schicht jemand gehörte,
war von der Geburt abhängig. Die Mittelschichten unterschieden sich nach dem
Besitz. Das waren Freie mit einer Hufe, Freie mit mehreren Bauernstellen und
Freie mit 30-50 Hufen, die lebten fast wie „Grundherren“.
(vgl. Hilsch, 2006, S. 50).
Es gab natürlich Reiche, die frei und zudem noch adlig waren, aber es gab auch
Sklaven, die arm und elend lebten. Daneben gab es aber auch zahlreiche
Zwischenstufen. Die „armen Freien“ bildeten nahezu eine soziale Schicht. Im
Besitz hatten sie nur einen Bauernhof, den sie alleine bewirtschafteten. Der
Unterschied zwischen den „armen Freien“ und Sklaven, die zur wirtschaftlichen
Nutzung eines Grundstücks eingesetzt wurden, war kaum erkennbar. (vgl.
Dhondt, 1968, S. 27)
10
Die Unterschiede wurden immer undeutlicher, zumal es Freie gab, die fünf oder
weniger Bauernhöfe besaßen. Einige hatten überhaupt kein Landeigentum. Sie
besaßen nur bewegliche Sachen im Werte von sechs Pfund (Silber) bis zu einem
oder einem halben Pfund. Zwischen den materiellen Lebensverhältnissen von
Freien und Sklaven gab es keine großen Unterschiede. Die Zugehörigkeit eines
Menschen zur Kategorie der Freien oder Sklaven war schwer festzustellen, wenn
es keine deutlichen Beweismittel gab. In den Kapitularien gab es viele
Vorschriften, aus denen man schließen konnte, dass die ärmeren Freien und
Sklaven Gruppen waren, die unter gleichen Lebensumständen nebeneinander
existierten und voneinander kaum zu trennen waren. (Dhondt, 1968, S.29).
Es hing von der Größe des Eigentums ab, ob man zum Wehrdienst musste oder
nicht. Einige traten in einen Mönchsorden, um nicht zum Wehrdienst geschickt zu
werden. Die Teilnahme am Wehrdienst war auf die Dauer so anstrengend und
unerträglich, dass sich viele lieber selbst in die Unfreiheit warfen. So wurden sie
nicht zum Wehrdienst geschickt. (ebda., S. 48).
Ein Ludwig dem Frommen zugeschriebenes Kapitulare, das
fragmentarisch erhalten geblieben ist, zeigt ziemlich klar, wie
diejenigen, die die Gesetze formulierten, die Sklaven einschätzten. Der
betreffende Satz, der auf eine in zahlreichen Kapitularien enthaltene
Anordnung zurückgriff, schrieb vor, dass die niedrigsten Elemente der
Gesellschaft bei den Gerichten nichts zu suchen hätten und dort weder
als Zeugen noch als Kläger erscheinen dürften. Die Urkunde spricht
hierbei von „gemeinen und schändlichen Leuten“ und zählt sie dann
auf: „Possenreißer, Wahrsager, Dirnenkinder, Dirnen, Sklaven und
Verbrecher“. Bemerkenswert ist, dass die Sklaven sogar bei der
Aufzählung der Rechtlosen fast als letzte Gruppe rangieren! (Dhondt,
1968, S. 29)
11
3.3. Bildung im frühen Mittelalter
Die Schriftlichkeit bzw. schriftliche Überlieferung ist mit Karl dem Großen zu
verbinden. Die Schriftlichkeit begann sich also am Anfang des 8. Jahrhunderts zu
entwickeln, was die Folge von Karls Reformen war. Genauer gesagt war es die
Folge der Bildungsreformen. Deswegen muss man auch die
Bildungsvoraussetzungen jener Zeit in Betracht ziehen.
Die Zeit der Karolinger ist als eine fruchtbare Zeit anzusehen, vor allem in
Hinsicht auf die Buchproduktion und das Abschreiben. Hier spielte die
Bildungsreform Karls des Großen, oder auch die Karolingische Renaissance
genannt, eine große Rolle. Karls Hof sorgte für das Abschreiben und die
Rezeption von Texten antiker Schriftsteller und Philosophen. Man setzte sich
auch für die Gründung der Hofbibliotheken und Klosterschulen ein, förderte die
Bildung des Weltklerus und war für die Vereinfachung und Erneuerung der
Schrift. So entstand die karolingische Minuskel. Damit konnten auch die ersten
Sammlungen volkssprachlicher Texte entstehen. Die karolingische Minuskel war
eine Urkundenschrift, die in den Kanzleien des Reiches gebraucht wurde.
Die Hauptziele oder die Absichten der Bildungsreform sind in der Epistola de
litteris colendis zum ersten Mal beschrieben worden. Es handelt sich um einen
Brief Karls des Großen aus den Jahren 784/85, den Alkuin verfasst hat. Dieser
Brief war primär an die Klöster und an die Bischofs- und Stiftskirchen gerichtet.
Die Kleriker sollten ihr Latein verbessern und sich den Schreibfähigkeiten noch
mehr widmen, um besser zu werden. Sie sollten sich auch in die Heilige Schrift
vertiefen, damit sie sie verstehen würden und sie besser an das Volk vermitteln
könnten. Deshalb bemühte sich Karl der Große, das Schul- und Bildungswesen zu
verbessern, was dann näher und detaillierter in der Admonitio generalis aus dem
Jahr 789 beschrieben wurde. Karl forderte die Übersetzung religiöser Texte in die
Volkssprache. Die Nachfrage nach den volkssprachlichen Texten stieg an und so
übernahmen die Klöster die Aufgaben des Übersetzens und Abschreibens. Daraus
folgte das starke Anwachsen der Bibliotheken im Reich. Die Leitlinien „richtig
sprechen, schreiben und leben“ (Kartschoke, 2000, S. 68) führten zum Programm
12
der Admonito generalis. Nach diesem Programm musste man „das Fehlerhafte
verbessern, das Überflüssige entfernen, das Richtige bekräftigen.“ (Kartschoke,
2000, S. 68). So hatten die Gelehrten die Aufgabe, religiöse und kirchliche Texte
kritisch zu überprüfen. Sie mussten die Texte orthographisch revidieren,
durchsehen und korrigieren. Vor allem handelte es sich um den Bibeltext, die
Benediktinerregel, die Psalmen und Texte, die man im Gottesdienst verwendete.
Auch die Verwaltung des karolingischen Reiches erforderte die Schriftlichkeit,
deshalb hat Karl der Große die Geistlichen ermutigt, Lesen und Schreiben zu
lernen. Sie haben dann Kapitularien, Urkunden und Briefe verfasst. Die Kunst zu
lesen und zu schreiben ist nach Wehrli keine Selbstverständlichkeit (vgl. Wehrli,
1984, S. 55).
Mit den Klostergründungen sind auch die ersten Schulen entstanden. Bischöfe
und Klöster wurden beauftragt, Schulen zu errichten und sie zu unterhalten. Man
hat zunächst die Buchstaben gelernt, dann die Silben und erst danach wurden
ganze Wörter gelesen. Danach folgte das Schreiben. Angefangen hat man mit der
Kursivschrift und dann machte man sich mit der Schriftart für Handschriften bzw.
Manuskripte vertraut. Durch das Abschreiben hat man auch die Psalter auswendig
gelernt. Anschließend hat man mit dem Singen und einfachen Rechnen
angefangen.
Nach antikem Vorbild lehnte man sich im frühen Mittelalter noch immer an die
septem artes liberales. Der lateinische Begriff artes liberales bedeutet freie
Wissenschaften bzw. Künste. Im frühen Mittelalter kannte man diese Künste unter
dem Namen Sieben Freie Künste. Die Bildung teilte sich in Trivium und
Quadrivium.
Das Trivium galt als Grundausbildung oder Elementarbildung der Kleriker, zu
dem man Grammatik, Rhetorik und Dialektik zählte. Man nannte diese Künste
auch redende oder sprachliche Künste, die auf das Latein bezogen waren. Bei der
Grammatik hat man sich mit der Sprache und Schrift vertraut gemacht. Bei der
Rhetorik war das Ziel, dass die Schüler ihre Äußerungen gut formulieren konnten,
13
es ging hier also um die Redekunst. Bei der Dialektik ging es vor allem um
logische Schlussfolgerungen, daher war sie mit der Rhetorik eng verbunden. Das
Hauptgewicht des Triviums lag aber auf dem Unterricht der Grammatik.
Zu Quadrivium, dem „höheren Studium“, zählten Arithmetik, Geometrie, Musik
und Astronomie, darum wurden sie auch als rechnende Künste bezeichnet. Die
Arithmetik beschäftigte sich mit Zahlen und Rechnen. Beim Unterricht der
Geometrie lernte man geometrische Figuren kennen und bei der Musik setzte man
sich mit Noten auseinander. Bei der Astronomie lernten die Schüler etwas über
die Sterne, Sonne, Planeten und den Mond.
Zuerst haben nur die Kleriker und die Geistlichen die Bildung genossen. Dazu
gehörten die adligen Herrscher nicht. Adlige haben ihre zweitgeborenen Söhne in
die geistliche Obhut geschickt, um sie dort ausbilden zu lassen. Sie haben dann
dort literarische Bildung genossen und danach manchmal auch die Herrschaft des
erstgeborenen Sohnes übernommen.
Die Bildung war zu dieser Zeit der Mehrheit nicht zugänglich. Bis zum 9.
Jahrhundert konnten nur die Jungen in die Schule, danach war die Schule auch für
Mädchen erlaubt und auch das nur in Frauenklöstern. Im 9. Jahrhundert hat man
die Schulen dann in „eine äußere Schule für alle Interessenten und eine innere
Schule für die dem geistlichen Beruf und dem regulierten Leben bestimmten“
(Kartschoke, 2000, S. 179) aufgeteilt.
Die schola interna besuchten die Jungen und Mädchen, die sich dann auf das
Leben als Mönche und Nonnen vorbereiteten und die als Novizen bezeichnet
wurden. Ein Novize war jemand, der in ein Kloster oder Orden eingetreten ist.
Dort musste man erst eine Vorbereitungsphase absolvieren, bevor man dann ein
öffentliches Gelübde ablegen konnte. In der inneren Schule genoss man die
Bildung nach dem Programm septem artes liberales.
In die schola externa wurden meistens Kinder adliger Abstammung geschickt.
Die Schule war ganz vom Kloster getrennt und den Schülern war es nicht erlaubt,
das Kloster zu betreten. Hauptpunkte der Bildung in der äußeren Schule waren
Lesen, Schreiben, Rechnen und Latein.
14
In einer Schulgruppe waren gewöhnlich nicht mehr als 10 Jungen und meistens
war nur ein Lehrer vorhanden. Das Lehren verlief dann so, dass der Lehrer
gesprochen bzw. gelehrt hat und die Schüler haben das Gesagte wiederholt. Sie
wiederholten es so lange, bis sie es auswendig lernten. Der Unterricht verlief in
lateinischer Sprache und dauerte manchmal stundenlang, was aber auch von den
Lichtverhältnissen abhängig war. Wie lange dann die gesamte Ausbildung
dauerte, ist nicht bekannt. Es wird aber vermutet, dass das vom Lehrer abhängig
war. Der Lehrer hat dementsprechend nach eigenem Ermessen einen Schüler für
ausgebildet erklärt.
Eine schola interna hat Karl der Große in Aachen aufbauen lassen. Das war die
berühmte Hofschule oder auch Hofakademie genannt. Der Leiter dieser
Hofakademie und geistiger Berater des Herrschers war der gelehrte Kleriker
Alkuin. Neben Karl dem Großen galt er als „zentrale Figur der karlischen
Bildungsreform“ (Kartschoke, 2000, S. 72).
In Bezug auf die Literatur und den Bildungsgrad teilte sich die Gesellschaft in
litterati und illitterati. Es handelte sich um zwei Bildungswelten: litterati heißt
schreib- und lesekundig, illitterati dagegen analphabetisch. Zu den Alphabeten
gehörte der Klerus und zu den Analphabeten die Laien. „Das Privileg des Klerus
auf Schrift und Bildung liegt begründet in der Wort-, Schrift- und
Buchbezogenheit der christlichen Religion.“ (Lübben, 1995, S. 23).
Analphabeten waren aber auch Angehörige des höchsten Adels, so wie Kaiser und
Könige. Für sie war wichtig, ihr Land zu beschützen und damit auch das Volk,
literarische Bildung schien hier zunächst überflüssig. „Die illitterati sind zwar
Laien und Analphabeten ohne Lateinkenntnis, doch sie bewahren ihre eigene
nicht-schriftliche Überlieferung in der Volkssprache, die neben der lateinischen
Schrift- und Buchtradition römisch-antiker und biblisch-patristischer Herkunft
fortwirkt.“ (Weddige, 1987, S. 55).
Den Begriff litteratus verbindet man auch mit „lateinkundig“, da die eigentliche
Sprache des frühen Mittelalters Latein war und der Klerus nur Latein lesen und
15
schreiben lernen konnte. Latein wurde darüber hinaus auch als die heilige Sprache
bezeichnet.
Im frühen Mittelalter haben auch Frauen lesen und schreiben gelernt. Die
bekannteste unter ihnen ist Hrotsvit von Gandersheim.
Bei den schriftkundigen Frauen überwog gemeinhin die Fähigkeit zur
Lektüre; aber wir dürfen davon ausgehen, dass einzelne dieser
gebildeten Nonnen, Stiftsdamen oder Laienschwestern auch als
Abschreiberinnen tätig waren. Diese angesehene Arbeit setzte freilich
eine höhere Stufe der Bildung voraus, die für das Lesen allein nicht
unbedingt erforderlich war. (Krohn, 1988, S. 32).
Die Entwicklung der Schrift verhalf Karl dem Großen bei der Verwirklichung
seiner Bildungs- und Kirchenreformen. Ohne die Schrift hätte man die Reformen
nicht durchführen können und die Kloster- und Hofkultur würden sich
wahrscheinlich nicht in demselben Ausmaß ausbreiten. Das war wiederum mit der
Bildung verbunden. Die Schrift ermöglichte so auch die Entstehung der Schulen.
In der Zeit der Regierung Karls des Großen wurden viele Kapitularien verfasst, in
denen Anordnungen, Gesetze und Rechte vom König festgehalten wurden. Auch
die politische Macht basierte also z. T. auf der Schriftkultur. Es gilt allerdings
aber auch: „Die Entwicklung der karolingischen sowie der volkssprachlichen
Literatur des Mittelalters im Allgemeinen beruht auf der Grundlage des
Nebeneinanders von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, Volkssprache und
lateinischer Schriftsprache.“ (Bahr, 1999, S. 7).
16
4. SCHRIFTLICHKEIT IM FRÜHEN MITTELALTER
Das frühe Mittelalter wurde vor allem durch die mündliche Kultur bzw.
mündliche Überlieferung geprägt. Dabei geht es um die mündliche Wiedergabe
von gesellschaftlichen, religiösen und geschichtlichen Mitteilungen, Nachrichten
und Informationen über Generationen hinweg. In Kulturkreisen spielt sie eine
große Rolle.
Die Schriftlichkeit begann sich dann in verschiedenen Bereichen zu verbreiten
und man schrieb ihr eine bedeutendere Rolle zu, vor allem im Bereich der
Religion und Bildung. „Das Althochdeutsche ist in Form einer vielfältigen
schriftlichen Überlieferung erhalten.“ (Bergmann, Pauly und Moulin, 2004, S.
142).
Wenn man ein möglichst umfassendes Textverständnis erreichen will, muss man
bei der sprachgeschichtlichen Erforschung dieser Texte den historischen Kontext
und die allgemeinen Entstehungsbedingungen berücksichtigen. Dabei muss man
die Frage nach den Funktionen der Schriftlichkeit im Mittelalter, nach den
Entstehungsorten, den Überlieferungsformen und den Überlieferungsinhalten,
miteinbeziehen. (ebda.).
Das Lesen oder Schreiben war zu jener Zeit ein Privileg. Die Schrift galt als ein
Geschenk der Götter. Und wer konnte im frühen Mittelalter lesen und schreiben?
Das waren geistlich Gebildete (Mönche und Kleriker), ein Teil des Hochadels und
einige Laien. Doch diese Laien waren Ausnahmen.
Der Schrift und dem Schreiben wurden auch religiös-kultische Funktionen
zugeschrieben, die Prophezeiungen, Beschwörungen und Ahnenkult
ermöglichten. Die Runenzeichen und das mit ihnen geschriebene Wort waren
nicht alleinige Informationsträger, sondern besaßen eher symbolische
Bedeutungen. (vgl. Schäfer, 1993, S. 115).
17
Als Sprache des frühen Mittelalters oder der Gelehrten galt also Latein, „die
vielseitig ausgebildete, durchgeistigte und kunstvoll geschmiedete abendländische
Weltsprache“. (Martini, 1991, S. 12).
Die Funktion der Schriftlichkeit lag im frühen Mittelalter vor allem im Bereich
der Religiosität. Träger der schriftlichen Kultur war die geistliche Schicht an den
Bischofssitzen und Klöstern. Dort hat man Schulen gegründet, in denen die
lateinische Sprache gelehrt wurde. In der Schreibstube des Klosters wurden
Bücher für den eigenen Bedarf verfasst. Man hat sie dann in der Dom- oder
Klosterbibliothek aufbewahrt. Durch den Tausch und das Ausleihen von
Handschriften aus anderen Bibliotheken, wurden die notwendigen Textvorlagen
geliefert. Die Geistlichen haben auch die schriftlichen Texte für die staatliche
Verwaltung betreut. (vgl. Bergmann, Pauly und Moulin, 2004, S. 144).
Neben der lateinischen begann sich um 800 auch die Volkssprache als
Schriftsprache zu entwickeln. Mit dieser Transformation traten am Anfang viele
Schwierigkeiten auf. Autoren und Schreiber, denen diese Aufgabe zugeordnet
wurde, hatten noch keine Regeln, wie die deutschen Wörter und Sätze zu
schreiben waren. (vgl. Klein, 2006, S. 11).
Schriftlichkeit ist […] prinzipiell von den lokalen und regionalen
Besonderheiten der Sprache geprägt. Man geht in der Regel davon aus,
dass die geschriebene Form des Althochdeutschen in einem
klösterlichen Skriptorium auch der gesprochenen Volkssprache des
Ortes und der jeweiligen Landschaft entspricht. (Bergmann, Pauly und
Moulin, 2004, S. 149).
Die Geistlichen betrachteten das Schreiben als ein gottgefälliges Werk.
„Schriftgelehrtheit […] garantierte dem Klerus einen Status kultureller
Überlegenheit gegenüber den ungebildeten Laien, die auf Unterweisung,
Vermittlung und vor allem Übersetzung von Gottes Wort in die Volkssprache
angewiesen waren.“ (Lübben, 1995, S. 23).
18
Darin kommt der Aspekt der Individualisierung zum Ausdruck. Die Menschen
konnten ihre Gedanken und persönliche Erfahrungen äußern, was zur Erkenntnis
verhalf, dass ein eigenes Ich bestand. Auch mit den Sünden und Beichten kam die
Individualisierung zum Ausdruck, hier hat man sozusagen Gott persönlich
angesprochen.
Bücher waren sehr kostbar und wertvoll. Selbst das Abschreiben dauerte sehr
lange, manchmal auch mehrere Wochen und die Schreiber mussten sich oft
wechseln, vor allem wenn der Text umfangreich war. Das Abschreiben oder
Kopieren verlief entweder direkt oder jemand hat den Text laut vorgelesen und
mehrere haben ihn geschrieben. So entstanden mehrere Kopien gleichzeitig. Als
Beschreibstoff hat man Pergament benutzt, das aus Tierhaut gemacht wurde und
zu jener Zeit sehr wertvoll war. Über Pergament als Beschreibstoff wird im
Kapitel 4.1.2. näher eingegangen.
Lesen und Schreiben haben die Geistlichen und Mönche während der Ausbildung
in den Klöstern gelernt. Im 8. und 9. Jahrhundert wirkten sie u.a. als Kompilatoren
und Verfasser von Wörterbüchern. Die Schriftsteller dieser Zeit äußerten nicht
ihre eigene Meinung oder Gedanken über die großen Fragen, sondern
formulierten die Meinung oder Gedanken anderer über ein bestimmtes Problem.
Das einzige Ziel dieser Zeit war ein besseres Verständnis der Heiligen Schrift.
(vgl. Dhondt, 1968, S. 351-354).
Zu den wesentlichen Elementen der frühen Schriftkultur gehörten die Einprägung
des Geschriebenen ins Gedächtnis und das tägliche Wiederholen des auswendig
Gelernten. Die lateinische Schriftlichkeit war stets mit dem Gebrauch der Stimme
verbunden. Man hat das Gelesene durch wiederholtes leises Vorsagen auswendig
gelernt, weil das Geschriebene nicht immer präsent war. (vgl. Klein, 2006, S. 11)
„Jeder deutsche Schrifttext des Mittelalters ist schon vom Schreiben
her ein Vermittlungsprodukt zwischen mündlich-volkssprachlicher
Laien- und schriftlich-lateinischer Klerikerkultur“ (Kuhn, 1940; zit.
19
nach Lübben, 1995, S. 24) und insofern tragen „alle diese Texte
zusammen eine bestimmte kulturelle Aufgabe („Funktion“): die
Aufgabe, jenen anfänglichen Abgrund zwischen den Kulturwelten der
pfaffen unde laien zu überbrücken“ (Kuhn, 1969; zit. nach Lübben,
1995, S. 24).
Wenn man also von der Schriftlichkeit redet, muss man auch noch die
Mündlichkeit erwähnen. Die nicht offizielle Kommunikation verlief im Mittelalter
hauptsächlich von Mund zu Mund. Auch zur Verbreitung der Nachrichten gab es
bestimmte Orte, die sogenannten Kommunikationszentren (Kirchenraum, Hof,
Marktplätze). Auf diesem Wege wurden Informationen von Generation zu
Generation weitergegeben.
Da die Bauern nicht lesen und schreiben konnten, mussten sie sich die Gebete und
Kirchenlieder ins Gedächtnis einprägen und auswendig lernen. Sie haben sich
Märchen, Volkslieder, Sagen und Heldengesänge angehört, sie im Gedächtnis
gespeichert und mündlich weitergegeben. Damit man die Informationen bzw.
Inhalte leichter im Gedächtnis behalten konnte, hat man sich der poetischen und
rhetorischen Mittel bedient. So konnte man sich die Texte leichter merken und das
hat zu einer dauerhafteren Überlieferung beigetragen. Für die Bauern war es auch
wichtig, die Rechtsgesetze zu kennen.
Die mündliche Kultur hat freilich auch für die Adligen eine bedeutende Rolle
gespielt. Mit Hilfe der Mündlichkeit konnten sie das historische Wissen tradieren
und auf diese Weise ihre Position in der Gesellschaft legitimieren.
Bei der mündlichen Kultur war also die Gedächtniskapazität entscheidend. Ein
wichtiges mnemotechnisches Mittel war der Rhythmus. Nach Parry ging es nicht
um wortwörtliches Memorieren:
Der Dichter besaß seiner Meinung nach einen Fundus an feststehenden
Phrasen, der es ihm ermöglichte, metrisch korrekte Verse in endloser
Zahl herzustellen und jeweils neu zusammenzustellen. […] Die starke
Betonung auf Rhythmik und Melodien wird nicht zuletzt auch durch
20
die Tatsache belegt, dass die Erzähler und die Dichter ihren Vortrag
mit Musik oder sogar Tanz kombinierten. (Kloock und Spahr, 2000, S.
241).
Schriftlichkeit und Mündlichkeit kann man so als ein zentrales Oppositionspaar
des frühen Mittelalters ansehen. Unter dem Aspekt dieser Opposition sind
vielfältige Verbindungen, Verschränkungen und Zwischenmöglichkeiten denkbar:
Vorlesen von Texten, schauspielerische Darstellung auf Textbasis und das
Vortragen memorierter Texte. Bedingungen mündlicher und schriftlicher
Vermittlung weichen voneinander ab. Bei einer mündlichen Kommunikation trägt
der Kontext der Aufführung die Bedeutung im hohen Maße mit. Schriftlichkeit
verlangt aber einen größeren Aufwand an Versprachlichung. (vgl. Haug, 2003, S.
49). Mündliche und schriftliche Überlieferungen wirken daher wechselseitig
aufeinander ein. In diesem Sinne kann man von einer Mischkultur sprechen.
Die mündliche Tradition unterscheidet sich von der schriftlichen Tradition in
folgenden vier Punkten:
1. Der mündliche Erzähler trat als Sänger auf. Er wollte nicht – wie die
Dichter, die schriftlich arbeiteten – ein Werk schaffen, sondern eine
Erzähltradition fortsetzen. Häufig war Anonymität ein Kennzeichen
mündlicher Überlieferung. Der Maßstab, an dem die Leistung des
Sängers gemessen wurde, war die richtige Wiedergabe. Richtig war,
was der Tradition entsprach.
2. Das mündliche Epos war kein im Wortlaut festgelegter Text,
sondern ein unfestes, variables Gebilde, das immer wieder anders
und neu erzählt wurde, […].
3. Eine mündliche Erzählung bestand aus Versatzstücken, die der
Sänger im Umgang mit der Tradition erlernt hatte. Die Anzahl dieser
vorgegebenen Erzählformeln war begrenzt.
4. Mündliche Werke sind nicht erst gedichtet und dann vorgetragen
worden. Entstehung und Aufführung fielen zusammen. Das Werk
entstand im Vortrag, wobei die Bedingungen der Vortragssituation in
21
das Werk selbst eingingen und sich zum Beispiel in der wechselnden
Länge und der wechselnden Akzentuierung bestimmter Themen
niederschlugen.1
Der Prozess der mündlichen Überlieferung ist im Wesentlichen von
vier, sich gegenseitig bedingenden Faktoren abhängig: dem Erzähler,
seiner Zuhörerschaft, dem Anlass und dem Inhalt des Erzählten sowie
der Übermittlung an den nächsten Erzähler. Das gesprochene Wort ist
die Mitte menschlicher Gemeinschaft, deshalb kann es nicht
verwundern, wenn an jedem Ort, an dem sich Menschen begegnen,
erzählt wird. Folglich heißt der anthropologische Grundsatz: alle
erzählen und nicht: alle erzählen alles. (Wahl, 1997, S. 117)
Hinsichtlich der Opposition zwischen der Mündlichkeit und der Schrift im
literarischen Leben sind nach Wehrli zu unterscheiden:
1. eine rein mündlich tradierte und vorgetragene und nur im „Buch“
des Gedächtnisses bewahrte und überlieferte „Literatur“;
2. die schriftliche Aufzeichnung mündlicher Formen und dabei
eventuell auch eine Bearbeitung der mündlichen Form unter
buchliterarischen Vorstellungen oder umgekehrt mit
buchliterarischer Verwendung mündlichen Stils;
3. mündlicher Vortrag von schriftlich fixierten oder fixierbaren Formen
– sei es, weil solche nur in der geselligen Übung leben, sei es, weil
ein illiterates Publikum den mündlichen Vortrag verlangt;
4. eine eigentliche Leseliteratur, die man aber mindestens bis ins 16.
Jahrhundert hinein auch im stillen Kämmerlein laut vor sich hin zu
lesen pflegte. (Wehrli, 1984, S. 59-60).
Nach H. M. Wahl ist eine mündliche Erzählung „eine mehr oder weniger
geschlossene Einheit […]: Sie hat einen Anfang, eine Mitte und einen Schluss.
Das Erzählte […] bietet einen logischen Handlungszusammenhang. Es deutet die
1 http://www.litde.com/der-literaturbetrieb-der-hfischen-zeit/mndliche-traditionen.php
22
Phänomene der Welt und leitet den Hörer durch die bei ihm geweckten
Stimmungen, wie Schauer und Entsetzten, Staunen und Neugier, Abscheu und
Ekel, Zustimmung und Ablehnung, Freude und Trauer.“ (1997, S. 116).
4.1. Medien des frühen Mittelalters
Jan Assmann unterscheidet zwischen zwei Grundtypen des Gedächtnisses – dem
kommunikativen und dem kulturellen Gedächtnis, die dann das kollektive
Gedächtnis ausmachen. Bei dem kommunikativen Gedächtnis handelt es sich um
eine direkte Kommunikation, um eine Alltagskommunikation, deswegen wird
dieses Gedächtnis auch als Alltagsgedächtnis bezeichnet. Das kommunikative
Gedächtnis wird durch die mündliche Überlieferung, genauer genommen durch
die sog. „Menschmedien“ verbreitet. Überliefert werden persönliche Erfahrungen
und Erinnerungen von Gruppenmitgliedern. Dieses Gedächtnis ist deswegen auch
gruppengebunden. Die Inhalte sind nicht geformt. Man nennt es auch
Generationsgedächtnis, denn es umfasst nicht mehr als drei bis vier Generationen.
Bei dem kulturellen Gedächtnis wird die Kommunikation über materielle Medien
vermittelt. Im Gegensatz zum kommunikativen Gedächtnis ist das kulturelle
„alltagsfern“, Tradition und Wiederholung sind Grundelemente dieses
Gedächtnisses. Man nennt es auch Langzeitgedächtnis und hier kommen sowohl
die mündliche als auch die schriftliche Überlieferung vor. Erlebnisse und
Ereignisse, die in der Vergangenheit vorkamen, werden durch kulturelle
Formungen, wie Rituale, Feste, Texte und Denkmäler erhalten und bewahrt. Das
sind die sogenannten Fixpunkte, die die Erinnerungen zu bewahren helfen.
Jede Kommunikation ist auf Kommunikationsmittel angewiesen. Sie
werden gewöhnlich Medien genannt und lassen sich nur im
Systemzusammenhang definieren. Geht man von dem üblichen
Wortgebrauch aus, so ist ein Medium ein System von
Kommunikationsmitteln, das wiederholte Kommunikation eines
bestimmten Typs ermöglicht. Etwas genauer und zugleich allgemeiner
formuliert, ist ein Medium jeweils ein System von Mitteln für die
23
Produktion, Distribution und Rezeption von Zeichen, […]. (Posner,
1968, zit. nach Wenzel, 2008, S. 16).
Wie wurden aber die Nachrichten und das Wissen im frühen Mittelalter, da es
noch keine Zeitungen, Telefone oder Computer gab, verbreitet? Als es nach den
Völkerwanderungen zur Bevölkerungszunahme kam, entwickelte sich auch ein
größeres Bedürfnis nach den Kommunikations- und Steuerungsmedien. Diese
entwickelten sich nach W. Faulstich in den fünf Teilöffentlichkeiten:
o der Hof/ die Burg
o das Dorf
o das Kloster/ die Kirche
o die Stadt
In den Teilöffentlichkeiten hatten die Medien Steuerungsfunktionen. Einige
Medien erschienen in mehreren Teilöffentlichkeiten. (vgl. Faulstich, 1996, S. 20 –
21). Pross unterscheidet dabei zwischen den Primärmedien (Sprache, Gestik,
Mimik, Tanz), bei denen kein Kommunikationsgerät erforderlich ist und den
Sekundärmedien, bei denen Übermittlungstechniken gebraucht werden, die auf
ein physikalisches Gerät angewiesen sind (Schrift, Musik, […]). Der
Kommunikator braucht dazu Hilfsmittel. (Pross, 1970, zit. nach Lee, 2002, S.
76).2 Als Primärmedien werden die Medien bezeichnet, bei denen der Mensch der
Träger der Informationen und Nachrichten ist und bei denen es sich um mündliche
Wiedergabe handelt. Das Menschmedium ist als Erzähler, Sänger, Hofnarr oder
Schauspieler aufgetreten. Die Sekundärmedien sind dagegen die Schreibmedien.
Zu den wichtigsten Medien im frühen Mittelalter gehörten die Menschmedien
Erzähler / Erzählerin, Hofnarr und Sänger und das Schriftmedium Brief. Das
waren auch Medien, die für die kulturelle Überlieferung von großer Bedeutung
waren.
2 Die Tertiärmedien, die sich im frühen Mittelalter noch nicht entwickelt haben, werden hier nicht näher beschrieben.
24
Die Menschmedien Sänger und Hofnarr sind auf der Teilöffentlichkeit der Burg
aufgetreten. Beide Medien besaßen die Unterhaltungsfunktion, außerdem hatten
sie noch Kommunikations- und Bildungsfunktionen.
Hofdichter oder Sänger haben mündliche Epen, Heldenepen und höfische Epen
vor dem Publikum vorgetragen. Die Geschichten bzw. Inhalte konnten sie
unterschiedlich vortragen, sie konnten was weglassen oder was hinzufügen, was
wahrscheinlich von dem Publikum abhängig war. (vgl. Faulstich, 1996, S. 69).
In Gesellschaften ohne Schrift war der Dichter seiner Meinung nach
ein unhinterfragter, geistiger Führer, der in seinem Gedächtnis das
verbindliche Wissen speicherte, verwaltete, organisierte und
publizierte. Er war Träger und Garant des kulturellen Gedächtnisses,
indem er alle Informationen, die für eine Gesellschaft notwendig
waren, speicherte und vermittelte. Seine Inszenierungen dienten der
Vergewisserung eines Weltbildes. (Havelock, zit. nach Kloock und
Spahr, 2000, S. 244).
Das Aussehen der Hofnarren war sehr auffällig, sie trugen eine Kopfbedeckung
mit Eselsohren. Die kennzeichnenden Farben waren gelb, grün und rot. Es waren
zwei Arten von Narren vorhanden. Auf der einen Seite waren das geistig kranke
und instabile Menschen, die abstoßend wirkten. Auf der anderen Seite waren das
junge Kleriker, die sich in Hofnarren verkleideten. Da sie für die Unterhaltung
zuständig waren, damit es am Hof nicht langweilig war, haben sie sogenannte
Narrenfeste veranstaltet. Die Narren haben dann Geschichten erzählt, so mussten
sie viele Märchen und Anekdoten auswendig lernen. Zur Unterhaltung gehörten
auch Witze, Lieder, Tanz und Akrobatik. Ein Hofnarr war in der Tat der Einzige,
der sich Scherze mit dem König erlauben durfte.
Geschichtsschreiber war ein Medium am Hof und gehörte zu den Primärmedien,
daher war er ein Menschmedium. Bei dem Geschichtsschreiber oder Historiker
geht es um ein lebendes Gedächtnis. (vgl. Faulstich, 1996, S. 32). Zu der
Geschichtsschreibung des frühen Mittelalters gehörten vor allem Annalen,
25
Biographien und Chroniken. Hauptsächlich wurde aber diese Epoche von den
Annalen und Biographien geprägt.
Die Annalen waren Jahrbücher, in denen Ereignisse des vergangenen Jahres
chronologisch dargestellt wurden. Auf diese Weise blieben die wichtigsten
Geschehnisse erhalten. Am Anfang haben die Annalen hauptsächlich in den
Klöstern ihre Aufgabe gefunden. Sie treten zunächst in Form von Aufzeichnungen
der religiösen Feiertage und Feste in Form von Notizen auf. Danach hat sich diese
Gattung auch an den Hof verbreitet, wo andere Ereignisse aufgezeichnet wurden,
wie z. B. Kriege. Mit Bezug auf Karl den Großen sind die sogenannten
Reichsannalen verfasst worden. Hier wurden die zeitgenössischen Geschehnisse
und Karls Taten beschrieben. Wie man aber sieht, sind hier die Primärmedien mit
den Sekundärmedien verbunden. Zu den berühmtesten Historiker des frühen
Mittelalters zählen Paulus Diaconus und Einhard.
Auf dem Land haben sich zwei verschiedene Gruppen von Medien entwickelt.
Zur ersten Gruppe gehörten Bauernspiele, Feste und Volksbräuche wie z.B.:
1. Feste mit Spielen, die den heidnischen Charakter aufwiesen, dazu gehörten
Jahreszeitspiele, Austreiben des Winters, Maskenspiele, Schwerttanz bei
den Männern, Fruchtbarkeitstänze bei den Frauen,.
2. Kirchenfeste waren vor allem religiöse Feiern, wie z. B. Silvester, Ostern,
Pfingsten und Kirchenweihefest,
3. Feste mit sozialem Charakter, wie etwa Hochzeiten, Taufen, Begräbnisse.
Zu den christlichen Festen zählten auch Sonn- und Feiertage. Bei diesen
Ereignissen ging es um die sogenannte Face-to-Face Kommunikation. (vgl.
Faulstich, 1996, S. 87-89). Bei solchen Anlässen hat sich die Dorfbevölkerung
versammelt. Für die Jugendlichen war das eine Möglichkeit die zukünftige Frau
oder den zukünftigen Mann kennenzulernen. Die Erwachsenen haben bei diesen
Anlässen Informationen ausgetauscht, weitergegeben und vermittelt. (vgl.
Faulstich, 1996, S. 92).
Die zweite Gruppe von Medien auf dem Lande umfasste die Erzähler oder
Erzählerinnen von Märchen, Sagen und Geschichten. Man hat vor allem an den
Winterabenden die Geschichten vor dem versammelten Publikum erzählt.
26
Die Medien auf dem Land waren also hauptsächlich Menschmedien. Beide
Gruppen hatten ihre Unterhaltungs- und Kommunikationsfunktion.
Erzählen bedeutet Muße. Folglich wird in jeder Situation erzählt, die
Muße bietet. Der Alltag gibt den Sitz im Leben des Erzählens vor: die
Bäuerin erzählt nicht, wenn sie melkt, auch nicht der Bauer, wenn er
den Pflug führt, aber wenn bei der Ernte in den Mittagsstunden die
Gemeinschaft ruht, dann kann erzählt werden. Oder wenn die Bauern
an der Mühle zusammenstehen und darauf warten, dass der Müller das
Korn mahlt, oder wenn einige beim Schmied darauf warten, dass ein
Pferd beschlagen wird, dann ist die Zeit zum Erzählen gekommen.
(Wahl, 1997, S. 119)
Das Medium des Erzählers hatte nicht nur die Unterhaltungs- und
Kommunikationsfunktion, das Erzählen war auch Teil der Erziehung. Der Inhalte
oder die Art der Geschichte, die erzählt wurde, war aber auch von dem Geschlecht
abhängig. Die Geschichten der Frauen und Männer waren unterschiedlich.
Auf seine Weise ist der Erzähler, der die Bestandteile von Plot und
Figuren miteinander verwebt, ein Rhetoriker. Er ergänzt die erzählte
Geschichte nicht nur durch die Besonderheiten seiner Persönlichkeit
und teilt mit den Zuhörern die spezielle Note der Erzählsituation.
Sondern er benutzt auch die üblichen Werkzeuge des
Geschichtenerzählers für sein Material. Eine künstlerische
Vermengung der Persönlichkeit jeden Erzählers mit weiterverbreiteten
Erzählstrategien findet statt. Diese Mischung färbt den Plot der
Geschichte und bewirkt, was die Rhetorik einer gut erzählten
Geschichte genannt werden kann. (Barksdale und Popp, 1977; zit.
nach Faulstich, 1996, S. 97).
Das Medium des Erzählers konnte man allerdings auch am Hof, in der Kirche und
im Kloster finden. Am Hof hatten die Sänger und Hofnarren die Rolle des
27
Erzählers übernommen. In der Kirche waren das Geschichten mit biblischen
Inhalten und in den Klöstern berichteten die Erzähler von Heiligenlegenden.
Zu dem Medium der Fahrenden gehörten Vaganten und Spielleute. Zu deren
Charakteristik gehörte das Wandern von Ort zu Ort, weil sie keinen festen
Wohnsitz besaßen. Sie besaßen eine Unterhaltungsfunktion und trotzdem wurden
sie nicht gern gesehen bzw. sie waren nicht willkommen. Sie wurden in drei
Gruppen geteilt. Das waren:
1. die fahrenden Sänger, Tänzer, Musiker, Schauspieler, Akrobaten,
Spaßmacher , Tierbändiger und wandernde Erzähler;
2. die Vaganten bzw. die fahrenden Kleriker, deren Umherziehen man mit
den Klostergründungen einzuschränken versuchte;
3. die Spielleute, die für die musikalische und schauspielerische
Unterhaltung sorgten und unterschiedlichste Fertigkeiten beherrschen
mussten (tanzen, Tiere nachmachen oder sie dressieren, auf Instrumenten
spielen u.Ä.).
Die Vaganten traten in der Regel in Gruppen auf und galten sehr lange als ehr-
und friedlos. (vgl. Faulstich, 1996, S. 232 - 240).
Das Medium Brief kann im frühen Mittelalter nicht nur als Schreib-, sondern auch
als Menschmedium angesehen werden. Der Inhalt der Briefe wurde vor allem auf
teurem Pergament festgehalten. Im frühen Mittelalter hatte man keinen
geordneten Botendienst und die Verkehrswege waren im schlechten Zustand.
Manchmal vergingen mehrere Wochen und Monate, das eine oder andere Mal
auch mehr als ein Jahr, bis ein Brief sein Ziel erreichte.
Zunächst wurde der Brief als Menschmedium gesehen, bei dem ein Überbringer
oder Bote die Funktion des Briefes übernommen hat. Seine Aufgabe war es, die
Nachrichten mündlich zu übertragen. Später wurde der Brief zum Schriftmedium,
aber immer noch war ein Bote vorhanden, der den Brief in schriftlicher Form an
den Adressaten bringen musste.
Außerhalb von Kirche und Kloster muss angenommen werden, dass der
Briefschreiber und Briefabsender bzw. Briefleser und Briefadressat
28
unterschiedliche Personen waren, denn die meisten weltlichen Herrscher und
späteren Laien konnten weder lesen noch schreiben. (vgl. Faulstich, 1996, S. 257).
Der Brief war also ein Informations- und Kommunikationsmedium und war ein
wesentliches Hilfsmittel bei der Kommunikation zwischen Kaiser und Papst.
Durch die Entwicklung dieser Medien erweiterte sich auch der Prozess der
Individualisierung. Je mehr Funktionen ein Mensch übernahm, desto mehr
wurden die Prozesse der Selbstreflexion gefördert. Ein Ausdruck der
Individualisierung waren die Biographien, die von den Geschichtsschreibern
verfasst wurden.
4.1.1. Mündlichkeit vs. Schriftlichkeit
Da man die mündlich überlieferten Texte bzw. Inhalte der Texte sozusagen hier
und jetzt überprüfen konnte, galten sie als relativ glaubhaft. Man konnte den
Boten bzw. das menschliche Medium befragen und so wurden die Informationen
bekräftigt und gerechtfertigt.
Die mündliche Äußerung, die in dem Moment verschwindet, wo sie
ausgesprochen wird, potenziert ihre Wahrscheinlichkeit erinnert zu
werden nicht nur durch einen eingängigen formelhaften Stil, sondern
auch indem sie oft wiederholt wird. Diese Notwendigkeit des
Wiederholt – werden -müssens, um erinnert zu bleiben, bildet laut Ong
eine im hohem Maße traditionalistische oder konservative Denkweise
aus. (Kloock und Spahr, 2000, S. 245 - 246).
Auf der anderen Seite waren die schriftlichen Zeugnisse von größerer Bedeutung,
denn was auf Pergament war, konnte nicht mehr verändert werden. Der Text bzw.
Inhalt wurde damit festgelegt und fixiert.
Als Text erhält die Überlieferung eine neue dingliche Existenzform,
die abgelöst ist vom Hier und Jetzt der Kommunikation von Angesicht
29
zu Angesicht. Die in Texten festgelegten Wissensbestände sind
fixierbar, multiplizierbar, konservierbar, summierbar, kritisierbar und
vor allem ausdeutbar. Das unterscheidet sie von der körpergebundenen
Memorialüberlieferung. (Wenzel, 2008, S. 18).
Bei der mündlichen Überlieferung konnten dagegen die Texte gekürzt oder
verlängert werden. Der Bote konnte zum Inhalt der Botschaft auch etwas
dazugeben oder weglassen. Das war auch der Grund, warum man sie oft als
fragwürdig bezeichnete.
Ein weiterer Vorteil für die schriftlich fixierten Texte, Handschriften und
Urkunden bestand in der längeren Lebenszeit. Schriftlich fixierte Texte lassen
sich über Jahrhunderte in unveränderter Form tradieren. „Gesprochene Worte sind
unsichtbar. Sie erreichen eine dauerhafte Visualisierung […] nur unter der
Preisgabe ihrer eigentlichen Natur, welche der Ton ist.“ (Kelber, 1983, zit. nach
Wenzel, 2008, S. 48). „Der Ton, der sich hörbar in der Zeit realisiert, wird zum
Buchstaben, der sichtbar im Raum steht.“ (ebda.).
In der Kommunikation von Angesicht zu Angesicht verbinden sich
Gleichzeitigkeit und Gleichräumlichkeit mit der wechselseitigen
Wahrnehmung von Sprecher und Hörer. Die Autorität des Wortes
hängt von der Glaubwürdigkeit des Sprechers ab, von seiner
gesellschaftlichen Reputation und von der Überzeugungskraft seines
Auftretens, der Wahl seiner Gesten und Worte. Mit dem Wechsel von
der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit wird das Wort zum Text, der
Sprecher und sein Auditorium werden durch Raum und Zeit getrennt.
(Wenzel, 2008, S. 51).
Bei einer mündlichen Kommunikation, in einer Sprechsituation von mindestens
zwei Gesprächspartnern, ist eine gemeinsame Anwesenheit des Sprechers und
Hörers von wesentlicher Bedeutung.
Wie schon erwähnt, spielte die Gedächtniskultur bei der Mündlichkeit eine
bedeutende Rolle. Man hat sich beim Memorieren mit unterschiedlichen Mitteln
30
geholfen. Dazu verwendete man Symbole, Mimik und Gestik. „Der Vortragende
spricht mit drei Sprachen: die erste sei der Mund, die zweite das Gesicht und die
dritte die Gestik […], dem Inneren folgt die äußerliche Bewegung und
gleicherweise werden bewegt der eine und der andere Mensch.“ (Kemp, 1987, zit.
nach. Wenzel, 2008, S. 55). Gerade weil die mündlich überlieferten Texte als
fragwürdig verstanden wurden, mussten die Erzähler erst das Vertrauen des
Auftraggebers und dann noch selbstverständlich das Vertrauen des Adressaten
bzw. des Publikums gewinnen.
Boten und Botschaften überbrücken Raum und Zeit, wobei die
körpergebundene Stimme und die schriftgebundene
Nachrichtenübertragung sich wechselseitig ergänzen. Die Autorität des
abwesenden Sprechers oder Auftraggebers wird durch Boten, Briefe
oder Texte repräsentiert, körperlich – stimmlich und zeichenhaft
vergegenwärtigt. Boten und Botschaften stehen jedoch nicht nur für
den Herrn, sondern stellen sich auch vor den Herrn. Das Medium geht
in seiner Funktion der Repräsentation nicht völlig auf. (Wenzel, 2008,
S. 51).
Als die Boten die Botschaften nur noch schriftlich vermittelten, war die
Überlieferung oder Übermittlung nicht mehr an das Hier und Jetzt gebunden. Der
Bote vertrat so den Herrscher, also den Absender der Botschaft. Die Botschaft
„geschieht ursprünglich mündlich, fungiert aber auch auf der Grundlage der
Schriftlichkeit als Brücke zwischen dem Absender und dem Adressaten einer
Botschaft. Ist die Botschaft mündlich vorzubringen, wird sie vom Boten […]
körperlich aufgenommen und aus der Erinnerung vermittelt.“ (Wenzel, 1997, S.
88). Wurden die Botschaften also mündlich übertragen, so musste der Herrscher,
der der Absender war, einen treuen, glaubwürdigen Boten auswählen. Der
Herrscher musste sicher sein, dass der Bote die Nachricht richtig und ohne
Hinzufügung oder Weglassung übertragen würde. „Deshalb sind die Boten
zunächst aus der unmittelbaren Nähe, aus den vertrauten Mitgliedern der
herrscherlichen familia gewählt.“ (Wenzel, 1997, S. 57). Hier erschien der Bote in
31
der Funktion des Sprechers. Der Bote übernahm aber auch die Funktion des
Hörers, in dieser Situation erhielt der Bote die Botschaft des Absenders und
musste sie dann weiter an seinen Herrn übertragen.
Wird der Bote durch den Text ersetzt, müssen die Autoritätsverweise
in die Schrift selbst integriert werden. Die textuelle Repräsentation des
abwesenden „Autors“ in der Gestalt eines vermittelnden Erzählers
[…], der sein Publikum persönlich anspricht, führt deshalb immer
wieder auf die Ebene des Textes selbst zurück. (Wenzel, 2008, S. 51).
Erhielt ein Adressat den Brief in schriftlicher Form, las ihm immer noch jemand
anderer den Brief mit der Botschaft laut vor. „Durch den Vorleser „spricht“ der
Brief, und der Adressat hört über die räumliche Distanz hinweg die „Stimme“ des
Absenders.“ (Köhn, 1986, zit. nach Wenzel, 1997, S. 89). Immer noch galt aber
„die Schrift als Repräsentation mündlicher Rede, und deshalb erweist sich die
vor- und außerschriftliche Verständigung noch immer als der Rahmen, vor dem
und in dem sich der Autor seiner eigenen Worte und Vorstellungen vergewissert.“
(Wenzel, 1997, S. 89). Auch hier waren der Auftraggeber und Adressat in Raum
und Zeit getrennt, trotzdem wurden sie aber durch die überlieferte Nachricht
miteinander verbunden.
Das Gesprächsmodell wird zur literarischen Form, suggeriert einen
Dialog zwischen Autor und Publikum, der auf die
Kommunikationsverhältnisse des alten Mediums zurückverweist und
die Konstitutionsbedingungen des neuen Mediums (des schriftlichen
Textes) weitestgehend ausblendet. Der Text selbst spricht und zeigt.
(Wenzel, 2008, S. 51).
32
4.1.2. Handschriftenkultur
Bevor man den Buchdruck entdeckte, waren die Handschriften oder Manuskripte
eigentlich die einzigen Formen der Schriftlichkeit. Dazu gehörten
handgeschriebene Briefe, Bücher und andere Texte.
Wie schon erwähnt, benutzte man im frühen Mittelalter als Beschreibstoff das aus
Tierhaut gemachtes Pergament, das man in gleiche Formate geschnitten hat. Es
wurde dann in Doppelblättern zu Lagen ineinander gelegt und mit Fäden geheftet.
Nachdem es beschrieben wurde, hat man es zwischen zwei Holzdeckeln
eingebunden. Das wurde dann, entsprechend der Funktion der Handschrift, mehr
oder weniger geschmückt. So ein Pergament nannte man Codex. (vgl. Bergmann,
Pauly und Moulin, 2004, S. 144). „Das Wort „Codex“ leitet sich von lat. caudex =
„Holzklotz“ ab.“ (Bein, 1998, S. 36).
Die Herstellung von Pergament war ein langer Prozess, der viel Arbeit
beanspruchte. Für die Herstellung einer größeren Handschrift, wie z. B. einer
Bibel, benötigte man rund 500 Tierhäute, meistens Schafhäute. Den Skriptorien
des höheren Standes stand ein qualitätsvolleres Pergament zur Verfügung als den
anderen Schreiborten.
Auf Pergament wurde mit einer Vogelfeder geschrieben. Die wurde vorne schräg
oder gerade zugeschnitten, was von der Schriftart abhängig war. Die Buchstaben
waren daher dicker oder dünner geschrieben. Dazu benötigte man auch Tinte,
deren Herstellung auch schwierig bzw. aufwendig war. „Tinte herzustellen gilt als
eine hohe Kunst.“ (Bein, 1998, S. 36). Die Tinte hat man aus pflanzlichen,
mineralischen oder tierischen Substanzen hergestellt.
Weil die Herstellung von Pergament sehr aufwendig war, ging man sehr sparsam
damit um. Deshalb verwendete man auch das Pergament mit Löchern, die bei der
Herstellung entstanden sind. Man schrieb also sorgsam um die Löcher herum. Um
noch mehr zu sparen, wurden z.B. alte Texte ausgetilgt und das Pergament ein
zweites Mal verwendet bzw. beschrieben. So entstandene Bücher wurden als
Palimseste bezeichnet, was auf Griechisch „wieder abgeschabt“ bedeutet.
33
Vor dem Mittelalter verwendete man Papyrus, danach wurde dieses durch
Pergament ersetzt. Die Oberfläche des Pergaments war viel glatter und hatte eine
bessere Haltbarkeit. Die Schreiber statteten die Texte auch mit Bildern aus. So
übernahmen sie in einigen Fällen die Funktion des Malers oder besser gesagt des
Illuminators, oder sie arbeiteten in enger Zusammenarbeit mit den Malern. Die
glatte Oberfläche des Pergaments war auch zum Bemalen besser geeignet. Man
hat die Texte auch mit Absätzen und Initialen ausgestattet. Die Initialen waren
große, verzierte Anfangsbuchstaben, die meistens am Anfang eines Textes
standen und manchmal auch zusätzlich mit Figuren verschönert wurden.
Der reichen Ausschmückung der Handschriften wurde eine große Bedeutung
beigemessen. Meistens wurden Lehrgedichte, Rechtsbücher und Geschichtswerke
illustriert. So wurde ihr repräsentativer Wert erhöht und sie erfuhren überdies eine
Aufwertung, die die weltliche Literatur in den Rang der geistlichen Werke
erheben sollte. (vgl. Krohn, 1988, S. 44).
Im frühen Mittelalter hat man auch die Worttrennungen eingeführt, das waren
Abstände zwischen den Wörtern. Die Texte hat man in eine oder auch mehrere
Spalten eingetragen. Man hat dabei der Höhe des Schreiberniveaus eine besondere
Beachtung geschenkt. Das war auch der Grund, warum Karl der Große im Jahr
789 befahl, dass die gottesdienstlichen Bücher, so wie Evangelien, Psalterien und
Messbücher, nur die älteren Schreiber zusammenstellen durften. (vgl. Ganz, 1996,
S. 19).
Bevor ein Schüler mit dem Schreiben beginnen durfte, musste er dem Lehrer fünf
Seiten vorlesen. Dann musste der Schüler bzw. Anfänger erst Striche machen
können, anschließend Buchstaben und Silben üben und danach erst die
Schreiberverse mit allen Buchstaben des Alphabets lernen. (vgl. Ganz, 1996, S.
18-19).
Wenn die Mönche einen Auftrag bekamen, bestimmte der Auftraggeber zuerst die
Ausführung des Buches und in manchen Fällen stellte er auch die
Verbrauchsmaterialien zur Verfügung. Dann haben die Mönche die Linierung des
Schreibgrundes gemacht und die Zeilengrenzen und Zeilenhöhen festgelegt. „In
34
den Skriptorien lernten die Schreiber in kollektiver Disziplin das Schreiben. Alle
lernten dieselbe Reihenfolge der Buchstabenstriche, ihr Pergament war auf
dieselbe Weise liniert und gefaltet.“ (Ganz, 1996, S. 21).
Der Text wurde erst ohne Initialen und ohne Verschönerungen verfasst. Am Ende
wurden dann die Initialen hinzugefügt und der gesamte Text bzw. die Handschrift
wurde mit Farben und Bildern verschönert, was allerdings von der Funktion der
Handschrift abhängig war.
Die so entstandenen Handschriften und Bücher hat man dann in den Schränken
der Bibliotheken aufbewahrt. In einigen Bibliotheken oder Klöstern hat man die
wichtigsten Werke mit Ketten befestigt, damit sie sicherer waren. „Neben der
geistlichen Literatur (Bibelwerke, Patristik, Kirchenschriftsteller, Liturgie,
Bibelexegese, später Scholastik-Texte) gab es zweitens die heidnischen Autoren
(Klassiker der Antike, Ovid, Caesar, Vergil, Terenz etc.), drittens die Schulbücher
(speziell zu den septem artes liberales […]. „ (Faulstich, 1996, S. 114).
4.2. Soziale Strukturen: Handlungsrollen
Der mittelalterliche Literaturbetrieb war im Prinzip kleinräumig organisiert
(Knapp, 2002).3 „Werke entstehen in der Regel zuerst einmal für einen relativ
kleinen Kreis von Gönnern und Zuhörern. Erst in einem weiteren Schritt erfolgt
meistens, aber nicht immer, die Verbreitung durch Handschriftenkopien oder
fahrende Sänger oder beide.“ (ebda.).
Als Auftraggeber, Autoren und Adressaten waren die Geistlichen und Gelehrten
zu verstehen, also Lese- und Schreibkundige Kleriker aus den Klöstern.
Größtenteils waren aber Mönche als Schreiber, Bischöfe als Auftraggeber und der
Adel als Publikum bzw. Rezipient anzusehen.
3 http://www.uni-heidelberg.de/presse/ruca/ruca1_2002/knapp.html
35
4.2.1. Auftraggeber
Die Auftraggeber haben meistens das Thema vorgegeben. Im frühen Mittelalter
treten als Auftraggeber vermutlich die karolingischen Königs- und Kaiserhöfe
oder Bischofshöfe hervor, es sind aber keine Namen aus dieser Zeit erhalten.
Der Auftrag des Gönners hat vielmehr erst die materiellen und
organisatorischen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Kunstwerke
entstehen und künstlerische Individualität sich entfalten konnte.
Obwohl die Gönnerbeziehungen nicht immer nachgewiesen werden
können und obschon damit gerechnet werden muss, dass nicht jedem
Werk ein Arbeitsauftrag zugrunde gelegen hat, würde es nur zu
Missverständnissen führen, wenn man zwischen Werken, die dem
inneren Drang des Künstlers ihre Entstehung verdankten, und solchen,
die auf Bestellung entstanden sind, unterscheiden wollte.4
4.2.2. Vermittler und Produzenten
Im frühen Mittelalter waren die Autoren meistens anonym oder traten in den
Hintergrund, da der Auftraggeber bestimmte, was geschrieben wurde. Zu den
Dichtertypen im frühen Mittelalter zählten Mönche und fahrende Dichter. Die
fahrenden Dichter teilten sich noch weiter in zwei Gruppen: Vaganten und
Spielmänner. Die Vaganten – auch als fahrendes Volk bezeichnet – sind von Ort
zu Ort gezogen, um für die adligen Gönner zu arbeiten. Die Spielmänner haben
auf der Straße und an den Höfen ihre Künste angeboten.5
Die fahrenden Sänger und Spielmänner sorgten für die Übermittlung der
Lebenskultur und Tradition. „Die Vaganten (vagantes clerici) waren Männer, die
eine geistliche Ausbildung genossen hatten, aber den Beruf eines Geistlichen
nicht ausübten. In einer lateinisch-deutschen Mischsprache trugen sie
4 http://www.litde.com/der-literaturbetrieb-der-hfischen-zeit/die-gnner-und-auftraggeber.php 5 http://www.wmelchior.com/mediaevistik/einfuehrung.html
36
Erzählungen, Schwänke und Gedichte vor, in denen sich christliche Frömmigkeit
mit derber Sinnlichkeit häufig mischte“ (Pochlatko, Koweindl und Thaler, 1984,
S. 16).
4.2.3. Publikum und Adressaten
Das Publikum der frühmittelalterlichen Literatur ist in den geistlichen Kreisen und
an den Höfen zu suchen. Für die heroische Dichtung kann man vermuten, dass die
Adressaten die Herrenhöfe waren. Das kann man auf Grund der Inhalte schließen,
die mit dem Lebensstil der adeligen Krieger übereinstimmten. Das Publikum der
geistlichen Dichtung waren wahrscheinlich Mönche, Nonnen und auch
Laienbrüder aus den Klöstern. Damit sind vor allem Mönche gemeint, die erst als
ältere Menschen ins Kloster gekommen sind und für die Schulbildung nicht mehr
geeignet waren. Die Kloster- oder Hoffamiliae kann man auch als Adressaten
bezeichnen.
4.3. Soziale Strukturen: Institutionen
4.3.1. Hofkultur
Der Kaiserhof schuf neue gesellschaftliche und politische Voraussetzungen für
den Literaturbetrieb und spielte als literarisches Zentrum eine bedeutende Rolle.
In der Regel wurden historische, theologische und wissenschaftliche Werke
gefördert. (vgl. Krohn, 1988, S. 40)
Die Träger der literarischen Produktion hoben sich durch ein höheres
Bildungsniveau ab, wie auch die Hauptrezipienten durch ihre politische,
wirtschaftliche und soziale Rangposition. Eine beachtliche Entfaltung eines
literarisch geprägten kulturellen Hoflebens ist in der spätantiken Tradition
sichtbar. (vgl. Irsigler, 1988, S. 25)
37
Der ganze Hof wurde zum Mittelpunkt der kulturellen Bemühungen Karls des
Großen, weshalb sich auch viele wichtige Gelehrte jener Zeit um den Kaiser
versammelten, die dann in den Hofschulen und Klöstern arbeiteten. Zu diesen
Gelehrten gehörten neben Alkuin der Langobarde Paulus Diaconus, der Italiener
und Grammatiker Petrus von Pisa, der Spanier Theodulf von Orléans und die
Franken Angilbert und Einhard. Die Gelehrten haben die Schriften für die
Schulen, das Reich und die Kirche gesammelt und sie den Menschen zugänglich
gemacht.
Der angelsächsische Gelehrte Alkuin schrieb ausschließlich in Latein. Er verfasste
Gedichte, wissenschaftliche Abhandlungen und Briefe. Sogar die Briefe, die er an
Karl den Großen schrieb, waren in lateinischer Sprache, obwohl einige
behaupteten, dass Karl der Große Latein erst spät sprechen lernte und dass er im
Schreiben und Lesen nicht erfolgreich war. (vgl. Dröll, 2005, S. 31). Alkuin zählte
zu den bedeutendsten Gelehrten am Hofe Karls des Großen. Erst war er Leiter der
Domschule von York, dann holte ihn Karl der Große an seinen Hof. Dort wurde er
Leiter der Hofschule und Karls engster Berater. Alkuin war aber nicht nur Leiter
der Hofschule, sondern auch Lehrer an dieser Schule. Er unterrichtete sogar den
König, seine Familie und die engeren Begleiter. Zu seinen Schülern und späteren
Gelehrten des Hofes zählten Angilbert, Einhard und Hrabanus Maurus. Alkuin
wurde als Begründer der sog. Karolingischen Renaissance angesehen, sorgte für
die Entwicklung der karolingischen Minuskel und ihre Verbreitung. Unter seinen
Anweisungen sollten die Schreiber alte christliche Texte antiker Autoren
verfeinern. Daran sieht man, dass Alkuin in vielen Bereichen der
frühmittelalterlichen Wissenschaft tätig war.
Paulus Diaconus war Grammatiker, Dichter, Theologe und Geschichtsschreiber.
Er verfasste eine Bischofsgeschichte vom Bistum Metz, wo er lebte. Von Paulus
Diaconus ist auch die Geschichte der Langobarden niedergeschrieben worden.
Theodulf von Orléans war einer der bedeutendsten Dichter und eine der stärksten
Autoritäten am Hofe Karls des Großen. Er war Bischof von Orléans und gründete
viele Schulen. Wegen seiner Autorität war er bei den anderen Gelehrten des Hofes
nicht sehr beliebt.
38
Der Theologe und Dichter Hrabanus Maurus gehörte schon zu den Nachfolgern
der oben angeführten Gelehrten. Er war der Lieblingsschüler von Alkuin. Er
wurde Lehrer und Leiter des Klosters Fulda. Seine Schüler waren später
Walahfrid Strabo und Otfried von Weißenburg. Unter ihm spielten Kloster und
Schule eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung des Bildungsprogrammes und
der Bildung des Volkes. Hrabanus Maurus verfasste viele Bücher für Schulen und
setzte sich stark für die Förderung der Skriptorien und Bibliotheken ein. So kann
man behaupten, dass auch er ein wichtiger Vertreter der Karolingischen
Renaissance war. Im Jahr 847 wurde er zum Erzbischof von Mainz erhoben.
Einhard war einer der engsten Vertrauten Karls des Großen und sein Biograph, er
begleitete Karl auch auf allen seinen Reisen. Er wurde im Kloster Fulda erzogen,
dann genoss er die Bildung unter Alkuin und später wurde er für die Aufsicht der
kaiserlichen Bauten verantwortlich. Er hatte das volle Vertrauen des Herrschers
auf seiner Seite und deswegen schickte ihn Karl der Große manchmal auch zu
politischen Missionen. Da er so eng mit dem Herrscher vertraut war, verfasste er
auch seine Biographie, die als sein bedeutendstes Werk gilt. Das ist Vita Karoli
Magni, in der Karls Kriege, Taten, äußere Erscheinung, Bildung und die Art des
Lebens am Hofe beschrieben werden.
Hauptziele, die die Gelehrten am Hof Karls des Großen realisieren sollten, waren
folgende: „die Reinigung der Sprache, die Revision und Vereinheitlichung der
Texte (beispielsweise des Bibeltextes), die Argumentation zur Unterbauung und
Verteidigung der katholischen Religion und die Organisation des Unterrichtes auf
verschiedenen Ebenen (von den einfachen Ausbildung bis zum wissenschaftlichen
Studium)“. (Dhondt, 1968, S. 344).
Am Hof Karls des Großen gründeten die Gelehrten auch eine Hofbibliothek. Sie
hat den Schülern beim Lernen geholfen und den Mönchen bzw. Lehrern beim
Lehren. So dienten die Bücher also der Ausbildung. Man hat aber auch Bücher
bzw. Texte an die Kloster- und Kathedralbibliotheken verliehen, um die Texte
zum Abschreiben zur Verfügung zu stellen.
39
„Die große Hofbibliothek war nicht nur für den Unterricht da, sondern auch so
etwas wie ein Reichsarchiv, in dem die emendierten, in ihrem Wortlaut
gereinigten und gesicherten Texte aufbewahrt wurden und für Abschriften zur
Verfügung standen.“ (Kartschoke, 2000, S. 73).
Die Hofkultur hätte sich nicht so verbreitet, hätte sich Karl der Große nicht so
sehr für die Schriftlichkeit eingesetzt. Die Folge der Schriftlichkeit war eine
reiche Kultur der Gelehrten.
4.3.2. Klosterkultur
Der Begriff Kloster wurde aus dem lateinischen claustrum abgeleitet, womit ein
abgeschlossener Raum für Mönche und Nonnen gemeint ist. An der Spitze eines
Klosters stand ein Abt, der unter den Mönchen ausgewählt wurde. Diese Funktion
übernahm er bis zum Ende seines Lebens. Dem Abt waren dann alle
Klostermitglieder verpflichtet und gehorsam. Ins Kloster gingen zunächst Männer,
danach auch Frauen – meistens aus religiösen Gründen. Später wurden sogar
Kinder ins Kloster geschickt, um dort versorgt zu werden. Der Eintritt ins Kloster
begann mit einer Messe, dann übernahm ein Priestermönch den Jungen oder den
Mann, machte mit ihm das Kreuzzeichen und übergab ihn dem Abt. Anschließend
wurde der Novize getauft und bekam Kleider, die er bis zu seinem Tod tragen
sollte.
Die Klöster haben das literarische Erbe und die produktive Rezeption bewahrt.
Die Geistlichen waren also die Träger der Literatur. Ihr Ziel war es, das
Verständnis der Heiligen Schrift zu verbreiten. Neben diesen Aufgaben waren sie
noch für die „sozialen Dienste“ zuständig. Diese bestanden darin, die Alten zu
versorgen und die Armen und Kranken zu pflegen.
Die ersten Klöster wurden schon in der Zeit des Verfalls des Römischen
Imperiums gegründet. Zur Zeit der Karolinger kamen noch über 400 Klöster dazu
und ein großer Teil der bereits unter den Merowingern begonnenen Klosterbauten
wurde vollendet. Missionstätigkeit, Klostergründungen und überregionale
40
Organisation der kirchlichen Institution haben unübersehbare Folgen auf dem
Gebiet der geistigen Kultur und ihrer Sprache hinterlassen. (vgl. Kartschoke,
2000, S. 27).
Bei der Entstehung der Klöster und Klosterbibliotheken müssen drei wichtige
Namen erwähnt werden. Benedikt von Nursia gründete im Jahr 529 das Kloster
von Monte Cassino mit einer Bibliothek. Diese Bibliothek diente dem Lesen
heiliger Texte bzw. der Heiligen Schrift. Im Jahr 540 gründete Flavius Magnus
Aurelius neben dem Kloster das erste Skriptorium, wo die Mönche christliche,
heidnische und weltliche Handschriften abgeschrieben haben. Gregor I. war
Kirchenlehrer und Autor zahlreicher Bücher. Er galt aber auch als ein Bindeglied
zwischen der christlichen Antike und dem abendländischen Mittelalter. Seit dem
Jahr 590 war er auch Papst. (vgl. Faulstich, 1996, S. 106-109).
Mönche und alle anderen Klostermitglieder müssen genau die festgelegten Regeln
befolgen. Benedikt von Nursia gründete im Kloster Monte Cassino im 6.
Jahrhundert eine solche Gemeinschaft. Es entstanden die Benediktinerklöster, in
denen die Benediktinerregel befolgt werden mussten, die sich dann auch in
anderen Klöstern stark verbreitet haben. Die Mönche mussten ihr ganzes Leben
lang im Kloster bleiben, ein dreifaches Gelübde ablegen (Armut, Keuschheit und
Gehorsamkeit) und wie schon einmal erwähnt wurde, nach der Regel ora et
labora leben.
Die Regula Benedicti war einer der ältesten Texte, der ins Deutsche übersetzt
worden ist. Neben dem karlischen Bildungsprogramm bildete sich noch ein
klösterliches Bildungsprogramm. Der Inhalt des Programms war das
Auswendiglernen oder inhaltliches Einprägen von Psalmen, Cantica, Hymnen und
Benediktsregel, dann die „Einführung in die heiligen Schriften und ihre Exegese“
(Haubrichs, 1995, S. 219) und „Erbauungslektüre von monastisch-asketischem
und hagiographischem Schrifttum“ (ebda.). Diese Bildung vermittelte den
Schülern die „Kunst des Schreibens im technischen, formalen und inhaltlichen
Sinne“. (ebda.)
41
Klosterschulen waren Vorbild für Bischofs- und Kathedralschulen. Erst haben sie
sich auf die Lektüre der Heiligen Schrift und auf das Auswendiglernen der
liturgischen Texte konzentriert. (vgl. Kartschoke, 2000, S. 72). Schulen und
Schreibstuben der Klöster waren für die Bildungsarbeit Karls des Großen von
großer Bedeutung, deshalb verlangte Karl auch, dass man sich genau an die
Regeln hielt. Nach der Admonitio generalis, was allgemeine Vermahnung
bedeutet, mussten die Priester den rechten Glauben bewahren, den Taufordo
kennen und praktizieren, die Gebete der Messe rezitieren und verstehen, dann die
Psalme richtig singen und das Vaterunser verstehen und es an die Pfarrkinder
vermitteln. (vgl. Haubrichs, 1995, S. 229).
Nach diesen Reformen sollten die Mönche die Messgebete gut verstehen können
und dadurch auch besser an das Volk übertragen. Die Gläubigen sollten also vor
allem das Taufgelöbnis kennen, es erlernen und verstehen. Weil die Taufformeln
aus Fragen bestanden, die der Täufling beantworten musste, musste er die Fragen
auch verstehen. Im ersten Teil musste man die Fragen beantworten und im
zweiten Teil eine Glaubensbekenntnis ablegen. Somit ist der Täufling sozusagen
einen Vertrag mit Gott eingegangen, der aber nur dann gültig war, wenn der
Täufling bzw. Pate alles richtig verstanden hat.
Mit den Reformen Karls des Großen wurden für alle Pfarrpriester sonn- und
feiertägliche Predigtpflichten eingeführt und jede Pfarrbibliothek musste das
Homiliar, ein Predigtbuch, besitzen. Nach der Kaiserkrönung haben sich die
Zustände noch verschärft. Im „Aachener Kapitular“ wurde vorgeschrieben, dass
jeder Priester an allen Fest- und Sonntagen dem Volke das Evangelium Christi
predigen musste. Es wurden Prüfvorschriften für Kleriker, sowie eine Prüfung der
Befähigung des Kandidaten zur Belehrung des Volkes und zum Predigtamt
eingeführt. Zur Überwachung der Ausführung der Gesetzgebung schickte Karl
Boten herum, die überprüfen sollten, ob der Glaube von den Bischöfen und
Priestern ausführlich und sorgfältig gepredigt wurde. Der Priester sollte in der
Kirche öffentlich in einer Sprache lehren, welche die Hörer auch verstanden. Es
wurden rudimentäre Inhalte der Predigt festgelegt, das waren
42
Glaubensbekenntnisse, moralische Unterweisungen, die zur Beichte befähigten,
und das Evangelium. (vgl. Haubrichs, 1995, S. 251).
Die Klöster waren nicht nur Ort der Entwicklung einer neuen
Lebensform, sie waren zentrale Bildungsinstitutionen. Ihre Aufgabe
umfasste die stetige und strenge Unterweisung der Gemeinde, […]
ebenso wie die Vermittlung so primärer Kulturtechniken, wie die des
Lesens und Schreibens. (Beutin, 1994, S. 8).
Die wichtigsten Klöster im karolingischen Gebiet waren Echternach, Prüm,
Lorsch, Fulda, Weißenburg, Murbach, Reichenau, St. Gallen, Tegernsee und
Mondsee. Das Kloster Fulda wurde auch für die volkssprachliche
Übersetzungstätigkeit zu einem maßgeblichen Kulturzentrum (vgl. Dröll, 2005, S.
38). Bedeutende Domschulen und andere wichtige Klöster in den Bischofssitzen
waren in Köln, Trier, Mainz, Würzburg, Freising, Regensburg, Salzburg und
Konstanz.
Eine monastische Erneuerungsbewegung, die als die kluniazensische Reform
benannt wurde, entwickelte sich im 10. und 11. Jahrhundert mit der
Regierungszeit Heinrichs II. Die Reform ging von der Benediktinerabtei Cluny
aus und gehörte zu den bedeutendsten Reformen des Mittelalters. Hauptpunkte
dieser Reform waren die strenge Befolgung der Benediktsregeln und Vertiefung
der Frömmigkeit der Mönche, aber auch die Vergrößerung des Vermögens. Ihr
Ziel war es auch, die Klosterkultur von der weltlichen Herrschaft zu trennen.
Der St. Galler Klosterplan hat für die Schreiber einen eigenen Raum vorgesehen.
Das war ein „scriptorium“ bzw. die Schreibstube, die man in fast allen Klöstern
des frühen Mittelalters finden konnte. Die Skriptorien waren mit den Stehpulten
ausgestattet, die sehr steil gestellt waren und worauf man schreiben oder lesen
konnte. „Im Klosterplan von Sankt Gallen ist ein Raum mit zentralem Tisch und
sieben Pulten neben sechs Fenstern eingezeichnet, […].“ (Ganz, 1996, S. 21). In
einer Hand hatten die Schreiber eine Schreibfeder und in der anderen ein
43
Schabmesser, um mögliche Fehler gleich zu korrigieren. Meistens ist man beim
Schreiben oder Abschreiben die ganze Zeit gestanden, deshalb galt das auch als
eine schwere Arbeit. Dass das Schreiben eine sehr wertvolle, aufwendige und
schwere Arbeit war, kann auch aus einer Schreibernotiz aus dem 8. Jahrhundert
festgestellt werden:
O glücklichster Leser, wasche Deine Hände und fasse so das Buch an,
drehe die Blätter sanft, halte die Finger weit ab von den Buchstaben.
Der, der nicht weiß zu schreiben, glaubt nicht, dass dies eine Arbeit
sei. O wie schwer ist das Schreiben: es trübt die Augen, quetscht die
Nieren und bringt zugleich allen Gliedern Qual. Drei Finger schreiben,
der ganze Körper leidet.6
Die Skriptorien waren für andere bzw. für die Öffentlichkeit nicht zugänglich.
Meistens haben die Klosterskriptorien für den eigenen Bedarf oder adlige
Auftraggeber gearbeitet. „In den Skriptorien wurden nicht nur geliehene Bücher
für die eigene Bibliothek kopiert, sondern auch eigene Bücher, für den Austausch
mit anderen Bibliotheken; und nicht zuletzt wurden auch Auftragsarbeiten
angefertigt.“ (Faulstich, 1996, S. 114).
Im 10. Jahrhundert kam es dann zu einem Rückgang der geschriebenen
Handschriften. Damals war nicht nur die Herstellung des Pergaments teuer,
sondern auch der ganze Betrieb einer Schreibstube. Zu jener Zeit waren nur die
großen Klöster und Domstifte wirtschaftlich so gut ausgestattet, dass sie sich das
auch leisten konnten.
Im Schulunterricht benutzte man Wachstafeln. Diese wurden aus Holzplatten
gemacht und in der Mitte mit Wachs gefüllt. Geschrieben bzw. geritzt wurde mit
Hilfe eines Griffels. Alkuin hat über den Eingang eines Skriptorium schreiben
lassen:
6 http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=4174&kapitel=1#gb_found
44
„Hier sollen alle sitzen, die den Wortlaut der Heiligen Schrift
abschreiben. Sie sollen sich vor jedem leichtfertigen Wort hüten, damit
nicht wegen solcher Leichtfertigkeiten ihre Hand irrt. Sie sollen sich
um die Herstellung fehlerfreier Bücher bemühen und ihre eilende
Feder auf dem rechten Wege führen.“ (Haubrichs, 1995, S. 170)
Kirchenlehrer oder Gelehrte haben ihre Werke einem Schreiber diktiert, also
einem scriptor. Der Text wurde auf eine Wachstafel vorgeschrieben, so dass alles
noch einmal vorgelesen werden konnte und erst dann wurde es auf das Pergament
eingetragen. Dann waren noch die Kopisten vorhanden, bei denen es aber nicht
sehr wichtig war, ob sie selbst lesen konnten oder lateinkundig waren. Ihre Arbeit
bestand darin, Texte zu kopieren, das heißt sie abzuschreiben, die von anderen
verfasst wurden. Illuminatoren hatten die Aufgabe, die Texte zu verschönern.
Beim Abschreiben tauchten allerdings immer wieder Fehler auf. Einige Fehler
wurden dann von den Korrektoren korrigiert, häufig blieben aber einige in den
Handschriften erhalten. Es ist zwischen vier Typen von Abschreibfehlern zu
unterscheiden:
o Typ 1: Lesefehler, besonders bei schwer lesbaren
Buchstabenkombinationen in kursivierten Schriften, aber auch
beim Aufeinandertreffen mehrerer Hasten sowie bei weniger
gebräuchlichen Abkürzungen.
o Typ 2: Hörfehler, wenn man davon ausgeht, dass der zu
kopierende Text im Skriptorium vorgelesen bzw. diktiert
wurde. Darunter fallen vor allem Buchstabenvertauschungen,
die aus der Nähe und den Unterschieden zwischen der
lateinischen Schriftsprache und den sich herausbildenden
romanischen Sprachen resultieren.
o Typ 3: Fehler aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse des
Kopisten. Darunter fallen einerseits Fehler beim „Abmalen“
von nichtlateinischen Schriften, andererseits Abwandlungen
nicht bekannter Wörter zu bekannten.
45
o Typ 4: Schlampigkeitsfehler im weiteren Sinn, besonders
Haplographien (Einfachschreibung statt Doppelbuchstabe),
Dittographien (Doppelbuschstabe statt Einfachschreibung),
„unmotivierte“ Auslassungen und Ergänzungen von
Buchstaben. Bisweilen lässt sich auch Legasthenie bei
Schreibern nachweisen.7
4.4. Schriftkultur: Gattungen
Unter dem Begriff „Literaturgattung“ versteht man die Ordnung literarischer
Werke in Gruppen. Im frühen Mittelalter gab es allerdings noch nicht Gattungen
in dem Sinne, wie wir sie heute kennen.
Thomas Bein unterscheidet zwischen vier literarischen Grundtypen:
1. deutsche Übersetzungen aus dem Lateinischen, die primär nur die
Funktion haben, Inhalte der einen Sprache (Latein) volkssprachig zu
erschließen, ohne dass der heimische Text in besonderer Weise
sprachästhetisch bearbeitet wäre;
2. deutsche Texte in lateinisch-christlicher Tradition, die zwar oft auch
den Charakter von Übersetzungen haben, aber doch deutlicher
„Dichtungen“ genannt werden können;
3. deutsche Texte in germanischer Tradition, denen christliche
Ideologie fehlt, die auf alte heimische Vergangenheit Bezug nehmen
und die in spezifisch germanischer Art ästhetisiert sind
(Stabreimtechnik);
4. deutsche Texte im Spannungsfeld von christlicher und germanischer
Religion, die vielfach bedeutende kulturgeschichtliche Zeugnisse
einer Zeit sind, in der zwei Religionen aufeinander treffen und in der
die eine (das Christentum) die andere (die germanische Religion)
allmählich verdrängt. (Bein, 1998, S. 108).
7 http://www.uni-salzburg.at/pls/portal/docs/1/542859.PDF
46
Die schriftliche Niederlegung von volkssprachigen Texten im deutschen
Sprachraum stellt etwas Besonderes dar. Man kann von einer Vielfältigkeit der
althochdeutschen Schriftlichkeit und funktionalen Bedeutung der hauptsächlichen
Überlieferungsformen sprechen. Viele, vor allem frühe Überlieferungsformen,
wie etwa die althochdeutsche Glossographie, blieben über den ganzen
Überlieferungszeitraum erhalten. (vgl. Bergmann, Pauly und Moulin, 2004, S.
144).
In der althochdeutschen Literatur verbinden sich Elemente der germanisch-
heidnischen der christlich-antiken Kultur.
4.4.1. Glossen, Wörterbücher, Übersetzungen
Zu den ersten literarischen Zeugnissen zählen Vokabelhefte, Vokabularien und
Glossare. Mit den Glossen und Wörterbüchern verbindet man die ersten Versuche,
deutsch zu schreiben. Das lateinische Wort glosa bedeutet Erklärung. Bei den
Glossen versuchte man einzelne Wörter oder Sätze in die deutsche Sprache zu
übersetzen. „Als Übersetzungshilfen schrieb man über einzelne lateinische Wörter
die entsprechenden deutschen: Glossen. Stellte man zu einer Handschrift die
Wörter alphabetisch zusammen, entstanden die Glossare (erste Wörterbücher).“
(Brenner und Bortenschlager, 1986, S. 19). „Bei den Glossen geht es um
Übersetzungen oder Erklärungen zu einem lateinischen Text. Sie stehen entweder
am Rand des lateinischen Textes (Marginalglossen), zwischen den Zeilen
(Interlinearglossen) oder unmittelbar nach dem zu erläuternden Wort (Kontext-
oder Textglossen).“ (Brunner, 2007, S. 45). Zu den ältesten deutschen Büchern
zählt man gerade ein Glossar mit dem Titel Abrogans, das um 760 entstanden ist.
Das Glossar, das als eine Synonymsammlung gilt, beinhaltet eine lateinisch-
althochdeutsche Wortliste. Es ist auch als eine Sammlung gleichbedeutender
lateinischer Ausdrücke zu jedem Stichwort zu verstehen und ist nach dem ersten
lateinischen Stichwort benannt, das auf Veranlassung des Bischofs Arbeo von
Freising entstanden ist. (vgl. Brenner und Bortenschlager, 1986, S. 19).
47
Noch ein Glossar oder besser gesagt ein Sachglossar wurde um 775 gefunden –
das Vocabularius Sancti Galli. Ein Sachglossar beinhaltet „Verzeichnisse von
Wörtern zu bestimmten Themenbereichen, etwa zu Pflanzen, Tieren,
Körperteilen“ (Brunner, 2007, S. 46). Das Sachglossar zählt zu der ältesten
erhaltenen deutschen Handschrift.
Der Übergang von der umfangreichen interlinearen Glossierung lateinischer
Handschriften bis zur durchgehenden interlinearen Übersetzung ist stufenlos. Im
Klosterzusammenhang steht die interlineare althochdeutsche Übersetzung der
Benediktinerregel (1. Hälfte des 9. Jahrhunderts). Im theologischen
Zusammenhang stehen Übersetzungen der Bibel (Psalmenübersetzungen) und
Texte zur Bibelerklärung. Bei einigen Übersetzungen, vor allem von größeren
Schriften, kann man die Funktion nicht immer eindeutig bestimmen. (vgl.
Bergmann, Pauly und Moulin, 2004, S. 147).
4.4.2. Kurzepische Texte
Karl der Große hat die ältesten volkssprachlichen Lieder, in denen Taten und
Kriege der Könige besungen worden sind, aufzeichnen und der Nachwelt
überliefern lassen. (vgl. Kartschoke, 2000, S. 55).
Zu der Heldendichtung gehört das „Hildebrandslied“ das um 830/ 40 schriftlich
fixiert wurde. Es ist unvollständig, in 68 Langversen und ohne das Ende erhalten.
Es wurde auf die erste und letzte Seite eines Gebetbuches eingetragen und bricht
plötzlich ab, da kein Platzt zum Schreiben mehr vorhanden war. Das
Hildebrandslied wurde in einem Fuldaer Codex aus der zweiten Hälfte des 8.
Jahrhunderts aufgefunden, der hauptsächlich zwei Schriften des Alten Testaments,
die Weisheit König Salomons und den Jesus Sirach, enthält (vgl. Beutin, 1994, S.
5). Zwei Mönche haben es in Fulda in einer althochdeutschen Mundart verfasst.
Es ist auch das einzige überlieferte Beispiel einer heroischen Dichtung in
deutscher Sprache aus dem frühen Mittelalter. Mitten im Kampf bricht das
Gedicht ab. Andere Quellen berichten, dass Hadubrand von seinem Vater
Hildebrand getötet wurde.
48
4.4.3. Bibelepik
Die althochdeutsche Übersetzung der „Evangelienharmonie“ des Syrers Tatian ist
ein Beispiel für diese Gattung. Es ist eine Zusammenfassung der vier Evangelien,
die das Leben Jesu darstellen. Im zweiten Viertel des 9. Jahrhunderts ist die
althochdeutsche Tatian-Übersetzung im Kloster Fulda niedergeschrieben worden.
Die Sprache des althochdeutschen Tatian fungierte aufgrund der relativ
einheitlichen Sprache als Grundlage für die Erstellung einer Grammatik des
Althochdeutschen. (vgl. Bergmann, Pauly und Moulin, 2004, S. 147).
Die althochdeutsche Fassung einer theologischen Abhandlung von Bischof Isidor
von Sevilla über die Trinität, stellt ein weiteres wichtiges Übersetzungswerk dar.
Diese Fassung ist in einer Handschrift aus der Wende des 8. zum 9. Jahrhundert
überliefert.
Eine Schöpfungsgeschichte bzw. ein Gebet in Versen mit dem Titel
„Wessobrunner Gebet“ wurde um 790 verfasst. Das Gebet hat man am Anfang
des 9. Jahrhunderts im Kloster Wessobrunn gefunden. Es wird als das älteste
christliche Gedicht in der althochdeutschen Sprache bezeichnet. Das Gedicht
beschreibt „die Erschaffung der Welt und die Existenz des allmächtigen Gottes“,
(Baumann und Oberle, 1985, S. 15), es spricht also von dem Weltanfang und ist in
zwei Teile gegliedert.
Das um 820 entstandene „Muspilli“ oder „das Gedicht von den letzten Dingen“
stellt eine Weltuntergangschilderung in Versen dar und ist ohne Anfang und Ende
überliefert. Die Dichtung ist in zwei Teile gegliedert, der erste Teil spricht über
das Schicksal der Menschen nach dem Tod und der zweite Teil stellt den Kampf
zwischen Elias und dem Antichrist dar.
Die beiden Werke, Wessobrunner Gebet und Muspilli, haben bei der
Christianisierung eine wichtige Rolle gespielt.
Zu der altsächsischen Bibeldichtung gehören „Heliand“, eine versifizierte
altsächsische Erzählung vom Leben Jesu und eine alttestamentarische
49
Schöpfungs- und Patriarchengeschichte, die den Titel „altsächsische Genesis“
trägt. Beide Werke sind in einer vatikanischen Handschrift überliefert worden.
Heliand ist in zwei beinahe vollständigen Handschriften und in zwei Fragmenten
überliefert worden. Das umfangreiche Gedicht beinhaltet Teile des Neuen
Testaments. Aus der lateinischen Vorrede erfährt man, dass Ludwig der Fromme,
Sohn Karls des Großen, der Auftraggeber dieses Werkes war.
„Petruslied“ ist ein geistliches Lied für die Prozession oder Wallfahrt und wurde
um 885 verfasst. Es wird als eines der ältesten althochdeutschen Kirchenlieder
bezeichnet. Eine Legendendichtung über das Leben des heiligen Georgs, das
„Georgslied“, wurde um 896 von Otfried von Weißenburg schriftlich fixiert.
Das erste Werk mit einem bekannten Verfasser war die „Evangelienharmonie“,
eine der umfangreichsten Dichtungen, die Otfried von Weißenburg um 863/871
verfasste. Es geht um eine poetische Darstellung der Lebens- und
Wirkungsgeschichte Christi, die aus fünf Büchern, vier Widmungen und einer
Vorrede besteht. Die Evangelienharmonie ist „eine wissenschaftlich-theologische
Dichtung für den gebildeten Adel und für die Geistlichkeit.“ (Brenner und
Bortenschlager, 1986, S. 22). In der Vorrede wird begründet, wieso Otfried von
Weißenburg deutsch geschrieben hat und zwar „um der gelehrten Dichtung in den
klassischen Sprachen ein ebenbürtiges Werk in deutscher Sprache an die Seite zu
stellen.“ (ebda., S. 23).
4.4.4. Andere Texte
Vor 790 entstand die „Würzburger Marktbeschreibung“ geschrieben worden. Es
handelt sich um einen Bericht von einer Marktbesichtigung.
Zaubersprüche oder Beschwörungsformeln kamen schon in der germanisch-
heidnischen Zeit vor, in denen „die Menschen Götter und mythische Wesen um
Hilfe gegen Krankheiten, Unheil und feindliche Mächte baten“ (Baumann und
Oberle, 1985, S.12).
50
Die „Merseburger Zaubersprüche“ sind wahrscheinlich vor 750 geschrieben
worden, man hat sie aber erst im 10. Jahrhundert in einer geistlichen Handschrift
gefunden. Darin sind die vorchristlichen Beschwörungsformeln beschrieben
worden. „Zwei Sprüche, jeder mit erzählendem Eingang und anschließender
Zauberformel; der erste Spruch soll der Befreiung eines Gefangenen dienen, der
zweite die Beinverrenkung eines Pferdes heilen.“ (Brenner und Bortenschlager,
1986, S. 20).
Das „Ludwigslied“ entstand um 881. Es handelt sich um ein Preislied auf den
westfränkischen König Ludwig III, der die Wikinger besiegte. Das Lied zählt zu
den ersten und ältesten historischen Liedern der deutschen Sprache.
De Henrico, das um 1000 entstanden ist, ist ein politisches, deutsch-lateinisches
Lobgedicht. Es sind die Begegnungen von Heinrich von Bayern und seinem
Neffen Otto III. beschrieben.
Eine besondere Bedeutung ist der Übersetzungsprosa bzw. Übersetzungsarbeit
Notkers von St. Gallen zuzuschreiben.
51
5. SCHLUSSFOLGERUNG
Die Schriftkultur des frühen Mittelalters entstand größtenteils in Klöstern. Infolge
dessen sind auch die Inhalte größtenteils christlich bzw. religiös. Man kann
ebenfalls schlussfolgern, dass die Literatur meistens anonym verfasst wurde. Das
bedeutet, dass der Autor in den meisten Fällen unbekannt war. Sehr lange konnte
man keine Verfasser- bzw. Autorennamen nachweisen, erst am Ende der
frühmittelalterlichen Epoche oder besser gesagt in der Übergangsphase zum
hohen Mittelalter ändert sich diese Praxis. Neben den Werken mit theologischen
Inhalten sind noch Werke mit wissenschaftlichen und historischen Inhalten
entstanden.
Da die Mehrheit der Menschen analphabetisch war, überwiegte am Anfang des
frühen Mittelalters verständlicherweise die Mündlichkeit. Karl der Große hat mit
den Bildungsreformen die Schriftlichkeit gefördert. Vor allem Mönche wurden
damit beauftragt, das Wissen zu verbreiten. Sie waren also für die Bildung
verantwortlich. Bei der Durchsetzung der Bildungsreformen Karls des Großen
spielten vor allem die Gelehrten, die sich an seinem Hof versammelten, eine
entscheidende Rolle. Die Schriftlichkeit hatte bei der Realisierung dieser
Reformen eine große Bedeutung, was wiederum ein Vorteil für die Bildung war.
Die politischen Traditionen der Hof- und die religiösen Traditionen der
Klosterkultur hätten sich ohne die Schriftlichkeit nicht auf eine ähnlich
differenzierte Art und Weise entwickeln können.
Die schriftlich fixierten Texte förderten vor allem die Christianisierung und die
Bildung, gleichzeitig machten sie aber auch neue Formen der kulturellen
Überlieferung möglich. Einerseits erleichterten sie die Tradierung, indem das
Gedächtnis entlastet und die Nachrichten transportierbar wurden, andererseits
führten sie durch die Prozesse der Dekontextualisierung und Individualisierung
auch zu komplexeren Formen der Kommunikation. Die veränderte Situation im
medialen Bereich förderte ihrerseits eine bessere Bildung und trug somit zur
Gründung neuer Klöster, Schulen und Bibliotheken bei.
52
6. LITERATURVERZEICHNIS
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