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paid content, media, switzerland, Sven Millischer
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«Wir müssen Geld verlangen»
Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Masterarbeit an der School of Management and Law, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften
Sven Millischer
Windisch, 25.5.2012
Autor Koreferent Betreuer ZHAW
Lic. phil. Sven Millischer Dr. Christoph Bauer Prof. André Haelg
Klosterzelgstrasse 19
5210 Windisch
Neumattstrasse 1
5001 Aarau
Stadthausstrasse 14
8400 Winterthur
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz I
Sven Millischer
Vorwort
Der Beweggrund zur vorliegenden MAS-Arbeit war der Wunsch, eine betriebswirt-
schaftliche Fragestellung zu bearbeiten, die mit meiner beruflichen Tätigkeit als
Wirtschaftsredaktor in einem Verlagshaus in Zusammenhang steht. Da die AZ Medien
parallel dazu die Ausarbeitung einer Paid Content-Strategie in Angriff nahmen, lag der
Entscheid nahe, die eigene Fragestellung auf das verlagsinterne Projekt auszurichten.
Ziel der MAS-Arbeit ist es, Grundlagen und Einschätzungen zu liefern für den Entscheid,
in naher Zukunft ein bestimmtes Bezahlschranken-Modell einzuführen. In diesem
Zusammenhang war es mir ein besonderes Anliegen, die gewonnenen Erfahrungswerte
aus anderen Verlagshäusern auf die betriebseigenen Verhältnisse zu adaptieren. Als
Herausforderung erwies sich dabei die Zusammenarbeit mit der „Omni“-Projektgruppe.
Dies, weil die Projektgruppe verständlicherweise einen eigenen Terminplan verfolgte, der
sich mit demjenigen der MAS-Arbeit nicht deckte. Entsprechend liessen sich Doppel-
spurigkeiten nicht vermeiden, da die „Omni“-Projektgruppe rascher Resultate bedurfte, die
aufgrund der zeitlichen Abfolge einer MAS-Arbeit nicht zu leisten waren. Hierbei gilt es
Markus Rohr zu erwähnen, der in zahlreichen Diskussionen wertvolle Hinweise und Inputs
lieferte und so als wichtiges Bindeglied zwischen mir und der Projektgruppe fungierte. Ihm
gebührt mein besonderer Dank.
.
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz II
Sven Millischer
Management Summary
Das az Netz – der Onlineauftritt des az Medienverbunds – ist nicht selbsttragend. Dazu reichen die Einnahmen aus dem volatilen Werbemarkt nicht aus. Der Onlineauftritt ist bislang kostenlos, aber es ist das erklärte Ziel der AZ Medien, künftig im Internet den Nutzermarkt als Ertragspfeiler aufzubauen. Mit welchem Geschäftsmodell lassen sich die Internetinhalte entsprechend monetarisieren? Im Vergleich zur Konkurrenz sind die Nutzerzahlen des az Netzes unterdurchschnittlich. Sowohl, was die Seitenaufrufe, die Anzahl der Benutzer als auch die Nutzungsdauer und Nutzertreuer anbelangt. Angesichts der schwachen Reichweite ist eine rein werbefinanzierte Skalenstrategie deshalb kein gangbarer Weg. Da dies eine rasche Potenzierung des Nutzerverkehrs bedingen würde, um entsprechende Werbevolumina zu generieren. Dazu fehlen im Konkurrenzvergleich die redaktionellen Ressourcen. Umgekehrt kosten Bezahlschranken Reichweite. Die (kurzzeitigen) Einbussen im Werbemarkt sind jedoch in Kauf zu nehmen, wenn dadurch eine zusätzliche kontinuierliche Ertragsquelle erschlossen wird. Allerdings dürfte der Ergebnisbeitrag aus
Paid Content noch über Jahre hinaus im Vergleich zu den Werbeeinnahmen bescheiden ausfallen. Zahlungsbereitschaft besteht indes nur für jene Onlineinhalte, die sich nicht mit tiefen Transaktionskosten anderswo im Internet substituieren lassen. Im Falle des az Netzes ist die eigenständige regionale Berichterstattung der empirisch fundierte USP. Angesichts der eindeutigen Nutzerpräferenz ist das Regionalangebot werthaltig und deshalb mittels eines Teilschranken-Modells (Freemium) zu monetarisieren. Aufgrund der unterschiedlichen Wettbewerbssituation ist allerdings nicht in allen Regionen ein Bezahlmodell angezeigt. Von einer Preisdifferenzierung anhand des Nutzerverhaltens (Metered) wird abgeraten. Zum einen wäre beim az Netz der Schwellenwert – die Anzahl kostenloser Artikel – dermassen tief zu bemessen, dass dieser Wert praktisch einer harten Paywall gleichkäme. Zum anderen macht Metered nur dann Sinn, wenn die Nutzerpräferenzen auch wirklich breit und differenziert ausfallen. Mit dem eindeutigen Fokus auf das regionale Geschehen ist dies nicht der Fall. Im vorgeschlagenen Freemium-Modell sind überregionale Nachrichten also weiterhin kostenlos abzurufen. Allerdings gilt es diesen Bereich vor der Schranke als Content-Schaufenster aufzuwerten. Im Sinne einer stringenten Regionalstrategie sind deshalb die Inhalte aus dem nationalen Printmantel konsequent „online first“ zu publizieren. Andernfalls sind Kooperationen für attraktivere, überregionale Inhalte angezeigt.
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
III
Inhaltsverzeichnis
1! Einleitung ............................................................................................................... 1!
1.1! Zielsetzung ................................................................................................................. 1!1.2! Methode ...................................................................................................................... 1!1.3! Aufbau ........................................................................................................................ 2!1.4! Abgrenzung und Relevanz ......................................................................................... 3!1.5! Motivation ................................................................................................................... 3!
2! Unternehmensporträt AZ Medien AG ........................................................................ 4!2.1! Mediengruppe AZ Medien .......................................................................................... 4!2.2! az Medienverbund ...................................................................................................... 6!2.3! az Netz ....................................................................................................................... 8!
3! Zeitungen im digitalen Transformationsprozess ................................................... 11!3.1! Eigenheiten der digitalen Ökonomie ......................................................................... 11!3.2! Erlösformen im Internet ............................................................................................ 13!3.3! Entkoppelung von Journalismus und Anzeigemarkt im Internet ............................... 14!3.4! Schwierigkeiten der Substitution von Print im Internet ............................................. 17!3.5! Missverhältnis in der Finanzierung journalistischer Inhalte im Internet .................... 22!
4! Paid Content-Modelle ................................................................................................ 29!4.1! Nutzen von Paid Content .......................................................................................... 29!4.2! Voraussetzungen für Paid Content ........................................................................... 30!4.3! Paid Content-Bezahlstrategien im Überblick ............................................................ 34!4.3.1! Die harte Paywall – das komplett geschlossene Angebot ................................................... 35!4.3.2! Freemium – das Teilschranken-Modell ................................................................................ 38!4.3.3! Metered Model – Bezahlschranken aufgrund des Nutzerverhaltens ................................... 41!
5! Best practice: Fragebogen zur Paid Content-Strategie ......................................... 46!5.1! Schaffhauser Nachrichten – shn.ch .......................................................................... 47!5.2! Neue Zürcher Zeitung – nzz.ch ................................................................................ 49!5.3! Böblinger Kreiszeitung – bb-live.de .......................................................................... 53!5.4! Darmstädter Echo – echo-online.de ......................................................................... 55!5.5! Axel Springer – Hamburger Abendblatt, Berliner Morgenpost ................................. 57!5.6! Konklusion aus den Best Practice-Beispielen ......................................................... 61
IV «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
6! Paid Content-Strategie – az Projekt „Omni" ........................................................... 63!6.1! Ausgewählte Ergebnisse aus der Projektgruppe „Omni“ ......................................... 64!6.2! Fazit und Handlungsempfehlung ............................................................................. 68!6.3! Ausblick .................................................................................................................... 72!
7! Literaturverzeichnis .................................................................................................. 73!
8! Anhang ....................................................................................................................... 75!
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
V
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Übersicht aller Printtitel des az Medienverbunds ........................................... 5!Abbildung 2: Die verschiedenen Erlösformen im Internet ................................................. 13!Abbildung 3: Wettbewerb mit branchenfremden, nicht-journalistischen Anbietern ........... 16!Abbildung 4: World Digital Media Trends, September 2010 .............................................. 17!Abbildung 5: Tagesreichweiten Online/Print-Nutzung in Tausend pro Tag ....................... 18!Abbildung 6: Beurteilung der Werbeformen ...................................................................... 20!Abbildung 7: Jährl. Umsatzwert eines Onlinelesers im Vergleich zu einem Printleser ...... 24!Abbildung 8: BCG Multi Country Survey on Online Paid Content, November 2009 .......... 32!Abbildung 9: BCG Multi Country Survey on Online Paid Content, November 2009 .......... 33!Abbildung 10: Die Bezahlschranke auf www.thesundaytimes.co.uk ................................. 35!Abbildung 11: Digitalabos kompensieren Auflagenrückgang nur knapp ........................... 38!Abbildung 12: Exklusive Inhalte sind kostenpflichtig auf www.wsj.com ............................ 39!Abbildung 13: Frontpage von nytimes.com ....................................................................... 41!Abbildung 14: Website von shn.ch .................................................................................... 47!Abbildung 15: Frontpage von nzz.ch ................................................................................. 49!Abbildung 16: Frontpage von bb-live.de ............................................................................ 53!Abbildung 17: Frontpage von echo-online.de .................................................................... 55!Abbildung 18: Frontpage von morgenpost.de ................................................................... 57!Abbildung 19: morgenpost.de, Anzahl visits zwischen 03/10 und 03/12 ........................... 59!Abbildung 20: abendblatt.de, Anzahl visits zwischen 03/10 und 03/12 ............................. 59!Abbildung 21: Rubriken des az Netzes im Nachfragevergleich ......................................... 65!Abbildung 22: az Netz-Nutzungsstatistik nach Anzahl wiederkehrender Benutzer ........... 66!
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Geschäftsbericht 2011 AZ Medien AG ............................................................... 4!Tabelle 2: Tiefere Nutzungsintensität von az Netz .............................................................. 9!Tabelle 3: Umsatzentwicklung im Zeitungsmarkt Schweiz ................................................ 22!Tabelle 4: Zeitungswebsites im Vergleich ......................................................................... 25!Tabelle 5: Überblick über den Rücklauf der Fragebogen .................................................. 46!Tabelle 6: Abonnementsangebote der Schaffhauser Zeitung im Vergleich ...................... 48!Tabelle 7: Vergleich des möglichen Paywall-Potenzials ................................................... 52!Tabelle 8: Vergleich der Abo-Gestaltung zwischen morgenpost.de und abendblatt.de .... 58!Tabelle 9: Digitale Angebotspalette des az Medienverbunds ............................................ 64!
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 1
Sven Millischer
1 Einleitung
1.1 Zielsetzung
Die Zielsetzung der vorliegenden MAS-Arbeit besteht darin zu analysieren, welches
Geschäftsmodell das geeignete für das az Netz ist, den gemeinsamen Internetauftritt der
regionalen Online-Plattformen der az Aargauer Zeitung, der az Limmattaler Zeitung, der
Basellandschaftlichen Zeitung, der az Solothurner Zeitung, des az Langenthaler Tagblatts
und des az Grenchner Tagblatts. Die Leitfrage nach dem geeigneten Geschäftsmodell
lautet dabei: Auf welche Art und Weise lassen sich die az Netz-Inhalte am besten
monetarisieren? Dies unter der Prämisse, die Wertschöpfung nachhaltig steigern zu
wollen. Dabei gilt es eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen, sowohl allgemeiner
wie unternehmensspezifischer Natur. Zum Beispiel stellt sich generell die Frage nach der
Zahlungsbereitschaft von Onlineusern für Paid Content-Inhalte. Daraus ergeben sich
wiederum spezifische Fragestellungen für die AZ Medien AG wie: Welche
Alleinstellungsmerkmale haben überhaupt jene Inhalte, die auf az Netz publiziert werden?
Oder anders ausgedrückt: Welche Inhalte sind es überhaupt wert, dass die
Onlinebenutzer dafür zu zahlen bereit sind?
1.2 Methode
Methodisch hat die vorliegende MAS-Arbeit drei Eckpfeiler.
Erstens: Die verfügbare Literatur zu möglichen Geschäftsmodellen von Zeitungsverlagen
im Internet. Dabei stützt sich die Arbeit in erster Linie auf Publikationen ab, welche die
Branchenverbände in der Schweiz, Deutschland und in anderen Ländern zuhanden der
Verlagsunternehmen verfasst haben. Daneben sollen aber auch aktuelle Publikumsartikel
zu Branchentrends, Studien von privaten Beratungsunternehmen sowie Vorträge von
Vertretern einzelner Medienunternehmen Eingang finden. Weiter werden auch
medienwissenschaftliche Forschungsergebnisse wie Lizentiatsarbeiten oder Working
Paper aufgearbeitet.
Zweitens: Interviews mit Branchenexperten. Zunächst wird hierzu ein Fragebogen
verfasst mit 12 offenen Fragen, die das (Paid-)Content-Thema klar eingrenzen sollen.
Dieser Leitfaden dient als Basis für die jeweiligen Interviews, die schriftlich geführt
werden. Die Auswahl der Branchenexperten erfolgt dabei in Absprache mit dem
Koreferenten. Minimal sind sechs Interviews auszuwerten, wobei die abschliessende
Anzahl vom Rücklauf abhängig gemacht wird. Die Gespräche mit den Branchenexperten
2 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
werden jeweils bewusst selektiv ausgewertet. Dies, im Hinblick auf mögliche Trends,
Einschätzungen sowie Erfahrungswerte.
Drittens: Parallel zur MAS-Arbeit arbeitet im az Medienverbund eine Projektgruppe an
einer Paid Content-Strategie, welche mögliche Geschäftsmodelle auf ihre Tauglichkeit hin
prüft. Erklärtes Ziel ist es, dass das neue - wie auch immer geartete - Angebot den
Verkauf von Inhalten über die verschiedenen Kanäle - digital und physisch - differenziert
abbilden und das entsprechende Preispotenzial abschöpft. Dabei wird auch das
„Upselling“ bestehender Kunden oder die Erschliessung neuer Kundensegmente erörtert.
Diese Projektgruppe „omni“ gliedert sich in die Bereiche Angebot, Leistung, Services,
Technologie sowie Finanzen & Controlling. Im Rahmen der Projektarbeit fallen praktische,
empirische Erkenntnisse an, die ebenfalls in dieser MAS-Arbeit berücksichtigt werden
sollen.
1.3 Aufbau
Der Aufbau der Arbeit sieht im Hauptteil folgende Gliederung vor: In Kapitel 2 wird die AZ
Medien AG als Medienunternehmen porträtiert. Dabei sollen bereits einzelne kritische
Aspekte wie z.B. die geringe Online-Reichweite zur Sprache kommen. Aspekte, die später
wieder aufgenommen werden können. Kapitel 3 nimmt den Branchenfokus ein und zeigt
die (strukturellen) Probleme der Medienunternehmen auf. Insofern soll das Kapitel die
wirtschaftlichen Hintergründe aufzeigen, weshalb Verlagshäuser überhaupt die
Einführung von Paid Content-Modellen in Betracht ziehen (müssen). Kapitel 4 macht eine
Auslegeordnung bestehender Geschäftsmodelle von Zeitungsverlagen im Internet. Nebst
dem deskriptiven Ansatz sollen bereits auch qualitative Aussagen zu den einzelnen
Modellen gemacht werden. Dies, auf Basis von bestehenden empirischen Analysen und
von aktuellen Beispielen. Dabei muss stets mitbedacht werden, inwiefern die Erfahrungen
auf ein mittelständisches, regional verankertes Verlagsunternehmen überhaupt
anwendbar sind. In Kapitel 5 werden die Ergebnisse aus den Rückmeldungen der
Branchenexperten zu Best Practice-Erkenntnissen verarbeitet. Nebst genereller
Aussagen zu Paid Content liegt hier abermals der Fokus auf der tatsächlichen
Realisierbarkeit möglicher Praxismodelle. In Kapitel 6 sollen zunächst einzelne
(empirische) Ergebnisse aus der internen Projektarbeit „omni“ referiert und danach kritisch
analysiert werden. Zum Abschluss gilt es diese Erkenntnisse - zusammen mit jenen aus
den vorangegangenen Kapiteln - strategisch zu kontextualisieren. Das heisst: Inwiefern
beeinflusst die referierte Ausgangslage die Wahl des Geschäftsmodells? Wie muss das
Produkt beschaffen sein? Welche Ressourcen sind notwendig? Und daraus folgernd die
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 3
Sven Millischer
Handlungsempfehlung: Was macht im Internet letztlich Sinn und weshalb? Dabei sollen
eigene Ideen und mögliche Lösungsansätze präsentiert werden.
1.4 Abgrenzung und Relevanz
Die vorliegende MAS-Arbeit thematisiert nicht die praktische Umsetzung des angezeigten
Geschäftsmodells beziehungsweise dessen Implementierungskosten für den Verlag.
Vielmehr geht es darum, jene strategische Handlungsoptionen zu erörtern, die künftig
dem Medienunternehemn neue Einnahmequelle eröffnen sollen. Auch nimmt die
vorliegende Arbeit keine finale Betrachtung der Medienlandschaft Schweiz vor
beziehungsweise referiert sie abschliessend die Probleme, mit denen Tageszeitungen
heute im Internet zu kämpfen haben. Die handlungsleitende Frage ist stets jene nach dem
geeigneten Geschäftsmodell für das az Netz. Diese Fragestellung geniesst eine hohe
Priorität im Unternehmen, denn zum einen arbeitet das az Netz defizitär und zum anderen
ist die bisher einzige Ertragssäule „Werbemarkt“ volatil und reichweitengetrieben.
1.5 Motivation
Zum einen bin ich bildungsmässig vorbelastet, indem ich an der Universität Basel im
Nebenfach Medienwissenschaften studiert habe. Das Thema hat mich schon damals
interessiert: Wie neue Medien die alten transformieren und zu welchen Verschiebungen
es hierbei in Funktion und Nutzung kommt. Zum anderen bin ich von Berufes wegen
Wirtschaftsjournalist: Ich habe also ein ureigenes Interesse daran, dass die
Ertragsquellen für qualitativ hochwertigen Journalismus auch in fünf oder zehn Jahren
noch gesichert sind. Ganz zu schweigen von den negativen Implikationen auf das
Funktionieren einer Demokratie, wenn das Pressewesen sukzessive geschwächt wird.
4 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
2 Unternehmensporträt AZ Medien AG
2.1 Mediengruppe AZ Medien
Bei der AZ Medien AG handelt es sich um das fünftgrösste Schweizer Medien-
unternehmen. Es ist die dominante Verlagsgruppe zwischen den urbanen Zentren Bern,
Basel und Zürich. Im firmeneigenen Leitbild versteht sich die AZ Medien AG als
„führendes Multimedia-Unternehmen mit regionaler Verankerung und nationaler
Ausstrahlung“, das zwar Kooperationen und Partnerschaften eingehe, aber seine
Eigenständigkeit weiterhin bewahren möchte. Die nichtkotierten Aktien der AZ Medien AG
werden ausserbörslich gehandelt. Die Börsenkapitalisierung beträgt dabei 94,5 Mio.
Franken (Stand: Februar 2012). Dies, bei einem Aktienkapital von 7,56 Mio. Franken,
eingeteilt in 75'600 Namenaktien à nom. CHF 100. Alleiniger Mehrheitsaktionär (>50%) ist
Verleger Peter Wanner, der auch den Verwaltungsrat der AZ Medien AG präsidiert.
Ebenfalls im Verwaltungsrat sitzt sein ältester Sohn Michael Wanner. Das operative
Geschäft leitet CEO Dr. Christoph Bauer. Tabelle 1 zeigt die wichtigsten finanziellen
Eckdaten des Medienhauses mit Sitz im aargauischen Baden für das Geschäftsjahr 2011:
Tabelle 1: Geschäftsbericht 2011 AZ Medien AG
In. Mio. CHF 2010 2011 Veränderung in %
Betriebsertrag 234,4 238,8 -2,6
Op. Cash Flow 29,3 36,6 +240
EBIT 7,3 20 +21,2
Reingewinn 3,2 14,9 +18
Nettogewinnmarge 1.4% 6.2%
Eigenkapitalquote 37.2% 39.7%
Die AZ Medien AG (exkl. elektronische Medien) hat per Ende 2011 796 Mitarbeiter
beschäftigt. Dies entspricht einem Minus von 11,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Auch
wurden die Investionen gegenüber dem Vorjahr nochmals um gut einen Drittel auf noch
12,2 Millionen Franken zurückgefahren. Das Produkteportfolio der Unternehmensgruppe
umfasst sowohl elektronische Medien (Tele M1, Tele Bern, Tele Züri, Radio 32) als auch
verschiedenste Druckerzeugnisse. Darunter befinden sich lokale Gratis-Anzeiger wie
Limmatwelle, Berner Landbote etc. sowie Zeitschriften (u.a. wir eltern, FIT for LIFE) und
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 5
Sven Millischer
Sachbücher (AT Verlag). Im Rahmen der Printaktivitäten bildet der az Medienverbund/Der
Sonntag das publizistische wie kommerzielle Kerngeschäft.
Abbildung 1: Übersicht aller Printtitel des az Medienverbunds
Der Medienverbund az umfasst dabei folgende Tageszeitungen: az Aargauer Zeitung, az
Limmattaler Zeitung, az Solothurner Zeitung, az Grenchner Tagblatt, az Langenthaler
Tagblatt (in Verkauf stehend an die Espace Media Groupe) sowie bz Basellandschaftliche
Zeitung. Zusammen mit dem Oltner Tagblatt und dem Zofinger Tagblatt, an dem AZ
Medien AG eine Minderheitsbeteiligung (<15%) besitzt, bilden die genannten
Tageszeitungen die az Gesamtausgabe. Sie ist mit einer Auflage von der WEMF1
beglaubigten Auflage von 187’111 Exemplaren (Stand: 2010) die drittgrösste abonnierte
Tageszeitung der Schweiz, hinter Blick und dem Tages-Anzeiger. Publizistisch liegt der
Schwerpunkt auf der regionalen Verankerung, „ohne auf ein qualitativ hochstehendes
überdachendes Mantelangebot von nationaler publizistischer Relevanz zu verzichten“, wie
auf Seite 4 im Geschäftsbericht der AZ Medien 2011 nachzulesen ist.
Zum Medienverbund gehört auch die seit 2007 erscheinende Sonntagszeitung Der
Sonntag mit einer Auflage von 170'368 Exemplaren (Stand: 2010). Damit ist Der Sonntag
die drittauflagenstärkste Sonntagszeitung, hinter Sonntags-Blick und SonntagsZeitung.
Der Betriebsertrag nach Sparten zeigt, dass der Umsatz der AZ Medien AG stark vom
Zeitungsgeschäft abhängig ist. So kamen im Geschäftsjahr 2010 60 Prozent aller Erträge
aus den Zeitungsverlagen (Medienverbund az/Der Sonntag sowie Gratis-Anzeiger). Die
Ertragsstruktur hat sich im 2011 nicht wesentlich verändert. Demgegenüber steuern die
1 AG für Werbemedienforschung (WEMF): www.wemf.ch (19.2.2011)
az Gesamtausgabe
az Aargauer Zeitung az Solothurner Zeitung
az Grenchner Tagblatt
az Langenthaler Tagblatt
az Limmattaler Zeitung bz
Basellandschaftliche Zeitung
bz Basel
Oltner Tagblatt Zofinger Tagblatt
6 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
Sparten „Druck und Vertrieb“ sowie „Fachverlage“ (Magazine, Sachbücher) jeweils nur
knapp einen Fünftel zum Gesamtertrag bei. Fünf Prozent der Gesamtumsätze generieren
bislang die elektronischen Medien, wobei dieser Anteil künftig zunehmen dürfte. Erstens
hat die AZ Medien AG im August 2011 die beiden TV-Sender Tele Züri und Tele Bärn
vom Zürcher Verlagshaus Tamedia übernommen. Zweitens hat die AZ Medien AG im
Dezember 2011 den Verkaufsprozess des Langenthaler Tagblatts an die Espace Media
Groupe eingeleitet, einem Tochterunternehmen des Zürcher Tamedia-Konzerns. Soweit
zur AZ Medien AG als Unternehmensgruppe.
2.2 az Medienverbund
Im Folgenden wird auf den az Medienverbund fokussiert, der im Rahmen der Paid
Content-Fragestellung den Kerngegenstand dieser Arbeit bilden soll. Hierzu einige
Publikationsdaten: Die az Gesamtausgabe ist eine Zweibund-Zeitung mit sechs
regionalen Kopfblättern. Der erste Bund ist für alle Regionalsplits (i.d.R mit Ausnahme der
Frontseite) stets derselbe. Es handelt sich um einen überregionalen 24-seitigen
Mantelteil, der aus den Ressorts „Inland“, „Ausland“, „Wirtschaft“, „Sport“ und „Kultur“
bestritten wird. Dieser Mantelteil wird im az Newsroom in Aarau von einer rund 40-
köpfigen Redaktion verfasst und produziert. Der zweite Bund ist jeweils der
Regionenbund (kantonale, regionale und lokale Nachrichten, bis auf Gemeindsebene)
und wird in den einzelnen Lokalredaktionen (Aarau, Baden, Dietikon, Basel, Liestal,
Solothurn, Grenchen, Langenthal) sowie weiteren redaktionellen Reporterbüros erstellt
und ebenfalls zentral im Aarauer Newsroom druckfertig produziert. Dieser dezentrale
Erstellungsprozess sorgt zwar für die nötige Nähe zum lokalen Geschehen und stärkt
damit die Bindung zur Leserschaft sowie zu lokalen Werbetreibenden. Jedoch führt das
Produktionsverfahren auch zu einer höheren Komplexität und bedingt mehr
Abstimmungsbedarf zwischen der Zentrale in Aarau und den diversen redaktionellen
Aussenstellen.
Zur wirtschaftlichen Bedeutung der az Gesamtausgabe (inkl. Regionalsplits). Aus dem
Nutzermarkt - also mehrheitlich Abonnementsverkäufe und zu einem sehr kleinen Teil
Kioskverkäufe - erwirtschaften die Zeitungstitel rund 45 Millionen Franken an
Betriebserträgen. Diese Zahlen basieren auf dem Budget für 2011. Im Werbemarkt sind
Erträge von knapp 55 Millionen Franken veranschlagt, wobei rund 20 Millionen auf den
nationalen Werbemarkt entfallen. Dieser Markt ist stark von einzelnen Inseraten
getrieben. So sind vier der zehn wichtigsten Anzeigenkunden, die insgesamt für ein
Werbevolumen von 10 Millionen Franken stehen, Detailhändler. Insofern ergibt sich ein
gewisses Klumpenrisiko im nationalen Werbemarkt, der überdies starken konjunkturellen
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 7
Sven Millischer
Schwankungen unterworfen ist. Die nationale Printkampagnen erscheinen jeweils im
ersten Zeitungsbund, dem Mantelteil. Die restlichen 35 Millionen Franken verteilen sich
auf den zweiten Bund, die jeweiligen Regionalsplits. Es handelt sich dabei um regionale
beziehungsweise lokale Printanzeigen. Die Zeitungstitel sind somit zu 55 Prozent
werbefinanziert und zu 45 Prozent durch Aboverkäufe gedeckt. Zwischen 2006 und 2012
wurden die Abopreise der az Aargauer Zeitung um fünfzehn Prozent erhöht auf 404
Franken für ein Jahr. Darin enthalten ist für Abonnenten auch die Nutzung der
elektronischen Ausgabe als E-Paper. Zum Vergleich: Der Jahrespreis für den „Tages-
Anzeiger“ erhöhte sich in derselben Zeitspanne um 31 Prozent auf heute 420 Franken.
Die az Gesamtausgabe steuert damit über Werbe- und Aboerträge etwa zwei Fünftel zum
Betriebsergebnis der AZ Medien AG bei. Nimmt man das Geschäftsjahr 2010 als Basis
stellt die az Gesamtausgabe den wichtigsten, einzelnen Ertragspfeiler des Medienhauses
dar.
Allerdings bröckelt dieser Ertragspfeiler: Sowohl im Werbegeschäft wie bei den
Abonnementenschaft. Die strukturellen Probleme im Anzeigengeschäft sollen dabei
später - im Rahmen der Branchenbetrachtung - zur Sprache kommen. Deshalb nun zur
Situation im Nutzermarkt: Die az Gesamtausgabe verliert stetig an Auflage und an
Leserschaft. Zwischen 2006 und 2010 ging die Auflage um 11 Prozent zurück. Damit liegt
die az Gesamtausgabe ziemlich genau im Schnitt der neun grossen Schweizer
Tageszeitungen. Allerdings ist die Spannbreite gross: Während die Berner Zeitung im
genannten Zeitraum über 15 Prozent verlor, betrug der Rückgang bei der Neuen Luzerner
Zeitung nur gut 5 Prozent.
Bei der Entwicklung der Leserschaft zeigt sich ein anderes Bild: Im Vergleich zu den
Mitbewerbern verliert die az Gesamtausgabe mit 1’800 jährlich am wenigsten Leser.
Kumuliert entspricht dieser Leserschwund zwischen 2006 und 2011 einem Rückgang um
2,3% auf noch 382'000. Auffälig ist nun zu sehen, dass der Zuwachs beim Gratisblatt 20
Minuten praktisch negativ korreliert mit dem Rückgang der Leserzahlen bei der az
Gesamtausgabe. Diese verlor zwischen 2006 und 2010 13'800 Leser. Im Gegenzug
gewann die Pendlerzeitung 13'000 Leser im Stammgebiet der az Titel. Insofern lässt sich
der Rückgang auch durch das Aufkommen des Gratisblatts erklären, aber eben nicht nur.
So weist der Wirtschaftsraum Mittelland zwischen Bern, Basel und Zürich mit seinen 1,3
Millionen Einwohnern ein positives Wanderungssaldo aus: Im Zeitraum zwischen 2006
und 2010 nahm die Anzahl Haushalte in den Kantonen AG, SO und BL jährlich um knapp
5000 zu. Mit anderen Worten: Das Marktpotenzial wächst, aber der az Gesamtausgabe
gelingt es nicht, diese Neuzuzüger als Abonnenten zu gewinnen. Entsprechend ist der
8 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
Abonnentenstamm der az Gesamtausgabe deutlich älter als der demographische
Durchschnitt der Schweizer Wohnbevölkerung. Den grössten Zuwachs verzeichnet in den
letzten Jahren die Gruppe der über 55-jährigen, während die jüngere Leserschaft
gesamthaft untervertreten ist. Gerade vor dem Hintergrund dieser strukturellen
(Nutzungs-)Verschiebungen – weg von gedruckten Bezahlzeitung - kommt der Internet-
Strategie für den az Medienverbund eine zentrale Bedeutung zu.
2.3 az Netz
Nebst der Print-Mantelredaktion ist im Newsroom in Aarau auch die sechsköpfige
Onlineredaktion angesiedelt. Seit Herbst 2010 verfügt jede der sechs az Tageszeitungen
über ihr eigenes, gleichnamiges Nachrichtenportal mit entsprechend regionalen
Schwerpunkten. Zusammen bilden die Nachrichtenportale das az Netz. Die Aufgabe der
Onlineredaktion besteht zum einen darin, eigene regionale Inhalte für die jeweiligen Sites
zu generieren. Zum anderen redigiert die Onlineredaktion tagesaktuelle Meldungen der
Nachrichtenagentur sda. Die redaktionellen Inhalte der gedruckten az Gesamtausgabe
werden dagegen zumeist erst am nächsten Tag - also am Erscheinungstag der Zeitung -
online geschaltet, um nicht das Printangebot zu kannibalisieren.
Im Vergleich zur az Gesamtausgabe nehmen sich die Erträge aus dem az Netz bisher
vergleichsweise bescheiden aus. Nichtzuletzt, weil die Onlineinhalte kostenlos zur
Verfügung stehen. Für 2011 ist ein Betriebsertrag aus Onlinewerbung von 0,89 Mio.
Franken budgetiert, wobei rund eine halbe Million auf nationale Kampagnen entfällt.
Dieses Budget wurde im letzten Jahr mit Erträgen von 0,82 Mio. Franken knapp erreicht.
Für das laufende Jahr 2012 sind 1,1 Millionen an Erträgen budgetiert, was einem Plus von
gut 20 Prozent entspricht. Auf dieser schmalen Ertragsbasis können die Leistungen der
sechsköpfige Onlineredaktion jedoch nicht selbsttragend finanziert werden. Im Vergleich
zu den Onlineportalen der überregionalen Tagespresse fehlt es az Netz bislang an der
Reichweite, um die Nutzung im (nationalen) Werbemarkt auch entsprechend rentabel
monetarisieren zu können.
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 9
Sven Millischer
Seit az Netz im Herbst 2010 gestartet ist, konnte das Internetportal zwar seine Reichweite
massiv erhöhen. Die Zahl der monatlichen unique clients2 konnte von 170'000 im Oktober
2010 auf 382'000 im Januar 20123 mehr als verdoppelt werden. Doch nimmt man die
direkte Printmedien-Konkurrenz als Massstab für az Netz, sind die Abstände nachwievor
beträchtlich. Zum Vergleich: Die Basler Zeitung kommt in der gedruckten Ausgabe auf
eine beglaubigte Auflage von 83'773 Aufgabe (Stand: 2010). Tendenz ebenfalls
rückläufig. Die BaZ ist also im Print-Vergleich zur az Gesamtausgabe bereits heute
substanziell kleiner. Nicht zuletzt, weil sich das Verbreitungsgebiet der BaZ auf den
Kanton Basel-Stadt und dessen Umlande beschränkt. Im Internet ist die Situation
dagegen eine komplett andere: Bazonline.ch weist mit 486'000 unique clients fast 30
Prozent mehr Zugriffe auf als az Netz. Das Onlineportal der Basler Zeitung profitiert dabei
von Verbundeffekten, indem bazonline.ch Teil des Newsnet von Tamedia ist. Für die
Deutschschweiz versorgt eine zentrale 50-köpfige Redaktion in Zürich die unabhängigen
Internet-Auftritte von „Tages-Anzeiger“, „Basler Zeitung“, „Berner Zeitung“ und „Der Bund“
mit originären, überregionalen Inhalten. Den lokalen Content dagegen generiert - gemäss
baz.ch-Impressum – eine 4-köpfige Redaktion am Rheinknie. Kumuliert sind die
publizistischen Ressourcen von bazonline.ch damit also um ein Vielfaches grösser als
jene des az Netz, zumal die sechsköpfige Onlineredaktion in Aarau – entsprechend den
Zeitungsmarken - nicht nur ein Regionalportal, sondern gleich deren sechs zu unterhalten
hat. Die geringeren Ressourcen widerspiegeln sich auch in der tieferen Nutzungsintensität
Tabelle 2: Tiefere Nutzungsintensität von az Netz; Net-Metrix-Audit, Online-
Nutzungsdaten 01-2012
2 Anzahl Computer, von denen auf eine Website zugegriffen wird. Aus: Net-Metrix Glossar
http://www.net-metrix.ch/glossar (20.5.2012) 3 Beglaubigte Daten aus NET-Metrix-Audit 01-2012
az Netz bazonline.ch
Visits / unique clients 3.1 7.3
Use time 4:53 min 6:34 min
Page impressions / visits 4.5 4.9
10 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
Das Internetangebot der Basler Zeitung wird pro Monat mehr als doppelt so oft genutzt
wie jenes von az Netz. Die unique clients besuchen durchschnittlich sieben Mal im Monat
baslerzeitung.ch. Zwar rufen die Nutzer von az Netz und BaZ online pro Besuch praktisch
die gleiche Anzahl an Webseiten auf, aber die Verweildauer ist mit 6:34 Minuten um fast
40 Prozent höher auf baslerzeitung.ch. Dies lässt den Umkehrschluss zu, dass die Inhalte
auf az Netz weniger attraktiv sind. Oder präziser ausgedrückt: Dass der Content auf az
Netz den unique client weniger zum Verweilen einlädt. Gerade im Hinblick auf die Wahl
des passenden Geschäftsmodells für az Netz, gilt es diesen Befund noch zu
berücksichtigen.
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 11
Sven Millischer
3 Zeitungen im digitalen Transformationsprozess
3.1 Eigenheiten der digitalen Ökonomie
Um den tiefgreifenden Strukturwandel begreifen zu können, dem Zeitungsverlage seit
einigen Jahren unterworfen sind, gilt es zunächst die ökonomischen Eigenheiten des
Internets bzw. digitaler Medien im Allgemeinen zu erörtern. Nur so wird deutlich, weshalb
sich Paid Content4 in fundamentaler Weise von physischen Verlagsprodukten wie
Zeitungen und Zeitschriften unterscheidet. Zunächst zur Nicht-Rivalität im Konsum: Im
Gegensatz zu Printprodukten können digitale Inhalte beliebig oft konsumiert werden, ohne
dass dies zu Qualitätseinbussen führen würde (vgl. Bründler (2009), S. 28). Denn die
Nutzung der Inhalte ist nicht an ein Trägermedium wie Zeitungspapier gebunden. Sofern
Paid Content also nicht auf irgendeine Weise kopiergeschützt ist, lässt er sich - zu sehr
tiefen Kosten - vom Nutzer in beliebiger Anzahl vervielfältigen und verbreiten. Dadurch
entstehen für den Anbieter negative Externalitäten, weil hernach auch jene Benutzer, die
nicht für die Inhalte bezahlt haben, das Informationsgut besitzen.
Damit stellt sich auch die Frage nach der Exklusivität von Informationen bzw. nach deren
Haltbarkeit auf eine dringlichere Weise als noch beim Print, wo das Trägermedium diese
Exklusivität und Haltbarkeit zumindest ein Stück weit garantieren konnte. Indem, dass der
Anbieter von Inhalten die Kontrolle über deren Nutzung an die Konsumenten verliert,
verlieren auch die Inhalte selbst an Wert. Ihre Reproduzierbarkeit – damit letztlich
verbunden ihre umfassende Verfügbarkeit im Internet - werten sie ab. Es mag deshalb
nicht weiter erstaunen, dass mit digitalen Informationen bisher meistens nur indirekte
Erlöse erzielt werden konnten, nämlich über Werbung. In diesem Zusammenhang spielt
auch das Informationsparadoxon (vgl. Anding (2004), S. 24) eine wichtige Rolle, wonach
Medieninhalte zu den Inspektions- und Erfahrungsgütern gehören. Dies bedeutet: Deren
Nutzen und Qualität können die Verbraucher erst durch die Informationsaufnahme
bewerten. Ist diese jedoch erfolgt, erlischt in der Regel auch die Zahlungsbereitschaft für
4 Zur Definition von Paid Content: Die vorliegende MAS-Arbeit versteht unter Paid Content digitale
Inhalte, welche kostenpflichtig und in digitaler Form vertrieben werden. Die Transaktionen finden
online, und zwar zwischen Verlagsunternehmen und (Privat-)Kunden statt. Die Inhalte sind in der
Regel aktuelle Informationsinhalte, wobei diese vorwiegend aus Text-Dateien bestehen. Es können
aber auch Kombinationen mit Audio-, Video- und Grafik-Dateien sein. (vgl. Bründler (2009), S. 16)
12 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
das Informationsgut. Diesen Umstand gilt es in der Paid Content-Frage später noch zu
berücksichtigen.
Die Digitalisierung verändert nicht nur die Nutzung, sondern auch die Produktion der
Medieninhalte. Denn im Gegensatz zur Printausgabe sind die Kosten für die
Vervielfältigung und Distribution eines einzelnen digitalen Exemplars oder Inhalts
verschwindend gering. Hier gilt der First-Copy-Cost-Effekt (vgl. Bründler (2009), S. 26),
wonach die Internetmedien eine sehr hohe Fixkostendegression aufweisen. Mit anderen
Worten: Für jede weitere digitale Ausgabe tendieren die Grenzkosten praktisch gegen
Null. Denn die hohen Fixkosten für Druck und Distribution physischer Informationträger
fallen weg. Digitale Inhalte lassen sich aber nicht nur ad infinitum reproduzieren, sind sind
in ihrer Gestalt auch veränderbar. Dies kann dazu führen, dass die Urheber im Zuge des
elektronischen Handels die Integrität der digitalen Inhaltsgüter nicht gewährleisten können
und sodann ein Stück weit die Kontrolle über ihre Produkte verlieren. Daraus folgt: In der
digitalen Welt gibt es letztlich nur Kopien und keine Originale im eigentlichen Sinne.
Die stete technisch bedingte Wandelbarkeit eröffnet indes gerade auch in der
Produktegestaltung neue Opportunitäten, indem Inhalte mühelos multimedial aufbereitet
werden können und sich gleichzeitig Angebote differenziert auf die spezifischen
Kundenbedürfnisse anpassen lassen. Gerade im Rahmen der Paid Content-Fragestellung
kommt der spezifischen Angebotsgestaltung deshalb eine entscheidende Rolle zu. Aus
der technisch bedingten Wandelbarkeit digitaler Inhalte folgen auch journalistische
Eigenheiten: Im Gegensatz zu Printausgabe lassen sich Internetinhalte stets aufdatieren
und sind in ihren Umfängen praktisch unbeschränkt. Limitierender Faktor ist also nicht
mehr das Trägermedium, sondern es sind die redaktionellen Ressourcen bzw. die
begrenzte Aufnahmefähigkeit des Lesers oder dessen limitiertes Zeitbudget.
Aktualisierbarkeit und der schier unbegrenzte Inhalteraum prädestinieren Onlineangebote
damit als agile Newsportale. Zugleich ermöglicht die schier unbegrenzte
Speicherkapazität im Internet aber auch weitreichende Such- und
Recherchemöglichkeiten. Während die Printausgaben am Tag nach ihrem Erscheinen in
den Zeitungsarchiven abgelegt werden und damit einer breiten Öffentlichkeit entzogen
werden, lässt sich der digitale Content weiterhin stets unmittelbar nutzen. Gerade die
Pflege und redaktionelle Aufbereitung digitaler Archive scheint für Verlage deshalb eine
Möglichkeit zu sein, journalistische Inhalte mehrfach zu verwerten. Ein Potenzial, das mit
Ausnahmen kaum ausgeschöpft wird.
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 13
Sven Millischer
3.2 Erlösformen im Internet
Bevor in Kapitel 4 auf die spezifischen Geschäftsmodelle eingegangen wird, sollen hier
zunächst die grundsätzlichen Erlösformen dargestellt werden, wie sie für sämliche Inhalte
im Internet gelten. Zunächst ist zwischen direkten und indirekten Erlösformen zu
unterscheiden. Unter direkten Erlösformen werden all jene Modelle verstanden, bei denen
die Anbieter ihre Umsätze direkt von den Nachfragern generieren. Im Falle der
Zeitungsverlage ist dies also die Leserschaft. Dabei sind zwei Formen denkbar, nämlich
die nutzungsabhängige und die nutzungsunabhängige.
Abbildung 2: Die verschiedenen Erlösformen im Internet; (vgl. Zerdick et. al (2001), S. 26),
eigene Darstellung
Das heisst: Entweder zahlt die Leserschaft für jeden Inhaltsabruf einzeln
beziehungsweise für deren Nutzungsdauer oder es wird eine Grundgebühr erhoben, die
sämtliche nachfolgenden Nutzungen inkludiert. Im Verlagswesen ist dies klassischerweise
ein zeitlich begrenztes Abonnement, das zum Erhalt der jeweiligen Ausgaben berechtigt.
Indirekte Erlösformen hingegen sind solche, bei denen die eigentlichen Inhaltsgüter
kostenfrei angeboten werden. Die Anbieter erzielen Einnahmen indirekt über Dritte. Auch
hier sind verschiedene Erlösmodelle denkbar. Die wohl klassische Form für redaktionelle
Inhalte ist die werbefinanzierte: Gewerbetreibende gelten finanziell jene Aufmerksamkeit
ab, die sie aufgrund von Werbung erzielen können. Daneben sind im Internet aber auch
andere indirekte Erlösformen denkbar wie Komissionen: Suchmaschinenbetreiber
erhalten dann Gebühren, wenn der Benutzer auf den betreffenden Link eines Anbieters
klickt. Ebenfalls denkbar ist Datamining. Also das Aufbereiten von Kundendaten mit dem
Zweck, die Datenbestände später paketweise zu verkaufen. Allerdings stellen sich hier
Erlösformen
direkte
nutzungsabhängig Einzeltransaktionen - Menge oder Dauer
nutzungsunabhängig Abonnement oder Grundgebühr
indirekte
Werbung
Kommission
Datamining
Subvention
14 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
datenschutzrechtliche Fragen. Zu den indirekten Erlösformen gehören schliesslich auch
Subventionen. Entweder durch den Staat oder durch private Stiftungen. Es gibt gerade in
den USA Anstrengungen, Qualitätsjournalismus auf diese Weise zu finanzieren. So
belaufen sich die Fördermittel für journalistische Kommunikation in den Vereinigten
Staaten auf jährlich etwa 100 Millionen Dollar5. Im Verhältnis zu den Werbeerlösen
handelt es sich um einen bescheidenen Betrag.
3.3 Entkoppelung von Journalismus und Anzeigemarkt im Internet
Nach diesen theoretischen Vorarbeiten geht es nun darum zu erklären, weshalb die
Zeitungsverlage überhaupt Überlegungen anstellen, ob und in welcher Formen sie Paid
Content-Modelle einführen sollen. Der Haupttreiber ist hier sicherlich, dass journalistische
Inhalte im Internet mit einer sehr stark gestiegenen Wettbewerbsintensität in den
Werbemärkten konfrontiert sind. Die strukturelle Koppelung von Anzeigemärkten und
redaktionellen Inhalten, auf denen das Geschäftsmodell der Printzeitung bislang basierte,
ist im Internet schlicht nicht mehr gegeben. Die Anzahl Mitbewerber um Werbebudgets
wurde im Netz um ein Vielfaches potenziert. Die klassichen Zeitungsverlage wurden im
Netz richtiggehend marginalisiert.
Heute dominieren Suchmaschinen wie Google und soziale Netzwerke wie Facebook die
verschiedenen Facetten der Onlinewerbung. Daneben buhlen zahlreiche Freemail-
Anbieter, E-Commerce-Plattformen oder Internetprovider um Anzeigenkunden im Internet.
Der deutsche Medienwissenschaftler Robin Meyer-Lucht bringt es auf den Punkt, wenn er
sagt: „Der Journalismus verliert – vergleicht man Print und Internet – seine Rolle als
zentrales Anzeigenumfeld“ (zitiert aus Meyer-Lucht (2011), S. 25). Diese qualitative
Aussage lässt sich auch empirisch untermauern, wenn man sich die Prognosen für den
Schweizer Werbemarkt bis 2015 anschaut (vgl. PwC (2011), S.32ff.).
So geht das internationale Beratungsunternehmen PricewaterhouseCoopers von einem
Anstieg der Werbeausgaben im Internet von 703 Millionen Franken (2010) auf über 1,5
Milliarden Franken aus. Dies entspricht einem jährlichen Wachstum von 17.3 Prozent.
Doch die Gewichte der einzelnen Werbesparten sind im Internet komplett verschoben. So
entfällt 53 Prozent dieser gut 1,5 Milliarden Franken - nämlich 827 Millionen Franken - auf
5 Friedland, Lewis A. et al.: Finanzierung journalistischer Aktivitäten durch gemeinnützige
Organisationen in den USA. TU Dortmund, Institut für Journalistik, 2011.
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 15
Sven Millischer
Suchmaschinen-Werbung. Eine Einnahmequelle, von der die Schweizer Medienhäuser
praktisch ausgeschlossen6 sind und auf die bereits heute rund die Hälfte der gesamten
Werbeeinnahmen im Internet entfallen.
Daneben ist der Markt für Online-Rubrikenanzeigen mit einem prognostizierten Umsatz
von 347 Millionen Franken deutlich kleiner. In diesem Markt sind die führenden Schweizer
Verlage zwar präsent7. Indes waren die strukturellen Verschiebungen im letzten Jahrzehnt
dort gewaltig: Zwischen 2000 und 2010 gingen die Umsätze im Print aus Stellenanzeigen
um 70 Prozent, jene der Immobilienangebote um 76 Prozent und jene der
Fahrzeuganzeigen gar um 94 Prozent zurück (vgl. PwC (2011), S. 107). Es ist deshalb
anzunehmen, dass die Verlagshäuser diesen Umsatzverlust im Print nicht vollständig
durch eigene Onlineplattformen kompensieren konnten.
Der drittwichtigste Ertragspfeiler bildet das Geschäft mit Onlineanzeigen - dem Pendant
der Printinserate im Internet - welche bis 2015 einen Umsatz von 314 Millionen Franken
ausweisen werden. Auffällig ist hier, dass die prognostizierten jährlichen Wachstumsraten
mit 14.6 Prozent tiefer ausfallen werden als bei der Suchwort-Werbung beziehungsweise
als beim Online-Rubrikengeschäft.
Doch das display advertising bildet sozusagen historisch bedingt das Kerngeschäft der
Zeitungsverlage. Hier hatten die Printtitel bislang ihr Alleinstellungsmerkmal: Wer
Publizität suchte, musste sie zwangsläufig über die Publikumspresse herstellen. Mit der
Transformation ins Internet hat sich dieser Markt allerdings markant geöffnet. So befinden
sich unter den 15 beliebtesten Websites der Schweiz zehn Websites, die zwar keine
journalistischen Inhalte anbieten, aber - mit Ausnahme von sf.tv und meteoschweiz.ch -
Onlinewerbeflächen anbieten. Selbst im Kerngeschäft der Werbeanzeigen sehen sich die
Verlage also einem zunehmend intensiveren Wettbewerb mit branchenfremden Playern
ausgesetzt.
6 Zu Tamedia gehört search.ch, das führende Verzeichnis- und Serviceportal der Schweiz.
http://www.tamedia.ch/de/produkte/emedien/Seiten/searchch.aspx 18.5.2012) 7 Zu Tamedia gehören beispielsweise der Marktplatz piazza.ch, die Stellenplattform jobwinner.ch
oder das Immobilienportal homegate.ch. Zum Medienhaus Ringier gehören beispielsweise die
Stellenplattform jobs.ch oder der Fahrzeugmarktplatz autoscout24.ch.
16 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
Abbildung 3: Wettbewerb mit branchenfremden, nicht-journalistischen Anbietern;
PricewaterhouseCoopers AG, NET-Metrix Audit, Juli 2011
Dies ist insofern dramatisch, als dass die Erlöse aus den Onlineanzeigen in keinem
Verhältnis stehen zu jenen Erträgen, welche Printanzeigen bislang noch generieren
konnten. So rechnet PwC mit Print-Umsätzen im Jahr 2015 von 1,6 Milliarden Franken.
Dies entspricht immer noch dem Fünffachen dessen, was zu diesem Zeitpunkt womöglich
das Geschäft mit Onlineanzeigen erwirtschaften wird. Allerdings fällt das jährlich
veranschlagte Wachstum mit 2,9 Prozent bei den Printanzeigen eher bescheiden aus.
Zumal, wenn man die starken Rückgänge im Printanzeigengeschäft seit 1997
berücksichtigt8. So hat sich der Printanteil an den Werbeaufwänden in der Schweiz seither
halbiert.
8 Alleine im Nachgang der Finanzkrise 2009 brach der Werbemarkt im Print um über 22 Prozent
ein. (vgl. PwC (2011) S. 101ff.)
0 0.5 1 1.5 2 2.5 3 3.5
homegate.ch gmx.ch
myswitzerland.com moneyhouse.ch
tagesanzeiger.ch NZZ Online
meteoschweiz.ch Topin sf.tv
Blick Online 20minuten.ch
search.ch Bluewin local.ch
Microsoft Advertising Schweiz
Die beliebtesten Websites der Schweiz
Die beliebtesten Websites der Schweiz
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 17
Sven Millischer
Abbildung 4: World Digital Media Trends, September 2010
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Onlineanzeigen die Ertragseinbussen bei
den Printinseraten nicht zu kompensieren vermögen werden. Es ist vielmehr davon
auszugehen, dass die Werbeertragsbasis für die Verlage aufgrund des verschärften
Wettbewerbs beziehungsweise dem Eintritt neuer, nicht-journalistischer Marktteilnehmer
auf längere Sicht nochmals schmäler wird.
3.4 Schwierigkeiten der Substitution von Print im Internet
Der im vorigen Kapitel beschriebene Rückgang des Printanteils am Werbemarkt ist
letztlich Ausdruck einer Verschiebung der Aufmerksamkeit, und um diese geht es ja den
Werbetreibenden letzlich. Diese Verschiebung der Aufmerksamkeit wiederum resultiert
daraus, dass Kaufzeitungen in der Schweiz an Auflage, an Lesern, also an Reichweite
und damit an Öffentlichkeit verlieren: Vergleicht man die Wemf-Zahlen von 2004 mit jenen
von 2010, müssen praktische alle Tageszeitungen substanzielle Rückgänge hinnehmen.
Um nur einige Beispiele zu nennen: «Blick» (–15%), «Tages-Anzeiger» (–18%), «Le
Matin» (–24%), «Berner Zeitung» (–15%) oder das «St. Galler Tagblatt» (–18%).
Demgegenüber erschliesst sich aus den Daten von Net-Metrix9, dass knapp 75% der
Bevölkerung ab 14 Jahren das Internet mehrmals in der Woche nutzen. Die Internet-
9 Net-Metrix Base, Okt 2009 bis März 2010
0
10
20
30
40
50
60 19
97
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
Printanzeigen verlieren stetig an Marktanteilen
%-Anteil Zeitungen an den Werbeaufwänden in der Schweiz
18 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
nutzung übersteigt also heute schon die Tagesreichweite des Fernsehens, die im 1.
Quartal 2010 bei 72 Prozent lag. Das Internet ist damit heute für sich genommen das
wichtigste Einzelmedium. Und zwar eines, das nicht mehr nur die junge Zielgruppe
erreicht. So zeigt eine Umfrage (vgl. Berman et al. (2011), S. 45ff.) in fünf Ländern
(Australien, Deutschland, Japan, Grossbritannien und die Vereinigten Staaten) unter
3'300 Benutzern, dass die Online-Nutzungsdauer mit zunehmendem Alter sogar ansteigt.
So verbringen die 50- bis 64-jährigen heute im Durchschnitt 8,1 Stunden pro Woche im
Internet, während die 18- bis 24-jährigen lediglich 6,8 Stunden pro Woche online sind.
Soweit zur Gesamtbetrachtung der Internetnutzung – einschliesslich nicht-medialer
Nutzungen. Denn bricht man die Tagesreichweiten auf die einzelnen Printpublikationen
beziehungsweise Websiten in der Schweiz herunter, dann zeigt sich ein völlig anderes
Bild.
Abbildung 5: Tagesreichweiten Online/Print-Nutzung in Tausend pro Tag; Quelle: MACH-
Basic 2011-1 (Print), Net-Metrix-Profile 2011-1 (Online)
Die grossen Schweizer Websites weisen immer noch deutlich geringere Tagesreichweiten
auf als die wichtigsten Printpublikationen wie 20 Minuten oder die BLICK-Publikationen.
Der Verband Schweizer Presse schreibt denn auch in seinem Dossier „Medienlandschaft
Schweiz 2011“, dass „ die Onlinenutzung für die Printmedien ein mehr oder weniger
grosses Sahnehäubchen ist“. Diese Aussage mutet beschönigend an. Denn der Vergleich
der Tagesreichweiten Print/Online offenbart vielmehr, dass es den Tageszeitungen
bislang nicht gelingt, ihre Reichweite im Print auf die eigenen Angebote im Netz adäquat
umzulagern. Vielmehr rangieren Angebote jenseits journalistischer Angebote wie Bluewin
0
200
400
600
800
1000
1200
1400
1600
1800
2000
Online
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 19
Sven Millischer
oder Microsoft in der Rangliste ganz vorne. Die Schlussfolgerung ist fatal: Journalismus
verliert im Internet sukzessive seine Position als dominantes Content-Paradigma.
Medienökonom Meyer-Lucht kommt deshalb zum empirisch fundierten Schluss:
„Tageszeitungswebsites schöpfen das Potenzial der Bewohner des Print-Verbreitungs-
gebietes nicht befriedigend aus.“ (zitiert nach Meyer-Lucht (2011), S. 18) So erreichen in
Deutschland regionale Tageszeitungswebsites pro Monat weniger als 20 Prozent der
Einwohner des Verbreitungsgebietes der dazugehörigen Zeitung. Zwar fehlen ent-
sprechende Zahlen für die Schweiz, aber eingedenk der obigen Ausführungen ist davon
auszugehen, dass hierzulande ähnliche Werte erzielt würden. Die Ertragskrise des
Journalismus im Internet ist deshalb auch als eine Nutzungskrise zu verstehen. Was sich
ja auch darin zeigt, dass die durchschnittliche tägliche Nutzungsdauer einer Zeitungs-
website im Vergleich zur Druckausgabe deutlich kürzer ausfällt (vgl. Meyer-Lucht (2011),
S. 18ff.). So zeigen verschiedene Studien, die der Weltzeitungsverband WAN-IFRA in
seiner Branchenpublikation zitiert, dass der durchschnittliche Besucher eines
amerikanischen Zeitungsportal dieses nicht mehr als zwei bis sechs Mal pro Monat
besucht. Dabei liest er insgesamt zwischen fünf und zwanzig Artikel und wendet hierfür
weniger als zwanzig Minuten auf (vgl. WAN-IFRA (Dez. 2009), S. 43ff.).
Die kurze Verweildauer hat auch mit der Entbündelung des journalistischen Angebots im
Netz zu tun. Die Zeitung als Enität von sorgsam aggregierten Inhalten ist im Internet
bislang als E-Paper oder iPad-Applikation (noch) eine Randerscheinung. Im Netz
konkurrieren nicht Publikationen mit Publikationen, sondern vor allem Artikel gegen
Artikel. Wurden im Print-Markt über grosse Bündel namens Zeitungen Inhalte gemeinsam
vertrieben, so dominieren im Internet die Paradigmen einer losen Kopplung von Inhalten -
quer zu den klassischen Publikationen. Denn die Selektionsfunktion wird im Internet
vielmehr dem Nutzer überantwortet.
Meyer-Lucht spricht in diesem Zusammenhang auch vom „Nachrichtenkonsum als
sozialer Aktivität“ (zitiert nach Meyer-Lucht (2011), S. 25). Es mag deshalb nicht weiter
erstaunen, dass 57 Prozent der befragten Nutzer (vgl. Berman et al. (2011), S. 46)
Nachrichten in digitaler Form den gedruckten vorziehen – vermutlich aufgrund ihrer
latenten Aktualität. Aber nur acht Prozent geben „online newspaper“ als ihre bevorzugte
Quelle für den Konsum von Nachrichten an. Vielmehr erfolgt der Einstieg auf einzelne
Artikel in der überwiegenden Mehrheit immer noch über Suchmaschinen oder News-
aggregatoren wie Google News. „Brand promiscuity“ – also der häufige Markenwechsel
– sei inzwischen die Norm beim Newskonsum im Internet (vgl. McKinsey (2007), S .1).
20 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
So hat 2007 eine Onlineumfrage in den USA unter 2100 Konsumenten ergeben, dass
diese ihre Aufmerksamkeit wöchentlich mehr als sechszehn verschiedenen Nachrichten-
marken schenken. Viele davon „switchen“ sogar täglich zwischen verschiedenen
Zeitungswebsites. Zudem investieren Onlineleser im Vergleich zu den Print-Nutzern nur
fünf Prozent der Zeit in den Konsum von journalistischen Inhalten und betrachten im
Durchschnitt nur fünf Prozent der Seiten (vgl. Pricing (März 2010), S. 14). Mit den
diversen Einfallstoren (u.a. Suchmaschinen, Newsaggregatoren, soziale Netzwerke) und
der Beschränkung auf einzelne Artikel verschwimmt damit auch die Markenidentität der
Zeitungen im Netz. Und das hat – nebst Faktoren wie der Physis von Papier – auch
Einfluss auf die Qualität und die Vertrauenswürdigkeit als Werbeträger. Denn für die
Werberezipienten zeigen sich deutlich Unterschiede zwischen Zeitungsannoncen und
Internet-Werbung.
Abbildung 6: Beurteilung der Werbeformen (vgl. McKinsey (2010), S. 3)
Für Nachrichtenkonsumenten geniesst die Zeitung als Werbeumfeld nach wie vor die
grösste Glaubwürdigkeit. Das Beratungsunternehmen McKinsey hat hierzu in den Jahren
2006 und 2009 zwei Umfragen in den Grossbritannien unter 2000 Nachrichten-
konsumenten durchgeführt. Sie zeigen, dass 66 Prozent der Befragten Zeitungsanzeigen
als informativ und vertrauenserweckend erachten. Demgegenüber schneiden die
elektronischen Pendants, nämlich Bannerwerbung und Pop-ups, deutlich schlechter ab:
Die überwiegende Mehrheit, nämlich 88 Prozent, empfindet diese digitalen Werbeformen
als lästig und störend. Zwar werden gesponsorte Links vom Newspublikum ebenfalls
abgelehnt. Aber immerhin ein Viertel der Befragten beurteilt diese Internet-basierte
Werbeform ebenfalls als „informativ und vertrauenswürdig“. Dies ist insofern interessant,
0 20 40 60 80 100
Zeitungsanzeigen
TV-Spots
Radiowerbung
Gesponserte Links
Bannerwerbung, Pop-ups
informativ, vertrauenserweckend
lästig
unterhaltsam
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 21
Sven Millischer
als dass Suchmaschinenanbieter wie Google fast ausschliesslich auf diese Werbeform
setzen, während die Newsportale der Tageszeitungen in der Regel mit Bannerwerbung
ihre Erlöse erwirtschaften.
Mit anderen Worten: Nicht nur gelingt es den Tageszeitungswebsites nicht, ihre Reich-
weiten aus dem Print ins Internet zu überführen. Auch der Transformationsprozess im
Anzeigenmarkt geht nicht ohne beträchtliche Reibungsverluste vonstatten. Es gelingt den
Medienhäusern nicht, das durchwegs positive Image von Printanzeigen durch
entsprechende Werbemittel im Internet zu substituieren.
Das Gegenteil ist der Fall: Der Suchmaschinen-Konkurrenz ist es gelungen, mit
sponsored links10 ein Werbemittel zu schaffen, das von der Akzeptanz her deutlich besser
im Markt positioniert ist als der klassische Werbebanner. Wie bereits angeführt, zeigt sich
dies ja auch darin, dass mehr als die Hälfte der Werbeumsätze im Internet bereits heute
auf Suchmaschinenanfragen entfallen. Und hier ist es vor allem der Internetkonzern
Google, welcher den Markt dominiert. Alleine in den USA verzeichnet der Such-
maschinenriese jeden Monat 175 Millionen Benutzer, die Milliarden von Seitenaufrufen
generieren. Mit der Konsequenz, dass Google heute in den USA 40 Prozent des Online-
werbemarkts für sich beansprucht (vgl. CSJ (2011), S. 95). Und mit Facebook ist ein
zweites Schwergewicht im Markt, das beinahe rund ein Viertel des US-amerikanischen
Marktes für Onlinewerbung auf sich vereint. Daraus folgern Bill Grueskin, Ava Seave, und
Lucas Graves von der Columbia School of Journalism: „It is much harder for media
companies, new or old, to compete purely on audience size. They will never grow fast
enough to counter the massive numbers accumulated by giants like Google and
Facebook11.“
10 Definition sposored link: Als Sponsorenlink wird ein bezahlter Eintrag innerhalb von
Suchergebnislisten bezeichnet. Unternehmen, die bei Suchmaschinen eine hohe Position bei der
Auflistung der Suchergebnisse zugeteilt haben möchten, haben durch Keyword-Advertising die
Möglichkeit, für bestimmte Suchanfragen eine gute Position innerhalb der Suchergebnisse zu
kaufen. Die bekanntesten derartigen Werbeprogramme sind Google AdWords und Yahoo Search
Marketing. Abgerechnet wird bei diesen Programmen zumeist nach Anzahl der Klicks auf den
gekauften Link. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Sponsorenlink (20.5.2012) 11 Zitiert nach CSJ (2011) S. 34.
22 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
Die Redaktionen müssten endlich damit aufhören, nur auf die Klickraten zu schielen.
Denn die Jagd nach traffic habe die Nachrichtenhäuser auf eine Diät „on a sugar high of
fat audiences and thin revenue“ gesetzt (zitiert nach CSJ (2011), S. 34). Mit der
Kommodifizierung journalistischer Inhalte, welche die Zeitungsmarken beschädigt habe,
sei es nicht gelungen, eine loyale und engagierte Beziehung zum Onlineleser aufzu-
bauen.
3.5 Missverhältnis in der Finanzierung journalistischer Inhalte im Internet
Die Befunde der letzten beiden Kapitel - also die Entkopplung von journalistischen
Inhalten und Anzeigenmärkten im Internet sowie die mangelhafte Reichweiten-
ausschöpfung beziehungsweise der Vertrauensverlust als Werbeträger – bleiben nicht
ohne ökonomische Konsequenzen für die Zeitungsverlage.
Dazu gilt es zunächt den Status quo zu betrachten, wie er sich für die Medienhäuser im
Print darstellt. Dies, um zu verstehen, was die Digitalisierung der Inhalte für die Industrie
insgesamt bedeutet. Die meisten Zeitungsverlage generieren heute mit ihren physischen
Druckerzeugnissen etwa die Hälfte ihrer Umsätze aus dem Werbemarkt und etwa die
Hälfte aus den Vertriebserlösen, also aus dem Nutzermarkt (Abonnemente, Kioskver-
käufe). Je höher der Anteil aus dem Werbemarkt ist, desto zyklischer und volatiler ist die
Ertragsbasis. Denn der (nationale) Anzeigenmarkt reagiert sehr sensitiv auf konjunkturelle
Einbrüche, während sich die Abonnentenschaft auch in einer Wirtschaftskrise ver-
lässlicher zeigt. So brachen in der Schweiz im Nachgang zur Finanzkrise 2009/2008 die
Werbeerträge um über 22 Prozent ein und haben seither das Vorkrisenniveau – auch
strukturell bedingt – nicht mehr erreicht. Demgegebenüber blieben die Vertriebserlöse
– trotz Auflagenschwund und Rückgang der Leserschaft – weitgehend stabil (vgl. PwC
(2011), S. 104ff.). Denn die Schweizer Zeitungsverlage haben zwischen 2004 und 2011
ihre Tarife für ein Jahresabonnement von 308 Franken auf 364 Franken erhöht, was einer
nicht-teuerungsbereinigten Zunahme um 18 Prozent entspricht. Hierzu eine Tabelle der
vergangenen und der prognostizierten Umsatzkomponenten im Schweizer Zeitungs-
geschäft.
Tabelle 3: Umsatzentwicklung im Zeitungsmarkt Schweiz (vgl. PwC (2011), S. 105)
Umsätze in Mio.
CHF 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
CAGR 2011-2015
Anzeigen 1676 1309 1341 1350 1381 1416 1456 1495 2.2
Vertrieb 780 777 774 773 771 768 768 768 -0.2
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 23
Sven Millischer
Diesen Umsätzen aus dem Anzeigen- und Vertriebsgeschäft stehen Aufwände
gegenüber, welche der Branchenverband WAN-IFRA als „verzerrt“ bezeichnet (vgl. WAN-
IFRA (Feb. 2010) S. 9ff.). Basis dieser Aussage bildet die Kostenstruktur einer modell-
haften Tageszeitung in den USA. Die Zahlen lassen sich zwar nicht eins zu eins auf den
Schweizer Markt übertragen, aber die Verhältnisse dürften in etwa ähnlich sein: Auf einen
Dollar, den ein Zeitungsverlag in den USA ausgibt, entfallen 70 Cents aufs Papier, die
Druckkosten, die Distribution sowie Stabs- und Verlagsfunktionen. 16 Cents werden für
Werbung und Marketing in eigener Sache aufgewendet. Und lediglich 14 Cents fliessen in
den editorial content, also in die redaktionellen Inhalte. Wobei hier ebenfalls nochmals
unterschieden werden muss: Nur die Hälfte, also sieben Cents, werden tatsächlich ins
eigene reporting investiert. Der Rest fliesst in die Produktion, ins Seitenlayout, ins Ver-
arbeiten von Nachrichtenagenturen und in ähnliche inhaltsverarbeitende Tätigkeiten.
Etwas dezidiert formuliert sind Zeitungsverlage heute von ihrer Kostenstruktur her
Distributoren holzverarbeiteter Produkte und keine Produzenten qualitativ hochstehender
redaktioneller Inhalte. Dieses Missverhältnis gilt selbst für Speerspitzen des Qualitäts-
journalismus wie die New York Times. Deren redaktionelles Budget beläuft sich zwar auf
über 220 Millionen Dollar pro Jahr. Doch selbst diese Summe entspricht nur knapp einem
Drittel der Mittel, welche die NYT jährlich für Druck und Distribution aufwendet.
Es ist dieser im Verhältnis hohe Fixkostenblock, der den Zeitungsverlagen im analogen
Zeitalter die Markteintrittsbarrieren hochhielt, den Wettbewerb dämpfte und häufig in
ihrem Verbreitungsgebiet gar eine Monopolstellung sicherte. Und es ist genau dieser
hohe Fixkostenblock, der im Internet-Zeitalter obsolet wird und der die Transformation des
Geschäftsmodells so schwierig macht. Denn umgekehrt sind im Online-Newsgeschäft die
Markteintrittshürden für neue Mitbewerber nun entsprechend niederschwellig.
Torry Pedersen ist operativer Leiter der skandinavischen Verlagsgruppe Verdens Gang
VG und gilt als ein profunder Digital-Publishing-Kenner (vgl. WAN-IFRA (Feb. 2010),
S. 12ff.). Pedersen geht davon aus, dass Zeitungen mit der vollständigen Umstellung von
Print zu Online mindestens die Hälfte ihrer Fixkosten einsparen könnten. Schliesslich
könnten die Verlage ihre kapitalintensiven Druckmaschinen verkaufen und auf die
personalintensive Zeitungszustellung verzichten. Dies tönt verlockend, doch in welchem
Verhältnis stehen die Einsparungen der Digitialisierung zum Rückgang im Printanzeigen-
beziehungsweise Printvertriebsgeschäft? „An online reader generates about 10 percent of
the revenue we can make from a newspaper reader. So, for every reader we lose from the
paper we need to pick up 10 online“, rechnet Pederson vor (vgl. WAN-IFRA (Feb. 2010),
24 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
S. 18). Ryan Chittum12 vom Columbia Journalism Review kommt sogar auf einen
achtzehnfachen Umsatzmultiplikator pro Jahr.
Abbildung 7: Jährlicher Umsatzwert eines Onlinelesers im Vergleich zu einem Printleser;
Quelle: CJR, 21. August 2009. http://www.cjr.org/the_audit/post_11.php?page (25.5.12)
Würde man also auf einen Schlag sämtliche Printaktivitäten einstellen und alle Inhalte frei
verfügbar online stellen, dann müsste sich die Zahl der Onlineleser gegenüber den Print-
lesern verachtzehnfachen, um die Ertragseinbussen kompensieren zu können.
VG-Chef Torry Pedersen betont denn auch, dass im Onlinegeschäft die kritische Grösse
alles entscheidend sei: „If you manage to occupy a leading position, it becomes very
difficult for your competitor to take you on. In reality critical mass offers greater protection
than actual quality differences in relation to your competitors.” (vgl. WAN-IFRA (Feb.
2010), S. 18). Am Beispiel der norwegischen Boulevardzeitung und ihres Nachrichten-
portals vg.no zeigt sich dies anschaulich: Der Website gelingt es, genügend Nutzer-
verkehr (traffic) zu generieren, um profitabel wirtschaften zu können. So besuchen drei
von vier Norwegerinnen und Noweger mindestens einmal im Monat die Website. Davon
kommt über 80 Prozent des Internetverkehrs direkt auf die vg.no-Website. Dies bedeutet,
dass die Website eine treue, markenaffine Leserschaft hat und sich deshalb höhere
Werbetarife generieren lassen.
12 Chittum, Ryan: ‘‘The chasm between the value of print and web users’’ In: Columbia Journalism
Review, 21. August 2009. Vgl. http://www.cjr.org/the_audit/post_11.php?page (20.05.2012)
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«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 25
Sven Millischer
Die Nutzertreue kann letztlich auch als Gradmesser für die Markenbekanntheit, die Leser-
zufriedenheit und allgemein für die Beliebtheit einer Website verwendet werden. Der
deutsche Medienökonom Robin Meyer-Lucht bemisst die Nutzertreue, indem er die
Gesamtzahl der visits durch die unique clients pro Monat teilt. Dazu hat Meyer-Lucht 120
Zeitungswebsites in Deutschland miteinander verglichen (vgl. Meyer-Lucht (2011),
S. 14ff.). Aktuell verzeichnen drei Viertel dieser Tageszeitungswebsites nur maximal
220’000 Nutzer pro Monat, die Hälfte gar nur 100’000 oder weniger. Dabei kommt Meyer-
Lucht zum Schluss, dass ein Viertel der Websites mehr als 7.4 monatliche Besuche pro
Besucher hat. Ein Viertel der Websites verzeichnen dagegen weniger als 4.7 monatliche
Besuche pro Besucher.
Sein Untersuchungsfazit lautet: „Tageszeitungswebsites haben offenbar viele
Randnutzer.“ (zitiert nach Meyer-Lucht (2011), S. 16). Wobei typische Regionalzeitungs-
sites insgesamt schwach besucht seien. Nur 14 Prozent der User fallen gemäss Meyer-
Lucht in die Kategorie der Stammnutzer. Das sind jene Nutzer, die mindestens alle zwei
Tage die Website besuchen, während 70 Prozent Randnutzer sind, die ein- bis dreimal
pro Monat die Website aufrufen. Was bedeutet dies nun für das Abrufvolumen? „Die
wenigen Stammnutzer sind für drei Viertel des Abrufvolumens verantwortlich; die vielen
Randnutzer sorgen lediglich für ein Achtel des Abrufvolumens.“ (zitiert nach Meyer-Lucht
(2011), S. 21). Soweit zu den Daten in Deutschland. Und wie sieht die Situation in punkto
Benutzertreue in der Schweiz aus?
Tabelle 4: Zeitungswebsites im Vergleich, Quelle: NET-Metrix-Audit 01-2012
20min azNetz Tagesanzeiger NZZ Blick BaZ
Visits 32220868 1186799 17090138 13736261 40154402 3553631
Unique clients
2674000 382000 1656000 1765000 3040000 486000
Benutzertreue
12.04 3.1 10.3 7.78 13.2 7.3
Auch hier zeigt sich, dass die Anzahl der visits, der unique clients und daraus folgend der
Benutzertreue unter den Schweizer Nachrichtensites sehr ungleich verteilt sind. Dabei
schneidet az Netz sowohl bei den absoluten traffic-Zahlen als auch in punkto Benutzer-
treue schwach ab. Die Benutzertreue liegt gegenüber allen Mitbewerbern um mindestens
50 Prozent tiefer. Gegenüber 20 Minuten Online ist dieser Wert der Benutzertreue sogar
drei Mal tiefer.
26 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
Wie bereits in Kapitel 2.3 im Direktvergleich mit dem Konkurrenten baslerzeitung.ch
ausgeführt, besteht also für az Netz ein erheblicher (inhaltlicher) Aufholbedarf, sowohl
was die Nutzerrückkehrraten als auch die Nutzungsintensität und die Ausschöpfung der
Zielgruppen anbelangt. Angesichts der aktuellen Zahlen von visits und unique clients und
im Vergleich zur Konkurrenz scheint für az Netz eine rein werbefinanzierte Skalen-
strategie deshalb kurz- und mittelfristig ausgeschlossen zu sein. Nur bei einer massiven
Erhöhung der Reichweite liessen sich die Umsätze entsprechend substanziell steigern.
Dies würde, bei gleichbleibenden Fixkosten, zu einer selbsttragenden Profitablität führen.
Doch genau diese kritische Grösse fehlt dem az Netz bislang und es ist mindestens
fraglich, ob az Netz – aus eigener Kraft – diese kritische Grösse auf absehbare Zeit
erreichen kann. Ein dominantes Newsportal müsste im gesamten Mittelland nämlich etwa
in der Lage sein, auf 30 Millionen page impressions zu kommen. Das az Netz erreicht
derzeit gerade mal ein Sechstel davon.
Es ist kein Zufall, dass 20min.ch und Blick Online als die beiden Schweizer Newsportale
mit der grössten Zahl an monatlichen visits auch die höchste Benutzertreue aufweisen.
Handelt es sich hier doch im Rahmen der Internet-Ökonomie um einen Netzwerkeffekt,
den die Volkswirtschaftslehre zu den positiven Externalitäten zählt: Der Nutzen des
Newsportals steigt an, wenn dessen Nutzerzahl grösser wird. Wenn der Nutzen für alle
bei steigender Nutzerzahl weiter anwächst, spricht man von positiver Rückkopplung. Wird
eine kritische Masse erreicht, so steigt die Nutzerzahl sogar exponentiell an13. Dieser
Netzwerkeffekt kommt deshalb zum Tragen, weil Nachrichtenportale heute viel mehr als
blosse Einweg-Plattformen sind. Internet-Gemeinschaften wie 20min.ch gehören zu den
„mehrseitigen Plattformen“ (multisided plattforms), auf denen unterschiedlichste
Anspruchs- und Kundengruppen – zum Teil crossmedial (unter Einbindung der Print-
Pendlerzeitung) – zusammengeführt werden.
Dies bedeutet: Der Plattformbetreiber muss überzeugendes Wertversprechen anbieten,
damit sich die Kunden in ausreichender Anzahl zusammenfinden und der erforderliche
Netzwerkeffekt entsteht. Dieses community building wiederrum ist entsprechend zeit- und
ressourcenintensiv, kann aber aufgrund der positiven Rückkopplung zu einer kaum mehr
anfechtbaren Dominanz im Markt führen. In diesem Zusammenhang spricht man auch
von so genannten The-Winner-takes-it-all-Märkten. Dieses Phänomen widerspiegelt sich
13 vgl. Der Netzwerkeffekt – die Ökonomie des Internets: http://fa.ltings.de/der-netzwerkeffekt-die-
oekonomie-des-internets/ (18.5.2012)
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 27
Sven Millischer
schliesslich auch eindrucksvoll bei den Werbeerlösen in den Vereinigten Staaten. Knapp
drei Viertel aller Erträge konzentrierten sich in den USA im Jahr 2010 auf zehn
werbeverkaufende Onlineunternehmen. Weitet man die Liste auf die Top-50-
Unternehmen aus, so sind es gar 91 Prozent der interaktiven Werbeerlöse (vgl. New
Media Trends (Juni - Juli 2011), S. 15ff.).
Was heisst dies zusammenfassend nun für die weiteren Gedankengänge zu Paid
Content?
Erstens: Wer die Transformation vom Print ins kostenlose Online-Geschäft selbsttragend
bestreiten möchte, braucht eine substanziell höhere Reichweite, denn der „Wert“ eines
einzelnen Onlineleser ist ungleich kleiner als der eines Zeitungslesers.
Zweitens: Eine höhere Reichweite lässt sich nur erzielen, wenn auch in die Benutzer-
treue investiert wird. In ihr widerspiegelt sich letztlich die Markenbekanntheit, die
Nutzerzufriedenheit und allgemein die Beliebtheit einer Website, wodurch sich – wie bereits angetönt – positive Netzwerkeffekte ergeben können.
Und drittens: Gerade diese Basis der Stammnutzer gilt es zu pflegen und zu erweitern,
ob nun als Free- oder Paid Content-Anbieter. Denn, wie Meyer-Lucht treffend anführt:
„Für ein Internetangebot, das nur einmal im Monat genutzt wird, sind die wenigsten
Menschen bereit, auch nur einen kleinen Betrag zu bezahlen.“ (zitiert nach Meyer-Lucht
(2011), S. 6).
Allerdings – und damit möchte ich den Gedanken der „verzerrten“ Kostenstruktur im Print
nochmals aufgreifen – gestaltet sich die Überführung in einen für Nutzer kostenfreien,
selbsttragenden Onlinejournalimus sogar beim Wegfall der Distributions- und Druckauf-
wände als äusserst schwierig. Dies, unter der Prämisse, dass die jeweiligen Medien-
häuser weiterhin auf Qualitätsjournalismus setzen (wollen), was letztlich gut dotierte
Redaktionen und qualifizierte Mitarbeiter voraussetzt. Im Vergleich zwischen Print- und
Online-Journalismus offenbaren sich nach wie vor grosse ertragsseitige Diskrepanzen.
Angesichts der äusserst tiefen Distributionskosten für Onlineinhalte lassen sich in
Internet-only Verlagen zwar etwa 60 Prozent der Mittel für die journalistische Leistungs-
erstellung aufwenden, schätzt Medienökonom Meyer-Lucht (vgl. Meyer-Lucht (2011),
S. 25).
28 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
Doch dies würde – ohne jegliche Quersubventionierung – für Deutschland im Jahre 2009
Mittel von 95 Millionen Euro freimachen. Damit liessen sich bundesweit gerade mal 800
Online-Journalisten finanzieren. Zum Vergleich: Gemäss dem Institut für Journalistik und
Kommunikationswissenschaften der Universität Hamburg14 arbeiteten im Jahre 2005 –
neuere Zahlen sind leider nicht verfügbar – rund 17'200 Personen als Printjournalisten
und gut 2'300 Personen als Online-Journalisten in Deutschland. Alleine den deutschen
Printjournalisten standen dabei Mittel im Umfang von 2.25 Milliarden Euro zur Verfügung.
Angesichts dieser finanziellen Missverhältnisse dürfen jedem klar sein, dass die
Transformation von Print zu Online tiefgreifende Umwälzungen für die Branche mit sich
bringt. Etwas vereinfacht gesagt: Entweder, die Verlage verabschieden sich davon, ihre
Inhalte kostenlos im Internet zu verschenken oder der Qualitätsjournalismus, wie man ihn
von den Bezahlzeitungen her kennt, hat längerfristig keine wirtschaftliche Basis mehr.
Insofern beführt die Suche nach dem passenden Paid Content-Modell auch eine
medientheoretische Grundsatzfrage: Was sind einer demokratischen Gesellschaft
journalistisch aufbereitete Informationen überhaupt wert? Doch diese Frage sprengt
eindeutig den Rahmen der vorliegenden Arbeit.
14 vgl. http://www.wiso.uni-hamburg.de/fileadmin/sowi/journalistik/kvvarchiv/KvvArchiv/jourid.pdf
(18.5.2012)
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 29
Sven Millischer
4 Paid Content-Modelle
4.1 Nutzen von Paid Content
Im Kapitel 3 wurde aufgezeigt, dass rein werbefinanzierte Erlösmodelle für journalistische
Onlineinhalte wohl bis auf weiteres nicht tragfähig sind. Vorausgesetzt, man will künftig
jene redaktionellen Ressourcen, die man bisher im Print eingesetzt hat, in ähnlichem
Umfang auf die Onlineportale allozieren. Insofern bedingt dies ein Geschäftsmodell, das
sich für journalistische Inhalte im Internet nicht alleine auf indirekte Erlösformen abstützt.
Online sind also direkte Erlösmodelle gefragt, welche zusätzlich zum Werbemarkt den
Nutzermarkt als Ertragsquelle erschliessen. Was mögliche Ansätze für solche Geschäfts-
modelle wären, soll im folgenden Kapital erörtert werden. Doch zunächst stellt sich die
Frage: Was spricht, nebst der Erschliessung neuer Ertragsquellen, ansonsten für
kostenpflichtige Internetinhalte?
Ein konkretes Beispiel soll dies veranschaulichen: Die US-Regionalzeitung Arkansas
Democrat-Gazette hat eine Printauflage von rund 180'000 Exemplaren. Seit nun mehr
zehn Jahren ist das Internetangebot der Zeitung kostenpflichtig. Verleger Walter
Hussmann betont, dass die elektronische Ausgabe kein eigentlicher Ertragspfeiler sei,
sondern „a way to protect the more lucrative print edition“ (zitiert nach CSJ (2011), S. 68).
So machen die Abonnenten der elektronischen Ausgabe bloss zwei Prozent der Gesamt-
zahl an Abonennten aus. Aber: Der Arkansas Democrat-Gazette ist es in den letzten zehn
Jahren zumindest gelungen, die Printauflage stabil zu halten. Insofern ist die Einführung
von Paid Content auch ein Mittel, die Kannibalisierung der Printausgabe zu unterbinden.
Da ansonsten die Leser auf die gedruckte Ausgabe verzichten und stattdessen aufs
Internet ausweichen und dort die Inhalte kostenlos lesen.
Dabei geht es auch um ein Werteversprechen, das es gegenüber den Printabonnenten zu
unterstreichen gilt: Unsere Inhalte sind wertvoll und schützenswert und deshalb lohnt es
sich, bei uns Abonnent zu sein. Solche framing-Effekte dürfen nicht unterschätzt werden.
Denn mit dem Werteversprechen einher geht eine monetarisierbare Kundentreue: „There
is evidence that a paying audience is more valuable to advertisers because it
demonstrates deeper commitment by those readers.“ (zitiert nach CSJ (2011), S. 68).
Dies bedeutet: Eine loyale Kundschaft kann sich auch positiv auf den Werbemarkt aus-
wirken. Gerade auch bei den Internet-Inhalten, wo sich das Nutzerverhalten sehr genau
messen lässt. Die Werbetreibenden erhalten somit durch Paid Content zielgruppen-
spezifische Öffentlichkeiten mit einer hohen Nutzertreue.
30 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
Und auch aus Sicht der Leser steigt der Mehrwert, denn indirekte, werbefinanzierte
Erlösmodelle schränken stets die Entscheidung der Nutzer über die Art der produzierten
Inhalte ein: „Solange die Werbefinanzierung die dominierende Finanzierungsform für Online-Journalismus ist, droht prinzipiell eine Kluft zwischen Nutzerpräferenzen und den
realisierbaren Einnahmen“, schreibt Ökonom Stefan Kooth (vgl. Kooth (2009), S. 650). Mit
Bezahlinhalten dagegen wird den Nutzern eine stärkere Kontrolle darüber gegeben, dass
tatsächlich jene Inhalte produziert werden, die von ihnen auch nachgefragt werden. Denn
die höhere Wertschätzung resultiert in höheren Beiträgen pro Nutzer.
4.2 Voraussetzungen für Paid Content
Bevor im Kapitel 4.3 die einzelnen Geschäftsmodelle vorgestellt werden, sollen zunächst
aus Nutzersicht die Bedingungen erörtert werden, unter denen Paid Content realisiert
werden kann. Der zentrale Begriff ist hier jener der Zahlungsbereitschaft.
Zunächst hierzu ein paar eigene theoretische Überlegungen am Beispiel der AZ Medien
und im Anschluss daran die Auswertung empirischer Studien. Paid Content steht und fällt
mit der Zahlungsbereitschaft der Leser im Internet. Daran schliessen sich zwei Fragen an:
Für welche Inhalte ist der Onlineuser überhaupt bereit, Geld auszugeben und zu welchem
Preis? Die erste Frage ist eine publizitische, die zweite eine des Grenznutzens, wobei
letztlich beide ineinander spielen. Publizistisch ist die Frage eben insofern, als dass die
Zahlungsbereitschaft sich aus den journalistischen Inhalten ableitet. Und diese redaktio-
nellen Beiträge spiegeln jeweils die strategische Stossrichtung des Zeitungsverlags.
Zieht man das mission statement der AZ Medien zu Rate, nämlich ein Multimedia-Haus
„mit regionaler Verankerung und nationaler Ausstrahlung“ zu sein, dann beinhaltet dies
bereits eine inhaltlich qualitative Aussage. Die „regionale Verankerung“ ist indes zunächst
einmal aber ein quantitatives Faktum. Der az Medienverbund beherrscht im Verbreitungs-
gebiet Mittelland bzw. Nordwestschweiz den Markt. Die einzelnen Titel erreichen eine
Abdeckung zwischen 20 und bis über 40 Prozent. Zwar gibt es – je nach Marktgebiet
– lokale Konkurrenzblätter (von der Wettinger Post bis zur Sissacher Volksstimme), aber
im Stammland keinen vergleichbar potenten regionalen Mitbewerber.
Aus der Marktdominanz lässt sich damit auch ein qualitativ publizistisches Kriterium
ableiten, das dem az Medienverbund als Alleinstellungsmerkmal, als unique selling
proposition (USP) dient: die regionale Berichterstattung. Gerade dieses Alleinstellungs-
merkmal ist jedoch ein stets gefährdertes. Denn was regional ist, kann zuweilen national
und in der Regel auch von lokalen Blättern abgehandelt werden.
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 31
Sven Millischer
Mit anderen Worten: Der journalistische USP des az Medienverbunds ist nicht trennscharf
und muss stets aufs Neue erarbeitet werden. Gerade die (hyper-)lokalen Konkurrenten
können dabei strukturell bedingt in ihrer Berichterstattung sowohl mehr in die Tiefe als
auch in die Breite gehen. Auch ihre Lesernähe ist dementsprechend noch ausgeprägter.
Angesichts niederschwelliger Markteintrittsbarrieren im Internet bedeutet dies im Umkehr-
schluss, dass das az Netz als Paid Content-Anbieter regionale Inhalte liefern muss, die
sich nicht - ohne beträchtlichen Aufwand - durch Konkurrenzprodukte substituieren lassen
und einen hohen Alleinstellungscharakter besitzen. In diesem Zusammenhang wird häufig
auch von „exklusiven Inhalten“ gesprochen als zwingender Voraussetzung für erfolg-
reichen Paid Content. Doch diesen Befund gilt es zu relativieren.
So hat Medienökonomin Alexa F. Spreen herausgefunden, dass aus Sicht der Nutzer der
Aufwand zum Auffinden des Substitutprodukts einen höheren Einfluss auf die wahrge-
nommene Exklusivität von Inhalten hat, als die objektive Einzigartigkeit der Inhalte. (vgl.
Spreen (2009) S. 259) Plakativ gesprochen muss das az Netz im Ballungsraum Mittelland
zur ersten Anlaufstelle für regionale Nachrichten werden, um diese Zahlungsbereitschaft
aktivieren zu können. Die Kosten für das Auffinden einer gleichwertigen Alternative
müssen also höher sein als der Preis des digitalen Gutes.
Die Wahrnehmung der relativen Exklusivität hänge auch von den publizistischen Marken
ab, betont Spreen. Es ist deshalb zu begrüssen, dass die im Markt gut verankerten
Zeitungstitel des az Medienverbunds seit Herbst 2010 auch im Netz als Marken präsent
sind. Denn eine Studie der Boston Consulting Group15 (BCG) zeigt, dass Nutzer mit
einem starken Print-Hintergrund zugleich auch eine höhere Zahlungsbereitschaft für
Onlineinhalte haben. Diese höhere Zahlungsbereitschaft gilt es über Bündelangebote zu
mobilisieren.
Meyer-Lucht betont, dass Bündelangebote die „heterogen verteilten Zahlungs-
bereitschaften und Präferenzen der Nutzer aufnehmen und in grösseren Einheiten
stabilisieren“. (zitiert nach Meyer-Lucht (2011), S. 32). Dies resultiere in höheren
Durchschnittspreisen und besseren Absatzergebnissen. Denn im Gegensatz zum
Einzelverkauf sinkt für den Nutzer das Risiko einer Fehleinschätzung. Zudem bewahren
15 Die Untersuchung aus dem Jahre 2009. basiert auf Umfragen in neun Ländern mit insgesamt
5’000 Befragten. Vgl. http://www.bcg.com/media/PressReleaseDetails.aspx?id=tcm:12-35297
(18.5.12)
32 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
digitale Bündelangebote die Eigenschaften der Zeitung im Internet. Die redaktionelle
Auswahl der Inhalte spart dem Leser gegenüber der Push-Nutzung Zeit, indem er keine
Selektionspflichten zu leisten hat. Soweit zu den theoretischen Überlegungen.
Zur Zahlungsbereitschaft von Lesern für Paid Content finden sich auch zahlreiche
Studien. In der Mehrheit fallen diese ernüchternd aus. Deshalb gilt es die Aussage von
Medieninvestor Aaron Kushner voraus zu schicken: “Don’t survey, based on what people
say they would pay. No one expects to pay for news, so why would they answer
differently?” (zitiert nach CSJ (2011), S. 80). Kushner lehnt deshalb Umfragen nach der
Zahlungsbereitschaft grundsätzlich ab. Das sei der falsche, kostenbasierte Ansatz.
Vielmehr gehe es um den perceived value: Die Strategien der Preisgestaltung bei
digitalen Informationsgütern müssen also auf den subjektiven Wert aufbauen, den die
Leser dem journalistischen Inhalten beimessen und der liegt gemäss Kusher höher:
„Publishers have been undervaluing their product for too long“ (zitiert nach CSJ (2011),
S. 80).
Wie steht es nun empirisch gemessen um die Zahlungsbereitschaft? Die oben genannte
BCG-Studie kommt zum Schluss, dass 63 Prozent aller Befragten bereit sind, etwas für
Online-Journalismus zu bezahlen, wobei die durchschnittlichen monatlichen Beträge
schwanken zwischen 3 Dollar (USA, Australien) und 7 Dollar (Italien). Interessant ist
allerdings nun der Vergleich des Status quo mit der generellen Zahlungsbereitschaft in
der BCG-Studie.
Abbildung 8: BCG Multi Country Survey on Online Paid Content, November 2009
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90
Mehr als 10$ 5 bis 10$
1 bis 5$ Nichts
Wieviel geben Sie monatlich für Online-Abonnemente aus? Angaben in %
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 33
Sven Millischer
Abbildung 9: BCG Multi Country Survey on Online Paid Content, November 2009
Die beiden Abbildungen 7 und 8 zeigen, dass die Zahlungsbereitschaft noch nicht
vollständig ausgeschöpft ist. Denn diese liegt deutlich höher als die tatsächlich
entrichteten Beträge. Das Karlsruher Institut für Wirtschaftsforschung und Wirtschafts-
politik kommt in ihrer Untersuchung „Internetzahlungssysteme aus Sicht der
Verbraucher“16 aus dem Jahre 2008 zu ähnlichen Zahlen: Damals gaben 44 Prozent der
Befragten an, sie seien bereit, für digitale Güter einen angemessenen Preis zu zahlen. 29
Prozent hatten gemäss Studie immerhin schon einmal für Zeitungsinhalte oder
journalistische Angebote im Netz eine Gebühr entrichtet.
Zur Zahlungsbereitschaft der Schweizer Leserschaft im Internet ist – zumindest öffentlich
zugänglich – wenig bekannt. Die einzige verfügbare Untersuchung stammt von Thomas
Hutter, der 2011 im Rahmen seiner Lizentiatsarbeit 2'861 valide Fragebogen als adaptive
Conjoint-Analyse ausgewertet hat. Allerdings sind die Ergebnisse wenig aufschlussreich,
da die sich abzeichnenden Tendenzen kaum messrelevant sind. Der Erkenntnisgewinn
fällt entsprechend gering aus. Zu den Ergebnissen: Zwei Drittel der Befragten haben
bereits Erfahrung mit Paid Content gemacht. Wobei der durchschnittliche Paid Content-
Käufer tendenziell eher männlich und mittleren Alters ist. Auch zeichnet sich eine positive
Tendenz zwischen der Nutzungsintensität von Online-Medien und der Erfahrung mit Paid
Content ab.
„Die Resultate der Conjoint-Analyse lassen den Schluss zu, dass vor allem der
kostenpflichtige Inhalt selbst, sein Preis und das abrechnende Zahlungssystem ent-
scheidend die Zahlungsbereitschaft determinieren“ (zitiert nach Hutter (2011), S. 117).
Rund 70 Prozent der relativen Wichtigkeit beim Produktkauf entfallen auf diese drei
16 Vgl. http://www.ecc-handel.de/download/106240301/izv9_endbericht_v2.pdf (18.5.12)
0 10 20 30 40 50 60
Mehr als 15$ 11 bis 15$ 7 bis 10$
4 bis 6$ 1 bis 3$
Nichts
Wieviel wären Sie bereit zu zahlen für Onlinenews? Angaben in %
34 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
Eigenschaften, während der Darstellung des Angebots, der Benutzungsweise oder dem
Bezahlmodell beim Kauf kein grosser Einfluss zugesprochen wird. Zugleich betont Hutter
aber auch: „Viele Leute nutzen Online-Medien, weil es bequem und gratis ist. Dies
impliziert für die Paid Content-Forschung eine grundlegend geringe Zahlungsbereitschaft“
(zitiert nach Hutter (2011), S. 91). Die Bereitschaft der Nutzer, einen Wechsel von freiem
zu kostenpflichtigem Content mitzutragen, sei deshalb nur schwach ausgeprägt. Eine
simple Implementierung von Bezahlschranken stelle demzufolge keine vielversprechende
Option für Medienunternehmen dar. Vor allem Personen, die ein stark ausgeprägtes
Informationsbedürfnis haben, seien indes Paid Content gegenüber am positivisten
eingestellt. Auch diese Erkenntnis mag nicht weiter erstauen.
Auf die konkreten Angebote heruntergebrochen ist die Zahlungsbereitschaft dann am
höchsten, wenn Hintergrundinformationen geboten werden, „welche 2 Franken im
Abonnement kosten, nur aus Text und Bild aufgebaut sind, auf dem Computer genutzt
und mittels Rechnung abgerechnet werden kann“ (zitiert nach Hutter (2011), S. 118). Auf
Basis dieser Erkenntnisse gelangt Hutter schliesslich zum Schluss, dass zwar eine
Mehrheit für Online-Angebote nicht bezahlen möchte, aber zumindest die Chance
bestehe, „dass für spezifische Inhalte ein Preis verlangt werden kann, welcher auch
bezahlt wird“ (zitiert nach Hutter (2011), S. 119).
4.3 Paid Content-Bezahlstrategien im Überblick
Nachdem in den beiden vorigen Kapiteln erörtert wurde, welchen Nutzen sich die
Verlagsbranche von Paid Content erhofft und welche Vorbedingungen (insb. Zahlungs-
bereitschaft) gegeben sein müssen, sollen auf den folgenden Seiten nun die möglichen
Geschäftsmodelle veranschaulicht werden. Dabei handelt es sich zunächst um
theoretische Modelle, die in der Praxis häufig nicht trennscharf angewandt werden.
Nichtsdestotrotz soll jeweils zu jedem Modell kurz ein Praxisbeispiel einer
Zeitungswebsite vorgestellt werden. Dabei wird der Fokus auf die drei relevantesten
Modelle für die gegebene Fragestellung gelegt.
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 35
Sven Millischer
4.3.1 Die harte Paywall – das komplett geschlossene Angebot
Abbildung 10: Die Bezahlschranke auf www.thesundaytimes.co.uk (18.5.2012)
In der Regel ist beim komplett geschlossenen Angebot jeweils nur die Startseite für
jedermann frei einsehbar. Dies führt dazu, dass bei jedem Klick auf einen spezifischen
Artikel sogleich der Bezahlvorgang eingeleitet wird. Meist, indem der Nutzer sich zunächst
einmal registrieren muss. Eine harte Paywall setzt also voraus, dass dem Nutzer die
Qualität der Inhalte bereits bekannt ist. Die Inhalte müssen dieses implizite Leistungsver-
sprechen stets erfüllen können, ansonsten bleiben längerfritistig die Erträge aus. Nicht
zuletzt, weil die Gefahr von Substitutionseffekten latent ist.
Verfügen die Internet-Portale nicht über - in der Wahrnehmung der Leser - einzigartige
Inhalte, dann werden diese zwangsläufig auf kostenlose Portale ausweichen: „In
ländlichen Gebieten mit wenig publizistischen Online-Angeboten mag dies noch funktionieren. Doch tendenziell öffnet man potenziellen Konkurrenten Tür und Tor“ (zitiert
nach Meyer-Lucht (2011) S. 98). Gerade auch, weil – wie bereits angetönt – die Marktein-trittsbarrieren für Onlineangebote sehr tief sind. Informationsgüter per se sind im Netz
eben kein knappes Gut mehr. Eine solche Strategie birgt also beträchtliche Risiken. Denn
die harte Paywall stützt sich fast ausschliesslich auf den Lesermarkt ab, „da es am
stärksten in die potenzielle Reichweite eingreift“ (zitiert nach Meyer-Lucht (2011), S. 98). Denn wird die breite Masse der Gelegenheitsnutzer von den eigenen Inhalten ausge-
sperrt, droht automatisch ein Reichweitenverlust, was wiederum die Attraktivität der
Onlineinhalte auf dem Werbemarkt mindert.
36 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
Die harte Paywall zahlt sich jedoch dann aus, wenn die gesamte Medienbranche eines
Landes konzertiert die Bezahlschranken hochzieht. So geschehen in der Slowakei, wo
das Technologieunternhemen Piano Media17 zusammen mit den zehn führenden
Verlagshäusern im Mai 2011 eine nationale Paywall implementiert hat. Fortan haben die
Slowakinnen und Slowaken 4 Dollar im Monat zu entrichten, wenn sie auf den neun
angegliederten Webseiten – darunter grosse Tageszeitungs-Sites wie SME, Hospodárske
Noviny oder Pravda – sich informieren möchten. Der Verteilschlüssel für die Verlage
beruht auf den jeweiligen Nutzerzahlen. In 2012 hat Piano Media dasselbe Konzept in
Slowenien umgesetzt. Ein solcher Ansatz ist zumindest bedenkenswert. Es bleibt
allerdings die Frage offen, ob eine solche nationale Paywall in der Schweiz nicht gegen
das Wettbewerbsrecht verstossen würde.
Abgesehen von einer nationalen Bezahlschranke kommt bei einer harten Paywall auch
die Schwierigkeit auf, dass die Inhalte hinter der Paywall von den Suchmaschinen
gefunden werden müssen. Dies führt zuweilen dazu, dass Anbieter mit harten Paywalls
ausgewählte Teile ihres Inhalteangebots frei zugänglich halten. Auf dass die Suchma-
schinen ihre Internetportale indexieren. Hier ist sozusagen der Übergang zum nach-
folgenden Teilschranken-Modell Freemium (siehe Kapitel 4.3.2) fliessend.
Ein Beispiel hierfür ist die Böblinger Kreiszeitung18, deren Lokalnachrichten zwar allesamt
kostenpflichtig sind. Öffentlich zugänglich bleiben aber weiterhin die selbst produzierten
Bildergallerien und Videos. Dies, sozusagen als Tribut an die verkehrbringende Suchma-
schine Google. Häufig behelfen sich die Betreiber harter Paywalls auch mit Teasern, die –
den Suchmaschinen zugänglich gemacht – verlinkt werden. Dabei handelt es sich
zumeist um Überschriften und ein paar wenigen Zeilen Text. Medienökonom Meyer-Lucht
betont, dass diese „Landing-Pages“ nutzerfreundlich gestaltet sein müssen und den Leser
nicht bloss mit der harten Bezahlschranke konfrontieren dürfen (Vgl. Meyer-Lucht (2011), S. 98ff.).
Wohl die beiden berühmtesten Beispiele für eine harte Bezahlschranke sind die
Webausgaben der Sunday Times19 und der Londoner Times. Beide englischen Zeitungen
gehören zu News International, dem Konzern des australischen Medienmoguls Rupert
17 http://www.csmonitor.com/layout/set/print/content/view/print/465266 (18.5.2012) 18 vgl. http://www.bb-live.de/ (18.5.2012) 19 vgl. http://www.thesundaytimes.co.uk/ (18.5.2012)
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 37
Sven Millischer
Murdoch. Im Juni 2010 führten beide Zeitung eine harte Bezahlschranke auf alle Inhalte
im Netz ein. Bereits im Frühjahr desselben Jahres hatte die Times eine zwingende
Registrierung eingeführt, um die Leserschaft auf die geplante Bezahlschranke einzu-
stimmen. In dieser Vorphase sank der Online-Marktanteil von 4.3 auf 1.8 Prozent (vgl. WAN-IFRA (Sep. 2010), S. 183ff.). Dies nicht zuletzt deshalb, weil auch in Gross-
britannien der Suchmaschinenbetreiber Google der „top traffic driver“ für Zeitungswebsites ist. Wird also der direkte Zugriff auf einzelne Artikel durch einen Registrierungsvorgang
blockiert, dann weichen viele (Gelegenheits-)Nutzer aus. Bereits Mitte Juli – also bloss eineinhalb Monate nach dem Start der Paywall – hatte die Times beinahe 90 Prozent ihrer
Online-Leserschaft verloren. Dies, wenn man die Zahlen vom Februar als Vergleichsbasis nimmt.
Diesem Reichweitenverlust standen Mitte Juli 150'000 Leser gegenüber, die sich für das
Onlineportal registriert hatten. Und von denen waren damals gute zehn Prozent bereit, für
die Times-Inhalte zwei Pfund pro Woche zu bezahlen. Im Juni 2011 konnten die Times-
Blätter im Internet bereits rund 100'000 zahlende Abonennten verbuchen. Das tönt zwar
nach einem Achtungserfolg, aber eben nur bedingt. Zwar konnte der digitale Zuwachs den
Auflagenschwund im Print zunächst mehr als kompensieren. Aber der digitale Abopreis
von zwei Pfund pro Woche ist gegenüber dem Preis für die Printausgabe (8.70 £) sehr
viel tiefer. „So, on a gross basis the revenue lost would be £30.7m“, rechnet Dan
Sabbagh, der Kommentator20 des Print-Konkurrenten „The Guardian“ vor. Allerdings wird
hier nicht berücksichtigt, dass im Gegensatz zum Print die Druck- und Distributionskosten
für die Digitalabos obsolet werden. Insofern lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob
sich die harte Paywall der Times-Blätter nicht doch letztlich rechnet. Oder wie Guardian-
Kommentator Sabbagh schreibt: „The paywall is certainly not a failure, but nor is it
obviously a compelling must-follow success“. Denn die Zuwachsraten an Online-
Neuabonnenten schwanken. In den ersten vier Monaten nach dem Start konnte die Times
50'000 Abonnenten gewinnen. In der nachfolgenden, gleichen Zeitspanne waren es dann
nur noch 29'000. Die neusten Zahlen stammen vom Februar 2012 und zeigen, dass die
Times nun knapp 120'000 zahlende Abonnenten hat. Nimmt man die Gesamtzahl der
verkauften Ausgaben, zeigt sich, dass die digitalen Abos den Printrückgang über den
gesamten Zeitraum nur knapp kompensieren können.
20 vgl. http://www.guardian.co.uk/media/2011/jun/30/thetimes-sundaytimes (18.5.2012)
38 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
Abbildung 11: Digitalabos kompensieren Auflagenrückgang nur knapp. Vgl.
http://www.guardian.co.uk/media/2012/feb/23/times-digital-subscriptions-double-price
(18.5.2012)
4.3.2 Freemium – das Teilschranken-Modell
Im Gegensatz zur harten Paywall wird beim Freemium-Modell (vgl. Abb. 11) nur ein Teil
der journalistischen Inhalte kostenpflichtig gemacht. Dahinter steht die Überlegung, dass
mit den kostenlosen Inhalten weiterhin genügend Verkehr auf die Website gebracht wird,
was für den Werbemarkt ja entscheidend ist. Dies, solange die Anzeigenerlöse einen
wichtigen Deckungsbeitrag darstellen.
Gleichzeitig weist der Free-Content-Teil einen „showcase“-Faktor auf: Die Gratisangebote
verschaffen dem Leser die Möglichkeit, sich ein Bild von der Qualität der Inhalte zu
verschaffen, bevor er sich für Paid Content entscheidet. Worin also unterscheiden sich
nun die Premium-Inhalte? Es handelt sich oftmals um ausgewählte, speziell für das
digitale Medium gestaltete oder zusammengestellte Inhalte. Aber eben nicht nur.
0
100000
200000
300000
400000
500000
600000
Mrz
11
Apr
11
Mai
11
Jun
11
Jul 1
1
Aug
11
Sep
11
Okt
11
Nov
11
Dez
11
Jan
12
Times Print
Times Digital
Total Sales
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 39
Sven Millischer
Abbildung 12: Exklusive Inhalte sind kostenpflichtig auf www.wsj.com (25.5.2012)
Am besten lässt sich dies wohl am Beispiel des Wall Street Journal veranschaulichen.
Deren Internetangebot ist seit Beginn im Jahre 1996 zum Teil kostenplichtig. Etwa 30 bis
35 Prozent der Inhalte sind kostenpflichtig. Die Kritierien, ob ein Inhalt gratis oder
kostenpflichtig veröffentlicht wird, obliegt dabei der Redaktion: Man habe grossen Gestal-
tungsspielraum, sagt Alan Murray, Online Executive Editor bei WSJ und macht ein
Beispiel: „We can take a big story that will be a traffic driver. One of the reasons we can
do that is because what we’ve learned is the stuff that’s most popular and most valuable is
very different“ (zitiert nach WAN-IFRA (Jun 2010), S. 43). Diese Unterscheidung zwischen
dem, was populär ist, und dem was, sich monetarisieren lässt, scheint entscheidend zu
sein. Murray betont deshalb, dass Leser zwar gewisse Inhalte sehr wohl nachfragen
würden, aber auf wsj.com niemals dafür bereit wären zu bezahlen, weil sie diese Inhalte
auch anderswo angeboten bekämen: „Often, what’s most valuable is the least popular, so
it makes it possible to play both games, but still show the core business and finance stuff“
(zitiert nach WAN-IFRA (Jun 2010), S. 43).
So entscheidet letztlich immer der verantwortliche WSJ-Redakteur nach Kriterien wie
Exlusivität, Eigenständigkeit oder Nachfrage über die Wertigkeit eines Artikels. Einerseits
lässt sich diese persönliche Auswahl rechtfertigen, weil das Wall Street Journal eindeutige
und starke Kompetenzfelder (Finanz- und Wirtschaftsberichterstattung) hat und in diesen
Feldern auch exklusive Inhalte bieten kann. Andererseits zeigt sich beim Besuch der
Website aber, dass gerade die Unterscheidung, welche Artikel etwas kosten und welche
nicht, aus Lesersicht zuweilen willkürlich erscheint.
40 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
Die Trennung zwischen Basis- und Premium-Bündel „durch eine händisch eingezogene
Schranke“ (zitiert nach Meyer-Lucht (2011), S. 40) ist also nicht unproblematisch. Für die
klar positionierte Marke „Wall Street Journal“ scheint das Freemium-Modell indes zu
funktionieren: wsj.com hat eine Million Abonnenten und ist damit die führende Bezahlsite
weltweit21. Und mit zwei Millionen Printabonnenten ist das WSJ zugleich auch die grösste
Zeitung der Vereinigten Staaten. Interessant scheint in diesem Zusammenhang auch,
dass das Wall Street Journal im Gegensatz zu anderen Anbietern ihre Printleser extra fürs
Digitalabonnement bezahlen lässt. Eine klassische Upselling-Strategie also, welche die
Publikation aus dem Verlag Dow Jones & Company hier verfolgt. Ob allerdings das
renommierte US-Wirtschaftsblatt taugliches Anschaungsmaterial bietet für eine Schweizer
Regionalzeitung, darf bezweifelt werden. Dafür sind die Märkte und Zielgruppen schlicht
zu unterschiedlich.
Nebst der redaktionellen Gewichtung, welche Inhalte das Prädikat „Premium“ verdienen
und deshalb etwas kosten sollen, gibt es allerdings noch weitere Stellhebel, mit denen
sich die nötige Differenzierung zum Gratisangebot erzeugen liesse22. Der in Tokyo
lebende Schweizer Informationsdesigner Oliver Reichenstein, welcher schon zahlreiche
Zeitungswebsites neu konzipiert hat (u.a. tagesanzeiger.ch, krone.at oder zeit.de), plädiert
in einem Blogeintrag für „gleiche Information bei unterschiedlichem Erlebnis“.
Reichenstein schwebt eine „Business-Class-Version“ (Analogie zum Fluggeschäft) vor,
die fokussiert ist auf die Gestaltung des Inhalts. Wer zahle, bekomme keine „blinkende
und abstossende Werbung“, kein „unnötiges Rauschen“, sondern hochwertiges Bild-
material und erhöhte usability. Sowie „persönliche Dienstleistungen“ dank „qualifiziertem
journalistischem Personal“. Reichenstein wird zwar in diesem Blogeintrag nicht sehr viel
spezifischer als die oben genannten Schlagworte, aber die Idee, den „Premium“-Begriff
nicht bloss auf Inhaltsebene anzuwenden, sondern als Gesamtpaket zu denken, könnte
man zumindest in Erwägung ziehen. Um bei der Metapher der Business-Class in der
Fliegerei zu bleiben: Dort beschränkt sich das Angebot ja auch nicht nur auf besseren
Sitzkomfort und mehr Beinfreiheit, sondern umfasst das gesamte Flugerlebnis – vom
Check-In bis zur Landung. Eine solche kostenpflichtige „Komfortausgabe“ (vgl. Meyer-
Lucht (2011), S. 39ff.) könnte beispielsweise werbefrei und bequemer navigierbar sein.
21 Präsentation „Digital Media at Dow Jones“, 30. Aug 2011, Gail Griffin, General Manager
@Barron and Smartmoney.com 22 http://informationarchitects.ch/freemium-im-news-business/ (18.5.2012)
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 41
Sven Millischer
Auch weitergehende Funktionen sind denkbar wie ein „direkter Draht zur Redaktion“ oder
massgeschneiderte SMS- oder E-Mail-Benachrichtigungen zu spezifisch gewählten
Themen.
4.3.3 Metered Model – Bezahlschranken aufgrund des Nutzerverhaltens Im Gegensatz zum Freemium-Modell, wo redaktionell entschieden wird, welche Inhalte
gratis und welche kostenpflichtig sind, erfolgt beim Metered Model (vgl. Abb. 12) die
Preisdifferenzierung anhand des Nutzerverhaltens. Das journalistische Produkt wird
differenziert anhand der beiden Parameter Menge und Zeit. Das heisst: Pro Zeiteinheit –
in der Regel pro Monat – wird eine Höchstgrenze an Seitenaufrufen festgesetzt. Wird
diese Zahl überschritten, muss man für die Inhalte bezahlen. Dabei gibt es in der Regel
drei Abstufungen. Wer sich nicht registriert, erhält ein stark eingeschränktes Kontingent
an Artikeln. Die registrierten Leser erhalten etwas mehr Zugriff auf Inhalte und die
vollständige Artikelvielfalt bekommt, wer bezahlt.
Abbildung 13: Frontpage von nytimes.com (8.4.2012)
Damit wird also der Nutzermarkt automatisch entlang seiner Nutzungsintensität
segmentiert. Dies hat gleich mehrere Vorteile. Erstens fällt die „transaktionsintensive“ (vgl.
Meyer-Lucht (2011), S. 40ff.) Auswahl der kostenpflichtigen Inhalte durch die Redaktion
weg: Wertvoll ist, was vom Leser nachgefragt wird. Zweitens werden Rand- und Gelegen-
heitsnutzer durch die Einführung der Paywall kaum tangiert, indem das Metered Model ja
nur die Stammnutzer zur Kasse bittet. Damit können die Opportunitätskosten tief gehalten
werden: Theoretisch dürfte damit die Zahl der unique visitors kaum zurückgehen. Denn
42 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
wie bereits im Kapitel 3.5 ausgeführt, sorgen auf deutschen Regionalwebsites nur wenige
Stammnutzer für drei Viertel des Abrufvolumens. Deren Zahlungsbereitschaft abzu-
schöpfen, bildet die strategische Stossrichtung eines Metered Models.
Die wohl bekannteste Zeitungswebsite, die nach dem Metered Model arbeitet, ist jene der
New York Times. Im Januar 2010 hat das Rennomierblatt diesen erneuten strategischen
Shift angekündigt. Dies, nachdem die Zeitung über Jahre einen verlegerischen Zickzack-
kurs gefahren war. Mitte der Nullerjahre wurde die Website unter dem Label Times Select
praktisch vollständig kostenpflichtig gemacht, um nur zwei Jahre die NYT-Inhalte den
Lesern wieder kostenlos anzubieten.
Dies nur am Rande: Es ist bemerkenswert zu sehen, dass es selbst einem Weltblatt wie
der New York Times nicht gelungen ist, die Website aus Werbeerträgen selbsttragend zu
bewirtschaften: „Digital ads have been growing unevenly and don’t come close to making
up for the shortfall in print ad sales“, konstatiert eine Studie der Columbia School of
Journalism (zitiert nach CSJ (2011), S. 76). Die Einnahmen aus Online steuerten – vor
Einführung des Metered Models – bloss 20 Prozent zum Konzernumsatz bei. Die im
Dezember 2011 überraschend abgetretene NYT-Chefin Janet Robinson begründete den
Schritt zum Metered Model in einer Pressemitteilung zur Paywall-Einführung denn auch
wie folgt: „This process of rethinking our business model has also been driven by our
desire to achieve revenue diversity that will make us less susceptible to the inevitable
economic cycles.”23
Gestartet ist die NYT schliesslich im März 2011. Ein Jahr später weist die Website (inkl.
International Herald Tribune) gemäss eigenen Angaben24 rund 454'000 zahlende
Onlineabonnenten aus. Demgegenüber hatte die Printausgabe der NYT im September
2011 eine beglaubigte Auflage von 1.15 Mio. Exemplaren25. Die Paid Content-User haben
die Wahl zwischen drei Abovarianten, die zwischen 15 und 35 Dollar im Monat kosten. Je
nachdem, ob zum Websiten-Abonnement noch die Smartphone- oder iPad-App oder
23 vgl. http://phx.corporate-ir.net/phoenix.zhtml?c=105317&p=irol-
newsArticle&ID=1377114&highlight= (18.05.12) 24 Chozick, Amy: New York Times & Co tightening online access. In: International Herald Tribune
vom 21. März 2012. 25 http://accessabc.wordpress.com/2011/11/01/the-top-25-u-s-newspapers-from-september-2011-
fas-fax/ (18.5.2012)
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 43
Sven Millischer
beide hinzugewählt werden. Zum Vergleich: Ein reguläres Print-Monatsabo (7-Tage-
Woche) der NYT kostet für einen Bewohner Manhattans 48.40 Dollar. Der Preisunter-
schied ist also nicht immens, zumal die bestehenden Printabonnenten den Digitalservice
ohne Zusatzgebühren benutzen können. In der engen Preisspanne zwischen Online und
Print steckt sicher auch die Überlegung mit drin, dass damit ein Trade-off verhindert
werden soll. Also dass die Leser einfach ihr Printabo durch ein wesentlich günstigeres
digitales Abo ersetzen.
Zwei Bemerkungen zum NYT-Modell. Erstens: Die Zeitung hat – trotz Einführung der
Paywall – kaum an Reichweite im Online eingebüsst: Im Januar 2011 besuchten 48.463
Millionen die Page, im selben Monat 2012 waren es 47.944 Millionen. Dabei betont die
Times-Pressesprecherin im Journalismusblog poynter.org26, dass die Schwankungen in
der (monatlichen) Reichweite viel eher etwas mit dem Newsflow zu tun hätten als mit der
Paywall. Als Beispiel wird der Monat März 2011 angeführt, als mit dem Tsunami und der
Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima, die Newsnachfrage stark anstieg und die
NYT-Website auf 61.9 Millionen unique visitors kam. Welche Faktoren auch immer die
Anzahl unique visitors beeinflussen: Die aktuellen Zahlen deuten zumindest darauf hin,
dass das Metered Model den Spagat zwischen Reichweite und Aboerträgen zu erfüllen
vermag.
Zweitens: Knackpunkt beim Metered Model ist jedoch ganz offensichtlich, die passende
Zahl kostenloser Artikel zu finden, bevor die Bezahlschranken sich schliessen. Dies
zeigen gleich zwei Beispiele. So hat die New York Times im ersten Jahr nach Metered
Model zwanzig Artikel kostenlos zur Verfügung gestellt. Ab April 2012 wurde diese Zahl
auf zehn gesenkt. Dies um eine bessere Balance zwischen Abonnenten und Besuchern
zu haben. Indes rechnet die Times nicht damit, dass mit der Beschränkung ein grösserer
Reichweitenverlust einhergeht: “The number of non-subscribers who turn more than 10
pages but less than 20 is relatively small,” wird eine NYT-Pressesprecherin zitiert27.
Ähnliches ist vor Jahren bereits bei der Financial Times eingetreten (vgl. WAN-IFRA (Jun.
2009), S. 43ff.). Bis 2007 konnten Besucher, die sich nicht registriert hatten, dort zehn
Artikel kostenlos lesen. Und registrierte Besucher sogar bis zu 30. Die jetzige Regelung
26 http://www.poynter.org/latest-news/mediawire/160780/new-york-times-traffic-flat-since-paywall/
(18.5.2012) 27 Vgl. http://www.poynter.org/latest-news/mediawire/167147/changes-to-new-york-times-paywall/
(18.5.2012)
44 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
sieht nun vor, dass Nicht-Registrierte keine Artikel mehr kostenlos lesen können und
Registrierte nur deren zehn.
Dass die beiden renommierten Verlagsunternehmen ihre Schwellenwerte für die Bezahl-
schranke senken, ist kein Zufall. Press+28 ist ein branchenführendes US-Unternehmen,
das Medienhäusern beim Aufbau und Betrieb von Metered Paywalls unterstützt. Press+
hat die Nutzung bei seinen über 300 Kunden untersucht und herausgefunden, dass diese
anfänglich mit zu hohen Schwellenwerte operierten: „On average, Press+ Affiliates now
allow readers 14 page views for free each month. That average, however, has fallen and
continues to fall as publishers see no loss in ad revenue and reach only a small portion of
their audience (on average, less than 10%) with the higher meter settings they deploy at
launch.“
Etwas vereinfacht ausgedrückt: Die Leserschaft der Zeitungswebsites gliedert sich in zwei
Fraktionen. Die treuen, zahlungswilligen Stammleser, die auch bei höheren Schwellen-
werten in der Paywall hängen bleiben würden. Und die Mehrzahl der treulosen Rand-
nutzer, die von einem Angebot zum nächsten klicken und selbst bei niedrigen Schwellen-
werten die gesetzten Limiten nicht ausschöpfen würden. Dennoch empfiehlt Co-Gründer
Gordon Crovitz von Press+, zunächst mit einem hohen Schwellenwert zu starten: “We
counsel publishers to start with high meters, ensure that they retain online advertising and
online readership, then over time lower the meters to grow subscriptions more quickly“
(zitiert nach http://www.mypressplus.com/news/rr-donnelleys-press-reports-trends-
metered-news-sites (25.05.2012).
Obwohl die Schwellenwerte ihrer Kunden im Durchschnitt – wie oben angetönt – noch
deutlich höher sind, geht Press+ von einem Idealwert zwischen vier und neun Gratis-
artikeln aus. Gemäss Co-Gründer Steven Brill bleibt bei 20 Gratisartikeln vielleicht nur
etwa ein Prozent der Leserschaft „hängen“. Und von denen sei gerade mal jeder Fünfte
zahlungswillig. Brill plädiert deshalb für tiefere Schranken: „You’re not losing any revenue
if you’re affecting only 10 percent of your readers per month“ (zitiert nach
http://www.mypressplus.com/news/rr-donnelleys-press-reports-trends-metered-news-sites
(03.05.2012).
28 Vgl. http://www.mypressplus.com/ (18.5.2012)
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 45
Sven Millischer
Allerdings darf an dieser Stelle nicht vergessen werden, dass die Paywall keineswegs so
undurchdringbar ist wie sie auf den Blick erscheint. Gerade unter dem Netzwerk-Druck
von social media und im Bemühen darum, den Inhalt offen und zugänglich zu halten, um
Relevanz und Reichweite nicht zu verlieren, bietet das Metered Model der NYT viele
Schlupflöcher, um die genannten Schwellenwerte auszuhebeln (vgl. New Media Trends,
(April 2012), S. 9). Nutzer können – auch ohne zu zahlen – mehr als 10 Artikel lesen,
wenn sie über externe Links zugreifen. Beispielsweise über Facebook und Twitter. Der
Zugriff über Suchmaschinen wie Google oder Bing sieht jeweils weitere fünf kostenlose
Artikel pro Monat vor. Und selbst über den E-Mail-Newsletter der NYT lässt sich das
Kontingent der Artikel erweitern. Es bleibt also weiterhin eine Gratwanderung zwischen
offenem Community-Building und dem Schutz der Inhalte durch eine Paywall.
46 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
5 Best practice: Fragebogen zur Paid Content-Strategie
Zunächst zur Vorgehensweise. Die Umfrage basiert auf einem Fragebogen im PDF-
Format, den die Rezipienten rasch und ohne zusätzlichen Aufwand ausfüllen können.
Dieser umfasst zwölf Fragen (siehe Musterexemplar in Anhang A) und zielt darauf ab,
möglichst Eckwerte und Hintergründe der jeweiligen Paid Content-Strategie zu erfassen
und gleichzeitig die damit verbundenen Erfahrungen abzufragen.
Welche Zeitungsverlage wurden angeschrieben und weshalb? Fokussiert wurde bei der
Umfrage auf die Schweiz und Deutschland. Dies, zum einen aus zeitlichen Gründen: Eine
Umfrage in weiteren (europäischen) Ländern hätte den Rahmen gesprengt. Zum anderen
erhöht eine Fokussierung auf den deutschsprachigen Zeitungsraum auch die Vergleich-
barkeit der Ergebnisse. Die Auswahl der Schweizer Zeitungsverlage basiert dabei auf den
(persönlichen) Empfehlungen von Co-Referent Dr. Christoph Bauer. Die Auswahl an
deutschen Verlagen ist in Rücksprache mit Erik Staschöfsky vom Bund deutscher
Zeitungsverleger BDZV erfolgt. Dieser hat eine repräsentative Liste mit deutschen
Zeitungsverlagen angegeben, die auf jedwelche Paid Content-Modelle setzen. Anbei eine
Tabelle mit sämtlichen Zeitungen, die Anfang März 2012 angeschrieben wurden.
Tabelle 5: Überblick über den Rücklauf der Fragebogen
Publikation Print-Auflage Rücklauf Fragebogen
Hamburger Abendblatt 210 987 !
Tages-Anzeiger 195 618 "
Hannoversche Allgemeine 189 614 "
NZZ 132 670 !
Braunschweiger Zeitung 127 833 "
Berliner Morgenpost 124 454 !
Darmstädter Echo 49 689 !
Esslinger Zeitung 43 539 "
Bieler Tagblatt 24 471 "
Schaffhauser Nachrichten 22 228 !
Nürtinger Zeitung 21 253 "
Kreiszeitung Böblinger Bote 16 756 !
Böhme-Zeitung 11 191 "
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 47
Sven Millischer
Von dreizehn angefragten Zeitungen haben sechs den Fragebogen – zum Teil erst nach
mehrmaliger Aufforderung – beantwortet, was einer Rücklaufquote von 46 Prozent
entspricht. Soweit zur quantitativen Komponente. Erwartungsgemäss ist die Qualität der
Aussagen sehr unterschiedlich und reicht von rudimentären Kommentaren bis hin zu
substanziellen Statements. Angesichts dessen fallen die Unterkapitel zu den einzelnen
Beispielen unterschiedlich lang und unterschiedlich informativ aus. Auftakt bildet dabei
stets eine kurze Einführung zum Onlineauftritt, zur Art der Bezahlschranke und danach
solllen die einzelnen Aussagen der Verlage ausgewertet werden. Abschluss des Kapitels
bildet eine Zusammenfassung der Erkenntnisse zu den vorgestellten Best-Practice-
Beispielen.
5.1 Schaffhauser Nachrichten – shn.ch
Abbildung 14: Website von shn.ch (14.4.2012)
Die digitalen Inhalte der Schaffhauser Nachrichten sind komplett kostenpflichtig. Es
handelt sich also um eine harte Paywall. Die digitalen Inhalte stehen dabei einzig den
Abonnenten der Printausgabe zur Verfügung. Wer noch kein Printabonnent ist, hat die
Möglichkeit, das Onlineangebot während zweier Wochen kostenlos zu testen. Danach
muss der Leser ein Printabo abschliessen, um in den Genuss der digitalen Nachrichten
auf shn.ch zu kommen. Daneben bieten die Schaffhauser Nachrichten auch eine
kostenpflichtige Version auf dem iPad an, die in ihrer Funktionalität weitestgehend der
Zeitung entspricht (vgl. Tabelle 6). Die „harte Paywall“ der SNH existiert seit März 2011.
48 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
Die Schaffhauser Nachrichten sind damit die erste Schweizer Zeitung, die für ihre Inhalte
eine Bezahlschranke eingeführt haben.
Zur Auswertung des Fragebogens: Seit der Einführung der Bezahlschranke vor rund
einem Jahr ist die Zahl der visits und page impressions um „zirka 25 Prozent“ gesunken,
hat sich allerdings nun auf tieferem Niveau stabilisiert. Wobei die Schaffhauser
Nachrichten betonen: „Auf Werbeerträge hatte die Einführung keinen Einfluss, da die
shn.ch-Site reichweitenmässig eher ein Nischenprodukt ist für grosse Kampagnen.“
Während die (regionalen) Werbeerträge wohl gehalten werden konnten, hatte die
Einführung der Paywall durchaus positive Implikationen: „Bei den Erträgen von der
Nutzerseite konnten im ersten Jahr Zusatzerlöse generiert werden.“ Inwiefern diese
Zusatzerlöse allerdings zulasten einer Ertragserosion im Print gingen, wurde nicht
beantwortet. Es gibt zumindest Hinweise darauf, dass es teilweise zu einer
Kannibalisierung gekommen ist. Auf die Frage nach den Risiken von Paid Content-
Angeboten heisst es bei den Schaffhauser Nachrichten: „Wir bemerken einen Anstieg der
reinen Online-Abos (inkl. Zugang zum E-Paper) auf Kosten von (teureren) Printabos.“
Tabelle 6: Abonnementsangebote der Schaffhauser Zeitung im Vergleich
SN 1 Tag 1 Mt. 2 Mt. 3 Mt. 6 Mt. 12 Mt.
Online 2.20 Fr. 30 Fr. ! ! 165 Fr. 299 Fr.
Print (inkl. Internet)
! ! 33 Fr. (nur für Neuabonnenten)
109 Fr. ! 359 Fr.
Allerdings ist man überzeugt, dass sich Paid Content „in irgendeiner Form“ durchsetzen
wird „bei allen Qualitätsmedien, welche sich nicht auf eine Reichweitenstrategie
festlegen“. Vielmehr hofft man in der Munotstadt, dass damit komplexere und verfeinerte
Werbeangebote möglich werden: „Wer die optimalen Gefässe anbieten kann und dies
durch Nutzungszahlen belegen kann, wird kaum Ertragsminderungen erleben“.
Bis der Werbemarkt nachzieht, setzen die Schaffhauser Nachrichten im Online klar auf
eine Lesermarktstrategie, die auch „neue (mobile) Zielgruppen“ ansprechen sollen. Als
USP werden dabei die eigenen, regionalen Nachrichten verstanden: „Sämtliche Inhalte,
welche der Nutzer auf keinem anderen Medium oder Kanal in dieser Tiefe konsumieren
kann.“ Die regionale Ausrichtung und Abdeckung versteht man als „Erfolgsfaktor“.
Interessant ist, dass die Regionalzeitung auf die Frage nach dem Bezahlmodell sich für
Abo-Bündel wie Einzelartikel-Verkäufe ausspricht: „Der Nutzer erwartet einerseits
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 49
Sven Millischer
attraktive Abo-Pakete und -varianten, aber er will auch die Möglichkeit haben, einzelne
Artikel gezielt erwerben zu können. Deshalb werden sich beide Formen durchsetzen.“
Dies, obwohl die Schaffhauser Nachrichten heute eine ziemlich eingeschränkte Abo-
Auswahl für ihre Leserschaft anbietet. Auch die Preisgestaltung scheint bislang eher
darauf abzuzielen, Printabos zu schützen als konsequent neue Onlineabonnenten
ansprechen zu wollen.
5.2 Neue Zürcher Zeitung – nzz.ch
Abbildung 15: Frontpage von nzz.ch (14.4.12)
Dass nzz.ch hier aufgeführt wird, mag seltsam anmuten. Denn der Internetauftritt der
Zürcher Traditionszeitung ist bislang frei abrufbar. Allerdings liess die NZZ im November
2011 verlauten, man werde die digitalen Inhalten künftig kostenpflichtig machen.
Ursprünglich war dieser Schritt auf das 1. Quartal 2012 geplant gewesen. Nun heisst es,
dass die Bezahlschranke wohl erst im Herbst eingeführt werden wird29. Der NZZ-CEO
Polo Stäheli30 liess sich am 10. Januar an der 14. Dreikönigstagung der Schweizer
Verleger dahingehend verlauten, man wolle eine „metered paywall“ einführen:
Voraussichtlich zehn Artikel pro Monat würden gratis abrufbar sein, der 11. bis 20. Artikel
dürfte eine Anmeldung bedingen, ab dem 21. Artikel müsste ein Abonnement gelöst
29 Vgl.. http://www.tagesanzeiger.ch/wirtschaft/unternehmen-und-konjunktur/Another-Brick-in-the-
Paywall/story/13119282 (18.05.12) 30 Vgl. http://www.medieninstitut.ch/index.php?id=489 (18.05.12)
50 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
werden. Die „metered paywall“ werde bewusst porös, sprich durchlässig aufgebaut, sagte
Stäheli. „Gratiszugang über Social Media ist möglich.“ Es sei – zumindest anfänglich –
beabsichtigt, dass die Paywall der NZZ simpel zu umgehen sei. Diese Strategie habe sich
auch bei der New York Times bewährt, begründete Polo Stäheli den Schritt. Es gelte,
Paid Content und Reichweite in der Werbevermarktung gegenseitig zu optimieren.
Ansprechpartner für die Paid Content-Umfrage war Peter Hogenkamp, Leiter digitale
Medien bei der NZZ-Gruppe. Leider fallen dessen Fragebogen-Antworten äussert kurz
und wenig ergiebig aus, so dass in der Folge auch auf andere Quellen Bezug genommen
wird, in denen sich Hogenkamp zur Paid Content-Strategie der NZZ-Mediengruppe
geäussert hat. Zunächst einmal ist auffällig, dass Hogenkamp im Fragebogen betont, die
E-Paper-Downloads und -Abos würden „sehr stark wachsen“. Auch CEO Stäheli hat in
seinem Referat unterstrichen, dass die Nutzung des E-Papers erfreulich stark wachse.
Schaut man sich in dessen Präsentationsunterlagen die „gewichtete Triage in Nutzer-
typen“ (Traditionalist, Modernist, Optimierer) an, ist klar, dass die NZZ am meisten
Hoffnung auf die „Modernisten“ setzt. Es ist just jener Nutzertyp, der das „Live-Paper“
lesen soll. Also die „digitale Repräsentation der gedruckten Zeitung“ (angereichert um
interaktive Inhalte) auf Handy, Tablet oder gegebenenfalls am Bildschirm.
Man wisse zwar nicht, wie es um die Zahlungsbereitschaft der Leser bestellt sei, lässt
Hogenkamp wissen, aber: „Das E-Paper macht uns optimistisch“. So liess CEO Stäheli an
der Dreikönigstagung verlauten, man habe bei der NZZ rund 7'600 E-Paper-Abos
verbucht, wobei die Abrufraten übers gesamte 2011 sehr stark angestiegen seien.
Ein möglicher Schlüsselfaktor für den Erfolg des E-Papers dürfte in der Angebots-
vermarktung liegen, und zwar durch die geschickte Verknüpfung von Hard- und Software.
So bietet die NZZ ihr E-Paper zusammen mit einem iPad31 von Apple an. Die
Subventionierung der Hardware senkt zum einen die technologische Einstiegshürde bei
den (älteren) Lesern und erzeugt zum anderen einen zusätzlichen Anreiz, vom Print auf
die digitale Ausgabe umzusteigen. Denn: Der iPad ist ja mehr als nur eine Lesemaschine
für Zeitungen, sondern ein vollwertiger Allzweck-Rechner für unterwegs. Dieses
Vermarktungskonzept gilt es jedenfalls – im Rahmen einer möglichen Paywall-Einführung
– vertiefter anzuschauen.
31 Vgl. http://abo.nzz.ch/ipad (18.05.2012)
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 51
Sven Millischer
Nun möchte ich kurz Hogenkamps Paid Content-Position zusammentragen: “Die
Wahrnehmung der Leute gegenüber einer Paywall hat sich in den vergangenen Monaten
vom Negativen ins Positive geändert. Die Leute stehen einem Bezahlmodell jetzt viel
offener gegenüber als noch vor einem Jahr“, erklärt der Leiter digitale Medien NZZ im
Internet-Blog „Medienkritik-Schweiz“32 im Januar 2012. Etwas detaillierter äussert sich
Hogenkamp gegenüber dem Blog Medienspiegel33 im darauffolgenden Monat. So geht
der Digital-Medien-Leiter davon aus, dass der Umsatz mit Online-Werbung noch auf
Jahre hinaus die Paywall-Erträge übersteigen wird. Mit der Konsequenz, dass „der Traffic
sich möglichst gar nicht, und wenn, dann nur irrelevant für den Werbemarkt“ verringern
darf.
Hier zeigt sich, dass die NZZ – mit der angekündigten Wahl des Metered Models – im
Online weiterhin eine auf den Werbemarkt zielende Reichweiten-Strategie fahren möchte.
Dies, im Gegensatz zum ersten Beispiel, den Schaffhauser Nachrichten. Mit der
Gründung des NZZ-Netz34 strebt die Mediengruppe ja auch die gemeinsame Vermarktung
von nzz.ch, luzernerzeitung.ch und tagblatt.ch an, um als Content-Plattform auf dem
Werbemarkt durchschlagskräftiger positioniert zu sein.
Als Zielgruppe für die künftigen Online-Abos macht Hogenkamp in erster Linie (derzeitige
und ehemalige) Print-Abonnenten aus, wie er auf medienspiegel.ch ausführt: „Es ist,
meiner Meinung nach, deutlich wahrscheinlicher, einen ehemaligen Zeitungsabonnenten
für ein digitales Abo wiederzugewinnen, als einen Gelegenheitssurfer in einen zahlenden
Digital-Abonnenten zu konvertieren. Deswegen ja auch «metered»: Die meisten
Gelegenheitssurfer werden die Paywall nie zu Gesicht bekommen.“ Die Bezahlschranke
soll dabei plattformübergreifend wirksam sein: „Falsch ist es meiner Meinung nach, wie
die BILD es zeitweise gemacht hat, nach Ausgabegeräten zu differenzieren“, schreibt
Hogenkamp in einer Fragebogen-Antwort. Und auch beim Bezahlmodell wird die NZZ
auch künfig auf Bündel-Abo-Angebote setzen: „Ich glaube, mit Micropayments wird man
niemals auf gescheite Grössenordnungen kommen“.
32 Vgl. http://medienkritik-schweiz.ch/2012/01/nzz_paywall/ (18.5.2012) 33 Vgl. http://www.medienspiegel.ch/archives/003365.html#comment-6101/ (18.5.2012) 34 Vgl. http://netz.nzz.ch/ (12.5.2012)
52 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
Interessant in diesem Zusammenhang ist nun jene Modellrechnung, die Medienjournalist
Martin Hirz im Blog medienspiegel.ch angestellt hat. Dies, indem er die Verhältnisse der
NYT auf jene der NZZ übertragen hat.
Tabelle 7: Vergleich des möglichen Paywall-Potenzials; Quelle:
http://www.medienspiegel.ch/archives/003365.html#comment-6101/ (12.5.12)
NYTimes.com NZZ Online
Unique users pro Monat 33 Mio. 874 000
Bezahlte Online-Abos (1.1% der unique user) 390 000 9614
Abopreis pro Monat 17 $ 15 Fr.
Umsatz pro 4 Wochen 6.6 Mio. $ 0.14 Mio. Fr.
Umsatz pro Jahr 86.2 Mio. $ 1.87 Mio. Fr.
Hitz kommt zum Schluss, dass je nachdem, wie das Pricing ausfällt – zwischen 15 und 30
Franken pro Monat – die NZZ aus der Paywall einen jährlichen Zusatzumsatz von gut 2
bis 4 Millionen Franken generieren kann. Zum Vergleich: Der Ertrag aus den elektro-
nischen Medien im konsolidierten Geschäftsbereich „Neue Zürcher Zeitung“ betrug im
Geschäftsjahr 201135 gut 15 Millionen Franken (+4 Prozent), wobei der Umsatzanstieg
primär dem (konsequenter vermarkteten) Onlineportal NZZ-Netz zu zuschreiben ist.
Nimmt man die Zahlen von Hitz als Basis, könnten die Paywall-Erträge also künftig einen
substanziellen Ergebnisbeitrag zum Onlinegeschäft liefern. Im Verhältnis zum Anzeigen-
ertrag (ca. 85 Mio. Franken) und zum Verkaufserlös (ca. 75 Mio. Franken) im Print,
nehmen sich diese prognostizierten Paywall-Erträge allerdings weiterhin äusserst
bescheiden aus. Hogenkamps Aussage – „Wir müssen für hochwertige Inhalte Geld
verlangen. Sonst können wir künftig die Redaktionen nicht finanzieren“ – erscheint
angesichts dieser finanziellen Diskrepanzen als ein schwieriges Unterfangen.
35 Vgl. http://static.nzzmediengruppe.ch/1332765844/gb_nzz_2011.pdf (14.5.12)
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 53
Sven Millischer
5.3 Böblinger Kreiszeitung – bb-live.de
Abbildung 16: Frontpage von bb-live.de (14.4.2012)
Im Gegensatz zum Zürcher Weltblatt NZZ ist die Böblinger Kreiszeitung eine klassische
Lokalzeitung mit einer Auflage von knapp 17'000 Exemplaren. Die in Böblingen
erscheinende Tageszeitung, die mit Wilhelm Schlecht GmbH & Co. einem eigenständigen
Verlag gehört, deckt mit ihrem Lokalteil den gesamten, gleichnamigen Landkreis ab. Der
überregionale Mantelteil wird dagegen vom Partner, den Stuttgarter Nachrichten,
eingekauft. Die Böblinger Kreiszeitung setzt im Online auf ein Freemium-Modell: Lokale
Inhalte sind per se kostenpflichtig, während die überregionalen und internationalen Inhalte
– Quelle ist die Nachrichtenagentur dpa – nachwievor frei verfügbar sind.
Für Printabonnenten ist der Zugang zu den digitalen Inhalten auf der Website bb-live.de
nach der vorgängigen Anmeldung kostenlos. Wer dagegen kein bestehendes Printabo
hat, kann ein monatliches Onlineabonnement abschliessen. Dieses Abo kostet 15 Euro
pro Monat und erlaubt neben dem Zugang zu den Lokalartikeln auf der Website auch den
Abruf der digitalen E-Paper-Ausgabe der Kreiszeitung als PDF. Damit ist das Onlineabo
fast halb so teuer wie die gedruckte Ausgabe, die als monatliches Vollabo 28,30 Euro
kostet. Neben dem digitalen Abo-Bündel bietet der Verlag auch ein Micropayment-Modell
an, das die Nutzung der Website zeitlich limitiert: 100 Minuten bb-live.de für 25 Euro-
cents, wobei alle eingestellten Artikel innerhalb der bezahlten Nutzungsdauer über das
elektronische Archiv recherchierbar sind.
54 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
Wie sind nun die bisherigen Erfahrung von Verleger Paul-Matthias Schlecht, der die
Zeitung in fünfter Familiengeneration herausgibt, mit der Bezahlschranke im Netz? „Paid
Content verhindert die Platzierung bei Suchmaschinen – insbesondere bei Google – auch
für Free Content und gefährdet die Erträge aus der Onlinewerbung“. Und dies hatte für die
Kreiszeitung Konsequenzen: „Die Display-Vermarktung im Tausend-Kontakt-Preis36 hat
sich reduziert“. Mit anderen Worten: bb-live.de musste aufgrund der Bezahlschranke
Einbussen bei den Werbeeinnahmen hinnehmen.
Überraschend ist nun, dass Schlecht dem Paid Content-Angeboten in den nächsten
Jahren dennoch keine wirtschaftliche Bedeutung beimisst. Höchstens noch, um
„Printprodukte zu schützen“. Dies auch vor dem Hintergrund, dass der Lokalverleger die
Leserschaft als „sehr wählerisch“ und „sehr kritisch“ einschätzt: Maximal 25 Prozent seien
überhaupt in irgendeiner Form zahlungsbereit. Angesichts dieser Aussagen stellt sich
jedoch die Frage, was der Kreiszeitung die Einführung eines Freemium-Modells
überhaupt gebracht hat – ausser die regionalen Inhalte für die Printabonnenten
wahrnehmbar zu schützen und so ihr Print-Abo gegenüber der digitalen Nutzung zu
legitimieren.
36 Der Begriff „Tausend-Kontakt-Preis“ stammt aus der Mediaplanung und gibt an, welche Summe
eingesetzt werden muss, um 1000 Personen einer Zielgruppe per Sichtkontakt zu erreichen.
Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Tausend-Kontakt-Preis (20.5.12)
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 55
Sven Millischer
5.4 Darmstädter Echo – echo-online.de
Abbildung 17: Frontpage von echo-online.de (14.4.12)
Echo-online.de ist das Internetportal des Darmstädter Echos. Die Regionalzeitung hat
eine Auflage von knapp 50'000 und deckt die Stadt und den Landkreis Darmstadt-Dieburg
ab. Das Echo gehört zum Medienhaus Südhessen, einem eigenständigen Verlag in
Familienbesitz. Wobei das Medienhaus Südhessen noch weitere regionale Echo-
Publikationen (Rüsselsheimer, Gross-Gerauer, Odenwälder, Starkenburger, Ried Echo)
herausgibt. Im letzten Dezember nun hat Echo-Online, das Internetportal des
Medienhauses Südhessen, eine Bezahlschranke für lokale und regionale Inhalte
eingeführt. Dies, unter dem Titel „Echo Online“-Premium. Es handelt sich dabei um ein
Metered Model, das zwischen Gelegenheitsnutzern und regelmässigen Lesern
unterscheidet. Das Modell sei dabei zweistufig ausgelegt, führt Multimedia-Leiterin Livia
Burkhardt aus: „Jeder Nutzer bekommt eine bestimmte Zahl an Artikeln (derzeit 3) pro
Monat kostenfrei. Die Wiedererkennung erfolgt über ein Flash-Cookie. Nach der
Registrierung bekommt er eine bestimmte Anzahl weiterer Artikel (derzeit 10) pro Monat
kostenfrei.“ Wer mehr Artikel im Web lesen möchte, muss zahlen. Das Online-Premium-
Abonnement kostet 8,90 Euro pro Monat. Dieses umfasst nur die Langfassungen der
Mehrzahl regionaler und lokaler Zeitungsbeiträge. Ein einzelner Regio-Artikel der Website
kostet 0,79 Eurocents.
Zum Vergleich: Das Darmstädter Echo kostet in der Printausgabe 31.90 Euro pro Monat.
Darin enthalten ist auch der Premium-Zugriff auf die Website sowie die Nutzung der
56 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
elektronischen Zeitungsausgabe. Das E-Paper ist aber auch als gesondertes
Abonnement erhältlich. Zukünfig soll es ebenfalls kostenpflichtige App-Versionen für
Tablet-Computer und Smartphones geben. Die elekronische Ausgabe der gedruckten
Version kostet 18.90 Euro pro Monat. Auch ein Einzelkauf (1.70 Euro pro Ausgabe) ist per
Handy oder Paypal möglich.
Schaut man sich das Preismodell der Echo-Publikationen an, so fällt auf, wie differenziert
das Angebot des Regionalzeitungsverbunds ist. Wobei gerade der einzelne Artikel mit
0.79 Eurocents wenig attraktiv bepreist scheint. Im Vergleich zur 80-seitigen Digitalaus-
gabe für 1.70 Euro. Dies, wohl vor allem auch aufgrund der hohen Transaktionskosten,
die bei Micropay-Modellen entstehen.
Welches Fazit zieht Multimedia-Leiterin Livia Burkhardt nun seit der Einführung der
Paywall? „Durch den Einsatz des Metered Model hat die Reichweite keinen Schaden
genommen. Allerdings sind die erzielten Erlöse noch verhältnismässig gering.“ Denn die
Zahl der zahlenden Nutzer sei „noch gering“ und die „Preissensibilität hoch“. Dement-
sprechend misst sie Paid Content in den nächsten Jahren noch eine „geringe“ wirtschaft-
liche Bedeutung bei. Chancen sieht Burkhardt darin, dass mit Paid Content die „Wertigkeit
der Inhalte“ unterstrichen werde. Ein Risko bestehe darin, dass man Nutzer an kostenlose
Angebote verliere. Auf die Frage, welche Inhalte sich überhaupt monetarisieren lassen,
fällt die Antwort auch hier eindeutig aus: „Regionale Artikel“. Entsprechend wird das über-
regionale Angebot auch auf echo-online.de durch dpa-Agenturmeldungen bestritten.
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 57
Sven Millischer
5.5 Axel Springer – Hamburger Abendblatt, Berliner Morgenpost
Abbildung 18: Frontpage von morgenpost.de (18.5.12)
Eigentlich wurden die Redaktionen der beiden Tageszeitungen „Berliner Morgenpost“ und
„Hamburger Abendblatt“ separat voneinander angeschrieben. Aber weil beide
Publikationen zum Axel-Springer-Verlag gehören, antwortete schliesslich die Pressestelle
des deutschen Medienkonzerns. Insofern gelten die nachfolgenden Aussagen der
Pressestelle für beide Tageszeitungen. „Berliner Morgenpost“ (124'454 Auflage) wie
„Hamburger Abendblatt“ (210'987 Auflage) sind beides renommierte, traditionsreiche
Stadtzeitungen mit zum Teil überregionaler Strahlkraft. Allerdings unterscheidet sich die
Wettbewerbssituationen in den beiden deutschen Grossstädten stark vonaneinder. Sieht
man einmal von der Boulevardzeitung „Hamburger Morgenpost“ ab, ist das „Abendblatt“
praktisch konkurrenzlos in der Hansestadt. Demgegenüber ist der Markt in Berlin äusserst
hart umkämpft. In keiner anderen deutschen Stadt erscheinen mehr Tageszeitungen
(Berliner Zeitung, Berliner Kurier, die tageszeitung, Welt, Tagesspiegel – um nur einige
wichtige Titel zu nennen). Soweit zur unterschiedlichen wettbewerblichen Ausgangslage,
die sich – wie zu sehen sein wird – letztlich auch im Paid Content-Angebot widerspiegelt.
Bereits Ende 2009 hat sich der Axel-Springer-Verlag entschlossen, die lokalen, regionalen
Inhalte sowie den Sport-Teil der beiden Stadtzeitungen im Internet kostenpflichtig zu
machen. Das nationale und internationale Geschehen wird weiterhin kostenlos mit
Agenturmeldungen der deutschen Presseagentur abgedeckt. Dies bedeutet: Wer als
Leser auf abendblatt.de oder morgenpost.de klickt, sieht sich jeweils mit einem
Freemium-Angebot konfrontiert. Dessen Ausgestaltung ist bei den beiden Zeitungen
58 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
allerdings sehr unterschiedlich umgesetzt. Dies, obwohl der visuelle Webauftritt (u.a.
Rubrizierung, Frontpage, Logo) praktisch identisch ist.
So fällt auf, dass das „Hamburger Abendblatt“ die Bezahlschranke relativ agressiv
bewirbt. Sämtliche kostenpflichtigen Artikel sind mit einem orangen Euro-Zeichen
versehen und es ist dies - im Rahmen von Stichproben - die überwiegende Mehrheit:
Etwa jeweils 75 Prozent aller Artikel auf der abendblatt.de-Frontpage. Demgegenüber
wirkt das Angebot der „Berliner Morgenpost“ auf der Startseite zunächst einmal kostenfrei.
Das orange Euro-Zeichen oder sonstige Hinweise auf Paid Content fehlen. Auch die
Titelgeschichte auf der Frontpage lässt sich kostenlos lesen. Wer allerdings auf lokale
oder regionale „Berlin“-Geschichten klickt, der trifft als potenzieller Leser auf die
Bezahlschranke und wird zum Zahlungsvorgang aufgefordert.
Interessant ist nun zu sehen, dass sich nicht nur die Paid Content-Umsetzung unter-
scheidet, sondern auch die Preisgestaltung. Die „Berliner Morgenpost“ ist über alle
Abonnementskategorien hinweg jeweils zwischen 20 und 25 Prozent günstiger als das
„Hamburger Abendblatt“, während dieses mit einem 6-Monats-Abonnement als
zusätzliches Angebot aufwartet. Für Leser, die über ein Print-Abonnement verfügen, ist
der Zugang zu den digitalen Inhalten (sowie auch dem E-Paper und den Smartphone-
/Tablet-Apps) bereits im Abopreis inkludiert.
Tabelle 8: Vergleich der Abo-Gestaltung zwischen morgenpost.de und abendblatt.de
Abonnementstyp 1 Tag 1 Monat 6 Monate 12 Monate 24 Monate
Berliner
Morgenpost 0,90 ! 5,95 ! mtl. ! 4,95 ! mtl. 3,95 ! mtl.
Hamburger
Abendblatt 1,20 ! 7,95 ! mtl. 6,95 ! mtl. 5,95 ! mtl. 4,95 ! mtl.
Das unterschiedliche Pricing wiederspiegelt letztlich also die oben bereits geschilderte
unterschiedliche Wettbewerbssituation der beiden Stadtzeitung. Woraus folgt: Je
substituierbarer die Inhalte sind, desto tiefer muss der Preis angesetzt werden. Zumal
auch die Nutzungszahlen für morgenpost.de geringer ausfallen (siehe unten). Denn in
einer Stadt wie Berlin, wo auch auf lokaler Ebene das publizistische Angebot sehr breit ist,
weichen die Onlineleser eher auf kostenfreie Alternativen aus wie berliner-zeitung.de oder
tagesspiegel.de. Soweit zur allgemeinen Angebotsbetrachtung.
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 59
Sven Millischer
Welche Auswirkungen hatte nun die Einführung der Bezahlschranke Ende 2009 auf die
Netz-Reichweite der beiden Publikationen? Hierzu die Zahlen einzelner Besucher (unique
visits, vgl. Abb. 19 und 20) für die beiden Websites, wie sie die Informationsgemeinschaft
zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. monatlich im Internet publiziert.
Abbildung 19: morgenpost.de, Anzahl visits zwischen 03/10 und 03/12 – Quelle: ivw.de
(18.5.2012)
Abbildung 20: abendblatt.de, Anzahl visits zwischen 03/10 und 03/12 – Quelle. ivw.de
(18.5.2012)
Leider liegen die Nutzerzahlen erst ab März 2010 vor. Dennoch zeigen die beiden
Grafiken, dass nach Einführung der Bezahlschranke Ende 2009 eine kurze, etwa sechs-
monatige Schwächephase einsetzte. Seither sind die „unique visits“ – zum Teil mit
erheblichen Schwankungen37 – im Steigen begriffen. In den letzten zwei Jahren konnte
37 Ein Onlinemedien-Nutzungsphänomen war im 2011 der Fukushima-Effekt. Die Ereignisse rund
um die Reaktorkatastrophe in Japan führten zu einem sprunghaften Anstieg der Besucher im März
2011, die sich über den aktuellen Fortgang des Geschehens informieren wollten. Im Folgemonat
60 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
die „Berliner Morgenpost“ die Zahl ihrer unique visits von monatlich 2.5 Millionen auf mehr
als 6.5 Millionen fast verdreifachen. Und das „Hamburger Abendblatt“ steigerte seine
Nutzung von 6 Millionen auf über 11 Millionen monatlich, was praktisch einer
Verdoppelung gleichkommt. Entsprechend zufrieden zeigt sich der Axel-Springer-Verlag
in seiner Umfrageantwort: „Die Einführung von Bezahlmodellen bei den regionalen
Websites führte zu keinen Reichweitenverlusten, im Gegenteil – sowohl „Hamburger
Abendblatt“ als auch „Berliner Morgenpost“ wachsen im Traffic konstant weiter und sind
jeweils Marktführer in ihrer Region“ .
Man sehe derzeit nur Chancen im Zusammenhang mit Bezahlmodellen, indem man eine
weitere Ertragssäule im digitalen Geschäft etabliere, die der Erhaltung und Steigerung
journalistischer Unabhängigkeit und Qualität dienen werde. Denn: „Eine ausschliessliche
Refinanzierung über Online-Werbung wird aller Voraussicht nach dafür nicht ausreichend
sein.“ Risiken wie „Rückgang der Werbung oder Ausschluss von nicht zahlenden Leser
von der medialen Teilhabe“ sehe man im Paid Content nicht, „da unsere Überlegungen
nicht in Richtung von harten Paywalls, sondern intelligenter Abomodelle gehen.“ Es gehe
künftig bei Axel Springer darum, Abomodelle für Marken zu etablieren, und zwar über die
einzelnen Kanäle hinweg: „Die Kunden entscheiden sich für den Bezug der Marke und
haben dann Zugriff auf Print – je nach gewähltem Abo – sowie alle digitalen Produkte“.
Dieser crossmediale Ansatz scheint interessant, denn er bietet genau jenes „Upselling-
Potenzial“ für bestehende Printabonnenenten.
Dies ist allerdings nur möglich, wenn die starke Zeitungsmarke auch im Online publi-
zistisch überzeugen kann. Entsprechend betont der deutsche Grossverlag: „Ein kosten-
pflichtiges redaktionelles Angebot muss auf den ersten Blick erfassbare Mehrwerte für
Leser bieten.“ Die Zahlungsbereitschaft hänge immer von der Attraktivität der Produkte
ab. Leser würden „gut recherchierte, zum Teil exklusive Geschichten“ erwarten, aber auch
„Multimedia-Inhalte“ sowie „Möglichkeiten zur Interaktion zwischen Lesern und
Redaktion“. Was bedeutet dies nun bezogen auf die publizistische Angebotsgestaltung?
„Es ist schwierig, reine News mit einem Preis zu versehen, wenn diese aus diversen,
zunehmend nicht-journalistischen Quellen wie Social Networks kostenfrei zu beziehen
sind. Wohl aber gibt es einen grossen Bedarf an Hintergründen, Einordnung und
redaktioneller Bewertung von Geschehenem, angereichert mit korrespondierenden
Services, Multimediainhalten, Leserdiskussionen“.
kam es zu einem Nutungseinbruch: Der mediale Sättigungsgrad war wohl erreicht.
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 61
Sven Millischer
Nebst diesen inhaltlichen Erfolgsfaktoren sei aber auch das Bezahlsystem entscheidend,
„welches den schnellen Kauf ohne umständliche Registrierung ermöglichen muss“.
Konkret bedeutet dies für den Zahlungsprozess: „Die Kunden werden nicht bereit sein,
sich perspektivisch bei Dutzenden von Login-/Payment-Diensten anzumelden. Hier wird
es eine Konsolidierung geben müssen“. Wobei gerade für Webangebote die proprietäre
Welt der Smartphones und Tablet-PCs als Vorbild dienen könnte. Denn die Zahlungs-
bereitschaft für iPhone- und iPad-Apps sei bereits heute „sehr hoch“: „Bei Smartphones
und Tablets sehen wir jetzt schon die Bereitschaft der Nutzer, journalistische Apps zu
kaufen – diese wollen wir ebenfalls im stationären Web etablieren.“ Hier gilt es anzu-
merken, dass Apple seit geraumer Zeit versucht, in ihren Betriebssystemen die App-Welt
auf den Desktop-Computer zu bringen. Unter anderem mit der Einführung eines App-
Store38, mit dem sich kostenpflichtige Tools und Inhalte direkt auf den Rechner laden
lassen.
Hervorzugeben ist auch, dass Axel Springer für seine einzelnen Verlagsprodukte keine
„Patentlösung“ vorsieht, sondern – wie am Beispiel der beiden Stadtzeitungen gezeigt –
die Paid Content-Massnahmen jeweils massschneidert: „Für die unterschiedlichen
inhaltlichen Angebote kann es aus unserer Sicht nicht eine „one size fits all“-Lösung
geben. Jedes Angebot wird unterschiedlich intensiv von unterschiedlichen Nutzergruppen
nachgefragt. Unser Ziel ist es also, für die verschiedenen unterschiedlichen Nutzer-
gruppen passgenaue Bezahlmodelle anzubieten. Dies können Freemium-Modelle
genauso sein wie Club-Modelle oder zeitabhängige Szenarien.“
5.6 Konklusion aus den Best Practice-Beispielen
Welche Erkenntnisse lassen sich nun aus den Best-Practice-Beispielen ziehen?
Erstens: Bezahlschranken kosten Reichweite39. Mit Ausnahme des Echo „Metered
Models“ mussten bei der Paid Content-Einführung alle vorgestellten Beispiele – z.T.
kurzfristige – Einbussen in der Reichweite hinnehmen. Wie das Beispiel der beiden Axel-
38 http://www.apple.com/de/mac/app-store/ (20.05.12) 39 Der amerikanischen Branchenexperte Ken Doctor geht davon aus, dass die Paywall-Einführung
im Durchschnitt zwischen 10 und 15 Prozent an Pageviews „kostet“. Allerdings zeige sich, dass
dieser Einbruch i.d.R. temporär ist und mehr als ausgeglichen wird durch höhere
Abonnementseinnahmen. Vgl. http://www.niemanlab.org/2012/03/the-newsonomics-of-paywalls-all-
over-the-world/ (20.5.12)
62 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
Springer-Zeitungen zeigt, können diese Verluste wieder aufgefangen werden, aber sie
stellen sich mit Sicherheit ein.
Zweitens: Wer auf Paid Content setzt, braucht einen langen Atem. Auf Bezahlschranken
als künftige Ertragssäulen zu setzen, ist ein langfristiger Entscheid von strategischer Trag-
weite. Den substanziellen Investitionen (Paymentsystem, technische Implementation,
redaktionelle Anpassungen, Ausbau der Verlagsservices etc.) steht anfänglich ein
Ergebnisbeitrag gegebenüber, der – nach Ansicht der befragten Verlagshäuser – noch
über Jahre hinaus im Vergleich zu den Werbeeinnahmen gering ausfallen dürfte. Aller-
dings darf in diesem Zusammenhang die positive Rückkopplung nicht ausser Acht
gelassen werden. Mit anderen Worten: Je mehr Verlagshäuser ihre journalistischen
Angebote im Netz kostenpflichtig machen, desto geringer fällt der Substitutionseffekt aus
und desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass Leser ihr Informationsbedürfnis gegen
Bezahlung zu stillen bereit sind. Slowenien und die Slowakei haben es vorgemacht (Vgl.
Kapitel 4.3.1).
Drittens: Bezahlt wird nur, was es anderswo im Netz nicht gratis gibt. Dies bedeutet, dass
sich nur journalistische Kernkompetenzen monetarisieren lassen. Was ist unser USP?
Diese zentrale Frage muss jeder Zeitungsverlag zunächst für sich beantwortet haben. Im
Falle der Best-practice-Beispiele lautet die Antwort meistens: Lokale oder regionale
Inhalte. Wobei in den Antworten auch immer wieder von „Exklusivität“ die Rede ist. Doch
Exklusivität ist in diesem Zusammenhang nicht zwangsläufig mit Herrschaftswissen gleich
zu setzen. Also einem singulären Wissensvorsprung, den der Leser der Zeitung X
gegenüber anderen Publikationen erhält. Vielmehr bedeutet Exklusivität gerade im lokalen
oder regionalen Kontext, dass überhaupt eine Öffentlichkeit für gewisse Themen
hergestellt wird. Zum Beispiel: Dass Vereine eine Plattform erhalten oder dass
Gemeinden ihre Amtsnachrichten verbreitet und debattiert sehen.
Viertens: Bezahlschranken dürfen kein Hindernis darstellen. Nur Verlage, die einfache
und unkomplizierte Bezahlsysteme anbieten, erschliessen sich mit Paid Content tatsäch-
lich eine neue Ertragssäule. Jeder unnötige Klick mehr unterminiert die Zahlungsbereit-
schaft.
Fünftens: Paid Content gehört möglichst auf allen Ausgabekanälen umgesetzt. Dies,
trotz zum Teil hoher Transaktionskosten und gesteigerter Komplexität für den Verlag.
Doch angesichts der (noch) schmalen Ertragsbasis, gilt es den Leser auf jenen
Ausgabekanälen abzuholen, wo er letztlich bereit ist, für journalistische Inhalte zu zahlen.
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 63
Sven Millischer
Insofern auch, als dass die Erfahrungen der Verlage zum Teil sehr unterschiedlich
ausfallen: Während beispielsweise Axel Springer die hohe Zahlungsbereitschaft für
iPhone- und iPad-Apps unterstreicht, scheint man bei der NZZ Erfolg mit dem E-Paper zu
haben.
Sechstens: Die Preisgestaltung ist gezielt den Marktverhältnissen anzupassen. Bei
manchen der Best Practice-Beispiele bemisst sich das Pricing nur bedingt an klassischen
Kriterien wie einem kostenbasierten oder nachfrageorientierten Ansatz. Gerade bei den
Klein- und Kleinstverlage (z.B. Schaffhauser Nachrichten oder Böblinger Kreiszeitung)
geht es vielmehr darum, das bestehende Printangebot zu schützen und dessen perceived
value zu bewahren. Das eigentliche Online-Angebot scheint hierbei nur sekundär zu sein,
was zumindest auf die Zukunft hin gedacht fragwürdig erscheint. Demgegenüber
gestalten grosse Verlagshäuser wie Axel Springer ihre Angebote sehr differenziert und
passen diese den jeweiligen Marktverhältnissen an. Dies, um die Kaufkraft in der
jeweiligen Region bestmöglichst abzuschöpfen. Und gleichzeitig der Wettbewerbssituation
Rechnung zu tragen.
6 Paid Content-Strategie – az Projekt „Omni"
Zunächst werden in Kapitel 6.1 einzelne Aspekte aus den bisherigen Ergebnissen der
Projektgruppe „Omni“ referiert und kritisch analysiert. In Kapitel 6.2 sollen daraus konkrete
Handlungsempfehlungen abgeleitet werden. Deren Basis bilden die im Rahmen dieser
Arbeit gewonnen Erkenntnisse, insbesondere jene aus Kapitel 5. Dabei werden die
handlungsleitenden Fragen, wie ich sie bereits in Kapitel 1.1 und 1.3 ausgeführt habe,
beantwortet. Kapitel 6.3 schliesslich bildet den Ausblick und soll mögliche weiterführende
Ansätze aufzeigen.
Die Projektgruppe „Omni“ erarbeitet im laufenden Jahr innerhalb der AZ Medien eine
Paid Content-Strategie. Gemäss der Kick-Off-Präsentation, die Ende 2011 erfolgte, sollen
mit dem zu prüfenden Paid Content-Modell – unter anderem – folgende Ziele erreicht
werden:
! Steigerung Nutzermarktumsatz ! Finanzierung digitaler Medienangebote ! Reduktion Abhängigkeit vom volatilen Werbemarkt ! Weiterentwicklung des Abonnementsmodell aufgrund Mediennutzungsentwicklung ! Positionierung im Werbemarkt als Premiumanbieter
64 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
Dazu muss man wissen, dass für die Zeitungen des az Medienverbunds bislang nur
folgende digitalen Kanäle kostenpflichtig waren (vgl. Tabelle 9).
Tabelle 9: Digitale Angebotspalette des az Medienverbunds
1 Jahr ! Jahr " Jahr
E-Paper 300 Fr. 190 Fr. 95 Fr.
iPad 300 Fr. 190 Fr. 95 Fr.
Zum Vergleich:
Printabo 389-404 Fr. 217-111 Fr. 111-121 Fr.
Die Preise fürs Printabo divergieren je nach Wettbewerbssituation. So liegen die Tarife für
die Basellandschaftliche Zeitung zwischen 5 und 10 Prozent tiefer als jene für die übrigen
Zeitungen des az Medienverbunds. Dies, aufgrund des intensiven Wettbewerbs in der
Region Basel mit gleich zwei Konkurrenten (Basler Zeitung, Tageswoche).
Demgegenüber sind die iPad- und E-Paper-Version für alle Regionen gleich bepreist. Die
iPhone-Applikation kostet zwei Franken, bietet allerdings - mit Ausnahme einer
verbesserten Usability - jene Inhalte, die auf den jeweiligen Websites von az Netz bereits
kostenlos zur Verfügung stehen. Soweit zu den definierten Paid Content-Zielen und der
bisherigen Abonnementsstruktur des az Medienverbunds.
6.1 Ausgewählte Ergebnisse aus der Projektgruppe „Omni“
Schaut man sich die page impressions auf den Websiten des az Medienverbunds
gegliedert nach Rubriken an, dann zeigt sich ein eindeutiges Bild (vgl. Abb. 21) . In einem
Verhältnis von etwa 5:1 zur nächststärkeren Rubrik werden Nachrichten aus den
Regionen von den Nutzern übermässig nachgefragt. Mit anderen Worten: Der USP des
az Netz ist nachfrageseitig eindeutig die lokale und regionale Berichterstattung. Doch
schaut man sich die jeweilige use time40 an – also die Zeit, die ein unique visitor auf den
einzelnen Rubriken verbringt – zeigt sich ein anderes Bild. Die lokalen und regionalen
Nachrichten vermögen die Nutzer keineswegs länger zu binden als die übrigen Rubriken.
So liegen die Regionen höchstens im Schnitt, aber nicht – wie zu erwarten wäre –
darüber.
40 vgl. dazu Tabelle use time in Anhang B.
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 65
Sven Millischer
Abbildung 21: Rubriken des az Netzes im Nachfragevergleich; Quelle: Adrian Zangger,
2012
Diese Erkenntnisse aus der Projektgruppe „Omni“ decken sich mit den eigenen
Beobachtungen, die bereits im Kapitel 2.3 gemacht wurden, wonach der Content auf az
Netz den unique client kaum zum Verweilen einlädt. Dies, jeweils im Vergleich mit der
Online-Konkurrenz. So fällt die Anzahl der besuchten Seiten pro User mit 3 bis 5 Pages
unterdurchschnittlich aus. Zwar liegt die Anzahl neuer Besucher auf der Website konstant
bei etwa 40 Prozent, aber deren Anzahl besuchter Websites fällt mit 3.49 Seiten knapp 17
Prozent tiefer aus als jene der wiederkehrenden Besucher, die im Schnitt 4.63 Seiten
besuchen. Auch ist die Ausstiegsrate bei neuen Besuchern auf der ersten Seite massiv
höher als bei wiederkehrenden Besuchern.
Mit anderen Worten: Das az Netz vermag zwar – insbesondere über die Suchmaschine
Google, die etwa 50 Prozent der Zugriffe vermittelt – neue Besucher zu generieren,
wenngleich die Zuwachsraten stagnieren. Aber die Benutzertreue der neuen Besucher
lässt zu wünschen übrig. Sie lassen sich nicht als wiederkehrende Leser gewinnen. Die
unten stehende Grafik veranschaulicht dies klar (Abb. 22). Sie bezieht sich auf den
Zeitraum zwischen November 2010 und Januar 2012 – also insgesamt 14 Monate – in
denen fast 38.5 Prozent aller Besucher nur ein einziges Mal das Angebot des az Netz
nutzten. Die Mehrheit der az Netz-Leser sind also sporadische Gelegenheitsnutzer. Setzt
man hingegen mindestens einen Besuch pro Monat voraus, dann fallen in diese Kategorie
kumuliert knapp 40 Prozent aller Besucher, die – wie bereits angetönt – im Durchschnitt
drei bis fünf page impressions generieren. Daraus folgt, dass das az Netz das
Wachstumspotenzial aufgrund der hohen Absprungsrate nicht ausschöpfen kann. Die
Leserbindung ist schwach ausgeprägt.
66 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
Dieser „Omni“-Befund deckt sich mit den eigenen Beobachtungen im Kapitel 2.3. Nimmt
man die Kriterien von Meyer-Lucht (vgl. Kapitel 3.5), dann fällt das Fazit ernüchternd aus.
Für den Medienökonom sind Stammnutzer jene User, die mindestens alle zwei Tage die
Website frequentieren. Auf die az Netz-Zahlen angewandt, wären dies 13.2 Prozent der
Nutzer. Denn sie besuchen mindestens 14 mal monatlich die Website, was in etwa einem
Zwei-Tages-Rhythmus entspricht. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass nur
jeder zehnte Besucher des az Netzes im Sinne der oben genannten Defintion ein
Stammuser ist. Hierbei muss man sich stets vergegenwärtigen, dass Stammnutzer für
drei Viertel des Abrufvolumens verantwortlich sind.
Abbildung 22: az Netz-Nutzungsstatistik nach Anzahl wiederkehrender Benutzer; Quelle:
Adrian Zangger, 2012
Wer aber benutzt die az Netz-Angebote? Was im Vergleich zur Konkurrenz (NZZ Online,
tagesanzeiger.ch, baslerzeitung.ch, bernerzeitung.ch) zunächst auffällt ist, dass der Anteil
der Frauen mit 45 Prozent überdurchschnittlich hoch ist. Einzig die bernerzeitung.ch
kommt mit 41.5 Prozent auf ähnliche Werte wie das az Netz. Allerdings ist dieser Befund
zu relativieren. So entfallen zwei Drittel der gesamten page impressions des az Netzes
auf aargauerzeitung.ch. Schaut man sich nun die Struktur der Leserschaft der
Printausgabe der Aargauer Zeitung an, so liegt dort der Frauenanteil mit 49 Prozent sogar
noch höher. Dies bedeutet, dass sich die Leserstruktur von online und Print zumindest bei
der Geschlechterverteilung in etwa decken. Es scheint so, dass das Verhältnis der
Geschlechter mit einer tendenziell rural ausgerichteten Leserschaft zu tun hat, bei welcher
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 67
Sven Millischer
die klassische Rollenverteilung noch eher gelebt wird. 27 Prozent der az Netz-Leser
wohnen auf dem Land. Zwischen 16 und 19 Prozent sind es bei NZZ Online,
tagesanzeiger.ch und baslerzeitung.ch. Dazu passt auch die im Vergleich höhere
Teilzeiterwerbs- und Nichterwerbsquote, die sich mit dem höheren Frauenanteil deckt.
Indes ist der Anteil der jüngeren Leserschaft auf az Netz signifikant höher als bei der
Aargauer Zeitung – was nicht weiter verwunderlich, aber für die Zahlungsbereitschaft
signifikant ist: Die 14- bis 34-jährigen kommen im Online auf einen Anteil von 37.8
Prozent, während dieser im Print bloss 22 Prozent beträgt. Der Anteil der 35- bis 54-
jährigen ist mit etwas mehr als 40 Prozent bei Print und Online praktisch identisch. Soweit
zur Leserstruktur auf az Netz.
Wie bereits zu Beginn des Kapitels angeführt, verfügt der az Medienverbund bereits über
kostenpflichtige digitale Ausgabekanäle. Wie gestaltet sich nun die Nutzung der iPad-,
iPhone- und E-Paper-Angebote? Zum E-Paper: Rund jeder zehnte Zeitungsabonnent
nutzt einmal im Monat das E-Paper, was angesichts der Altersstruktur der az Printtitel
(Vgl. Kapitel 2.2) ein guter Wert ist.
Demgegenüber fällt die Nutzung der iPad-Ausgabe ab: Pro Tag werden 800 Ausgaben
der Aargauer Zeitung aufs iPad heruntergeladen (Abonnenten und jene, die über Apples
iTunes eine Einzelausgabe für 2 Franken kaufen). Bei der Solothurner Zeitung sind es
300. Solch tiefe Werte sind – im Vergleich zur Print-Auflagen –vernachlässigbar und
zeigen deutlich, welch ungenutztes Potential im Digitalen weiterhin brachliegt.
68 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
6.2 Fazit und Handlungsempfehlung
Holt man sich nochmals das mission statement der AZ Medien in Erinnerung, nämlich ein
Multimedia-Haus „mit regionaler Verankerung und nationaler Ausstrahlung“ zu sein, dann
wird dieser eh schon strategisch schwierige Spagat bei den Onlineangeboten erst recht
nicht erfüllt. Das az Netz hinkt in allen wichtigen traffic-Kriterien (page impressions, visits,
use time etc.) der unmittelbaren Konkurrenz (u.a. baz.ch, bernerzeitung.ch) hinterher.
Nichtzuletzt, weil diese Portale am „grössten Newsnetzwerk der Schweiz“ (newsnet.ch)
angeschlossen sind und massiv von Verbundeffekten profitieren können. Angesichts der
(redaktionellen) Grössenverhältnisse macht deshalb nur eine klare Fokussierung auf den
USP des az Medienverbunds, nämlich die Lokal- und Regionalberichterstattung, im
Internet Sinn. Diese inhaltliche Präferenz drücken die Onlineuser – auch empirisch
fundiert – mit ihrem Nutzerverhalten klar aus.
Auf welche Art und Weise aber lassen sich diese regionalen az-Netz-Inhalte nun am
besten monetarisieren? Als wichtige Vorbemerkung: Ich gehe bei meinen Betrachtungen
stets vom Status quo aus und nicht von möglichen zukünftigen Potenzialen. Denn je
nachdem, ob es in absehbarer Zeit gelingt, die Nutzung des az Netz quantitativ und das
Angebot qualitativ zu verbessern, wären auch andere Bezahlschranken-Modelle denkbar.
Zum jetzigen Zeitpunkt aber rate ich von einem Metered Model ab. Angesichts der
unterdurchschnittlichen page impressions pro Besuch und der schwach ausgeprägten
Benutzertreue, müsste die Schwelle für die Bezahlschanke so tief angesetzt werden, um
ertragswirksam zu sein, dass sie praktisch einer harten Paywall gleichkäme. Denn, wie
gesagt: Nur jeder zehnte Besucher des az Netzes ist überhaupt ein Stammuser, der
zumindest eine gewisse Zahlungsbereitschaft an den Tag legen dürfte. Zudem gehören
fast 40 Prozent der az-Netz-User zur Altersgruppe der 14- bis 34-jährigen, die mit einem
Free-Content-Internet gross geworden sind und deren Zahlungsbereitschaft, auch
aufgrund eingeschränkter finanzieller Mittel, zumindest fraglich ist. Zumal es – wie Best
Practice-Beispiele gezeigt haben – in einer Anfangsphase einfacher sein wird,
bestehende oder ehemalige Printabonnenten für Paid Content-Angebote zu gewinnen als
neue Nutzergruppen zu erschliessen.
Ein Metered Model macht eben nur dann Sinn, wenn es sich um ein journalistisches
Vollangebot (Bsp. NZZ, NYT) handelt, bei dem das Nutzerverhalten sehr differenziert
ausfällt. Beim az Netz hingegen steht eindeutig der lokale und regionale Content im
Vordergrund. Der (technische) Mehraufwand für ein Metered Model lohnt sich auch
deshalb nicht, weil der nationale Werbemarkt – volatil und reichweitenfixiert – nicht im
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 69
Sven Millischer
strategischen Fokus des az Netz stehen kann. Dafür ist die Nutzung im Vergleich zur
Konkurrenz einfach zu gering. Zwar entfielen im letzten Jahr etwas mehr als die Hälfte der
Werbeeinnahmen auf nationale Kampagnen. Entsprechend den originären Inhalten aus
den Regionen gilt es deshalb nun verstärkt, die (hyper-)lokalen Werbepotenziale besser
auszuschöpfen. Dies auch, um den (kurzfristigen) Einbruch der Reichweite bei der
möglichen Einführung einer Bezahlschranke abzufedern. Denn wie die Erfahrung zeigt,
sind die lokalen Werbekunden weniger konjunktur- und nutzungssensitiv als
Mediaagenturen oder nationale key accounts.
Entsprechend empfehle ich ein Freemium-Modell, wobei lokale und regionale Inhalte
künftig mittels einer Bezahlschranke kostenpflichtig sind, während überregionale Inhalte
weiterhin frei zur Verfügung stehen. Denn eine harte Paywall würde Inhalte inkludieren,
die nicht zum USP des az Netzes gehören und insofern kaum Zahlungsbereitschaft
wecken dürften. Ganz zu schweigen vom zu erwartenden Einbruch der Reichweite.
Überdies wäre wohl auch eine zusätzliche finanzielle Abgeltung gegenüber der
Nachrichtenagetur sda fällig, da diese ja mehrheitlich für den überregionalen Content
verantwortlich zeichnet. Worauf ist bei der Ausgestaltung des Freemium-Angebots nun
konkret zu achten?
Erstens gilt es m.E., das Freemium-Modell regional differenziert umzusetzen. Denn
vergleicht man zum einen die Print-Leserschaft der einzelnen Zeitungstitel mit der Online-
Nachfrage, dann zeigen sich klare Unterschiede. Aargauerzeitung.ch wird im Verhältnis
zum Printanteil an der Gesamtleserschaft überdurchschnittlich genutzt: 68 Prozent aller
page impressions entfallen auf dieses Portal des az Netzes – im Gegensatz zu den 53
Prozent aller Printleser. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass die Redaktion des
az Netzes in Aarau stationiert ist, wodurch mehr publizistische Power in die Pflege dieser
geographisch nahen Website gesteckt wird. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch,
dass aargauerzeitung.ch wohl die besten Voraussetzungen hat für die Einführung einer
Freemium-Bezahlschranke. Zumal das Verbreitungsgebiet zu den publizistischen Stamm-
landen des az Medienverbunds gehört. Mit entsprechend hoher Marktdurchdringung und
wenig publizistischen Substituten.
Anders die Basellandschaftliche Zeitung. Hier hinkt zum einen die Nachfrage im Web (8
Prozent) dem Printleser-Anteil (12 Prozent) hinterher. Auch ist die Konkurrenzsituation
70 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
dort deutlich ausgeprägter: Nebst baz.ch ist nämlich auch die Tageswoche im Web sehr
erfolgreich gestartet. Erst im Herbst 2011 lanciert, weist die Website bereits monatlich
1 Million page impressions und 150'000 unique visitors auf41. Damit kommt
tageswoche.ch auf fast die Hälfte der unique visitors des az Netzes. Zieht man nun die
“Berliner Morgenpost” als Best Practice-Beispiel zu Rate, dann bedeutet dies, dass die
Substitutionsgefahr im Grossraum Basel ungleich grösser ist als jene im Aargau.
Entsprechend rate ich von einer Bezahlschranke für basellandschaftlichezeitung.ch und
bzbasel.ch (vorerst) ab. Vielmehr gilt es dort, die publizistischen Bemühungen nicht nur im
Print, sondern auch online zu intensivieren. Gerade tageswoche.ch führt exemplarisch
vor, was community building bedeutet. Hierauf nun noch näher einzugehen, würde den
Rahmen dieser MAS-Arbeit sprengen.
Zweitens empfehle ich, nicht nur die (regionalen) Inhalte hinter der Bezahlschranke
aufzuwerten, sondern auch eine komplementäre Strategie für die Inhalte vor der Paywall
zu entwickeln. Denn im Sinne einer Freemium-Strategie ist gerade der Gratis-Bereich
eine Art virtuelles „Schaufenster“, das letztlich darüber entscheidet, ob der Onlineuser
bereit ist, für die Inhalte hinter der Bezahlschranke zu bezahlen. Zumal Frontpage-
Besucher von az Netz zunächst einmal kaum unterscheiden werden, welche Rubrik nun
den USP darstellt und welche nicht. Vielmehr muss das Gesamtpaket attraktiv sein.
Entsprechend müssen auch die überregionale Gefässe eigenständiger werden. Nimmt
man also die regionale Internetstrategie ernst und verfolgt diese konsequent, dann
müssten im Umkehrschluss die Inhalte des überregionalen Mantelteils der az
Gesamtausgabe kostenlos und „online first“ publiziert werden. Die eigenen, nationalen
Geschichten würden sich damit auch positiv auf Reichweite und use time insgesamt
auswirken. Denn gerade Google (News) als Einfallstor für traffic weiss sehr genau zu
unterscheiden zwischen dem „news as commodity“ der Nachrichtenagenturen und
journalistischen Eigenleistungen. Exemplarisch hierfür ist die Newsnetz-Strategie, welche
konsequent auf eigene, nationale Inhalte setzt. Insofern würde eine „online first“-Strategie
auch für die Mantelredaktion m.E. durchaus Sinn machen. Andernfalls gilt es verstärkt
Kooperationen mit anderen Verlagshäusern auszuloten. Das bestehende Basisangebot
der sda genügt jedenfalls nicht, um die Nutzung auf az Netz anzukurbeln.
41 Die Zahlen basieren auf Aussagen des Tageswoche-Journalisten Dani Winter. Vgl. Tweet
@konradweber vom 27. April 2012.
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 71
Sven Millischer
Drittens und abschliessend möchte ich anmerken, dass eine Paid Content-Strategie im
Web nur so gut ist wie ihre crossmediale Einbettung. Will heissen: Es braucht über alle
Ausgabekanäle hinweg ein stringentes Angebot, preislich wie inhaltlich. Diese Kohärenz
scheint gerade in den Bereichen iPhone und iPad sowie beim E-Paper bisher nicht
vorhanden zu sein: Welche Applikationen bildet welches Angebot ab und wie sind die
Preispläne aufeinander abgestimmt? Entspricht die iPad-Applikation einfach den Inhalten
der gedruckten Zeitung oder bieten wir mehr? Inwiefern sind Abo-Bundles (inkl.
Hardware) denk- und umsetzbar? Wie wird die iPhone-App künftig inhaltlich ausgestaltet?
Lässt sich die E-Paper-Nutzung ggf. durch Upselling monetarisieren? Hier besteht m.E.
Klärungsbedarf auf allen Kanälen. Insbesondere auch im Hinblick auf die zeitnahe
Einführung einer Paywall, die es gesamtheitlich abzustimmen gilt.
72 «Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz
Sven Millischer
6.3 Ausblick
Man darf sich nichts vormachen. Bezahlschranken sind keine allein seligmachende
Lösung, um kurz- und mittelfristig die Umsatzerosion im Printgeschäft wettzumachen.
Aber sie können nebst der Onlinewerbung einen neuen Ertragspfeiler für Newssites bilden
und damit die Abhängigkeit vom rückläufigen Printgeschäft reduzieren. Doch eine Paywall
hochzuziehen macht noch keine digitale Strategie. Die Bezahlschranke an sich ist bloss
ein Mosaikstein in der Transformation von einem holzverarbeitenden Gewerbe zu einem
multimedialen Contenthaus. Dazu gehört mehr: „We’ll get you our content however,
wherever you want it“, sei heute die zentrale Herausforderung für Medienhäuser, betont
Branchenanalyst Ken Doctor42. Das Stichwort lautet hier Lesernähe: Sowohl, was die
(lokalen) Inhalte angeht als auch die Distribution. Nämlich auf allen heute technisch
verfügbaren Ausgabegeräten präsent zu sein und dies mit klaren, nachvollziehbaren
Preisplänen und einem Angebot, das technologisch adäquat und auf der Höhe der Zeit ist.
Ein solch konsequenter Multi-Plattform-Ansatz generiert zwangläufig added value, für den
die Leser auch bereit sind zu zahlen. Und zwar auch die bestehenden Printabonnenten
wie beispielsweise die führenden Zeitung Finnlands zeigt. Beim Helsingin Sanomat zahlt
heute über ein Drittel der Printleser für ein „upsell package“43, um die Inhalte plattform-
übergreifend nutzen zu können. Dies bedingt jedoch, dass Verlag wie Redaktion
crossmedial denken und arbeiten. Und dass die nötigen Ressourcen bereitgestellt
werden. Dazu sind weitere Invesitionen nötig. Dieser Prozess ist ein langfristiger, bei dem
auch die AZ Medien erst am Anfang stehen. Er wird aber für die weitere Zukunft des
Unternehmens von massgebender Bedeutung sein.
42 Vgl. http://www.niemanlab.org/2012/03/the-newsonomics-of-paywalls-all-over-the-world/
(6.5.2012) 43 Vgl. http://www.niemanlab.org/2012/02/looking-to-europe-for-news-industry-innovation-part-2-
schibsteds-stunning-classifieds-and-services-business/
«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 73
Sven Millischer
7 Literaturverzeichnis
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«Wir müssen Geld verlangen» Paid Content-Modelle am Beispiel von az Netz 75
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8 Anhang
Anhang A: Fragebogen
Anhang B: Tabelle use time
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Anhang A: Fragebogen
Fragebogen: Paid Content-Strategien im Internet
Bitte beantworten Sie die folgenden zwölf Fragen jeweils in ganzen Sätzen.
1. Bieten Sie im Internet gegen Bezahlung redaktionelle Inhalte an? Falls ja, welche?
2. Ihre Erfahrungen mit Paid bzw. Free Content im Netz (Nutzerzahlen/ Traffic / Erträge)
3. Was sind Erfolgsfaktoren für redaktionelle Bezahlinhalte im Internet?
4. Welche Chancen und welche Risiken sehen Sie für Paid Content-Angebote?
Bitte tragen Sie
Antwort hier ein.
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5. Welche wirtschaftliche Bedeutung messen Sie Paid Content-Angeboten in den
nächsten Jahren bei?
6. Welches Paid Content-Geschäftsmodell präferieren Sie? (Bsp. Metered Model)
7. Welche technischen Plattformen bieten sich für Paid Content an? (Bsp. App)
8. Welche redaktionellen Inhalte lassen sich im Internet monetarisieren?
9. Wie schätzen Sie die Zahlungsbereitschaft im Nutzermarkt für Paid Content ein?
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10. Gefährdet Paid Content die Erträge aus der Onlinewerbung?
11. Welches Zahlungsmodell wird sich im Paid Content durchsetzen und weshalb?
12. Welche organisatorischen Änderungen bringt Paid Content mit sich?
Bitte speichern Sie Ihre Antworten ab und senden Sie den PDF-Fragebogen an
sven.millischer@azmedien.ch
Besten Dank für Ihre Teilnahme!
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Anhang B: Tabelle use time
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