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Feuilleton - esquema de edición y diagramación clásica en prensa escrita. Variaciones y giros.
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SEITE 30 MIT T WOC H, 8. DEZEMBER 2010 NR. 286 FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNGFeuilleton
Zwei Ausgaben machten Faustund Woyzeck zu literarischenEreignissen des zwanzigsten Jahr-
hunderts: Goethes Stck erschien 1906sorgfltig kommentiert in der legend-ren Reihe Meisterwerke der deutschenBhne und erlebte bis 1950 zehn Aufla-gen. Bchners spt zusammengepussel-tes Fragment wurde berhaupt erst mitder Insel-Edition von 1920 allgemein be-kannt. Der Name des Philologen, derdem Publikum diese und viele weiterewunderbare Buchschtze bergab, istheute nur noch Spezialisten bekannt:Georg Witkowski. Zwischen 1889 bis1933 lehrte er an der Universitt Leip-zig, zunchst als Privatdozent, dann alsauerordentlicher Professor und erst imletzten Jahr vor dem Ruhestand als Ordi-narius. Als die Nazis dem Gelehrten j-discher Herkunft 1933 das Recht entzo-gen, seine ber die Emeritierung hinausfortgefhrten Lehrveranstaltungen wei-ter abzuhalten, floh er in die Niederlan-de. Er starb drei Wochen nach Kriegs-ausbruch.
ber sein umfangreiches wissenschaft-liches Werk hinaus hat Witkowski Lebens-erinnerungen hinterlassen. Das Typo-skript erschien 2003 im Leipziger Lehm-stedt Verlag. Wider Erwarten war diesesBuch ein riesiger Erfolg, der jetzt Anlasszu einer korrigierten Neuausgabe gibt.
Der jhe Bruch in diesem Leben frdie Literatur ist zugleich der Auslserfr Witkowskis Erinnerungen: EndeApril 1933 fordert ihn das Ministeriumfr Volksbildung auf, seine Lehrttig-keit ruhenzulassen, da er das nationaleEmpfinden der Hrer erheblich ver-letzt habe. Witkowski ist emprt, er ver-weist auf seinen freiwilligen Kriegs-dienst, auf erhaltene Auszeichnungen,auf die im Vorjahr vom Reichsprsiden-ten verliehene Goethe-Medaille. Dochgegen perfide Denunziationen ist nichtsauszurichten. Witkowski darf nichtmehr lehren, nicht mehr in der Biblio-thek arbeiten, nicht mehr publizieren,muss sich als jdischer Leichenfledde-rer beschimpfen lassen. Am 30. Okto-ber 1937 wird er fr zwei Wochen vonder Gestapo inhaftiert, verhrt, gedem-tigt. Aus dem Gefngnis schreibt er mitunglaublicher Noblesse an seine Tch-ter, ohne Wut, ohne Bitterkeit, allein,um sie zu beruhigen. In diesen zwei Wo-chen ordnet er seine Memoiren undschreibt sie nach der Entlassung nieder.
An erfllenden Erlebnissen und Be-gegnungen ist diese Vita reich. Wit-kowski versteht aber auch, sie darzustel-len, durch eingestreute Miniaturpor-trts zu beleben und dabei von prgnan-ten Details auszugehen, ohne die Goe-the zufolge ein Leben ohnedem wei-ter nichts ist. So ersteht vor den Augendes Lesers eine Berliner Kindheit in derGeneration vor Walter Benjamin. DenProspekt bildet der groe Brsenkrach
von 1873, durch den die wohlhabendeBankiersfamilie hautnah das Phnomender Fallhhe erlebt. Es folgen das Studi-um in Leipzig und Mnchen sowie Dis-sertationsplne ber Friedrich NicolaisRezensionsfabrik Allgemeine deutscheBibliothek. Doch Witkowski wendetsich lieber dem Barock zu, promoviertber den ersten deutschen Tasso- undAriost-bersetzer Diederich von demWerder bei Michael Bernays, dem er ei-nes der schnsten Portrts des Bucheswidmet. Zur Disputation wurden da-mals noch Thesen gedruckt und ausge-hngt, der Doctorandus fuhr ange-tan mit Frack, Degen und Dreispitz beiallen Professoren vor und lud sie persn-lich zur Zeremonie, die dann hchst ri-tualisiert ablief.
Fr Witkowski gehrt das ebenso zuden vergangenen seligen Zeiten wie dieerste Teilnahme an einer Goethe-Ver-sammlung in Weimar. Auch Schilderun-gen wie Witkowskis Brautschau auf ei-nem Orientalistenkongress, nachdem ersich kurz zuvor in einem Londoner Eta-blissement mit der gebefreudigen Weib-lichkeit vertraut gemacht hat, sindnicht frei von wilhelminischem Professo-rentum. Doch muss man es deshalbnicht Arno Schmidt gleichtun, der Wit-kowski in seinen Radioessays in gelehr-tem Falsett parodiert. Denn dafr hater fr die deutsche Literatur seit MartinOpitz zu viel geleistet, wissenschaftlichwie institutionell.
Vor allem betont Witkowski strker alsviele Germanisten seiner Generationdas knstlerische gegenber einem blohistorischen Interesse an Literatur.Dazu gehren nicht zuletzt schne Aus-gaben fr weitere Leserkreise, die er alsMitbegrnder der Gesellschaft der Bi-bliophilen und der Zeitschrift fr B-cherfreunde veranstaltete. In der f-fentlichkeit war er als begabter Rednersowie als Theaterkritiker prsent, auchin der Frankfurter Zeitung. Und FrankWedekinds Bchse der Pandora sowieArthur Schnitzlers Reigen verteidigteer sogar vor Gericht.
Witkowski, bei dem Georg Bondi undErich Kstner promovierten, war ein gro-er Mittler zwischen Wissenschaft undWelt. Die Liste seiner Verdienste istlang, doch in seinen Erinnerungen VonMenschen und Bchern kehrt er sie nir-gends heraus. Stets bleibt er so vornehmund bescheiden wie in jenem stoischenBrief aus dem Gefngnis, den erst dasausgezeichnete Nachwort von BerndWeinkauf zugnglich macht. Bereitsder Briefbeginn verrt da den gebtenErzhler, der er auch in seinen Me-moiren ist: Ihr seid wissbegierig undich habe Zeit genug, Euch noch vor demMittagessen ber meine Erlebnisse zuberichten. ALEXANDER KOENINA
Der Magnetismus ist eine seltsameKraft. Wir Menschen haben kein Organfr ihn. Obschon berall von Magnetfel-dern umgeben, bentigen wir Hilfsmit-tel zu seiner Wahrnehmung. Magneti-sche Erfahrungen setzen Instrumentevoraus. Deshalb ist der Magnetismusnicht allein eine Angelegenheit des Ent-deckens. Er ist auch eine Sache des Er-findens und somit von kulturellen Zu-sammenhngen.
In seiner buchstblich anziehendenStudie ber den Magnetismus hat derPhilosoph und Medientheoretiker NilsRller von der Zrcher Hochschule derKnste diese Kontexte hergestellt. Inzehn Schritten von der europischenAntike und dem China der Chunqiu-Pe-riode (ab 770 vor Christus) bis hin zurGegenwart der modernen Speicher-technik beschreibt er das Dreiecksver-hltnis zwischen Mensch, Natur undGert als eine Historie der Orientie-rung in Raum, Zeit und Psyche. DieseOrientierungsmglichkeiten vern-dern sich durch die Verfeinerung vonInstrumenten, die zu gesteigerter Wahr-nehmbarkeit und damit neuen Verfah-ren der Ausnutzung magnetischer Ph-nomene fhrt.
Als Beispiel fr seine These dientRller vor allem die GegenberstellungGriechenlands und Chinas: Wird beiPlaton die Fernwirkung des Magnetennoch mit atomistisch-pneumatischenTheorien erklrt, weil es an Instrumen-ten mangelt, die zwischen Mensch und
Magnet vermitteln, werden im Reichder Mitte vermutlich bereits im zweitenvorchristlichen Jahrhundert die Polari-tt und die richtungweisende Kraft desMagnetsteins entdeckt. Mit Hilfe be-weglicher magnetischer Lffel auf be-sonders prparierten Platten entstehenso frhe knstliche Wahrnehmungssys-teme fr astronomische Vorgnge. Sieknnen als Vorlufer des Kompassesgelten, der anfangs als von einem Stroh-halm getragene und im Wasser schwim-mende Nadel funktioniert und im 14.Jahrhundert in Italien erstmals in sei-ner modernen Form auftaucht.
Das Gert leistet einen wichtigenBeitrag zur Entdeckung Amerikas, undGenerationen von Seefahrern vertrau-en sich einer Kraft an, die sie nicht er-klren knnen und die sie obendrein zu-weilen tuscht. Die Geschichte der ma-gnetischen Orientierung ist daher stetsauch eine Geschichte der Irritation der Irrefhrung durch eine Nadel, de-ren seltsame Abweichungen von der un-terstellten Nord-Sd-Richtung die Na-turforschung noch lange beschftigt.
Rller konfrontiert seine Leser auf ih-rem Weg in die an magnetischen Rt-seln zunehmend arme Gegenwartsweltmit zahlreichen Erklrungen fr dieWirkmchtigkeit seines Objekts. Malsind sie schlssig, mal spekulativ, malskurril. Stets wird deutlich: Die Ge-schichte des Magnetismus ist keineWhig History, die zielstrebig von derEntdeckung des Magnetsteins zur Ent-wicklung des Mobiltelefons schreitet.Tatschlich mandert sie durch eineLandschaft philosophischer, religiserund politischer Gegebenheiten. Als derenglische Arzt William Gilbert (1544bis 1603) die Kluft zwischen der see-mnnischen Erfahrung und der wissen-schaftlichen Wahrnehmung des Magne-tismus zu schlieen versucht, dienenihm kugelfrmig geschliffene Magnet-steine als Modelle fr seine Experimen-te. Er nennt sie terrella, also Erd-chen. Auch die Erde selbst ist fr Gil-bert ein riesiger Magnet, der von seinerbipolaren Kraft in Drehbewegung ge-halten wird. Damit gert der Magnetis-mus auch zur religisen Streitsache.
Im 18. Jahrhundert sind es dann sei-ne angeblichen Heilwirkungen, die irri-tieren, oder die romantische Vorstel-lung, seine Anziehungs- und Absto-ungskrfte seien nicht nur in derLage, Rume zu berwinden, sondernauch die Gesetze der Zeit. Auf einmalwerden Menschen zu Speichern vontherischen Botschaften, die nur unterden Bedingungen des Magnetisierenserfahrbar sein sollen. Mediumismusund Magnetismus reichen sich dieHand.
In esoterischen Kreisen und Fanta-sy-Filmen wirken solche Vorstellungenbis heute nach. Im PiratenstreifenFluch der Karibik ist es ein von denWnschen seines Besitzers gelenkterKompass, der den Kurs der Handlungmitbestimmt. Und gewiss ist es kein Zu-fall, dass das nostalgische Instrumentder Seefahrer seit langem Lieblingsme-tapher der Ratgeberliteratur ist. Auchauf dem Weg zu Erfolg in Beruf, Part-nerschaft und Liebe wirken schlielichunsichtbare Mchte. PETER RAWERT
Das ist keine Europische Rechts-geschichte, wie sie sich zu Zeiten,als die juristischen Grundlagenf-
cher noch geblht haben und der Rechts-stoff noch nicht durch Bologna-Refor-men zerschnipselt war, passabel ver-kauft und in eine moderne Juristenausbil-dung fugenlos eingepasst htte nebender Rmischen oder der DeutschenRechtsgeschichte. Es ist auch kein Lehr-buch, schon gar keines fr den Rechtsun-terricht. Nein, es ist etwas ganz Anderesund viel Komplizierteres. Es will die Exis-tenz Europas belegen und seine Gestaltbeschreiben und erarbeitet beides an denErscheinungsformen des europischenRechts; es ist LEuropa del diritto nachdem sinnflligen italienischen Buchtiteloder, freier und nher an der Sache: Es istdie europische Rechtserfahrung. Euro-pa ist der Gegenstand, das Recht ist dieBrille, durch die man schaut.
Das Buch ist erschienen in der vonJacques Le Goff herausgegebenen undvon fnf europischen Verlagen beschick-ten Reihe Europa bauen und passt sichin deren Ziele ein. Der Reihe kommt esauf Europa an und nicht auf das Recht.Sie hat nicht eine Universalgeschichte imSinn, sondern nhert sich ihrem Gegen-stand Europa eher mit Exempeln, dieden Gegenstand nicht nur konturieren,sondern die auch nachweisen wollen, dasses ihn gibt. Diese Exempel mssen also,wenn das Unternehmen gelingen soll, Eu-ropa zum Ausdruck bringen. Die bisher ge-whlten Zugnge zeigen, dass die Exem-pel grozgig ausgewhlt sind; sie reichenvon Frauen und Revolutionen ber dasMeer und die Familie bis zur Stadt, demHunger und dem berfluss. Nun also dasRecht als Zugang, als Baustein und als Zeu-ge fr Europa, vorgestellt von Paolo Gros-si, einem international anerkanntenRechtshistoriker.
Wer ein solches Buch schreibt, bewegtsich auf schmalen Grat. Er muss davondurchdrungen sein, dass gerade das RechtEuropa konstituiert und kennzeichnet,und er muss dafr einleuchtende Beispielefinden. Er steht damit vor zwei Herausfor-derungen: Er muss etwa 1500 Jahre (Mit-telalter, Moderne, Postmoderne nachGrossis Einteilung) auf weniger als 300Seiten verstndlich machen, und er muss
Geschichte und Recht in ein Verhltnis zu-einander setzen knnen, in dem das Rechtgerade zu einem Bestimmungsfaktor Euro-pas wird. Beiden Herausforderungen wirdGrossi gerecht; der ersten mit Hilfe seinerglnzenden Rhetorik, der zweiten mit Hil-fe seines Rechtsbegriffs. Die Rhetorik isttrotz der Knappheit des Raums ohne Hast,sie setzt kleine scharfe Lichter, die denPunkt hervorheben, gestattet sich gleich-wohl auch ausfhrliche Zitate zur Vertie-fung und Abrundung und ldt am Ende zuausgedehnten Ausflgen in die Fachlitera-tur ein. Der Rechtsbegriff ist weit und an-schlussfhig; er weist kaum eine menschli-che Erfahrung ab, die auch eine Rechtser-fahrung sein knnte, hat einen fundiertenRespekt vor der juristischen Praxis undfhrt ohne Anstrengung zu benachbartenGebieten wie konomie, Naturwissen-schaften oder Landwirtschaft. Recht,wie es hier verstanden wird, ist ein weitesFeld; es grenzt sowohl an den Alltag derMenschen als auch an die Vernunft der In-stitutionen; die Begrifflichkeit regt dieVorstellungskraft an, statt sie zu fesseln.
Mir gefllt das Buch schon deshalb au-erordentlich, weil es zwei meiner Vor-Ur-
teile auf den Feldern von Europa undRecht bedient. Sie lauten: Es gibt eineeuropische Leitkultur, und das Recht istnicht die schwchste Kraft, die diese An-nahme mit Leben fllt. Auch wenn dasBuch schon wegen der Schmalheit seinesFormats nur hastige Blicke auf andereWeltkulturen werfen kann, wenn also dieGrenzen Europas nicht systematisch ge-gen andere Rechtskulturen abgesteckt wer-den, so verdichten sich doch die Anzei-chen, dass europische Entwicklungen an-ders verlaufen sind als andere und dassdas Recht daran entscheidend beteiligtwar: Es gibt in Europa einen nur selten ra-dikal unterbrochenen Strom an konsisten-ter Entwicklung der rechtlichen Grundst-ze, nach denen man lebt; es bildet sich aufbreiter und lange vorbereiteter Grundlageein juristischer Humanismus heraus,der gegenber Verrcktheiten der Mchti-gen helfen kann; schon frh findet manKonstitutionalisierungen, in denen die ver-bindlichen Prinzipien festgehalten sindund die nicht nur in Abschriften aus reli-gisen Texten bestehen, sondern das welt-liche Miteinander weltlich beurteilen undeinrichten; ganze Etappen werden durch
einen Juristenstand geprgt und getragen,der Kontakt hlt zu Philosophie und Theo-logie und zu anderen Wissenschaften vomMenschen und der Gesellschaft; das durch-gearbeitete Normensystem, das dieser Ju-ristenstand aufbaut, ordnet und zur Verf-gung hlt, macht Abstrze und abruptenderungen eher unwahrscheinlich underhht die Chance, dass sich das Recht ge-gen Staat und Gesellschaft notfalls be-haupten und durchsetzen kann.
Freilich: In diesem Buch htte ich gernnoch weitergelesen und mehr gelernt al-lerdings nicht nur ber Pachtvertrge undSchenkungen, ber Landwirtschafts-, Han-dels- und Industriebetriebe oder ber Tes-tamente und Arbeitsverhltnisse, sondernauch ber Verbrechen und Strafen, Steu-ern und Abgaben, Kriegs- und Frondiens-te, berwachen und Foltern, also berdenjenigen Teil der Physiologie desRechts, den man herkmmlich den f-fentlichen nennt und neben den brger-lichen stellt. Gerade das ffentlicheRecht, einschlielich des Strafrechts, istes doch, das auf Europa ein helles Lichtwirft und auch auf den Alltag der Men-schen unter dem Recht. Dieser Bereichkommt in dieser europischen Geschich-te nur ganz am Rande vor, und diese Un-terbelichtung ist substantiell. Sie er-streckt sich nicht nur auf Praxen, Theo-rien, Systeme und Epochen, sondernauch auf Weisen des Denkens und Erle-bens also auch auf das, worauf Grossimit Recht Wert legt. Gewiss haben wirdie randvolle und tiefgrndige Geschich-te des ffentlichen Rechts in Deutschlandvon Michael Stolleis, aber die verfolgtdoch andere Ziele in einem anderen For-mat; dort lernt man etwas anderes, alsman bei Grossi gern gelernt htte.
Die Konzentration auf das brgerlicheRecht verkrzt dem Autor (und seinemLeser) auch den Zugriff auf die emphati-schen Teile des Denkens und Redens berRecht, wie sie vor allem das Strafrechtkennzeichnen: die ngste und Hoffnun-gen der Menschen, die scharfen Auseinan-dersetzungen um die Wichtigkeit undRichtigkeit der Gesetze, um Abtreibung,Landesverrat, Willensfreiheit und Todes-strafe. Die revolutionre Kraft naturrecht-licher Konzepte bleibt ebenso blass wiedie Herkunft des Sozialvertrags aus der er-kenntnistheoretisch radikal begrndetenUnmglichkeit, weiterhin von einem ber-zeitlichen Recht zu sprechen und sich hin-ter ihm zu verstecken.
Gewiss verdankt sich diese Verkrzungdes Blicks auf das Recht in Europa einemtieferen Grund: der fatalen Trennung zwi-schen brgerlichem und ffentlichemRecht in den Forschungen der europi-schen Rechtsgeschichte, und gewiss darfman nicht erwarten, ein so hochkonzen-trierter Essay knne sie einfach berwin-den. Also warten wir geduldig auf Das f-fentliche Recht in der europischen Ge-schichte. WINFRIED HASSEMER
Georg Wit-kowski: VonMenschen undBchern.Erinnerungen1863 bis 1933.
Lehmstedt Verlag,Leipzig 2010. 526 S.,geb., 24,90 .
Nils Rller:Magnetismus.EineGeschichte derOrientierung.
Wilhelm Fink Verlag,Mnchen 2010.245 S., Abb., br.,29,90 .
Paolo Grossi:Das Recht inder europischenGeschichte.
Aus dem Italienischenvon Gerhard Kuck.Verlag C.H. Beck,Mnchen 2010. 270 S.,geb., 29,95 .
A usgehandelt war er lngst, aber jetztwurde der Friedensvertrag zwi-schen dem Bcherschreiber und der B-cherverkuferin vor laufender Kameragleichsam ratifiziert. Es war ein herzer-wrmendes Ereignis am spten Montag-nachmittag. Jonathan Franzen undOprah Winfrey umarmten sich am An-fang der Sendung und wieder am Ende,ja sie hatten sich, wie aus dem Verlags-haus Farrar, Straus & Giroux zu verneh-men war, auch schon hinter den Kulissenin den Armen gelegen. Vor der vollenViertelstunde, die Oprah Franzen undseinem Bestseller Freedom widmete,musste allerdings erst eine Revolutionzur Rettung von Amerikas Schulen ausge-rufen und der Fernsehnation die FamilieCascio vorgefhrt werden, bei der sichMichael Jackson jahrzehntelang vom Be-rhmtsein erholte. Dann aber kam Jona-than Franzen, dessen blendender Launeauch der Umstand nichts anhaben konn-te, dass Amerikas Talkdiva noch einmalden Zwist aufwrmte, der vor neun Jah-ren zwischen ihr und dem Starautor aus-gebrochen war, als sie ihn anlsslichThe Corrections einlud, er daraufhinnicht ganz Nettes ber sie und ihre Sen-dung verbreitete und sie ihn umgehendwieder auslud. So war es doch gewesen?Selbst Oprah und Franzen wollten sichjetzt nicht mehr recht erinnern knnen.Der Autor sagte, er begreife heute, dassdamals ihre Gefhle verletzt worden sei-en. berrascht habe ihn das ungeheureMedienecho, was wiederum dazu fhrte,dass er seither dem Fernsehen mit mehr
Respekt begegnet. Ein Snob, wie Oprahlistig fragt, will er aber nicht gewesensein. Er versteht sich als ausgesprochenegalitrer Midwesterner. Fazit? Er sagt:Ich bin froh, hier zu sein. Sie sagt: Ichbin froh, Sie hier zu haben. Applaus. Da-vor und danach hat Franzen noch Gele-genheit, von seinen zwanzig Minuten imWeien Haus mit Barack Obama zu er-zhlen. Sie sind mein Held, versicherteder Schriftsteller dem Prsidenten, unddagegen hatte Oprah als bekennenderObama-Fan nichts einzuwenden.
Von Grund auf domestiziert fr dieTalkshow ist Franzen aber noch immernicht. Whrend die beiden gemtlich bei-einandersitzen und ber dies und das,den Schaffensprozess und die knstleri-sche Inspiration plaudern und dazu inverkaufsfrdernder Permanenz der Buch-titel im Hintergrund leuchtet, kommtFranzen auf das reiche Land Amerika zusprechen, dessen Bevlkerung gerade un-geheuer unzufrieden ist mit sich und derWelt. Das deute wohl darauf hin, dassmaterieller Erfolg nicht zum Glck fh-re, vermutet der Verfasser von Free-dom. Dagegen hat Oprah nichts einzu-wenden. Bis sie nach der Werbung dasPublikum mit einem sehr materiellen Ge-schenk zur Raserei bringt. Jede Besuche-rin bekommt einen Kindle! Dank derFreigiebigkeit der Firma Amazon! Aufdem Kindle nmlich sollen alle die nchs-te, die 65. Empfehlung von OprahsBook Club lesen, ein Doppelpack: Ge-schichte zweier Stdte und Groe Er-wartungen von Charles Dickens.
Ein perfektes Weihnachtsgeschenk, er-klrt Oprah. Worauf Franzen gern best-tigt: A total page turner, also zwei Wer-ke, die man in einem Rutsch lesen mch-te. Bevor Franzens Ausflug in die Popkul-tur zu Ende geht, flicht die Talkmasterinnoch ein, dass Freedom natrlich eben-so unter dem Christbaum nicht fehlensollte. Ein einziger Albtraum fr Kultur-pessimisten. Franzen und Dickens, trautvereint bei und von Oprah. Und das alleshtte dem starrkpfigen Autor schon vorJahr und Tag mit The Corrections wi-derfahren knnen. JORDAN MEJIAS
Gegen die Verrcktheiten der Mchtigen
Literatur Neue Sachbcher
Selige Zeiten, brchige Welt Immer derNadel nachNils Rller beobachtetmagnetische Phnomene
Liebesfest: JonathanFranzen bei Oprah
Es gibt eine europische Leit-kultur, und das Recht ist nichtdie schwchste Kraft, die dieseAnnahme mit Leben fllt: Dasneue Buch des renommiertenRechtshistorikers Paolo Grossibeschreibt die Jahrhundertewhrende Ausbildung einesjuristischen Humanismus.
Ein groer Mittler zwischenWissenschaft und Welt: DieMemoiren des GermanistenGeorg Witkowski bietenmehr als nur Reminiszenzenaus einem Gelehrtenleben.
Das Recht ist auf Seiten der Schfer: Der Europische Gerichtshof stellte unlngst klar, dass EU-Prmien auch fr solche Natur-schutzflchen gezahlt werden mssen, auf denen Lmmer weiden. Foto Voller Ernst