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5/26/2018 10-CathrinNielsen-slidepdf.com http://slidepdf.com/reader/full/10-cathrin-nielsen 1/8 Rezensionen 385 C  ATHRIN NIELSEN HEIDEGGER UND NIETZSCHE 1. Martin Heidegger, Zur Auslegung von Nietzsches II. Unzeitgemäßer Betrach- tung „Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“ (Freiburger Seminar Wintersemester 1938/39) = Gesamtausgabe, II. Abt.: Vorlesun- gen 1919–1944, Bd. 46, hg. von Hans-Joachim Friedrich, Frankfurt am Main (Vittorio Klostermann) 2003, 381 Seiten, ISBN 3-465-03285-3 / 3-465-03286-1. 2. Martin Heidegger, Nietzsche. Seminare 1937 und 1944. 1. Nietzsches meta- physische Grundstellung (Sein und Schein). 2. Skizzen zu Grundbegriffen des Denkens (Übungen Sommersemester 1937 und Sommersemester 1944) = Gesamtausgabe, IV. Abteilung: Hinweise und Aufzeichnungen, Bd. 87, hg.  von Peter von Ruckteschell, Frankfurt am Main (Vittorio Klostermann) 2004, 323 Seiten, ISBN3-465-03307-8 / 3-465-03308-6. 3. Alfred Denker / Holger Zaborowski (Hg.), Heidegger und Nietzsche. Hei- degger-Jahrbuch, Bd. 2, Freiburg / München (Karl Alber) 2005, 393 Seiten, ISBN 3-495-45702-X. Im Rahmen der Heidegger-Gesamtausgabe (= GA) sind jüngst zwei neue Bände er- schienen, die in die Auseinandersetzung Martin Heideggers mit dem Denken Nietzsches gehören. Zum einen das lang erwartete, nun von Hans-Joachim Friedrich edierte Seminar aus dem Freiburger Wintersemester 1938/39, in dem Heidegger Nietzsches  Zweite unzeit-  gemäße Betrachtung: Vom Nutzen und Nachhteil der Historie für das Leben  auslegt (GA 46). Zum anderen ein von Peter von Ruckteschell in der IV. Abteilung besorgter Band mit nach- gelassenen Aufzeichnungen aus dem Umkreis zweier Übungen: dem Arbeitskreis zur Ergänzung der Vorlesung  Nietzsches metaphysische Grundstellung im abendländischen Denken:  Die ewige Wiederkehr des Gleichen  aus dem Sommersemester 1937 sowie Notizen zu einem 1944 veranstalteten „Kursus für Kriegsteilnehmer“, die unter dem Titel Grundbegriffe des  Denkens  zusammengefaßt sind (GA 87). Mit Band 46 schließt sich eine Lücke insofern, als der Text dieses vorlesungsartigen Seminars bei der von Heidegger selbst 1961 unter dem  Titel  Nietzsche  beim Neske Verlag herausgegebenen Sammlung von Vorlesungen und  Abhandlungen zu Nietzsche unberücksichtigt geblieben war. Als Grund hatte Heidegger angegeben, daß es in diesem Seminar nicht um den ‚Metaphysiker‘ Nietzsche gegangen sei – was sich nicht bestätigen läßt, da Nietzsche auch hier von Anfang an „seine Aus- zeichnung darin [hat], der letzte Denker in der bisherigen Geschichte der abendländi- schen Philosophie zu sein“ (GA 46, S. 6). Nun schließt der Band die Reihe der in der II. Abteilung in ihrer ursprünglichen Fassung gedruckten Nietzsche-Vorlesungen ab, die

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  • Rezensionen 385

    CATHRIN NIELSEN

    HEIDEGGER UND NIETZSCHE

    1. Martin Heidegger, Zur Auslegung von Nietzsches II. Unzeitgemer Betrach-tung Vom Nutzen und Nachteil der Historie fr das Leben (FreiburgerSeminar Wintersemester 1938/39) = Gesamtausgabe, II. Abt.: Vorlesun-gen 19191944, Bd. 46, hg. von Hans-Joachim Friedrich, Frankfurt amMain (Vittorio Klostermann) 2003, 381 Seiten, ISBN 3-465-03285-3 /3-465-03286-1.

    2. Martin Heidegger, Nietzsche. Seminare 1937 und 1944. 1. Nietzsches meta-physische Grundstellung (Sein und Schein). 2. Skizzen zu Grundbegriffendes Denkens (bungen Sommersemester 1937 und Sommersemester 1944)= Gesamtausgabe, IV. Abteilung: Hinweise und Aufzeichnungen, Bd. 87, hg.von Peter von Ruckteschell, Frankfurt am Main (Vittorio Klostermann)2004, 323 Seiten, ISBN 3-465-03307-8 / 3-465-03308-6.

    3. Alfred Denker / Holger Zaborowski (Hg.), Heidegger und Nietzsche. Hei-degger-Jahrbuch, Bd. 2, Freiburg / Mnchen (Karl Alber) 2005, 393 Seiten,ISBN 3-495-45702-X.

    Im Rahmen der Heidegger-Gesamtausgabe (= GA) sind jngst zwei neue Bnde er-schienen, die in die Auseinandersetzung Martin Heideggers mit dem Denken Nietzschesgehren. Zum einen das lang erwartete, nun von Hans-Joachim Friedrich edierte Seminaraus dem Freiburger Wintersemester 1938/39, in dem Heidegger Nietzsches Zweite unzeit-geme Betrachtung: Vom Nutzen und Nachhteil der Historie fr das Leben auslegt (GA 46). Zumanderen ein von Peter von Ruckteschell in der IV. Abteilung besorgter Band mit nach-gelassenen Aufzeichnungen aus dem Umkreis zweier bungen: dem Arbeitskreis zurErgnzung der Vorlesung Nietzsches metaphysische Grundstellung im abendlndischen Denken:Die ewige Wiederkehr des Gleichen aus dem Sommersemester 1937 sowie Notizen zu einem1944 veranstalteten Kursus fr Kriegsteilnehmer, die unter dem Titel Grundbegriffe desDenkens zusammengefat sind (GA 87). Mit Band 46 schliet sich eine Lcke insofern, alsder Text dieses vorlesungsartigen Seminars bei der von Heidegger selbst 1961 unter demTitel Nietzsche beim Neske Verlag herausgegebenen Sammlung von Vorlesungen undAbhandlungen zu Nietzsche unbercksichtigt geblieben war. Als Grund hatte Heideggerangegeben, da es in diesem Seminar nicht um den Metaphysiker Nietzsche gegangensei was sich nicht besttigen lt, da Nietzsche auch hier von Anfang an seine Aus-zeichnung darin [hat], der letzte Denker in der bisherigen Geschichte der abendlndi-schen Philosophie zu sein (GA 46, S. 6). Nun schliet der Band die Reihe der in derII. Abteilung in ihrer ursprnglichen Fassung gedruckten Nietzsche-Vorlesungen ab, die

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    Heidegger in der Zeit zwischen 1936/37 und 1940 in Freiburg gehalten hat. Die im erstenTeil von Band 87 versammelten Aufzeichnungen zu den berhmten Vorlesungen von1937 bieten darber hinaus wichtiges Material vor allem fr die sich zunehmend deut-licher abzeichnende Wendung von Heideggers Nietzsche-Lektre hinsichtlich seiner Ver-rechnung von Nietzsches Philosophie unter die Idee der Seinsgeschichte. Heidegger zeigthier, inwiefern Nietzsche mit seinem Entwurf des Seins des Seienden als Wille zur Macht,der als Schein und ewige Wiederkehr des Gleichen in Erscheinung tritt, in der metaphy-sischen Leitfrage (nach dem Seienden als solchem und im Ganzen) befangen bleibt.Anhand einer ausfhrlichen Auseinandersetzung mit dem Wesen des Scheins und derPerspektive wird der bergang zur Fundamentalontologie (GA 87, S. 140ff.) vorbe-reitet, in der der psychobiologische Begriff des Scheins zum instndlichen Begriff derErscheinung (GA 87, S. 101ff.) gewandelt und im Da-sein und der hier anzusetzendenWahrheitsfrage verankert wird (kritisch zu Nietzsches Wahrheitsfrage vgl. GA 87,S. 213ff.). Einen weiteren Schwerpunkt bildet der Begriff des Lebens, der die Grunder-fahrung Nietzsches sein soll, und der trotz seiner ursprnglichen Verankerung in dersthetik (vgl. hierzu auch die berlegungen zum Welt-Spiel; GA 46, S. 202ff.) in derpositivistischen Biologie des 19. Jahrhunderts verwurzelt bleibt. Die den zweiten Teil desBandes bildenden Skizzen zu Grundbegriffe des Denkens (1944) gehren dann in den ehergroschrittigen seinsgeschichtlichen Kontext der in Nietzsche II (bzw. GA 6.2) zusam-mengenommenen Texte. Er bietet einmal mehr eine Art stichpunktartiger Synopsis berdie wesentlichen Stationen der aus dem Gesichtspunkt eines Wandels im Wesen derWahrheit beleuchteten Geschichte der Metaphysik: Platon Descartes Nietzsche und,allerdings nur als Andeutung, Oswald Spengler (die sogenannte biologistische Deutungder Nietzscheschen Philosophie, GA 87, S. 283) und Ernst Jnger.1 Beide Bnde tragentrotz ihres Werkstattcharakters eine stringente Signatur, sind von den Herausgebern ta-dellos aufbereitet und werden jeweils durch eine Reihe von das nur Angedeutete vertie-fenden und zum Teil weiterfhrenden Seminarprotokollen ergnzt. Problematischscheint allein der Entschlu Hans-Joachim Friedrichs (GA 46), die Nietzsche-Zitate Hei-deggers wo ntig an Ort und Stelle zu korrigieren bzw. zu ergnzen. Gerade im Hinblickauf Heideggers tendenzise Aneignung von Nietzsches Philosophie liegt doch nicht sel-ten interpretatorische Absicht in den zurechtgemachten Zitaten Nietzsche: das Zu-rechtmachen, das Ausdichten zum hnlichen, Gleichen (Nachla 1888, KSA 13,14[152]). Eine Berichtigung in einem kritischen Anhang wre mithin angemessener ge-wesen.

    Das 2005 zum Thema Heidegger und Nietzsche erschienene Heidegger-Jahrbuch 2flankiert die beiden Neuerscheinungen mittelbar durch eine Reihe aufschlureicher In-terpretationen (mittelbar, da keiner der Beitrge einen der Bnde direkt zum Zentrumhat), sowie durch internationale Forschungsberichte und eine von Stephan Gnzel sorg-fltig bearbeitete Konkordanz zu Nietzsche in Heideggers Schriften. Die Beitrge reichenvon einem Vergleich der 1961 erschienenen Nietzsche-Bnde mit den ihnen zugrundelie-genden Vorlesungen aus den 30er und 40er Jahren (Katrin Meyer) ber die Herausarbei-tung der Rolle des Schaffens in Heideggers erster Nietzsche-Interpretation (Marion

    1 Vgl. zu Heideggers Jnger-Rezeption auch Martin Heidegger, Zu Ernst Jnger = Gesamtaus-gabe, IV. Abteilung: Hinweise und Aufzeichnungen, Bd. 90, hg. von Peter Trawny, Frankfurt amMain 2004. Der massive Einflu Jngers auf Heideggers Nietzsche-Lektre wird nach wie vorzu wenig beachtet; vgl. jedoch den Beitrag von Michael E. Zimmermann in Denker / Zabo-rowski (Hg.), Heidegger und Nietzsche, S. 97116.

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    Heinz),2 der Verwindung der sthetik ( John Sallis), dem Begriff des Tragischen (IrisDrmann), der Rolle von Poesie, Eros und Denken bei Nietzsche und Heidegger (Ba-bette E. Babich) sowie ihrem jeweiligen Begriff der Wiederholung ( Jeffrey L. Powell),bis hin zur Problematik des Nihilismus (Ben Vedder, Ad Verbrugge) bzw. der berwin-dung der Metaphysik (Harald Seubert), dem Einflu Ernst Jngers auf Heideggers Nietz-sche-Interpretation (Michael E. Zimmermann), einer Philosophie des Lebens jenseits desBiologismus und diesseits der Geschichte der Metaphysik (Dieter Thom) sowie demVersuch einer Verortung beider Denker in der Eigenart ihres jeweiligen Ansatzes (WernerStegmaier). Nahezu smtliche Beitrge zeigen die Tendenz, Nietzsche aus der Umklam-merung der Heideggerschen Lesart zu lsen, was nicht nur zu einer sachlichen Kon-textualisierung, sondern auch zu einer fruchtbaren Eigenstndigkeit der jeweiligen An-stze fhrt. Von unmittelbarem Interesse nicht nur fr die beiden Neueditionen ist die ineinem breit angelegten Dokumentationsteil verffentlichte gute und ansprechende Aus-wahl von weiteren, bislang unpublizierten Aufzeichnungen Heideggers zu den Nietzsche-Vorlesungen von 1936 und 1937, die das Edierte vor allem hinsichtlich der Problematikdes Wiederkunftsgedankens im Schatten der totalen Mobilmachung ( Jnger) ergnzen.Abgeschlossen wird der Dokumentationsteil durch biographisch wie philosophisch auf-schlureiche Briefe aus der Zeit von Heideggers Mitarbeit im Wissenschaftlichen Aus-schu des Nietzsches-Archivs in Weimar von 1935 bis zu seinem (ohne weitere Begrn-dung vollzogenen) Austritt im Dezember 1942.

    Heidegger hat seine jahrzehntelange Auseinandersetzung mit Nietzsche bekanntlichim Kontext seiner seinsgeschichtlichen Konstruktion der Geschichte der Metaphysik ver-ortet.3 Es ging ihm sptestens seit Ende der 30er Jahre ausdrcklich darum, NietzschesPhilosophie im Wesenszusammenhang der Geschichte der Metaphysik zu begreifen (GA 6.2,S. 160), einer Geschichte, die Heidegger als eine Geschichte der Seinsvergessenheit insZentrum seines spten Philosophierens rckt. Danach hat im Denken Platons ein ersterWandel im Wesen der Wahrheit stattgefunden insofern, als die Wahrheit als aletheia(als Geschehen von Un-Verborgenheit) unter das Joch der Idee geraten und seitdem nurnoch als Richtigkeit (orthotes) mageblich geworden sei. Descartes unterstellt dieseMagabe der Richtigkeit der neuzeitlichen Bedingung der unbezweifelbaren Gewiheit(certitudo) und verfestigt damit das Unwesen der Metaphysik in einer Form der Subjekti-vitt, die nach Heidegger auch fr Nietzsche bindend wird, ja die in seiner Enthllungder Wahrheit als einer dem Bedrfnis des Lebens entspringenden Wertsetzung zur Voll-endung gelangt. Die Funktionalisierung der Wahrheit zum Wert, in dem Erhaltungs- undSteigerungsbedingungen zum Ausdruck kommen, ist nach Heidegger mithin die not-wendige Folge des im Denken Platons angelegten ersten Anfangs der Philosophie(vgl. GA 87, S. 278ff.). Sie hlt sich als uerste Konsequenz eines in-Rechnung-Stellen[s]

    2 Vgl. dazu auch den berblick von Katrin Meyer, Die Auseinandersetzung mit Nietzsche II. DasRettende der Kunst, in: Dieter Thom (Hg.), Heidegger-Handbuch. Leben Werk Wirkung,Stuttgart / Weimar 2003, S. 210213.

    3 Vgl. zu einer kritischen Rekapitulation der Stationen von Heideggers Auseinandersetzung mitNietzsche zuletzt Werner Stegmaier, Auseinandersetzung mit Nietzsche I. Metaphysische Inter-pretationen eines Anti-Metaphysikers, in: Thom (Hg.), Heidegger-Handbuch, S. 202210;Wolfgang Mller-Lauters ausfhrliche Einleitung zu seinem Buch: Heidegger und Nietzsche.Nietzsche-Interpretationen III, Berlin / New York 2000, S. 132; Harald Seubert, Zwischenerstem und anderem Anfang. Heideggers Auseinandersetzung mit Nietzsche und die Sache sei-nes Denkens, Kln / Weimar / Wien 2000, und die Rezensionen beider Werke von Werner Steg-maier in: Nietzsche-Studien 30 (2001), S. 474487 und 527f.

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    (GA 6.1, S. 522) und damit in der Art und Weise, wie das Wesen des Seienden ausgelegtwird, nmlich als Bestndigkeit. Was ist, zeigt sich am Ende dieses Anfangs nurmehr alsdie Flche des sich selbst um seiner selbst willen zu sich selbst ermchtigenden Lebens (GA 6.2,S. 15). Nach dem Krieg hat Heidegger dann verlauten lassen, seine Auseinandersetzungmit Nietzsche sei auf einem hheren Niveau zugleich eine Auseinandersetzung mitdem Faschismus als einer sich immer deutlicher herausstellenden politischen Gestalt desNihilismus gewesen (vgl. GA 16, S. 402). Dessen innere Bewegung bedeute nmlich dasendgltige Einmnden der Metaphysik in das Unwesen der Technik, das die eigentlicheseinsgeschichtliche Macht sein soll, in deren Anspruch der neuzeitliche Mensch (nach derAuffassung Heideggers brigens ber 1945 hinaus)4 steht. Es ist immer als Strke derHeideggerschen Nietzsche-Deutung, aber auch als ihre fundamentale Milichkeit ange-sehen worden, da Heidegger ihre Kontur im Grunde dadurch gewinnt, da er Nietz-sches Denken zumeist nicht aus seinem eigenen Bereich entfaltet, sondern auf ein paarGrundworte reduziert in seine eigene Fragestellung zwingt und von hier in einer zwarfruchtbaren, jedoch ausgesprochen einseitigen Lesart verstndlich macht. Heidegger hatmit dieser Vereinnahmung nicht nur den Vorwurf der Instrumentalisierung auf sich ge-zogen, ihm sind auch zentrale Aspekte dessen entgangen, was ber die seinsgeschicht-liche Engfhrung Nietzschescher Gedanken hinaus ein philosophisches Gesprch zwi-schen den beiden sich nach eigenem Verstndnis unmittelbar aus dem nihilistischenGeschichtsort der Gegenwart uernden Denker ermglicht htte. Dies gilt auch fr diebeiden neuen Bnde der Gesamtausgabe, die in dieser Hinsicht keine wesentliche Kurs-nderung bieten. Vor dem Hintergrund der im Sommersemester 1937 gehaltenen Vorle-sung Nietzsches metaphysische Grundstellung im abendlndischen Denken: Die ewige Wiederkehr desGleichen wird jedoch deutlich, da und wie Heidegger sich zentrale Aspekte der Philoso-phie Nietzsches aneignet und fr seine Konzeption der Seinsgeschichte fruchtbar macht.Hervorgehoben sei hier vor allem die Rolle des geschichtlichen Augenblicks, den Hei-degger in der genannten Vorlesung von 1937 in tiefgrndiger Weise ausgelegt hatte, inden im Band 87 vorgelegten Aufzeichnungen ebenso wie in den im Heidegger-Jahrbuch 2verffentlichten und dann vor allem in dem im Winter 1938/39 durchgefhrten Seminarzu Nietzsches Zweiter unzeitgemer Betrachtung jedoch durch eine krasse Engfhrung desNietzscheschen Ansatzes auf einen neuzeitlichen Biologismus als ein zuletzt der Seinsge-schichte vorbehaltenes Moment herauszustellen unternimmt.

    Zur Auslegung von Nietzsches II. Unzeitgemer Betrachtung war zunchst als eine bungzur Einfhrung in die philosophische Begriffsbildung gedacht. Durch den starken stu-dentischen Andrang gewann sie jedoch mehr den Charakter einer Vorlesung, in der Hei-degger den Text Nietzsches fast durchgehend nach Abschnitt und Absatz errtert. Deralles weitere berwlbende erste Schritt bildet die Auslegung des Eingangsbildes derSchrift, wonach der Mensch sich beim Anblick des offenbar bruchlos in die Gegenwartgebundenen Tieres darber bewut wird, was sein Dasein im Grunde ist ein nie zuvollendendes Imperfectum (UB II HL 1, KSA 1, S. 249). Als Vorbereitung und Ausblickauf die leitende Frage, nmlich die nach dem Vollendungscharakter von Nietzsches Den-ken, luft der Abschnitt fr Heidegger auf folgende Frage zu: Warum hebt die Betrach-tung Nietzsches beim Tier an? Antwort: weil sich der abendlndische Mensch seit2000 Jahren als ein animal versteht. Die Unwiderrufbarkeit dieses Verstndnisses besttigtsich nach Heidegger darin, da Nietzsche das Erinnern vom Nicht-vergessen-knnen

    4 Der Krieg zu Ende, nichts gendert, nichts Neues, im Gegenteil, heit es etwa in einer Beilagezum Abendgesprch in einem Kriegsgefangenenlager (GA 77, S. 241).

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    her fat, die Historie somit von der eigentlichen (tierischen) Ahistorizitt und d.h. denMenschen als nie zu vollendendes Imperfectum von einer temporalen Geschlossenheither, die das offene Wesen des Menschen als privativen Modus des Tierseins setzt. Das Biolo-gische wird so zum gattungsmigen Boden fr die Zeitlichkeit bzw. Historizitt desMenschen, die wiederum den Boden bildet fr die nach Nutzen und Nachteil verrechen-bare Aneignung von Geschichte. Geschichte zeige sich bei Nietzsche demnach als etwas,was erst durch die Vergegenstndlichung von seiten der Historie entsteht (GA 46,S. 95): sie ist mit dem Rationalen als dem berechnenden Denken verbunden, welches dasunaufhrlich ber sich hinausdrngende Leben einschrnkt und (aus)richtet. Dieses Ver-hltnis von Leben und Historie scheint natrlich im Sinne von biologisch; es entspringtdem Hunger, dem physiologischen Bedrfnis und der plastischen Kraft, mithin derAnsetzung des Menschen als Tierheit. Mit dieser Auffassung des Zeitbezuges innerhalbdes in der Tierheit gefaten Menschen ist jedoch nach Heidegger die Zeitlichkeit bzw.Geschichtlichkeit als der eigentliche Wesensgrund des Menschen (GA 46, S. 292) fun-damental, aber aus seiner langen Tradition heraus gleichsam notwendig verkannt.

    An frherer Stelle, im 76 von Sein und Zeit, hatte Heidegger noch in ganz gegentei-liger Weise auf die Zweite unzeitgeme Betrachtung zurckgegriffen. Nietzsche habe hiernmlich ausdrcklich erkannt, da das Leben in der Wurzel seines Seins geschichtlichist, und zwar nicht im Sinne biologisch gegrndeter Geschichte, sondern so, da dieDreifachheit der Historie als monumentale (Zukunft), antiquarische (Vergangenheit) undkritische Historie (Gegenwart) in der Geschichtlichkeit des Daseins verwurzelt sei, so dadie eigentliche Historie die faktisch konkrete Einheit dieser drei Mglichkeiten seinmu (GA 2, S. 523). Im Seminar von 1938/39 dagegen scheint nun diese eigentlicheHistorie pltzlich eine Einsicht zu sein, die Nietzsche gerade verborgen blieb: Das Un-his-torische als das von Nietzsche nicht begriffene Geschichtliche, grndend in der Zeitlich-keit (GA 46, S. 140). Nicht begriffen soll das Geschichtliche sein, weil Nietzsche dieFrage nach dem Wesen des Menschen als Dasein unterlt. Vom Text her liee sich da-gegen kritisch einwenden, ob Nietzsche nicht sogar noch radikaler als Heidegger das We-sen des Menschen strikt aus der Zeitlichkeit denkt. Denn nach ihm wird der Menschzum Menschen (UB II HL 1, KSA 1, S. 253) nur im und als Austrag dieser Zeitlichkeit(der plastischen Kraft als horizontalem Sichumschlieen; vgl. KSA 1, S. 251), so davielmehr die Frage nach einem diesem Austrag zugrundeliegenden Sein oder Wesen alsverfehlt gelten mu. Und nur, weil diesem Austrag nichts zugrunde liegt, gibt es ber-haupt jenen die Zeitlichkeit einholenden un- oder berhistorischen Zustand als den Au-genblick ihrer hchsten Versammlung; kein punktartiger Horizont (KSA 1, S. 252) wiebeim Tier, sondern ein in sich gegenlufiger, blitzender Lichtschein und Wirbel alsGeburtsschooss [] jeder rechten That (KSA 1, S. 253). Es ist klar, da wir es hier miteinem Urbild des spteren Bildes vom Torweg Vom Gesicht und Rtsel aus dem Zara-thustra zu tun haben, das Heidegger in der Vorlesung vom Sommersemester 1937 (GA 44)im Zusammenhang des Wiederkunftsgedankens auf so eindringliche Weise ausgelegthatte. Hier ging es gerade nicht um die Zeit als eine flchtige Abfolge von leeren Jetzten,sondern um den Augenblick als die einsamste Einsamkeit, wo der Mensch in denwesentlichsten Bezgen seines geschichtlichen Daseins inmitten des Seienden im Ganzensteht (GA 44, S. 23) und in dieser Instndigkeit das Seiende im Ganzen in seine abgrn-dige Gegenwart versammelt. Das ihr zugundeliegende Sich-vor-den-Kopf-stoen derZeit (der frhe Nietzsche spricht einmal vom Werden als dem ewigen Sichwiderspre-chen in der Form der Zeit CV 3, KSA 1, S. 768) sollte freilich nur fr den erfahrbarsein, der nicht Zuschauer bleibt, sondern selbst der Augenblick ist, der selbst in die Zu-kunft hineinhandelt und dabei das Vergangene nicht fallen lt, sondern es zugleich ber-

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    nimmt und bejaht. Wer im Augenblick steht, der ist zwiefach gewendet: fr ihn laufenVergangenheit und Zukunft gegeneinander (GA 44, S. 59; vgl. GA 2, S. 563f.). Ichkomme auf diese Stelle zurck.

    Die zentrale Fragestellung, in der Heidegger sich 1937/38 befindet und die mit demTerminus der sog. Kehre angezeigt wird, macht es wie auch die Notizen aus demBand 87 zeigen offenbar ntig, nicht nur von der ekstatischen Zeitlichkeit der Funda-mentalontologie in gewissem Sinne Abstand zu nehmen, sondern auch von Nietzschesursprnglicher Einsicht in die Geschichtlichkeit des Lebens, und zwar zunchst mittelseiner einfachen, aber folgenreichen Umkehrung der Fragerichtung: Gehrt eigentlich dieHistorie dem Menschen oder nicht vielmehr umgekehrt der Mensch der Historie (vgl.GA 46, S. 52)? So falsch es wre, die spezifische Tragweite dieser Heideggerschen Um-kehrung ihrerseits zu vereinfachen, so irritierend bleibt, da Heidegger, der im Zusam-menhang seines eigenen Denkens einen solchen Reichtum an kehrigen Bezgen offen-gelegt hat, im folgenden so schematisch mit Nietzsches Wort von seiner Philosophie alseinem umgedrehten Platonismus (Nachla 1870/71, KSA 7, 7[156]) verfhrt. Whrendnmlich die von Heidegger intendierte Kehre den Sprung aus der Metaphysik hinaus undin die Wahrheit des Seins nach sich zieht Geschichte ist jetzt das instndige Bestnd-nis der Wahrheit des Seyns im Da-sein (GA 46, S. 94) bleibt der umkehrende Nietz-sche nach Heideggers Urteil in der Umkehrung hngen (GA 87, S. 181), genauer in sei-ner neuzeitlichen Variante bei Descartes, dessen Bewutseinssubjektivismus er durchden des Lebens (GA 46, S. 165) ablst: nicht ego cogito (ergo) sum, sondern ego vivo ergo cogito (GA 46, S. 214). Nietzsches biologische[r] Cartesianismus denke Descartessogar zu Ende, insofern er den Subjektivismus jetzt nicht mehr nur vordergrndig vomIch her fat, sondern vom Leiben und Leben des Tieres Mensch (GA 46, S. 197). So,wie das Leben als undurchschaute Geschichtlichkeit in der Historie verfestigt wird, wirddas Werden als bloes Abrollen und Verflieen im Sein bzw. der Wahrheit als wenn auchbestandssichernder Irrtum und Schein des Lebens zur Verfestigung gebracht (Kultur-biologie; GA 46, S. 255); Das Leben als das reine Flieen (Wille zur Macht) ist zugleichin sich genutzt zum Festmachen (GA 87, S. 225). Platonistisch, wenn auch re-aktiv, solldiese Umkehrung sein, weil sie nach der Auffassung Heideggers lediglich nach obenkehrt, was Platon an den Rand des philosophischen Interesses gedrngt hatte: die Zeit, dasWerden und die pathische Dimension des Leibes.5 Weil Nietzsche sich jedoch fest im Griffdes platonistischen Entwurfs befindet, treten Zeit, Werden und Affektivitt bei ihm nichtin ihrer ursprnglichen Reichweite, sondern in Form des uerste[n] Positivismus des19. Jahrhunderts (GA 87, S. 26) zu Tage: im mechanistischen Sinne (GA 87, S. 17) kau-sale[r] Auslegung (GA 87, S. 99), als Druck und Sto bzw. bloe Ortsvernderung imrein Stofflichen und so Aufgelsten (GA 87, S. 26). Der instndliche Begriff etwa der Af-fektion grnde dagegen in der Grunderfahrung des Seins (GA 87, S. 99).

    Versuchen wir, im Rckgriff auf eine Aufzeichnung Nietzsches aus dem Jahre 1873der Zuschreibung eines solchen physiologischen Idealismus (GA 87, S. 104) neuzeit-licher Prgung zumindest thesenhaft zu begegnen. Die nur wenige Seiten umfassende, alsZeitatomenlehre bezeichnete Notiz Nietzsches stellt, neben der inzwischen in der For-schung als fr sein ganzes Denken zentral erkannten Abhandlung Ueber Wahrheit und Lgeim auermoralischen Sinne von Heidegger in GA 46, S. 190f. und S. 338ff. sowie GA 87,S. 235ff. ganz uerlich abgehandelt: Diese rein naturwissenschaftliche Betrachtungs-

    5 Vgl. hierzu kritisch Annamaria Lossi, Nietzsche und Platon. Begegnung auf dem Weg der Um-drehung des Platonismus, Wrzburg 2006 (im Erscheinen).

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    weise in einer philosophischen Abhandlung offenbart einmal, da Nietzsche bei derenAbfassung ein noch junger Mensch war, und da er zweitens trotz seiner abschtzigenKritik seiner Zeit in ihren Anschauungen fest verwurzelt war (GA 46, S. 339) eine spe-kulative Bndelung dessen dar, was Nietzsche spter in seinen von Heidegger zu Rechtals mageblich herausgestellten Grundworten von der ewigen Wiederkehr und demWillen zur Macht entfaltet. Anhand beider Notate liee sich nmlich zeigen, da bereitsder junge Nietzsche im Spannungsfeld abendlndischer Ontologie zu einer Radikalitt der Fra-gestellung vordringt, die sich dem Heideggerschen Schritt zurck oder Sprung in jederHinsicht zur Seite stellen kann. Nietzsche destruiert hier im Ausgang vom naturwissen-schaftlichen Atomismus seiner Zeit (und zum Teil auch in seinem Vokabular) in wenigenSchritten die Annahme stofflicher Vorhandenheit (Sein) in die reine Negativitt der Zeit(den absoluten Flu) und diese in die gerade nicht mehr qua Ortsvernderung fabareBewegtheit der punktuellen Versammlung in sich erzitternder Zeitlichkeit. Dafr stehenan dieser Stelle der Begriff der Empfindung bzw. der Kraft oder des in beiden Begriffen an-gezeigten unauflslichen Urwiderspruchs des Erleidens der offenen Zeit und der augen-blicklichen bersetzung dieses Erleidens in das Medium des Scheins.6 Sein ist zuinnerstnichts anderes als ein solcher in sich versammelter, gegenlufiger Punkt der Zeit, der vomLeben her wahr wird, sofern es sich wenigstens fr eine gewisse Dauer zur Bestndigungbringt, der jedoch zugleich falsch bzw. Schein ist, weil sich in ihm fr diese Dauer daseigentliche Werden, der absolute Flu des Geschehens, verhllt. Wenn Nietzsche alsoschreibt, es gelte dem Werden, also der reinen Zeit, den Charakter des Seins aufzu-prgen (Nachla 1887, KSA 12, 7[54]), so steht diese Prgung unter einer doppeltenHinsicht.7 Zum einen markiert sie die Einsicht, da sich alles Leben gegen den Flu desVerschwindens stemmt, da wir unser Sein dem Nichtsein entgegensetzen mssen unddarin der Begriff Werden geleugnet wird (Nachla 1887, KSA 12, 9[62]).8 Zum ande-ren erweist sie sich eben darin aus der Perspektive der Philosophie als Lge; sie, die Phi-losophie, dringt darauf, in seltenen Augenblicken diese Bewegung des Lebens an ihreGrenze zurckzufhren (das Se in [zu] leugnen; Nachla 1884, KSA 11, 25[513]), eineGrenze, die Nietzsche im Zarathustra als den grossen Mittag ins Bild bringt, an dem dasLeben fr einen Moment lang den Atem anhlt. Diese Mglichkeit, fr einen unerme-lichen Augenblick die Ttigkeit auer Kraft zu setzen, bedeutet nichts anderes, als sichder Berhrung durch den Tod zu stellen: Hten wir uns zu sagen, dass der Tod dem Le-ben entgegengesetzt sei. Das Lebende ist nur eine Art des Todten, und eine sehr selteneArt (FW III 109, KSA 3, S. 468).

    Zwar sei Nietzsche mit dieser Einsicht einem sehr wesentlichen [] Zusammen-hang auf der Spur, nmlich der Grunderscheinung der Leere, die freilich nicht nur undnicht notwendig mit dem Raum zu tun hat, auch nicht mit der Zeit, so wie sie die Philo-

    6 Was Nietzsche hier als Abbild des Urschmerzes und Urwiderspruchs (CV 3, KSA 1, S. 768)herausstellt, scheint Heidegger nur ein ungelste[r] Zwiespalt der Exzentrik (Denker / Zabo-rowski [Hg.], Heidegger und Nietzsche, 16) zu sein.

    7 Eben diese doppelte Hinsicht wird in Heideggers Zitation strategisch umgangen. Es folgt nm-lich unmittelbar auf diese, von Heidegger vielmals zitierte Stelle: Zwiefache F lschung, vonden Sinnen her und vom Geiste her, um eine Welt des Seienden zu erhalten, des Verharrenden,Gleichwerthigen usw. Da a l les wiederkehr t , i s t d ie extremste Annher ung e inerWelt des Werdens an d ie des Se ins : Gipfe l der Betrachtung (Nachla 1886/1887,KSA 13, 7[54]). Vgl. Stegmaier, Auseinandersetzung mit Nietzsche I, S. 208.

    8 Mit festen Schultern steht er gestemmt gegen das Nichts; und wo Raum ist, da ist Sein (Nach-la 1882/1883, KSA 10, 4[144]).

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    sophie bisher gedacht hat, wohl aber mit dem Wesen des Seins selbst (Ereignis) (GA 44,S. 94). Dennoch sehe er nicht einmal das Wesen der Einbildungskraft ursprnglich, weiler zwischen Wahrheit und Lge, wei und schwarz rein ontisch hin und her rechnet(GA 87, S. 83). Auch das Wesen des Scheines als das aufgehende[ ] Sichzeigen bleibe ihmdemnach verborgen. Ob sich Heidegger allerdings in der Bestimmung des Scheins als dasEnt-gegnen, dem eine Ent-rckung zugrunde liegt (GA 87, S. 110), letztlich so weit vonNietzsche entfernt, ist freilich zumindest fraglich, ebenso, wenn er fordert, das dem phy-siologischen Idealismus zugrundeliegende Subjekt msse aus der neuen Erfahrung desLebendigen her neu gegrndet werden. Summarisch schliet er jedoch eine jede mg-liche Nhe aus: Die neue Erfahrung des Lebendigen aber nur mglich auf dem Grundedes Da-seins (GA 87, S. 104f.).

    Gerade vor dem Hintergrund der instndigen und in ihrer Tiefe kaum wieder erreich-ten Deutung der ewigen Wiederkunftslehre in der Vorlesung vom Sommersemester 1937,in deren Umkreis die beiden neu erschienenen Bnde gehren, gewinnt man zuletzt denEindruck, als wolle Heidegger den hier von Nietzsche ins Spiel gebrachten Gedanken desgeschichtlichen Augenblicks fr seine eigene Konzeption der Seinsgeschichte gleichsam reser-vieren, was ihm unter anderem dadurch gelingt, da er Nietzsches Begriff des Lebens indie Sackgasse eines biologischen Cartesianismus und damit unter die selbst nicht mehrgeschichtlich austragbare Magabe eines ersten Anfangs drngt. Damit berantwortet eraber zugleich die Mglichkeit eines anderen Anfangs (bzw. der geschichtlichen Anfng-lichkeit oder anfnglichen Geschichtlichkeit berhaupt) mit seiner hchsten Schrfe undEntscheidungskraft (GA 44, S. 155) einer sich vorbehaltenden Epochalitt des Seyns(vgl. GA 87, S. 206) und nimmt so dem Wiederkunftsgedanken den in der Vorlesung nochals zentral herausgestellten Aspekt der Einbezogenheit des Denkenden in den Gedan-ken (vgl. GA 44, S. 103ff.), d.h. die Verwurzelung des Gedankens im erfahrenen Hierund Jetzt seiner geschichtlichen Notwendigkeit. Es sind jetzt vielmehr die Ste der Er-eignung und Verweigerung des Seyns Grund und Abgrund aller Geschichte (GA 46,S. 164). Statt aus dem geschichtlichen Augenblick als berhistorischem Hier und Jetzt,den Nietzsche in Vom Nutzen und Nachtheil der Historie fr das Leben als den in einem jedenZeitpunkt verborgenen Geburtsschooss [] jeder rechten That (UB II HL 1, KSA 1,S. 253) auffate und der darin, wie Heidegger hervorhob, nicht Zuschauer bleibt, son-dern selbst der Augenblick ist, der selbst in die Zukunft hineinhandelt (GA 44, S. 59),scheint die Gegenwart jetzt vielmehr dazu verurteilt, ihre verwstende Gebundenheit inden ersten Anfang (Metaphysik) so lange auszuhalten, bis sie durch den hermeneutischenRckgang Einzelner in dessen Grund und Ursprung in einen andern Anfang gerettetwird.9 Aber, so knnte man mit Heidegger gegen Heidegger fragen: Ist dann nicht er-zwungen, was Nietzsche vermieden hat: die von auen kommende, nur rckwrtsbli-ckende geschichtliche Einordnung, wenn nicht gar die stets verfngliche und leicht bs-artige historische Verrechnung? (GA 6.2, S. 296).

    9 Vgl. hierzu (im Ausgang von Nietzsches Zweiter unzeitgemer Betrachtung) Harald van Veghel,Zum Unvermgen der hermeneutischen Bildung dem Nihilismus gegenber, in: Annette Hilt /Cathrin Nielsen (Hg.), Bildung im technischen Zeitalter. Sein, Mensch und Welt nach EugenFink, Freiburg / Mnchen 2005, S. 163186.