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115 Jahre Sozialistische Jugend

115 Jahre Sozialistische Jugend Österreich

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Die Broschüre zum 115-jährigen Bestehen der SJ Österreich.

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115 JahreSozialistisc

he Jugend

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03� Vorwort� von� Wolfgang� Moitzi05� Start� einer� Erfolgsstory06� Schwarze� Listen07� Lehrlingsschutz08� "Der� Jugendliche� Arbeiter"09� Verbandsgründung10� Die� Jugendinternationale� -� Gegen� den� Krieg10� Das� Adler� -� Attentat12� Die� österreichische� Revolution13� Die� Schülerräte14� Internationales� Jugendtreffen� der� � Sozialistischen� Arbeiterjugend15� Vordringen� des� Faschismus15� Die� Revolutionäre� Sozialistische� Jugend17� Die� Sozialistische� Jugend� -� Internationale� (SJI)18� Einsatz� im� spanischen� Bürgerkrieg18� Auflösungsprozess� der� SJI19� Der� Zweite� Weltkrieg20� Der� Neubeginn21� Gegen� die� Staatsjugend21� Universaler� Anspruch22� Die� Politik� der� ersten� Nachkriegsjahre22� Abgrenzungspolitik� gegen� Rechts23� Gründung� der� Zeitung� "Trotzdem"24� Demokratische� Organisationsstrukturen24� Priorität� der� Erziehungs-� und� Kulturarbeit26� Diskussion� um� die� Landesverteidigung27� Neue� Sozialistische� Jugendinternationale27� Staatsapparat� und� SPÖ-Establishment28� Aktion� Kader28� Gegen� das� Senile� und� Fossile30� Bündnis-� und� Aktionspolitik31� Der� Verbandstag� 197632� "Flügelbildung"33� Mit� Vorzug� in� den� Nationalrat34� Friedensbewegung� und� SJ34� Friedenspolitische� Position� der� SJ

36� Vorzugsstimmen-Kampagne� für� Josef� Cap36� Alfred� Gusenbauers� Amtszeit37� Die� Hainburg� -� Krise39� Internationale� Orientierung39� Gegen� die� Rotstift-Politik� der� Regierung40� Modernisierung40� Krise41� Kampagnen� gegen� Rechts41� Verein� für� Jugendmarketing41� Die� Krise� der� SJÖ� vertieft� sich42� SJ� NÖ� initiiert� Linkswende43� Verknüpfung� von� Traditionalismus� und� Moderne43� Kritik� an� der� Verbandsführung� wächst44� SJÖ� am� Ende44� Verbandstag� 2000:� Kurswechsel� in� Richtung� � � � Konsolidierung45� Bündnisfähigkeit� nach� Innen45� Sanierung� greift46� Feministische� Politik47� Bündnis� mit� neuen� sozialen� Bewegungen47� Zivilgesellschaftlich� orientiert48� Links� von� der� SPÖ49� Für� Neutralität� und� gegen� Militarismus49� Zukunft� der� SJ:� International� und� gegen� Krieg50� Das� neue� Grundsatzprogramm50� Dem� Krieg� keinen� Frieden� geben� -� Mit� dem� Kapitalismus� keinen� Frieden� schließen51� Große� Koalition53� Verbandstag� 200653� Verbandstag� 200854� Verteilungsgerechtigkeit55� Frauenpolitik56� Antifaschismus57� Bündnisarbeit58� Jede� Zeit� hat� ihre� speziellen� Herausforderungen72� Verbandsvorsitzende� der� Sozialistischen� Jugend� � � Österreich� nach� 1945

Inhalt

IMPRESSUMMedieninhaber:� Trotzdem� Verlag� GmbH� /� Verlagspostamt:� 1050� Wien,� Erscheinungsort:� Wien� /� Zulassungsnummer:� GZ� 02Z032957� S� /� Herausgeberin:� Sozialistische� Jugend� Österreichs� /� Alle:� Amtshausgasse� 4,� 1050� Wien� /� DVR:� 0457582,� ZVR:� 130093029� /� Autor:� Manfred� Bauer� /� Neue� Kapitel:� Marko� Miloradovic,� Philipp� Lindner� /� Bilder:� Archiv� der� SJÖ� /� Powered� by� BMWFJ,� gem.� §7� Abs.2� B-JFG�

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Das� Jahr� 2009� ist� für� die� Sozialistische� Ju-

gend� in� mehrerlei� Hinsicht� ein� prägendes� und� ein� entschei-dendes.� Mittlerweile� ist� es� 20� Jahre� her,� dass� der� „real� existierende� Sozialismus“� in� der� Sowjetunion� und� den� an-grenzenden� Satellitenstaaten� zusammengebrochen� ist� und� sich� in� der� Folge� der� Kapitalismus� weltweit� als� de� facto� einziges� Wirtschaftssystem� durchgesetzt� hat.� Wir� alle� kennen� die� Schlachtrufe� der� Neoliberalen:� „Mehr� privat� –� weniger� Staat“,� „Das� Ende� der� Ge-schichte“� oder� „There� is� no� alternative“,� und� haben� diese� noch� voller� Schrecken� und� Schaudern� im� Ohr.� Doch� zurzeit� sind� diese� leiser� geworden,� denn� wir� erleben� die� schwerste� Krise� dieses� auf� Ausbeutung� basierenden� Systems� seit� 1929,� mit� all� den� negati-ven� Auswirkungen� auf� die� ArbeiterInnenbewegung� und� deren� –� in� langen� und� erbitterten� Kämpfen� erreichten� –� Errungenschaften!�

Und� so� kommt� der� 4.� November� 1894� in� das� Jahr� 2009.� An� diesem� Tag� konstituierte� sich� der� Verein� Jugendlicher� Arbeiter,� die� Vorläuferorganisation� der� heutigen� Sozialistischen� Jugend.� In� ihrem� Grün-dungsdokument� hielten� die� Gründungsmitglieder,� die� ausschließlich� Lehrlinge� waren,� fest,� dass� sie� sich�

gemeinsam� organisieren� müssen,� um� der� Ausbeutung� durch� ihre� Lehrheeren� entgegentreten� zu� können,� und� nur� gemeinsam� diesen� harten� Kampf� führen� und� am� Ende� auch� gewinnen� können.�

Und� dieser� Gedanke� prägt� das� politische� Selbstver-ständnis� der� Sozialistischen� Jugend� auch� 115� Jahre� danach� noch.� Denn� auch� wenn� in� den� letzten� 115� Jah-ren� durch� viele� Errungenschaften� der� ArbeiterInnenbe-wegung� der� Kapitalismus� „sozialer“� gestaltet� werden� konnte� und� auch� der� Kapitalismus� an� sich� einiges� an� Veränderungen� vollzogen� hat,� so� zeigt� sich� für� uns� –� und� nicht� erst� seit� der� Weltwirtschaftskrise� –,� dass� der� Kampf� für� die� Überwindung� des� Kapitalismus,� hin� zu� einer� gerechten,� klassenlosen� Gesellschaft� auch� weiterhin� fest� in� unserer� politischen� Arbeit� verankert� sein� muss.� Denn� nur� durch� die� Befreiung� der� Menschen� von� ihrer� Ausbeutung� kann� eine� wirkliche� Gleichbe-rechtigung� und� Frieden� auf� der� Welt� bringen.� Dieses� Ziel� einte� die� Mitglieder� der� Vorläuferorganisation� der� SJ� vor� 115� Jahren� und� um� dieses� Ziel� geht� es� uns� auch� heute.

Dieses� Ziel� benötigt� eine� starke� ArbeiterInnenbewe-gung� und� somit� auch� eine� starke� Sozialistische� Jugend.� Und� hier� hat� es� in� der� Geschichte� der� SJ� viele� Höhe-punkte,� aber� auch� viele� Tiefpunkte� unter� verschiedens-ten� Herausforderungen� der� Zeit� gegeben.� So� wurden� erst� 1912� erstmals� Mädchen� und� Frauen� als� Mitglieder� zugelassen� und� erst� im� Jahr� 2003� die� frauenpolitische� Kommission� der� SJ� statutarisch� verankert.� Auch� wenn� wir� bedenken,� dass� es� innerhalb� von� 115� Jahren� nur� männliche� Verbandsvorsitzende� gegeben� hat,� sehen� wir,� dass� die� patriarchalen� Strukturen� in� unserer� Ge-sellschaft� auch� in� der� SJ� widergespiegelt� werden.�

Die Überwindung des Kapitalismus bleibt unser Ziel![vorwort]� Wolfgang� MoitziVerbandsvorsitzender� der� Sozialistischen� Jugend� Österreich

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Diese� Erfahrung� zeigt� ganz� klar� unseren� politischen� Auftrag,� dass� der� Kampf� für� die� Überwindung� des� Ka-pitalismus� immer� mit� einem� gleichzeitigen� Kampf� für� die� Rechte� der� Frauen� verbunden� sein� muss� und� daher� wird� es� weiterhin� notwendig� sein,� aktiv� für� gelebte� Gleichberechtigung� zu� kämpfen!�

Die� Anfänge� der� Sozialistischen� Jugend� liegen� im� En-gagement� jugendlicher� Arbeiter,� die� durch� gemeinsame� Vertretungs-� und� Bildungsarbeit� versucht� haben,� ihre� Situation� gemeinsam� zu� verbessern.� In� ihren� Anfängen� war� die� Sozialistische� Jugend� eine� Kampforganisati-on� jugendlicher� ArbeiterInnen.� Heute� sind� wir� mit� der� Tatsache� konfrontiert,� dass� die� Sozialistische� Jugend� in� einem� viel� stärkeren� Ausmaß� SchülerInnen� und� Stu-dierende� anspricht� als� Lehrlinge� und� junge� Arbeitneh-merInnen.� Jedoch� muss� unser� politischer� Anspruch� jener� sein,� dass� wir� in� viel� stärkerem� Maße� zu� –� eben� wieder� jener� –� starken� Kampforganisation� für� jugend-liche� ArbeiterInnen� werden� wie� im� Jahr� 1894.

Denn� dass� eine� starke� Sozialistische� Jugend� nötig� ist,� sehen� wir� tagtäglich,� wenn� es� um� die� � gegenwärtigen� Antworten� auf� die� Auswirkungen� der� Wirtschaftskri-se� geht.� Denn� die� durch� unzureichende� Absatzmärkte� bedingte� Überkapitalisierung� der� deregulierten� Finanz-märkte� bleiben� nach� wie� vor� unangetastet.� Statt-dessen� wird� von� den� Regierungen� die� seit� über� zwei� Jahrzehnten� betriebene� Politik� weiter� intensiviert,� um� sich� eine� nächste� Atempause� zu� verschaffen.� Diesen� Kreislauf� zu� durchbrechen� bleibt� im� Wesentlichen� eine� Frage� gesellschaftlicher� Hegemonie� und� damit� eine� in� sozialen� Auseinandersetzungen� zu� klärende� Machtfra-ge.� Und� genau� hier� sind� wir� auch� als� Sozialistische� Jugend� gefordert.� Denn� „There� Are� Thousands� of� Alternatives“.� Eine� Gesellschaft� und� eine� Linke,� die� den� Systemfehler� Kapitalismus� überwinden� will,� muss� es� als� größte� Herausforderung� sehen,� wieder� in� die� politische� Offensive� zu� kommen.�

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Vor 110 Jahren, im November1894, wurde die Sozialis-

tische Jugend Österreichs gegrün-det. Sie ging aus dem "VereinJugendlicher Arbeiter" hervor, dersich am 4. November 1894 in Wien Margareten imGasthaus Hamberger konstituierte.Bereits 1893 wird von zwei Jugendgruppen berichtet,die in Ottakring und Hernals ihre Tätigkeit entfalteten.Die Hauptbeschäftigungen der Lehrlinge in derOttakringer Vereinigung "Bücherskorpion" und derHernalser Gruppe �“Jugendbund" bestanden in gemein-samem Lernen, Lesen, in Rechtschreibübungen undVorlesungen aus den Werken revolutionärer Schrift-stellerInnen. Soziale und politische Fragen gelangtendabei immer häufiger auf die Tagesordnung, weil ihreigenes Los die Lehrlinge täglich daran erinnerte.Anlässlich einer gemeinsamen Veranstaltung der bei-den Jugendgruppen wurde die Idee, einen gemeinsamenVerein zu gründen, erstmals thematisiert. Mit Unter-

stützung einiger FunktionärInnen aus der Arbeiter-Innenbewegung wurde die organisatorische und inhalt-liche Arbeit aufgenommen. Am 3. Juni 1894 wurdebereits zu einer Gründungsversammlung im traditions-reichen Ottakringer Versammlungslokal "Zur RotenBrezen" eingeladen, bei der die Lehrlinge einen Aus-schuss wählten, der den Auftrag erhielt, Satzungenauszuarbeiten und bei der Statthalterei die Genehmigungzur Vereinsgründung einzuholen.Am 4. November 1894 erfolgte schließlich die Vereins-gründung und die Vorstellung des Vereins in der Öffent-lichkeit. Im Gründungsflugblatt hieß es dazu:"Jedes Tier hat seinen Beschützer, das sind die Tier-schutzvereine, die dafür sorgen, dass das Pferd nichtunnötigerweise vom Kutscher geschlagen wird; die

Start einer Erfolgs-story[die geschichte der sozialistischen jugend österreich]

Zehnjähriges Jubiläum desVereins Jugendlicher Arbeiter 05

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Vögel haben ihre Beschützer, die dafür sorgen, dass sieim Winter ihr Futter finden; und existiert für denLehrling etwa ein Verein, der dafür sorgt, dass er nichtunmenschlich behandelt wird? Nein!"

Ab dem 4. November 1894 existierte jedenfalls auchfür die jungen Menschen ein Verein zum Schutz und zurVertretung ihrer Interessen. Dieses Datum markiertauch den Beginn einer Erfolgsstory, die - mit Höhen undTiefen - bis zum heutigen Tage andauert.Mit der Vereinsgründung wurden auch die Voraussetz-ungen geschaffen, dass die Probleme und Forderungender Jugendlichen auch und gerade in der sozialdemo-kratischen Partei zum Thema gemacht wurden. DieJugendlichen mussten sich nämlich ihren Platz in derArbeiterInnenbewegung zuweilen gegen den Wider-stand von Teilen der Partei und der Gewerkschaftenerkämpfen, die den Wert einer ArbeiterInnenjugend-bewegung anfänglich noch nicht in vollem Ausmaßerkannten. Noch 1902, anlässlich des Erscheinens der erstenNummer der Zeitung der Jugendlichen, "Der Jugend-liche Arbeiter", äußerte Ludwig August Bretschneider,ein Exponent der österreichischen Sozialdemokratie,seine Besorgnis über die Tätigkeit des Vereins derjugendlichen Arbeiter. Auf späteren Parteitagen undGewerkschaftskongressen ist das Recht der Jugendauf eine eigene Organisation oftmals noch hinterfragtworden oder es verbarg sich eine distanzierte Haltunghinter insistenter Kritik. Dieses Misstrauen konnte jedoch überwunden werden.Die sozialistische ArbeiterInnenjugend-Bewegung ist innur wenigen Jahren zu einem tragenden Element dergesamten österreichischen ArbeiterInnenschaft gewor-den.

Die jungen FunktionärInnen des Vereines hattenvor allem den Protest gegen die unwürdige Be-

handlung der Lehrlinge an die Spitze ihrer politischenAgenda gesetzt. Die Innungen wehrten sich auf die da-mals übliche Methode dagegen: Sie verfassten"Schwarze Listen", schlossen die bekanntestenRednerInnen und politisch aktive ExponentInnen ausder Lehre und der Fortbildungsschule aus und setztendurch, dass die "Aufrührer", wie sie genannt wurden,auch in anderen Lehrstellen nicht mehr aufgenommenwurden. Trotzdem wuchs der Verein. Nach zwei Jahren konnteein Mitgliederstand von 150 Jugendlichen verzeichnetwerden und die Bibliothek umfasste bereits 272Bände. Am 25. April 1897 demonstrierten 500 Teilnehmer-Innen gegen die lange Verschleppung der Genehmigungder Vereinsstatuten. Schließlich konnten auch die Be-hörden das neue Statut nicht länger verhindern und inrascher Folge entstanden Ortsgruppen in den meistenWiener Bezirken. Zu den ersten zählten die Leopold-stadt, Margareten, Meidling, Favoriten, Ottakring undBrigittenau. Später folgten Gruppen in allen WienerBezirken.Es dauerte dann bis 1901, dass in Graz ein zweiter"Verein jugendlicher Arbeiter" gegründet wurde.Bald waren die Jugendlichen bei sämtlichen Veran-staltungen der Partei und der Gewerkschaft vertreten.Wenn es auch in den Erwachsenenorganisationen ver-einzelt noch Widerstand und Unverständnis gab, fan-den sich auch echte FördererInnen und FreundInnen derJugendarbeit. Bei allen Kongressen waren Jugendver-treterInnen eingeladen und bemühten sich um dieAkzeptanz ihrer Tätigkeit durch die Partei.Schon 1896 beschloss ein Gewerkschaftskongress,den Verein jugendlicher Arbeiter zu fördern. Darauffolgte eine längere Jugenddiskussion auf dem Partei-tag 1898, auf dem sich Victor Adler explizit für denVerein aussprach. Im Jahr 1903 waren die Wider-stände bereits soweit beseitigt, dass in einer Resolu-tion des Parteitages von allen Lokalorganisationen ein-gefordert wurde, die Jugendlichen tatkräftig zu unter-stützen. Der Parteitag 1907 beschloss in der Folge, dieJugendorganisation in das Statut der Partei aufzuneh-men. Damit wurde der Status der Jugendbewegungzementiert.

Schwarze Listen

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Immer mehr Augenmerk wendete der Verein dar-aufhin dem Jugendschutz zu. In Zusammenarbeit

mit einigen Gewerkschaftern - die Grenzen zwischenPartei und Gewerkschaft waren damals noch nicht sopräzis gezogen - gingen die Vereinsfunktionäre daran,Lehrlingsschutzkomitees zu organisieren. Diese Komi-tees standen bedrängten Lehrlingen mit Rat und Tatzur Seite; sie intervenierten oftmals bei den Dienst-gebern, die als Lehrlingsschinder bekannt waren understatteten Anzeige beim Gewerbegericht oder bei derPolizei. Oftmals kam es auch zu Demonstrationen desVereins vor einer betroffenen Werkstatt, die nicht ohneWirkung blieb, denn bald zeigte sich eine deutlicheErleichterung für die unter den Repressalien der Dienst-geber laborierenden Lehrlinge.In seiner Biographie über Robert Danneberg "RobertDanneberg - Ein pragmatischer Idealist", schildert LeoKane die dramatische Situation der Lehrlinge um dieJahrhundertwende

"Es muss seinen Angaben nach um die Jahrhun-dertwende gewesen sein, als Danneberg von demVersuch der Gründung einer Zeitschrift für Lehr-linge hörte. Dem Leiden der Lehrlinge konnte sichniemand, der damals eine Zeitung aufschlug, ver-schließen. Keine Woche verging, in der nicht vonSelbstmorden und Selbstmordversuchen oder vondem plötzlichen Verschwinden aus der Lehre ent-laufener Lehrlinge berichtet wurde. Selbst dienichtsozialistische Presse brachte zumindest inihren Gerichtssaalberichten Beschreibungen vonLehrlingsmisshandlungen, wobei nicht übersehenwerden konnte, dass die Meister auch bei schwe-ren Körperverletzungen der ihnen zur Ausbildungüberlassenen Kinder ungeschoren blieben. DieLehrlinge waren nicht nur die am brutalsten aus-gebeutete Gruppe, sie stellten auch einen nichtunbedeutenden Teil der in Kleinbetrieben be-schäftigten Personen dar.In einer Broschüre, die die Erfahrungen von vierJahren Arbeit in der Lehrlingsbewegung zu-sammenfasste, gab Danneberg dazu einige Zahlenan. In Österreich, wo das Kleingewerbe nochnicht von den großen Fabriken verdrängt war,entfiel 1902 auf die kleinsten Betriebe nahezudie Hälfte sämtlicher gewerblich tätigen Per-sonen. Von 1.051.836 Betrieben beschäftigten448.552 nur eine Person, und 460.331 Betriebebeschäftigten zwei bis fünf. Danneberg schätztedie Zahl der im Handwerk beschäftigten Lehrlingeauf 200.000.

Lehrlingsschutz

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Für die dynamische Ausdehnung des Verbandeslieferte die Zeitung der Lehrlinge "Der jugendli-

che Arbeiter" einen weiteren entscheidenden Beitrag. So lange es keine eigene Zeitung gab, organisierten dieVereinsfunktionäre die notwendige Information derMitglieder mit sehr mühsam hergestellten und manuellreproduzierten Informationsblättern. Es gab viele Vor-schläge und Diskussionen zur Lösung dieses Problems,doch scheiterten alle Lösungsversuche zunächst an derFinanzierung. Die Gruppe Margareten gründete auf die-sem Hintergrund im Jahr 1901 einen privaten"Preßfonds" und lieferte damit die maßgeblicheInitialzündung zur Zeitungsgründung. Noch im selbenJahr beschloss der Wiener Verein offiziell dieSchaffung eines Pressefonds. Am 15. Oktober 1902erschien dann die erste Nummer der Zeitschrift "DerJugendliche Arbeiter". Nur unterbrochen von den faschistischen Periodenhatte seitdem die Österreichische ArbeiterInnenjugendauch auf medialem Gebiet ein Propaganda- undInformationsinstrument zur Verfügung. Die Zeitungwurde den damals noch selbständigen Vereinen zuge-sandt und stellte so einen engen Kontakt zwischen deneinzelnen FunktionärInnen und Mitgliedern her. DieLektüre der alten Protokolle und Berichte zeigt, welchgeradezu revolutionärer Akt es im Jahre 1902 war,eine Zeitschrift für Lehrlinge herauszugeben. Immerwieder stieß man auf die Frage der Finanzierung. DieVerbands-Gründungskonferenz im Jahr 1903beschloss, die Zeitschrift zum Verbandsorgan zumachen, womit die Verantwortung aller Zweige derOrganisation für die Zeitung festgelegt wurde.Die neue Zeitschrift berichtete vorwiegend über prakti-sche Lehrlingsprobleme, vergaß aber auch nicht auf diewichtige Erziehungs- und Kulturarbeit. Es gelang ihr,prominente ParteiführerInnen, darunter Leopold Win-arsky, für die beliebten "Gedenkartikel" oder fürKurzbiographien großer Persönlichkeiten des Sozialis-mus zu gewinnen.

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Der Jugendliche Arbeiter

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Im Jahr 1903 schließlich schien die Zeit reif füreinen überregionalen Verband. So kam es am

13. März dieses Jahres zur Gründungskonferenz desVerbandes Jugendlicher Arbeiter Österreichs. DessenObmann war von 1903 bis 1918, dem Ende des ErstenWeltkriegs, Anton Jenschik. Die prägenden Persönlich-keiten indes waren Robert Danneberg und Leopold Win-arsky, der 1915 verstarb. Bei Ausbruch des ErstenWeltkriegs hatte es die Organisation auf mehr als16.000 Mitglieder gebracht. Der Verbandstag konzipierte folgenden Forderungs-katalog, der maßgeblich für die weitere politische Ent-wicklung des Vereins sein sollte:

01. Die Lehrzeit darf zwei Jahre, eine eventuelleProbezeit mit eingerechnet, nicht übersteigen.02. Achtstündiger Maximalarbeitstag für alle Personenunter 18 Jahren.03. 36stündige ununterbrochene vollständige Sonntags-ruhe ohne Klauseln für alle Personen unter 18 Jahren.

04. Abschaffung des körperlichen Züchtigungsrechtes.05. Regelung der Stellenvermittlung.06. Staatliche Fürsorge für arbeitslose Lehrlinge.07. Unentgeltlichkeit des Rechtsschutzes.08. Anstellung von eigenen Lehrlingsinspektoren.09. Verbot der Lehrlingsverwendung zu häuslichen undüberhaupt zu außergewerblichen Arbeiten.10. Obligatorische Einführung des Tagesunterrichtesan allen gewerblichen Vorbereitungs-, Fortbildungs-und Fachschulen sowie strenge Bestrafung derjenigenMeister, die ihre Lehrlinge hindern, diese Schulen zubesuchen.11. Arrest oder empfindliche Geldstrafen für diejenigenMeister, die einer der angeführten Bestimmungen zu-widerhandeln.

Diese Resolution, die mit ähnlichem Inhalt bis zurGründung der Ersten Republik auf allen Konferenzenbeschlossen wurde, bildete die Basis für die weiterenpolitischen Initiativen und Projekte des Verbandes.

Verbandsgründung

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Gründungskonferenz des VerbandesJugendlicher Arbeiter

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Die Verhältnisse im Lehrlingswesen in denanderen europäischen Staaten waren ein

Spiegelbild Österreichs. Um die Jahrhundertwende bil-deten sich daher Lehrlingsklubs und Jugendgruppen inDeutschland, in Skandinavien oder in Frankreich. ImAnschluss an einen internationalen Kongress sozialisti-scher Parteien in Stuttgart im Jahr 1907 traten 22VertreterInnen verschiedener ArbeiterInnenjugendorga-nisationen zur ersten internationalen Konferenz derSozialistischen Jugend zusammen. Karl Liebknechtwurde zum Vorsitzenden gewählt und RobertDanneberg zum Sekretär; Wien war damit Sitz desinternationalen Sekretariats geworden.Drei Forderungen verdichteten sich zum gemeinsamenProgramm des ersten Versuches der internationalensozialistischen Zusammenarbeit der Jugendorganisa-tionen: Kampf gegen den Militarismus, gegen dieLehrlingsausbeutung und gegen den Alkoholismus. Die Verhinderung eines künftigen Krieges und die Auf-klärung der Jugend über das Wesen des Militarismuswurden als die wichtigsten internationalen sozialisti-schen Forderungen formuliert.Das Jahr 1912 markiert eine weitere wichtige Ent-wicklungsetappe in der Geschichte der SozialistischenJugend. Ab diesem Jahr konnten nämlich auch Mäd-chen und junge Frauen Mitglied werden; die offizielleMitgliedschaft war ihnen bis zu diesem Zeitpunkt ver-wehrt geblieben. Der Verband jugendlicher Arbeiter stellte den Kampfgegen den Militarismus auch in der österreichisch-ungarischen Monarchie an die Spitze der politischenAgenda. Jedes Jahr im Herbst, wenn die Assentierung-en stattfanden, startete "Der jugendliche Arbeiter", dasKampforgan der Jugendorganisation, seine Attackengegen den k. u. k. Kasernenhof-Ungeist.

Den Ausbruch des ersten Weltkrieges konnten dieJugendorganisationen freilich nicht verhindern, zumalviele sozialistische Parteien, an der Spitze die österrei-chischen und die deutschen SozialdemokratInnen, bei

Ausbruch des ersten Weltkriegs in eine nationalisti-sche Hurra-Stimmung ausbrachen. Überall in Europa -in Deutschland, in Frankreich, in Österreich - schlugendie patriotischen und chauvinistischen Wogen hoch.

In Österreich hatte sich allerdings eine Linkeinnerhalb der Sozialdemokratie formiert, in

deren Zentrum Friedrich Adler, Robert Danneberg undOtto Bauer standen, mit denen der Jugendverbandsympathisierte. Doch die innerparteiliche Linke gerietinnerhalb der Sozialdemokratie vor allem infolge derrigiden Ausgrenzungspolitik der sozialdemokratischenRechten allmählich in Isolation.Als Demonstration einerseits gegen das Partei-establishment, das ihm etwa in der Person des austro-marxistischen Rechtsauslegers Karl Renner "partei-schädigendes" Verhalten vorwarf, und andererseitsgegen die reaktionäre k.u.k. - Administration, die er fürden Angriffskrieg und die Ausschaltung des Parlamen-tarismus verantwortlich machte, erschoss Adler am24. Oktober 1916 den Ministerpräsidenten Karl Grafvon Stürgkh.Friedrich Adlers Verteidigungsrede vor dem Ausnahme-gericht war eine einzige Anklage gegen den Krieg,gegen den Militarismus - und gegen die eigene Partei.Die Wiener Jugendlichen verlangten stürmisch eineaktive Politik des Verbandes gegen den Parteivorstand,der ihrer Meinung nach den Krieg nicht heftig genugbekämpfte. In einer dramatischen Reichskonferenz -Verbandstage konnten während des Krieges nichtabgehalten werden - gelang es den Verbands-funktionärInnen, die Einheit der Organisation zu wah-ren; es wurden die erzieherischen Aufgaben derJugendorganisation betont und klargestellt, dass einselbständiges politisches Auftreten des Verbandes not-wendigerweise zu einer Entzweiung mit der Partei füh-

Das Adler - Attentat

Die Jugendinternationale- Gegen den Krieg

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Hotel Meissl und Schadn in Wien,Schauplatz des Adler-Attentats

ren müsse. Wer die Partei kritisieren wolle, müsse diesin der Partei tun, lautete die Schlussfolgerung. Aufdiese Weise konnte die Gefahr einer Zersplitterung derOrganisation in der Kriegszeit vermieden werden.Demotiviert, durch viele Verluste personell geschwächtund politisch entmutigt, erlebte der Verband schließlichdas Ende des Krieges.

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Der Sturz der Monarchie, der Zerfall des gro-ßen Reiches und die Ausrufung der Republik

entfachte aber eine revolutionäre Stimmung, die dieganze Bevölkerung erfasste. Das alte Regime mit derverhassten k.-u.k. - Administration war gefallen, undes brach die Zeit an, da längst fällige Reformen, dierevolutionären Charakter trugen, realisiert werdenkonnten.Ein Sozialist, Karl Renner, stand an der Spitze der pro-visorischen Regierung, ein anderer, Karl Seitz, beklei-dete das Amt des Wiener Bürgermeisters. Das Wahl-recht wurde erst jetzt ein allgemeines, die Frauen wur-den in den Kreis der gleichberechtigten Staatsbürger-

Innen einbezogen, der 8-Stunden-Tag und der Arbeiter-Innenurlaub verwirklicht und das Recht der Arbeiter-Innen auf Wahl ihrer Räte in den Betrieben durchge-setzt.Auch der Jugend-Verband nahm an dieser revolutionä-ren Umgestaltung teil:Viele Reformen konnten bereits in den Anfangstagender Ersten Republik durchgesetzt werden, doch be-stand etwa immer noch der von den Jugendlichen be-kämpfte Fortbildungsschulungsunterricht am Sonntag.In einer konzertierten Aktion brachten die Wiener Lehr-linge dieses Relikt aus der k.u.k. - Zeit schließlich zuFall.Am 2. März 1919 streikten alle Wiener Lehrlinge underzwangen so die neuen Gesetze. Bald folgten auch dieSchulverwaltungen in den übrigen Ländern.

Die österreichischeRevolution

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Lehrlingsdemonstration gegen denSonntagsunterricht

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Der 5. Verbandstag brachte die durch den Weltkriegverhinderte Generationsablöse und leitete den großenAusbau der Organisation ein. Im Jahr 1919 erhielt die Organisation einen neuenNamen; die "Sozialistische Arbeiter Jugend" entwik-kelte sich entlang der politischen und organisatorisch-en Ausbreitung der österreichischen Sozialdemokratiein der Ersten Republik zu einer echten Massenorganisa-tion der ArbeiterInnenjugend. Bereits 1923 verzeichne-te sie einen Mitgliederstand von 38.000 und noch imJahr 1932, als sie bereits von der Reaktion heftigstbedrängt wurde, gab es immer noch 28.000 Mitgliederin insgesamt 528 Gruppen.Die massive Kraft der SAJ bestand vor allem im hohenNiveau der inhaltlichen Arbeit, der Diskussionen undSchulungen sowie in ihrer organisatorischen Stärke.Damit erlangte sie die führende Rolle bei der Unter-stützung des parlamentarischen und außerparlamenta-rischen Kampfes der ArbeiterInnenjugend für ihre sozi-alen Rechte.Der innere Diskurs kreiste in diesen Jahren um dieFrage, ob im Rahmen einer politischen Jugendbe-wegung die politisch-kämpferische Linie, die etwa vonManfred Ackermann repräsentiert wurde, oder die sozi-alistische Kultur- und Erziehungsarbeit, wie sie FelixKanitz vertrat, stärker im Vordergrund stehen sollte.Aus dem "Richtungsstreit" ging im Jahre 1926 schließ-lich Felix Kanitz als "Sieger" hervor. Dennoch blieb dieSozialistische Jugend bis zu ihrer Auflösung durch diefaschistische Ständediktatur eine massiv durchpoliti-sierte Organisation. Neue, eher unpolitische Organi-sations- und Kulturformen wie z.B. Wandern, Tanzen,Lager etc. dienten weiter nur der besseren Erfassungund Eingliederung der Jugend in die Organisation.Dass es nicht zu einer Entpolitisierung der Jugend kam,war ausschließlich den offen zu Tage tretendenKlassenwidersprüchen zwischen den ArbeiterInnen unddem Kapital geschuldet. Mit seinen Attacken auf diesozialen Errungenschaften der Arbeiterbewegung trafdas Kapital nämlich auch und gerade dieArbeiterInnenjugend. So waren in dieser Zeit von 100männlichen Mitgliedern der SAJ 55 arbeitslos, von 100weiblichen 52.

Einen überragenden Erfolg erzielte die SAJ mitihrem Kampf um die Einführung der Schülerräte

in Wien, aus denen später die Schulgemeinden an denFortbildungsschulen hervorgingen. Hunderte jungeMenschen, die zu Schülerräten gewählt wurden,schlossen sich dem Verband der SozialistischenArbeiter Jugend an; es war dies eine wertvolle Be-reicherung jenes Kräftereservoirs, aus dem später füh-rende ExponentInnen der Sozialdemokratie hervorgin-gen.

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Die Schülerräte

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Dieses internationale Jugendtreffen fand imJuli 1929 in Wien statt. Mit dabei waren die

wichtigsten Jugendführer Europas, die später zum Teilals sozialdemokratische PolitikerInnen Karriere machensollten: Etwa der Holländer Koos Vorrink, Rikard Lind-ström von der schwedischen Arbeiterjugend oder dieDänen Hans Christian Andersen oder Hans Hedtoft -Hansen, beide nach dem Zweiten Weltkrieg Minister-präsidenten ihres Landes.Auf diesem Kongress zeigte sich, wie sehr die SAJ vonder Partei emanzipiert war, ohne allerdings die inhaltli-che Vernetzung mit den Zielen und Idealen der Sozial-demokratie in Frage zu stellen. Für die Jugend-organisation gab es keinerlei Einschränkungen, auchwenn sie sich in ideologischen Konflikten mehr mit demlinken Flügel um Max Adler und den zentristischenKräften um Otto Bauer formierte als um den rechtenFlügel, der sich um Karl Renner gebildet hatte. All diestrug dazu bei, dass die SAJ nicht nur Massen-organisation der ArbeiterInnenjugend war, sondern ihre

Internationales Jugendtreffen der Sozialis-tischen Arbeiterjugend

Aufgabe der Nachwuchs- und FunktionärInnen-Rekrutierung für die Partei erfüllte.Die politische Situation der Nachkriegsjugend hat OttoBauer in einer vielbeachteten Rede auf diesem Jugend-treffen analysiert:"Der Kapitalismus ist jetzt wieder unendlich stark,wirtschaftlich und an Gewaltmitteln, am stärksten angeistigen Mitteln, durch die er die Völker sich untertanmacht und durch die er den Glauben an andereMöglichkeiten bekämpft. Einen Feind von so ungeheu-rer Macht zu besiegen, dazu genügen die nüchternenErwägungen des Tages nicht, dazu braucht man großenGlauben, der Berge versetzt, den festen Willen, diesefeindliche Welt zu besiegen, den Enthusiasmus, ausdem allein der Sieg wird. Und diese ganz jungeGeneration mit diesem Bewusstsein zu erfüllen, das isteure Aufgabe, das ist die Aufgabe, die euch gestelltist, und nach allem, was ich in den letzten Tagen gese-hen habe, bin ich überzeugt, ihr werdet sie erfüllen."

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Netzkarte für TeilnehmerInnen des internatio-nalen Jugendtreffens

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Im Zeichen der Machtergreifung Hitlers inDeutschland wurde zum ersten Mal auch inner-

halb der SAJ mit den Vorbereitungen für die illegaleTätigkeit begonnen. Charakteristisch dafür, wie reaktionär und gleichzeitighinterlistig damals schon die bürgerlichen ParteienÖsterreichs waren,ist die Tatsache, dass die Verfilm-ung des Buches "Im Westen nichts Neues" von ErichMaria Remarque im "demokratischen Österreich" desJahres 1931 nicht mehr aufgeführt werden durfte. DieWiener sozialistischen Jugendlichen mussten in Sonder-zügen zu Tausenden nach Preßburg fahren, um den Filmdort zu sehen. Die Zeichen des Unterganges der öster-reichischen Demokratie waren für alle, die sehen woll-ten, evident geworden.Bereits Monate vor dem 12. Februar 1934, dem Beginndes bewaffneten Konflikts zwischen dem Austro-faschismus von Bundeskanzler Dollfuss, seinen Heim-wehren und der österreichischen ArbeiterInnenbe-wegung, wurden in der SAJ die Formen des Wider-standes und des Kampfes im Untergrund diskutiert.Das Verbot der SDAP und die Zerschlagung ihrer Struk-turen inklusive der Jugendorganisationen hatte danneine völlige Neuorientierung der Organisation zur Folge:Die Massenorganisation der ArbeiterInnenjugendwurde in eine geheim operierende Kaderorganisationumgewandelt. Sie sollte einerseits durch Schulungs-und Erziehungsarbeit den sozialistischen Geist in derJugend gegen den geistigen Terror der Faschisten, so-wohl gegen den Terror der Heimwehren als auch gegenden Terror der Nationalsozialisten, verteidigen undandererseits durch illegale Flugblattaktionen gegen diemassive Verschlechterung der sozialen Situation derArbeiterInnenjugend mobilisieren und damit die kapita-listischen Interessen hinter der heimatorientiertenSchulterschluss-Rhetorik des Ständestaates aufdecken.

Aus der verbotenen SDAP gingen die"Revolutionären Sozialisten" als Nachfolge-

organisation hervor, aus der SAJ die RevolutionäreSozialistische Jugend - RSJ.Die RSJ konnte grossteils auf die Jugendfunktionär-Innen aus der SAJ zurückgreifen, denn die meisten vonihnen waren arbeitslos und wollten sich zumindest diesozialistische Jugendgemeinschaft, die ihrem Lebenselbstbestimmenden Inhalt gegeben hatte, nicht auchnoch wegnehmen lassen. Gemeinsam mit den Revolutionären Sozialisten ver-suchte die RSJ eine MediatorInnen - Position zwischender reformistisch sozialdemokratischen und der kom-munistisch orientierten ArbeiterInnenbewegung einzu-nehmen. Sie unterstützte dabei Otto Bauers Konzepteines "Integralen Sozialismus".SozialistInnen und KommunistInnen, schlug Bauer vor,sollten sich wieder, wie vor dem Ersten Weltkrieg, ineiner einzigen Partei zusammenfinden. Selbstverständ-lich war dieser Zusammenschluss nach EinschätzungBauers eine sehr komplizierte Operation und mehr alsbloß eine mechanische Addition. Der Integrale Sozia-lismus sollte aus einer Synthese von revolutionär ge-wordenem sozialdemokratischen Reformismus unddemokratisch gewordenem revolutionären Bolschewis-mus bestehen.Sehr viele junge SozialistInnen büßten nach 1934 ihrEngagement für die Widerstandsbewegung mit hohenKerkerstrafen oder sogar mit dem Tod. Josef Gerletwa, ein Funktionär des Wiener Verbandes, wurde am24. Juli 1934 hingerichtet. Der austrofaschistischeKanzler Engelbert Dollfuss hatte zuvor ein Gnaden-gesuch für Gerl abgelehnt. Das Dollfuss-Regime hatteihm unterstellt, dass er beim Überfall von bewaffnetenGendarmen auf eine sozialdemokratische Gedenk-

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Vordringen des Faschismus

Die RevolutionäreSozialistische Jugend

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veranstaltung Sprengstoff gezündet hätte, was nach-weislich nicht der Fall war. "Die Idee bedeutet mirmehr als mein Leben", rief Gerl seinen Henkern nochzu, ehe er starb. Er drückte damit aus, was alle jungenrevolutionären SozialistInnen fühlten, die im Wider-standskampf standen. Dennoch bekannten sich die Mitglieder der RSJ inBlitzkundgebungen, in Zeitungsartikeln und auch vorGerichten zu ihrer sozialistischen Überzeugung. Die beiden ersten Führer der RSJ, der 1945 im KZ er-mordete Roman Felleis und der spätere Parteivorsitz-ende und Bundeskanzler Bruno Kreisky, zählten im gro-ßen Sozialistenprozess 1936 zu den mutigstenRednern.So sagte Kreisky in diesem Prozess:

"Ich habe schon gesagt, dass ich nach wie vor Sozialistbin. Weder die Taten der Regierung, noch die aufmerk-same Lektüre nichtsozialistischer und antimarxisti-scher Werke ließen mir eine andere Lösung als die desSozialismus möglich erscheinen. Ich halte weiter denKlassenkampf für das einzige Mittel der Befreiung derArbeiterschaft."

Mit dem Einmarsch der Armee Hitler-Deutschlands inÖsterreich im März 1938 beendeten sowohl die Revo-lutionären Sozialisten als auch die RSJ ihre Tätigkeit.Der Terror gegen die fortschrittlichen Kräfte war unterden Nazis ungleich brutaler als unter den Austro-faschisten. Einzelne SozialistInnen arbeiteten dennochin Widerstandsgruppen mit und viele von ihnen - darun-ter auch die letzten FührerInnen der RSJ, das EhepaarHans und Stefanie Kunks, büßten für ihr Engagementim Widerstand und im Untergrund mit dem Leben.

Josef Gerl16

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In den Jahren der Verfolgung und Isolierung dersozialistischen Jugend in Österreich kam dem

Rückhalt in der internationalen sozialistischenBewegung naturgemäß große Bedeutung zu. Vor allemdie materielle Hilfestellung, die vom sudetendeutschenund von anderen Verbänden großzügig geleistet wurde,aber auch die auf mannigfaltige Weise erfolgte politi-sche und moralische Unterstützung erwiesen sich alsüberaus wertvoll. Demgegenüber blieb die politischeBedeutung und Wirksamkeit der SJI ziemlich gering.Die Exekutivkomitee- und Bürositzungen und dieKongresse (in Kopenhagen, August 1935, und in LilIe,August 1939) standen im Zeichen heftiger Konflikte,welche die damalige Zerrissenheit und Problematik derinternationalen sozialistischen Bewegung wiederspie-gelten. "Die sozialistischen Internationalen", stelltenachträglich der österreichische RevolutionäreSozialist Joseph Buttinger kritisch fest, "setzten ihrensozialdemokratischen Kurs unbeirrt von allenErschütterungen der Zeit fort, und ihre effektiveWirksamkeit war damals wie früher gleich Null".Gegen die Vorherrschaft der rechtsgerichteten Mehr-heit in der SJI (Schweden, Dänemark, Holland,Deutschland, CSR und andere), von der auch dieVorsitzenden (Koos Vorrink 1932-1935, Hans Christian Hansen 1935-1939, Torsten Nilsson ab 1939), derSekretär (Erich Ollenhauer) und die meisten Büro- undExekutivkomiteemitglieder gestellt wurden, formiertesich eine vornehmlich um Frankreich und Belgien grup-pierte radikale Opposition. "Die belgischen Genossen", erklärte ihr Vertreter auf der Exekutivkomiteesitzungam 31. März und am 1. April 1937 in Brüssel, "vermis-sen bei der Leitung der Internationale die erforderlicheInitiative und bedauern den Mangel an revolutionärenLösungen. Die Sozialistische Jugend-Internationalebefindet sich in zu starker Abhängigkeit von derschwächlichen und reformistischen Politik der SAI"(Sozialistische Arbeiter Internationale).Die Linken forderten in erster Linie eine stärkere poli-tisch-aktivistische Orientierung der Arbeit der soziali-stischen Jugendbewegung, eine Zusammenarbeit mit

den KommunistInnen und eine positive Einstellung zurSowjetunion, insbesondere nach der Einleitung derVolksfrontpolitik am 7. Weltkongress der Kominternbeziehungsweise am 6. Weltkongress der Kommunis-tischen Jugend Internationale (KJI) im Jahre 1935,sowie die Orientierung auf die Diktatur des Prole-tariats. Als die oppositionellen Verbände Frankreichs, Belgiensund Italiens mit Zustimmung anderer Organisationen inToulouse 1936 eine Sonderkonferenz organisierten,auf der eine Arbeitsgemeinschaft der revolutionär -sozialistischen Jugend (ein sogenannter Linksblock)gebildet und die Teilung der SJI in eine politische undin eine kulturelle Sektion gefordert wurde, konnte nurmit Mühe die Spaltung der SJI verhindert werden.Die illegale sozialistische Jugend Österreichs, diedurch Ernst Papanek (Deckname Ernst Pek) im Büround einen Mitarbeiter in der Exekutive vertreten war,sympathisierte mit dem Linksblock, versprach aber ineinem Abkommen Anfang 1937 Loyalität. Als dieFranzosen, weniger radikal als opportunistisch, dasMünchner Abkommen von 1938 begrüßten und durchihren Delegierten, Bernard Chochoy, die "Politik kriegs-lüsterner Antifaschisten" verurteilten, traten ihnen diedamit apostrophierten österreichischen VertreterInnenentschieden entgegen. "Die deutsche Arbeiterschaft",sagten die österreichischen VertreterInnen, "erwartetvon einem neuen Krieg nicht, dass sie durch ihn vomFaschismus befreit wird, aber was wir verlangen kön-nen ist, dass die Mächte Hitler nicht immer wieder zuneuen billigen Erfolgen verhelfen."

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Die Sozialistische Jugend - Internationale (SJI)

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Wirkliche politische Bedeutung errang die SJIlediglich im Zuge des spanischen Bürgerkrieges

von 1936 bis 1939. Sofort nach dem Beginn desArmeeaufstandes leitete die sozialistische Arbeiter-Innenbewegung, einschließlich der SJI und der ihrangeschlossenen Verbände, umfassende politische undmaterielle Unterstützungsmaßnahmen für die legalerepublikanische Regierung ein, die schließlich zur größ-ten Solidaritätsaktion in der Geschichte der internatio-nalen ArbeiterInnenbewegung wurden. Im Interessedes spanischen Freiheitskampfes überwand die SJI -Führung ihren Antikommunismus und nahm dieVereinigte Sozialistische Jugend Spaniens, seit Mai1936 eine Einheitsorganisation von SozialistInnen undKommunistInnen, deren fast eine halbe MillionMitglieder zum Großteil in den Reihen der Kämpfendenstanden, im April 1937 einstimmig in die SJI auf. ImSommer 1937 wurden anlässlich des Aufenthalteseiner SJI - Delegation in Spanien sogar auf Wunsch derSpanier direkte Kontakte mit der KJI aufgenommen,und in einer "informativen Besprechung" wurde zwi-schen Hansen, Ollenhauer und dem KJI -Generalsekretär Michal Wolf verstärkte Hilfe fürSpanien vereinbart. Außerdem wurde Ernst Papanek,der Vertreter der RSJ, der seit Anfang 1937 dieSpanienarbeit der SJI leitete, als offizieller Vertreter indie überparteiliche Internationale Hilfskommission fürdie spanische Jugend entsandt. Darüber hinaus kämpf-ten Tausende von jungen SozialistInnen, darunter vieleÖsterreicherInnen, als Freiwillige in den International-en Brigaden, in den Reihen der ArbeiterInnenmiliz, derAnarchistInnen und TrotzkistInnen, ohne jedoch denSieg des von Deutschland und Italien ungleich stärkerunterstützten Franco-Regimes verhindern zu können.Das spanische Experiment der Einheitsfront vonKommunistInnen und SozialistInnen scheiterte indes.Denn die KommunistInnen, die zwar kaum ein Viertelder Mitglieder der Jugendorganisation stellten, aberdie führenden SozialistInnen mit dem GeneralsekretärSantiago Carillo an der Spitze insgeheim für sichgewinnen konnten, bemächtigten sich mit fragwürdi-

gen Methoden des gesamten Verbandes und versuch-ten dann unter Ausnützung der Spanien - freundlichenStimmung die SJI von innen her zu spalten. Nachdemdie Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens mit derEinheitsjugendorganisation im März 1939 gebrochenund wieder eine eigene Jugendbewegung gebildethatte, wurde die (kommunistische) VereinigteSozialistische Jugend Spaniens am Kongress in LilIe1939 einstimmig (bei 39 Enthaltungen) aus der SJIausgeschlossen. Nach solchen Erfahrungen, zu denenbald der Hitler-Stalin-Pakt hinzukam, waren alleVolksfront- und Einheitsfrontillusionen in den Reihender sozialistischen Jugend zerstoben.

In organisatorischer Beziehung überstand dieSJI die schweren politischen Erschütterungen,

die im Mai 1938 zu einer Verlegung des Sekretariatsvon Prag nach Paris führten, verhältnismäßig gut.Nach der Aufnahme des polnischen Jugendbundes "Zu-kunft" und des großen norwegischen Arbeiterjugend-Verbandes 1937 hatte die SJI alle sozialistischenJugendorganisationen Europas integriert, doch konntesie außerhalb Europas kaum Fuß fassen. Ende 1934umfasste die SJI dreiunddreißig Verbände in achtund-zwanzig Ländern mit 249.034 Mitgliedern, am 31.Dezember 1938 fünfunddreißig Verbände in neunund-zwanzig Ländern mit 251.283 Mitgliedern, wovonmehr als einhunderttausend allein auf Schweden ent-fielen. Dazu kamen die Weltorganisation der jüdischensozialistischen Jugend DROR, die 1934 zehn Verbändein zehn Ländern mit 23.000 Mitgliedern und 1938 fünf-zehn Verbände in fünfzehn Ländern mit 28.000Mitgliedern hatte, und die mit großen Schwierigkeitenkämpfende Internationale Sozialistische Studenten-föderation mit fünfzehn Organisationen in fünfzehnLändern (1938: 8646 Mitglieder). Insgesamt umfasstedie SJI am 31. Dezember 1938 ohne die halbe Million

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Einsatz im spanischenBürgerkrieg

Auflösungsprozess der SJI

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Mitglieder der spanischen Einheitsorganisation fün-fundsechzig Verbände in dreißig Ländern mit 287.929Mitgliedern, um 10.870 mehr als Ende 1934. In dieser Erfolgsbilanz kam freilich nicht zum Ausdruck,dass mehr als zwanzig Verbände illegal waren und man-che - wie etwa Russland und Georgien - nur noch aufdem Papier bestanden. Infolge der schweren Nieder-lagen der europäischen ArbeiterInnenbewegung gerietdie SJI in einen unaufhaltbaren Auflösungsprozess.Ihre letzten Zusammenkünfte waren der 6. Kongress inLilIe im Sommer 1939, auf dem Bruno Kreisky unterdem Decknamen Pichler als Vertreter der illegalen sozi-alistischen Jugendbewegung Österreichs referierte,und eine Bürositzung am 27. Februar 1940 in Brüssel.Nach dem militärischen und politischen Debakel derDemokratien im Frühjahr 1940 stellten die SJI, die SAIund bald darauf (1942) auch die Komintern und die KJIihre Tätigkeit ein.

Die sieben Jahre der nationalsozialistischenHerrschaft in Österreich von 1938 bis 1945

waren zweifellos das tragischste Kapitel in derGeschichte der sozialistischen Jugendbewegung. DasAufrechterhalten einer illegalen Organisation mit einemzentralen Apparat und koordinierter Organisations-arbeit, wie sie noch zwischen 1934 und 1938 prakti-ziert werden konnte, war in dieser Zeit nicht möglich.Doch den Nationalsozialisten, die alle oppositionellenKräfte geistig und physisch auszurotten versuchten,gelang es nicht, den Widerstandswillen der sozialisti-schen Jugend zu brechen und die Bewegung völlig zuvernichten. Unter den WiderstandskämpferInnen, diesich überall im Lande gegen die faschistischeHerrschaft zur Wehr setzten, nahmen sozialistischeJugendliche einen exponierten Platz ein, "nicht nurältere Menschen. . .", schrieb der österreichischeHistoriker Karl Stadler, ein ehemaliger sozialistischerJugendlicher, "sondern auch junge und allerjüngste,

wie denn auch oft hervorgehoben" worden sei, "dieparteifeindliche Haltung eines Häftlings sei dasResultat seiner ehemaligen Mitgliedschaft bei denKinderfreunden und den Roten Falken". Der Widerstandreichte von einfacher Demonstration der Gesinnungs-treue - wenn etwa zwei junge Arbeiter (fünfzehn bezie-hungsweise siebzehn Jahre alt) "in herausfordernderWeise und offenbar zur Bekundung ihrer marxistischenEinstellung rote Nelken im Knopfloch trugen" - übereinfache Aktionen - zum Beispiel die Störung einesnationalsozialistischen Filmes durch das Werfen vonStinkbomben - bis zur Bildung von organisiertenGruppen, welche die nationalsozialistische Kriegs-führung bekämpften. Viele sozialistische Jugendlichehatten ihren organisatorischen Zusammenhang aus deraustrofaschistischen Zeit weiter bewahrt und wurdenvielfach erst durch Verhaftung oder durch Einberufungauseinandergerissen, so etwa eine aus fünfzehn- bissiebzehnjährigen Lehrlingen bestehende Gruppe der"Revolutionär-sozialistischen Jugend" bei Ternitz, dieim Oktober 1938 von der Gestapo ausgehoben wurde,und die im Deutschen Bund für alkoholfreie Kulturuntergetauchte RSJ-Rudolfsheim, die von Franz Gawlikbis zu seiner Einziehung zum Militär im Kriegsjahr 1943geleitet wurde. Andere sozialistische Widerstands-gruppen, die nicht als eigentliche Jugendgruppen anzu-sprechen waren, wie zum Beispiel die um die ehemali-gen SAJ-FunktionärInnen Alfred Migsch und FelixSlavik, bestanden zum Großteil aus jungen Revolutio-nären Sozialisten und ehemaligen SAJ-Leuten. Aberauch in kommunistischen oder kommunistisch beein-flussten Organisationen, die zu den HauptträgerInnendes aktiven Widerstandes in Österreich zählten, kämpf-ten viele, deren Geist und Widerstandskultur im Milieuder sozialistischen Jugendbewegung geformt wordenwar.Zahlreich sind auch die Namen jener, die auf sich alleingestellt in der einen oder anderen Form Widerstands-handlungen setzten, die in den Hitlertruppen Zer-setzungsarbeit leisteten oder in der Emigration für einfreies und demokratisches Österreich kämpften. Derhohe persönliche Einsatz, die ungeheuren Blutopfer,

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Der Zweite Weltkrieg

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die in dieser Zeit erbracht wurden, waren nicht vergeb-lich: Sie retteten das Vermächtnis der österreichischenArbeiterInnen- und ArbeiterInnenjugendbewegung hinü-ber in die Zweite Republik. Als die Streitkräfte desdeutschen Faschismus im Mai 1945 bedingungsloskapitulierten, war die sozialistische JugendbewegungÖsterreichs bereits wieder erstanden. Am 10. April1945, als in Wien noch heftige Kämpfe zwischen derSowjetarmee und den Hitlertruppen stattfanden,kamen sozialistische Jugendliche unter der FührungPeter Strassers zur Gründung einer neuen sozialisti-schen Jugendorganisation zusammen. Am 28. April1945, einen Tag nach der Wiederherstellung der Re-publik Österreich, wurde die Sozialistische JugendÖsterreichs (SJÖ) konstituiert. Und mit Ausnahme derWehrsportler wurden nach und nach alle Organisationender sozialdemokratischen Jugendbewegung - zum Teilunter anderen Namen und in anderen Formen - wiederins Leben gerufen. Eine neue Ära in der Geschichte dersozialistischen Jugendbewegung Österreichs hattebegonnen.

Einen Tag vor der Bestellung der ersten öster-reichischen Regierung unter Karl Renner fand

im SPÖ-Parteihaus in der Löwelstraße am 28. April1945 eine erste Sitzung junger GenossInnen unter demVorsitz von Peter Strasser statt. Strasser informiertedie Anwesenden über den Beschluss des Parteivor-standes zur Gründung einer eigenen sozialistischenJugendorganisation. Dafür musste allerdings die Zu-stimmung der Alliierten eingeholt werden. Dies ge-schah in der Form, dass 1.000 Jugendliche im 20. Be-zirk in einer öffentlichen Kundgebung zusammentrafen.Die Nichtuntersagung dieser Veranstaltung wurde alsBilligung durch die Besatzungsmacht interpretiert. Dieswar allerdings keine Garantie dafür, dass nun in allenTeilen des Landes ohne Risiko die Organisation wieder-aufgebaut werden konnte. Oft genug geschah es, dasssozialistische JugendfunktionärInnen in den folgendenJahren noch den lokalen Militärkommandanten Berichterstatten mussten. Die Teilung des Landes in vier Be-satzungszonen machte eine Kontaktaufnahme mit sozi-

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Der Neubeginn

Schutträumaktion der Sozialistischen Jugend nach dem Krieg

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alistischen Jugendlichen im Westen und Süden prak-tisch unmöglich. Es dauerte Monate, bis die Verbindungzwischen den einzelnen Bundesländern einigermaßenfunktionierte.

Der erste Jugendtag wurde von allen bestehen-den Jugendgruppen- den sozialistischen, den

kommunistischen und den bürgerlichen - gemeinsamdurchgeführt. Die "Freie Österreichische Jugend" (FÖJ),die kommunistische Jugendorganisation, versuchte, dieVeranstaltung unter ihre Kontrolle zu bringen. DieSozialistische Jugend war bereits zur stärkstenJugendorganisation geworden und 2200 "SJ-IerInnen"zogen als stärkste Gruppe auf den Rathausplatz. DieFÖJ konnte trotz Unterstützung durch die sowjetischeBesatzungsmacht lediglich 1900 Jugendliche mobilisie-ren, die bürgerlichen Organisationen kaum 300.Schon die erste Veranstaltung zeigte die Problematik

gemeinsamer politischer Kundgebungen von unter-schiedlichen Ideologien. Noch einmal, im Jahre 1946,wurde der Versuch eines österreichischen Jugendtagesaller Organisationen unternommen. Dabei kam es zumendgültigen Bruch. Diesmal wegen des Versuchs dervöllig unbedeutenden ÖVP-Jugendorganisation, ein Ju-gendparlament unter ihre Kontrolle zu bringen. DieSozialistische Jugend entschied sich daher bereits imJahr 1945 zu einem selbständigen organisatorischenund politischen Auftreten. Das Scheitern des 2. Ju-gendtages hat diese Entscheidung zementiert. Die pro-blematische, weil entweder auf die Entpolitisierung derJugendlichen oder auf deren Vereinnahmung orientier-te Idee einer österreichischen Einheitsjugend war über-wunden. Die Sozialistische Jugend fand sich in dergenuinen Rolle des unabhängigen Repräsentanten derArbeiterInnenjugend und sollte in der Folge - und aber-mals - zur bedeutendsten Jugendorganisation Öster-reichs avancieren.

Mit der neuen Bezeichnung "SozialistischeJugend Österreichs" wurden gleichzeitig das

Programm und die neue Zielsetzung zum Ausdruckgebracht: Die Sozialistische Jugend verstand und ver-steht sich als Organisation für alle arbeitenden undstudierenden Jugendlichen beiderlei Geschlechts, diesich zu den Grundsätzen des Sozialismus bekennen.Ihre Aufgabe war und ist nicht mehr allein die Inter-essensvertretung der ArbeiterInnenjugend oder derStudentInnen, nicht allein die politische Erziehung oderdie sportliche Ertüchtigung, sondern die universelle,auf den ganzen Menschen bezogene Erfassung derJugendlichen. Diese Grundsätze beanspruchen auchheute noch Gültigkeit, wenngleich sich im Verlaufe derfolgenden Jahrzehnte die Prioritäten mehrmals ver-schoben haben. Die SJ ist keine Standes-, Berufs- oderSchülerInnenvertretung, sondern eine echte Jugend-bewegung, die ihre Mitglieder mit dem Sozialismuskonfrontieren und für den Sozialismus ausbilden undformen möchte.

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Gegen die Staatsjugend

Universaler Anspruch

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In den ersten Jahren nach dem ZweitenWeltkrieg war es erforderlich, sich für eine

klare Ablehnung von Faschismen jeder Art, ihrer Ideenund Methoden durch die Jugend zu positionieren.Gleichzeitig war es notwendig, kommunistische Unter-wanderungsversuche und Vereinnahmungen durch einedeutliche Politik der Abgrenzung zu verhindern. DieKommunistInnen erwiesen sich im östlichen Teil Öster-reichs oftmals als Werkzeuge der russischen Besatz-ungsmacht. In den fast 250 Betrieben, die die sowjeti-schen Truppen der österreichischen Verwaltung entzo-gen (die so genannten USIA-Betriebe), setzten dieKommunistInnen die sozialistischen ArbeiterInnenunter Druck. Sie versuchten, die sozialistische Mehr-heit der ArbeiterInnenjugend dieser Betriebe zu bre-chen. Wo sich sozialistische JugendfunktionärInnendiesen Intentionen widersetzten, kam es immer wiederzu Repressionen bis hin zu Entlassungen. Entschlossenleisteten die sozialistischen JugendvertrauensleuteWiderstand, der 1955, nach Unterzeichnung desStaatsvertrages, zu einer deutlichen Bestätigung ihrerPolitik führte. In allen großen Betrieben in St. Pölten,Traisen, Floridsdorf, Leopoldstadt und den übrigenGebieten der russischen Besatzungszone gewannenjunge SozialistInnen das Vertrauen ihrer KollegInnen.Ihr Einsatz hat die Sozialistische Jugend bald nach demZweiten Weltkrieg zur führenden politischen Jugend-organisation gemacht.

Ebenso deutlich wie gegen die KP grenzten sichdie jungen SozialistInnen gegenüber dem

Kapitalismus und seinen politischen HelfershelferInnenab. Die Koalition, lautete ihr Credo damals, dürfe nichtzu einer Koalitionsgesinnung führen, zur Verwischungder Grenzen zwischen den Parteien.Wo immer sich Anzeichen einer nazistischen Wiederbe-tätigung oder neofaschistischer Umtriebe fanden, lei-stete die Sozialistische Jugend dagegen massiv Wider-stand.Die SJ unternahm auch Aktionen ohne expliziteUnterstützung durch die Behörden, um die Öffentlich-keit auf Versuche aufmerksam zu machen, die Jugendneuerlich zu verführen. Dazu zählten etwa die Protest-aktion der Sozialistischen Jugend gegen die Schiller-Feiern nationaler Verbände, die zur Folge hatten, dassdiese Feiern eingestellt wurden. Ein wichtiges Element für die Mobilisierungsfähigkeitder SJÖ in den ersten Nachkriegsjahren war ihreBetriebsarbeit. SJ-Betriebsgruppen führten regelmäßigVeranstaltungen in den Betrieben durch, vertrieben dieunmittelbar nach dem Krieg gegründete Verbands-zeitung "Trotzdem" und führten gemeinsam mit dersozialistischen Fraktion der Gewerkschaftsjugend denKampf um die Wahl von Jugendvertrauenspersonen.Die SJÖ war die mit Abstand stärkste Jugendorga-nisation in den Betrieben.Diese solide Verankerung in den österreichischen Be-trieben ging verloren, als die SPÖ 1952 ein Abkommenmit dem Gewerkschaftsbund schloss, wonach diesersämtliche politische Tätigkeit in den Betrieben übertra-gen bekam.

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Die Politik der erstenNachkriegsjahre

Abgrenzungspolitikgegen Rechts

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Im Jahr 1948 wurde die neue Zeitung derSozialistischen Jugend gegründet. Sie erhielt

den symbolisch aufgeladenen Titel "Trotzdem". "Trotz-dem" ging aus der "Stimme der Jugend" hervor, das alsSprachrohr der SJ unmittelbar nach Kriegsende ge-gründet wurde. Die RedakteuerInnen dieser Zeitungstanden in ständigem Konflikt mit den Besatzungs-mächten, zumal sie auch gegen deren Vertreter agitier-ten. Nach mehrmaligen "Verwarnungen" wurde die"Stimme der Jugend" auf Betreiben der russischenBesatzungsbehörde verboten. "Trotzdem" wurdeunmittelbar darauf die neue Zeitung gegründet, die bisheute unter diesem Titel besteht.

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Gründung der Zeitung�“Trotzdem�”

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Schon bei der ersten Zusammenkunft derBundesländer-VertreterInnen im Jahr 1946 auf

der Felser-Alm in Salzburg wurde Übereinstimmungüber den Aufbau der Organisation erzielt. In Anlehnungan die Struktur der Partei wurde der Verband inLandes- und Bezirksgruppen gegliedert. Diese wiederumfasste alle Gruppen eines Verwaltungsbezirkes.Im Verlaufe des Jahres 1946 fanden in allen Gruppen,Bezirken und Ländern Konferenzen statt, auf denen dieFunktionärInnen gewählt wurden. Am ersten Verbands-tag vom 7. bis 9. Dezember 1946 nahmen nur gewähl-te Delegierte der Bezirke teil, die über die Zusammen-setzung des neuen Verbandsvorstandes und die Politikund Tätigkeit des Verbandes entschieden.Die VertreterInnen der Bundesländer und der Verbands-vorstand traten viermal im Jahr zusammen, um überalle grundsätzlichen organisatorischen und politischenFragen zu beraten, wobei die Bedürfnisse aller Bundes-länder demokratisch berücksichtigt wurden.

Die Sozialistische Jugend, zum Unterschied vonanderen Jugendorganisationen, bekannte und

bekennt sich offen als politische Bewegung; daher kamund kommt der politischen Erziehungsarbeit eine ganzbesondere Bedeutung zu. Nach dem Ende des Kriegeswar es notwendig, junge Menschen - wieder - mit denGrundsätzen der Demokratie und des Sozialismus ver-traut zu machen. An der Spitze der politischen Agendastand die politische Erziehungsarbeit, die Überwindungder Gleichgültigkeit und die Bekämpfung der Propa-gandamethoden der nicht-sozialistischen Massen-medien, die die Jugend mit ihren Vernebelungsaktionenzu einem unpolitischen Verhalten führen wollen. DieErziehungsarbeit in der SJ setzte sich zum Ziel, denarbeitenden und studierenden Jugendlichen vor Augenzu führen, das nur ein klares sozialistisches Programmund damit vernetzte Aktionen zu einer dauerndenVerbesserung der Lage der Unselbständigen führenkönnen. Schulungsarbeit wurde auf allen Organisa-tionsstufen geleistet, in den Gruppen, bei denHeimabenden, bei speziellen Wochenendschulungenoder länger dauernden Internaten Bezirke, Länder unddes Verbandes. Komplexe Aktionen und Maßnahmenhaben der Schulungsarbeit immer wieder neuen Impulsgegeben. In den ersten Jahren nach dem Krieg war esdie SJ-Akademie, die anspruchsvollen FunktionärInneneine gediegene Ausbildung vermittelte. Die AktionKader in der Mitte der 50er Jahre etwa war ein bewus-ster Versuch, die FunktionärInnen auf ihre ständigeVerantwortung als Vorbild aufmerksam zu machen.Politischer Fernkurs und Redewettbewerb waren dieMethoden, die in den 60er Jahren zur Verbreitung derKenntnisse über den Sozialismus beitrugen.1952beschloss dann ein Verbandstag ein umfassendesSozialprogramm für die arbeitende Jugend, dem 1958das Programm "Lasst die Jugend mitgestalten" folgte.Dieses Programm war bereits mehr als nur ein sozialesForderungsprogramm. Es verlangte für die jungeGeneration die Anerkennung ihrer Stellung in dergesamten Gesellschaft. Es forderte Möglichkeiten zurMitwirkung und Mitgestaltung im Staat und in denGemeinden. Es zeigte der Jugend den Weg zur Mitbe-

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Demokratische Orga-nisationsstrukturen

Priorität der Erziehungs- und Kulturarbeit

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stimmung über die Mitverantwortung. Bei unzähligenKundgebungen, Roten Jugendtagen, Versammlungenund Jugendtreffen stellten die SJ-lerInnen ihre Forde-rungen und kämpften so für die weitere Verbesserungder Stellung der Jugend in der österreichischen Gesell-schaft.

Seminar mit Josef Hindels, von 1946-1951 Bildungssekretär der SJÖ

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Das Aktionsprogramm der SPÖ aus dem Jahre1947 forderte bereits für Österreich die Neu-

tralität gegenüber den großen Militärblöcken. Gegendie ursprüngliche Fassung des Programms demonstrier-ten damals die SJ-Delegierten Hubert Pfoch und PaulBlau, zumal darin die Existenz eines Heeres festgelegtworden war. Die jungen Menschen hatten indes genugvom Militär, dem Kasernenhof und den Uniformen. Mit dem Abschluss des Staatsvertrages stand dieFrage der Landesverteidigung allerdings in vollerAktualität vor der Sozialistischen Jugend. Sozialist-Innen und Konservative begrüßten vorbehaltlos dieösterreichische Neutralität als Preis für die endlicherrungene Freiheit. Mit der Neutralität war für die SJjedoch nicht unmittelbar die Verpflichtung zu einerumfassenden Landesverteidigung durch ein Bundesheerverknüpft. Intensive Diskussionen entstanden spontanin allen Jugendgruppen. Die jungen SozialistInnenwaren die wichtigsten Wortführer dieses Diskurses.

Am 16. Mai 1955 beschloss der Verbandsvorstand mitelf gegen eine Stimme die Zustimmung zur allgemeinenWehrpflicht. Dem voran gegangen war eine Einigunginnerhalb der SPÖ zur Aufstellung eines Heeres. Im so genannten 12-Punkte-Programm legte die SJ ihreForderungen zum Bundesheer nieder und beeinflusstedamit wesentlich den Gang der Verhandlungen um dieGestaltung der Österreichischen Landesverteidigung.Der erste Punkt lautete:Die Wehrpflicht darf nicht mehr als vier Monate betra-gen. Ein Zeitraum, der für eine zweckmäßige Aus-bildung vollständig genügt, wie das Beispiel derSchweizer Armee beweist.Sicherung der Staatsbürgerrechte, kein Uniformzwangund keine Grusspflicht in der Freizeit, Verbot von Schi-kanen, Wahl von Wahl von Soldatenvertretern, außer-ordentliches Beschwerderecht und Recht auf Wehr-dienstverweigerung zählten zu den weiteren zentralenPunkten. Im Herbst 1955, bei den Roten Jugendtagen inSteyr, riefen die SJ-Kolonnen "Früher waren die Kassenleer, jetzt sind sie voll fürs Bundesheer". In Wien undOberösterreich gingen die Wogen besonders hoch.

Gruppen- und Landesbeschlüsse wendeten sich gegenden Verband und den Parteivorstand. Es wurde vomVerband die Durchsetzung der Miliz nach SchweizerMuster verlangt, aber viele junge Menschen lehnteneine Wiederbewaffnung Österreichs überhaupt ab. DerParteitag im November 1955 stimmte der Forderungder SJ nach einer viermonatigen Dienstzeit nicht zu.Allerdings bewirkte die öffentliche Diskussion, dassdie SPÖ eine sechsmonatige Ausbildungszeit für aus-reichend hielt und in der Verhandlung mit der ÖVP eineneunmonatige Präsenzdienstzeit erreicht werden konn-te. Damit hatte Österreich hinter Finnland die zweit-kürzeste Militärdienstzeit in Europa beschlossen. Es bedurfte damals der ganzen Argumentationskraftder FunktionärInnen, um einen ernsthaften Bruch in derJugend und zwischen Jugend und Partei zu verhindern.Mit der Aufstellung der ersten militärischen Einheitenwurde das Problem sachlicher behandelt. Die SJ konn-te die Öffentlichkeit von der Richtigkeit vielerForderungen überzeugen und gewann damit auch in derJugend ein noch höheres Ansehen. Die ständige Mit-wirkung an Problemlösungen im Rahmen der Landes-verteidigung bewirkte auch die Nominierung des SJ-Verbandsobmannes in die Beschwerdekommission,womit die Bedeutung der Sozialistischen Jugend imZusammenhang mit dem Bundesheer auch von derPartei öffentlich bekundet wurde.Dennoch blieb die SJ gegenüber dem Bundesheer skep-tisch. Ihre Strategie zielte darauf ab, den Einfluss vonSozialistInnen innerhalb des Heeres zu vergrößern, denvon Reaktionären darin zu verhindern.

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Diskussion um die Landesverteidigung

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1946 wurde die Sozialistische Jugendinter-nationale in Paris wiedererrichtet. Sie erhielt

einen neuen Namen: International Union of SocialistYouth (IUSY). Bei dem Gründungskongress wurden diedeutschen JungsozialistInnen zunächst nicht zugelas-sen, weil dies zu einem politischen Skandal inFrankreich geführt hätte. Der erste Verbandsobmannder SJÖ und spätere Präsident der IUSY, PeterStrasser, mobilisierte zu Gunsten der Deutschen:"Wenn ihr wahre Internationalisten seid, dürft ihrheute die Schuld des Faschismus nicht den jungenSozialisten Deutschlands aufbürden."Trotzdem dauerte es noch zwei Jahre, bis diese Fragegelöst wurde, und die deutschen JungsozialistInnenwieder in die Internationale aufgenommen wurden. Noch unter Peter Strasser vollzog sich die entscheiden-de Wandlung der IUSY zur weltumspannenden Orga-nisation. In den ehemaligen Kolonien entstanden sozia-listische Jugendorganisationen, die Anschluss an dieIUSY fanden. Das erste Mal in der Geschichte derInternationale wurden damit die europäischen Grenzendes modernen Sozialismus überschritten, die Jugend-internationale wurde zu einer globalen Organisation.Ihr kompromissloses Eintreten gegen Unterdrückungund Not in Ost und West hat sie zum wirkungsvollstenVertreter des demokratischen Sozialismus in vielenTeilen der Welt gemacht.

Besonders mit Innenminister Helmer, dem füh-renden Repräsentanten des rechten Flügels in

der SPÖ, kam es immer wieder zu Konflikten. Die SJwarf ihm vor, dass er es vor allem verabsäumt hatte,den Staatsapparat von faschistischen Elementen freizu halten.

Bereits am Parteitag 1946 griff Josef Hindels, einerder Exponenten der Parteilinken und Mitglied derRevolutionären Sozialistischen Jugend, den Innen-minister an. "Ist es sozialistische Realpolitik", fragteHindels, "wenn unter einem sozialistischen Innen-minister faschistische Arbeitermörder leitende Positio-nen in der Exekutive bekleiden?".Helmer setzte sich mit Unterstützung von Delegierten,die die "hemmungslose Kritik der SJ" beklagten, mitseiner Politik indes durch: Er vertrieb die Kommunist-Innen sukzessive aus Polizei und Verwaltungspostenund ersetzte sie durch eine Reihe von ehemaligenAustro- und Nazifaschisten.Diese Politik war weniger einer theoretischen Fehlein-schätzung geschuldet als einer wahltaktischen, gleich-ermaßen von der SJ abgelehnten Strategie. Die SPÖbuhlte um die ehemaligen NationalsozialistInnen, indenen sie ein großes Wählerreservoir verortete. Jahrespäter kam es dann, mit tatkräftiger UnterstützungHelmers, zur Gründung und Kandidatur des deutschna-tionalen VDU als Vorläuferorganisation der FPÖ.Gegen die Verharmlosungsversuche der Parteirechtensteht die SJ bis heute in den Reihen jener, die einAufkeimen faschistischer Ideologien und ein Auftretenvon Neonazis kompromisslos bekämpfen.Die konsequente Politik der Abgrenzung gegen revisio-nistische Reanimationsversuche, die nicht selten vomdamaligen Parteiestablishment gedeckt bzw. unter-stützt wurden, zeitigten für manche Funktionäre unan-genehme Spätfolgen: So verhinderte ParteivorsitzenderAdolf Schärf, dass der Leiter der damaligen SJ-Aka-demie, Josef Hindels, beim Parteiverlag "Vorwärts"angestellt wurde. Innenminister Helmer wiederumrevanchierte sich bei Hindels für dessen fundamentaleKritik an ihm und seinen politischen Vasallen damit,dass er den bereits sicher scheinenden Nationalratssitzfür Hindels im letzten Moment noch verhinderte.Auch nach dem Ausscheiden von Hindels und Paul Blauals prägende SJ-Exponenten aus der Jugendorganisa-tion im Jahre 1950 verzichtete die SJ keineswegs dar-auf, ihre ideologisch autonome Rolle im Rahmen derPartei wahrzunehmen. Insbesondere eine starkeWiener Landesorganisation um Ernst Nedwed und SJ-

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Neue Sozialistische Jugendinternationale

Staatsapparat undSPÖ-Establishment

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NÖ-Obmann Gerhard Weißenberg, dem späterenSozialminister, fühlte sich austromarxistischem Gedan-kengut verbunden und ließ sich nicht auf reineJugendarbeit reduzieren.Dies drückte sich auch im Programm des Verbands-tages 1952 bis 1954 aus, worin formuliert wurde,dass es notwendig sei, "die Partei zu erziehen."

Am 12. Dezember 1954 fand mit dem 5. Ver-bandstag der SJÖ die Generationsablöse ihren

Abschluss. Das letzte Mitglied des 1. Verbandsvor-standes, Peter Strasser, wurde von Heinz Nittel abge-löst.Zu diesem Zeitpunkt befand sich die SozialistischeJugend Österreichs in einer veritablen Krise, die sichvor allem in einer sinkenden Mitgliederzahl und einemAbsinken der politischen Arbeit in den Gruppen äußerte.Aus der Analyse der Krise und dem darauf basierendenintensiven Diskussionsprozess entwickelte sich alszentrale Gegenmaßnahme die "Aktion Kader". Mit derRekrutierung eines FunktionärInnenkaders der SJÖdachte die damalige Verbandsführung, die Krise raschbewältigen zu können. Die Analyse hatte allerdingszuwenig den politischen Hintergrund der Organisations-krise berücksichtigt. Dieser bestand darin, dass dieJugendorganisationen insgesamt an Substanzverlustinnerhalb der Jugend zu laborieren begannen. NeueStrömungen und Sozialisationsinstanzen hatten dieHegemonie der Jugendorganisationen, so auch der SJ,abzulösen begonnen. Vor allem nach dem Jugendein-stellungsgesetz von 1953 und der nahezu beseitigtenJugendarbeitslosigkeit Ende der fünfziger Jahre führ-ten die explosionsartig gewachsenen Freizeitalter-nativen zu einer relativen Entpolitisierung der Jugend-lichen.Von dieser "Entpolitisierung" war auch die SPÖerfasst, zumal sie sich endgültig für einen sozialpart-nerschaftlichen Kuschelkurs mit dem Kapital ent-schlossen hatte und vor allem in ihrer Praxis die Über-

windung der Klassengegensätze zum politischenThema machte.Der damalige SJ-Schulungsreferent und spätere führen-de KonsumentInnenschützer, Fritz Koppe, folgerte dar-aus, dass "ein geistiger Wecker" notwendig sei, "derdie Arbeiterklasse aktiv und kampffähig" erhalte. "DieKraft, die geistige Neuorientierung der sozialistischenBewegung zu erreichen, muss von der Jugend ausge-hen. Wir müssen unseren Kader - eine aktive Minderheit- schulen, damit er hinausgeht und agitiert."Es sollte allerdings noch Jahre dauern und einige Ex-perimente in der Schulungs- und Erziehungsarbeitsowie in der innerparteilichen Auseinandersetzung mitder SPÖ erforderlich machen, ehe sich die SJ alsKampforganisation - und klassenbewusste Avantgardeinnerhalb der Sozialdemokratie Österreichs wieder zustabilisieren vermochte.

Am zehnten Verbandstag der SJÖ im Dezember1964 wurde Verbandsobmann Heinz Nittel

durch Peter Schieder abgelöst. Schieders Aufgabe wares, die SJ aus der Krise, in der sie sich befand - und dienicht zuletzt die tiefe Krise der SPÖ durch die Olah -Affäre widerspiegelte - herauszuführen und der Orga-nisation wieder ein Potential für ihre politische undorganisatorische Arbeit zu erschließen. Dies umsomehr, als die SJ einen Monat vor dem Verbandstag ihr70-jähriges Gründungsjubiläum gefeiert hatte.Durch eine Vernetzung von neuen Formen der Jugend-arbeit - politische Fernkurse, Redewettbewerbe u.a. -mit traditionellen Formen wie zum Beispiel die Organi-sation der "Roten Jugendtage" gelang es, die Lage zustabilisieren. So konnte die Mitgliederzahl Mitte der60er Jahre das Tief überwinden, in das sie zu Ende der50er Jahre geraten waren.Eine neuerliche Politisierung der Jugend, von der auchdie SJÖ und viele Landesorganisationen profitierten,

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Aktion Kader

Gegen das Senile undFossile

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entstand im Kontext mit der aufstrebenden Protestbe-wegung. Ein weithin sichtbares Lebenszeichen gab die SJ im März1965, als sie zu den ersten Organisationen zählte, diegegen die neofaschistischen Umtriebe des Wirtschafts-professors Taras Borodaikewycs an der Uni Wien prote-stierte. Bei einer Demonstration der ÖsterreichischenWiderstandsbewegung am Ring, die von der SJ unterstütztwurde, ermordeten allerdings bewaffnete Jungfaschistenden österreichischen Widerstandskämpfer Ernst Kirch-weger.Nachdem die Symptome der Unzufriedenheit einesGroßteils der Jugend mit dem bestehenden sozioökono-mischen System sich immer stärker in politischenAktionen niederschlugen - APO-Bildung (Außerparla-mentarische Opposition), Proteste gegen den Vietnam-krieg, StudentInnendemonstrationen -, gelangte die SJzu einer weiter führenden Einschätzung, die PeterSchieder folgender Maßen formulierte:"Es geht um politische Forderungen. Der ernste Protestrichtet sich gegen das Senile und Fossile, gegen dasErstarrte in der Gesellschaft, gegen die, die sich`sgerichtet haben und von nichts Neuem mehr hören wol-

len, gegen das Establishment. Dadurch gewinnt dieBewegung an Attraktivität bei den denkenden Jugend-lichen........Das wird auf vielen Gebieten und auch in unserer Be-wegung seine Auswirkungen haben. Neue Formen wer-den erprobt, neue Methoden der Aktion gefunden wer-den müssen."Aus dieser Analyse, den gesellschaftskritischen Wahr-nehmungen dieser Jahre und aufbauend auf die Reihe"Blickpunkt 2000", einer offenen Veranstaltungs-Vortrags- und Diskussionsreihe (1968 bis 1970), ent-wickelte sich konkret ein neues SJ-Bildungskonzept.Es löste das traditionelle Schulungsschema ab undfokussierte statt dessen das exemplarische Lernen.Dessen zentrales Element war die Gruppendiskussion,in der die ReferentInnen zu MitarbeiterInnen undDiskussionshelferInnen und das Publikum zu aktivenGestalterInnen des Lehrstoffs wurden.Konzipiert wurde das Bildungskonzept vom Bildungs-sekretär der SJ, Fritz Edlinger; das Konzept wurde bis1972 durchgetestet, dann fiel es einem Fraktions-kampf innerhalb der SJ, in den Edlinger verstrickt war,zum Opfer.

Demonstration gegen neofaschistischeUmtriebe an der Universität Wien

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Die neuerliche Abgrenzung gegenüber einer"sozialistischen" Politik für das Establishment

durch die Sozialdemokratie führte auch zu neuerlichenKonflikten der SJ mit der SPÖ. Zwar scheiterte derVersuch Schieders, SJ und Junge Generation - JG - zuverschmelzen, doch die strategisch geplante Bündnis-politik kam bereits am SPÖ-Parteitag 1968 zum Aus-druck:Das "Manifest der Jungen" verstand sich als fort-schrittlicher Forderungskatalog für die Jugendpolitikder Partei, und es enthielt Formulierungen für eine not-wendige grundsätzliche Änderung der Gesellschafts-ordnung. 1968 kam es dann zur Annäherung von SJund VSSTÖ, indem die SJ eine Mittlerrolle im Konfliktzwischen SPÖ und VSSTÖ einnahm. Schieder erklärtedamals, nicht eine APO - eine außerparlamentarischeOpposition sein zu wollen, sondern eine IPO - eineinnerparteiliche.Immer wieder kam es auch zu Konflikten mit politi-schen Rechtsauslegern der SPÖ wie zum Beispiel mit

dem damaligen Verteidigungsminister Lütgendorf inheeres- und verteidigungspolitischen Fragen. In ihrerauf den parlamentarischen Rahmen fixierten Taktikversuchte die SJ, die Forderung nach Verkürzung derWehrdienstzeit auf sechs Monate durchzubringen. Da-bei musste sie als Kompromiss die zusätzlicheWaffenübungsdauer von 60 Tagen akzeptieren. Ein großer Erfolg war aber die Einführung desZivildienstes - allerdings mit der Einschränkung der"Gewissensprüfungskommission".Eine der alten Forderungen der SJ, die Verkürzung derArbeitszeit für Jugendliche auf 40 Wochenstunden,wurde zwischen 1970 und 1975 verwirklicht. Auchdas Jugendvertrauensgesetz wurde auf Initiative derSJ unter der Kanzlerschaft Bruno Kreiskys beschlos-sen. Damit wurden endgültig die auf freiwilliger Basisgewählten VertreterInnen der JungarbeiterInnen im Be-trieb gesetzlich abgesichert. Ungelöst blieb allerdingsdie Berufsausbildungsreform mit den Forderungen derSJ nach staatlichen Lehrwerkstätten und der

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Bündnis- und Aktionspolitik

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Aufhebung der Trennung zwischen öffentlicher Berufs-schule und praktischer Ausbildung in Privatbetrieben.Intensiv wurde seitens der SJ auch das "Aktions-komitee zur Abschaffung des § 144�” unterstützt; die-sem Komitee gelang es, auf dem Villacher Parteitag imJahr 1972 die Fristenlösung durchzusetzen.

1973 löste Johann Hatzl Peter Schieder als Verbands-obmann ab. Die Repolitisierung der Organisation setztesich auch unter Hatzl fort. So fand 1974 erstmals wie-der der Fackelzug auf der Wiener Ringstraße statt.Eine Verbandskonferenz beschloss darüber hinauseinen Aufruf zum Nationalratswahlkampf 1975, derunter anderem erstmals seit langer Zeit wieder einekritische Einschätzung der Gesamtpolitik der SPÖ undder Aufgaben der SJÖ enthielt. Damit wurde auch der von der SPÖ der SJ zugedachtenFunktion, eine simpel von der Mutterpartei zu exekutie-rende Werbetruppe zu sein, eine klare Absage erteilt.

Bei der Nationalratswahl im Oktober 1975gelang es Johann Hatzl, in den Nationalrat ein-

zuziehen. Der 16. Verbandstag 1976 wurde daher aufMärz vorverlegt. Die wachsende Politisierung derSozialistischen Jugend, basierend auf der Reform-politik Bruno Kreiskys und innerhalb der SJ, schlugauch auf Bundesebene durch. Bei diesem Verbandstagvom 19. bis 21. März 1976 wurde der oberösterreichi-sche Landesvorsitzende Josef Ackerl zum Verbandsvor-sitzenden gewählt. Der aus dem VSSTÖ kommendeJosef Cap und der ehemalige Salzburger Landessekre-tär Reinhard Todt bekleideten von nun an die Ämter derVerbandssekretäre. Mit ihnen wurde eine neuerlicheLinksorientierung in der SJÖ eingeschlagen. DieseLinkswende kam auch in der verabschiedeten Grund-satzerklärung zum Ausdruck:"Die Sozialistische Jugend (SJÖ) kämpft für uneinge-schränkte politische, wirtschaftliche und soziale

Demokratie, für den Sozialismus. Die SJÖ ist sich des-sen bewusst, dass die Arbeiterbewegung erst am Be-ginn des Weges zur vollendeten Demokratie steht,einer Demokratie in der die Menschen im Mittelpunktder gesellschaftlichen Planung stehen und in der dieallseitige und umfassende Entwicklung der Produktiv-kräfte in Übereinstimmung mit den individuellen Zielender Menschen vorangetrieben werden. Voraussetzungfür diese Demokratie ist, dass der Arbeitsertrag denArbeitenden zugute kommt, was wieder voraussetzt,dass die Produktivmittel im gesellschaftlichen Eigen-tum sind. Die SJ stellt fest, dass diese Voraus-setzungen nicht erfüllt sind, dass die Welt immer nochunter den Folgen des ungelösten Widerspruches zwi-schen gesellschaftlicher Arbeit und privater Aneignungleidet. Noch immer kommt es infolge des demKapitalismus innewohnenden Profitprinzips zu wirt-schaftlichen Krisen und Katastrophen. Nicht nur, dassdie große Mehrzahl der Menschheit in Armut lebt,besteht auch eine absolute und relative Verelendung.Das Kapital wird immer mehr in den Händen einigerweniger Konzernbesitzer vereinigt. Die Analyse deswissenschaftlichen Sozialismus hat also auch heuteihre volle Gültigkeit, sie beweist sich in jeder neuenKrise nur immer deutlicher. Deshalb bildet der historische und dialektischeMaterialismus die Grundlage der Tätigkeit der SJÖ, mitdessen Hilfe die Zusammenhänge des heute herrschen-den monopolistischen Kapitalismus geklärt und aufGrund dessen aus der jeweiligen historischen Situationheraus die Konsequenzen für die politische Arbeit derSJ gezogen werden können.Die SPÖ müsste nach Ansicht der SJÖ die Grundliniendes wissenschaftlichen Sozialismus, wie sie ihr durchdas geltende Parteiprogramm vorgezeichnet sind, inden Teilen ihrer Politik konsequent einhalten. Derbeginnende Wandel unserer Bewegung von einer Parteides Volkes zu einer " Volkspartei", von der klaren Ver-tretung der Interessen der arbeitenden Menschen zueiner verschwommenen "Modernisierungspolitik"erfüllt die SJÖ mit großer Sorge, weil dies langfristigeine sozialistische Partei ihrer Aufgabe entfremdet.

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Der Verbandstag 1976

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Die SJÖ hat daher als Jugendorganisation der SPÖ dieAufgabe, der Partei, klassenbewusste Mitarbeiter her-anzubilden, die am Arbeitsplatz, in Betrieb und Schule,im öffentlichen Wirken und in allen Gremien der Parteidiszipliniert arbeiten und sich als Sozialisten erweisen.Um diese Verpflichtung erfüllen zu können, arbeitet sieauch mit anderen demokratischen, gewerkschaftlichenund religiösen Organisationen für die Durchsetzungihrer Ziele zusammen......Die SJÖ muss darauf hinarbeiten, dass für dieArbeiterbewegung das kapitalistische System wiederklarer als Konfliktquelle erkennbar ist, um dann alleMöglichkeiten ausschöpfen zu können, den Prozess zurErrichtung der sozialistischen Gesellschaftsordnungvoranzutreiben.Die historische Entwicklung nach 1945 lässt es der SJals besonders notwendig erscheinen, die SozialistischeInternationale zu verstärken und die Zusammenarbeitder Arbeiterbewegung auf internationaler Ebene zuintensivieren. Die technische Revolution hat demKapitalismus andere Dimensionen verliehen. Umsowichtiger ist die internationale Arbeiterbewegunguntereinander und besonders gegenüber antiimperialis-tischer und antikapitalistischer Befreiungsbewegungenim Kampf um nationale Unabhängigkeit. Nur so kannauch den im Gefolge der Wirtschaftskrisen auftreten-den und von entsprechenden Kräften gefördertenFaschisten und Anarchisten entgegengetreten werden.Ebenso muss der Expansion multinationaler Konzerneund des internationalen Finanzkapitals begegnet wer-den. Unser Ziel heißt Beseitigung des Kapitalismus,unser Ziel ist der Sozialismus."

Diese Grundsatzerklärung schlug eine Brücke zwischenwissenschaftlichem Marxismus und sozialdemokrati-schem Reformismus. Die angesprochene Bündnispolitikmit anderen demokratischen Kräften war vor allem aufdie Bekämpfung des Imperialismus zu verstehen.Das Grundsatzpapier gilt zurecht als Meilenstein derSozialistischen Jugend auf dem Weg zur eigenständi-gen marxistisch orientierten Jugend-Organisation. Dasklare Bekenntnis zum Marxismus sollte die Politik unddas Selbstbild der SJ auch in den nächsten Jahren undbis heute prägen.

Noch vor dem Verbandstag 1976 entwickeltesich in Wien eine trotzkistische Gruppe, die sich

in Anlehnung an die berühmte Zeitung Lenins "DerFunke" nannte. Doch diese Gruppe konnte sich nichtlange halten. Da ihr Auftreten auf massiven Wider-stand der SJ Wien Führung stieß, die in weiterer Folgeauch die Wiener SPÖ gegen die "Funkisten" mobilisier-te, zerbrach diese Strömung, die immerhin sechsWiener Bezirke umfasste, im Jahre 1975. Doch ausdieser Gruppe sollte rund um Heinz Vettermann späterdie trotzkistische " Vorwärts" Strömung entstehen.Die sich auf Otto Bauer, Josef Hindels, Max Adler undandere berufenden "Austromarxistlnnen" galten alsVertreterInnen des sogenannten "Dritten Weges" undrepräsentierten den stärksten Flügel. Dazu gehörtenu.a. Josef Cap, Bruno Aigner, Peter Pelinka, BrigitteEderer und Herbert Lackner. Den jugendpflegerischenZugang vertraten nach wie vor u.a. Otto Aschen-brenner (SJ NÖ), Roman Wiche (SJ Wien) und EdmundHofmannsrichter (SJ Wien).Beim Verbandstag 1976 repräsentierten sämtlichemarxistische Strömungen gemeinsam die Mehrheit, umso den Wechsel an der Spitze und vor allem das marxi-stisch orientierte Grundsatzpapier zu ermöglichen. Abdiesem Verbandstag verstand sich die SJÖ als "links-sozialistische Kraft".Josef Ackerl selbst hingegen gelang es nicht, sich alsPerson in der SJÖ zu verankern. Selbst in seiner politischen Heimat, der SJ Ober-österreich, geriet Ackerl ebenso wie HeribertSchwarzenbrunner zunehmend unter Druck. Bereitsbeim Verbandstag 1978 sollte Josef Ackerl vom bishe-rigen Verbandssekretär Josef Cap abgelöst werden,was damals als weitere Linksentwicklung der SJÖinterpretiert wurde.

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�“Flügelbildung�”

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Unter dem Verbandsvorsitzenden Josef Capwaren die Arbeitsfelder auf drei Themen fokus-

siert: auf die Arbeitszeitverkürzung, die Friedensfrageund die Anti-AKW-Positionierung. Bereits 1978, im ersten Jahr der Amtszeit Josef Capsals Verbandsvorsitzender, wurde in der SozialistischenJugend eine heftige Debatte über die energiepolitischeOrientierung Österreichs geführt. Es ging um das Atom-kraftwerk Zwentendorf in Niederösterreich, dass knappvor seiner Fertigstellung und Inbetriebnahme stand.In der Tat fanden sich auf der Seite der Kraftwerks -BefürworterInnen die SPÖ, die Gewerkschaften, dieIndustriellenvereinigung und die Energiewirtschaft.Ihre Argumente lauteten, ohne Zwentendorf gäbe es zuwenig Strom, ohne Strom weniger Lebensqualität undArbeitsplätze. Vor allem Bundeskanzler Dr. Bruno Kreisky und dieWirtschaftskammer sowie ÖGB-Präsident Anton Benyamachten massiv Stimmung für den Bau von Zwenten-dorf. Junge Menschen aus allen politischen Lagerngehörten indessen zu den konsequentesten GegnerInnender Fertigstellung des AKW. Die SJÖ war nicht zuletzt

deswegen gegen Zwentendorf, weil es ein sozialpart-nerschaftliches Projekt war, das sich über alle ökologi-schen Bedenken hinwegsetzen wollte. Innerhalb der SJvertrat lediglich die niederösterreichische Landes-organisation unter dem neuen Vorsitzenden KarlSchlögl einen strikten Pro-Zwentendorf - Kurs. Dazukommt, dass in der sozialdemokratisch geführten Ort-schaft Zwentendorf selbst das Kraftwerksvorhabensehr positiv beurteilt wurde, versprach man sich dochArbeitsplätze und wirtschaftlichen Aufschwung. Erst als Bundeskanzler Kreisky sein persönlichesSchicksal mit dem Ergebnis der Volksabstimmung am5.11.1978 über die Inbetriebnahme des AKW ver-knüpfte, sprangen aus taktischen Gründen die konser-vativen Parteien ÖVP und FPÖ auf den Zug derZwentendorf - GegnerInnen auf.

Das Bündnis der Anti-AKW-Kräfte, das von der SJÖüber die katholische Jugend auch eine Reihe alternati-ver Listen umschloss, konnte schließlich bei derVolksabstimmung 1978 mit 51,5 % einen knappenSieg erringen.

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17. Verbandstag 1978

Mit Vorzug in den Nationalrat

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Seit dem Verbandstag 1976, bei dem sich dieSJÖ das linkssozialistische Grundsatzpapier

verpasst hatte, versuchte die Sozialistische JugendÖsterreichs auch innerhalb der IUSY, der Sozialisti-schen Jugendinternationalen, jene Kräfte zusammenzu-fassen, die nicht allein den jugendpflegerischenAnspruch ihrer jeweiligen Mutterpartei erfüllen woll-ten. Seit 1978 wurde diese institutionalisiert in Formeiner linken Arbeitsgemeinschaft der IUSY, der nebender SJÖ auch die deutschen MitgliederorganisationenJUSOS, Falken und SHB, die niederländischen, schwei-zerischen und luxemburgerischen JungsozialistInnenangehörten und gute Kontakte zu den britischenJungsozialistInnen hatte. Die gemeinsame Politik die-ser Arbeitsgemeinschaft wurde auf einer jährlich abge-haltenen Sommerschule in Oer/Erkenschwick diskutiertund erarbeitet. Auf besonders nachhaltigen Widerstandder SJ traf daher die Entscheidung der NATO über dieProduktion und Stationierung von Mittelstrecken-raketen in Westeuropa. Die SJ lehnte, wie andere sozi-alistische Jugendorganisationen in Europa, die Politikder Stärke der USA und der NATO ab, da sie dieEntspannung gefährdete und durch ihre Aufrüstung denLebensinteressen der Bevölkerung Europas wider-sprach.Sie kritisierte gleichzeitig die Politik der UdSSR, da siedurch die Intervention in Afghanistan die nationaleSouveränität des afghanischen Volkes verletzt hatte,aber besonders, weil ihre Interessen nicht auf die sozi-ale und politische Befreiung Afghanistans, sondern ein-zig auf die Ausweitung ihrer global-strategischenPosition orientiert war.Als Alternative zum Rüstungskurs wurde dieFortsetzung der Entspannungspolitik, der Verzicht aufdie Stationierung von Mittelstreckenraketen und dieSchaffung einer atomwaffenfreien und entmilitarisier-ten Zone in Mitteleuropa sowie die Wiederherstellungder Souveränität Afghanistans gefordert. BeimVerbandstag der Sozialistischen Jugend Österreich imApril 1980 brachte schließlich die SJ Oberösterreichdrei Anträge zum Thema "Friedenspolitik" ein. Die Forderung der SJ OÖ indes, in friedenspolitischen

Fragen auch Bündnisse mit kommunistischen Gruppeneinzugehen, stieß bei den Vertretern der Antrags-prüfungskommission auf Widerstand. Josef Cap,Andreas Rudas, Karl Schlögl und andere beriefen sichimmer wieder auf die durch die Eisenstädter Erklärungder SPÖ aus dem Jahre 1969 manifestierte Parteidok-trin der Nichtkooperation mit KommunistInnen. Esgelang der Sozialistischen Jugend Oberösterreich aber,zumindest einen Antrag bei dieser Konferenz mehrheit-lich durchzubringen, der sich gegen die Aufrüstung derBRD aussprach.

Viel entscheidender war allerdings die Tat-sache, dass der Verbandstag die Erarbeitung

einer friedenspolitischen Position der SozialistischenJugend Österreichs auf einem Verbandsseminar be-schloss. Erwin Buchinger, der stellvertretende Ver-bandsvorsitzende, wurde als Vertreter der "Österrei-chischen Initiative für Sicherheit und Zusammenarbeitin Europa", die vom Vorsitzenden des KP-dominiertenFriedensrates, Prof. Schönfeld, geleitet wurde, zu einemeuropäischen Seminar nach Madrid entsendet. Warenes zunächst nur konkrete Einzelfälle, die das Engage-ment der SJÖ in Friedensfragen erforderten, wie etwaein Bündnis der SJÖ mit PazifistInnen und ChristInnengegen den Panzerexport nach Chile, sollte sich dies mitEnde des Jahre 1980 entscheidend ändern.Gemäß den Beschlüssen des 18. Verbandstages derSJÖ fand vom 22. bis 23. November 1980 ein Seminarzum Thema Friede und Abrüstung in Altlengbach (NÖ)statt. Die Basis für das entscheidende Seminar bildeteein im "Trotzdem" publizierter Artikel von ErwinBuchinger und ein Grundsatzpapier von Josef Cap.Josef Cap formulierte in seinem Grundsatzpapier, dassdas Wettrüsten insgesamt ein Instrument des ökonomi-schen und politischen Kampfes gegen die RGW Staatensei und daher den Aufbau demokratischer und sozialis-tischer Strukturen in den RGW - Staaten durch die

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Friedensbewegung und SJ

FriedenspolitischePosition der SJ

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Entwicklung eines militärisch-industriellen Komplexesund der Bürokratie im Allgemeinen gefährde. Bei seinerAnalyse der Entwicklung der Sozialistischen Ländergelangte er auch zu Sowjetrussland - kritischenSchlussfolgerungen. Er erläutert am Beispiel derEntwicklung der CSSR 1968 die innenpolitischenEntwicklungsphasen der tschechoslowakischen Bevöl-kerung, die auf Weiterentwicklung und Veränderungorientiert gewesen sei. Cap wies die These von derimperialistischen Bedrohung als Haupterklärung für dieinnere Entwicklung der RGW-Staaten zurück. Er be-stritt darüber hinaus das Primat der Partei in rüstungs-politischen Fragen und verortete auch in der Sowjet-union einen militärisch-industriellen Komplex. Überdiesknüpfte Cap eine mögliche Friedensarbeit der SJ ankonkrete Bedingungen: Zum ersten sei ein Diskussions-prozess in der SJÖ über die sozialistischen Länder un-erlässlich, zum zweiten eine grundlegende Kritik an derAußen- und Wirtschaftspolitik einiger RGW-Staatenund zum dritten sei esn o t w e n d i g ,

auch die möglichen sozialistischen Veränderungs-perspektiven innerhalb der KPÖ zu berücksichtigen.Beim Verbandsausschuss der SJÖ vom 6. bis 7. Dezem-ber 1980 in Brunn am Gebirge sollten diese beidenPapiere von Cap und Buchinger diskutiert und dieArbeit der SJÖ auf diesem Sektor definiert werden.Für die VertreterInnen des jugendpflegerischen Zu-gangs, allen voran der niederösterreichische Lan-desvorsitzende Karl Schlögl, war eine Beteiligung derSJ an Aktionen mit der KPÖ nicht mit der EisenstädterErklärung der SPÖ vereinbar und Friedensarbeit einklassisches KPÖ-Thema. Da keine Einigkeit gefundenwurde, musste eine Kampfabstimmung entscheiden,bei der sich letztendlich die BefürworterInnen einerFriedensarbeit der Sozialistischen Jugend Österreichsum Erwin Buchinger, Alfred Gusenbauer (Verbands-sekretär) und Alois Reisenbichler knapp gegen dieAblehnungsfront rund um Karl Schlögl, Josef Cap,sowie der Landesorganisationen Niederösterreich undWien durchsetzten. Als inhaltliche Grundlage wurdeallerdings das Papier von Josef Cap beschlossen.Dieser Beschluss ermöglichte es erstmals ganz offi-ziell, in Bündnissen mit KommunistInnen zusammenzu-

arbeiten. Im Sommer 1981 manifestierte sich dieserParadigmenwechsel innerhalb der SJ auch öffent-

lich: Bei einer Pressekonferenz verkündeteJosef Cap: "Wir arbeiten in der Friedensbe-

wegung nicht mit der KPÖ zusammen, aberwir fragen Einzelpersonen, die sich mit derPlattform dieser Bewegung identifizieren,nicht, aus welchem Lager sie kommen."Natürlich weitete sich diese Zusammen-arbeit in der Folge auch auf die KP undihrer Organisationen aus und sollte sichschon bald auf eine breite Palette von

Fragen erstrecken, von der Frauen- über dieÖkologiefrage bis zum Antifaschismus.

Diese Form der Bündnispolitik auf Verbands-ebene sollte bis 1990, also auch unter Caps

Nachfolger Gusenbauer praktiziert werden, fandallerdings danach erst wieder unter dem Einfluss der

repolitisierten SJ Niederösterreich unter dem Vorsitzvon Andreas Kollross ihre Fortsetzung.

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Das effektivste Auftreten der SJÖ im Verlaufeihrer jüngsten Geschichte war nach Einschätz-

ung vieler BeobachterInnen die Vorzugsstimmen-Kam-pagne für Josef Cap.Am Parteitag Ende Oktober 1982 hatte Cap HannesAndrosch und Justizminister Broda wegen angeblicherWeisungen im Zusammenhang mit dem AKH-Skandalheftig kritisiert. Außerdem trat Cap bei der Friedens-demonstration am 15. Mai als Schlussredner auf, wo-durch zusätzlich eine breite Öffentlichkeit für den Ver-bandsvorsitzenden hergestellt wurde. Nach den dreiFragen an den burgenländischen LandeshauptmannTheodor Kery und der darauf folgenden HinauswahlCaps aus dem Bundesparteivorstand der SPÖ wurde errasch zum Symbol für politische Moral und gegenPrivilegien.Weil sich auch die Wiener SPÖ weigerte, Cap auf einemsicheren Platz für die Nationalratswahl zu nominieren,fasste der Bundesvorstand den Beschluss, eine eigeneWahlkampagne für Josef Cap zu organisieren. DieseKampagne wurde mit folgenden fünf Forderungen ver-knüpft:

Abwrackung des AKW Zwentendorf, Einführung der35-Stundenwoche bei vollem Lohnausgleich, Beseiti-gung von Privilegien, Verbot neofaschistischer Partei-en und Verzicht auf das Aufstellen neuer Atomraketenin Europa. Cap präsentierte sich damit als rot-grünerBrückenkopf zwischen repräsentativer Demokratie,neuen, basisdemokratischen Formen und Inhalten derneuen sozialen Bewegungen. Das durch eine Plakat-aktion der Wiener SJ und des VSSTÖ unterstütztepositive Ergebnis am Wahltag wurde so zu einerWählerkoalition der neuen Art, die damit auch die SJÖwieder aus ihrer innerparteilichen Isolation befreite.

Nachdem Josef Cap im Jahr 1983 in denNationalrat einzog, folgte ihm im März des fol-

genden Jahres der bisherige Verbandssekretär AlfredGusenbauer als Vorsitzender der SJÖ nach.In der Sozialistischen Jugend dominierte am Ende derAmtszeit Caps ein linkssozialistischer Zugang, reprä-

Josef Cap (l.) und Peter Pelinka (r.)

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Vorzugsstimmen-Kam-pagne für Josef Cap

Alfred GusenbauersAmtszeit

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sentiert durch die Länderorganisationen Wien, Kärnten,Tirol, Vorarlberg, Burgenland und Steiermark. Zu denlinken ExponentInnen zählten etwa Peter Kaiser,Gerhard Schneider, Hans Marcher, Hanno Schuster,Renate Brauner, Heinz Vettermann, Walter Faymann,Doris Bures und auch Gusenbauer selbst. Der Chef-redakteur des " Trotzdem", Peter Pelinka, gehörteebenfalls zu dieser Strömung. Die "Otto-Bauer-Semi-nare" und die beiden Buchpublikationen "RoterAnstoß" aus dem Jahre 1980 und "Rot-Grüner Anstoß"aus dem Jahre 1982 repräsentierten das politischeCredo dieser Gruppe. In diesen SJÖ - Kreisen bestanddie Erwartung, dass sich die linksorientierte Strömungverstärken und vertiefen würde und vor allem, dass sieeine fundierte Verankerung in der SPÖ finden werde.

Gusenbauers Amtszeit indes ist von der verändertenpolitischen Situation in Österreich geprägt. Vor allemnach dem Verlust der absoluten Mehrheit der SPÖ beiden Nationalratswahlen 1983 sollte sich der Spielraumder SJ - entgegen allen Erwartungen - wieder deutlichverringern. Hinzu kam die Enttäuschung über JosefCap, der sich als neuer Nationalrat gegen den massivenFraktionsdruck innerhalb der SPÖ kaum durchzusetzenvermochte.

Mit dem Erstarken der Grünen sollten sich überdies inden nächsten Jahren viele kritische SPÖ- AktivistInnenund ebenso SJ - AktivistInnen für diese neue Be-wegung entscheiden. Der gesamtgesellschaftlicheAnspruch der Sozialistischen Jugend, stets ein zentra-ler Eckpfeiler im Selbstbild der SJ, war mit dem Auf-tauchen der Grünen - damals wie heute eine inszenie-rungsorientierte Versammlung politischer Einzel-kämpferInnen - vor neue Herausforderungen gestellt.

Hinzu kam das weitgehende inaktive, weil in-homogene Verhalten der SJ im Zusammenhang

mit dem geplanten Kraftwerksbau in Hainburg, als sichdie SJ kaum in den öffentlichen Diskurs einbrachte.Mit Unterstützung der größten österreichischen Tages-zeitung gelang es einer Gruppe von Kraftwerksgegner-Innen, ein breites Bündnis zu schaffen, dass heute fürviele als Geburtsstunde der grünen Bewegung gilt. Dadie SJ Niederösterreich unter ihrem Vorsitzenden KarlSchlögl drohte, den Verband zu verlassen, falls sich dieSJÖ zu einer Teilnahme an den Au-Besetzungen ent-schließen würde, überließ man/frau dieses Themaanderen AktivistInnen und beteiligte sich, anders alssonst üblich, an keinen Bündnis-Aktionen. Die SJ NÖ war besonders unter der Leitung vonSchlögl ein Verbündeter der so genannten Partei-rechten. Als der damalige Innenminister Karl Blecha diePolizeikräfte gegen die AubesetzerInnen in Stellungbrachte, sahen Schlögl und seine Verbündeten dieChance gekommen, die Allianz mit der Parteirechtennoch enger zu schmieden. Der Mainstream - Kurs der SJ Niederösterreich und dasweitgehend inaktive Verhalten auf Bundesverbands-ebene kostete der Sozialistischen Jugend Glaubwürdig-keit unter Jugendlichen und kritischen Linken.In einer Formulierung aus der 100-Jahre-Jubiläums-broschüre der SJ wird das ganze Dilemma deutlich, inder die SJ ab der Hainburgphase und danach geraten

Alfred Gusenbauer

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Die Hainburg - Krise

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war, gleichwohl wie das Ringen um eine politischeNeuorientierung vis-a-vis einem Erstarken des rechtenFlügels innerhalb der SJ und der SPÖ:"Einerseits die Protestbewegung unterstützend, ande-rerseits auf klassisch linkssozialistische Weise denKonflikt und ihre neuen politischen Proponenten einord-nend, entwarf die SJ Thesen, die einerseits der Rele-vanz des Themas entsprachen, jedoch dieses Problemin einen Kontext kapitalistischer Wirtschaftslogik und-krisen und der sozialdemokratischen Regierungspolitikstellten und durch ihren gesamtgesellschaftlichenDeutungscharakter die für einen Teil der Au-Bewegungcharakteristischen rein ökologischen Protestgründe ineinem hohen Ausmaß überwanden." Alfred Gusenbauer reagierte auf Verbandsebene miteiner Forcierung der inhaltlichen Arbeit auf die massi-ven Irritationen innerhalb der SJ. Daher standenAktionen wie etwa solche gegen den Ankauf vonAbfangjägern des Typs Draken und eine Kampagne fürdie Einführung der 35-Stunden-Woche im Vordergrund

der politischen Arbeit. Hinzu kamen strukturell-organi-satorische Bemühungen, die darin gipfelten, dass esgelang, die verbandskritische SJ Oberösterreich in dieGesamtbundesarbeit einzubinden.Beim Verbandstag 1986 hatten sich die Oberöster-reicherInnen mit einer Forderung durchgesetzt: da derVerbandsvorstand von 15 auf 27 Mitglieder aufge-stockt wurde, unter anderem, um die Frauenquoteerfüllen zu können, forderte die SJ Oberösterreich dieSchaffung eines Präsidiums mit zehn Delegierten.Dieser Antrag wurde beim 21. Verbandstag auch tat-sächlich beschlossen. Gusenbauer wurde bei diesemVerbandstag in seinem Amt bestätigt.Er orientierte in der Folge die Organisation darauf, ineinem Umfeld sich zunehmend außerhalb der Sozial-demokratie entwickelnder neuer sozialer Bewegungenvon Grünen und Alternativen eine Art Brückenkopf zwi-schen diesen Gruppen und den für die Umsetzung vonPolitik erforderlichen Institutionen zu bilden.

Proteste in Hainburg38

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Ein auszeichnendes Moment der "Ära" Gusen-bauer war die starke Internationale Ausrich-

tung der SJ in den 80er Jahren. Das beeindruckendsteBeispiel hiefür ist die Teilnahme von etwa 600 Jugend-lichen am IUSY-Festival 1986 in Valencia. Die inter-nationale Arbeit konnte in diesen Momenten Breite undSinnhaftigkeit dadurch erfahren, dass viele jungeMenschen in einer positiv aufgeladenen Gemengelagevon Schulung, Aktivitäten und Freundschaftstreffenstark internationalistisch-solidarisch geprägt wurden.In der institutionellen internationalen politischen Arbeitwar die Stärkung der Achse linkssozialistischer Ju-gendorganisationen weiter bestimmend. Die Arbeit imBereich der internationalen Politik war weiterhin Nord-Süd und besonders lateinamerikanisch bestimmt - inden letzten Jahren dann zunehmend Europa-orientiert.

Im Jahr 1987 kam es dann in Verbindung mitdem "Sparpaket" der rot-schwarzen Regierung

unter Vranitzky zu einem Aufleben der Bündnisarbeitim Rahmen der Sozialbewegung 1987.Zunächst handelte es sich um eine reine SchülerInnen-und StudentInnenbewegung gegen das "Rotstiftpa-ket", dann orientierte dieser Prozess zu einer neuenund komplexeren Formation: Es kam zu einer Solida-risierung mit den ArbeiterInnen der Verstaatlichten,mit den Frauen, mit den Arbeitlosen und mit anderenSparpaket-Betroffenen. Die SJ zählte zu den treiben-den Kräften dieses Prozesses hin zur neuen Formation.Am 24. Oktober 1987 kam es zur großen Demonstra-tion, bei der mehr als 50.000 Menschen durch Wienzogen und ihren Protest formulierten.

Die Implosion schließlich der Länder des "Realen Sozia-lismus", die für alle Linke eine Art Katerstimmung pro-duzierte, hatte - auch und gerade - in der SJÖ einenintensiven Diskussionsprozess zur Folge. Vulgär-kritischen Vorstellungen, dass diese Implosion dasEnde linkssozialistischer Politik bedeuten müsse,wurde dabei eine klare Abfuhr erteilt; vielmehr, so lau-tete die Einschätzung, müssten angesichts der neuengesellschaftspolitischen Qualität, wie sie am Ende der80er Jahre mit einem aggressiven Vordringen neolibe-raler Politik zum Ausdruck kam, neue, auf dem Marx-ismus fußende Analysen angestellt werden.

Vom 18. bis 20. Mai 1990 fand dann ein neuerlicherVerbandstag der SJÖ statt, bei dem Alfred Gusenbauersein Amt zur Verfügung stellte. In der Analyse derEntwicklung des letzten Jahrzehnts wurde festge-stellt, dass trotz komplizierter Rahmenbedingungen -Verlust von Mitgliedern und Strukturen, Vordringenneoliberaler Politik - mit Vehemenz an der Aufrecht-erhaltung der Kernstrukturen festgehalten werdenkonnte. Gleichzeitig war es auch gelungen, durchmaterielle und organisatorische Trennung der BereicheSJÖ, AKS, Trotzdem-Verlag und Verein Helpware einenhöheren disponiblen Spielraum zu erreichen, um diffe-renziert politisch arbeiten zu können.Zudem habe sich die SJÖ gerade durch konsequenteBündnis- und internationale Arbeit in gesellschaft-lichen Protestbewegungen und in den sich herausbil-denden neuen sozialen Bewegungen einen gewissenStellenwert erarbeitet. Die massiven inneren Probleme,die im nächsten Jahrzehnt auf die SJÖ zukommen soll-ten, waren zu diesem Zeitpunkt allerdings erst imAnsatz erkennbar; etwa im Hainburg - Konflikt, als sichein rechter, jugendpflegerischer und sich als moderni-stisch verstehender Flügel gegen linke Strömungeninnerhalb der SJÖ durchzusetzen wusste.

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Internationale Orien-tierung

Gegen die Rotstift-Politik der Regierung

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Der 1990 gewählte neue Vorsitzende MartinWinkler, politisch der SJ-Linz zugehörig, stellte

seine zukünftige Tätigkeit unter das Generalmottoeiner grundlegenden Gesamtreform der SozialistischenJugend Österreichs. Die Positionen seines Moderni-sierungskonzepts kamen in den "Orientierungen 92" zumAusdruck. Seine Akzeptanz bei den FunktionärInnenerreichte er insbesondere durch seinen Arbeitsstil, derim Vergleich zur SJ der 80er Jahre weniger autoritärund mehr auf Emanzipation und aktive Mitentscheidungorientiert war.Die Bedingungen seiner Vorsitzübernahme waren indesinnerorganisatorisch und politisch kompliziert. DieOrganisation verlor weiter Mitglieder, büßte Einflussein, zudem befand sich ein Teil der Linken immer nochin einer Identitätskrise. Überdies hatten sich in Teilender SJ jene Kräfte stark gemacht, die z.B. in Wien ent-gegen der Mehrheitsmeinung eine militant-orientiertePolitik mit anradikalisierten Jugendlichen in einerunabhängigen Gliederung mit Namen "Vorwärts" (orga-nisiert in der IV. Internationalen) anstrebten. Hinzukamen Konflikte zwischen einzelnen Landesorga-nisationen. In dieser Zeit spitzte sich auch die Aus-einandersetzung zwischen der Stadtorganisation Linz,die den neuen Bundesvorsitzenden stellte, mit der SJ-Landesorganisation Oberösterreich zu. In den kommenden zwei Jahren des Vorsitzes vonWinkler ging die SJÖ daran, an neuen Perspektiven undStrukturierungsmöglichkeiten für die Organisation zuarbeiten. Das organisatorische neue Credo hieß:Projekte und Kooperationen bzw. Neustrukturierungs-überlegungen gemeinsam mit den anderen sozialdemo-kratischen Jugendorganisationen; die SJ sollte moder-ner, sie sollte sozialdemokratisch werden (im Jahr1991, als sich die "SPÖ" in "SozialdemokratischePartei" umtitelte, wurde dieser Schritt von der SJÖbewusst nicht mitvollzogen; bis heute lehnt eine über-wältigende Mehrheit der SJÖ - Mitglieder dieseBezeichnung konsequent ab).Der politische Ansatz analysierte immer schärfer dieDiversifizierungen der jungen Menschen in der moder-nen Gesellschaft und versuchte solcherart, die Ziel-

gruppe Jugend nicht neu, aber in der Unterschiedlich-keit ihrer Ausprägungen differenziert zu erfassen.Es gelang in diesen Jahren, neue Veranstaltungs-formen, wie die "Bildungswerkstätte" als Bildungs-angebot für SJ-Mitglieder und darüber hinaus, zu eta-blieren und erfolgreiche Mädchentreffen zu organisie-ren; gleichzeitig wurde die Krise der Kampagnen-fähigkeit der SJÖ (Beispiel Demokratie-Kampagne)eklatant.Im internationalen Bereich wurde die verstärkte Ein-gliederung der SJÖ in neu geschaffene europäischeStrukturen forciert und es vertiefte sich der Einfluss inder IUSY.

Überhaupt bedeuten die Jahre 1990-1992 dieverstärkte Bewusstmachung der Krise der SJÖ,

ihre Überwindung sollte in vollem Umfang jedoch erstab dem Verbandstag 2000 gelingen. Die neue Projekt-orientierung generierte zwar partiell neue, an der Orga-nisation interessierte Menschen, jedoch führte dieseOrientierung auf der anderen Seite zum verstärktenZusammenbrechen traditioneller Kernstrukturen.Das politische Programm der SJ war einerseits auf dieAuseinandersetzung mit der Mutterpartei SPÖ orien-tiert, und andererseits auf die Entwicklung einer neuen,pragmatischen Linie. Vor diesem Hintergrund markiertdas Reformprogramm Winklers den Beginn eines Kon-flikts zwischen den "Traditionalisten" und den"Modernisten" in der SJÖ, der in den folgenden Jahrenoffen ausbrechen sollte.

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Modernisierung

Krise

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Beim Verbandstag 1992 kandidierte Winklernicht wieder, sein Nachfolger wurde der Vor-

sitzende der SJ Burgenland, Karl Delfs.Ihm gelang es, die innerorganisatorische fraktionelleKrise der SJÖ abzumildern und neben den bedrohtenKernstrukturen neue Strukturen aufzubauen. Dabeiwurden obsolete oder nicht mehr leistbare Arbeitsfor-men drastisch minimiert. Die materielle und strukturel-le Neuorganisation nahm einige Jahre in Anspruch,schuf jedoch die Voraussetzung, um auf einer neuenBasis weiter arbeiten zu können.Im Veranstaltungsbereich gewann die Bildungswerk-stätte massiv an Attraktivität und wurde zu einem zen-tralen Element der politischen Arbeit der SJÖ.Vorrangiges politisches Thema waren Kampagnen zurBekämpfung der FPÖ unter Jörg Haider. So spielte dieSJ eine tragende Rolle bei der Organisation des Lich-termeeres gegen AusländerInnenfeindlichkeit und beiAktionen gegen das Ausländervolksbegehren Haiders.In tagesaktuellen Fragen, etwa bei der AusländerInnen-gesetzgebung oder beim Zivildienst, gelang es der SJwieder, massiv aufzutreten und durch Intervention inden öffentlichen Diskurs legistische Entscheidungenmaßgeblich zu beeinflussen.Eine beginnende Re-Politisierung, vertiefte inhaltlicheDiskussionen und Schulungen hatten zur Folge, Basis-arbeit für eine neue Generation sozialistischer Funk-tionärInnen zu leisten.Mit den Versuchen, den Konflikt zwischen Reform undTradition zu lösen sowie auf der Basis verstärkter politi-scher Inhaltlichkeit eine Neuorientierung voranzutreiben,gewann die SJÖ an Kontur zurück und kontrastierte inmanchen Bereichen wieder deutlicher zur bereits neoli-beral inspirierten Politik der SPÖ unter Franz Vranitzky.In diesem Zusammenhang besann sich die SJÖ ihrerfrüheren Kampagnefähigkeit. So wurde unter Delfs derZivildienstbereich neu thematisiert und eine Rechtsbe-ratungsbroschüre für Zivildiener herausgegeben.Andere Kampagnen wurden in den Bereichen derDrogen - Legalisierung, bei der von der ÖVP vom Zaungebrochenen "Kruzifix-Debatte" oder im Antifaschis-mus-Bereich organisiert.

Dennoch gelang es zwischen 1992 und 2000nicht, die strukturellen Widersprüche, deren

Wurzeln und Ursachen weiter zurückreichten, zu über-winden. Die SJ hatte in dieser Zeit mehr mit einemJugendmarketing-Verein zu tun - dies stand natürlichganz im Interesse der damaligen Parteiführung unterFranz Vranitzky und Viktor Klima - als mit einer eman-zipatorischen, demokratischen und feministischen poli-tischen Organisation. Es dominierten die "Moder-nisten", deren "Konzept" in der Folge dann gescheitertist. Während der Verbandsführung von Karl Delfs wares aber wenigstens gelungen, die Wahrnehmung derSJÖ durch die mediale Öffentlichkeit zu bewahren -Stichwort Kampagnen -, indessen wurde unter seinemNachfolger Robert Pichler selbst diese Fähigkeit weit-gehend verspielt.

Robert Pichler führte den Verband von 1996 biszum Verbandstag 2000.

Bei seinem Amtsantritt wurde zunächst ein Positions-papier ausgearbeitet, in dem der Widerspruch von Kapi-tal und Arbeit thematisiert wurde. Nach diesem An-fangserfolg kam es zu ersten Konflikten innerhalb desVerbandsvorstandes. Neben den inhaltlichen Positions-defiziten in vielen Fragen der SJÖ wurden Pichler auchorganisatorische Defizite und Mängel, etwa im Bereichder Materialenproduktion und der Medienpräsenz, vor-geworfen.

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Kampagnen gegen Rechts

Verein für Jugend-marketing

Die Krise der SJÖvertieft sich

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Die Sozialistische Jugend Niederösterreichshatte lange Zeit die Mainstream - Politik der

SPÖ unterstützt und den jugendpflegerischen Zugangforciert. Sie alimentierte damit die Entpolitisierungs-Strategie der Modernisten in der SJÖ, an der sie letzt-endlich gescheitert ist.Als der Trumauer Andreas Kollross zum Vorsitzendender SJ NÖ gewählt wurde, vollzog sich zunächst inNiederösterreich ein Kurswechsel in Richtung links-sozialistischer, marxistisch dominierter Jugendpolitik.Dieser Kurswechsel sollte sich später auch in derPolitik des Verbandes niederschlagen.Kollross repolitisierte die SJ NÖ, in dem er den reinjugendpflegerischen Ansatz systematisch zugunstender Wiederaneignung der Kampagnenfähigkeit der SJNÖ zurückdrängte.Die Rückgewinnung der Kampagnenfähigkeit drücktesich am deutlichsten in der "NONATO-Kampagne" aus,als unter dem Motto "Mach mit beim längsten Fax derWelt" gegen einen NATO-Beitritt Österreichs agitiertwurde, wobei mit einem über drei Kilometer langen Faxan die ÖVP sogar ein Eintrag ins "Guiness Buch derRekorde" geschafft werden konnte. Dieses Wieder-erwachen der Kampagnenkompetenz sowie die damitverknüpften organisatorischen, inhaltlichen und kom-munikativen Reformen führten zu neuen Erfahrungen,zu einer neuen Qualität der politischen Arbeit der SJNÖ und mündeten schließlich in ein neues politischesKonzept, das die Ablöse des reinen Modernismus unddes Jugendmarketings zugunsten einer sich auf marxi-stische Traditionen berufenden Politik der SJ NÖ mitmodernen Elementen zur Folge hatte; die Strahlkraftdieses Paradigmenwechsels sollte schließlich auch dieSJÖ erfassen, wenngleich sie sich erst ab demVerbandstag 2000 zur Gänze zu entfalten vermochte. Es ist damit gelungen, die Landesorganisation, die sichbisher ausschließlich als Rekrutierungs-Potential derSPÖ verstanden hatte, in Richtung linker und emanzi-patorischer Organisation umzugestalten.In einem von ihm beauftragten Grundsatzpapier der SJNÖ wurde versucht, programmatisch sämtliche marxi-stische Strömungen zu integrieren. Dieses Papier war

zuerst nur für den internen Gebrauch konzipiert undwurde daher erst 1996 in einer Broschüre der Sozialis-tischen Jugend Niederösterreich veröffentlicht. In die-sem Grundsatzpapier legt die SJ NÖ ein klares Be-kenntnis zum emanzipatorischen Sozialismus ab, wennes etwa heißt: "Der Sozialismus ist die vollendeteste Form der Demo-kratie, da er die Gesamtbevölkerung zum Eigentümerund Verwalter der Produktionsmittel macht. Daher seh-en wir auch keine Veranlassung, unsere Organisationumzubenennen (derartige Überlegungen kursierten indiesen Jahren innerhalb und außerhalb der SJÖ), daeine sozialistische Bewegung zugleich einen demokrati-sche ist."Auch Imperialismuskritik findet sich in diesem Grund-satzpapier wieder. Die Forderung nach effektivemWiderstand gegen den Imperialismus wird mit derSolidarität zu den "unterdrückten Völkern aller Länder"verknüpft, "deren Freiheit nur durch die Beseitigungdes Imperialismus erreicht werden kann."lm Gegensatz zu den "Orientierungen 92" beinhaltetdieses Papier ein klares Bekenntnis zum Klassencharak-ter der Gesellschaft und zum daraus resultierendenKlassenkampf. Mit diesem Grundsatzdokument wurdedas notwendige Roll-back der SJ NÖ hin zur marxi-stisch orientierten politischen Organisation vollzogenund der Umbau der SJ auf Bundesebene gemäß demtiefgreifenden Umbau der Gesellschaft angesichts desVordringens des Neoliberalismus eingeläutet.

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SJNÖ initiiert Linkswende

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Nicht nur als symbolischer Akt der inhaltlichenNeuausrichtung sondern auch als politisches Pro-

gramm des Bekenntnisses zur Tradition der Arbeiter-Innenjugendbewegung wurde das Blauhemd wieder zumgerne und mit Überzeugung getragenen Kleidungsstückinnerhalb der SJ NÖ, der SJ OÖ sowie von Teilen der SJWien. Hinzu kam auch wieder das Singen von Arbeiter-Innenliedern.Im Gefolge des Verbandstages 2000 wurden diese Tradi-tionen nach langer Zeit wieder zum bundespolitischenGrundsatz der SJÖ. Diese Wiedererweckung der traditio-nellen Kultur verknüpfte sich in der Praxis mit modernenStandards, wie das Beispiel der Bildungswerkstatt zeigt.

In der SJ NÖ ebenso wie in anderen Landes-organisationen wuchs die Kritik am Verbands-

vorsitzenden. Viele der angekündigten Vorhaben, etwaein Bundesbildungskonzept, wurden nie realisiert.Auch die konzipierte bundesweite Lehrlingskampagneerwies sich als ein Flop. Ein weiterer Kritikpunkt wardas inaktive Verhalten bei der Bundespräsidentenwahl1998. Der SJÖ war es weder gelungen, eigeneKandidatInnen zu finden oder in einem Bündnis mitanderen Organisationen der Sozialdemokratie, denSPÖ-Frauen etwa, Alternativen zu finden, noch eineWahlempfehlung abzugeben. Die SJ Niederösterreichindes unterstützte die damals parteifreie evangelischeSuperintendentin Knoll.Beim Verbandstag 1998 in Linz wurde Pichler noch ein-

Befreiungsfeier Mai 2004 im ehe-maligen KZ Mauthausen

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Verknüpfung von Tradi-tionalismus und Moderne

Kritik an der Ver-bandsführung wächst

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mal gewählt, er musste allerdings eine Reihe von Kon-zessionen machen und vor allem garantieren, die SJÖals schuldenfreie Organisation in diesen Verbandstagzu führen. Der Schuldenstand am Ende der Funktions-zeit von Robert Pichler im Jahr 2000 betrug jedochmehrere Millionen Schilling und rückte die Bundes-organisation an den Rand ihrer Existenz.

In der Folge, nicht zuletzt auf Initiative derLandesorganisationen, darunter der stärksten,

der SJ Niederösterreich, entschloss sich der Verbandwenigstens, an der Euromarsch-Bewegung teilzu-nehmen.Über die bereits bei der Neutralitätsbewegung ge-knüpften Kontakte zu AktivistInnen der Friedensbewe-gung und aufbauend auf den neuen Kampagnen-Erfah-rungen der SJ Niederösterreich, konnte zum Beispielerreicht werden, dass sich die SJÖ mit der Euro-marschbewegung vernetzte. Dieses aus Frankreichstammende Projekt hatte zum Ziel, den Kampf gegenSozialabbau und Erwerbslosigkeit auf die europäischeEbene zu heben. An die 5.000 Menschen konnten mobi-lisiert werden, vom 14. April 1997 bis zum 14. Juni1997 durch Europa zu marschieren; der krönende Ab-schluss fand am 14. Juni 1997 in Amsterdam anläss-lich des EU-Gipfels mit einer großen Demonstrationstatt.In den weiteren Jahren sollte die Euromarsch-Bewegung im Europäischen Sozialforum aufgehen.Doch auch der kleine Erfolg, den die SJÖ mit derPartizipation am Euromarsch erzielen konnte, ändertenichts an der Tatsache, dass sie am Beginn des Millen-niumsjahres praktisch bedeutungslos und ohne Gewich-tung in der Öffentlichkeit und innerhalb der Parteidastand. Sie war politisch, organisatorisch, strukturellund wirtschaftlich ein Sanierungsfall geworden.

Der Verbandstag 2000 sollte dem Kurswech-sel der Sozialistischen Jugend Österreichs

dann die entscheidende Richtung geben. Das Mottodes Verbandstages lautete "Opposition braucht Posi-tion". Zwei Flügel standen einander bei diesemVerbandstag gegenüber: Auf der einen Seite der moder-nistisch inspirierte Flügel um den zweiten Verbands-sekretär Peter Binder und Teilen der Landesorganisa-tion Wien, Kärnten und Salzburg - sie repräsentiertendie Verbandsarbeit der letzten Jahre. Auf der anderenSeite die austromarxistisch orientierten SJ-Vertreter-Innen um Andreas Kollross. Ihn unterstützte ein linkesBündnis, bestehend aus den LandesorganisationenNiederösterreich, Vorarlberg, Tirol, Oberösterreich(ohne die SJ Linz), Burgenland und Teilen der SJ Wien.Als Binder vor dem Hintergrund des Mobilisierungs-potentials von Kollross seine Kandidatur zurückzog,präsentierte die SJ Wien mit Sonja Holzer eine Gegen-kandidatin. Die entscheidende Abstimmung zum Verbandsvorsitzentschied dann Kollross, der sich in seinem Redebei-trag vor der Wahl zu einer "SJ auf der Basis des Marx-ismus" bekannt hatte, mit 74 Prozent der gültigenStimmen für sich.Mit diesem Verbandstag vollzog sich der Kurswechselder SJÖ hin zu einer (wieder) auf dem Marxismus basie-renden politischen Organisation. Kollross sollte denerfolgreichen inhaltlichen, organisatorischen und wirt-schaftlichen Aufbau, den er in Niederösterreich gelei-stet hatte, nun auch auf Verbandsebene fortsetzen.Mit dem Verbandstag 2000 kam es gleichzeitig zum Zu-sammenbruch des modernistischen Flügels, der zuvordie SJÖ an den Rand des Zusammenbruchs geführt hat.Der scheinbare Widerspruch zwischen einer traditionel-len, marxistisch orientierten SJÖ und modernenMethoden der politischen Jugendarbeit, der in einemfast zehn Jahre währenden Konflikt die SJÖ gelähmthatte, konnte aufgelöst und in gleichsam dialektischerForm in eine neue politische Qualität gehoben werden.

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SJÖ am Ende

Verbandstag 2000:Kurswechsel in RichtungKonsolidierung

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Mit der Repolitisierung der SJ auf Bundesebene gelangauch die Repolitisierung der Landesorganisation Wien,in der die Führung die Speerspitze des modernistischenFlügels auf Bundesebene bildete. Einige Monate nachdem Verbandstag wurde eine Landeskonferenz einberu-fen, die einen neuen Vorstand rund um den Vor-sitzenden Ludwig Dvorak und den LandessekretärFlorian Wenninger sowie eine neue, linke Politik zurFolge hatte.

Unmittelbar nach der Wahl setzte die neueFührungsgarnitur mit Unterstützung der Lan-

desorganisationen, vor allem der Niederösterreicher-Innen um Bernhard Wieland, der zuvor die Funktion desLandessekretärs der SJ NÖ inne hatte und nicht un-wesentlich an den Veränderungen auf Bundesebene be-teiligt war, das Sanierungs- und Konsolidierungspro-gramm um. Es gelang, die politischen Konflikte und Klüfte inner-halb der SJÖ zu lösen bzw. zu überbrücken und durchdie Auflösung der strikten Trennung zwischen Tradition-alistInnen und ModernistInnen die Bündnisfähigkeitnach Innen wieder herzustellen. Die marxistische Linke beansprucht heute die Hege-monie in der SJÖ; neben der zentralistischen Position,die sich am Marxismus und am Austromarxismus orien-tiert, existieren noch zwei weitere radikalere linkeStrömungen: eine trotzkistische Fraktion, die um dieZeitung "Der Funke" gruppiert ist, sowie eine marxi-stisch-leninistische Strömung, die sich an derStamokap-Theorie orientiert.Diese Form des Pluralismus als zentrales Element derEinheit und vor allem eine wieder erlangte Bündnis-fähigkeit nach Außen hatte eine neue Bündnisfähigkeitnach Innen zur Voraussetzung; nur unter diesen Be-dingungen konnte der erfolgreiche Sanierungs- undKonsolidierungskurs in Angriff genommen und erfolg-reich abgeschlossen werden.

Zu den zentralen Erfolgen des Verbandstages desJahres 2000 zählte die Wiederaneignung der

Kampagnenfähigkeit der Organisation. Dabei konnte aufdie Erfahrungen der Landesorganisation Niederösterreichzurückgegriffen werden, die auf Bundesebene übertragenund mit neuen Elementen angereichert wurden.Im Jahr 2001 wurden eine Zivildienst-, eine Drogen-und eine Sozial- und Bildungsabbaukampagne organi-siert, denen massives mediales Interesse gewidmetwurde.Indikatoren für die Zurückgewinnung der medialen Prä-senz der SJÖ sind auch die Nennung der SJ in Parla-mentsdebatten (z.B. Drogenpolitik, Arbeitszeitverkürz-ung, die Diskussion um das Dollfuss-Bild im ÖVP-Parlamentsklub) sowie zahlreiche Berichte in Print-medien und Auftritte im TV. Die SJ-Zeitung "Trotzdem", die zuletzt nur mehr insporadischen Abständen herauskam, erhielt einen Re-launch und erscheint ab dem Frühjahr 2001 wieder re-gelmäßig in vierteljährlichen Intervallen. Zur Optimie-rung der Öffentlichkeitsarbeit der SJÖ wurde überdieseine Homepage installiert.Neben den strukturellen, organisatorischen und inhalt-lichen Reformen galt der wirtschaftlichen Sanierung derSJÖ höchste Aufmerksamkeit. Durch eine umsichtigeGebarung, durch Erschließung neuer finanzieller Poten-tiale und durch verstärkte Mitgliederwerbung gelang es,die Altlasten im Ausmaß von weit über zehn MillionenSchilling abzubauen. Zum heutigen Zeitpunkt - im Herbst2004 - ist das Sanierungsprogramm erfolgreich abge-schlossen. Die SJÖ steht heute wieder auf einem wirt-schaftlich und organisatorisch stabilem Fundament.

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Bündnisfähigkeit nachInnen

Sanierung greift

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Besonders die Frage feministischer Politik rückteab 2000 wieder verstärkt ins Zentrum der SJÖ.

Im "Selbstbild" des am Verbandstag 2004 beschloss-enen Grundsatzprogramms bekennt sich die SJ heute zueiner antikapitalistischen, antimilitaristischen, antifa-schistischen, internationalistischen und vor allem antise-xistischen Politik. Sie versteht sich als Organisation, dieneben dem Widerspruch zwischen Arbeit und Kapitalauch den Widerspruch der Geschlechter erkennt und dieGleichstellung von Mann und Frau nicht alsNebenwiderspruch akzeptiert. Das Ziel der Organisationist die völlige Gleichstellung von Mann und Frau. Die politische Frauenarbeit wurde statutarisch festge-legt, es gibt eine eigene Frauensprecherin und ein eige-nes Budget für Frauenpolitik.

Protestaktion gegen fundamentali-stische AbtreibungsgegnerInnen

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Feministische Politik

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Die SJÖ zählte unter der Vorsitzführung vonAndreas Kollross zu jenen Kräften in der politi-

schen Geographie Österreichs, die ganz entscheidendPraxis und Theorie der globalisierungskritischen Bewe-gung geprägt haben. Im Bündnis mit anderen Gruppenund Organisationen war sie prioritär an der Entwick-lung des Austrian Social Forums beteiligt, das aus denpraktischen Erfahrungen und Erfolgen des erstenEuropäischen Sozialforums in Florenz hervorging.

Möglich wurde diese Orientierung in Richtung verstärk-ter nationaler und internationaler Vernetzung dadurch,dass es der SJÖ gelang, ihre Kernstrukturen wieder zureanimieren und neue Strukturen sowie darüber hinausein wirtschaftliches und organisatorisch stabiles Fun-dament aufzubauen.Die Öffentlichkeitsarbeit der SJÖ - "Trotzdem"-Verlag,Internet-Auftritt, Aktionen wie z.B. die federführendvon der SJ konzipierten "Anti-WEF-Demos" - professio-nalisierte sich, ohne zum Selbstzweck zu werden.Die Reform der organisatorischen Strukturen erfolgteparallel zur grundlegenden Reform der politischen Ar-beit. Ihr Fundament war die Neuanalyse des neolibera-len globalen Kapitalismus als eines Typs, der das Sys-tem von sozialstaatlichen Kompromissen, die dasKapital bei seiner Herrschaftsausübung eingegangenist, wenn nötig mit brachialer Gewalt eliminiert.

Demonstration gegen das World EconomicForum (WEF) in Salzburg 2002

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Bündnis mit neuen sozialen Bewegungen

Gleichsam als Avantgarde innerhalb der Sozial-demokratie hat die SJÖ erkannt, dass es mehr

denn je auf die zivilgesellschaftliche Aktivierung derMenschen ankommt. Die Zivilgesellschaft ist jenerRaum, in dem die Menschen ihren Alltag selbst bestim-men können, und in dem auch die Hegemonie neuer,sozialistischer, feministischer und demokratischer Wer-te sich herausbilden kann. Die neue Aufgabe der SJÖfokussiert sich daher mehr denn je in der Vergangenheitauf ihre transformatorische Funktion als Mittlerin zwi-schen zivilgesellschaftlicher Öffentlichkeit und einerSPÖ, die sich erst am Beginn ihres Erneuerungs-prozesses befindet. Daher wird es weiterhin von zen-traler Bedeutung für die SJ sein, in Bündnissen und

Zivilgesellschaftorientiert

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Vernetzungen zu agieren und zu agitieren, um sowohlzivilgesellschaftlich als auch innerparteilich optimalverlinkt zu sein. Gleichzeitig wurde auch der Stellenwert der Sozialis-tischen Jugend Österreichs innerhalb der Jugendinter-nationale forciert und zementiert. Die SJÖ hat heutewieder die Vizepräsidentschaft im internationalenVerband IUSY inne, ebenso wie in der EuropäischenSozialistischen Jugend ECOSY. In diesem Kontext istdie hohe Reputation der von der SJÖ organisierteninternationalen Veranstaltungen zu erwähnen, wieetwa das ECOSY-Camp 2002 im SJ-eigenen Camp inWeißenbach am Attersee, an dem mehr als 1.200Mitglieder aus Europa teilnahmen.

Seit der Linkswende der SJÖ ist es nicht nur ge-lungen, reformerische Forderungen der SPÖ sei-

tens der SJÖ wieder radikaler zu formulieren, sondernauch, dass mitunter SPÖ-Vorschläge und SPÖ-Politik

scharf kritisiert oder abgelehnt wurden und werden.Als die SPÖ Anfang 2003 eine Regierungsbeteiligungin Betracht zog, schaltete sich die SJÖ als strikteOpposition öffentlich und innerparteilich mit einem kla-ren Nein in die Debatte ein. Sie artikulierte den Schaden,der drohte, wenn sich die SPÖ - neuerlich - vor den neo-konservativen Karren spannen ließe. Die SJÖ fordertedaher eine Urabstimmung aller Mitglieder der SPÖ überdie "Schicksalsfrage: Opposition oder Regierungsbe-teiligung" (Titel des Antrags an den Bundesparteivor-stand der Sozialdemokratischen Partei Österreichs, ein-gebracht von der Sozialistischen Jugend Österreich).Dieses inhaltliche Programm wurde von öffentlichenAktionen begleitet: Es fanden Wochen lang Lesungenvor der Löwelstraße statt, dabei wurden die Wahl-ergebnisse seit Abschluss der großen Koalition von1987 bis 2000 referiert, und unter dem Fenster desParteivorsitzenden wurde täglich die Internationale ge-sungen. Zur Regierungsbeteiligung der SPÖ kam esdann jedenfalls nicht.Es wurden überdies sämtliche SPÖ - Ortsorganisation-en angeschrieben und eine Protestfaxaktion direkt indie Parteizentrale organisiert.

48 SPÖ in Opposition. Aktion vor derParteizentrale nach den NR-Wahlen2002

Links von der SPÖ

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Gegen die vom Neoliberalismus von der Aushöh-lung bedrohte Neutralität hat die SJÖ 2004 ein

fundiertes Reformkonzept in Stellung gebracht. Derdiesbezügliche Forderungskatalog, der im Vergleich zurArbeit der so genannten "Reformkommission" dasWort "Reform" auch Ernst nimmt, umfasst folgendePunkte:

o Umfassende Abrüstung des österreichischen Bundes-heereso Verkürzung von Präsenzdienst und Zivildienst aufgleiche Dauero Stärkung der Rechte für die Beschäftigten beim Bun-desheer und Präsenzdiener und deren wirkliche Durch-setzungo Keine Schaffung von Offensivkapazitäten des Heereso Ausschließlich Blauhelmeinsätze, ein klares Nein zuallen darüber hinaus gehenden Einsätzeno Kein Ausbau des Heeres für Einsätze gegen die eige-ne Bevölkerung. Verbrechens- und Terrorbekämpfungist eine Aufgabe für Polizei und Justizo Demokratische Kontrolle der Heeresnachrichten-diensteo Ausbau von zivilen Friedenseinsätzen als österreichi-scher Beitrag zur Prävention und Nachversorgung beiKonflikteno Schaffung eines zivilen Katastrophenschutzeso Umrüstung der Rüstungsproduktion statt derenNeuaufbau, Einsatz für strenge Waffenexport-richtlinien und Kontrollen der Europäischen Uniono Keine Abfangjäger und kein Ausbau der Transport-kapazitäteno Klares Nein des neutralen Österreich zur Militari-sierung der EU. Wir wollen auch keine atomar bewaff-nete Supermacht EU. Wir sind auch dagegen, wenn dieÖsterreicherInnen nur als SanitäterInnen, Köche/ Köch-innen und Schreibkräfte eingesetzt werden sollteno Aktive Außen- und Neutralitätspolitik für weltweiteAbrüstung, die Ächtung der Massenvernichtungs-waffen und die Auflösung der Militärblöcke, für ein

atomwaffenfreies Europa als Schritt in Richtung eineratomwaffenfreien Welto Klares Aufzeigen der Ursachen von ethnischen Kon-flikten und Migrationsbewegungen, das erfordert vorallem eine andere, an einer gerechteren Verteilungorientierten Wirtschaftspolitik des Nordens und desWestens

Diese Forderungen stehen im Zentrum des politischenProgramms der SJÖ, das sich eindeutig gegen die impe-riale und neoliberale Politik der Europäischen Unionund der USA richtet. Diese Politik geht Hand in Handmit einer Politik für transnationale Multis, in derenInteresse es liegt, nicht zuletzt durch Kriege auf globa-len Schauplätzen ihre Profitinteressen zu befriedigen.Auf dem Hintergrund solcher neoliberaler Politiken fin-det - auch - die Demontage des Sozialstaates und diePrekarisierung weiter Teile der Bevölkerung statt.Die SJ am Beginn des dritten Jahrtausends verstehtsich daher als wesentlicher Teil einer neuen, pluralisti-schen und systemüberwindenden linken Bewegung, inder Parteien, Bewegungen und zivilgesellschaftlicheGruppen auf gleichberechtigter Basis zusammenarbei-ten.

Die SJ steht, auch und gerade nach dem Aus-scheiden von Andreas Kollross als Verbands-

vorsitzender vor neuen und entscheidenden Heraus-forderungen. Die zuletzt vielfach gestellte Frage, obdie SJ ihre konsequente Linkspolitik, auch gegenüberder SPÖ, fortsetzen wird, wird sich wohl erst in eini-gen Jahren beantworten lassen. Die personellen, orga-nisatorischen und inhaltlichen Weichenstellungen, diegetroffen wurden, geben für das zukünftige Szenariojedenfalls Anlass zu berechtigtem Optimismus.

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Für Neutralität undgegen Militarismus

Zukunft SJ: Internationalund gegen Krieg

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Wie sich eine bündnisorientierte, transformato-rische und emanzipatorische SJ-Politik der

Zukunft vorstellen lässt, die an die Tradition der letz-ten vier Jahre anknüpft und auf ein neues Grundsatz-programm aufbauen wird, das der Verbandstag 2004beschlossen hat, formuliert Andreas Kollross in seinemBeitrag zu einem Buch über den AustromarxistenFriedrich Adler folgender Maßen:

"Wir wenden uns unter anderem gegen Krieg und ste-hen für eine international organisierte ArbeiterInnen-bewegung, um die Überwindung des Kapitalismus mitall seinen Widersprüchen voranzutreiben.

... Der jüngste Irak-Krieg zeigt, dass es unabdingbarist, die Antikriegsbewegung auch innerhalb der eigenenReihen zu erneuern und zu verbreitern.

... Seien es ein Tony Blair, der vorbehaltlos einen Kriegunterstützt und sich gefälschte "Beweise" anfertigenlässt, um diesen zu legitimieren, oder ein GerhardSchröder, der eine Wirtschaftspolitik vertritt, wie eskein Industrieboss besser könnte, solche Vertreter-Innen des rechten Flügels der Sozialdemokratie müssenwir mit allen Kräften bekämpfen. Eine Politik der

Ein zentrales Element der jüngsten Politik derSJÖ bildete die Debatte um ein neues Grund-

satzprogramm. Beim Verbandstag im Jänner 2003, beidem Kollross wiedergewählt wurde, beschloss die SJÖdie Ausarbeitung eines Grundsatzprogramms, das amVerbandstag im Herbst 2004 schließlich beschlossenwurde.In einem eineinhalbjährigen Diskussionsprozess aufbreitester Basis innerhalb der Organisation erhielt deram Verbandstag 2000 eingeleitete Linksruck innerhalb

der SJÖ eine weitere Fundierung.Mit dem beschlossenen Grundsatzprogramm bekenntsich die SJÖ zu einer auf den Grundlagen des Marx-ismus agierenden politischen Organisation, die nach wievor das Ziel nicht aus dem Auge verliert, den Kapitalis-mus zu überwinden, um den Sozialismus zu erringen.Der Klassenkampf wird darin sowohl als in der objekti-ven Realität vorfindbares Faktum erkannt als auch alsAuftrag zum Handeln.

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Das neue Grundsatzprogramm

Anbiederung an die Forderungen der Wirtschaftsbosseund der KriegsbefürworterInnen muss zwangsweisewieder in eine tragische Sackgasse der Geschichte füh-ren.

... In Zeiten, wo sich gegen die Auswirkungen derGlobalisierung weltweit Widerstand formiert, muss esdie Aufgabe der Sozialdemokratie und der Gewerk-schaften sein, an diesen Protest anzuknüpfen und sichzum Sprachrohr der immer zahlreicher werdendenVerliererInnen des weltumspannenden Kapitalismusmachen.... Es gilt, dem Krieg keinen Frieden zu geben und gleich-zeitig mit dem Kapitalismus keinen Frieden zu schlie-ßen. Die Überwindung des Kapitalismus ist heute wiedamals das Gebot der Stunde. Erfolgreich kann diesesnur auf internationaler Ebene geschaffen werden."

Dem Krieg keinen Frieden geben- Mit dem Kapitalismus keinen Frieden schliessen

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Große KoalitionSechs� Jahre� lang� hatten� zwei� Koalitionen� aus� Volkspartei� und� Freiheitlichen� in� Blau� und� Oran-

ge� die� Gelegenheit,� die� Errungenschaften� des� Sozialstaa-tes� zu� demontieren,� Menschenrechtskonventionen� außer� Kraft� zu� setzen� und� Österreich� in� ein� Versuchslaboratori-um� für� den� neoliberalen� Staatsumbau� zu� verwandeln.� Bei� den� Nationalratswahlen� 2006� gelang� es� der� SPÖ� -� trotz� BAWAG-Skandals� -� als� Wahlsiegerin� aus� dem� Rennen� zu� gehen,� unter� anderem� auch,� weil� es� dem� damaligen� Parteivorsitzenden� Alfred� Gusenbauer� gelang,� mit� fort-schrittlichen� Forderungen� (Abschaffung� der� Studienge-

muss� gerecht� verteilt� werden“� etc.)� in� der� Wahlauseinan-dersetzung� die� Partei� bestmöglich� zu� mobilisieren.

Auch� die� SJÖ� beteiligte� sich� intensiv� an� der� Wahlausein-andersetzung.� Vor� dem� Hintergrund� von� sechs� Jahren� Bil-dungs-� und� Sozialabbau,� rassistischen� Fremdenrechtsge-setzen� und� frauenpolitischen� Rückschritten,� mobilisierte� die� SJÖ� massiv� für� einen� Politikwechsel� in� Österreich.� Mit� zwei� Wahlkampf-Kampagnen� (in� zwei� Phasen:� „(W)Ende� –� Zukunftsraub� stoppen“� und� „Ich� wähl� mein� Leben� zurück“)� konnte� die� SJÖ� ihren� Beitrag� dazu� leisten,� im� Jugendbereich� für� fortschrittliche� Politik� zu� werben� und� linke� Positionen� in� die� Partei� zu� tragen.

Während� der� Koalitionsverhandlungen� zwischen� SPÖ� und� ÖVP� stellte� die� Sozialistische� Jugend� eine� Kampag-ne� für� eine� SPÖ-Minderheitsregierung� auf� die� Beine� und� warnte� vor� den� „bitteren� Pillen“� einer� Großen� Koalition.� Ausgangspunkt� für� die� Kampagne� war� der� 31.� Verbands-tag� im� November� 2006� und� die� Erkenntnis,� dass� mit� der� ÖVP� kein� Kurswechsel� möglich� sein� würde.� Ein� Verzicht� auf� zentrale� Anliegen� und� Wahlversprechen,� den� eine� Ko-alition� mit� der� ÖVP� bedeuten� würde,� wäre� mit� massivem� Glaubwürdigkeitsverlust� verbunden� und� würde� eine� tiefe� Krise� der� Sozialdemokratie� bedeuten.� Am� Verbandstag� lehnten� die� Delegierten� eine� Große� Koalition� ab� und� drängten� auf� eine� konsequente� Umsetzung� des� Wahlpro-gramms� bei� den� Regierungsverhandlungen.

Im� Jänner� 2007� einigten� sich� ÖVP� und� SPÖ� schließlich� auf� ein� gemeinsames� Programm,� in� dem� zentrale� Wahl-versprechen� wie� die� Abschaffung� der� Studiengebühren� fehlten� und� auch� sonst� wenig� „sozialdemokratische� Handschrift“� sichtbar� war.� Gusenbauer� wurde� zwar� Bundeskanzler,� von� einem� sozialdemokratischen� Kurs-wechsel� konnte� aber� keine� Rede� sein.� Die� Enttäuschung� über� die� Nichteinhaltung� zentraler� Wahlversprechen� führte� zu� massiven� Protesten� der� Parteibasis� und� Ju-gendorganisationen,� die� in� die� kurzzeitige� Besetzung� des� Eingangsbereichs� der� SPÖ-Parteizentrale� in� der� Löwel-straße� und� Demonstrationen� bei� der� Regierungsangelo-bung� gipfelten.

In� den� darauf� folgenden� Monaten� nutzte� die� ÖVP� ihre� Chance.� Tiefsitzende� Illusionen� in� eine� sozialpartner-schaftlich� motivierte� Koalitionsbereitschaft� der� ÖVP� und� das� Erfüllen� einer� Staatsräson� verstellten� der� SPÖ� den� Blick� auf� das� eigentliche� Vorhaben� der� ÖVP,� nämlich� der� SPÖ� ein� Regierungsprogramm� aufzuzwingen,� das� in� zentralen� Bereichen� weiterhin� ÖVP-Handschrift� trägt.� Im� Wesentlichen� konnte� bis� auf� wenige� positive� Ausnahmen� (z.B.� Wahlaltersenkung� auf� 16� Jahre)� die� Fortsetzung� neoliberaler� Politik� nicht� verhindert� werden.

Für� die� Sozialistische� Jugend� war� diese� Situation� voll-kommen� neu.� Der� überwiegende� Teil� der� aktiven� Funk-tionärInnen� und� AktivistInnen� wurde� in� Schwarz-Blau-Zeiten� politisiert� und� hatte� wenig� Erfahrung� mit� einer� Regierungspartei� SPÖ� und� ebenso� wenig� Erfahrung� im� eigenen� Umgang� mit� ihr.� Es� galt� für� die� SJ� zu� dieser� Zeit� dennoch,� den� Unmut� und� Protest� gegen� die� Große� Koalition� zu� kanalisieren.� Versuche,� ein� Jugendvolks-begehren� auf� die� Beine� zu� stellen,� scheiterten� jedoch� ebenso� wie� das� Projekt� „Wir� sind� SPÖ“,� das� linke� Kräfte� innerhalb� der� Sozialdemokratie� zu� bündeln� suchte.� Die� vorhergehende� Diskussion,� welche� politische� Ausrich-tung� die� SJÖ� aufgrund� des� Wiedereintrittes� der� SPÖ� in� die� Regierung� einnehmen� soll,� und� die� in� weiterer� Folge� gescheiterten� Versuche,� die� Proteststimmung� politisch� zu� kanalisieren,� stellten� die� Verbandsorganisation� vor� eine� � interne� Zerreißprobe.� Erstmals� seit� dem� Jahr� 2000�

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stand� das� politische� Bündnis� der� großen� Landesorga-nisationen� zur� Diskussion,� da� sich� diese� nicht� auf� eine� gemeinsame� Vorgehensweise� in� dieser� wichtigen� Frage� einigen� konnten.� Trotz� der� gescheiterten� Versuche� und� der� harten� internen� Auseinandersetzungen� war� die� SJÖ� ständig� zur� Stelle,� wenn� es� galt,� die� Regierungspolitik� zu� kritisieren� und� Kurskorrekturen� vehement� einzufordern.�

Im� Juli� 2008� zerbrach� die� Große� Koalition� unter� Gusen-bauer.� Bei� den� darauf� folgenden� Neuwahlen� konnte� die� SPÖ� mit� ihrem� Spitzenkandidaten� Werner� Faymann� trotz� schwerer� Verluste� den� ersten� Platz� verteidigen.� Ohne�

einen� konkreten� politischen� Gestaltungsanspruch� laufen� der� SPÖ� seither� die� WählerInnen� in� Scharen� davon.� In� ei-

auf� einem� historischen� Tiefststand,� bei� den� EU-Wahlen� im� Juni� 2009� heimste� die� SPÖ� das� schlechteste� Wahler-gebnis� in� ihrer� Geschichte� auf� Bundesebene� ein.�

Die� SJÖ� lehnte� die� Große� Koalition� unter� Faymann� er-neut� ab� und� versuchte� mit� Themeninitiativen� wie� einer� Vermögenssteuer-Kampagne� linke� Kräfte� in� der� Sozialde-mokratie� zu� sammeln� und� ein� politisches� Gegengewicht� innerhalb� der� Partei� zu� bilden.� �

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Verbandstag 2006Am� 31.� Verbandstag� der� SJÖ� wurde� der� Nieder-österreicher� Torsten� Engelage� zum� Nachfolger�

von� Ludwig� Dvorak� gewählt.� Nachdem� die� SJÖ� nach� einem� breiten� Diskussionsprozess� im� Jahr� 2004� ein� Grundsatzprogramm� beschlossen� hatte,� das� eine� neue� Standortbestimmung� und� eine� neue� inhaltliche� Stärke� kennzeichnete,� sollte� nun� eine� organisatorische� Stär-kung� der� Sozialistischen� Jugend� im� Vordergrund� stehen.

Der� Verbandstag� 2006� war� auch� Startschuss� für� eine� in-tensive� Auseinandersetzung� mit� Geschlechterverhältnis-sen� innerhalb� der� Organisation.� Mit� einer� Anti-Sexismus-Initiative� wurde� ein� Schwerpunkt� nach� innen� gelegt.� Der� Initiative� ging� eine� Analyse� der� Geschlechterverhältnisse� voraus,� die� Offenkundiges� in� Zahlen� goss:� 100%� der� be-fragten� Frauen� und� 88%� der� befragten� Männer� sehen� die� SJ� als� männlich� dominiert� an.� 89%� der� befragten� Frauen� gaben� an,� sexistische� Äußerungen� in� der� SJ� wahrzu-nehmen� –� und� das� auf� allen� Ebenen� der� Organisation.� Ziel� der� Initiative� war� schließlich� neben� einer� intensiven� inhaltlichen� Auseinandersetzung� mit� dem� Thema� Sexis-mus,� die� Frauenbeteiligung� auf� allen� Ebenen� zu� erhöhen� und� frauenpolitische� Arbeit� im� Sinne� einer� Verantwor-tung� der� Gesamtorganisation� zu� verbreitern.�

Im� Oktober� 2007� legte� Engelage� den� Vorsitz� zurück,� ihm� folgte� interimistisch� der� steirische� Landesvorsitzen-de� und� damalige� stellvertretende� Verbandsvorsitzende� Wolfgang� Moitzi� nach.

Verbandstag 2008In� seiner� interimistischen� Vorsitzphase� setzte� Moitzi� am� Anfang� vor� allem� auf� eine� interne�

Konsolidierung� der� SJ� und� eine� organisatorische� Stär-kung.� Somit� gelang� es� bis� zum� nächsten� ordentlichen� Verbandstag� die� aufgerissenen� Gräben� zwischen� den� Landesorganisationen� weitgehend� zu� beseitigen.� Beim� 32.� Verbandstag� im� November� 2008� wurde� Moitzi� schließlich� im� Amt� bestätigt� und� der� Leitantrag� setzte� einen� organisationspolitisch� wichtigen� Entwicklungs-

-felder� der� Sozialistischen� Jugend� und� die� verstärkte� Öffnung� der� Organisation� für� alle� gesellschaftlichen� Schichten.

Auch� notwendige� strukturelle� Veränderungen� leg-ten� die� Wege� der� SJÖ� fest.� Eine� Überarbeitung� der� Mitgliederzeitung� „Trotzdem“,� die� Verlagerung� von� Informationskanälen� in� Social� Networks,� eine� neue� Homepage� und� direkte� Kommunikationsmittel� mit� FunktionärInnen� machten� die� Arbeit� des� Verbandes� um� einiges� transparenter� und� greifbarer.�

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Verteilungsgerechtigkeit

Die� Weltwirtschaftskrise,� die� nach� dem� Kollaps� der� Fi-nanzmärkte� 2008� die� Weltkonjunktur� abstürzen� ließ,� setzte� Verteilungsfragen� wieder� auf� die� politische� Ta-gesordnung.� Mit� der� Initiative� „Reiche� müssen� zahlen“� setzte� die� SJÖ� 2009� einen� Schwerpunkt� auf� die� For-derung� nach� Vermögenssteuern� und� versuchte� sowohl� BündnispartnerInnen� zu� suchen� als� auch� innerparteili-chen� Druck� zu� erzeugen.

Unter� dem� Motto� „Armut� ist� heilbar!� Reichtum� ist� teilbar!“� startete� die� Sozialistische� Jugend�

im� Winter� 2007� eine� bundesweite� Kampagne� gegen� die� ungleiche� Verteilung� des� Wohlstandes� in� Österreich� und�

besonders� armutsgefährdeter� Gruppen,� wie� MigrantIn-nen,� Frauen� und� junge� Menschen.� Dieses� Thema� gewann� noch� weiter� an� Bedeutung,� als� die� Regierung� Gusenbauer� die� Abschaffung� der� Schenkungs-� und� Erbschaftssteuer� beschloss.

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FrauenpolitikBesonderes� Engagement� und� Konzentration� galt� in� den� Jahren� 2004� –� 2009� frauenpoli-

tischen� Kampagnen.� 2005� wurde� mit� der� Kampagne� „selbstbestimmt� statt� fremdbeHERRscht“� das� Recht� auf� Schwangerschaftsabbruch� als� Frauenrecht� the-matisiert.� Mit� „Kill� your� Gender“� und� vor� allem� der� ersten� Frauenkampagne� seit� dem� Jahr� 2005� „Ich� muss� gar� nichts“� (2009)� wurden� bei� bundesweiten� Touren� gesellschaftlich� transportierte� Rollenbilder� von� Frauen� (und� Männern)� hinterfragt� und� sollte� insbesondere� jun-ge� Frauen� dazu� motivieren,� ihre� eigene� Rolle� in� Frage� zu� stellen� und� eigene� Wege� gehen� zu� können.�

Die� politische� Frauenarbeit� der� SJ� erlebte� in� diesen� Jahren� einen� Bedeutungszuwachs.� In� den� Landesor-ganisationen� wurde� Frauenpolitische� Kommissionen� statutarisch� verankert.� Ein� jährliches� feministisches� Seminar� erfreut� sich� zunehmenden� Zuspruchs,� und� Medienaktionen� zu� internationalen� Tagen� sind� ebenso� Fixtermine� wie� jährliche� Aktivitäten� gegen� Propagan-datouren� von� AbtreibungsgegnerInnen.

Die� FPK� erlebte� zudem� einen� Generationenwechsel.� Die� langjährige� Frauensprecherin� Stefanie� Vasold� übergab� 2008� an� die� Niederösterreicherin� Christine� Utzig.

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AntifaschismusEine� der� großen� Stärken� der� SJÖ� ist� ihre� Kam-pagnenfähigkeit.� Die� erfolgreichste� Kampagne�

der� Jahre� 2003� bis� 2009� war� das� „Netzwerk� gegen� Rechts“� mit� dem� zum� Symbol� gewordenen� „Hai“.� Die� antifaschistische� Arbeit� der� SJÖ� erschöpfte� sich� nicht� nur� in� der� Kampagnisierung� nach� außen,� son-dern� setzte� einen� Schwerpunkt� auf� die� Bildungsar-beit� nach� innen.� Das� jährliche� „Antifa-Seminar“� mit� anschließender� Teilnahme� an� den� Befreiungsfeiern� im� ehem.� KZ� Mauthausen,� eine� jährliche� Studienreise� ins� ehem.� Vernichtungslager� Auschwitz� und� eine� Bro-schürenreihe� kennzeichnen� den� antifaschistischen� Bil-dungsanspruch� der� SJ.� Auf� zahlreichen� Demos� gegen� FPÖ-Wahlkampfauftritte,� Burschenschafter-Treffen� und� Neonazi-Aufmärsche� zeigte� die� SJ� ihre� Mobilisie-rungsstärke� und� ihre� Fähigkeit,� den� Protest� auf� die� Straße� zu� tragen.

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BündnisarbeitDie� erfolgreiche� Orientierung� der� SJÖ� in� Richtung� Vernetzung� mit� zivilgesellschaftlichen� Or-ga� nisationen� erreichte� nach� den� Anti-WEF-Protesten� einen� weiteren� Höhepunkt� im� Juni� 2006.� Die� Großdemonstration�

gegen� den� Staatsbesuch� des� damaligen� US-Präsidenten� George� W.� Bush� mit� über� 30.000� Menschen� wurde� maß-geblich� von� der� Sozialistischen� Jugend� initiiert� und� organisiert.� Ende� April� 2009� gelang� in� Oberösterreich� ein� breites� Bündnis� gegen� einen� geplanten� Neonazi-Aufmarsch� in� Linz,� das� neben� gewerkschaftlichen� Gruppen� auch� kirchliche� Organisationen� mit� einbezog.� Im� März� 2009� zeichnete� sich� die� SJÖ� als� Mitorganisatorin� einer� Großdemonstration� in� Wien� gegen� die� Krisenpolitik� der� Regierungen� aus,� die� von� über� 250� Organisationen� getragen� wurde.� Verstärkt� widmete� sich� die� SJÖ� auch� dem� Asyl-� und� Migrationsbereich.� Die� drohende� Abschiebung� einer� kosovarischen� Familie� im� Oktober� 2007� zog� heftige� Diskussionen� nach� sich,� die� von� der� SJÖ� mit� einer� Initiative� aufgegriffen� wurden.� Durch� gemeinsame� Demonstrationen� mit� Hilfs-� und� zivilgesellschaftlichen� Organisationen� wurde� der� Widerstand� gegen� die� fremdenfeindliche� Asylpolitik� Österreichs� organisiert.

Aber� auch� die� internationale� Bündnisarbeit� wurde� wieder� aufgewertet� und� die� internationalen� Kontakte� beständig� ausgebaut.� Neben� den� sozialistischen� Dachorganisationen� ECOSY� und� IUSY,� wo� die� SJÖ� jeweils� im� Präsidium� durch� die� Feminist� Working� Group� bzw.� Network� vertreten� ist,� wurde� vor� allem� die� bilaterale� Zusammenarbeit� zwischen� uns� nahe� stehenden� Organisationen� verstärkt� und� so� gemeinsame� Aktionen� und� Bildungsveranstaltungen� ins� Leben� gerufen.

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Jede Zeit hat ihre speziellen Herausforderungen

Generationengespräch� zum� 115-jährigen� Bestehen� der� Sozialistischen� Jugend� Österreich

mit� den� ehemaligen� SJÖ-Vorsitzenden� Peter� Schieder� (1964� –� 1972),� Josef� Cap� (1978� –� 1984),� Karl� Delfs� (1992� –� 1996)� und� Ludwig� Dvorak� (2004� –� 2006).

WOLFGANG� MOITZI:� Jede� Zeit� hat� ihre� spezi-ellen� Herausforderungen.� Was� waren� die� gesell-schaftlichen� Herausforderungen� zu� eurer� Zeit� als� Verbandsvorsitzende� und� wie� habt� ihr� politisch� darauf� reagiert?� Was� waren� die� großen� politischen� Kämpfe?

PETER� SCHIEDER:� Zu� meiner� Zeit� (1964� –� 1972,� Anm.)� war� innenpolitisch� die� große� Herausforderung� noch� auf� dem� sozialen� Sektor.� Berufsausbildung,� Lehrlingsrechte,� der� Beginn� der� Öffnung� der� Mit-telschulen� für� Arbeiter� Innenkinder.� Der� Beginn,� die� Mädchen� stärker� in� die� Ausbildung� zu� integrieren�

Innerhalb� der� Partei� war� das� eine� Zeit,� die� von� großen� Konf� likten� geprägt� war.� Der� Konf� likt� war� personeller� Art,� und� damit� verbunden� auch� ein� bisschen� richtungs-mäßig:� die� Frage� der� Nachfolge� von� Pitterman.� Kreisky� und� der� Versuch� mit� Czettel� einen� Gegenkandidaten� zu� Kreisky� zu� stellen.� Das� waren� innerparteilich� große� Fragen,� wo� die� SJ� sich� bemüht� hat,� eine� Vermittler-rolle� einzunehmen,� und� zwar� für� Veränderungen� und� Erneuerungen,� obwohl� man� im� Wesentlichen� mehrheit-lich� für� Kreisky� gewesen� ist.

Auf� dem� internationalen� Sektor� war� die� Situation� dop-pelt� interessant.� Die� Sozialistische� Internationale� hat� es� damals� noch� nicht� gewagt,� die� neuen� Bewegungen�

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»�

JOSEF� CAP:� Meine� Periode� war� die� Zeit� von� 1978� –� 1984.� Wichtig� in� dieser� Zeit� war� das� Aufkeimen� neuer� sozialer� Bewegungen� und� die� spätere� konkrete� Aus-formung� von� zumindest� einer� Partei:� den� Grünen.� Es� hat� damals� die� Anti-Atombewegung� rund� um� das� AKW� Zwentendorf� gegeben.� Die� SJ� hat� eine� ganz� wesentli-che� Rolle� gespielt� und� gemeinsam� mit� den� SozialistIn-nen� an� dem� knappen� Erfolg� gegen� die� Inbetriebnahme� mitgewirkt.� Eine� der� härtesten� Diskussionen� in� der� SPÖ� und� der� Gewerkschaft.

Es� hat� dann� auch� wachsende� innerparteiliche� Dis-kussionen� über� Fehlentwicklungen� in� der� Funktio-

in� Afrika,� Asien� und� Lateinamerika� gleich� aufzuneh-men.� Die� Sozialistische� Jugendinternationale� hat� hier� eine� Vorreiterrolle� eingenommen,� auch� bedingt� dadurch,� dass� das� Sekretariat� der� IUSY� damals� in� Wien� war� und� es� eine� Bürogemeinschaft� zwischen� SJ� und� IUSY� gab.� Eine� große� Rolle� spielte� die� Frage,� die� Befreiungsbewegungen� in� die� sozialistische� Familie� einzuführen.

Innerhalb� der� Partei� war� das� eine� Zeit,� die� von� gro-ßen� Konf� likten� geprägt� war.

närsstruktur� gegeben,� über� staatliche� Strukturen� und� die� Antiprivilegiendebatte,� die� dann� am� Partei-tag� 1982� mit� den� drei� Fragen� an� den� burgenländi-schen� Landeshauptmann� den� Höhepunkt� fand.� Und� es� gab� dann� 1983� eine� Vorzugsstimmenkampagne� für� den� Vorsitzenden� der� SJ.� Mit� 62.457� Stimmen� in� Wien� und� unter� der� Mitwirkung� von� Künstlern,� Intellektuellen� und� vielen� AktivistInnen� der� Partei� ist� es� dem� Vorsitzenden� der� SJ� gelungen,� ins� Parlament� einzuziehen.�

Parallel� dazu� hat� es� laufend� eine� inhaltliche,� sehr� ideologische� Debatte� über� einen� allfälligen� dritten� Weg� gegeben,� wo� wir� versucht� haben,� eine� Synthese� her� zu� stellen� und� Kontakte� zu� suchen� zwischen� den� linkeren� SozialdemokratInnen� und� den� Teilen� der� euro-kommunistischen� Parteien,� die� sich� bereits� auf� einem� Prozess� der� Sozialdemokratisierung� befunden� haben.� Es� wurde� ein� Dialog� gesucht,� aber� das� hatte,� wie� sich� später� herausgestellt� hat,� letztlich� keine� historische� Perspektive.� Es� endete� 1989� mit� dem� völligen� Zusam-menbruch� des� reformunfähigen� Systems.� Es� endete� mit� der� KP,� die� sich� in� sozialdemokratische� Parteien� umwandelte.� Es� war� eigentlich,� in� Summe,� ein� Sieg� der� Sozialdemokratie,� ein� historischer� Sieg,� ein� gesell-schaftspolitischer� Sieg.� Nicht� immer� hat� sich� das� in�

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Wahlergebnissen� niedergeschlagen,� dafür� aber� in� der� Sozialdemokratischen� Partei.�

Es� war� eine� Zeit� sozialdemokratischer� Hegemonie:� Willy� Brandt,� Bruno� Kreisky.� Kreisky,� der� Jahrhundert-politiker� und� Kanzler,� unter� dem� ich� die� Möglichkeit� hatte,� Vorsitzender� der� SJ� zu� sein� –� was� ganz� be-sonderes.� Kreisky,� der� für� gesellschaftliche� Reformen� stand� -� das� war� eine� Zeit� des� Aufbruchs.�

Wir� waren� eigentlich� die� einzige� Opposition� in� ganz� Ös-terreich� gegenüber� der� absoluten� Mehrheit� der� SPÖ.� In� allen� Teilen� der� Organisation,� aber� auch� in� den� neuen� sozialen� Bewegungen� war� die� SJ� präsent.�

Es� gab� auch� starken� Zulauf� in� der� SJ,� aufgebaut� auf� das,� was� unsere� Vorgänger� schon� an� Struktur� und� politischem� Bewusstsein� entwickelt� haben.� Es� war� die� Zeit� der� Politisierung� � der� Jugendbewegungen� und� der� SJ.� Die� SJ� war� eine� sehr� starke� politische� Organisation,� die� sich� nicht� abgekapselt� hat,� sondern� offen� für� neue� Bewegungen� und� für� Diskussionen� über� Parteigrenzen� hinaus� war.�

Es� war� die� Zeit� der� Politisierung� � der� Jugendbewe-gungen� und� der� SJ.

KARL� DELFS:� Ich� war� von� 1992� -� 96� Vorsitzender.� Beherrschend� zu� dieser� Zeit� war� der� aufkommende� Rechtspopulismus� und� Rechtsextremismus,� der� be-reits� latent� vorhanden� war.� Es� war� die� Zeit� der� großen� Wahlerfolge� der� rechten� Parteien.� Das� war� in� diesen� vier� Jahren� die� Kernaufgabe.� Wir� waren� getragen� von� dem� Gedanken,� dass� die� Partei,� die� dem� entgegentritt,� selbst� auch� eine� politisch� weiße� Weste� haben� muss.� Es� gab� innerparteilich� starke� Auseinandersetzungen.� Regional� herunter� gebrochen� hat� sich� das� ganz� stark�

-ziert.� Die� Auseinandersetzung� mit� Bregartner� ist� so� weit� gegangen,� dass� wechselseitige� Parteiausschluss-verfahren� -� wir� gegen� Bregartner� und� er� gegen� mich� -� vorgelegen� sind.�

Ebenfalls� bezeichnend� für� diese� Zeit� war� die� Frage,� wie� man� mit� Menschen� umgeht,� die� nach� Österreich� kommen.� Die� SPÖ� hat� damals� mit� Franz� Löschnak� den� Innenminister� gestellt� und� wir� hatten� ein� anderes� Ver-ständnis� davon,� wie� man� mit� MigrantInnen� umgeht,� welche� Rechte� sie� haben.� Das� hat� schlussendlich� zu� sehr� starken� Auseinandersetzungen� zwischen� SJ� und� dem� Innenminister� geführt.� Und� schlussendlich� ist� das� Ganze� in� einem� von� uns� inhaltlich� und� organisatorisch� maßgeblich� mitgetragenen� Lichtermeer� gegipfelt,� bei�

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dem� 250.000� Menschen� in� Österreich� gesagt� haben,� sie� wollen� eine� andere� Politik,� sie� wollen� mehr� Tole-ranz,� sie� wollen� sich� stark� gegen� Fremdenfeindlichkeit� aussprechen.�

Außenpolitisch� waren� die� Abstimmung� und� der� Beitritt� Österreichs� zur� EU� die� prägenden� Themen.� Das� war� kein� leichter� Gang� für� uns.� Ich� war� getragen,� auch� durch� viele� Gespräche� mit� dem� Genossen� Vranitzky,� von� dem� Gedanken,� dass� wir� uns� dieses� Haus� EU,� wie� es� dasteht,� hernehmen� und� sozialdemokratisch� ein-richten.� Im� Nachhinein� kann� man� sagen,� das� Haus� ist� stehen� geblieben,� nur� die� sozialdemokratische� Einrich-tung� lässt� noch� auf� sich� warten.� Aber� wir� haben� auch� nicht� im� Bundesvorstand� oder� den� Verbandsausschüs-sen� darüber� abgestimmt.� Ich� wollte� mich� nicht� durch� einen� Beschluss� gegen� die� EU� binden.� Es� war� politisch� nicht� allzu� mutig,� hat� aber� die� Organisation� damals� in� meinen� Augen� vor� größerem� Schaden� bewahrt.�

Innerorganisatorisch� war� das� alles� schwieriger.� Es� war� die� Zeit,� in� der� mehr� oder� weniger� versucht� wor-den� ist,� die� SJ� als� eine� Art� Ansammlung� von� Projekt-� und� Bewegungsideen� zu� präsentieren,� wo� weniger� die� Inhalte,� sondern� eher� die� Form� das� Entscheidende� war.� Als� ich� Bundesvorsitzender� wurde,� war� die� Or-

ganisation� real� in� zwei� Lager� gespalten.� Die,� die� sich� Modernisierer� genannt� haben� und� die,� die� sich� eher� traditionell� verstanden� haben.� Wobei� nach� einigen� Diskussionen� relativ� schnell� klar� war,� dass� das� eine� eigentlich� das� andere� bedingt.� Wenn� du� einen� guten� Inhalt� hast,� solltest� du� schauen,� dass� du� den� so� breit� wie� möglich� unter� die� Leute� bringst.� Die� Situation� hat� sich� dann� im� ersten� Jahr� relativ� stark� in� Wohlgefallen� aufgelöst.�

Wir� hatten� ein� anderes� Verständnis� davon,� wie� man� mit� MigrantInnen� umgeht,� welche� Rechte� sie� haben,� als� die� SPÖ.

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LUDWIG� DVORAK:� Die� gesellschaftliche� Herausfor-derung� in� meiner� Funktionsperiode� war� identisch� mit� den� zwei� Perioden� davor� unter� Andreas� Kollross� (2000� –� 2004,� Anm.),� wo� ich� Wiener� Vorsitzender� war,� und� er� Bundesvorsitzender:� Im� Wesentlichen� waren� wir� am� Ende� einer� Großen� Koalition� und� mit� einer� Partei� kon-frontiert,� die� inhaltlich� nicht� mehr� besonders� tragfähig� gewesen� ist.� Dementsprechend� stand� zu� Beginn� dieser� Periode,� wo� Schwarz� –� Blau� an� die� Macht� gekommen� ist� und� der� neoliberale� Backlash� begonnen� hat,� die� wichtige� organisatorische� Frage� im� Vordergrund:� was� ist� jetzt� unsere� Aufgabe� als� SJ?� Wollen� wir� überhaupt� Menschen� organisieren,� das� Gruppenprinzip� aufrecht-erhalten?� Was� ist� unsere� gesellschaftliche� Funktion,� was� ist� unsere� Aufgabe� innerhalb� der� Partei?

Die� Offensive� der� Rechten� hat� die� Entscheidungspro-zesse� der� SJ� in� eine� klare� Richtung� gedrängt� und� uns� klargemacht,� dass� es� unsere� Aufgabe� ist,� Jugendliche� wieder� verstärkt� zu� organisieren,� der� Anknüpfungspunkt� zu� sein� für� Jugendliche,� die� nicht� damit� einverstanden� waren,� dass� die� Haider-Partei� in� der� Regierung� war.�

Ich� glaube,� dass� diese� Phase� nach� 2000� bis� 2006� für� die� SJ� günstige� Rahmenbedingungen� geboten� hat.� Günstig� aus� zwei� Gründen.� Zum� einen:� als� ich� Ende�

der� 90er� Jahre� in� der� SJ� angefangen� habe,� war� es� sehr� schwierig,� den� Jugendlichen� zu� erklären,� warum� sie� sich� in� der� SPÖ� organisieren� sollen.� Sie� war� in� ge-sellschaftspolitischen� Fragen� mit� dem� Löschnak-Kurs� nicht� besonders� attraktiv.� Nicht� besonders� attraktiv� in� wirtschafts-� und� sozialpolitischen� Fragen� aufgrund� der� großen� Sparpakete� der� 90er� Jahre,� und� das� war� mit� 2000� weg.� Plötzlich� war� diese� große� Diskrepanz,� die� es� nach� außen� zwischen� Partei� und� SJ� gegeben� hat,� nicht� mehr� so� gegeben,� weil� es� einen� gemeinsa-men� Feind� gegeben� hat� –� die� schwarzblaue� Regierung,� den� Neoliberalismus.

Die� SPÖ� hat� sich� wieder� stärker� getraut,� den� Neolibe-ralismus� als� Feindbild� aufzugreifen� und� zu� attackieren.� Das� sind� natürlich� günstige� Rahmenbedingungen� für� eine� Jugendorganisation.� Wir� hatten� natürlich� trotz-dem� zuhauf� Konf� likte� mit� der� Partei,� waren� der� Mei-nung,� dass� man� durchaus� pointierter� auftreten� könnte.� Aber� in� unserer� Aufgabe,� Jugendliche� zu� organisieren,� ist� es� uns� entgegengekommen,� dass� die� SPÖ� wieder� als� Kraft� wahrgenommen� wurde,� die� etwas� verändern� will� und� einen� positiven� Gestaltungswillen� hat.

Ich� glaube,� dass� das� nach� 2006� wieder� zu� einem� Pro-blem� für� die� SJ� geworden� ist,� weil� sich� viele� Hoffnun-

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gen� mit� dem� Ende� von� Schwarz� –� Blau� nicht� erfüllt� haben.� Aber� mit� der� wesentlichen� Herausforderung,� mit� der� wir� zu� arbeiten� hatten,� die� Organisation� zu� repolitisieren,� sie� zu� reorganisieren,� sie� für� neue� Leute� attraktiv� zu� machen� und� damit� etwas� gegen� Schwarz-Blau� zu� unternehmen,� war� viel� zu� tun.�

Es� war� unsere� Aufgabe,� der� Anknüpfungspunkt� zu� sein� für� Jugendliche,� die� nicht� damit� einverstanden� wa-ren,� dass� die� Haider-Partei� in� der� Regierung� war.

MOITZI:� In� der� SJ� hat� es� immer� programmatische� Diskussionen� und� innerorganisatorische� Kämpfe� ge-geben,� zwischen� Landesorganisationen� und� Gruppen� mit� unterschiedlicher� politischer� Herangehensweise.� Welche� Kämpfe� gab� es� zu� eurer� Amtszeit� und� wie� war� es� um� die� Kräfteverhältnisse� bestellt?

SCHIEDER:� Ich� hab� natürlich� Länder� gehabt,� die� stär-ker� für� einen� waren,� und� Länder,� die� nicht� so� stark� für� einen� waren.� Die� Beziehung� mit� Oberösterreich� war� sehr� gut,� weil� wir� von� dort� zum� Ausgleich� einen� Ver-bandssekretär� hatten,� mit� Niederösterreich� war� das� Verhältnis� in� Ordnung,� aus� Wien� bin� ich� selbst� gekom-

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men.� Es� war� immer� die� Beziehung� mit� den� Kärntnern� erstaunlicherweise� sehr� gut,� die� Steirer� hatten� hie� und� da� einen� eigenen� Kurs.� Es� hat� aber� keine� unbewältig-baren� Konf� likte� gegeben.

CAP:� Die� SJ� war� im� linken� Mittespektrum� der� SPÖ� anzu-siedeln,� wenn� man� sie� insgesamt� betrachtet,� aber� grund-sätzlich� orientiert� an� einer� programmatischen� Synthese� zwischen� den� Wurzeln� und� den� Erfordernissen� der� auf� die� Neuzeit� gerichteten� Interpretation� der� Grundwerte� der� Sozialdemokratie.� Es� hat� im� Wesentlichen� drei� Strö-mungen� gegeben:� eine� eher� pragmatische� Strömung,� eine� linke� und� eine� zentristische� Strömung.� Ich� war� bei� der� zentristischen� Strömung.� Ich� habe� immer� versucht� inte-grativ� zu� wirken,� und� das� ist� auch� gelungen� und� dadurch� ist� auch� die� Einheit� der� Organisation� immer� garantiert� gewesen,� selbst� wenn� es� um� das� AKW� Zwentendorf� ging.� Da� hat� es� nämlich� auch� zwei� Gruppen� gegeben,� die� einen,� die� dafür,� die� anderen,� die� dagegen� waren.� Es� ist� letztlich� gelungen,� mit� einer� nicht� sehr� großen,� aber� doch� deutlichen� Mehrheit� dagegen� zu� sein.�

Die,� die� eher� an� der� Beantwortung� zeitgemäßer� Fragen� interessiert� waren,� waren� aber� auch� in� der� Denktra-dition� bis� zurück� zu� Max� Adler� oder� Otto� Bauer,� aber�

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das� hat� dem� damaligen� Politisierungsgrad� entspro-chen.� Bruno� Kreisky� war� an� Dialogen,� an� Diskussion,� an� historischem� Bewusstsein� interessiert,� er� hat� das� sogar� stimuliert.� Wir� waren� ja� eingeladen� im� Partei-vorstand� -� wenn� man� sich� da� nicht� mindestens� einmal� zu� Wort� gemeldet� hat� und� etwas� Kritisches� gesagt� hat,� war� er� fast� beleidigt.� Das� war� schon� noch� ein� anderes� Klima.�

DELFS:� In� der� Periode� vor� mir� war� der� Martin� Winkler� Vorsitzender� und� damit� war� jene� Strömung� im� Bun-dessekretariat,� die� die� SJ� eher� als� eine� Sammlung� von� Projekt-� und� Bewegungsideen� verstanden� hat� und� die� mit� den� traditionellen� Strukturen� -� Landes-organisationen,� Bezirksorganisationen,� Ortsorgani-sationen� -� relativ� wenig� anfangen� konnte.� Wir� haben� die� Debatte� damals� schnell� weg� bringen� können,� weil� mir� schon� klar� war,� dass� moderne� Methoden� an� junge� Menschen� heranzukommen� -� wie� die� Bildungswerk-statt� -� wichtig� sind.� Du� musst� junge� Menschen� zuerst� einmal� für� Politik� interessieren� und� sie� zur� SJ� bringen:� mit� Angeboten,� wie� man� sich� in� seiner� Persönlichkeit� weiterbilden� kann,� wie� man� eine� Zeitung� macht,� wie� man� einen� Videoclip� macht� -� Chatten� war� damals� auch� ganz� hoch� im� Kurs.�

Man� muss� dazu� sagen,� dass� Vranitzky� das� auch� ver-standen� und� unterstützt� hat.� Ich� hatte� mit� ihm� da-mals� ein� Agreement:� jeder� Schilling,� den� wir� in� einen� Projektfonds� legen,� wird� von� der� Sozialdemokratie� verdoppelt.� Diese� Mittel� waren� ausschließlich� an� Ar-beiten� gebunden,� neue� Mitglieder� zu� organisieren� und� neue� Leute� in� die� SJ� zu� bringen.� Politische� Bildung� hat� man� ihnen� in� kleinen� Dosen� zugeführt,� dann� haben� wir� mal� den� Bundeskanzler� eingeladen,� den� Zentralsekre-tär� und� so� sind� die� Leute� langsam� dazu� gewachsen.� Das� war� ja� legitim.� Aber� mein� Anspruch� war� schon,� die� Leute� da� zu� behalten� und� da� mussten� natürlich� auch� die� traditionellen� Strukturen� wieder� aufgebaut� werden.� Meiner� Einschätzung� nach� war� es� schon� wichtig,� eine� starke� Struktur� zu� haben,� um� die� Leute,� wenn� sie� mal� politisch� interessiert� sind,� auch� binden� zu� können.�

Ich� hab� es� nicht� so� gut� gehabt� wie� der� Josef� und� der� Peter,� ich� musste� einmal� einen� Misstrauensantrag� abwehren.� Es� ging� um� eine� Gruppe� in� Judenburg,� die� Politik� sehr� stark� mit� Spaß� verbunden� hat.� Die� waren� der� Meinung,� dass� zu� wenig� Witz� in� der� Sache� drin� ist� und� die� haben� ein� Konzept� über� die� Neupositionierung� der� SJ� von� mir� verlangt.� Ich� hab� aber� rechtzeitig� erfah-ren,� dass� ich� mir� dort� den� Mund� hätte� fusselig� reden�

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können,� am� Ende� dieser� Sache� wäre� mir� auf� jeden� Fall� das� Misstrauen� ausgesprochen� worden.� Ich� bin� dann� in� den� Verbandausschuss� gegangen� und� habe� gesagt:� ich� habe� gehört,� mir� soll� das� Misstrauen� ausgesprochen� werden.� Bitte� macht� es� gleich,� wir� können� ja� offen� re-den,� wir� brauchen� unsere� Zeit� nicht� vertrödeln,� indem� wir� ein� Papier� diskutieren,� wo� dann� am� Schluss� ein� Misstrauensantrag� steht.� Das� ist� dann� ausdiskutiert� worden� und� ich� hab� mit� zwei� Stimmen� überlebt.� Das� war� für� mich� persönlich� in� meiner� Vorsitzführung� der� wahrscheinlich� kritischste� Teil.�

Es� war� wichtig,� eine� starke� Struktur� zu� haben,� um� die� Leute,� wenn� sie� mal� politisch� interessiert� sind,� auch� binden� zu� können.�

DVORAK:� Die� wesentliche� Auseinandersetzung,� die� nach� deiner� Zeit� doch� wieder� aufgebrochen� ist,� dieser� „Traditionalisten� –� Modernisiererkonf� likt“,� ist� dann� mit� Schwarz� � -� Blau� beendet� worden.� Damit� war� klar,� es� braucht� Strukturen,� wir� müssen� in� der� Breite� verankert� sein,� wir� müssen� politische� Konzepte� haben� und� gleichzeitig� muss� man,� wenn� man� Positionen� und� Strukturen� hat,� auch� Vermarktungsformen� entwickeln.� Nur� muss� man� die� nicht� nur� immer� in� Positionspapiere�

schreiben,� sondern� vor� allem� machen� und� leben.� Es� war� der� Druck� der� Oppositionszeit,� der� diesen� Konf-� likt� entschieden� hat.�

Die� programmatische� Debatte� hat� sich� in� der� SJ� rund� um� den� Verbandstag� 2004,� auf� dem� ich� gewählt� wor-den� bin,� entschieden,� weil� wir� dort� nach� einem� fast� einjährigen� Prozess� ein� Grundsatzprogramm� beschlos-sen� haben.� Natürlich� gab� es� da� Differenzen� innerhalb� der� Organisation,� die� zum� Tragen� gekommen� sind,� aber� es� hat� schließlich� sehr� wenige� Gegenstimmen� gegeben.�

Das� Grundsatzprogramm� hat� auf� der� einen� Seite� an� einer� austromarxistischen� Fundierung� der� Politik� fest-gehalten,� auf� der� anderen� Seite� hat� es� auch� konkret� Stellung� bezogen� zu� Fragen� des� Wohlfahrtstaates,� der� Geschlechtergerechtigkeit� usw.� Es� war� aber� im� We-sentlichen� keine� Phase� ideologischer� Konf� likte� mehr,� sondern� die� Konf� likte� hatten� eher� kulturelle,� teilweise� auch� persönliche� Hintergründe.� Letzten� Endes� hat� es� aber� eine� Zusammenarbeit� aller� großen,� wichtigen� Landesorganisationen� gegeben.� Was� immer� für� ein� bisschen� Feuer� gesorgt� hat,� war,� dass� gerade� die� kleineren� Strömungen,� der� trotzkistische� Flügel,� der� Stamokap-Flügel� immer� versucht� haben,� ihre� Bedeu-

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tung� dadurch� zu� heben,� dass� man� Konf� likte� eben� auch� in� die� Organisation� getragen� hat.� In� den� meisten� Fällen� war� das� � aber� in� einer� Form,� die� in� einer� Organisation� auch� Platz� haben� muss� und� die� die� Linie� der� Organisa-tion� auch� nicht� dominiert� hat.�

MOITZI:� Kommen� wir� in� die� Gegenwart.� Ein� Phäno-men� der� letzten� Jahrzehnte� ist� unbestritten� die� Ent-politisierung� der� Politik.� Eine� historische� Stärke� der� Sozialdemokratie� ist� immer� darin� gelegen,� dass� sie� Bildungsarbeit� ins� Zentrum� der� Parteiarbeit� gerückt� hat.� Das� ist,� wenn� man� sich� den� derzeitigen� Zustand� der� Sozialdemokratie� anschaut,� in� den� Hintergrund� gerückt,� wenn� nicht� sogar� verloren� gegangen.� Wie� schätzt� ihr� das� ein,� aus� welchem� Grund� hat� die� Ent-politisierung� auch� in� einem� so� großen� Maß� die� Sozial-demokratie� erreicht,� glaubt� ihr,� dass� eine� Repolitisie-rung� der� Sozialdemokratie� notwendig� ist� und� wie� soll� diese� erreicht� werden,� damit� die� SPÖ� auch� wieder� ein�

SCHIEDER:� Ich� tu� mir� mit� dem� Begriff� Entpolitisierung� der� Politik� etwas� schwer.� Ich� spreche� lieber� darüber,� ob� es� eine� Entideologisierung� gegeben� hat.� Die� hat� in�

dem� Sinn� stattgefunden,� dass� die� Grundsatzfragen,� die� früher� eine� große� Rolle� in� der� Partei� gespielt� ha-ben,� keine� so� große� Rolle� mehr� spielen,� einerseits� weil� vieles� schon� erreicht� worden� ist� und� daher� der� Drang� nach� Illusionen� schwächer� geworden� ist,� zweitens,� weil� es� durch� einen� gewissen� Pragmatismus� eine� Abkehr� von� Visionen� gegeben� hat� und� drittens� weil� große� Zukunftsfragen� für� die� Politik� am� Horizont� auf-getaucht� sind,� die� nicht� in� den� großen� alten� Schriften� und� in� der� Ideologie� der� Sozialdemokratie� traditionell� enthalten� waren.�

Die� ganze� Frage� der� neuen� technischen� Medien� hatte� ihren� Einf� luss,� Globalisierungsprobleme,� Umweltfra-gen,� es� sind� also� zahlreiche� Bereiche� in� die� Politik� gekommen,� die� nicht� abgedeckt� waren� durch� alte� ideologische� Schriften.� Daher� ist� es� die� Aufgabe� so� etwas� wie� Grundsätze� und� eine� Linie� für� diese� Berei-che� zu� entwickeln� und� ich� glaube,� daran� arbeitet� die� Sozialdemokratie� zum� Teil� daran.�

Die� Sozialdemokratie� war� immer� sehr� international,� aber� gerade� zu� einem� Zeitpunkt,� wo� es� angesichts� der� Globalisierung� doppelt� notwendig� wäre,� internationale� Strategien� zu� haben,� sind� die� Einf� lussmöglichkeiten� für� die� Sozialdemokratie� in� der� EU� gering� und� wurden�

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auf� internationaler� Ebene� durch� eine� dahinsiechende� Sozialistische� Internationale� (SI)� fast� aufgegeben.� Alles� zusammen� hat� ein� neues� Umfeld� gebracht.� In� diesem� Umfeld� ist� man� auf� eine� andere� Form� politisch,� es� ist� keine� wirkliche� Entpolitisierung,� es� ist� pragma-tischer� geworden,� tagespolitisch� bestimmt,� dem� Um-feld� und� der� Landschaft� angepasst.� Da� stellt� sich� für� mich� die� Frage,� ist� es� nicht� notwendig� für� diese� neuen� Bereiche� Visionen,� Zielvorstellungen� und� Modelle� zu� entwickeln,� die� so� etwas� wie� die� frühere� Ideologie� in� den� neuen� Bereichen� darstellen� und� gleichzeitig� eine� Handlungsanleitung� für� die� Menschen� sind,� die� dafür� jetzt� mit� ihrem� Herzblut� kämpfen.�

Man� muss� so� etwas� wie� Grundsätze� und� eine� Linie� für� neue� politische� Bereiche� entwickeln.

CAP:� Ich� glaube,� dass� die� europäische� Sozialdemo-kratie� im� Zuge� der� Finanz-� und� Wirtschaftskrise� in� eine� äußerst� schwierige,� phasenweise� fast� krisen-hafte� Situation� geraten� ist,� und� daher� eine� Debatte� um� eine� allfällige� Neustrukturierung,� ohne� dabei� die� traditionellen� Grundwerte� und� Wurzeln� zu� verlassen,� wahrscheinlich� ein� Gebot� der� Stunde� ist.� Das� wird� auch� die� Jugendorganisationen� betreffen.� Da� werden�

sich� am� besten� alle� einmal� zusammensetzen� und� dar-über� nachdenken,� mit� welchen� Inhalten� und� welchen� Strukturen� man� wieder� gesellschaftlich� wirksam� sein� kann.� Und� zwar� nicht� nur� in� Bezug� auf� eine� sich� auf� die� neuen� Herausforderungen� der� Zeit� einstellende� Sozialdemokratie,� sondern� letztlich� auch� in� Bezug� auf� die� Jugend.�

Denn� wenn� heute� bei� vielen� Wahlen� bereits� die� FPÖ� den� ersten� Platz� unter� den� Jugendlichen� hat,� und� es� viele� ungelöste� Fragen� in� Bezug� auf� den� Bildungshintergrund,� die� Migration� und� das� Zusammenleben� der� verschiede-nen� Ethnien,� Religionen� und� Kulturen� gibt,� dann� ist� das� ein� breites� Feld� für� eine� sozialdemokratische� Jugendor-ganisation.� Und� da� sollte� man� weggehen� von� einer� tradi-tionellen� Antifa-Rhetorik,� sondern� mehr� in� die� Richtung� gehen,� wie� ich� da� wieder� integrativ� wirken� kann� und� wie� ich� da� eine� sozialdemokratische� Sogwirkung� entwickeln� kann.� Das� ist� sicher� eine� Herausforderung,� wie� sie� eine� Jugendorganisation� noch� nie� hatte.�

Ich� glaube,� dass� die� Gesellschaft� zerklüfteter,� frag-mentierter� ist,� dass� es� da� auch� eine� Entpolitisierung� und� Individualisierung� gegeben� hat,� dass� die� neuen� Kommunikationsformen� eine� Rolle� spielen,� die� Her-ausforderungen� der� Globalisierung,� die� radikalen� Än-

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derungen� im� Bereich� der� Arbeitswelt,� das� muss� man� alles� zur� Kenntnis� nehmen.� Man� kann� sich� aber� nicht� damit� begnügen� und� sagen:� „Gut,� das� ist� jetzt� so.“� Wir� haben� nach� wie� vor� einen� historischen� Auftrag� und� als� solchen� haben� wir� auch� Geschichtsmächtigkeit� zu� entwickeln,� und� das� schlägt� sich� nicht� nur� in� der� Qualität� unserer� Programme� nieder,� sondern� letztlich� sollte� sich� das� auch� in� Quantität� niederschlagen.� Und� da� ist� eine� gründliche� Hinterfragung� dessen,� fern� aller� Grenzen� unserer� Strukturen,� ein� Gebot� der� Stunde.�

Wir� haben� nach� wie� vor� einen� historischen� Auftrag� und� als� solchen� haben� wir� auch� Geschichtsmächtigkeit� zu� entwickeln

DELFS:� Also� ich� würde� das,� was� der� Peter� sagt,� von� der� Historie� her� teilen,� wenn� man� betrachtet,� welche� Politik� da� früher� über� die� Sozialistische� Internationale� gemacht� wurde.� Man� denke� an� das� Zusammenwirken� eines� Bruno� Kreisky,� Olaf� Palme,� Willy� Brandt,� da� hat� man� sich� in� der� SI� zusammengetan,� man� hat� gemeinsam� gewusst,� was� man� als� Sozialist� will,� welche� Weltordnung� man� gerne� hätte.� Da� ist� man� nicht� heimgegangen� und� hat� -� und� das� ist� der� Unterschied� zu� heute� -� zuerst� sozialistisch� geredet� und� dann� zuhause� Nationalstaat� gespielt.�

Ich� war� nach� meiner� Zeit� als� SJ-Vorsitzender� Sekretär� von� Caspar� Einem� und� da� gab� es� eine� bezeichnende� Si-tuation.� Wir� sind� in� den� EU-Ministerrat� gegangen,� das� Thema� war� Verkehr� und� ich� habe� gesagt,� dass� wir� da� und� da� einen� Sozialisten� sitzen� haben,� da� werden� wir� uns� in� der� Verkehrspolitik� doch� leichter� tun� und� da� hat� der� Caspar� gesagt:� Karl,� verschätz� dich� nicht.� Und� es� war� dann� tatsächlich� so,� dass� man� die� Sozialdemokra-ten� oder� die� Sozialisten� aus� der� Runde� nicht� erkannt� hat.� Diese� große� integrative� Klammer,� die� die� Sozialistische� Internationale� einmal� war,� gibt� es� so� nicht� mehr.�

Ich� sehe� noch� ein� anderes� Problem,� das� auch� zu� meiner� Zeit� begonnen� hat:� in� den� Wahlkämpfen� gab� es� eine� Trup-pe� rund� um� die� JG,� wir� haben� sie� damals� die� „Nicker“� genannt,� die� nur� im� Hintergrund� des� jeweiligen� Bundes-kanzlers� gestanden� sind� –� ein� sensationelles� Bild� (lacht).� Ich� halte� das� für� gefährlich,� zu� meiner� Zeit� waren� es� die� Nicker,� aber� ich� sehe� diese� Tendenz� in� der� SPÖ� jetzt� auch.� Ich� hatte� es� als� SJ-Vorsitzender� noch� ein� bisschen� einfa-cher,� ich� konnte� frecher� sein,� denn� ich� hatte� einen� (SPÖ-)Zentralsekretär,� der� selbst� auch� SJ-Bundesvorsitzender� war,� der� sich� mit� mir� ins� „News“� gesetzt� hat� und� dort� auf� zwei� Seiten� über� die� Frage� des� Kreuzes� gestritten� hat.� Das� ist� heute� undenkbar,� dass� der� Jugendvorsitzende� mit� dem� Zentralsekretär� irgendetwas� diskutiert.�

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Man� braucht� politische� Leute.� Ich� halte� von� diesem� ganzen� „Jungen� Roten“-Gerede� überhaupt� nichts.� Ich� merke� nur� Leute,� die� politisch� nicht� gebildet� sind.� Du� kannst� aber� nicht� alles� nachlesen,� du� musst� auch� ein� bisschen� spüren,� was� eine� sozialdemokratische� Posi-tion� ist.� Und� diese� Schulung,� diese� Ausbildung,� geht� meiner� Meinung� nach� heute� weitgehend� verloren.

Ich� halte� nichts� davon,� wenn� man� nur� die� eventarti-gen� Dinge� in� den� Vordergrund� stellt� und� jeder� zweite� Satz� bei� den� jungen� Roten� dann� lautet� „Ist� da� auch� Showcharakter� dabei?“� Das� greift� zu� kurz� und� damit� kann� man� den� Freiheitlichen,� das� sieht� man� ja� an� den� Wahlergebnissen,� auch� nicht� entgegentreten.� Es� ist� ja� nicht� so,� dass� wir� jetzt� die� Wahlen� gewinnen,� wo� eini-ge� dieser� Leute� in� zentrale� Positionen� gekommen� sind.� Wir� sind� noch� nie� bei� den� jungen� Menschen� so� schlecht� gelegen� wie� jetzt.� Und� das� hat� nicht� ausschließlich� mit� Antifa-Rhetorik� zu� tun.� Ich� bin� für� niedrigschwellige� Angebote� an� junge� Menschen,� aber� ich� bin� schon� da-für,� dass� sie� dann� auch� politisch� gebildet� werden.

Diese� große� integrative� Klammer,� die� die� Sozialisti-sche� Internationale� einmal� war,� gibt� es� nicht� mehr.�

DVORAK:� Um� auf� die� Frage� zurückzukommen,� war-um� es� eine� Entpolitisierung� der� SPÖ� gegeben� hat:� Ich� glaube,� um� das� wirklich� richtig� einzuordnen,� braucht� es� eine� längere� Perspektive� zumindest� der� letzten� 20� Jahre.� Und� da� muss� man� sich� ehrlicherweise� eingestehen,� dass� es� nicht� eine� Entpolitisierung� der� Gesellschaft� gegeben� hat,� die� dann� irgendwann� bei� der� SPÖ� angekommen� ist,� sondern� dass� das� sehr� eng� damit� in� Verbindung� gestanden� ist,� wie� die� SPÖ� auch� in� der� Regierung� Politik� gemacht� hat.�

Also� das,� was� jetzt� in� der� Politikwissenschaft� „Post-democracy“� genannt� wird,� dass� die� Menschen� nicht� mehr� unterscheiden� können,� welche� Partei� wofür� steht,� erleben� wir� nicht� nur� jetzt,� sondern� das� erle-ben� wir� seit� 15� Jahren.� Hartz� IV� und� „The� 3rd� way“,� das� waren� ja� nur� die� Bereiche,� wo� das� am� sichtbars-ten� war,� wo� die� Kontroversen� teilweise� aufgebro-chen� sind.� Aber� das� grundsätzliche� Problem,� dass� die� Sozialdemokratie� im� Neoliberalismus� versucht� hat,� sich� an� der� Macht� zu� halten,� indem� man� teilweise� neoliberales� Gedankengut� in� die� eigene� Politik� mit� implementiert� hat,� hat� natürlich� dazu� beigetragen,� dass� die� Politik� der� SPÖ� inkohärent� und� nicht� über-zeugend� geworden� ist.�

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Das� führt� natürlich� zu� einem� Prozess,� wo� eine� breite-re� Entpolitisierung,� Entideologisierung� die� logische� Folge� ist.� Was,� wie� ich� finde,� der� Begriff� der� Ent-politisierung� besser� abdeckt,� ist� die� Entwicklung,� dass� viele� Menschen� der� falschen� Meinung� sind,� dass� Politik� sie� nichts� mehr� angeht.� Und� das� ist� ein� Mechanismus,� der� die� SPÖ� am� härtesten� trifft.� Ich� denke� schon,� dass� man� die� Menschen� grundsätzlich� für� Politik� begeistern� kann,� aber� dazu� erfordert� es� auch� einer� anderen� politischen� Landschaft.� Das� ist� natürlich� ein� Dilemma,� das� die� SP� zuerst� trifft,� weil� die� herrschenden� Verhältnisse� in� der� Regel� gegen� uns� wirken.� Deshalb� müssen� wir� viel� mehr� Interesse� dar-an� haben� als� andere,� dass� sich� Leute� einbringen.� Für� die� ÖVP� ist� alles� gut,� wenn� es� so� bleibt� wie� es� ist.�

Deswegen� wäre� es� besonders� wichtig� für� die� SP� zu� überlegen,� woran� es� liegt,� dass� wir� bei� allen� Wahlgän-gen� in� den� letzten� Jahrzehnten� Stimmverluste� hinneh-men� musste,� kurz� unterbrochen� durch� die� Phase� der� Opposition,� wo� wir� ein� bisschen� was� wieder� aufholen� konnten,� und� woran� liegt� es,� dass� wir� jetzt� noch� mehr� verlieren,� sobald� wir� wieder� in� der� Regierung� sind.� Das� ist� ja� das� Paradoxon� unserer� Zeit:� in� der� Ära� Kreisky� ist� die� SPÖ� an� die� Macht� gekommen� und� hat� Politik� gemacht� und� ist� dafür� belohnt� worden.� Wenn� wir� von�

guten� Dingen� reden,� die� passiert� sind,� kommen� wir� immer� auf� die� Ära� Kreisky,� aber� woran� liegt� es,� dass� es� die� Sozialdemokratie� nicht� schafft,� in� der� Regie-rung� jetzt� zu� begeistern,� sondern� sich� die� Menschen� entsetzt� abwenden?� Ich� glaube,� das� ist� eine� Schlüs-selfrage� für� die� Sozialdemokratie.�

Ich� glaube� auch,� dass� man� Schlussfolgerungen� organi-satorischer� Natur� daraus� ziehen� muss,� aber� man� kann� das� nicht� nur� auf� die� Jugendorganisationen� beziehen,� gerade� was� die� Wahlergebnisse� bei� den� Jugendlichen� betrifft.� Das� greift� ein� bisschen� zu� kurz.� Wiewohl� ich� auch� der� Meinung� bin,� dass� die� Jugendorganisationen� gefordert� sind,� sich� zu� überlegen,� wie� man� Bindungen� schaffen� kann.� Denn� das� beste� Rezept� gegen� rechte� Politik� ist� immer� noch,� wenn� man� Menschen� in� Organi-sationen� der� ArbeiterInnenbewegung,� der� Linken,� der� Gewerkschaften,� usw.� einbindet.

Man� muss� sich� aber� auch� klar� sein,� dass� das� nur� dann� funktioniert,� wenn� die� SPÖ� auch� eine� korrespondie-rende� Politik� macht,� mit� der� man� rausgehen� kann,� und� auf� die� man� stolz� ist,� und� auf� die� auch� die� Menschen,� die� in� der� SPÖ� Führungsverantwortung� haben,� stolz� sind.� Denn� das� muss� ich� schon� sagen:� ich� hatte� in� den� letzen� Jahren� nicht� das� Gefühl,� dass� die� SP� in� den� ver-

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schiedenen� Ebenen� selbst� noch� davon� überzeugt� wäre,� dass� das,� was� sie� im� Regierungsalltag� macht,� richtig� ist.� Und� ich� glaube,� man� muss� diese� Widersprüche� in� sich� selbst� auch� irgendwie� zu� einer� Lösung� bringen,� damit� man� positive� Politik� machen� kann� und� wieder� in� die� Offensive� gehen� kann.�

»� Das� beste� Rezept� gegen� rechte� Politik� ist� immer� noch,� wenn� man� Menschen� in� die� Organisationen� der� ArbeiterInnenbewegung� einbindet.

SCHIEDER:� Ich� glaube� man� sollte� ein� bisschen� fairer� sein.� Wer� mit� den� rechten,� konservativen� Strukturen� und� Politik� nicht� einverstanden� war,� der� hatte� in� der� Kreisky-Zeit� zwei� Möglichkeiten:� Kreisky� zu� wählen� oder� nicht� zu� wählen.� Heute� gibt� es� ein� maßgeschnei-dertes� Angebot� von� einer� grünen� Partei,� es� gab� das� liberale� Forum� und� anderes.� Viele� Angebote� und� Mög-lichkeiten,� die� früher� innerhalb� der� Sozialdemokratie� waren,� sind� heute� außerhalb� der� Sozialdemokratie,� und� eigene� Parteien� geworden.� Das� muss� man� auch� sehen,� es� hat� der� Wähler,� der� heute� nicht� rechts,� nicht� konservativ� wählen� will,� eine� Möglichkeit,� seine� Stim-me� aufzusplitten,� die� zu� Beginn� der� 70er� Jahre� nicht� vorhanden� war.�

DVORAK:� Dem� ist� sicherlich� zuzustimmen.� Es� hat� sich� die� politische� Landschaft� verändert,� es� haben� sich� gesellschaftliche� Verhältnisse� verändert,� das� will� ich� gar� nicht� in� Abrede� stellen.� Die� Frage� ist� aber� auch,� warum� es� die� Sozialdemokratie� damals� verstanden� hat,� verschiedene� gesellschaftliche� Kräfte� zu� binden.� Das� hat� sie� meines� Erachtens� dadurch� gemacht,� dass� sie� auch� positive� Angebote� an� diese� verschiedenen� Gruppen� gemacht� hat.�

MOITZI:� Wenn� wir� alle� ehemaligen� SJ-Vorsitzenden� an� einen� Tisch� holen� würden,� wäre� dies� eine� reine� Männerrunde.� Warum� war� und� ist� es� für� Frauen� so� schwierig,� auch� in� einer� Organisation� wie� der� SJ� in� eine� führende� Position� zu� kommen?

SCHIEDER:� In� meiner� Zeit� war� das� Bewusstsein� nicht� so� weit� und� wir� haben� auch� kein� schlechtes� Gewissen� dabei� gehabt,� dass� Positionen� vorwiegend� männlich� besetzt� wurden.� Das� Bewusstsein� ist� erst� gereift.� Ich� glaube,� das� ist� eines� der� Dinge,� wo� wir� zwar� begon-nen,� aber� nicht� genügend� gemacht� haben.� Doch� ich� glaube� das� schlechte� Gewissen� müsstest� du� (gemeint� ist� Wolfgang� Moitzi,� Anm.)� heute� haben,� weil� wahr-

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scheinlich� hätte� man� heute� als� Mann� verzichten� und� ein� Mädchen� zur� SJ-Vorsitzenden� machen� müssen.

CAP:� Ich� kann� mich� dem� nur� anschließen.

DELFS:� 1992� war� die� Frage,� wer� Bundesvorsitzende/r� wird� –� da� kann� ich� ein� Geheimnis� lüften:� ich� hab� mich� damals� sehr� stark� für� die� Sonja� Ablinger� aus� OÖ� stark� gemacht.� Ich� hätte� auch� mit� der� Unterstützung� mei-ner� Landesorganisation,� dem� Burgenland,� und� vieler� anderer,� wo� das� schon� akkordiert� gewesen� wäre,� ihre� Kandidatur� vorgeschlagen� und� sie� wäre� auch� gewählt� worden.� Nur� der� entscheidende� Punkt� war,� ich� war� grad� unterwegs� zum� Verbandsausschuss� nach� Kla-genfurt,� da� hat� die� Sonja� angerufen� und� gesagt,� „ich� bin� schwanger,� du� musst� kandidieren“.� Das� war� ihr� persönlicher� Wunsch.� Ich� glaube,� dass� das� von� der� Or-ganisation� breiter� akzeptiert� worden� wäre,� wenn� sie� schwanger� kandidiert� hätte,� aber� sie� wollte� nicht.� �

Ansonsten� war� Frauenarbeit� in� dieser� Zeit� ziemlich� stark.� Beim� ersten� Mädchentreffen� mit� Arabella� Kies-bauer� in� Linz� waren� ein� paar� hundert� Mädchen.� In� NÖ� war� die� Gitti� Taufner� Landesvorsitzende,� in� Wien� war�

die� Sonja� Wessely.� Zu� dieser� Zeit� konnten� Frauen� jede� Position� einnehmen.

CAP:� Bei� uns� hat� die� Frauenbewegung� auch� schon� Auswirkung� auf� die� Besetzung� von� Positionen� gehabt,� an� der� Spitze� war� die� Gitti� Ederer� und� viele� andere� auch.

DVORAK:� Also� zu� meiner� Zeit� war� das� schon� ein� gro-ßes� Thema.� Wir� haben� einen� groß� angelegten� Analy-seprozess� eingeleitet,� wo� es� darum� gegangen� ist,� zu� analysieren,� wie� es� auf� den� verschiedenen� Ebenen� ist.� Die� Quote� war� im� Statut� schon� verankert,� es� gab� eine� frauenpolitische� Kommission.� Aber� die� Frage,� die� wir� uns� verstärkt� gestellt� haben,� war,� wie� ist� das� auf� der� Gruppenebene,� auf� der� Landesebene.� Das� Bild,� das� sich� halt� doch� ergibt,� und� das� ist� in� jeder� Organisati-on� so,� die� die� Gesellschaft� widerspiegelt,� in� der� SJ,� in� der� Partei:� Dort,� wo� die� Quote� wirkt,� wirkt� sie,� das� wirkt� sich� aber� noch� nicht� sofort� auf� eine� neue� Gesamtmentalität� in� der� Organisation� aus.� Wenn� die� Luft� dünner� wird,� machen’s� sich� doch� eher� die� Män-ner� an� der� Spitze� aus,� sowohl� was� die� Funktionen� der� Vorsitzenden� als� auch� der� Sekretäre� betroffen� hat.�

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Allerdings� war� das� ein� Trend,� der,� dadurch� dass� er� kritisch� beäugt� worden� ist,� sich� auch� verändert� hat� und� sich� verändern� wird.� Mir� ist� zwar� ein� Mann� als� Verbandsvorsitzender� nachgefolgt,� aber� zumindest� in� Wien� war� meine� Nachfolgerin� die� damals� stv.� Landes-vorsitzende.� Ich� glaube,� dass� da� die� SJ� wie� auch� die� gesamte� Partei� recht� viel� Arbeit� vor� sich� hat.�

CAP:� Wir� haben� uns� schon� bemüht,� Frauen� in� Positi-onen� zu� bringen� und� durch� Diskussionsprozesse� einen� Politisierungsprozess� auf� Männer� und� Frauen� einzulei-ten.� So� gesehen� wollten� wir� niemanden� ausschließen.� Wir� waren� heilfroh,� wenn� wir� überhaupt� möglichst� viele� waren,� und� je� mehr� Frauen,� desto� attraktiver� war� die� Organisation,� weil� sie� dadurch� repräsentativer� war.� Wir� wollten� eine� gute� Mischung� aus� SchülerIn-nen,� jungen� ArbeiterInnen,� StudentInnen� etc.� Das� war� für� uns� das� Entscheidende.� Wir� haben� versucht,� einen� Repolitisierungsprozess� in� der� ganzen� Partei� in� Gang� zu� setzen.

MOITZI:� Abschlussfrage:� Wo� seht� ihr� die� SPÖ� bezie-hungsweise� die� SJ� in� zehn� Jahren?

CAP:� Ich� lade� dich� jetzt� ein,� in� zehn� Jahren� zu� mir� zu� kommen� und� wir� diskutieren� darüber� (lacht).

SCHIEDER:� In� zehn� Jahren� (Pause)� wird’s� beides� noch� geben.� (Gelächter)

DVORAK:� Die� SJ� wird� eine� starke� Organisation� sein,� die� der� SPÖ� wieder� auf� die� Beine� hilft.

CAP:� Das� ist� ein� interessanter� Denkansatz,� den� muss� man� in� zehn� Jahren� zu� Ende� diskutieren.

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Verbandsvorsitzende der Sozialistischen Jugend Österreich nach 1945

1945� -� 1954� Peter� Strasser1954� -� 1964� Heinz� Nittel

1964� -� 1972� Peter� Schieder1972� -� 1976� Johann� Hatzl1976� -� 1978� Josef� Ackerl

1978� -� 1984� Josef� Cap1984� -� 1990� Alfred� Gusenbauer

1990� -� 1992� Martin� Winkler1992� -� 1996� Karl� Delfs

1996� -� 2000� Robert� Pichler2000� -� 2004� Andreas� Kollross

2004� -� 2006� Ludwig� Dvorak2006� -� 2007� Torsten� Engelage

2007� -� � � � � � � � Wolfgang� Moitzi

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Wir wissen wohin wir

gehen, weil wir wissen

woher wir kommen!

www.sjoe.at