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SCHULEN GEHEN NEUE WEGE Um ihren Schülern optimale Lernmöglichkeiten zu bieten, entwickeln Schulen ihren Unterricht weiter und verwirklichen eigene Projekte MERCATOR MAGAZIN N o 02 12 KULTUR-DIALOG Studierende sind im Museum der Kulturen Basel als Kulturvermittler im Einsatz LERNGELEGENHEITEN Filme zeigen, wie Eltern und Betreuungspersonen kleine Kinder im Alltag fördern können WELTERNÄHRUNG Die ersten Forschungsprojekte des World Food System Centers der ETH Zürich sind gestartet

12 Schulen gehen neue wege...1 Mercator Magazin 02 / 12 vorwort Liebe Leserinnen und Leser Schulen gehen neue Wege – im Unterricht, in der Gestal-tung ihres schulischen Zusammenlebens

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Schulen gehenneue wege

Um ihren Schülern optimale Lernmöglichkeiten zu bieten, entwickeln Schulen ihren Unterricht weiter und verwirklichen eigene Projekte

Mercator Magazin

no 0212

KULtUr-diaLogStudierende sind im Museum der Kulturen Basel als Kulturvermittler im einsatz

LerngeLegenheitenfilme zeigen, wie eltern und Betreuungspersonen kleine Kinder im alltag fördern können

weLternÄhrUngdie ersten forschungsprojekte des world food System centers der eth zürich sind gestartet

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inhalt

nachrichten

S. 2 — 4aktuelle Meldungen aus Stiftung und Projekten; Umwelttipp des wwf Schweiz

frage an die wiSSenSchaft

S.  5

warUM vertraUen wir?die theologin andrea Lassak gibt antworten.

SchwerPUnKtSchULentwicKLUng

S. 6 — 57

Schulen gehenneue wege

S. 6 — 25

3-rÄUMe-tagfreitags entscheiden die Kinder des Schülerclubs nordstrasse selbst, wo und woran sie arbeiten.

S. 26 — 27

aUf der SUche nach eigenen LöSUngeneine zentrale frage der Schulent- wicklung ist der Umgang mit der wachsenden vielfalt in den Klassen.

S. 28 — 29

SchULe iM wandeLwenn Schulen individuelles Lernen ins zentrum stellen, ändern sich die rollen aller Beteiligten.

S. 30 — 39

eine antwort aUf die vieLfaLt50 Schulen entwickeln zusammen mit hochschulen, Lehrmittelver- lagen und it-anbietern das perso- nalisierte Lernen weiter.

S. 40 — 45

forSchen, StaUnen, verStehendas Projekt SwiSe fördert das forschend-entdeckende Lernen im Unterricht.

S. 46 — 53

nicht jede SchULe MUSS Bei nULL anfangendie Pädagogische hochschule zürich fördert den erfahrungsaustausch zwischen Schulen.

S. 54 — 55

Lehrer haBen die zUKUnft iM BLicKLehrer aus holland, Liechtenstein und der Schweiz bilden sich gemeinsam weiter.

S. 56 — 57

StÄrKen iM foKUSwie viele Möglichkeiten der Begabungsförderung es gibt, zeigt der LiSSa-Preis.

tÄtigKeitSBereichwiSSenSchaft

S. 58 — 61

diaLog ohne drehBUchStudierende suchen als Kultur-vermittler das gespräch mit den Besuchern des Museums der Kulturen Basel.

S. 62 — 63

geMeinSaMe veranStaLtUngenohne grenzender graduate campus der Universität zürich unterstützt nachwuchs- wissenschaftler bei der organisation eigener veranstaltungen.

tÄtigKeitSBereichKinder Und jUgendLiche

S. 64 — 65

der aLLtag iSt voLLer LerngeLegenheitendie Bildungsdirektion des Kantons zürich zeigt in filmen, wie eltern ihre kleinen Kinder im alltag fördern können.

tÄtigKeitSBereichMenSch Und UMweLt

S. 66 — 69

geSUnde nahrUng für aLLedie welternährung steht im Mittel-punkt des Kompetenzzentrums ‹world food System center› der eth zürich.

S. 70 — 71

geLernt, wie: KLiMaSchUtz iM arBeitSaLLtagauszubildende setzen sich im ‹bluecamp› mit aktu-ellen Klimafragen auseinander.

engagiert

S. 72

ein gUteS gefühL! nicolas Krattiger und Simon hayoz setzen sich dafür ein, dass die forderungen der jugendsession den weg in die Politik finden.

KaLender

S. 73termine januar bis april 2013

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1 Mercator Magazin 02 / 12

vorwort

Liebe Leserinnen und Leser

Schulen gehen neue Wege – im Unterricht, in der Gestal-tung ihres schulischen Zusammenlebens. Oft nehmen sie dabei unterschiedliche Abzweigungen, sie schreiten in verschiedenen Geschwindigkeiten voran, doch haben stets ein gemeinsames Ziel vor Augen: Sie möchten ihren Schülern optimale Lernmöglichkeiten bieten. Schulent-wicklung ist immer eine Antwort auf gesellschaftliche Veränderungen. Eine zentrale Frage, die Schulen beschäf-tigt, ist der Umgang mit der wachsenden Vielfalt in ihren Klassen. Wie kann man den unterschiedlichen Lernbedürf-nissen der Schüler gerecht werden, damit jeder sein Potenzial möglichst gut entfalten kann? Mit grossem Enga- gement suchen Schulen nach Antworten – und finden neue Formen des personalisierten Lernens.

Der Weg der Schulentwicklung kann steinig sein. Manchmal brauchen Schulen Tipps, Unterstützung und Be- gleitung. Unsere Stiftung möchte es Schulen ermöglichen, einen Teil der Strecke gemeinsam zu gehen und sich auf die Erfahrung anderer stützen zu können: Mit Projekten wie ‹Schulen lernen von Schulen› (S. 46 – 53) oder dem LISSA-Preis (S. 56 – 57) machen wir Erfahrungen aus loka- len Schulentwicklungsprojekten bekannt. Wir fördern den Austausch und Vernetzungen von Schulen. Wir ermuti-gen sie mit Initiativen wie SWiSE (S. 40 – 45) und dem Projekt ‹Personalisiertes Lernen in heterogenen Lernge-meinschaften› (S. 30 – 39) zusammen und mit profes- sioneller Begleitung ihren Unterricht ihren Bedürfnissen entsprechend weiterzuentwickeln.

Nadine FelixGeschäftsführerin

stiftung mercator schweiz Die stiftung mercator schweiz fördert und initiiert Projekte in den drei Bereichen ‹wissenschaft›, ‹Kinder und Jugendliche› und ‹mensch und umwelt›. Das engagement der stiftung gilt einer lernbereiten und welt- offenen gesellschaft, die verantwortungsvoll mit der umwelt umgeht. mit ihren Projekten an hochschulen möchte sie zur stärkung des wissens- und forschungsplatzes schweiz beitragen. Die stiftung unterstützt die wissen- schaft, antworten auf gesellschaftlich wichtige fragen wie den schutz der natürli-chen Lebensgrundlagen zu finden. Damit Kinder und Jugendliche ihre Persönlichkeit entfalten, engagement entwickeln und ihre chancen nutzen können, setzt sich die stiftung mercator schweiz für optimale Bildungsmöglichkeiten innerhalb und ausser- halb der schule ein. www.stiftung-mercator.ch

≥ Schulen gehen neue wege S. 6 — 57

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2 Mercator Magazin 02 / 12

nachrichten

chinesische geistergeschichten mit sonnenuntergang, um Punkt 20 : 08 uhr begann die Vorstellung: inmitten von alten möbeln, gebrauchten fahrrädern, töpfen, Lampen und anderen schätzen zeigten 36 stu- dierende der zürcher hochschule der Künste (zhdK) und der nationalen akademie für chinesische theaterkunst am 31. august 2012, was sie vier wochen lang im rahmen des austauschprojekts ‹common stage› erarbeitet hatten. mit theater, tanz und musikalischen Darbietungen interpretierten sie geisterge-schichten des chinesischen autors Pu songling. mit dem Brockenhaus an der Badenerstrasse 415 in zürich hatten die Verantwortlichen der zhdK für die öffentliche abschlusspräsentation bewusst keine traditionelle Bühne gewählt. «wir wollten menschen erreichen, die sich sonst nicht intensiv mit den Künsten befassen», erklärt Projektleiter Daniel späti. Die stiftung mercator schweiz fördert das austausch- projekt. www.commonstage.ch

wiSSenSchaft

ErstEr PrEis für ‹wEACt›wiSSenSchaft

engagier Dich!mit dem Programm ‹engagier dich!› fördert die stiftung mercator schweiz Projekte von studentischen initiativen in den themenberei-chen ‹mensch und umwelt›, ‹interkulturelle Verständigung und integration› sowie ‹interna-tionale aufgaben›. Drei mal im Jahr können sich studierende bewerben, die eingabetermine 2013 sind der 1. märz, 1. Juli und 1. november. www.engagier-dich.ch

im rahmen des wettbewerbs ‹idées Vertes› suchten Migros und wwf Schweiz nach innovativen geschäfts-ideen, die einen nachhaltigen Konsum fördern. gefragt waren Business- Konzepte, die sich einem schonenden umgang mit den begrenzten res- sourcen verpflichten. Mit ‹weact› hat das Projekt einer studentischen initiative gewonnen, das die Stiftung Mercator Schweiz im rahmen ihres Programms ‹engagier dich!› gefördert hat: Majka Baur und Prisca Müller überzeugten die fachjury mit ihrer idee, gruppenwettbewerbe auf einer online-Plattform zu veranstalten. Diese wettbewerbe ermutigen dazu, aktiv für die umwelt zu handeln. auf spielerische weise werden die teilnehmer dazu aufgefordert, ökologi-schere Verhaltensweisen in ihren all-tag einzuflechten; beispielsweise mit dem fahrrad anstelle des autos zur arbeit zu fahren. Mit einer teilnahme am wettbewerb kann man seine co2-emissionen im Durchschnitt um 10 Prozent verringern, erklären die

initiantinnen. «Die Motivation durch das team und die spielerische umsetzung sind entscheidende fak- toren bei der Verhaltensänderung», betont Prisca Müller. «wenn sich das soziale umfeld mitverändert, ge- schehen Verhaltensumstellungen einfacher und sind erfolgreicher.» Die gewinnerinnen freuen sich über eine Siegerprämie in höhe von 30 000 franken und über die Möglichkeit, ein Jahr lang einen kostenlosen arbeits- platz im huB zürich nutzen zu können: «Jetzt können wir uns 100 Prozent dem aufbau unseres Startup-unter-nehmens widmen.» www.idees-vertes.ch, www.weact.ch

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nachrichten

NAdiNE fElix ist NEuE GEsChäftsführEriN

Stiftung

nadine felix ist seit dem 1. Juli 2012 geschäftsführerin der Stiftung Mercator Schweiz. Die bisherige stellvertretende geschäftsfüh- rerin löst damit albert Kesseli ab, der die geschäftsstelle in zürich in den vergangenen sieben Jahren auf- und ausgebaut hat. albert Kesseli engagiert sich weiterhin als Vizepräsident des Stiftungsrates für die Stiftung Mercator Schweiz. «nadine felix stellt die Konti- nuität der Stiftung sicher. Sie kann auf einem soliden Partner- netzwerk aufbauen, um die Stiftung in ihrem wirken profilgebend weiterzuentwickeln», sagt albert Kesseli. Seiner nachfolgerin wünscht er für ihre neuen aufgaben alles gute. er freut sich, zu- sammen mit ihr und ihrem team weiterhin spannende Projekte auf den weg bringen und begleiten zu dürfen. Die neue geschäftsführerin kennt die Stiftung Mercator Schweiz bestens: Seit 2008 ist nadine felix als Projektmanagerin bei der Stiftung tätig. Schon vor Übernahme der geschäftsführung hatte nadine felix wichtige weichen für die weiterentwicklung der Stiftung Mercator Schweiz gestellt. unter ihrer federführung hat die Stiftung zu Beginn des Jahres 2012 ihr Profil inhaltlich geschärft und mit ‹Mensch und umwelt› einen neuen tätigkeitsbe-reich gebildet. Dieser ergänzt die beiden Bereiche ‹wissenschaft› und ‹Kinder und Jugendliche›. «wir machen mit dem neuen tätig-keitsbereich unser stetig gewachsenes engagement für den Schutz der natürlichen lebensgrundlagen sichtbar», erklärt nadine felix. Sie freut sich darauf, das neue Profil weiter mit Projekten zu füllen: «Die Stiftung Mercator Schweiz gibt mit ihren Projekten impulse für gesellschaftliche entwicklung. zusammen mit meinem team möchte ich diese funktion weiter prägen und stärken.»

BilDungS-café fÜr KinDer unD eltern

KinDer unD JugenDliche

Der ehrenamtliche Verein Bildungs- motor engagiert sich seit dem Jahr 2005 für die ausserschulische Bildungsförderung in zürich-altstetten. Jetzt fasst er sein engagement in seinem neuen Bildungs-café zusammen – zugleich erweitert er das angebot um den frühbereich: in zusammenar-beit mit dem zentrum elch-altstetten bietet das Bildungs-café eine nieder-schwellige Kleinkinderhüte mit inte- grierter frühförderung durch eine quali- fizierte früherzieherin an. einmal im Monat organisiert das Bildungs-café zudem einen ‹elterntisch frühbereich› für familien aus dem Quartier, an dem die früherzieherin gemeinsam mit einer interkulturellen Vermittlerin frühfördersequenzen übt und erzie-hungsthemen bespricht. auch die bewährten angebote für Schulkinder führt das Bildungs-café weiter, dazu zählt unter anderem eine aufgabenbe- treuung. Der Vereinsvorsitzende oliver Dlabač freut sich, dass durch eine zusammenarbeit mit dem Sozial-departement der Stadt zürich und durch die finanzielle unterstützung der Stiftung Mercator Schweiz und der Jacobs foundation der ausbau des för- derangebots zum Bildungs-café und gleichzeitig eine Professionalisierung des Mitarbeiterteams möglich ist. www.bildungs-cafe.ch

eine frage Der KoMMuniKationwie kann man wissenschaft erfolgreich kommunizieren? Das ist die zen- trale frage des Kongresses ‹Science-comm›, bei dem die teilnehmer einmal im Jahr über aktuelle trends der wissenschaftskommunikation diskutieren. Die Schwerpunktthemen wechseln jährlich – vom 27. bis 28. September 2012 setzten sich 194 teilnehmer im Schloss rapperswil mit Kommunikationsfragen in den Be- reichen ‹gesundheit und Medizin›, ‹umwelt› und ‹Kinder und Jugendliche› auseinander. Mit unterstützung der Stiftung Mercator Schweiz organi- sieren Science et cité, die akademien der wissenschaften Schweiz und der Schweizerische nationalfonds den Kongress. www.sciencecomm.ch

wiSSenSchaft

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4 Mercator Magazin 02 / 12

nachrichten

umweLttiPP Des wwf schweiz Jeder kann durch einen bewussten Konsum Lebensmittelabfälle vermeiden:— Vor dem einkauf einen Blick in den Kühl-

schrank werfen, das menü planen und eine einkaufsliste erstellen.

— aus speiseresten neue gerichte kreieren. — Lebensmittel luftdicht verschlossen oder

kühl aufbewahren, damit sie länger halten. — frischprodukte lieber häufiger, dafür

gezielter einkaufen statt grosse wochen- einkäufe zu tätigen, die nicht verwertet werden können.

— zuerst testen, ob abgelaufene Produkte wirklich nicht mehr geniessbar sind. www.wwf.ch/foodwaste www.foodwaste.ch

aKtiV fÜr Die uMwelt

≥ schweizer haushalte werfen jedes Jahr eine Million ton-nen lebensmittel in den Müll. das sind 320 Gramm pro Person und tag — und damit fast eine ganze Mahlzeit.

Der wwf Schweiz hat in einem Bericht zusammen mit dem Verein foodwaste.ch die lebensmittelver-schwendung in der Schweiz unter die lupe ge- nommen: Jährlich werfen wir zwei Millionen tonnen lebensmittel weg, für fast die hälfte davon sind die haushalte verantwortlich. Die in den haushalten weggeworfenen lebensmittel verursachen 2 Mil- lionen tonnen co2, damit können 500 000 autos ein Jahr lang fahren. Doch nicht jeder lebensmittel-abfall ist gleich gravierend, betont der wwf: es ist ein unterschied, ob man Salat aus dem eigenen garten wegwirft oder Bohnen, die mit viel energie-aufwand aus Kenia eingeflogen wurden. Das wegwerfen von fleisch belastet die umwelt am stärksten, weil die Produktion viele ressourcen braucht. in einem Kilo fleisch stecken sieben bis 15 Kilo futtermittel.

EiNkAufssPiEl iM NAChhAltiGEN suPErMArkt

MenSch unD uMwelt

Die wanderausstellung ‹clever – Der nachhaltige Supermarkt› wird ihrem namen gerecht: Sie ist tatsächlich auf- gebaut wie ein Supermarkt. am ein- gang stehen einkaufskörbe bereit, am ende des rundgangs befindet sich die Kasse. ein gang führt durch die verschiedenen abteilungen und regale des ladens, wo Produkte, informatio- nen und animationselemente stehen. in der ausstellung der Stiftung Biovi- sion tätigen die ausstellungsbesucher einen fiktiven einkauf. an der Kasse erhalten sie einen persönlichen Kassen- zettel, der den gesamten einkauf bewertet. Die Produkte, die sie in dem Spiel ‹kaufen› werden hinsichtlich der Kriterien Klima, Verschmutzung, lebensgrundlage, soziale Verant- wortung, Biodiversität und ressourcen-verbrauch beurteilt. Berücksichtigt werden dabei die informationen, die auf der Verpackung sichtbar sind. Damit lernen die Besucher in der ausstellung

anhand konkreter Beispiele, wie sie durch ihren einkauf eine umwelt- und sozialverträgliche entwicklung in der welt unterstützen können. Die wanderausstellung war 2012 mit unterstützung der Stiftung Mercator Schweiz auf tournee: Die ausstellung informierte im natur- und tierpark goldau, im Stadtgarten winterthur, im Park grün 80 Basel und auf der grossen Schanze in Bern über fairen und nachhaltigen Konsum. Von april bis oktober 2013 ist die ausstellung im Verkehrshaus in luzern zu sehen, anschliessend ist ein gast- spiel in liechtenstein geplant. Der eintritt ist für einzelbesucher kosten- los, Schulklassen (oberstufe, gym- nasium, Berufsschule) können für 120 franken spezielle führungen durch die ausstellung buchen. zur inhaltli-chen Vorbereitung werden den lehrern arbeitsmaterialien zur Verfügung gestellt. www.clever-konsumieren.ch

Vierter JahrgangDer vierte Jahrgang des Mercator Kollegs für internationale aufgaben startete im September 2012 mit vier Schweizer Stipendiaten. gabriela Blatter und Jakob Peter aus zürich, Miriam Minder aus langnau i.e. und Barbara Schuler aus Basel wurden beim auftaktseminar in essen und Berlin auf ihre arbeit in internationalen organisationen, nichtregierungs- organisationen und wirtschaftsunter-nehmen vorbereitet. inzwischen gehen die Kollegiaten in arbeitsstatio-nen ihrer wahl im in- und ausland ihren eigenen fragestellungen nach. gabriela Blatter setzt sich während des Mercator Kollegs mit den anpas-sungen urbaner zonen an den Klimawandel auseinander. Mit Über- wachungsmechanismen im Bereich der Menschenrechte und des humani- tären Völkerrechts befasst sich Miriam Minder. Jakob Peter beschäftigt sich mit der förderung erneuerbarer ener- gien. Barbara Schuler untersucht fragen des internationalen Menschenhandels. www.mercator-kolleg.ch

Mercator Kolleg

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frage an Die wissenschaft

wAruM vErtrAuEN wir?anDrea laSSaK theologin

Selten stellen wir uns die Frage, warum wir anderen Menschen vertrauen. Meistens vertrauen wir ein-fach – nebenbei und ohne es zu merken. Wir ver -trau en unseren Eltern, unseren Freunden und Part nern. Natürlich überprüfe ich meinen Kaffee am Frühstückstisch nicht jeden Morgen auf Fremd- oder Giftstoffe, bevor ich ihn gierig hinunterschlür-fe. Und das nicht, weil es mir etwa zu mühsam wäre; ich habe einfach keinen Grund, meinem kaffee-brühenden Partner zu misstrauen. Aber erlauben wir uns einmal, die Vertrauensfrage zu stellen: Wie kommen wir dazu, anderen Menschen zu ver trauen? Ist Vertrauen nicht ein sehr riskantes Unterfangen? Warum bringen wir immer wieder neu Vertrauen auf, obwohl wir in unserem Vertrauen bereits ent -täuscht wurden?

urVertrauen in Der frühen KinDheit

Häufig wird die Antwort in der frühen Kindheit gesucht: Als Säugling, so dieser Erklärungsversuch, erwirbt der Mensch ein Vertrauen, das ihm als Fun dament für alle weiteren Vertrauensformen dient. Dieses so genannte ‹Urvertrauen› liefert dem Kind nicht nur die Zuversicht, den Eltern ver- trauen zu können; das Urvertrauen ermöglicht es ihm, die Welt überhaupt als verlässlich und sicher zu erfahren. Von einem Urvertrauen dieser Art sprach auch der Entwicklungspsychologe Erik Homburger Erikson Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Er ging davon aus, dass Urvertrauen – im englischen Original ‹basic trust› genannt – eine wichtige Grundlage für die gesunde Per sön- lich keitsentwicklung eines Menschen ist.

Blickt man jedoch mit etwas Distanz auf das Thema, dann merkt man: Es ist alles andere als selbstverständlich, bei einem Säugling von ‹Vertrau-en› zu sprechen. Denn die feinfühlige Interaktion zwischen Eltern und Kind kann man auch mit den Begriffen ‹sichere Bindung›, ‹Vertrautheit› oder ‹Sich-Verlassen› umschreiben. Spricht man einem Säugling aber die Kompetenz des Vertrauens zu, so nimmt man ihn als einen Akteur in den Blick, der er in bestimmten Hinsichten noch gar nicht ist. Denn zu einem entschiedenen Vertrauen ist das Kleinkind, das sich doch auf andere Menschen ver - lassen muss, eigentlich noch nicht fähig.

Dass man diese Situation dennoch mit Hilfe von Vertrauensbegriffen beschreiben will, hat gute Gründe: Die Vorstellung vom vertrauenden Säugling bietet die Möglichkeit, die besondere Bedeutung des Vertrauens mit dem Beginn des menschlichen Lebens fest zu verankern. Einmal mit ‹Urvertrauen› ausgestattet scheint es ein Leichtes zu sein, einem Kind auch ‹Selbstvertrauen› zuzusprechen und es als jemanden zu sehen, der Menschen mit Vertrau-en begegnet. Aber auch andere, sehr spezifische Formen des Vertrauens lassen sich gut mit der Idee des Urvertrauens verknüpfen. Das ‹Grund- oder Seinsvertrauen› zum Beispiel, also das fundamentale Zutrauen in den guten Grund des Lebens, wird häufig unmittelbar mit dem frühkindlichen ‹Urver-trauen› verbunden. Und nicht zuletzt hat die christ- liche Theologie das Konzept des ‹Urvertrauens› in kreativer Weise aufgenommen, um damit den Glauben, beziehungsweise das religiöse Gottver-trau en zu erklären.

Der mensch aLs soziaLes wesen

Was also ist dran an der Erzählung eines ursprüng- lichen und so ausnahmslos positiven Vertrauens wie dem Urvertrauen? Ist Urvertrauen die einzige Antwort auf das ‹Warum› unseres Vertrauens? Sicher nicht. Denn obwohl unbestritten ist, dass erste Bindungserfahrungen unsere Beziehungen nachhal-tig prägen, wird die Annahme von einem früh kind-lichen Vertrauen, das einen so langfristigen Einfluss auf das Vertrauensverhalten haben soll, wissen-schaftlich angezweifelt. Der Grund, warum wir ver - trauen, liegt vielmehr darin, dass wir soziale Wesen sind: Als Menschen leben wir in vielfältigen Beziehungen. Wir legen unsere Interessen in die Hände anderer und verlassen uns auf sie. Auf diese Weise gestalten wir unser Zusammenleben und übernehmen gegenseitig Verantwortung. Dass sich menschliche Gemeinschaft dadurch ganz wesen t- lich verändert, darin liegt die eigentliche Bedeutung des Vertrauens. Wir vertrauen, weil wir als Men- schen nicht alleine leben und dieses Zusammenle-ben im Vertrauen gestalten wollen. Das zeigt sich – ganz alltäglich – am Frühstückstisch zu Hause.

anDrea laSSaK ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im inter -disziplinären forschungsprojekt ‹Vertrauen verstehen› der universität zürich, das die Stiftung Mercator Schweiz und der Schweizer ische nationalfonds fördern. wissenschaftler aus sieben Disziplinen (neuroökonomie, Sozial- und wirtschaftsge-schichte, Soziologie, Psychologie, religionsphilosophie, theologie, religionswissenschaft) arbeiten in diesem Projekt zusammen. andrea lassak promoviert zum thema ‹grundloses Vertrauen. eine theo lo gische Studie zum Verhältnis von grund- und gott- vertrauen›. in ihrer Dissertation analysiert sie verschiedene Modelle grundlegenden Vertrauens. [email protected]

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6 Mercator Magazin 02 / 12

schwerpunkt SchulentwicKlung

sChulEN GEhEN

NEuE wEGEunsere gesellschaft verändert sich stetig und schnell – und mit ihr die

Schule: um sich den wandelnden gesellschaftlichen Bedürfnissen anzupassen, verwirklichen Schulen mit grossem engagement

eigene Projekte zur Schul- und unterrichtsentwicklung. Diese reichen von verschiedensten formen des individualisierten und forschend-

entdeckenden lernens über ausserschulische lernorte hin zu Projekten der Schülerpartizipation. um in der Schulentwicklung neue wege

zu gehen, tauschen sich Schulen über ihre erfahrungen aus und arbeiten gemeinsam an aktuellen themen.

S. 26 — 27auf Der Suche nach eigenen löSungen

S. 28 — 29Schule iM wanDel

S. 30 — 39eine antwort auf Die Vielfalt

S. 40 — 45forSchen, Staunen, VerStehen

S. 46 — 53nicht JeDe Schule MuSSBei null anfangen

S. 54 — 55lehrer haBen Die zuKunft iM BlicK

S. 56 — 57StärKen iM foKuS

08 : 15 — 12 : 00 ein freitagVormittag im schüLercLuB norDstrasse in zürich wie schulen mit der Vielfalt in den Klassen umgehen, ist eine zentrale frage der schulentwicklung. eine interessante ant- wort hat die Primarschule schülerclub nordstrasse mit ihrem Projekt ‹3 räume› gefunden: Jeden freitagvormittag arbeiten die Kinder nicht in ihren Klassenzimmern, sondern in einem von drei räumen, den sie sich selbst aussuchen. Jeder raum bietet andere Lernmöglichkeiten. Jedes Kind kann inhalt, rhythmus und tempo seines Ler- nens selbst bestimmen. Die Pädagogische hochschule zürich hat das Projekt im rahmen ihres Preisausschreibens ‹schulen lernen von schulen› (s. 46 — 53) mit dem ersten Preis ausgezeichnet.

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08 : 15 es ist freitag. ‹3-räume-tag› in der Primarschule Schülerclub nordstrasse. heute können die Schüler selbst entscheiden: woran möchte ich arbeiten? welche lernumgebung ist dafür passend? Mit ihren Schulunterlagen machen sie sich auf den weg in einen von drei räumen.

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08 : 45KläMMerlirauM [1]

wer zusammen mit seinen Mitschülern an einem thema arbeiten möchte oder wer die unterstützung der lehrer sucht, wählt den Klämmerliraum.

ruhiger rauM [2]

Kinder, die in den ruhigen raum gehen, möchten konzentriert an ihren wochen-aufgaben arbeiten. Selbstständiges lernen steht hier im zentrum, es herrscht flüsterathmosphäre.

allerleirauM [3]

wer spielen, toben oder Musik hören möch-te, ist im allerleiraum richtig. Manche Kinder gehen auch gezielt in diesen raum, um zu lernen — sie mögen den trubel um sich herum.

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09 : 15KläMMerlirauM [1]

Sinem und Moira haben eine frage – ihre lehre-rin setzt sich zu ihnen und hilft weiter. olivia hänni wird heute noch viele fragen beantworten und mit den Schülerinnen und Schülern indivi-duell verschiedene themen vertiefen.

ruhiger rauM [2]

Konzentriert löst ida ihre aufgaben. Sie hat sich an die fensterfront zurückgezogen, um ohne ablenkung zu arbeiten.

allerleirauM [3]

Konzentration ist auch hier gefragt – wenn auch etwas anderer art: carlos, nicola und tolga spielen begeistert Mikado.

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09 : 30 umzug: ida und alessia haben genug im ruhigen raum gearbeitet. Sie melden sich bei ihrem lehrer ab und gehen die treppe hoch zum Klämmerliraum. Dort möchten sie zusammen mit einer freundin noch einer wichtigen frage nachgehen…

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09 : 45 Die Mädchen haben auf dem weg zur Schule einen Knochen gefunden. und sie wollen unbedingt wissen: zu welchem tier gehört er? ida, alessia und flavia suchen am laptop nach antworten. Schulleiter christian gerber schaut interessiert zu.

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10 : 30KläMMerlirauM [1]

recherche zu zweit: Mina und abby arbeiten gemeinsam an einem thema, während Moira sich auf ihre eigenen aufgaben konzentriert.

ruhiger rauM [2]

nicolas ist in sein Buch vertieft. für eine konzentrierte lektüre ist der ruhige raum perfekt: es ist mucksmäuschenstill.

allerleirauM [3]

ganz unterschiedliche Spiele stehen den Kindern zur Verfügung. in manchen ist strategisches Denken gefragt, in anderen geschicklichkeit oder wissen. lavinija und ihre freundinnen spielen ein Kartenspiel, bei dem sie fragen beantworten müssen.

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11 : 00 KläMMerlirauM [1]

wer eine frage hat, steckt eine Klammer mit seinem namen an den Klämmerlibaum. Das ist das zeichen für die beiden lehrer im raum: einer von ihnen wird zum entsprechenden Schüler gehen und weiterhelfen.

ruhiger rauM [2]

ondrej schafft heute einen grossen teil seiner wochenaufgaben. er arbeitet den ganzen Vormittag im ruhigen raum.

allerleirauM [3]

Die Schüler beschäftigen sich im laufe des Vor- mittags nicht nur mit unterschiedlichen Spielen, sie tun dies auch in wechselnden gruppen.

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11 : 30 abschlussrunde in der Schulbibliothek: einige Kinder stellen vor, was sie in den vergangenentagen erarbeitet haben – dafür bekommen sie mindestens drei positive rückmeldungen. lise liest einen text über ihre Schule vor, anschliessend lauscht sie den Vorträgen ihrer Mitschüler.

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11 : 40KläMMerlirauM [1] / ruhiger rauM [2] /  allerleirauM [3]

gähnende leere in allen drei räumen. Schüler und lehrer haben sich zum abschluss in der Bibliothek versammelt.

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12 : 00auf in Die MittagSPauSe! am nachmittag geht der unterricht im Klassen-verband weiter. und der Klämmerliraum, der ruhige raum und der allerleiraum verwandeln sich wieder in ‹ganz normale› Klassenzimmer.

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schwerpunkt SchulentwicKlung

es gibt kein Patentrezept für Schulentwicklung. Jede Schule ist geprägt durch ihr umfeld, durch ihre Schüler und lehrer. Damit hat jede Schule andere Bedürfnisse und setzt in der Schulent- wicklung eigene Schwerpunkte. gerade dadurch, dass Schulen unterschiedliche wege gehen, können sie voneinander lernen.

Auf dEr suChE NACh EiGENEN lösuNGEN

text / naDine fieKe

Was ist die grösste Herausforderung, der Schulen begegnen müssen? Ob Wissen-schaft, Schulpraxis oder Schulverwal-tung, wen man auch fragt, eine Antwort folgt schnell: die wachsende Vielfalt in den Schulklassen. «Gesellschaftliche Veränderungen und bildungspolitische Weichenstellungen wie die integra- tive Volksschule haben die bestehende Heterogenität von Lerngruppen nochmals erhöht», erklärt Professor Kurt Reusser von der Universität Zürich. Kinder und Jugendliche mit unter-schiedlichen kulturellen und sozialen Hintergründen, mit verschiedensten Begabungen und Lernvoraussetzungen besuchen dieselbe Klasse. Das stellt die Schule vor eine entscheidende Frage: Wie kann sie den Unterricht so gestalten, dass alle Schülerinnen und Schüler profitieren und ihr persönliches Potenzial möglichst gut entfalten können?

inDiViDueLLe förDerung

Professor Reusser ist überzeugt: «Das Unterrichtskonzept der sieben G – der gleiche Lehrer unterrichtet alle gleichaltrigen Schüler im gleichen Tempo mit dem gleichen Material im gleichen Raum mit den gleichen Metho- den und dem gleichen Ziel – hat aus-gedient.» Doch Lehrpersonen können nicht für jeden einzelnen Schüler massgeschneiderte Lernpakete schnüren und individuelle Förderpläne erstellen. «Das ist Utopie», betont der Bildungs- experte. «Zukunftsweisend sind dif- ferenzierende Unterrichtsangebote für vermehrt individualisiertes Lernen.» Das heisst: Nicht alle Schüler verfolgen dieselben Lernziele. Klassenunter-richt und ausgedehnte individuelle und

kooperative Arbeitsphasen der Schüler wechseln sich ab. Die Lernaufgaben sind auf unterschiedlichen Niveaus und über verschiedene Denkwege lösbar. Sie knüpfen an den Interessen der Schü- ler an und ermöglichen ihnen eine aktive Auseinandersetzung mit den Unter-richtsthemen. Die Lehrer begleiten ihre Schüler durch differenzierte Rückmel-dungen und eine ressourcenorientierte Lernberatung auf den Lernwegen. Tatsächlich haben Schulen in den ver- gangenen Jahren entsprechende Schul- und Unterrichtsmodelle entwickelt. Einige dieser Schulen mit ‹personalisier-ten Lernkonzepten› gehen dabei so weit, dass sie Jahrgangsklassen auflösen, offene Raumkonzepte schaffen und spezielle Instrumente zur Dokumenta- tion und Unterstützung individueller Lernwege entwickeln.

zwei schuLen, zwei wege

«Wir haben gemerkt, dass unser Unterricht nicht allen Kindern gerecht wurde», erinnert sich Schulleiter Christian Gerber. «Unsere Klassen waren einfach zu heterogen.» Für die Lehrer der Primarschule Schülerclub Nordstrasse in Zürich stand fest: Es musste sich etwas ändern. Sie suchten nach einer Lösung und entwickelten schliesslich ein altersgemischtes Schulmodell, das durch einen grossen Anteil eigenaktiven

Lernens geprägt ist. «Wir haben jetzt mehr Zeit für die Schüler, die eine grössere Unterstützung brauchen. Und wir haben weniger Kinder, denen es langweilig ist», freut sich der Schul- leiter. Auch die Lern- und Sozialkompe-tenzen der Schüler haben sich positiv verändert. Damit die Individualisierung nicht nur mit Blick auf die Lernziele stattfindet, sondern auch auf die Lern- umgebung, hat die Primarschule zu- sätzlich das Projekt ‹3 Räume› eingeführt: Jeden Freitagvormittag arbeiten die Kinder nicht in ihren Klassenzimmern, sondern in einem von drei Räumen, den sie selbst wählen. In jedem Raum gelten andere Regeln, jeder Raum bietet andere Lernbedingungen. Der Weg, den die Schule eingeschla- gen hat, überzeugt die Pädagogische Hochschule Zürich: Sie zeichnete

das Projekt ‹3 Räume› im Jahr 2012 im Rahmen ihres Preisausschreibens ‹Schulen lernen von Schulen› mit dem ersten Preis aus. Dass Individualisie-rung auch ganz anders aussehen kann, zeigt die Preisträgerschule 2011: In der Sekundarschule Petermoos in Buchs (ZH) arbeiten die Schüler neben dem traditionellen Klassenunterricht in Grossraum-Lernateliers – den ‹Lernlandschaften› – eigenständig an ihren Aufgaben.

«Es gibt keinen Zielpunkt von Schulentwicklung. Die Gesellschaft verändert sich stetig – und mit ihr die Schule.» Prof. Kurt reuSSer, uniVerSität zÜrich

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grössere gestaLtungsfreiheiten

«Der Druck auf die Schulen, Konzepte der individuellen Förderung zu ent- wickeln und umzusetzen, ist gestiegen», sagt Professor Reusser. «Gleichzeitig sind die Anreize grösser geworden.» Denn mit Einführung der geleiteten Schulen haben diese in den vergangenen Jahren mehr Gestaltungsfreiheiten bekommen. «Ein Trend zu mehr Auto- nomie der Schulen ist unverkennbar», stellt Professor Reusser fest. Wie viele Freiheiten Schulen bei der Verwirk- lichung eigener Projekte haben, hängt von den gesetzlichen Rahmenbedin-gungen der Kantone ab. Aber: «Schulen können und sollen unter Einhaltung des Gestaltungsspielraums kreativ sein und eigene Schwerpunkte setzen», unterstreicht Martin Wendelspiess, Volksschulamtschef des Kantons Zürich.

Die Kantone legen die flächen- deckenden Leitlinien der Schulentwick-lung fest – wie die Einführung von Leistungstests oder Fremdsprachen in der Primarschule. Darüber hinaus nutzen die einzelnen Schulen ihre Ge- staltungsmöglichkeiten, um ihren Bedürfnissen entsprechende Projekte zu verwirklichen. Und dabei gehen manche weiter als andere: «Innovative Schulen stellen in Frage, was bisher nicht in Frage gestellt wurde», sagt Mirjam Obrist. «Sie zeigen neue Wege auf.» Doch die Leiterin der Sektion Schulentwicklung im Kanton Aargau weiss auch: Diese Schulen haben es nicht immer leicht. Denn jeder hat ein be- stimmtes Bild von Schule im Kopf. Und das ist die vielleicht grösste Heraus- forderung für innovative Schulentwick-lungsprojekte. Denn die Schulen müssen viel Überzeugungsarbeit leisten. Umso mehr schätzt Mirjam Obrist die Anstren-gungen dieser Schulen – denn damit stossen sie neue Entwicklungen an: «Der Trend geht zur Schulentwicklung von unten.»

aKtueLLe themen

Schulentwicklung ist immer eine Ant-wort auf gesellschaftliche Verände- rungen und Herausforderungen. Der Umgang mit Vielfalt ist aktuell ein zentrales Thema – doch längst nicht das einzige: Schulen suchen nach Ant- worten auf Fragen der Integration, sie setzen sich mit der Qualität von Unter-richt auseinander und erkennen in diesem Zusammenhang das Potenzial

forschend-entdeckenden Lernens oder die Möglichkeiten ausserschulischer Lernorte. Die Schüler- und Elternparti- zipation beschäftigt Schulen zurzeit ebenso wie die Integration moderner Kommunikationsmittel in den Unter-richt. Zudem müssen die Schulen vorge- gebene Bildungsstandards erreichen.

Es gibt kein Patentrezept für Schulent-wicklung. Jede Schule ist durch ihr Umfeld geprägt, durch ihre Schüler und Lehrer. «Deshalb muss jede Schule den für ihre Verhältnisse passenden Weg finden», erklärt der Schulleiter der Sekundarschule Petermoos, Ralph Zollinger. Damit eigene Projekte gelin-gen, brauche es Begeisterung und treibende Kräfte mit Innovationsgeist, die alle Beteiligten – allen voran das Schulteam, die Eltern und die Schüler – ins Boot holen. Genauso wichtig sei der Erfahrungsaustausch: Gibt es Schulen, die an ähnlichen Themen arbeiten? Was ist auf die eigene Schule übertragbar? Welche Prozesse sind bei der Verwirklichung zu berücksichti-gen? Welche Stolpersteine gibt es? «Man kann sehr von den Erfahrungen anderer Schulen profitieren», sagt Ralph Zollinger. Die Sekundarschule Peter-moos empfängt wie der Schülerclub Nordstrasse regelmässig Interessierte zu Schulbesuchen. Beide Schulen enga- gieren sich aktiv im Netzwerk ‹Schulen lernen von Schulen› der Pädagogischen Hochschule Zürich.

Um gemeinsame Themen voran- zubringen und um Synergien zu nutzen, schliessen sich Schulen auch eigen- ständig zu überregionalen Netzwerken zusammen. So engagieren sich im Verband der Mosaik-Sekundarschulen über 20 altersdurchmischt organisierte Schulen. Sie alle unterrichten einen grossen Teil ihrer Lektionen individua- lisiert und arbeiten mit kompetenz- basierten Lernaufträgen, die sie wie ihr IT-gestütztes Instrument zum Lernweg-

«Eigene Projekte gelingen, wenn der Wunsch nach Veränderung von innen kommt. Die Begeisterung, das Feuer muss vorhanden sein oder entfacht werden.» ralPh zollinger, Schulleiter SeKunDarSchule PeterMooS

management gemeinsam entwickeln. Auch Kantone gründen freiwillige Schulnetzwerke, mit denen sie Lehrern eine Plattform zum Austausch und zur Zusammenarbeit bieten. Seit über zehn Jahren ist das Netzwerk Luzerner Schulen erfolgreich aktiv: Über 400 Lehrer sind zurzeit in 30 thematischen

Teilnetzwerken tätig. «Unterrichtsent-wicklung muss sich an der Praxis der Lehrpersonen orientieren», begrün-det Netzwerkleiterin Monika Pfister das Engagement des Kantons Luzern. Ein wichtiges Ziel des Netzwerks ist es, einzelne Schulentwicklungsmassnah-men zusammenzuführen und bewährte Konzepte zur Verfügung zu stellen.

Bei diesem Bedürfnis von Schulen, voneinander zu lernen und sich auszu- tauschen, knüpft die Stiftung Mercator Schweiz mit ihrem Engagement an: «Wir machen Erfahrungen aus lokalen Initiativen bekannt», erklärt Geschäfts-führerin Nadine Felix. «Wir ermög- lichen es Schulen, gemeinsam ihren Unterricht weiterzuentwickeln.» Zudem möchte die Stiftung mit Forschungs- projekten zu neuen Erkenntnissen bei- tragen, die Schulen unterstützen, sich zukunftsorientiert zu gestalten. Ein besonderes Interesse gilt in all diesen Aktivitäten dem personalisierten Lernen: «Eine individuelle Förderung ist der Schlüssel für mehr Bildungsgerechtig-keit», betont Nadine Felix.

naDine fieKe ist redakteurin des Mercator Magazins und zuständig für die Kommunikation der Stiftung Mercator Schweiz. [email protected]

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schwerpunkt SchulentwicKlung

sChulE iM wANdEl

Die obligatorische Volksschule war seit ihrer Gründung zeitlich und räumlich straff durchorganisiert – erkennbar ist das Bild einer industriellen Organi- sation nach den Modellen des 19. und 20. Jahrhunderts: Stundenpläne und Raumdispositionen sind zentral ge- steuerte Meisterleistungen. Alle Betei- ligten haben zu einem bestimmten Zeitpunkt für eine bestimmte Dauer an einem bestimmten Ort in einer be- stimmten Gruppe zu sein. Auf ein Gongzeichen endet und beginnt eine Zeiteinheit. Lehrpersonen werden nach Lektionen zugeteilt und entschädigt. Korridore sind so konzipiert, dass innerhalb von fünf Minuten hunderte von Personen vom Schulhof her die Schulzimmer erreichen, die Zimmer wechseln oder in die Pause rennen können. Diese Arbeitskultur an traditio-nellen Schulen ist für Besucher zu- nehmend ein anachronistisches Erleb- nis. Denn in der Arbeitswelt sind die Pendants mit Fabriksirenen oder Schichtwechsel zusammen mit tausen-den von Arbeitern verschwunden.

Brüche mit Der traDition

Die ersten gut sichtbaren Brüche mit der über 100-jährigen industriellen Schultradition geschahen in den 1970er Jahren, als beim Gruppenunterricht die Tische umgestellt wurden. Heute wird Veränderung sichtbar, wenn Schu- len für individuelles Arbeiten Einzel- pulte mit Sichtschutz aufstellen und Schüler in Grossraum-Ateliers frei zirkulieren. Weniger auffällig ist, wenn Lehrpersonen und Schüler nach dem Unterricht nicht mehr sofort nach Hause gehen, zum Teil früher kommen oder über Mittag bleiben. Wenn Lehrpersonen in einem interdisziplinären Team arbei- ten und lernen, wenn sich die Schüler im Unterricht gegenseitig beraten und unterrichten oder wenn über Distanz auf vielfältigste Weise während 24 Stunden am Tag miteinander kommuniziert wird.

neue roLLen unD arBeitsformen

Kooperationsformen, Arbeits- und Zeit- organisation, Raumgestaltung und die Rollen aller Beteiligten verändern sich, wenn Schulen vermehrt individuelle Verantwortung, Selbststeuerung und Kooperation betonen, wenn sie persona- lisierte Lernkonzepte ausgestalten und ursprünglich nach Hause verlagerte Tätigkeiten (bei den Schülern Haus-aufgaben, schriftliche Projektarbeiten, Prüfungsvorbereitungen; bei den Lehrern Korrekturen, Vorbereitungen, Planung und Fachlektüre) in das Haus des Lernens zurückholen.

Solche Veränderungen führen zu paradoxen Entwicklungen, die ver- wirrend wirken können: mehr Freiheit für Lernende versus Autonomieverlust bei den Lehrpersonen; mehr Präsenzzeit in der Schule versus mehr Kommu- nikation über Distanz; mehr Individuali-sierung versus mehr Zwang zu Koopera-tion. In Gesprächen mit Schülern und Lehrpersonen tauchen immer wieder dieselben Erfahrungen auf: Viele Kinder geniessen die grössere Wahlfreiheit, einige Lehrpersonen erleben eine Art ‹Neugeburt› im Beruf. Selbstverständlich gibt es auch Überforderungen: Jugend- liche, die zuerst einmal ‹abhängen› oder Lehrpersonen, die mit ihrer neuen Rolle nicht zurecht kommen. Das ist in einer Anfangsphase wohl kaum zu vermeiden.

JÜrg BrÜhlMann ist leiter der Pädagogischen arbeitsstelle des Dachverbands Schweizer lehrerinnen und lehrer (lch). [email protected]

text / JÜrg BrÜhlMann

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unterrichten in lernlanDSchaften

erfahrungen Von fritz SchellenBauM, lehrer Der SeKunDarSchule PeterMooS in BuchS (zh)

Jetzt ist das jahrelang Vermisste da: Im Team sprechen wir nicht mehr nur über Administratives, sondern über das Wesentliche. Das Lernen steht im Zen- trum: Was hilft uns Lehrpersonen und den Schülern für ein wirkungsvol- leres Lernen? Jede Massnahme wird daraufhin überprüft. Wir schieben einan- der nicht mehr nur Arbeitsblätter ins Ablagefach, die vielleicht von Kollegen umgebaut genutzt werden, sondern wir erarbeiten Themen und Aufträge, welche auch andere Teams 1:1 einsetzen.

Diese Arbeitsteilung verlangt nach gewissen gemeinsamen Standards. Auf unserer selber gebauten und ge- meinsam genutzten Datenbank sind das ganze Lernmaterial und die indivi- duelle Lernplanung mit den genutzten Kooperationsmöglichkeiten hinterlegt. Dieses Tool ist Voraussetzung für diese Lernorganisation. So kommt es, dass wir Lehrpersonen zwar Freiheiten verlieren, die Schüler aber mehr Wahlmöglich- keiten bekommen für ihr Lernen. Alle zwei bis drei Wochen führen wir mit jedem Jugendlichen ein Coachinggespräch. Die Jugendlichen spüren, dass wir uns für ihr Lernen interessieren. Darauf reagieren sie sehr positiv. Die Situation im Schulhaus hat sich stark verändert. Das merke ich schon, wenn ich am Morgen über den Schulhof gehe: Ich werde anders begrüsst und sehe meine Schüler anders. Auch die Beziehung zu den Kollegen ist transparenter gewor- den: Wir sehen, was wir tun, wir geben und bekommen Feedback. Auch im Lernatelier sind wir zeitweise zu zweit unterwegs und können uns über Laufendes austauschen.

Mein Arbeitstag findet nun fast aus- schliesslich in der Schule statt. Bis 17 Uhr sind grundsätzlich alle Kollegen da, wir haben Zeit für informelle Gespräche, zum Vorbereiten und für Sitzungen. Ich arbeite eher am Wochenende und nicht bis spät in den Abend hinein. Spätestens am Sonntagabend habe ich die ganze Woche ‹im Sack› – alles ist geplant, ich erlebe mehr Übersicht und Ruhe. Die Kinder wissen auch schon, was sie zu tun haben.

lernen in lernlanDSchaften

erfahrungen Von fitiM aBDullahu, eheMaliger SchÜler Der SeKunDarSchule BÜrglen (tg), auSzuBilDenDer zuM MechatroniKer

Früher in der 6. Klasse begrüsste ich am Morgen einen Lehrer. In der Lernland-schaft der Sekundarschule waren es dann vier. Wir sind jeweils am Morgen in der Lernlandschaft angekommen und haben uns für den Tag organisiert. Dort holte ich die Bücher, von dort aus gingen wir in die Niveaukurse. Täglich waren wir etwa eine bis vier Stunden in der Lern- landschaft. Neu war in der Sek, dass auch die Hausaufgaben in der Lernland-schaft gemacht wurden. Zu Hause hatte ich dann nicht mehr viel zu tun.

In der Sek haben wir Lerntechni- ken gelernt: zum Beispiel Mindmap, Lernkartei oder Cluster. Die Schüler der Sek Bürglen wissen, wie man lernen muss, wie man selber lernt. Ich weiss, wie ich mich auf eine Prüfung vorbereite. In der Berufsschule werden die Lerntech- niken nochmals erklärt, denn viele Kol- legen müssen das erst lernen. In der Sekundarschule konnten wir uns selber organisieren zum Lernen. Oft haben wir an den Besprechungsorten vor dem Lernraum geübt oder uns gegenseitig Wörter abgefragt. Oder wir holten uns jemanden mit einem besseren Niveau für eine Partnerarbeit. Die Lehrpersonen in der Lernlandschaft haben gut geholfen. Aber es war besser, wenn ich die Kollegen fragen konnte. Und ich wurde von anderen gefragt, um etwas zu erklären.

im lernatelier hat jeder Schüler seinen persön- lichen arbeitsplatz. Die Schüler arbeiten alleine oder zusammen, sie suchen gezielt die unterstützung der lehrpersonen. Durch die ‹lernlandschaften› hat sich der Schulalltag in der Sekundarschule Petermoos sehr verändert.

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schwerpunkt SchulentwicKlung

Jeder hat andere lernbedürfnisse, interessen und fähigkeiten. um ihre Schüler bedarfsgerecht zu fördern, haben einige Schulen individualisierende und kooperative lernformen eingeführt. in einem Projekt der Stiftung Mercator Schweiz entwickeln Schulpraxis und wissenschaft dieses ‹personalisierte lernen in heterogenen lerngemeinschaften› weiter.

EiNE ANtwort Auf diE viElfAlt

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text / Bruno hofer

Traditionell hat sich schulische Bildung immer am Prinzip des Jahrgangs orientiert. Entsprechend bildete sich die Beschulung Gleichaltriger in einer Klasse als Standardform des Unterrichts heraus. Aus vielen Studien und Erfah- rungen weiss man jedoch, dass der Ent- wicklungsstand von Kindern und Jugend- lichen gleichen Alters stark variieren kann: Soziale Herkunft, die Kompetenz in der Landessprache, Lebensumstände und vieles mehr führen zu Schulklassen mit mehr oder weniger ausgeprägter Heterogenität. Wie kann man mit dieser Vielfalt professionell umgehen, da-mit jeder Schüler und jede Schülerin optimale, den individuellen Bedürf- nissen entsprechende Bildungsmöglich-keiten erhält? Praxisnahe Lösungen

Einige Schulen haben in den vergange-nen Jahren neue Formen des Lernens entwickelt, um dieser Herausforderung besser zu begegnen. Diese Schulen er- möglichen ein individualisiertes Lernen, fördern aber auch die Kooperation mit Lernpartnern und die Zusammenarbeit in Lerngruppen. Dieses pädagogische Handeln im Spannungsfeld zwischen Individualität und sozialer Integration wird im Projekt ‹Personalisiertes Lernen in heterogenen Lerngemeinschaften› der Stiftung Mercator Schweiz praxisnah erprobt und weiterentwickelt. Die Stiftung hat 50 Schulen aus der Deutsch-schweiz mit Hochschulen, Schulnetz-werken, Lehrmittelverlagen und IT- Anbietern zusammengebracht und sie

eingeladen, eigene, ihren Bedürfnissen entsprechende Projekte zur Förde- rung und Weiterentwicklung des perso- nalisierten Lernens zu erarbeiten. Entstanden sind zehn Teilprojekte (siehe Infokasten auf S. 32) mit gemeinsamen Leitgedanken und Zielsetzungen.

In all diesen Projekten steht die Frage im Zentrum, wie die persona- lisierten Lernprozesse der Schüler am besten gestaltet und begleitet werden können. So erarbeiten die Projektpartner neben konkreten Unterrichtskonzepten unter anderem neue Formen und Einsatzmöglichkeiten von Lehrmitteln oder entwickeln Qualitätsraster für Lernaufgaben. Die Universität Zürich erforscht den Lernerfolg an Schulen, die mit personalisierten Lernkonzepten arbeiten. Die Stiftung Mercator Schweiz stellt in den Jahren 2011 bis 2015 für das grosse Kooperationsprojekt 2 745 000 Franken zur Verfügung. Die Laufzeiten der einzelnen Projekte sind sehr un- terschiedlich. Bis zum Abschluss des Gesamtprojekts erwarten die Projekt-partner Grundlagen und fundierte Praktiken für die Schulentwicklung und Weiterbildung von Lehrpersonen.

Vernetzung Der ProJeKtPartner

Die Vernetzung von Schulpraxis und Wissenschaft ist ein wichtiges Ziel des Projekts: In regelmässigen Koordi- nationstreffen kommen die Beteiligten der zehn Teilprojekte – Schulleitun- gen und Lehrpersonen der Volksschul-stufe und der Sekundarstufe II, Dozenten und Forscher von Universitäten, Fachhochschulen und Weiterbildungs-

einrichtungen, Leitungspersonen und Mitarbeitende von Schulverlagen – zusammen, um über den jeweiligen Pro-jektverlauf zu informieren. Sie tauschen sich über Erfahrungen aus und reflek- tieren aktuelle Entwicklungen. Ein sechs- köpfiger Lenkungsausschuss bestehend aus Bildungsexperten und einer Ver- tretung der Stiftung Mercator Schweiz begleitet und unterstützt die Teilprojekte und den Projektkoordinator, der eben-falls in diesem Ausschuss vertreten ist.

soziaL eingeBettet

Der Begriff ‹personalisiertes Lernen› ver- steht sich als eine Weiterentwicklung von ‹Differenzierung› und ‹Individuali-sierung› im Unterricht. Eigene Erfahrun-gen und weite Teile der pädagogischen Literatur zeigen, dass Lernen – soweit es nicht um blosse Reproduktion geht – ein persönlicher, eigenständiger Prozess ist. Neugier, Motivation, Selbstwirk- samkeit, Nachhaltigkeit und ähnliche Begriffe verbinden sich mit solchen Vorstellungen. Die Schule bietet mit ihren sozialen Gruppen, den unterschied- lichen Rollen der Menschen und den täglichen Begegnungen aber auch ein ideales Feld, das Gelernte in sozialen Situationen anzuwenden und weiterzu-entwickeln: Wissen wird dargestellt, Lernprozesse werden sichtbar gemacht, Standpunkte erklärt und diskutiert, Feedback und Reflexion schliessen einen Lernprozess ab. Dies fördert und festigt das Verständnis der Unterrichts-themen. Diese Idee des personalisierten Lernens, das zugleich eingebettet in einen sozialen Kontext stattfindet,

Jugendliche experimentieren mit robotern: Dieses forschungsprojekt in Physik / Mathematik ist eines von zahlreichen unterrichtsmodulen, die lehrpersonen im teilprojekt ‹Personalisiertes, kompetenzbasiertes lernen auf Sekundarstufe II› entwickelt haben.

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schwerpunkt SchulentwicKlung

betont das Projekt der Stiftung Mercator Schweiz: Die Heterogenität der Lernen-den kann positive Funktionen im Lern- prozess erfüllen. Differenz wird zum Milieu einer anregenden und angeregten Lernkultur.

erwartungen unD erKenntnisse

Die Besonderheit des Projekts ‹Personali-siertes Lernen in heterogenen Lernge-meinschaften› liegt in seinen vielfältigen Zugangsweisen zum Thema – und in seiner Erfahrungsorientierung. Nach Projektabschluss wird es keine pfannen-fertigen Rezepte geben. Denn persona- lisiertes Lernen ist immer abhängig von den beteiligten Personen und wird sich entsprechend nicht standardisieren lassen. Aber es werden sich Modelle und Erfahrungen herausbilden, die auf andere Schulen und Schulstufen über- tragbar sind und die Mut machen, gleiche oder ähnliche Wege in der Unterrichts-entwicklung zu gehen. Die Ergebnisse werden nach Projektabschluss dokumen-tiert, um sie in weiteren Schulen und der bildungsorientierten Öffent- lichkeit bekannt zu machen.

Ein grosses Erkenntnispotenzial des Projekts liegt in den Lernerfahrun-gen der Schüler: Wie erleben sie das personalisierte Lernen? Woran sind sie interessiert? Wie entwickeln sie Neugier und Leistungsbereitschaft? Wie sehen ihre Lernstrategien und Lernwege aus? Die Projektpartner gehen davon aus, dass ein Erfolgsschlüssel des personali-sierten Lernens in der Orientierung am Erwerb von Kompetenzen liegt. Diese Herangehensweise zielt auf die Anwen-dung von Wissen und Können und räumt den Lernenden genügend Zeit für selbst- ständiges Arbeiten und für die Koope- ration untereinander ein. Dafür wird die Steuerung von Unterricht mehr durch Arrangements und Rahmenbedingungen erfolgen als durch eine permanente Führungspräsenz der Lehrperson. Die Lehrperson behält im personalisierten Lernen eine hohe Bedeutung. Sie hat jedoch ein breiteres und anspruchs- volleres Rollenrepertoire, beispielsweise als Coach und Lernbegleiter.

zehn teiLProJeKte 1 PersonaLisiertes, KomPetenzBasier-tes Lernen / Die Kantonsschule romanshorn entwickelt zusammen mit weiteren gymnasien und Berufsschulen personalisierte unterrichts-module für die sekundarstufe II. 2 Vom LehrmitteL zum LernmitteL / Lehrpersonen erarbeiten zusammen mit den Pädagogischen hochschulen nordwestschweiz und Bern und dem schulverlag plus Vor- schläge, wie obligatorische Lehrmittel fürs personalisierte Lernen genutzt werden können. 3 PerLen — PersonaLisierte Lern- KonzePte in heterogenen LerngruPPen / Die universität zürich untersucht in einer studie unterrichtsformen, Lernarrangements, Prozessqualitäten und wirkungen des per- sonalisierten, kooperativen Lernens in hetero- genen Lerngruppen.4 roLLenrePertoire unD coaching-KomPetenzen / Das zürcher gymnasium unterstrass klärt und erprobt zusammen mit weiteren Partnern die rollen und hand- lungskompetenzen von Lehrpersonen im perso- nalisierten Lernen. 5 KomPetenzcenter / Der Verband der mosaik-sekundarschulen erarbeitet grundlagen für die integration von Kompetenzrastern in it-Plattformen fürs Lernwegmanagement. 6 QuaLitätsraster / Die Pädagogische hochschule st. gallen entwickelt zusammen mit schulen ein wissenschaftlich fundiertes Qualitätsraster für die Bewertung von Lern- arrangements und Lernaufgaben. 7 nachhaLtige schuL- unD unterrichts-entwicKLung Durch networKing / in einer Publikation (schulverlag plus, isBn: 978-3-292-00748-3) zeigt das netzwerk Luzerner schulen auf, wie Kantone erfolgreich und nachhaltig thematische netzwerke auf-bauen, betreuen und weiterentwickeln können. 8 mint-aLP / Die Pädagogischen hochschulen graubünden und wallis entwickeln zusammen mit Partnerschulen it-gestützte Lernmaterialien in den Bereichen mathematik, informatik, naturwissenschaften und technik (mint) für das selbstständig-kooperative Lernen in jahrgangs- gemischten Lerngruppen. 9 DigitaLe LehrmitteL / zusammen mit den sekundarschulen ruggenacher in regens-dorf und Petermoos in Buchs (zh) entwickelt der schulverlag plus zu einem Kapitel des Lehr-werks ‹sprachwelt Deutsch› digitalisierte Lernmaterialien für das personalisierte Lernen. 10 zaungäste / Der Verein Quiss (Qualitäts-entwicklung in innovativen schweizer schulen) baut eine nachhaltige und selbsttragende struktur für regionenübergreifende schulbe- suche als ‹Peer review› auf. www.lernkonzepte.ch → Die Leiter der ersten vier teilprojekte geben auf den folgenden seiten einblicke in ihre Vorhaben.

Bruno hofer koordiniert das Projekt ‹Personalisiertes lernen in heterogenen lern- gemeinschaften›. er arbeitet seit vielen Jahren als coach und organisationsberater in Schulen und Bildungseinrichtungen. [email protected]

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Die Schüler der Kantonsschule romanshorn haben die roboter selbst gebaut. anschliessend ging es darum, ihre fahrtwege zu berechnen, Diagramme zu erstellen und einen forschungsbericht zu schreiben.

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schwerpunkt SchulentwicKlung

PErsoNAlisiErtE uNtErriChtsModulE

text / aloiS KrähenMann Der rektor der Kantonsschule romanshorn leitet das teilprojekt ‹Personalisiertes, kompetenz-basiertes lernen auf Sekundarstufe II›. [email protected]

Lehrpersonen stehen immer wieder vor einem Di lemma: Klassenunterricht ist kaum individualisiert möglich, auch Lehrmittel und die Lehr pläne sind nicht auf personalisiertes Lernen ausgerichtet. Und gleichzeitig sind sie sich bewusst, dass der klassi-sche, homogenisierende Unterricht weder die indi vi- duellen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler gewinnbringend einsetzt, noch ihre ganz per sön-lichen Schwierigkeiten ernsthaft angehen kann.

Im Teilprojekt ‹Personalisiertes, kompetenzba-siertes Lernen auf Sekundarstufe II› des Projekts ‹Personalisiertes Lernen in heterogenen Lerngemein - schaften› suchten Lehrpersonen von drei Gym- nasien und fünf Berufsschulen unter der Leitung der Kantonsschule Romanshorn in ihrem Alltag nach pragmatischen Lösungen. Sie entwickelten eigene Module, die den Unterricht auf dreifache Weise öffnen: organisatorisch, methodisch oder inhaltlich. Die Jugendlichen, die mit den erarbeiteten Modulen unterrichtet werden, erleben die Auflösung des homogenisierenden Unterrichts in sechs ganz unter-schiedlichen Bereichen – den sechs Ebenen der Personalisierung:— Sinn und Ziele: Die Schüler können eigene

Motive, Ziele und Interessen in die Aufgaben einbringen.

— Lernwege: Übungen oder Aufträge erfüllen sie auf unterschiedlichen Wegen.

— Themen: Inhalte und Ziele zu einzelnen The-men wählen die Jugendlichen selbst. Die Lernherausforderung soll für jeden Einzelnen relevant sein.

— Zeit: Das Tempo, die Dauer und unter Umstän-den sogar die Termine wählen sie selbst.

— Personen: Wer mit wem arbeitet, ob einzeln oder in Lern- oder Arbeitsgruppen, ob mit oder ohne Lehrperson, bestimmen die Schüler mit.

— Metakognition: Nicht nur das Ergebnis oder der gelernte Inhalt sind wichtig, sondern auch die individuelle Reflexion über das Vorgehen und die Erkenntnisse.

Die Projektanlage ist bewusst sehr einfach gehalten: Die beteiligten Lehrpersonen konnten in ihrem eigenen Alltag eine Idee für ein Unterrichtsmodul ent-wickeln und ausprobieren. Entstanden sind zum Beispiel ein gemeinsames Forschungsprojekt mit

Robotern in Physik /Mathematik, ein personalisiertes und kompetenzorientiertes Semesterprojekt zum Thema ‹Ernährung und Verdauung› oder Lernaufga-ben, die von konkreten Problemstellungen aus gehen und sich über mehrere Schulfächer erstrecken. Dies war Phase 1 des Projekts, die von August 2011 bis Januar 2012 dauerte. In Phase 2 verbreiteten die Lehrpersonen ihre Ideen schulintern an mehr e re Lehrpersonen und testeten die Akzeptanz und Machbarkeit ihrer Unterrichtsmodule. Denn nur wenn diese ebenfalls für andere Lehrpersonen funk tionieren, sind sie didaktisch interessant und werden weiterentwickelt.

Im August 2012 startete Phase 3 des Projekts. Bis August 2013 werden die für gut befundenen Unterrichtsmodule allen beteiligten und weiteren interessierten Schulen vorgestellt und – wo möglich – weiterverbreitet. Module, die andere Schulen als machbar und nützlich beurteilen und mit Erfolg übernehmen, werden nach Abschluss des Projekts ins Programm der Schweizerischen Zentralstelle für die Weiterbildung der Mittelschullehrpersonen (WBZ) und des Eidgenössischen Hochschulinstituts für Berufsbildung (EHB) übernommen.

Die einfache Projektanlage stellt sich bereits jetzt als sehr wirksam heraus: Die Lehrpersonen deckten mit ihren Projekten sofort alle sechs Ebenen der Personalisierung ab. Sie hatten den für Entwicklungsarbeiten so wichtigen zeitlichen Freiraum, und es sind neue Kooperationen entstan-den. Die beteiligten Schulen erleben Unterrichts- entwicklung im positivsten Sinn: Module von Praktikern für Praktiker – und diese werden breit getestet.

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«Wenn wir Projekte bearbeiten, verarbeite ich den Stoff besser. Häufig muss ich dann kaum mehr für die Prüfungen lernen.» MatthiaS BranDeS, SchÜler KantonSSchule roManShorn

«Wenn ich mitbestimmen kann, was ich lerne, bin ich motivierter. Mir gefällt die Arbeit im Team – so kann man die Stärken von jedem nutzen.» ania BÜhler, SchÜlerin KantonSSchule roManShorn

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schwerpunkt SchulentwicKlung

voM lEhrMittEl zuM lErNMittEl

text / eSther gerMann Sie ist zuständig für das Projekt ‹Vom lehrmittel zum lernmittel›, bis ende 2012 war sie Programmverantwortliche beim Schulverlag plus. [email protected]

Immer mehr öffentliche und private Schulen führen altersdurchmischtes Lernen (AdL) ein. Dafür gibt es insbesondere zwei Gründe: Die demografische Entwicklung, die vor allem in ländlichen Regionen zu Klassenzusammenlegungen führt. Und päda- gogische Erkenntnisse, die betonen, dass die Vielfalt altersdurchmischter Lerngruppen einen grossen Nutzen für das Lernen und für das soziale Zusam-menleben hat. Schulen, die altersgemischt arbeiten, stehen jedoch vor verschiedenen Heraus for- de run gen – eine davon betrifft die obligatorischen Lehr mittel. Diese müssen Lehrpersonen oft mit gros sem Aufwand an die Anforderungen von Mehr klassenschulen anpassen. sammLung Bewährter KonzePte

Das Projekt ‹Vom Lehrmittel zum Lernmittel› möchte die Arbeit mit kantonal verbindlichen Lehr- mitteln in Mehrklassenschulen erleichtern und verbessern. Es untersucht deren Eignung für per- son alisierte und altersdurchmischte Lehr- und Lernformen. Am Projekt beteiligen sich Schulen, Unterrichtsteams und Lehrpersonen, die mit offiziellen Lehrmitteln in den Fachbereichen Mathe - matik, Deutsch, Fremdsprachen und Natur- Mensch-Gesellschaft in altersdurchmischten Klassen oder Lerngruppen arbeiten.

Wie organisieren die Schulen ihren Unterricht mit den verbindlichen Lehrmitteln? Welche Kon- zepte, Massnahmen und Materialien bewähren sich? Welche Hürden müssen die Schulen nehmen? Wie und wodurch könnten Lehrmittel die Arbeit im altersdurchmischten Lernen erleichtern? Über diese Fragen tauschen sich im Rahmen des Projekts Schulen aus einem grösseren geografischen Raum aus, sie gewähren sich gegenseitig Einblick in ihre Praxis. Das Projektteam sammelt bewährte Kon- zepte und Lernmaterialien, um diese am Ende neu zu strukturieren und im Schulverlag plus zu publizieren. Diese Publikation zu bewährten AdL- Materialien wird die Erkenntnisse einem breiten Kreis von interessierten Lehrpersonen, Institutio- nen und Lehrmittelproduzenten zugänglich machen.

Ein weiteres Ziel des Projekts besteht darin, Hinweise, Kriterien und Tipps für die Entwicklung künftiger AdL-Lehrmittel zusammenzufassen.

Diese sollen von Lehrmittelentwicklern und -verlagen aufgenommen werden, um die altersdurch misch- ten Schulen in der Schweiz besser mit spezifischen Lehr mitteln und didaktischen Materialien zu unterstützen.

grosses BeDürfnis

Im Jahr 2011 ist das Projekt gestartet, die Publika- tion ist für 2014 geplant. Die in der Zwischenzeit gesammelten Materialien und Konzepte werden den beteiligten Schulen und Lehrpersonen an Vernet-zungstagungen vorgestellt. Eine erste Tagung fand im Juni 2012 mit Vertretern von sieben Grund-, Basis- und Primarstufen in Bern statt. Wichtige Impulse setzte an dieser Veranstaltung das Referat ‹AdL und Lehrmittel› von Heidi Gehrig vom In stitut für Schulentwicklung der Pädagogischen Hochschule St.Gallen. Die rege Beteiligung der Schulvertreter zeigt, dass das Projekt einem grossen Bedürfnis entspricht. Weitere Schulen sind im Projekt und an der nächsten Tagung willkommen.

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schwerpunkt SchulentwicKlung

uMfAssENdE studiE iN 50 sChulEN

In vielen Schulen ist der Unterricht in Bewegung. Gesellschaftliche Veränderungen und bildungspoliti-sche Vorgaben führen zu sehr heterogenen Jahr-gangsklassen. Will man Kinder und Jugendliche unter diesen Voraussetzungen optimal fördern, müssen die Lernangebote differenziert, die Lernunterstützun- gen variabel gestaltet und die Rahmenbedingungen gelockert werden. In den vergangenen Jahren haben zahlreiche Schulen ihren Unterricht da hin-gehend weiterentwickelt. Es ist eine reichhaltige Palette innovativer Lehr-Lernkulturen entstanden. Man spricht von Schulen mit personalisierten Lernkonzepten.

aufBereitung für LehrerBiLDung

Das Projekt ‹perLen› (personalisierte Lernkonzepte in heterogenen Lerngruppen), das vom Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Zürich in Zusammenarbeit mit dem Institut für Medien und Schule der Pädagogischen Hochschule Zentral-schweiz, Schwyz, durchgeführt wird, untersucht Schulen mit personalisierten Lernkonzepten. Es will die in der Praxis entwickelten Lösungen, wie man mit den vielfältigen Herausforderungen der hetero-genen Schülergruppen produktiv umgehen kann, dokumentieren, anderen Schulen zugänglich machen und für die Lehrerbildung aufbereiten. Im Zentrum des Projekts stehen folgende Fragen:— Lehr-Lernkultur: Wie präsentieren sich die

didaktischen Konzepte, die Unterrichtspraxis und die Lernbegleitung sowie die Lernakti- vitäten der Schüler?

— Entwicklung der schulischen Lehr-Lernkonzepte: Wie entwickeln sich Unterrichtspraxis, Lern-aktivitäten und Lernbegleitung im Projektzeit-raum weiter?

— Rolle, Berufsauftrag und Anforderungen an die Lehrkräfte: Welche Konsequenzen hat die Orientierung an personalisierten Lernkonzep-ten für die Rolle der Lehrkräfte, für ihr Berufs- und Selbstverständnis sowie für die Zusam- menarbeit im Kollegium und mit den Eltern?

— Unterrichtswirkungen: Wie entwickeln sich die fachlichen und insbesondere auch die überfach-lichen (personalen, methodischen, sozialen) Kompetenzen der Schüler?

DatenerheBung üBer Drei Jahre

Geplant ist eine Längsschnittstudie über drei Jahre mit 50 Schulen. Die Datenerhebung umfasst pro Jahr je eine Online-Befragung. Dazu kommen über den Projektzeitraum verteilt zwei (gegebenen falls drei) Erhebungen, die sich auf fachliche und überfachliche Kompetenzen der Schüler beziehen. Pro Schule nehmen in der Regel je eine Primar- (4.– 6. Schuljahr) und /oder eine Sekundarklasse (7.– 9. Schuljahr) an diesen Erhebungen teil. In zehn der 50 Schulen werden auch Fallstudien durchge-führt: Das Projektteam analysiert Schuldokumente, führt Interviews mit der Schulleitung, mit Lehr- personengruppen und mit den ICT-Verantwortlichen, beobachtet den Unterricht und filmt aus gewählte Lernarrangements. Die teilnehmenden Schulen werden durch schulspezifische Rückmeldungen, zwei Weiterbildungen und eine Schluss tagung bei der Unterrichtsentwicklung unterstützt. Zudem besteht für die Schulen die Möglichkeit, sich mit den ande-ren neun Projekten im Konsortium ‹Personalisiertes Lernen in heterogenen Lerngemeinschaften› zu vernetzen.

Das Projekt ‹perLen› ist am 1. März 2012 gestartet. Bis zum Sommer wurden das Forschungs-design bereinigt, Unterlagen für die Schulen er - stellt und eine Projekt-Homepage gestaltet. Ende August 2012 begann die Rekrutierung der Schu len. Das Projekt stösst bei den Schulen auf reges In te resse, die Bereitschaft zur Mitarbeit ist gross.

text / Prof. Kurt reuSSer, Dr. chriStine Pauli, PD Dr. rita SteBler Die wissenschaftler des instituts für erziehungswissenschaft an der universität zürich sind verantwortlich für das Projekt ‹perlen›. [email protected], [email protected], [email protected], www.perlen.uzh.ch

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rollEN uNd koMPEtENzEN voN lEhrPErsoNEN

text / Kurt MÜller KluSMan Der lehrer für Musik, Solo-gesang und chorleitung am zürcher gymnasium unterstrass leitet das Projekt roKoSol. [email protected]

Eine interne Umfrage im Gymnasium Unterstrass zeigt: Mehr als 90 Prozent aller Befragten verstehen sich vor allem in der Rolle der Fachlehrperson. Doch Prozesse des selbstorganisierten Lernens (SOL) im Unterricht verlangen von den Lehrpersonen ein neues Rollenverständnis und entsprechend er - wei terte Kompetenzen. Neben ihrer traditionellen Rolle als Wissensvermittler sollten sie die Rolle des Lern begleiters, Lernplaners oder Lernorganisa-tors wahrnehmen können. Lehren und Lernen im Unterricht haben sich von einem Konzept mit klar aufgeteilten Aufgaben zu einem dialogischen Prozess gewandelt, in dem Kommunikation und Interaktion eine zentrale Rolle spielen. Im von Schülern mitverantworteten Unterricht werden diese beispielsweise auch in die Planungsphase und in die Beurteilung miteinbezogen, womit diese Aufgaben nicht mehr allein in der Kompetenz der Lehrpersonen liegen.

Vier ProDuKte

Im Rahmen des Projekts ‹Rollen und Kompetenzen in Prozessen des selbstorganisierten Lernens› (RoKoSOL) entstehen unter der Leitung des Gymna-siums Unterstrass vier Produkte: ein Grundlagen-skript und ein Manual zuhanden der Lehrpersonen, interne Weiterbildungsveranstaltungen und aus-formulierte Weiterbildungsmodule für den ex ternen Gebrauch.

Das Grundlagenskript versteht sich als klären-den Beitrag zum Thema basierend auf erzie- hungswis senschaftlichen Erkenntnissen. Anhand eines Modells auf Grundlage des Schweizer Wirtschaftspädago gen Rolf Dubs und des nieder- ländischen Professors für pädagogische Psycho- logie Robert-Jan Simons erklärt das Skript die fünf SOL-Phasen ‹Planung, Information, Durchfüh- rung, Bewertung und Evaluation›. Für jede einzelne Phase werden die Rolle und die entsprechenden Kompetenzen der Lehrpersonen hervorgehoben und erläutert. Für die Phase der Durchführung bedeu- tet dies beispielsweise: Die Lehrperson stellt eine möglichst professionelle Lernbegleitung und einen störungsfreien Betrieb der Lernumgebung sicher. Dazu braucht sie Kompetenzen wie Beobachten, Unterstützen, Beraten, Motivieren und Rückmelden.

Das Manual gibt konkrete Handlungsanweisungen zu den im Skript formulierten Kompetenzen. Dazu zählen zum Beispiel die Vermittlung von Lern- strategien oder Tipps zur Gesprächsführung. Das Manual zeigt Lehrpersonen, wie sie SOL-Prozesse besser strukturieren und ihre Kompetenzen bei Lernbegleitungen schnell abrufen können.

Mit Hilfe der internen Weiterbildung sollen sich die Lehrpersonen der eigenen Rollen im Lehr beruf bewusst werden und diese in Bezug auf die Anforde-rungen in den SOL-Prozessen erweitern können. Die Lehrpersonen schulen ihre Kompetenzen, in dem sie ausgewählte Sequenzen aus Beratungssitua- tionen spielen und dabei gefilmt werden. In Inter-visionsgruppen werden die Situationen besprochen und für den eigenen Unterricht nutzbar gemacht. Die Weiterbildung besteht aus den drei Elementen Inputveranstaltungen, Videobased Learning und Intervision. Die Weiterbildungsmodule werden schliess lich evaluiert und gegebenenfalls angepasst. Ziel ist es, diese so aufzubereiten, dass weitere interessierte Schulen sie als Grundlage für schul- interne Fortbildungen gebrauchen können.

schuLPraxis unD wissenschaft

Die Steuergruppe RoKoSOL besteht aus Mittelschul-lehrpersonen, die Fremdsprachen, Naturwissen-schaften, Musik und Pädagogik unterrichten. Als ex terne Beraterinnen sind Cornelia Maccabiani vom Institut Unterstrass der Pädagogischen Hoch-schule Zürich und Heike Spurek vom Zentrum für Aus bildung im Gesundheitswesen (ZAG) Winter-thur involviert.

schwerpunkt SchulentwicKlung

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«Es ist inspirierend zu sehen, wie die Jugendlichen eigene Ideen entwickeln. Dies sind meist ganz andere als wenn ich sie auf ein Ziel hingelenkt hätte.» iMKe weBer, lehrerin gyMnaSiuM unterStraSS

«Wenn Schülerinnen und Schüler ihre Ziele wirklich selbst be- stimmen könnten, wäre der Lerner-folg am grössten. Die Frage muss deshalb immer wieder sein: Was wollen sie lernen?» Kurt MÜller KluSMan, lehrer gyMnaSiuM unterStraSS

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schwerpunkt SchulentwicKlung

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forsChEN, stAuNEN, vErstEhENKinder sind neugierig. Sie wollen ihre umwelt erforschen und verstehen. Bei dieser natürlichen Begeisterung für neues holt andrea lüscher ihre Schüler ab: forschend- entdeckendes lernen prägt ihren naturwissenschaft- lichen unterricht. zuletzt hat die Primarschullehrerin mit ihrer Klasse zum thema luft experimentiert. Dabei kam auch die technik nicht zu kurz. Die Schüler haben windmessgeräte gebaut. texte / naDine fieKe

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schwerpunkt SchulentwicKlung

Sie haben erlebt, wie sich Luft bei Kälte zusammenzieht. Sie haben herausge- funden, dass sie sich bei Wärme ausdehnt. Ja, sogar dass Luft ein Gewicht hat, konnten die Kinder mit eigenen Augen sehen. Andrea Lüscher schmunzelt, als sie an dieses Experiment denkt: Die Lehrerin und Heilpädagogin der Schule Rottenschwil (AG) hatte eine einfache Balkenwaage gebaut. An der einen Seite befestigte sie einen schlaffen Luftballon, an der anderen einen mit Luft gefüll- ten. Bevor sie die Waage frei pendeln liess, stellte sie die entscheidende Frage: «Was wird passieren?» Für die meisten Schüler war klar: Die Seite mit dem aufgebla-senen Ballon würde nach oben steigen. Luft ist ja leicht, und Ballons schweben. Entsprechend gross war das Staunen, als ausgerechnet diese Seite nach unten sank: «Sie, Frau Lüscher. Warum?»

Ja, warum? Das möchte die Leh- rerin von den Kindern wissen. Statt ihnen die Antwort direkt zu verraten, for- dert sie die Schüler regelmässig auf, eigene Erklärungen zu suchen. Andrea Lüscher freut sich, wenn sie mit ihren Experimenten die Neugier der Kinder an naturwissenschaftlichen Fragen weckt – denn Interesse ist der erste Schritt auf dem Weg zur Antwort. Sie hat es schon oft erlebt: Wenn sich die Schüler aktiv mit den Themen auseinander- setzen, kommt es schnell zum berühm-ten ‹Aha-Effekt›. Die Kinder können Zusammenhänge nachvollziehen. Sie verstehen die Themen wirklich.

VieLe mögLichKeiten

Um das forschend-entdeckende Lernen zu fördern, haben zehn Schweizer Bildungsinstitutionen unter Federfüh-rung der Pädagogischen Hochschule Nordwestschweiz das Projekt ‹Innovation SWiSE› (Swiss Science Education) ins Leben gerufen: Darin entwickeln über 60 Schulen und Kindergärten ihren naturwissenschaftlich-technischen Unterricht weiter. Unter ihnen ist auch die Schule Rottenschwil. Aus jeder Schule nehmen regelmässig zwei Lehrer an Weiterbildungen und Praxistreffen teil. Andrea Lüscher ist begeistert von den vielen Anregungen, die sie für ihren Unterricht bekommt. Und genauso hilfreich sei der Austausch mit den anderen Lehrern: Wie gestalten sie ihre Lektionen? Welche Erfahrungen haben sie mit Experimenten gemacht? «Wir können viel voneinander lernen.»

eigene winDmessgeräte

Ein Freitagmorgen in der Schule Rotten- schwil. Das Thema ‹Luft und ihre Energie› beschäftigt die Schüler der altersgemischten Mittelstufenklasse B schon seit einigen Wochen. Sie haben sich nicht nur mit den physikalischen Eigenschaften von Luft auseinander- gesetzt. Der thematische Bogen spannte sich über die Erdatmosphäre und Ozonschicht hin zu Klima, Klimawandel und Energiegewinnung. «Luft ist ein schwieriges Thema», sagt Andrea Lüscher. Sie umgibt uns ständig, doch man sieht sie nicht. Man spürt sie nur manchmal – in Form von Wind. Und genau der steht heute im Zentrum des Unterrichts. Denn Wind, so haben die Kinder gelernt, kann man auch messen.

Wie muss ein Windmessgerät aussehen, um Windstärke und Windrich-tung ermitteln zu können? Die Kinder haben ihre Vorstellungen skizziert. Grosse Rotorblätter sind in den Zeich-nungen zu sehen – wie bei einer Wind- kraftanlage. Wetterhähne – wie auf einer Kirche. Manche Kinder beschrän-ken sich auf einfache Windfahnen. Andere haben sich überlegt, dass auch eine Schnur die Windrichtung anzeigen kann, wenn man sie frei wehen lässt. Die Kinder wissen, dass jeweils ein Rotor- blatt eine andere Farbe haben muss, um die Windgeschwindigkeit bestimmen zu können. Und auch an die Markierung der Himmelsrichtungen haben sie ge- dacht. Mit Hilfe ihrer Baupläne machen sich die Schüler begeistert ans Werk: Aus Styropor, Papptellern, Bechern, Zahn-

Plötzlich wird der Ballon in die flasche gesaugt: Selina und Seraina zeigen mit einem experi- ment, dass sich luft zusammenzieht, wenn sie abkühlt. raùl demonstriert, dass luft ein gewicht hat.

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stochern, Strohhalmen, Papier, Wäsche-klammern und allerlei anderen Alltags-materialien basteln sie ihre eigenen Windmessgeräte. Die Handgriffe sitzen. Die Kinder haben sich im Unterricht schon so manches Mal mit technischen Fragen auseinandergesetzt.

einträge im forscherheft

In den vergangenen Wochen, erzählt Seraina, habe die Klasse «ganz viele Experimente gemacht». Stolz zeigt sie ihr Forscherheft und blättert durch die Seiten. Alle Versuche hat sie dort genauestens beschrieben: Sie erklärt, warum sich eine PET-Flasche im Kühl- schrank zusammenzieht. Sie stellt dar, wie man mit einer Flasche und heissem Wasser einen Ballon aufblasen kann. Auch den Versuch mit der Waage und dem Luftballon schildert sie im Detail. «Die Experimente machen Spass», meint Seraina. Ihre Mitschüler Raùl, Sean und Selina können das nur bestätigen: «Wir können Sachen aus- probieren, die wir vorher nicht wussten.»

Die Einträge in den Forscher- heften der Kinder folgen immer dem- selben Schema: Was vermuten sie? Was beobachten sie? Und wie erklären

sie die Zusammenhänge? «Das entspricht wichtigen Kompetenzen, die auch im Lehrplan verlangt werden», erklärt Andrea Lüscher. Oft werde sie gefragt, wie man forschendes Lernen überhaupt benoten könne. «Das ist ganz einfach», entgegnet die Lehrerin dann. Mit Hilfe eines Kompetenzrasters bewertet sie laufend das strategische Vorgehen der Kinder, zum Beispiel wie sie proto- kollieren. Auch inhaltliches Wissen kann sie gut beurteilen – durch Tests und indem sie die Einträge in den Forscher-heften analysiert.

Die Lehrerin ist überzeugt von den Vorteilen des eigenaktiven, forschend- entdeckenden Lernens. Zwar brauche die Vorbereitung der Unterrichtseinheiten mehr Zeit, da sie erst einmal Ideen und Material sammeln müsse. Doch die Durchführung selbst sei nicht aufwän- diger als ‹traditioneller› Unterricht, betont Andrea Lüscher. Was sich jedoch durch diese Form des Unterrichtens grundlegend ändert, sei ihre Rolle als Lehrerin: «Man muss das Lernen an die Schüler übergeben.» Es sei ihre Auf- gabe, immer wieder gezielt neue Impulse zu geben und die Kinder in ihrem Lernen zu begleiten.

swise Das Projekt ‹innovation swise› (swiss science education) unterstützt die teilnehmenden schulen mit einem umfangreichen Paket an massnahmen: Von jeder swise-schule besuchen in den Jahren 2012 bis 2015 je zwei Lehrpersonen weiterbildungsmodule zu den themen ‹forschen und experimentieren›, ‹aufgabenkultur / Lernumgebungen› und ‹ausserschulische Lernorte›. swise fördert Vernetzungen zwischen schulen und er- möglicht es ihnen, gemeinsam unterrichts- und schulentwicklungsprojekte zu erarbeiten. fachpersonen aus der naturwissenschafts- didaktik und schulentwicklung unterstützen sie dabei. ihr wissen und ihre erfahrungen geben die swise-Lehrer in schulinternen und regionalen netzwerktreffen weiter. swise ist eine initiative der Pädagogischen hochschulen Bern, nordwestschweiz, st. gallen, thurgau, zentralschweiz und zürich sowie des zürcher instituts unterstrass, des technoramas in winterthur, der fachstelle erwachsenenbildung Baselland und des Pädagogischen zentrums Basel-stadt. Die stiftung mercator schweiz unterstützt swise mit 1 050 000 franken. auch die avina stiftung und die ernst göhner stiftung fördern das Projekt. www.swise.ch

«Mir ist es wichtig, dass die Kinder selbst Wissen aufbauen. So ist der Lerneffekt am grössten.» anDrea lÜScher, PriMarSchullehrerin

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«diE sChulEN koMMEN iN BEwEGuNG»

schwerpunkt SchulentwicKlung

Wie profitieren Schulen von der Teil- nahme an SWiSE? Die Schulen kommen in Bewe-gung, sie entwickeln sich weiter in Bezug auf forschendes Lernen, in Bezug auf naturwissenschaftlich-technische Bildung. Die Schulen können sich ihrer Stärken, aber auch ihrer Schwächen bewusst werden. Sie bekommen konkrete Ideen für die Unterrichtsentwicklung, sie lernen von den Erfahrungen anderer Schulen. Innerhalb der Schulen und zwischen den teilnehmenden Schulen finden Vernetzungen statt, die es in dieser Form und Intensität bisher noch nicht gegeben hat. Die SWiSE-Lehr- personen haben die Chance, zusammen mit Berufskollegen und mit Unter-stützung von Fachpersonen aus Natur-wissenschaftsdidaktik und Schulent-wicklung ihren Unterricht weiter- zuentwickeln. Für ihr Engagement im Rahmen von SWiSE erhalten sie aus kantonalen, beziehungsweise Stiftungs-mitteln eine Unterrichtsentlastung von einer Lektion.

SWiSE wird umfassend evaluiert. Welche Ergebnisse erwarten Sie? Wir erwarten Antworten auf drei wesentliche Fragen: Was sind nütz- liche Rahmenbedingungen für die Schul- entwicklung? Welche Kompetenzen entwickeln Lehrkräfte durch SWiSE und was trägt zu ihrer Kompetenzentwick-lung bei? Was zeichnet gelungene Unter- richtseinheiten aus? Im Rahmen von SWiSE werden viele Beispiele von guten Unterrichtseinheiten entstehen, die wir breit streuen möchten – über Tagungen, Weiterbildungen, Publikationen und ganz stark auch im Internet.

Wird man die Erfahrungen von SWiSE auf andere Schulentwicklungsprojekte übertragen können? Das ist ein erklärtes Ziel des Projekts. SWiSE ist ein überregionales Grossprojekt, in dem viele sehr un- terschiedliche Institutionen zusammen-arbeiten. Wir werden am Ende sagen können, was für ähnliche Kooperationen

Professor Peter Labudde von der Pädago- gischen Hochschule Nordwestschweiz ist überzeugt: Das Projekt ‹Innovation SWiSE› (Swiss Science Education) zeigt, wie kooperative Unterrichtsentwicklung über Kantons- und Institutionsgrenzen hinweg gelingen kann. Über 60 Deutsch-schweizer Kindergärten, Primarschu- len und Schulen aus der Sekundarstufe I nehmen an SWiSE teil, um das forschend- entdeckende Lernen im naturwissen-schaftlich-technischen Unterricht zu fördern. Die Pädagogische Hochschule Nordwestschweiz hat das Projekt unter der Leitung von Professor Labudde zusammen mit neun weiteren Schweizer Bildungsinstitutionen initiiert.

Herr Labudde, warum setzen Sie sich für das forschende Lernen in der Schule ein? Weil Kinder und Jugendliche gerne forschen. Forschendes Lernen fördert ihre Motivation und steigert damit auch das Interesse am jeweiligen Fach. Wenn Kinder und Jugendliche selbst forschen, können sie ihre Fra- gen und ihre Vorkenntnisse besser ein- bringen. Dadurch behalten sie den Lernstoff besser. Zudem entspricht das forschende Lernen dem wissenschaft- lichen Vorgehen. Zum Unterricht gehört auch, dass man etwas über ein Fach und seine Methoden lernt.

Ist das Interesse am forschenden Lernen auf Seiten der Schulen gross? Das Interesse an sich ist sehr gross. Das spüren wir auch in unserem Pro- jekt SWiSE. Aber trotzdem wird forschen-des Lernen heute noch nicht konse- quent im Unterricht umgesetzt. Viele Lehrkräfte wissen, dass Schüler gerne forschen. Sie sehen die Vorteile des forschend-entdeckenden Lernens und möchten ihren Schülerinnen und Schülern diese Möglichkeiten bieten. Doch im Schulalltag spüren sie oft einen grossen Stoffdruck. Sie bedauern, dass sie nicht die Zeit haben, um forschendes Lernen im Unterricht umzusetzen. Oft fehlen ihnen auch entsprechende didakti- sche Ideen und Unterrichtsmaterialien.

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förderlich ist – und was nicht. Wir werden wissen, welche Strukturen man schaffen muss, welche Faktoren Ver- netzungen begünstigen, welche Schwie-rigkeiten auftauchen können und wie finanzielle Flüsse geregelt werden sollten. Zwei Kantone verknüpfen die SWiSE-Schulen mit der Einführung des Lehrplans 21. Wir können hier Erfahrun-gen sammeln, die für die weitere Einführung hilfreich sein werden.

Wie sind Sie mit dem bisherigen Projektverlauf zufrieden? Wir sind sehr zufrieden! Unsere Hoffnungen wurden bisher erfüllt – und sogar übertroffen. Im Januar 2008 fand ein erstes Treffen von knapp 20 Bildungsinstitutionen statt, in dem wir uns gefragt haben, was wir überhaupt zur Förderung des forschend-entdecken-den Lernens in den Naturwissenschaf- ten machen möchten. Inzwischen haben wir viel erreicht: Wir haben zehn sehr unterschiedliche Bildungsinstitutionen vernetzt und mit SWiSE ein gemein- sames Dach geschaffen. In den ersten zwei Jahren war SWiSE eine koordinierte Weiterbildungsinitiative dieser Insti- tutionen. Mittlerweile befinden wir uns in der zweiten, in der zentralen Phase

Kontakt: Pädagogische hochschule nordwestschweiz, Prof. Peter labudde, [email protected]

des Projekts. Wir arbeiten mit über 60 SWiSE-Schulen zusammen, das sind viel mehr Schulen als wir erwartet hatten. Die Lehrpersonen sind hochmotiviert. Ich bin optimistisch, dass gute Dinge passieren werden.

Was sind die Herausforderungen einer solch grossen überregionalen Kooperation? Ich kann nur sagen: Föderalismus. Föderalismus. Föderalismus. Die Rahmenbedingungen in den beteiligten Kantonen und damit auch bei den Schu-len, Lehrkräften und Pädagogischen Hochschulen sind sehr unterschiedlich. In den letzten Jahren haben wir uns intensiv bemüht, dass es trotz der sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen möglich ist, an einem gemeinsamen Projekt zu arbeiten. Die andere Heraus-forderung liegt darin, zu schauen: Wo sind die Stärken der einzelnen Akteure? Wie kann man die jeweiligen Stärken für das Gesamtprojekt nutzen?

«experimente machen Spass», finden Sean, Philippe und raùl (v.l.). Konzentriert bauen sie ihre eigenen windmessgeräte.

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schwerpunkt SchulentwicKlung

Frau Zala-Mezö, wie sieht die Schule von morgen aus? Die Schule von morgen ist eine Schule, die auf aktuelle gesellschaftliche Veränderungen und Herausforderun- gen reagieren kann. Gleichzeitig geht sie auf die Bedürfnisse der Kinder ein und ermöglicht es ihnen, ihren Schulalltag mitzugestalten. Die Schule von morgen weckt Neugier und macht Spass. Sie ist offen, flexibel und anpassungsfähig.

Woran müssen sich Schulen denn anpassen? Eine Frage, die im Moment viele Schulen beschäftigt, ist der Umgang mit Vielfalt. Auch die Integration von neuen Medien in den Unterricht oder die Schüler- und Elternpartizipation sind wichtige Themen, das zeigen die Pro- jekte im Rahmen von ‹Schulen lernen von Schulen›. Doch gesellschaftliche Herausforderungen ändern sich heute sehr schnell, zudem sind sie lokal sehr unterschiedlich. Man reist nur wenige Kilometer, dann sind die Bedürf- nisse der Schülerinnen und Schüler auf einmal ganz andere.

Was kennzeichnet ein gutes Schulent-wicklungsprojekt? Schulentwicklung ist im Grunde immer ein Problemlöseprozess. Dieser Prozess kann reaktiv sein: Wenn ein Problem bereits besteht, versucht

man, Notlösungen zu erarbeiten. Der Prozess kann aber auch proaktiv sein: Eine Schule macht sich Gedanken darüber, was sie in fünf oder zehn Jahren in ihrem gegebenen Umfeld er- reichen muss. Eine wirklich gute und sehr effiziente Schulentwicklung ist eine proaktive Problemlösestrategie.

Welche Trends erkennen Sie in der Schulentwicklung? Wenn ich die sls-Projekte an- schaue, sehe ich zwei grosse Gruppen von Schulen: Ein Teil der Schulen setzt sich mit Fragen der Individuali- sierung auseinander. Diese Schulen kommen weg vom lehrerzentrierten Unterricht. Sie verstehen den Lernpro-zess als einen von Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern gemein- sam gestalteten Prozess. Diese Schulen geben im positiven Sinne Verantwor- tung ab. Sie wissen: Wer für sein eigenes Lernen verantwortlich ist, lernt moti- vierter. Die zweite Gruppe besteht aus Schulen, die sich mit ihren Projekten sehr gut in ihrer lokalen Umgebung verankern. Diese Schulen beschäftigen sich mit den Fragen: Wo befinden wir uns? Was sind unsere lokalen Gegeben-heiten? Wie können wir mit diesen arbeiten? Sie versuchen aus dem, was ihr Umfeld prägt, eine besondere Stärke zu machen. Dadurch können diese Schulen ein spezielles Profil entwickeln.

NiCht JEdE sChulE Muss BEi Null ANfANGENJedes Projekt hat seinen eigenen charakter. Jede initiative entspricht einem anderen Bedürfnis. Doch eins haben alle 23 Schulentwicklungsmassnahmen, die die Pädago- gische hochschule zürich in den vergangenen fünf Jahren im rahmen ihres Projekts ‹Schulen lernen von Schulen› (sls) ausgezeichnet hat, gemeinsam: Sie begegnen aktuellen gesellschaftlichen herausforderungen. ein gespräch mit Projektleiterin Dr. enikö zala-Mezö.

interView / naDine fieKe

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schuLen Lernen Von schuLen mit dem Projekt ‹schulen lernen von schulen› (sls) macht die Pädagogische hochschule zürich in Kooperation mit dem Volksschulamt des Kantons zürich erfahrungen und Produkte aus innovativen lokalen unterrichts- und schulent-wicklungsprojekten für andere schulen zugäng-lich. Dafür fand in den Jahren 2008 bis 2012 ein Preisausschreiben statt, in dem vorbildliche und nachahmenswerte massnahmen im Kanton zürich jährlich mit geldpreisen zwischen 10 000 und 40 000 franken ausgezeichnet wurden. ein wichtiges anliegen des Projekts ist es, schulen untereinander und mit der hoch-schule zu vernetzen. Dieses netzwerk garantiert einen systematischen erfahrungsaustausch und wissenstransfer zwischen schulen, Lehrer- bildung, Bildungspolitik und -verwaltung. auch wenn das Preisausschreiben nach 2012 nicht mehr stattfindet, sollen das sls-netzwerk und der darin entstandene austausch weitergepflegt und ausgebaut werden. Die stiftung mercator schweiz hat das Projekt sls in den Jahren 2008 bis 2012 mit 1 735 000 franken gefördert. www.projekt-sls.ch

Welchen Herausforderungen stehen Schulen gegenüber, die eigene Schulent-wicklungsprojekte umsetzen möchten? Die grösste Herausforderung ist, das eigene Kollegium für das An- liegen zu gewinnen: Ein Thema, ein Ziel, eine Vision muss wirklich vom Kolle-gium getragen werden. Es braucht Zeit, bis ein ganzes Lehrerteam aus 40 bis 50 Personen hinter einem Thema steht. Die Lehrpersonen müssen über ihre eigenen Werte diskutieren, das ist immer sehr emotional und kein einfacher Prozess. Auch das Umfeld der Schule muss hinter der Entwicklung stehen, allen voran die Eltern. Der Einbezug der Eltern und Kinder ist im Schulent-wicklungsprozess die zweite grosse Her-ausforderung. Wenn Schulen etwas Neues einführen wollen, brauchen sie eine gewisse Akzeptanz und müssen Vertrauen gewinnen. Und das bedeutet auch Beziehungsarbeit – in Richtung Politik, Elternschaft und Schulgemeinde.

Wo brauchen Schulen Unterstützung in der Schulentwicklung? Jedes Schulentwicklungsprojekt braucht Zeit und Ressourcen. Hier kann man Schulen unterstützen – zum Beispiel mit Entlastungsstunden. Manch- mal brauchen Schulentwicklungspro- jekte auch eine externe Beratung, eine Begleitung durch Aussenstehende. Das machen wir auch im Projekt sls: Um die Gelingensfaktoren in Schulentwick-lungsprozessen besser zu verstehen, führen wir mit den Lehrpersonen aus den Schulen Interviews und werten diese mit Methoden der qualitativen Sozial- forschung aus. Die Resultate tragen wir jeweils in die Schulen zurück. Damit halten wir den Schulen einen Spiegel vor: Sie können sich aus einer ge- wissen Distanz betrachten. Das hilft ihnen oft, weiterzukommen.

Ihr Projekt heisst ‹Schulen lernen von Schulen›. Was können Schulen voneinander lernen? Wenn eine Schule sich mit einer anderen Schule austauscht, dann lernt sie am meisten über sich selbst. Wenn zwei Schulen zusammenkommen, sind sie gezwungen, zu erklären, warum sie so arbeiten, wie sie es tun. Durch diesen Austausch beginnt eine gemeinsame Reflexion im Schul- team. Es starten Diskussionen über Ziele, darüber, was eine gute Schule ist.

Der Schulalltag ist zeitlich sehr eng, da ist es oft schwierig, Momente zu fin- den, um die eigenen Prozesse mit etwas Distanz anzuschauen. Der gezielte Austausch mit anderen Schulen macht dies möglich. Durch den Austausch bekommen die Schulen ausserdem kon- krete Anregungen und Ideen. Sie lernen von den Erfahrungen, die andere Schulen bereits in ihren Schulentwick-lungsprojekten gemacht haben.

Wie fördert das Projekt sls das gegen- seitige Lernen? Dass Schulen von Schulen lernen, ist in der Schweiz nicht sehr verbreitet. Um Vernetzungen und den Austausch zwischen Schulen zu stärken, organisie-ren wir Vernetzungstagungen und Austauschtreffen. An unseren Vernet-zungstagungen geht es vor allem darum, dass sich die Leute kennenlernen. Wir geben den Teilnehmern konkrete Anregungen und zeigen ihnen, wel-che Projekte es bereits gibt. Ausserdem möchten wir Schulen ermutigen: Sie sollen sehen, dass andere Schulen es schaffen, grössere Projekte aufzugleisen – und dass sie es auch schaffen können. Unsere Austauschtreffen sind the- matische Nachmittage mit Experten zu wechselnden Themen, zum Beispiel zur Frage ‹Was ist eine gute Aufgabe?›. Die Austauschtreffen ermöglichen part- nerschaftliche Begegnungen zwischen Experten aus der Schulpraxis und Dozie-renden der PH Zürich. So erfahren die Teilnehmer, welche Themen Schulen und Wissenschaft aktuell beschäftigen.

Auf diese Weise lernen durch das Projekt sls nicht nur die Schulen voneinander, auch die Pädagogische Hochschule lernt von den Schulen. Absolut. Wir müssen als Pädagogi-sche Hochschule verstehen, was die Probleme und Herausforderungen für Schulen sind. Wir haben einen Leis-tungsauftrag im Bereich der Weiterbil-dung, Forschung und Ausbildung von Lehrpersonen. Damit wir wirklich ‹up to date› sind und die Weiterbil- dungen anbieten können, die die Schu- len und Lehrpersonen wirklich wollen und brauchen, sind wir auf diesen regelmässigen Austausch mit Schulen angewiesen.

Kontakt: Pädagogische hochschule zürich, Dr. enikö zala-Mezö, [email protected]

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schwerpunkt SchulentwicKlung

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füNf BEdürfNissE, füNf ProJEktE

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5

3

1 Primarschule nordstrasse, zürich2 Primarschule Dachsen3 Sekundarschule ruggenacher, regensdorf4 Primarschule Schlatt bei winterthur5 Quartierschule riedtli / Schulkreis waidberg, zürich

im rahmen von ‹Schulen lernen von Schulen› hat die Pädagogische hochschule zürich im Jahr 2012 fünf Schulen ausgezeichnet.

texte / naDine fieKe

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‹3 räuMe›PriMarSchule SchÜlercluB norDStraSSe, zÜrich

Jeden Freitag ist ‹3-Räume-Tag› in der Primar schule Schülerclub Nordstrasse. Dann arbeiten die Kin der am Vormittag nicht in ihren Klassenzimmern, sondern in einem von drei Räumen, den sie sich selbst aussuchen: Zwei Räume sind ausschliess- lich für schulische Arbeit vorgesehen. Im dritten Raum stehen Bücher, Spiele, Baumaterial, Papier, Stifte und Farbe zur Verfügung. «In jedem Raum gelten andere Regeln», erklärt Schulleiter Christian Gerber. Je nach Raum arbeiten die Kinder allein oder gemeinsam, mit mehr oder mit weniger Unterstützung. Sie dürfen den Raum jederzeit wechseln. Damit bestimmen sie selbst Inhalt, Rhythmus und Tempo ihres Lernens.

wichtiger schritt

Der Umgang mit Vielfalt ist eine zentrale Frage für die Schule: Wie kann der Unterricht so geöffnet werden, dass alle Kinder sich wohl fühlen und Erfolg haben? Mit dem Projekt ‹3 Räume› hat die Primarschule, die seit dem Schuljahr 2005 / 2006 in altersgemischten Klassen organisiert ist, eine Antwort gefunden: «Die drei Räume sind ein weiterer Schritt auf unserem integrativen Weg», betont der Schulleiter. «Durch das Projekt findet die Indi- vi dualisierung nicht nur in Bezug auf die Lernziele, sondern auch auf die Lernumgebung statt.»

zentraLe PäDagogische fragen

Im Jahr 2008 wurde das Projekt in den 4. bis 6. Klas- sen eingeführt, seit 2010 läuft es im ganzen Schul haus – mit Erfolg: Am 3-Räume-Tag herrscht eine arbeitsame und entspannte Stimmung, die sich auf das Arbeitsklima an den anderen Wochenta-gen auswirkt. Die Schüler planen einige Arbeiten und Aufgaben in ihrem Wochenplan bewusst auf den Freitag – weil sie in den drei Räumen die richtige Umgebung dafür vorfinden, weil klassenübergreifen-de Projekte möglich sind und weil sie sich auch mit ihren persönlichen Zielen und Aufgaben beschäf - tigen können. Die drei Räume ermöglichen es den Kindern, ihr Lernen selbst in die Hand zu neh- men. Zu dem erlaubt das Projekt den Lehrpersonen einen neuen Blick auf die Kinder – und diese Be- obachtungen regen den Austausch über zentrale pädagogische Fragen an: Warum hält sich ein Kind so oft im dritten Raum auf ? Welche Angebote fehlen Kindern, die in keiner der drei Lernumge-bungen ihren Ort finden?

Kontakt: Primarschule Schülerclub nordstrasse, christian gerber, christian.gerber@schulen.zuerich.chwww.schuelerclubnordstrasse.ch

Drei räume, drei lernumgebungen: Die Kinder können mit unter- stützung an ihren themen arbeiten, allein ihre aufgaben erledigen – und spielen. in jedem der drei räume gelten andere regeln.

schwerpunkt SchulentwicKlung

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50 Mercator Magazin 02 / 12

schwerpunkt SchulentwicKlung

MenSchennahe natur erleBen aM BeiSPiel roSaliePriMarSchule DachSen

Als das Schulteam der Primarschule Dachsen das Schulprogramm 2009 – 2012 erarbeitete, stand schnell fest: Naturnaher Unterricht sollte die nächs- ten drei Schuljahre prägen. «Uns war es wichtig, dass die Kinder natürliche Kreisläufe ganzheitlich erfahren», erklärt Schulleiterin Käthi Furrer. Da der vom Menschen gestalteten und genutzten (der menschennahen) Natur ein besonderes Interes-se galt, fand der Unterricht in Dachsen regelmäs - sig auf einem Bauernhof statt. Das Vorhaben startete mit der Geburt eines Kalbs, das die Schule ‹adop-tierte› und das die Kinder Rosalie tauften. Rosalie stand im Mittelpunkt des Projekts. Drumherum fanden auf dem Bauernhof, im Garten, im Reb- berg und auf dem Feld viele klassenübergreifende, altersdurchmischte Lektionen und naturnahe Aktivitäten statt. Die Kinder fütterten Kälber, melk-ten Kühe, ernteten Kartoffeln, sammelten Eier, lasen Trauben… Sie konnten auf diese Weise die Nahrungsmittelkette besser verstehen und lernten die Maschinen auf dem Bauernhof kennen.

iDentifiKation unD ProfiLierung

Der Bauernhof wurde zu einer Aussenstelle der Schule. Viele Kinder zeigten ihren Eltern am Wo chenende Rosalie, die zur schnellen Erkennung als einziges Tier eine Glocke um den Hals trug. Das Projekt stärkte durch seinen starken Bezug zur lokalen Lebens- und Erfahrungswelt die Ident i fi-kation mit der Schule, trug zu ihrer Profilierung im Schwerpunkt des naturnahen Unterrichts bei und sorgte auf allen Ebenen – in der Schülerschaft, im Elternrat, in der Schulpflege, im Lehrerkollegi-um und in der Gemeinde – für Begeisterung: «Die Kinder liebten Rosalie und die Arbeit auf dem Bauernhof», freut sich die Schulleiterin. «Sie kamen mit Tieren, Pflanzen und vielen praktischen Dingen in Berührung – und dies körperlich, emo-tional und geistig.» Alle Kinder, doch vor allem auch grobmotorisch veranlagte und solche mit son- der pädagogischen Bedürfnissen, konnten sich in diesem Projekt entfalten.

weitere zusammenarBeit

«Naturgemäss hätte Rosalie im dritten Schuljahr selber trächtig werden und ein Kalb gebären sollen», sagt Käthi Furrer. «Leider wurde sie krank und musste geschlachtet werden.» Viele Klassen nahmen Abschied von Rosalie. Die Zusammenarbeit mit dem Bauernhof führt die Primarschule Dachsen fort. Rosalie wird vorläufig nicht ersetzt, doch in ein paar Jahren lässt sich das Projekt mit einem neuen Kalb neu starten.

zu erleben, wie rosalie aufwuchs, war ein besonderes erlebnis für die Kinder. ganze unterrichtseinheiten fanden auf dem Bauernhof statt.

Kontakt: Primarschule Dachsen, Käthi furrer, [email protected], www.primarschuledachsen.ch

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VarianteSchulKreiS waiDBerg, zÜrich

Manche Schüler brauchen eine Auszeit – ein ‹Time-out›: weil sie die Arbeit im Unterricht verweigern, weil sie den Unterricht stark stören, in Schlägereien verwickelt sind oder sich in einer schwierigen Lebenssituation befinden. Der Zürcher Schulkreis Waidberg hat mit dem Projekt ‹Variante› ein nieder-schwelliges Unterstützungsangebot entwickelt, das kurzfristig und unkompliziert bis zu acht Schüler der Oberstufenschulhäuser Milchbuck, Waidhalde, Lachenzelg und Riedtli für zwölf Wochen auf nim mt, betreut und während dieser Zeit ihrem Leistungs- niveau entsprechend fördert.

intensiVe auseinanDersetzung

Die ‹Time-out-Klasse› der ‹Variante› ist geprägt durch individuelle Schulungen, erlebnispädagogi-sche Unternehmungen, Arbeits- und Gemein-schaftsprojekte. «Es geht nicht darum, mit dem Angebot schulische Lücken zu stopfen», betont der Projektleiter Reto Pfirter. «Die Persönlichkeits-entwicklung steht im Zentrum der ‹Variante›. In diesem Bereich kann man viel erreichen.» Interdis-ziplinäre Arbeitsmethoden, eine enge Zusammen-arbeit mit den Erziehungsberechtigten und der Einbezug der Lehrpersonen und der Stammklasse er möglichen eine ganzheitliche Auseinandersetzung mit den Schülern. Wenn die Probleme geklärt, die Schwierigkeiten abgeklungen und Lösungen ge - funden sind, gehen die Schüler zurück in ihre Stammklassen. Diese Reintegration ist ein erklärtes Ziel des Projekts. «Wichtig ist, dass die Schüler freiwillig am Programm teilnehmen und dass sie die Auszeit rechtzeitig nehmen», sagt Reto Pfirter. Denn die ‹Variante› sei vor allem ein präventives Angebot.

rücKKehr in Die KLasse

Seit dem Schuljahr 2009 /2010 läuft das Projekt – mit guten Erfahrungen: 70 Prozent der Variante-Teilnehmer gehen in ihre Stammklassen zurück. Die Auszeit bringt Ruhe in die Klassen und entlastet die Lehrer. Mittlerweile ist das Angebot bei den Schülern und Eltern des Schulkreises gut bekannt und wird rege genutzt. «Die ‹Variante› bietet einen direkten Zugang zu Lösungen, wovon Schüler, Lehrer, Klassen, Eltern und das Umfeld profitieren», erklärt der Projektleiter. Es zeige sich, dass durch das Angebot weniger Einzelunterricht nötig ist, es gibt weniger Heimeinweisungen und Zuweisungen in externe Privatschulen.

Kontakt: Quartierschule riedtli, reto Pfirter, [email protected]

zwei tage in der woche verbringen die Variante-Schüler ausserhalb des Klassenzimmers. Die aktivitäten – wie diese Kooperationsübungen im wald – fördern die Persönlichkeitsentwicklung der Jugendlichen.

schwerpunkt SchulentwicKlung

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schwerpunkt SchulentwicKlung

Kontakt: Primarschule Schlatt, esther Kihm, [email protected], www.schule-schlatt.ch

KinDer BeStiMMen Mit!PriMarSchule Schlatt

Die Meinung der Kinder ist gefragt: Der Schülerrat gestaltet das Schulleben aktiv mit – dazu zählen auch regelmässige Veranstaltungen im Schulhausfoyer.

«Unsere Schülerpartizipation sollte praktisch, sinn - voll und nachhaltig in den Schulalltag eingefügt werden», erinnert sich Schulleiterin Esther Kihm an die Gründung des Schülerrates der Primar - schule Schlatt bei Winterthur. Wichtig war dem Schul team, dass der Schülerrat keine Klagemauer ist, sondern ein wirksames Gefäss für die aktive Mitgestaltung des schulischen Zusammenlebens. Die Schüler sollen ihre Ideen und Anliegen, die den Schulalltag und die Schulgemeinschaft betreffen, über den Schülerrat einbringen können. Sie sollen Verantwortung übernehmen für die Ausgestal - tung der Schulhauskultur.

gestaLtung Der ‹wochenmitten›

Seit dem Schuljahr 2009 /2010 trifft sich der sechs-köpfige Schülerrat alle zwei Wochen, um die An- liegen der einzelnen Klassenräte zu diskutieren. Als Bindeglied zwischen Klassenräten und Schulteam trägt der Schülerrat die Bedürfnisse der Mitschüler ins Lehrerkollegium, um gemeinsam nach Lösun- gen zu suchen. Ein wichtiger Teil der Arbeit des Schü ler rates besteht in der Vorbereitung der so ge- nannten ‹Wochenmitten›. Diese finden alle zwei Wochen im Schulfoyer statt. Dann arbeitet die ganze Schule während einer Lektion in altersgemischten Gruppen – den so genannten ‹Schulfamilien› – zu den vom Schülerrat entwickelten Inhalten, die jeweils zum Jahresthema der Schule passen. So haben die Kinder beispielsweise zum Thema ‹For-schungsreise zu den Gegenständen des Alltags› Gesellschaftsspiele vorgestellt und in den Schulfa- mi lien gespielt. Eine wichtige Leistung war auch die Überarbeitung der Schulhausregeln.

PositiVe auswirKungen

Die Schulleiterin beobachtet positive Auswirkungen der Schülerpartizipation auf das Schulleben: Die Kinder lernen früh, sich in unterschiedlichen Gruppen zu bewegen und mit unterschiedlichen Meinungen umzugehen. Sie erfahren, dass sie mit jedem zusammenarbeiten können – und vor allem lernen sie viel voneinander. «Unser Schülerrat ist ein wichtiges Übungsfeld fürs ganze Leben», ist Esther Kihm überzeugt. Die Kinder aus Schlatt schätzen ihren Schülerrat, den sie jeweils für ein Jahr wählen. Die Schülerräte haben eine Vorbild- funk tion in der Schule und üben sich erfolgreich als Streit schlichter.

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schwerpunkt SchulentwicKlung

SeK-MoDellSeKunDarSchule ruggenacher, regenSDorf

Die Sekundarschule Ruggenacher in Regensdorf be findet sich in der Umstellung von einer geglieder - ten Sekundarschule in ein Modell mit Lernland-schaften: Ab dem Schuljahr 2013 /2014 findet das Lernen zum Teil in Inputräumen statt, wo traditionell unterrichtet wird. Zudem haben die Schüler einen persönlichen Arbeitsplatz in einem Lernatelier, wo sie an ihren individuellen Aufträgen arbeiten. «Mit unserem neuen Schulmodell möchten wir die Schüle-rinnen und Schüler individuell fördern und in ihrem eigenverantwortlichen Handeln stärken», erklärt Schulleiter Vittorio Zappia.

schrittweise umsetzung

Die Umsetzung des neuen Schulmodells erfolgt schritt weise – und sie wurde mit der vom Kanton Zü rich geforderten Neugestaltung der 3. Sek ver-knüpft: In Deutsch, Mathematik, Französisch und Na Tech können die Jugendlichen entsprechend ihrer Stellwerk-Ergebnisse Wahlfächer und Lernatelier- Lektionen besuchen, um ihre Stärken aus zubauen oder ihre Lücken zu schliessen. Die Präsenzzeit beträgt für alle Drittklässler 36 Lektionen (zuvor waren es je nach Wahlfächern 30 bis 34), einen gro ssen Teil davon arbeiten sie individuell im Lern -atelier. Für den Projektunterricht zur Stärkung überfachlicher Kompetenzen sind drei Lektionen vor - gesehen, die sich auf drei Wochen konzentrieren. Der Pflicht- und Wahlfachunterricht wird durch Frei- fachkurse im sportlichen und musischen Bereich er- gänzt, die jahrgangsübergreifend angeboten werden. Zudem findet für die Drittklässler einmal pro Woche ein Coaching zur Berufsvorbereitung statt.

wertVoLLe erfahrungen

«Den Auftrag der Bildungsdirektion, die 3. Sek neu zu gestalten, haben wir ausgeweitet», erklärt Vittorio Zappia. Die Sekundarschule Ruggenacher hatte einen Weg gesucht, der nicht nur zu ihrer aktuellen Schul entwicklung passt und das eigenverantwortliche Lernen der Schüler ins Zentrum stellt; die Lösung sollte das künftige Schulmodell möglichst auch vorbereiten. Mit ihrem neuen Sek-Modell kann die Schule bereits vor der Einführung der Lernland-schaften wertvolle Erfahrungen im personalisierten Lernen in heterogenen Gruppen sammeln.

neugestaLtung 3. seK mit der neugestaltung der 3. sek möchte der Kanton zürich Jugendliche noch gezielter auf einen erfolgreichen übertritt in die Berufs-lehre oder in eine weiterführende schule vor - bereiten. ziel der neugestaltung ist eine engere und frühzeitigere zusammenarbeit von schule, Berufsberatung und eltern im Berufswahl-prozess. auf grundlage des standardisierten Leistungstests ‹stellwerk 8› findet mitte der 2. sek eine individuelle standortbestimmung der schüler statt. Durch ein individuelles förderangebot im wahlfachbereich sollen die Jugendlichen entsprechend ihres Potenzials optimal gefördert werden. zur förderung von selbst-, sozial- und methodenkompetenzen sind Projektunterricht und eine abschlussarbeit in der 3. sek vorgesehen. www.vsa.zh.ch

im lernatelier beschäftigen sich die Sekundarschüler individuell mit ihren aufgaben. Bei der einteilung ihrer arbeiten hilft ihnen ihr persönliches Planungsbuch.

Kontakt: Sekundarschule ruggenacher, Vittorio zappia, [email protected], www.ruggenacher.ch

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schwerpunkt SchulentwicKlung

text / Prof. franK BrÜcKel

Wie können Schulen rechtzeitig auf ge- sellschaftliche Veränderungen und Herausforderungen reagieren? Das ist die zentrale Frage des Weiterbildungslehr-gangs ‹CAS Schulentwicklung Internati-onal›, den die Pädagogische Hochschule Zürich seit Februar 2012 zusammen mit der Hochschule Amsterdam und dem Schulamt des Fürstentums Liechtenstein anbietet. Die Stiftung Mercator Schweiz unterstützt das Programm in den Jahren 2012 bis 2015 mit 164 400 Franken.

fragen Der schuLentwicKLung

Schulleitungen und Lehrpersonen der drei beteiligten Länder diskutieren in diesem Lehrgang schulrelevante gesell- schaftliche Zukunftstrends wie Migration oder Veränderungen in der Informa- tions- und Kommunikationstechnologie. Sie reflektieren damit verbundene Fragen der Schulentwicklung und erar-beiten Strategien, um die im Lehrgang entstandenen Entwicklungsideen an den eigenen Schulen umsetzen zu können. Zentral sind gegenseitige Schulbesuche, bei denen die Kursteilnehmer vertiefte Einblicke in den Schulalltag anderer Länder erhalten. Anschliessend verknüp-fen Dozierende der beteiligten Länder die Eindrücke mit aktuellen Theorien der Schulentwicklung. Jeder Teilnehmer entwickelt zum Abschluss ein aus den Bedürfnissen seiner Schule erwachsenes Projekt. Die Inhalte dieser Projekte sind sehr breit: Sie reichen von Fragen der Kooperation unter Lehrpersonen in jahrgangsgemischten Klassen über Elternpartizipation hin zu einer optimierten Hausaufgabenförderung.

lEhrEr hABEN diE zukuNft iM BliCk

BegLeitenDe forschung

Eine Forschungsgruppe der Pädagogi-schen Hochschule Zürich begleitet den Lehrgang. Sie untersucht die Erwar- tungen der Teilnehmer, die konkreten Lernergebnisse und den Erfolg der in der Weiterbildung entwickelten Schul- projekte. Erste Ergebnisse zeigen eine grosse Zufriedenheit. So schreibt ein Teilnehmer nach einer gemeinsamen Studienwoche in Zürich im Evaluations-bogen: «Es ist mir bewusst(er) gewor-den, wie eng Schul- und Gesellschafts-entwicklung miteinander verbunden sind. Ich erhielt einen übergeordneten Blick auf die Entwicklungen in der Schule der vergangenen Jahre und kann nun besser verstehen und Kritikern gegenüber argumentieren, aus welchem (europäischen) Zusammenhang heraus gewisse Reformen entstanden sind, die heute unseren lokalen Schulalltag prägen (Schulleitung, PISA, Eltern- mitsprache, Integration...).»

Die Diskussionen unter den internationalen Teilnehmern und die Auseinandersetzung mit den persön- lichen Eindrücken der Schulbesuche sind zentrale Bestandteile der Weiterbil-dung. Drei Lehrpersonen aus Holland und der Schweiz erzählen, wie sie diesen Austausch erleben und was ihnen in den Schulen im Ausland aufgefallen ist.

Prof. franK BrÜcKel ist Dozent an der Päda-gogischen hochschule zürich und leiter des lehrgangs ‹caS Schulentwicklung international: holland / Schweiz / fürstentum liechtenstein›. [email protected]

thomas röthlisberger (Bild oben), fedor de groot und Martina Baur schätzen den austausch mit den internationalen Berufskollegen sehr.

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Am Anfang ist man meist sehr begeistert von dem, was man sieht. Doch dann folgt häufig eine zweite Phase, in der man Distanz nimmt und die Eindrücke kritischer betrachtet: Was ist gut? Was ist problematisch? Was würde auch bei uns funktionieren? Was ist überhaupt erstrebenswert? Genau dann entstehen im Gespräch mit anderen Lehrpersonen neue Ideen. Mir ist aufgefallen, dass die holländischen Schulen sich vorbildlich zu verkaufen wissen und viel in ihren Aussenauftritt investieren. Dadurch, dass es in Holland eine freie Schulwahl gibt, müssen sich die Schulen ein ganz klares Profil schaffen, um von sich zu über-zeugen. Damit sind sie uns in der Öffent- lichkeitsarbeit in vielen Belangen voraus – sei es der Webauftritt oder der Einbe-zug der Eltern ins tägliche Schulleben. Moderne Kommunikationsmittel spielen in den zwei von uns besuchten Schulen, dem Jan van Egmond Lyceum und der Ijburg School, eine wichtige Rolle. In der Ijburg School (Sekundarstufe und Gymnasium) hatte jeder Schüler ein Mac Book Air auf dem Pult. Es gab keine Bücher mehr, auch ihre Notizen haben die Schüler auf dem Laptop mitgeschrie-ben, sie haben sich Termine digital vermerkt, Präsentationen vorbereitet und den Mentoren Aufgaben per DropBox eingereicht. Im ganzen Schul- haus waren viele Arbeitsnischen ver- teilt – mit Computerstationen, die die Schüler nutzen können. Tatsächlich hat man viele kleine Gruppen gesehen, die selbstständig gearbeitet haben.

Es ist spannend, in einer internationalen Gruppe zu arbeiten – auch wenn es manchmal eine Herausforderung ist, kul- turelle und sprachliche Unterschiede zu überwinden. Eine besondere Erfah-rung war es, Schulen in der Schweiz und in Liechtenstein zu besuchen: Die Schulklassen sind viel kleiner als bei uns, es gibt viel mehr Platz. Der Unter- richt ist strukturierter und die Kinder sind disziplinierter. Überrascht hat mich, dass ich in der Unterstufe keine

Computer gesehen habe. In der Schweiz sind die öffentlichen Schulen mehr oder weniger gleich – im Gegensatz zu den Niederlanden. Bei uns gibt es zwischen den Schulen grosse Unterschiede, da sie sehr grosse Freiheiten in der Gestal- tung ihres Lehrplans haben. So gibt es in den Niederlanden zum Beispiel öffent- liche Montessori Schulen, während diese in der Schweiz privat sind. Diese ein- fache Tatsache macht einen grossen Un- terschied im Bildungswesen. Es ist toll, diese Themen mit Lehrpersonen aus der Schweiz und aus Liechtenstein zu disku- tieren. Dadurch denkt man darüber nach, warum wir Dinge tun, wie wir sie tun – und wir können voneinander lernen.

Ich profitiere sehr von den Inputs der Dozenten, vom Gespräch mit den anderen Teilnehmern – und ganz be- sonders vom Nachfragen: Warum machst du das so? Dadurch kann ich verglei-chen, meine eigenen Ansichten hinter-fragen. Der Austausch ermöglicht mir zusammen mit den Schulbesuchen ganz neue Sichtweisen auf den Schulalltag. Schulen in Holland müssen aufgrund der freien Schulwahl ein klares Profil haben. Und das hat Auswirkungen auf das ganze Schulhaus: Im Kollegium besteht ein einheitliches Denken zur Lehr- und Lernkultur. Das führt zu einer engeren Zusammenarbeit im Team und

feDor De groot, aMSterDaM

Martina Baur,fällanDen

mit den Eltern. Grosse Themen werden oft fächerübergreifend behandelt. Bei den Aufgaben geht es darum, die Welt ins Schulzimmer zu holen und dadurch die Themen für die Kinder interessant zu machen. Viele Schulzimmer haben offene Türen oder Glaswände. Dadurch gibt es eine sehr grosse Transparenz und Offenheit in der Schule, alles wirkt sehr lebendig. Aber es arbeiten viel mehr Schüler in einem kleineren Raum als bei uns. Interessant finde ich, wie die Schulen immer wieder durch Um- fragen die Zufriedenheit der Eltern erfassen, um daraus Verbesserungen zu erarbeiten.

thoMaS röthliSBerger, VolKetSwil

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schwerpunkt SchulentwicKlung

stärkEN iM fokus

text / regula haag

Wofür braucht es Begabungsförderung in der Volksschule, wenn diese schon vor vielen anderen Herausforderungen steht, wie zum Beispiel der gestiegenen Heterogenität in den Klassen? Wem nützt eine Begabungsförderung? Und was genau bedeutet Begabungsförderung? Im Zusammenhang mit dem LISSA-Preis tauchen diese Fragen immer wieder auf. Es sind spannende Fragen, vor allem mit Blick auf die aktuelle Schulentwicklung.

inDiViDuaLisierter unterricht

Die Volksschule hat den Anspruch, jedem Kind die bestmöglichen Entwicklungs- bedingungen und adäquate Bildung zu bieten. Die heterogene Zusammen- setzung der Schulklassen erschwert dies. Doch die Schulentwicklung, die sich einen individualisierten Unterricht zum Ziel setzt, begegnet dieser Heraus- forderung: Die Schulklasse wird zu einer Lerngemeinschaft mit verschiedenen Lernaktivitäten, Lerninhalten und Lern- schwierigkeiten. Solcherart indivi- dualisierter Unterricht kann die Stärken der einzelnen Kinder fördern, denn Begabungen werden erkannt und ge-winnen an Bedeutung.

Mit dieser Schul- und Unterrichts-entwicklung einher geht ein Paradig- menwechsel, der wegkommt von der Defi- zitorientierung und sich auf die Stärken der Kinder konzentriert. Die Stiftung für hochbegabte Kinder ist überzeugt: Alle Kinder haben Begabungen, seien sie

alle Kinder haben Begabungen, betont die Stiftung für hochbegabte Kinder. Schulen, die individuelle Begabungen fördern, stärken Kinder in ihrer Persön- lichkeitsentwicklung. auf welch vielfältige weise Begabungsförderung im unterricht möglich ist, zeigen die 43 Schulen, die seit 2004 mit dem liSSa-Preis ausgezeichnet wurden.

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Lissa-Preisträger 2012 1. rang (10 000 franken): — Primarschule mythen und haggen ricken- bach (sz): fit und stark fürs Leben 2012 2. rang (je 5 000 franken): — Primarschule ebnet (Lu): Begabungs-

förderung als schulhauskultur — Primarschule sarnen (ow): faszination

talent – Begabungsförderung — stadtschule winterthur (zh): exploratio –

Begabungs- und Begabtenförderung 3. rang (2 500 franken): — Primarschule geuensee (Lu): Personali-

siertes Lernen – B&B-förderung in altersgemischten Klassen

anerkennungspreis (1000 franken): — Primarschule Büren (nw): stärken

im zentrum — schweizerische alpine mittelschule Davos (gr): samDplus

schuLisches enrichment moDeLL (sem)Das schulische enrichment modell (sem) stellt eine gezielte auswahl von strategien zur Verfügung, um bei schülern motivation, Kreativität und engagement zu fördern. sem besteht aus drei aufeinander aufbauenden elementen: — talent-Portfolio: Darin werden die stärken

der schüler zusammengestellt. es bildet die grundlage für die entscheidung über die passenden fördermassnahmen.

— compacting: schüler mit besonderen Be- gabungen können den regulären schulstoff

beschleunigt durcharbeiten. — enrichment: Durch das compacting

gewinnen die schüler zeit, im unterricht eigenen Projekten nachzugehen.

ziel des enrichments ist es, dass die schüler ihr formell erworbenes wissen auf inhalte anwenden, die sie persönlich interessieren. Das enrichment besteht aus drei stufen: — typ-I-aktivitäten: schnupperangebote

wecken neue interessen der Kinder und zeigen ihre stärken.

— typ-II-aktivitäten: indem sich die Kinder aktiv mit Lerntechniken, methoden und materialien auseinandersetzen, entwickeln sie ein kritisches und kreatives Denken und Problemlösungsfähigkeiten.

— typ-III-aktivitäten: Die schüler erarbeiten eigene Projekte und führen diese selbst- ständig durch.

intellektueller, musischer oder sozialer Ausprägung. Wer diese unterschied- lichen Begabungen stärkt, stärkt die ge- samte Persönlichkeit eines Kindes. In einem stärkenorientierten, individu- alisierten Unterricht erfahren Schüler mit höheren Begabungen genauso wie schwächere Schüler eine ange- messene Wertschätzung und Förderung. Eine Begabungs- und Begabtenförde- rung im Unterricht holt das individuelle Potenzial jedes Kindes hervor.

VieLe förDermögLichKeiten

Es gibt viele Möglichkeiten, Begabungs-förderung in den Regelunterricht zu integrieren: Durch ‹Compacting›, also eine Straffung und Intensivierung der Übungsphasen im Unterricht, ge- winnt man Zeit, damit Schüler eigenen Themen nachgehen können. Werden eigene Projekte im Unterricht umgesetzt, dann spricht man von ‹Enrichment› in Anlehnung an das Schulische Enrich-ment Modell (SEM) von Renzulli / Reis (siehe Infokasten). Für manche Kinder ist es auch wichtig, in klassenüber-greifenden Kleingruppen Themen und Projekten nachgehen zu können; sei es in Ressourcenräumen, in denen ihnen Medien zur Informationsbe- schaffung und spezielle Lernmaterialien zu Verfügung stehen, oder in Förder-gruppen unter der Anleitung eines Mentors, einer Fachperson ausserhalb des Lehrkörpers.

üBerzeugenDes ProJeKt

Wie Begabungsförderung erfolgreich in den Schulalltag integriert sein kann, zeigt das Projekt ‹Fit und stark fürs Leben 2012› der Primarschule Mythen und Haggen in Rickenbach (SZ), das bei der LISSA-Preisverleihung am 14. Juni 2012 im Kantonsratssaal Luzern mit dem ersten Preis im Wert von 10 000 Franken ausgezeichnet wurde. Die Schule schafft mit ihrem Projekt ein begabungsför-derndes Umfeld für alle Schüler, das ihre kreative Produktivität anregt. Durch gezielte Anreize und die Möglichkeit zu eigenmotivierter Projektarbeit möchte die Schule den Kindern helfen, ihr Potenzial auszuschöpfen.

Ein besonderes Anliegen ist es der Schule, ihre vielfältigen Begabungs- förderungsprojekte – darunter sind auch drei Ressourcenräume (Forscherraum, Bewegungsraum und Kreativraum) – nachhaltig in der Schulentwicklung zu

es gibt viele Möglichkeiten, Begabungen zu fördern: Der liSSa-film stellt die Projekte der Primarschulen oberägeri (zg), rothenburg (lu) und untereggen (Sg) vor. Die DVD ist im internet unter www.lissa-preis.ch erhältlich.

verankern und zu vernetzen. Gemäss dem SEM-Konzept bietet sie regelmässig unterschiedliche Aktivitäten für die ganze Schule oder für einzelne Schul-klassen an, die bei den Kindern indi- viduelle Interessen wecken sollen. Alle zwei Monate finden klassenübergrei- fende Lernateliers statt, in denen die Schüler aus zehn unterschiedlichen An- geboten wählen können. Es wird Wert darauf gelegt, dass die Kinder verschie- dene Grundfertigkeiten der Projektarbeit erlernen und auch Lernstrategien und Methodenkompetenzen entwickeln. Ein weiteres Element der Begabungs- förderung an der Primarschule Mythen und Haggen war das ‹Student Teacher Outreach Mentorship Program› STOMP: Studierende der ETH Zürich brach- ten ihr Fachwissen in die Schule ein und führten zusammen mit den Lehrper- sonen in drei Gruppen an acht Nachmit-tagen Projekte durch. Es ist geplant, STOMP auch in den nächsten Schuljahren weiterzuführen.

auszeichnung Von schuLen

43 Schulen aus 14 Kantonen der Deutschschweiz wurden seit 2004 mit dem LISSA-Preis ausgezeichnet. Seit 2008 vergibt die Stiftung für hoch- begabte Kinder diesen Preis zusammen mit der Stiftung Mercator Schweiz, die dafür bis 2014 insgesamt 187 000 Franken zur Verfügung stellt. Beide Stiftungen möchten mit der Auszeich-nung einen Anreiz für Schulen schaffen, Begabungsförderungsprojekte auszu- arbeiten, durchzuführen und Interessier-ten zugänglich zu machen. Spannende Einblicke in verschiedene Begabungs- förderungsprojekte von Preisträgern vergangener Jahre geben die Stiftungen mit dem LISSA-Film ‹Begabungsför- derung konkret gemacht› und mit dem LISSA-Buch ‹Begabungsförderung leicht gemacht. Unterlagen und Konzepte von LISSA-Preisträgern› (hep-Verlag, ISBN: 978-3-03905-574-6, 39 Franken).

regula haag von der Stiftung für hoch- begabte Kinder ist Projektleiterin des liSSa-Preises. [email protected]

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diAloG ohNE drEhBuCh

58 Mercator Magazin 02 / 12

Mit seinem umbau hat sich das Museum der Kulturen Basel nicht nur äusserlich verändert. Das grösste ethnologische Museum der Schweiz hat seine ausstel- lungen rundum neu konzipiert und ein neues Ver- mittlungsformat eingeführt: Studierende treten als Kultur-vermittler in einen ‹Kultur-Dialog› mit den Besuchern. Doch wie kommt man mit einer fremden Person ins gespräch? was zeichnet einen gelungenen Dialog aus? text / henrietta DuerSchlag

diAloG ohNE drEhBuCh

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tätigkeitsbereich wiSSenSchaft

Viele Gespräche, an die wir uns noch lange erinnern können, beginnen mit Trivialitäten. Man fängt bei alltägli-chen, unverbindlichen Themen wie dem Wetter an und endet so manches Mal bei dem, was wir unter einem ‹tiefgründigen Gespräch› verstehen. Doch damit es zu so einem Gespräch kommen kann, braucht es den kurzen, manch- mal aber auch quälend ewig scheinenden Moment der Unsicherheit: Geht das fremde Gegenüber auf meinen Kommu-nikationsvorschlag ein, oder nicht? Man rümpft die Nase über den andau- ernden Regen, kommentiert die Ver- spätung des Zuges oder fragt nach einer Zigarette. In den meisten Fällen bleibt es bei einem verständnisvollen, em-phatischen Augenverdrehen, Kopfschüt-teln plus abschliessendem Lächeln, einem «Immer das Gleiche mit der Bahn» und Anbieten der Zigarette.

Und plötzlich kommt – wie aus dem Nichts – die Reaktion. Der abgeschlagene Ball wird nicht nur aufgenommen, sondern auch gekonnt zurückgepasst. Der erste Schritt ist getan. Jetzt liegt es an uns, den Ball wieder so zu schlagen, dass er vom Gegenüber auch ganz sicher getroffen wird. Was sich in der Theorie nahezu lachhaft anhört, kann sich in der Praxis als eine ernsthafte Herausfor- derung gestalten. Das Einmaleins der gut geführten Kommunikationsweise, vielen vielleicht noch aus der Schulzeit be- kannt, predigt in ähnlichen Momenten eine ‹W-Frage›.

Alfred Hitchcock soll mal gesagt haben, dass der einzige Unterschied zwischen einem Spielfilm und Dokumentar- film darin bestehe, dass im ersten der Regisseur der Gott und im zweiten

der Gott der Regisseur sei. Genau wie der Dokumentarfilmemacher verfügen wir ‹Kulturdialögler›, wie wir intern im Museum der Kulturen liebevoll genannt werden, nicht über ein Drehbuch, das uns den genauen Verlauf eines Dialogs vorhersagen könnte. Somit reicht es oft nicht aus, auf gut Glück eine ‹W-Frage› zu stellen. Man muss seinen Gesprächs-partner einschätzen können, man muss vorfühlen können, mit welcher Inten- sität und in welchem Winkel man den Ball wieder spielen muss, damit ein schöner, interessanter Dialog entsteht. Diese Kunst haben wir in einem Einführungswork- shop von unserem Coach, dem Kommuni-kationsexperten Dan Wiener, gelernt. Mit sehr viel Engagement und Hingabe hat er uns vermittelt, wie man zu einem Roger Federer der Kommunika- tion werden kann.

Jeder Besucher betritt das Museum der Kulturen mit einem ‹Rucksack›. Er be- inhaltet meistens einen gleichen Grund- stock an Gegenständen: Taschentücher, Portemonnaie, Hausschlüssel und Mobiltelefon. Wie diese Gegenstände tei- len wir mit jedem Besucher einen gewissen Erfahrungshorizont. Sei es die Tatsache, dass jeder von uns mal eine Schule besucht hat oder weiss, was am 11. September 2001 passiert ist. Dieses kollektive Wissen und die kollekti- ven Erfahrungen führen dazu, dass man wirklich mit jedem Besucher viele gemeinsame Nenner hat. Während des Gesprächs öffnen wir sozusagen unsere Rucksäcke und stellen fest, dass neben den Telefonen und Geldbeuteln ein kleiner Glücksbringer, geschenkt vom besten Freund, oder ein Kinoticket für den nächsten Abend unseren per- sönlichen Rucksack einzigartig macht. Wir bewegen uns in derselben Stadt, in derselben ‹Kultur› und haben doch immer eine einzigartige, individuelle

Sicht auf sie. Diese zwei Perspektiven aufzuzeigen, sie zu formulieren und sie miteinander zu vergleichen, macht aus einem Dialog einen Kultur-Dialog.

Das Ziel des gegenseitigen Herausneh-mens und Austauschens der Gepäck- inhalte besteht darin, dass jeder Besu-cher das Museum um ein Stück reicher verlässt. Und das Schöne an meiner Arbeit ist, dass sich auch mein Ruck-sack nach jeder Begegnung mit einigen neuen interessanten Stücken füllt.

henrietta DuerSchlag studiert Kulturanthro-pologie und geschlechterforschung an der universität Basel. Seit sie von Mai bis Juni 2012 an der Schulung zur Kulturvermittlerin teilge- nommen hat, ist sie als solche im Museum der Kulturen Basel tätig. Das obige gespräch hat tatsächlich so stattgefunden – es war eines der ersten, das die Studentin als Kulturvermitt- lerin geführt hat. Die Dialoge mit den Besuchern haben immer sehr unterschiedliche inhalte: es kann ein gespräch über das Museum sein, aber auch über konkrete ausstellungsinhalte, aus dem sich ein austausch über aktuelle gesell-schaftliche fragen entwickelt.

«Sind Sie zum ersten Mal hier?»

«Wie war es denn früher im Vergleich zu heute? Woran können Sie sich noch erinnern?»

«Ja! Genau das meine ich. Vielen Dank, ich gehe mir mal den Rest anschauen!»

«Ah, interessant, hier im Museum gibt es für Sie sozusagen mehr Impuls statt Input.»

«Es war schon anders, es war viel voller und es gab mehr zu sehen. Aber manchmal ist es schöner, sich in Ruhe mit einzelnen Objekten aus- einandersetzen zu können, sich auch inspirieren zu lassen und nicht so von In-puts überladen zu werden.»

«Nein, ich kenne das Museum noch von früher.»

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tätigkeitsbereich wiSSenSchaft

kultur-diAloG iM MusEuM dEr kulturEN

text / Pierre-alain JeKer

In seinem Bestreben, Raum für Kultur- Begegnungen zu bieten, geht das Museum der Kulturen Basel neue Wege. Es hat unter dem Titel ‹Kultur-Dialog / Dialog-Kultur› ein innovatives Format der Gesprächskultur eingeführt: Ge- schulte Kulturvermittler gehen in den Ausstellungen aktiv auf die Besucher zu. Sie stellen Fragen, stehen für Antwor- ten bereit und treten mit den Gästen in einen Kultur-Dialog. Museumsdirektorin Dr. Anna Schmid ist überzeugt, dass sich der Austausch mit den Besuchern in hohem Masse eignet, um nachhaltige Erkenntnisse über die tiefgreifenden kulturellen Veränderungen unserer Welt und über die Darstellung dieser Welt in einem Museum zu fördern. Die Stif- tung Mercator Schweiz ermöglicht mit ihrer Förderung in Höhe von 220 000 Franken in den Jahren 2011 bis 2013 die Erprobung dieser neuartigen Form des Wissensaustauschs.

gehaLtVoLLer geDanKenaustausch Die Gespräche über ethnologisch und gesellschaftlich relevante Fragen eröffnen den Besuchern neue Sichtwei-sen auf das Museum wie auch auf die Ausstellungsinhalte. Sie werden an-geregt, ihre Vorstellungen von Kultur zu reflektieren und zu diskutieren. Dadurch erweitern sie ihr Wissen und vertiefen ihr Verständnis für ihre eigene Kultur und für andere kulturelle Hintergründe. Das Museum und die Stiftung Mercator Schweiz versprechen sich von dieser neuen Dialog-Kultur einen gehaltvollen Gedankenaustausch zwischen den Besuchern und dem Museum als Ort der Reflexion und Wis- sensvermittlung. Die Kulturvermittler wollen durch ihre unkomplizierte, ein- ladende Form des Gesprächs ein neues und junges Publikum fürs Museum begeistern. Zugleich erhält das Museum der Kulturen durch das Engagement der Kulturvermittler die Chance, die Sichtweisen der Besucher kennen-

zulernen. «Solch ein gegenseitiger Austausch ist wichtig, um das Museum als Diskussionsplattform für eine breite Bevölkerungsschicht zu etablieren», sagt Anna Schmid.

ProfessioneLLe schuLung

Das Projekt ist gleichzeitig ein wertvolles Instrument zur Förderung des wissen-schaftlichen Nachwuchses: Zehn ausge- wählte Studierende der Ethnologie und Kulturwissenschaft wurden in einem zwölftägigen Workshop zu Kulturver-mittlern ausgebildet. Der Kommunika- tionsspezialist Dan Wiener aus Basel hat dafür ein spezielles Trainingskonzept entwickelt. Dieses befähigt die Kulturver- mittler, die Besucher, die zu einem Gespräch bereit sind, zu interessanten Dialogen einzuladen und gemeinsam mit ihnen eine gedankliche ‹Kulturexpe-dition› zu unternehmen. Ergänzend profitierten die Workshopteilnehmer in ihrer Ausbildung von vielfältigen kultur- und museumsspezifischen Inputs durch Professor Walter Leimgruber von der Universität Basel und Museums- direktorin Anna Schmid. Nach der Teilnahme an diesem Workshop, der eine anerkannte Veranstaltung in den Studienfächern Kulturwissenschaft und Ethnologie ist, erhielten die Studieren-den eine Teilzeitanstellung im Museum der Kulturen. Dies ermöglicht ihnen viele praktische und studienrelevante Erfahrungen in innovativer Wissensver-mittlung und stärkt sie in ihren Fach- und Sozialkompetenzen.

Pierre-alain JeKer ist für die Pr-arbeit des Museums der Kulturen Basel zustä[email protected]

Die Kulturvermittler stehen den Besuchern donnerstags, samstags und sonntags von 10 bis 17 uhr zur Verfügung. www.mkb.ch

Sie suchen das gespräch mit den Besuchern: henrietta Duerschlag (links), Stephan graf und livia wermuth sind drei von zehn Studieren-den, die als Kulturvermittler im Museum der Kulturen arbeiten.

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tätigkeitsbereich wiSSenSchaft

graDuate camPus mit dem graduate campus bietet die universi- tät zürich ihrem wissenschaftlichen nachwuchs nicht nur eine zentrale anlaufstelle für alle überfachlichen informationen und Dienstleis-tungen, sondern auch ein inspirierendes forschungsumfeld: Doktorierende und Post- doktorierende haben vielfältige möglichkeiten des austauschs, der Vernetzung und der zusammenarbeit – und dies über Disziplinen, fakultätsgrenzen und generationen hinweg. sie können mittel für selbstorganisierte, fächerübergreifende aktivitäten beantragen und an überfachlichen weiterbildungskursen teilnehmen. Der graduate campus setzt auf die eigeninitiative des wissenschaftlichen nachwuchses und der Verantwortlichen der Doktoratsprogramme der universität zürich. Damit fördert er eine nachhaltige, koope- rative Qualitätsentwicklung der Doktorats- stufe. Die stiftung mercator schweiz fördert den aufbau des graduate campus in den Jahren 2011 bis 2015 mit 3 615 000 franken. www.grc.uzh.ch

Worüber diskutieren Juristen, Veterinär-mediziner und Ethiker fachlich mit- einander? Wo finden Parasitologen, Anglisten, Romanisten, Veterinärbioche-miker und Molekularbiologen Anknüp-fungspunkte? Tatsächlich gibt es sehr viele Möglichkeiten des Austauschs und der Zusammenarbeit – junge Forschende der Universität Zürich machen es vor: Wo Fächergrenzen überschritten werden, sind der Ideenvielfalt und Kreativität keine Grenzen gesetzt. Mit Unterstüt-zung der Graduate Campus (GRC) Grants organisieren sie eigene Aktivitäten zu gemeinsamen Themen. So fand von Oktober bis Dezember 2012 die Vortrags-reihe ‹Würde der Kreatur. Ethische und rechtliche Perspektiven› statt, in der Wissenschaftler aus unterschiedlichen Fachbereichen dieses in der Schweizeri-schen Bundesverfassung verankerte Konzept aus unterschiedlichen Perspek-tiven beleuchteten. Und von Februar bis Mai 2013 organisieren Postdoktorierende der Natur- und Geisteswissenschaften eine Ringvorlesung zum Thema ‹Wissen, Kommunikation, Kooperation›.

wichtige KomPetenzen

Mit den GRC Grants unterstützt der Graduate Campus der Universität Zürich Aktivitäten, die von Doktorierenden und Postdoktorierenden selbst initiiert und in eigener Regie durchgeführt werden. Damit wird nicht nur die Eigen- initiative der Forschenden unterstützt, es werden auch gezielt Kompetenzen wie Projektführung und -management auf- und ausgebaut, die für die eigene Karriere relevant sind. Das Format der förderfä- higen Aktivitäten ist bewusst offen gehalten, um die Kreativität der Antrag-stellenden nicht einzuschränken. So werden eintägige Workshops ebenso ge- fördert wie Vortragsreihen, Arbeits- gruppen oder Ausstellungen. GRC Grants können nur von einer Gruppe von mindestens drei Doktorierenden und /

oder Postdoktorierenden beantragt wer- den und bedürfen der Zustimmung eines professoralen Mitglieds der Fakultät. An einer Veranstaltung sollen möglichst viele junge Wissenschaftler teilnehmen können. Damit wird gezielt der Aus-tausch zwischen Nachwuchsforschenden und somit deren wissenschaftliche Sozialisation gefördert. Mit den GRC Grants werden Aktivitäten unterstützt, deren thematische Ausrichtung über einen einzelnen Fachbereich oder eine Disziplin hinausgeht. Die Themen-bereiche sollen dabei aber möglichst eng an die Forschungsbereiche der jewei-ligen Antragsteller geknüpft sein, um einen grösstmöglichen Mehrwert für ihre wissenschaftliche Karriere zu ermöglichen.

VieLVersPrechenDer anfang

Am 1. Dezember 2012 lief die vierte Be- werbungsfrist ab. Ein Rückblick auf die ersten drei Ausschreibungsrunden zeigt eine erfreuliche Resonanz und Qualität. Es wurden 25 Anträge einge-reicht, 19 Projekte bewilligt. Bei rund drei Viertel der Anträge erhielten die Gesuchsteller vor der endgül- tigen Bewilligung wertvolle Empfehlun-gen durch den Vergabeausschuss, um den wissenschaftlichen Output und den Mehrwert für die teilnehmenden Nachwuchsforschenden zu optimieren. Die Themenvielfalt ist beeindruckend: Sie reicht von Laut- und Gebärden- sprache über den Umgang mit Wissen in Spätantike und Frühmittelalter bis zu Demokratie und Bürgerschaft in Europa.

ViVien KaPPel ist stellvertretende geschäfts-führerin des graduate campus der uni- versität zürich. [email protected]

luiSe Menzi ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und zuständig für den Bereich Kommunikation und Veranstaltungen. [email protected]

GEMEiNsAME vErANstAltuNGEN ohNE GrENzEN text / Dr. ViVien KaPPel unD Dr. luiSe Menzi

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Den gemeinsamen roten Faden darf man nie aus dem Auge verlieren, sagt Dr. Margot Michel. Wenn man dann noch Freude am Thema hat, wenn die Projektgruppe gut zusammenarbeitet und man sich auf die Besonderheiten der anderen beteiligten Disziplinen ein- lässt, gelingen gemeinsame Veranstal- tungen über Fächergrenzen hinweg. Die Postdoktorandin an der Rechtswis-senschaftlichen Fakultät der Universität Zürich hat in einem interdisziplinären Team die Veranstaltungsreihe ‹Würde der Kreatur. Ethische und rechtliche Per- spektiven› organisiert. Die GRC Grants halfen ihr dabei.

Warum war es Ihnen wichtig, eine eigene Veranstaltung zu organisieren? Neben der eigentlichen wissen-schaftlichen Arbeit ist der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen ein sehr wichtiger Teil der akademischen Tätig- keit – insbesondere auch über die Fachgrenzen hinweg. Dafür braucht es allerdings besondere Plattformen. Eine Veranstaltungsreihe, wie wir sie organisiert haben, ist dafür ideal.

Wie haben Ihnen die GRC Grants bei der Organisation Ihrer Vortragsreihe geholfen? Ohne die GRC Grants hätten wir nicht über die finanziellen Ressour- cen verfügt, eine solche Veranstaltung zu organisieren.

Was schätzen Sie an diesem Förder- instrument? Dieses Förderinstrument ist im Vergleich zu vielen anderen sehr un-kompliziert. Dadurch muss man weniger Zeit in Antragstellung und spätere Administration investieren. Und diese Zeit bleibt einem für die wissenschaft- liche Tätigkeit. Das macht dieses Ins- trument für Nachwuchswissenschaftler so attraktiv.

Warum haben Sie das Thema ‹Würde der Kreatur› gewählt? In diesem Bereich wird an der Uni-versität Zürich noch verhältnismässig wenig angeboten. Deshalb erschien es uns

EiNE GrossE BErEiChEruNG

Vortragsreihe Vor 20 Jahren fand der Begriff der ‹würde der Kreatur› eingang in die schweizerische Bundes-verfassung. an sieben abenden zwischen dem 10. oktober und 19. Dezember 2012 trugen referierende aus unterschiedlichen fachbe- reichen zur weiteren Klärung des Konzepts bei. Die Veranstaltungsreihe wurde organisiert von Dr. margot michel, oberassistentin am Lehr- stuhl für Privatrecht und rechtsvergleichung der rechtswissenschaftlichen fakultät der universität zürich, Dr. christoph ammann, ober- assistent am institut für sozialethik des ethik- zentrums der universität zürich und Dr. Lorenz engi, stipendiat des forschungskredits der universität zürich.

wichtig, den 20-jährigen ‹Geburtstag› des Schutzes der Würde der Kreatur in der Schweizerischen Bundesverfassung zum Anlass zu nehmen, über dieses Konzept zu reflektieren. Es ging uns nicht nur um eine Bestandsaufnahme des Themas, wir wollten auch Zukunftsperspek- tiven und Weiterentwicklungsmöglich-keiten aufzeigen.

Wie erleben Sie die interdisziplinäre Zusammenarbeit in Ihrem Projekt? Die Zusammenarbeit ist sehr bereichernd und effizient. Der Austausch über die eigenen Fachgrenzen hinweg eröffnet neue Blickwinkel auf die eigene Fragestellung. So werden die facheige- nen Zugänge zur Problematik deutlicher, die Chancen und Grenzen der eigenen Disziplin treten hervor. Unsere Leitungs-gruppe hatte allerdings bereits vor Einreichung des Projekts über längere Zeit eine informelle interdisziplinäre Forschungsgruppe gebildet. So konnten wir auf eine gemeinsame Sprache und ein Vorwissen in der jeweils anderen Fachdisziplin zurückgreifen.

Warum finden Sie die interdisziplinäre Zusammenarbeit wichtig? Die heutige Welt ist stark vernetzt, und Probleme lassen sich meist nicht unter Beschränkung auf nur eine Diszi- plin lösen. Das erlebe ich nicht nur in meinem Forschungsschwerpunkt ‹Animal Law›, sondern auch im Medizinrecht, wo der Austausch über die Fachgrenzen hinweg überhaupt erst ermöglicht, tragfähige Lösungen zu entwickeln.

tätigkeitsbereich wiSSenSchaft

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tätigkeitsbereich KinDer unD JugenDliche

Der AlltADer AlltADer Allt g ist voller lerngelegenheitenSpielerisch entdecken Kleinkinder die Welt um sich herum, neugierig probieren sie neue Dinge aus. Wie Eltern und Betreuungspersonen alltägliche Situationen als Lerngelegenheiten für Kinder erkennen und fördern können, zeigt die Bildungsdirektion des Kantons Zürich mit ihrem Filmprojekt ‹Lerngelegenheiten›.

Emma sitzt in der Badewanne. Vorsichtig beginnt sie, verschiedene Gefässe mit Wasser zu füllen und umzuschütten. Sie hält ein leeres Shampoofläschchen unter Wasser und ist überrascht, was passiert: Oberhalb des Wassers war die Flasche still, unter Wasser beginnt es, aus ihr zu blubbern – erst langsam, dann schneller. Auch die Wasseroberfläche ist plötzlich unruhig. Wasser spritzt ein wenig nach oben, und dann ist es wieder still. Aber die Flasche ist schwer ge-worden, voll Wasser und jetzt blubbert sie beim Ausschütten auch oberhalb des Wassers. Emma ist begeistert über diese neue Entdeckung. Sie wiederholt das Experiment mit anderen Gefässen. Papi ist vielleicht wenig glücklich, als er nach zehn Minuten den Badezimmer-boden aufwischt. Aber eigentlich sollte er sich freuen: Emma hat soeben eine überaus reichhaltige alltägliche Lerngelegenheit so richtig ausgekostet.

famiLie aLs Lernort

Die ersten Lebensjahre stellen wichtige Weichen für die Entwicklung von Kindern. Sie lernen in dieser Zeit so viel wie in keiner späteren Lebensphase. Sie erlernen die Sprache, entwickeln Problemlösungsfähigkeiten, bauen Be- ziehungen zu Gleichaltrigen und Erwachsenen auf. Sie eignen sich Fähig-keiten an, die für das ganze Leben wichtig sind. Der stärkste Einfluss auf die gesamte Entwicklung der Kinder geht dabei von den Familien aus. Es kommt darauf an, wie Eltern und weitere Bezugspersonen den Alltag

von Kleinkindern begleiten und ihre Neugier aufgreifen, wie sie mit ihnen kommunizieren und ihre Entwick- lungs- und Lernschritte unterstützen.

Die Bildungsdirektion des Kantons Zürich setzt sich für die frühe Förde- rung von Kindern ein. Mit ihrer Strategie zur frühen Förderung, die sie im Mai 2012 veröffentlicht hat, will die Bildungs-direktion ihre bisherigen Aktivitäten im Frühbereich verstärken, ausbauen und noch besser aufeinander abstimmen. Dieses Engagement hat gute Gründe: Lernstandserhebungen zeigen, dass Kin- der aus sozial benachteiligten Familien ihre vergleichsweise ungünstigen Start- bedingungen vielfach während der ganzen Schulzeit nicht aufholen können. Die Unterschiede zwischen den Schülern verstärken sich hinsichtlich kogniti- ver, sprachlicher und sozialer Fähigkeiten oftmals sogar noch deutlich. Eine frühe Förderung kann die Startchancengleich-heit beim Schuleintritt erhöhen.

anschauLiche fiLme

Mit ihrem Projekt ‹Lerngelegenheiten› möchte die Zürcher Bildungsdirektion einen Beitrag zu mehr Chancengerechtig- keit leisten. Eltern und Betreuungs- personen von Kindertagesstätten, Tages- familien und Spielgruppen möchte sie anregen, alltägliche Situationen als Lern- gelegenheiten für Kinder zu erkennen und zu nutzen. Dafür stellt das Marie Meierhofer Institut für das Kind (MMI) in Zusammenarbeit mit einem professio- nellen Filmteam Filmsequenzen her, die verschiedene Lerngelegenheiten in den

text / Muriel Degen

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Seit Mai 2012 liegt in der Schweiz erst- mals ein pädagogisches Referenz-dokument für die frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung vor. Das Marie Meierhofer Institut für das Kind hat diesen Orientierungsrahmen im Auftrag der Schweizerischen UNESCO- Kommission und des Netzwerks Kinder- betreuung erarbeitet. Das Dokument beschreibt auf Grundlage neuester fach- licher und wissenschaftlicher Er-kenntnisse, wie kleine Kinder die Welt entdecken und wie Erwachsene sie dabei begleiten können. Der Orientierungs- rahmen richtet sich an alle Erwachsenen, die für kleine Kinder Verantwortung tragen. Besonders angesprochen sind Fachpersonen in der Kinderbetreuung, Trägerschaften und kommunale wie kantonale Behörden. Mit dem Orientie-rungsrahmen möchten die Herausgeber dazu beitragen, das Wissen über die Entwicklung kleiner Kinder zu vertie- fen, Qualitätsentwicklungen anzuregen und zu stärken. Das Dokument soll eine pädagogische Grundlage für die frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung in der Schweiz bieten.

umfassenDer Praxistest

Der ‹Orientierungsrahmen für die früh- kindliche Bildung, Betreuung und Erziehung in der Schweiz› wurde am 24. Mai 2012 im Beisein der Zürcher Regierungsrätin Regine Aeppli, des Bildungsforschers Stefan Wolter, der Unternehmerin Carolina Müller-Möhl, des Stadtpräsidenten von Vernier (GE) Thierry Apothéloz, der National-rätin Jacqueline Fehr sowie zahlreichen weiteren Vertretern aus Wissenschaft und Praxis öffentlich in Bern präsentiert.

GruNdlAGE für diE frühkiNdliChE BilduNG

Nun startet das Vorhaben in seine zweite Phase: Die Schweizerische UNESCO- Kommission und das Netzwerk Kinder-betreuung unterziehen den Orientie-rungsrahmen einem umfassenden Praxis- test. Verschiedene Partner wie Städte, Kantone, Trägerschaften und Ausbil-dungsinstitute werden bei der Anwen-dung und Erprobung des Orientierungs-rahmens unterstützt, die Resultate der Projekte werden ausgewertet. Die Pro- jektpartner befinden sich in der ganzen Schweiz. Begleitend wird mit öffentli-chen Veranstaltungen und einer Vernet-zungs- und Austauschplattform der fachlich-wissenschaftliche Diskurs über pädagogische Qualität weitergeführt.

KinD im zentrum

Der Orientierungsrahmen macht klar: Das Kind steht im Zentrum. Die Be- treuungsangebote erreichen dann eine hohe Qualität, wenn sie gezielt auf die Bedürfnisse und Rechte der Kinder eingehen. Dies im Alltag umzusetzen, ist anspruchsvoll. Die Erfahrungen, Anpassungen und Ergänzungen der Praxispartner werden ebenso wie die po- litische Diskussion dazu beitragen, diese Arbeit weiter zu konkretisieren. Mit den Beispielen der Projekte, mit den Resultaten der Diskussionen werden in den nächsten zwei Jahren weitere Materialien entstehen, welche die Praxis-anwendung des Orientierungsrahmens unterstützen.

Muriel Degen ist wissenschaftliche Mit-arbeiterin in der abteilung Bildungsplanung der Bildungsdirektion des Kantons zürich. Sie leitet das Projekt ‹lerngelegenheiten›. [email protected]

informationen zur Strategie zur frühen förderung der Bildungsdirektion des Kantons zürich: www.bi.zh.ch

unterschiedlichen Lebenswelten von Kleinkindern zeigen. Diese Filmsequen-zen sollen im Sommer 2013 kostenlos auf einer Website zur Verfügung stehen.

Die Bildungsdirektion hat sich für die Produktion von Filmen entschie-den, da diese als Anschauungsmaterial einen wesentlichen Vorteil bieten: Sie überwinden die Schriftlichkeitsgrenze und schaffen leichter Zugänge zu Eltern und Bezugspersonen mit ganz unter-schiedlichen sozialen und kulturellen Hintergründen. Inhaltlich beziehen sich die Filme auf den ‹Orientierungsrahmen für frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung in der Schweiz›, den das MMI im Auftrag der Schweizerischen UNESCO-Kommission und des Netz-werks Kinderbetreuung erarbeitet hat. Die Stiftung Mercator Schweiz hat nicht nur die Erarbeitung des Orientie-rungsrahmens gefördert, sie unter- stützt zusammen mit dem Lotteriefonds Zürich, der Jacobs Foundation und weiteren Förderern auch das Projekt ‹Lerngelegenheiten› mit 250 000 Franken.

entDecKungsreisen Von KinDern

Ein Teil der Filmsequenzen richtet sich konkret an Familien. Mit ausdrucks- starken Bildern erhalten Eltern und weitere Bezugspersonen gute Beispiele, wie aus dem Alltag heraus wertvolle Lerngelegenheiten für Kinder entstehen können. Kurze, etwa zweiminütige Filmsequenzen fangen Lernsituationen und ‹Entdeckungsreisen› von Kindern im Alter zwischen wenigen Monaten und vier Jahren ein. Die Kleinkindbera-tung und Elternbildung in den Ge- meinden machen den Familien diese Filme bekannt.

Zudem macht die Filmreihe konkrete Lerngelegenheiten in Betreu- ungseinrichtungen deutlich: Kitas, Tagesfamilien und Spielgruppen bieten für Kleinkinder gute Möglichkeiten, Spiel- und Lernerfahrungen zu machen. Mit den Filmsequenzen für Betreuungs-einrichtungen möchte die Bildungs- direktion dem Fachpersonal im Frühbe-reich anschauliches Lernmaterial zur Verfügung stellen, das sie für früh- kindliche Lernsituationen sensibilisiert. Durch die Beispiele in den Filmen er- fahren die Betreuungspersonen, wie sie die Lernfreude der Kinder unterstützen und ihnen entsprechende pädagogische Anreize bieten können, damit diese individuell herausgefordert und in ihrer

Eigenaktivität gestärkt werden. Die Filme sollen dazu beitragen, die pädago-gische Betreuungsqualität in Kinder- tageseinrichtungen zu thematisieren und entsprechende Entwicklungsarbeit auszulösen. Über die Aus- und Weiter- bildung und einschlägige Netzwerke und Verbände werden den Fachkräften die Filme vermittelt.

text / MiriaM wetter unD DoMiniK BÜchel Beide leiten das Projekt im auftrag der Schweizerischen uneSco-Kommission und des netzwerks Kinderbetreuung. [email protected], [email protected]

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tätigkeitsbereich MenSch unD uMwelt

Gesunde nahrunG für alleWie kann in Zukunft die wachsende Weltbevölkerung gesund, umweltschonend und gerecht ernährt werden? Welche Rolle spielt dabei die nachhaltige Landwirtschaft? Die ETH Zürich sucht mit ihrem neuen Kompetenzzentrum ‹World Food System Center› nach Antworten auf diese Fragen. TExTE / nADinE FiEKE

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tätigkeitsbereich MenSch unD uMwelt

Die Fakten, die Professor Roland Siegwart bei der ETH-internen Eröffnungsveran-staltung des ‹World Food System Centers› am 14. September 2012 präsentierte, sind alarmierend:— Die Weltbevölkerung wird voraus-

sichtlich bis zum Jahr 2050 von 7 Milliarden auf 9 Milliarden Menschen ansteigen.

— 925 Millionen Menschen leiden bereits heute unter Hunger und extremer Armut.

— 98 Prozent dieser Menschen leben in Asien und Afrika.

— 75 Prozent der hungernden Men- schen wohnen in landwirt-

schaftlich geprägten Regionen.— Jedes vierte Kind ist chronisch

unterernährt. — 6 Millionen Kinder sterben

jedes Jahr an Hunger. — 35 Prozent der weltweiten Getrei-

deernte wird an Vieh verfüttert. — 33 Prozent aller erzeugten

Nahrungsmittel gehen nach der Ernte verloren oder werden weggeworfen.

— Unterernährung hält Menschen in der Armutsfalle gefangen.

«Die Ernährungssicherung ist die grösste Herausforderung für unsere Gesell-schaft», sagte der Vizepräsident der ETH Zürich. Um einen Beitrag zu ihrer Be- wältigung zu leisten, hat die Hochschule Ende 2011 das ‹World Food System Center› gegründet. 31 Professoren aus fünf Departementen der ETH Zürich und dem Wasserforschungsinstitut eawag arbeiten in diesem Kompetenzzentrum zusammen. Mit inter- und transdis- ziplinären Forschungsansätzen möchten sie nachhaltige und praxisnahe Lö- sungsstrategien für die globale Ernäh- rungssituation entwickeln.

schwierige rahmenBeDingungen

Das Interesse an der «ersten Geburtstags-party», wie Professorin Nina Buchmann die Eröffnungsfeier zufrieden nannte, war gross: 160 Gäste verfolgten die Feier- lichkeiten – «mehr als wir je erwartet hätten». Dass unter ihnen viele Stu- dierende waren, freute die Leiterin des Kompetenzzentrums, denn «das Thema wird sie noch lange beschäftigen». In Fragen der Ernährungssicherheit gehe es nicht nur um «Nahrung für alle», betonte Professorin Buchmann, als sie das ‹World Food System Center› vorstellte. Das Ziel sei «die nachhaltige

Produktion gesunder Nahrung für alle». Doch die Umweltbedingungen, geprägt durch Bodenerosion, Wasserknapp- heit, neue Pflanzenkrankheiten und Klimawandel, erschweren die Nahrungs-mittelproduktion. Gleichzeitig beein- flussen vielfältige soziale, politische und ökonomische Rahmenbedingungen die Welternährung. Um die Herausforde- rung der Ernährungssicherung erfolg- reich anzugehen, nimmt das Kompetenz- zentrum das gesamte Welternährungs- system (also Anbau, Ernte, Verarbeitung, Transport, Handel, Verteilung und Ver- zehr von Nahrungsmitteln) mit all seinen Strukturen, Prozessen und vielschich-tigen Wechselwirkungen in den Blick.

gezieLte KooPerationen

Die ETH Zürich möchte in der Forschung im Bereich der Ernährungssicherung eine internationale Führungsrolle über- nehmen. «Doch Forschung alleine reicht nicht aus», appellierte Professorin Buchmann. Die Forschungsergebnisse müssen gesellschaftlich relevant sein und an die entsprechenden Akteure ver- breitet werden. Deshalb sucht die Hochschule gezielt die Kooperation mit Industrie, Politik und Gesellschaft. «Wir möchten mit Partnern zusammenar- beiten, um die Lösungen umzusetzen und wirklich zu einer nachhaltigen Er- nährungssicherheit beizutragen.»

Einer dieser Partner ist die Stiftung Mercator Schweiz. Mit dem ‹Mercator Research Program› fördert die Stiftung inter- und transdisziplinäre PhD-Pro- jekte, die praxisnah untersuchen, was die ökologische Landwirtschaft zur Ernäh-rungssicherung beitragen kann. Neben der Forschung stehen in der Programm-partnerschaft die Aus- und Weiter- bildung sowie Aktivitäten zum Dialog mit der Öffentlichkeit im Zentrum – drei Schwerpunkte, die das gesamte Kompetenzzentrum kennzeichnen.

Während der zehnjährigen Pro- grammpartnerschaft, für die die Stiftung 5 Millionen Franken zur Verfügung stellt, sollen 15 Dissertationen mit Bezug zu den Themen ‹Nachhaltige Land- nutzung›, ‹Natürliche Ressourcen› und ‹Klimawandel und Agrarökosysteme› gefördert werden. Einmal im Jahr wählt die ETH Zürich die Projekte aus; die ersten zwei Forschungsvorhaben sind im Herbst 2012 gestartet. Sie beschäf- tigen sich mit Fragen der ökologischen Kaffee- und Milchproduktion.

Die ökologische Milch- und Kaffeeproduktion steht im fokus der ersten zwei forschungs- projekte, die im herbst 2012 im rahmen des Mercator-Programms gestartet sind.

Kontakt: eth zürich, world food System center, Michelle grant, [email protected]

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Die Kaffeeproduktion ist Lebensgrund- lage für 26 Millionen Kleinbauern in über 70 tropischen Ländern. Mit einem jährlichen Umsatz von 70 Milliarden US-Dollar ist Kaffee eines der wichtigsten landwirtschaftlichen Produkte welt-weit – und die Nachfrage steigt weiter. Um ihre Erträge zu steigern, geben immer mehr Kleinbauern die traditio- nelle Agroforstwirtschaft auf. Statt die Kaffeebüsche im Schatten einheimi- scher Bäume anzupflanzen, reduzieren sie deren Dichte oder ersetzen sie durch Monokulturen nichteinheimischer Bäume. «Kurzfristig steigen dadurch die Erträge», erklärt Professor Jaboury Ghazoul. Doch langfristig sind die Kaffeepflanzen anfälliger für Krankhei-ten und gegenüber Klimaextremen. Zudem verliert der Boden an Frucht- barkeit, womit die Bauern abhängig werden von Kunstdünger und Pestiziden – und damit von Weltmarktpreisen.

Das Projekt ‹Optimierung von vielfältigen Ökosystemdienstleistungen in der Kaffee-Produktion› (Managing Trade-Offs in Coffee Agroforests) er- forscht, wie Baumbestände eine ökolo-gisch und ökonomisch nachhaltigere Kaffeeproduktion ermöglichen können. Die Wissenschaftler untersuchen, wie die Bäume mit den Kaffeebüschen interagieren – wie sie den Nährstoff- kreislauf im Boden regulieren, wie sie die Bestäubung der Kaffeepflanzen be- einflussen und die Ernte vor Klima- extremen schützen. «Denn auf all diese Aspekte können die Bäume je nach Art positive und negative Auswirkungen haben», betont Professor Ghazoul. Ziel müsse es sein, die negativen Wirkungen der Bäume zu verringern und ihre ‹Dienstleistungen› zu nutzen. Die For- scher möchten herausfinden, wie eine optimale Anpflanzung der Bäume für eine möglichst produktive und umwelt-gerechte Agroforstwirtschaft aussieht.

Antworten sucht das internationale Wissenschaftsteam (beteiligt sind Forscher der ETH Zürich, der University of Agricultural Sciences in Bangalore,

Milch ist ein wichtiges Nahrungsmittel. Doch die Milchproduktion ist auch verantwortlich für einen erheblichen Anteil klimaschädlicher Treibhaus- gasemissionen aus der Landwirtschaft. «Eine besorgniserregende Entwick- lung ist die laufende Verringerung der Nutzungsdauer der Kühe», erklärt Professor Michael Kreuzer. «Damit wird die produktive Phase ihres Lebens immer kürzer.» Gleichzeitig verschärfen die Veränderungen in der Milchproduktion die Situation der Welternährung: «Kühe in intensiven Produktionssyste-men werden zu Nahrungsmittelkonkur-renten für den Menschen», betont Professor Kreuzer. Denn um möglichst viel Milch zu gewinnen, besteht das

Futter der Kühe zunehmend aus Kraft- futter – und dessen Bestandteile könnten grösstenteils auch als Lebensmittel für Menschen eingesetzt werden. Einige Biolandwirte setzen im Gegensatz zu dieser an Höchstleistungen orientierten Milchproduktionsstrategie nur wenig Kraftfutter ein. Zudem versuchen sie, die produktive Lebensspanne der Kühe zu verlängern und damit die ökologischen und ökonomischen Kosten ihres Ersatzes gering zu halten. Unzureichende wis- senschaftliche Erkenntnisse zur Wirkung dieses Ansatzes in der Milchproduktion verhindern bislang jedoch seine weitere Verbreitung.

Das Forschungsprojekt ‹Erhöhung der Nutzungsdauer von Milchkühen als Strategie zur Reduktion von Treib-hausgasemissionen› (kurz: Projekt Lang- lebige Kuh) vergleicht beide Milchpro-duktionsstrategien. «Wir erforschen, wie sich eine Verlängerung der Nutzungs-dauer der Milchkühe ökologisch und ökonomisch auswirkt», erklärt Professor Kreuzer. So untersuchen die Wissen-schaftler, wie sich die Effizienz der Futter- verwertung und die Treibhausgasemissi-onen der Kühe mit ihrem Alter ver- ändern. Mit Hilfe umweltökonomischer Analysen bewerten sie schliesslich das Potenzial der Milchproduktionsstrategie mit langlebigen, kraftfutterarm ge- fütterten Kühen zur Vermeidung von Treibhausgasemissionen sowie ihre öko- nomische Realisierbarkeit. Die For-schungsergebnisse sollen Landwirte und politische Entscheidungsträger bei der Entwicklung von Strategien für die Milchproduktion unterstützen.

Forscher der Gruppe Tierernährung und der Gruppe für Agrar-, Lebens- mittel- und Umweltökonomie der ETH Zürich arbeiten in dem Projekt zusam-men. Zudem wirken Wissenschaftler des Lehrstuhls für Wirtschaftslehre des Landbaus der Technischen Universität München und des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) in Frick mit. Der Doktorand Florian Grandl freut sich auf die Forschungsarbeit: «Das Projekt wird wichtige Hinweise liefern, wie sich Milchproduktionssysteme zukunftsfähig gestalten lassen können», erklärt der 29-Jährige aus Maitenbeth (D). «Wir möchten mit den Forschungs-ergebnissen sachliche Argumente für ein gesellschaftlich relevantes Problem liefern und dadurch zu Verbesse- rungen in der Landwirtschaft beitragen.»

oPtiMierung Von Vielfältigen öKoSySteM-DienStleiStungen in Der Kaffee-ProDuKtion

ProJeKtVerantwortlicher: Prof. JaBoury ghazoul DoKtoranDin: MaiKe neSPer

des CIRAD in Frankreich und des World Agroforestry Centre) zusammen mit 60 Kaffeebauern in Südindien. Sie sammeln Daten auf Plantagen mit unterschiedlichen Baumarten, Bepflan-zungsdichten und Bewirtschaftungs- systemen. Die Doktorandin Maike Nesper schätzt den direkten Kontakt mit den Kleinbauern: «Dadurch kann ich soziale und ökonomische Schwierigkeiten in die Lösungsfindung einbeziehen.» Dass sie mit ihrer Forschungsarbeit nicht nur zu einem nachhaltigeren Kaffeean-bau beitragen kann, sondern durch Workshops für die Kleinbauern auch am Wissenstransfer in die Praxis beteiligt ist, motiviert die 30-Jährige aus Kilchberg (ZH) zusätzlich. Sie ist überzeugt vom Nutzen der Agroforstwirtschaft für Kleinbauern: «Bäume können nicht nur den Nährstoffkreislauf positiv beeinflus-sen und Temperatur- und Niederschlags-schwankungen ausgleichen, mit denen Kaffeeanbauregionen in Folge des Klimawandels konfrontiert sein werden», betont Maike Nesper. «Sie sind auch eine zusätzliche Einnahmequelle.» Die Bauern können Früchte und Holz nutzen – und das macht sie unabhängiger vom stark schwankenden Kaffeepreis.

erhöhung Der nutzungS- Dauer Von Milch- KÜhen alS Strategie zur reDuKtion Von treiBhauSgaSeMiSSionen

ProJeKtVerantwortlicher:Prof. Michael Kreuzer DoKtoranD: florian granDl

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Die auszubildenden lernen viel über energie, Klimawandel und Klimaschutz.

text / cornelia DiethelM

Eine Nacht verbrachten die Teilnehmer des ‹bluecamps› in Gefängniszellen. Doch das Lachen verging niemandem, im Gegenteil: Gelacht wurde an den beiden Workshoptagen gern und häufig, um anschliessend wieder ernsthaft übers Klima nachzudenken und Ideen gegen die fortlaufende Klimaerwärmung zu entwickeln. Vom 17. bis 18. September 2012 nahmen 23 Auszubildende aus neun Deutschschweizer Unternehmen unter- schiedlichster Branchen am bluecamp in Luzern teil. Sie übernachteten im Jail- hotel in der Altstadt und diskutierten im Berufsbildungszentrum über aktuelle Klimafragen. Zwei Mal im Jahr orga- nisiert die Schweizer Klimaschutzorga-nisation myblueplanet die Workshops für Auszubildende – und eine ungewöhn- liche Unterkunft gehört jedes Mal dazu.

tiPPs für Den aLLtag

Zwei Tage lang nutzten die jungen Teilnehmer die Möglichkeit, sich auszu- tauschen und mehr zum Thema Klimaschutz zu erfahren. Präsentatio- nen, Diskussionen, Messübungen zum Energieverbrauch und gemeinsame Aktivitäten prägten das bluecamp. Im Zentrum stand dabei die Vermittlung von Tipps, wie jeder im beruflichen und privaten Alltag wirksam CO2 sparen kann: Das reichte von der Wasserreduk- tion beim WC-Spülgang hin zum Aufbau einer Mitfahrplattform im Firmen- Intranet. «Dass es so viele kostengünstige Möglichkeiten gibt, CO2 zu sparen hat mich überrascht», sagt die Teilnehmerin Leandra zufrieden.

Gelernt, wie: Klimaschutz im arbeitsalltaGzwei tage setzten sich 23 auszubildende intensiv mit fragen rund um energie, Klimawandel und Klimaschutz auseinander. Sie erfuhren im ‹bluecamp›, wie sie in ihrem arbeitsalltag das Klima schützen können. im anschluss an den workshop entwickeln sie eigene Klimaschutzprojekte.

tätigkeitsbereich MenSch unD uMwelt

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Zu Besuch im bluecamp in Luzern war auch die amtierende Miss Earth Schweiz Lea Sara Wittwer. Sie erzählte den Auszubildenden von ihrem Engagement für den Klimaschutz, zudem gab die Vegetarierin beim gemeinsamen klima- freundlichen Kochen praktische Ernäh- rungstipps. Dank der Zutaten von Luzerner Biohöfen und des Verzichts auf Fleisch verursachte das Essen 90 Prozent weniger CO2 als ein durch-schnittliches Abendessen – und die Zu- bereitung machte den jungen Köchen viel Spass!

entwicKLung eigener ProJeKte

Projektleiter Moritz Kulawik blickt zu-frieden auf die zwei Tage in Luzern zurück: «Das grosse Engagement und die Motivation der Lernenden haben mich begeistert. Nun freue ich mich auf den Start vieler spannender Klimaschutz- Projekte in den einzelnen Unternehmen.» Die Klimaschutzprojekte sind ein wich- tiger Bestandteil des bluecamp-Konzepts: Die Teilnehmer sollen nicht nur eine schöne Zeit mit Gleichgesinnten im blue- camp verbringen und dann in ihren gewohnten Berufsalltag zurückkehren; mit ihrem neu erworbenen Wissen zu den Themen Energie, Klimawandel und Klimaschutz erarbeiten sie nach den Workshops in ihren Firmen eigene Klimaschutzprojekte und setzen diese mit Unterstützung ihrer Arbeit- geber um.

Die zentrale Frage des bluecamps lautet: «Wie mache ich mein Unter- nehmen klimafreundlicher?» Experten der Klimaschutzorganisationen my-

blueplanet und myclimate geben den Jugendlichen Tipps zum Projektma- nagement und helfen ihnen, ein für sie passendes Projekt zu finden. Ihre eigenen Klimaschutzprojekte können die Auszubildenden anschliessend bei der ‹Klimawerkstatt›, dem schweiz- weiten Klimaschutz-Wettbewerb der Stiftung myclimate, einreichen.

KLimaBotschafter im unternehmen

«Der Klimawandel wird vorwiegend die Kinder und Jugendlichen von heute und die kommenden Generationen hart treffen», erklärt Moritz Kulawik. Es sei deshalb wichtig, dass sie erfahren, wie sie mit ihrem Verhalten Einfluss nehmen können. «Jugendliche haben ein gutes Gespür für klimafreundliches Handeln. Sie können ihre Mitmenschen mit Energie und Leidenschaft be- geistern und von der Notwendigkeit des Klimaschutzes überzeugen.» Deshalb richten sich die bluecamps konkret an Auszubildende: Als ‹Klimabotschafter› setzen sie sich für ein Thema ein, das ihnen wichtig ist. Sie tragen praktisches Wissen zum Klimaschutz weiter ins Unternehmen und erhalten die Möglich-keit, Verantwortung zu übernehmen. Die Stiftung Mercator Schweiz fördert die bluecamps in den Jahren 2012 bis 2015 mit 50 000 Franken.

myBLuePLanet ziel der Bürgerinitiative und non-Profit-organi-sation ‹myblueplanet› ist es, konkret und messbar zum Klimaschutz beizutragen und den co2-ausstoss unserer gesellschaft zu re- duzieren. Die Projekte von myblueplanet sind auf Verbrauchsreduktion und effizienzstei- gerung sowie auf die förderung erneuerbarer energien ausgerichtet. Dazu zählen auch die bluecamps. im Jahr 2013 finden die workshops am 22. und 23. april in Basel sowie am 19. und 20. september in flaach im zürcher wein- land statt. Die teilnahme ist für die auszubil- denden kostenlos, die unternehmen stellen die teilnehmer im rahmen eines corporate Volun-teerings für zwei arbeitstage frei und über- nehmen die spesen für die hin- und rückreise. auch einzelpersonen, gruppen, firmen oder organisationen können sich von myblueplanet ein bluecamp zusammenstellen lassen. www.myblueplanet.ch / www.bluecamp.ch

cornelia DiethelM engagiert sich für die Klimaschutzorganisation myblueplanet.

Kontakt: myblueplanet, Moritz Kulawik, [email protected]

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nicolaS Krattiger, SiMon hayozforuM JugenDSeSSion

ein gutes gefühl!

nicolaS Krattiger (16) unD SiMon hayoz (18) aus fribourg setzen sich für das forum der Jugendsession ein – und damit dafür, dass die forderungen von 200 Jugendlichen, die jedes Jahr an der Jugendsession teilnehmen, politisch wahrgenommen werden. nicolas Krattiger besucht das Kollegium St. Michael in fribourg, Simon hayoz macht eine ausbildung bei der eidgenössischen zollverwaltung in Bern. Die Schweizerische arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände (SaJV) organisiert die Jugendsession. Die Stiftung Mercator Schweiz hat das Projekt in den Jahren 2010 bis 2012 mit 90 000 franken gefördert. www.jugendsession.ch

Die Anliegen der Jugendlichen gehen viel zu oft vergessen. Deshalb ist die Jugendsession so wichtig: Sie verschafft der Jugend Gehör! 2011 haben wir an der viertägigen Veranstaltung teilgenommen – es war eine tolle Erfahrung. Dieses Gefühl, mit 200 Jugendlichen im Natio- nalratssaal zu sitzen und richtig Politik zu machen, war einmalig. Doch schon damals haben wir uns gefragt, welchen Einfluss unsere For- derungen tatsächlich auf die Schweizer Politik- agenda haben. Als wir erfuhren, dass es ein Forum gibt, das die Petitionen nach der Jugend-session weiterverfolgt, um sie – immer wieder mit Erfolg – ins Parlament zu bringen, waren wir begeistert: Dafür wollten wir uns engagieren!

zentraLe fragen

Die Forderungen der Jugendsession werden jeweils der Bundeskanzlei übergeben, die diese dann an die entsprechenden Kommissionen weiterleitet. Unsere Aufgabe ist es, die politischen Erfolgsaussichten dieser Anliegen durch Lobby-

arbeit zu erhöhen. Dafür verteilen wir die Petitio-nen nach der Jugendsession unter den Forums-mitgliedern und bilden Arbeitsgruppen. Zunächst beginnt man, sich zum Thema zu informieren: Was ist auf politischer Ebene geplant? Wie ist das aktuelle Gesetz? Welche Parteien und Politiker engagieren sich für das Anliegen? Danach überlegen wir, wie man die Petition am besten weiterbringen kann: Wen schreiben wir an? Wollen wir uns mit bestimmten Politikern oder Organisationen treffen?

So hatten wir zwei schon mit einigen Poli-tikern Kontakt, leider ist es noch nicht zu einem Treffen gekommen. Ein Nationalrat hatte in letzter Minute abgesagt. Und bevor wir eine Nationalrätin treffen konnten, hatte sich das Thema bereits er- ledigt. Aber wir sind auch erst seit einem Jahr im Fo- rum dabei. Wir freuen uns darauf, in Zukunft die Themen der Jugendsession politisch weiterzu-bringen! In der Vergangenheit konnte das Fo - rum schon wichtige Erfolge feiern: Dass heute die Verwendung von rassistischen und extremis tischen Symbolen eine Straftat ist, geht zum Beispiel auf eine Petition der Jugendsession zurück. Uns hat zuletzt die Harmonisierung der Kinderzulagen in- tensiv beschäftigt. Doch vor allem bestand unsere Arbeit aus der Organisation des ‹Prix Jeunesse 2012›. Dieser Preis wird jedes Jahr von den Teilneh-mern der Jugendsession an einen Bundesparla-mentarier verliehen, der sich besonders für die An - liegen der Jugendlichen einsetzt. 2012 war dies der Walliser Nationalrat Mathias Reynard (SP).

arBeit, Die sich Lohnt

Das Engagement für die Jugendsession macht uns nicht nur viel Spass, wir lernen auch viel: Neben politischem Wissen, Kommunikations- und Organi-sationsfähigkeiten sind dies vor allem Durchhalte-vermögen und Geduld. Man muss damit umgehen können, dass Politiker einem nicht antworten oder Treffen kurzfristig absagen. Wir merken, dass Engagement nicht immer von Erfolg gekrönt ist – es ist harte Arbeit. Aber diese Arbeit lohnt sich: Es ist ein gutes Gefühl, Verantwortung gegen - über den Teilnehmern der Jugendsession zu haben!

engagiert

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janUar

17. — 18. 01. 2013

weLcheS vertraUen BraUchen wir?im interdisziplinären forschungs-projekt ‹vertrauen verstehen› gehen wissenschaftler der Universität zürich zentralen vertrauensfragen auf den grund. die tagung ‹zwischen risiko und Sicherheit – welches vertrauen brauchen wir?› vermittelt einen einblick in verschiedene forschungszweige und macht erste ergebnisse bekannt. die tagungs-schwerpunkte sind: vertrauen in der ökonomie, vertrauen in profes- sionellen feldern, vertrauen in Politik und religion, grundvertrauen als grenzphänomen. www.vertrauen-verstehen.uzh.ch

feBrUar

01.— 03. 02. 2013

viSionÄre BiLdUngSKonzePte iM tanzwie lassen sich künstlerischer tanz, tanzwissenschaft und tanzbil- dung zukunftsweisend verbinden? diese fragen stehen im zentrum der internationalen tagung ‹visionäre Bildungskonzepte im tanz› der Universität Bern und der Pädagogi-schen hochschule Bern. Mit hilfe von vorträgen, Podiumsdiskussionen, ateliers, Postersessionen und tanz- aufführungen erarbeiten die tagungs- teilnehmer grundlagen für zu-kunftsweisende Bildungskonzepte. www.tanztagung.ch

MÄrz

14. 03. 2013

SchULen Lernen von SchULen: aBSchLUSStagUngdie Pädagogische hochschule zürich blickt zusammen mit Schulver-tretern und der Bildungsdirektion des Kantons zürich auf fünf spannende jahre ‹Schulen lernen von Schulen› (sls) zurück. die abschlussveranstal-tung auf dem neuen campus der Pädagogischen hochschule zeigt ab 18 Uhr kleine und grosse verän-derungen und entwicklungen auf, die das Projekt sls in Schulen bewirkt hat. www.projekt-sls.ch

aPriL

10.—14. 04. 2013

37. Schweizer jUgendfiLMtagedie Schweizer jugendfilmtage sind das grösste nationale filmfestival, an dem hauptsächlich filme von jungfilmern gezeigt werden. ein ab- wechslungsreiches Programm be- gleitet das festival in zürich. in fünf Kategorien messen sich Schul- und jugendtrefffilme, freie Produk- tionen und filme von filmstudenten. eine eigene wettbewerbskate- gorie bilden filme, die in kosten- losen thematischen filmworkshops für jugendgruppen entstehen. die Stiftung Mercator Schweiz un- terstützt dieses angebot. das workshopthema für das festival 2013 lautet ‹1 | 4 | 24 – ein Land, vier Sprachregionen, dein film›. www.jugendfilmtage.ch

04. — 21. 04. 2013

BLicKfeLder das festival ‹Blickfelder› erobert Kulturhäuser und freie räume der Stadt zürich. Unter dem Motto ‹Blickfelder erklärt die welt› werden Kinder und jugendliche kreativ tätig: Sie treten in filmen und auf Bühnen auf, sie schreiben, dichten, musizieren, malen, bauen, kritisieren – und zeigen auf diese weise, wie die welt ist oder sein soll. neben spannenden Mitmach-angeboten bietet das volksschulamt des Kantons zürich den jungen Besu-chern ein abwechslungsreiches theater-, tanz- und Musikprogramm. www.blickfelder.ch

17.— 20. 04. 2013

nachwUchStagUng der aSien-wiSSenSchaften die Schweizerische asiengesellschaft, die Schweizerische gesellschaft Mittlerer osten und islamische Kul- turen und der Universitäre for-schungsschwerpunkt ‹asien und europa› der Universität zürich organisieren gemeinsam die Schwei- zerische nachwuchstagung der asienwissenschaften. die veran- staltung findet in zäziwil (Be) zum thema ‹asienwissenschaften: debatten und Perspektiven› statt. nachwuchsforscher stellen bei der tagung ihre dissertationen, Post- doc-arbeiten und habilitationen vor. www.sagw.ch/asiengesellschaft

Kalender

SC2012112202 - swissclimate.ch

KontaKtStiftung Mercator SchweizGartenstrasse 33Postfach 2148, Ch – 8022 Zürich tel. + 41 ( 0 ) 44 206 55 80info@stiftung - mercator.chwww.stiftung - mercator.ch

anSPreChPartner ProjeKtenadine Felix n.felix@stiftung - mercator.ch— Personalisiertes lernen

in heterogenen lerngemeinschaften

— SWiSe— Schulen lernen von Schulen— liSSa-PreisBeno BauMBerGerb.baumberger@stiftung - mercator.ch— Graduate Campusolivia [email protected]— Kultur-dialog / dialog - KulturSara FinK s.fink@stiftung - mercator.ch— lerngelegenheiten— orientierungsrahmen für die

frühkindliche Bildung, Betreuung und erziehung in der Schweiz

reGula von Bürenr.vonbueren@stiftung - mercator.ch— World Food System Center— bluecampPatriC SChatZMannp.schatzmann@stiftung - mercator.ch— jugendsession

iMPreSSuMMercator Magazin, ausgabe 02 / 12herauSGeBer / Stiftung Mercator SchweizredaKtion / nadine FiekeBildnaChWeiS / jonas jäggy (Cover, S. 1, 28 — 29, 39, 40 — 45, 54 — 55, 58 — 61, 72) / ZhdK (S. 2) / Brigit rufer, dominique Fischer(S. 3, 7 — 25, 30 — 35, 49, 66) / Mike Krishnatreya (S. 48, 50 — 53) / andreas Baumberger (S. 56) / Smitha Krishan (S. 68) / thomas alföldi (S. 68) / Karin Witschi (S. 70 — 71) GeStaltunG / rob & rose Zürich lithoGraFie / andreas Muster, Basel druCK / odermatt aG, dallenwil PaPier / PlanoPlus 90 g/m2

auFlaGe / 1 500 exemplare© 2012, Stiftung Mercator Schweiz

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