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1. Einleitung Im Durchschnitt verstehen Sprecher des Deutschen zirka 50.000 Wörter.1 Dabei
ist jedes einzelne von ihnen einer der „grundlegenden Bausteine der Sprache“2,
da Wörter eine wiedererkennbare Form aufweisen und eine bestimmte Bedeu-
tung tragen. Um die riesige Anzahl der Wörter des Deutschen überschaubar zu
machen, das Grimmsche Wörterbuch umfasst mehr als 400.000 Einträge,3 ord-
nen Sprachwissenschaftler Wörter in Wortarten. Eine übersichtliche Gliederung
des Wortbestandes in Wortarten des Deutschen ist unter anderem nötig, um über
Wörter zu reden. Wortarten gehören „zum Repertoire des begrifflichen Hand-
werkszeugs“4 des Grammatikunterrichts in der Schule. Das Gliederungskonzept
Wortarten kann für Schüler eine Hilfe darstellen, um Regelungen der Orthogra-
phie zu erlernen oder stilistische Besonderheiten in Texten zu analysieren.5 Dies
sind Gründe dafür, weshalb Wortarten zum „Kern des grammatischen Curricu-
lums“6 gehören.
Allerdings ist eine eindeutige Kategorisierung der Wortarten oftmals problema-
tisch. Für die deutsche Sprache existieren unterschiedliche Wortartensysteme,
die sich in Bestimmung und Benennung der Wortarten stark voneinander unter-
scheiden. Im Folgenden wird dargestellt, nach welchen Kriterien die Worte des
Deutschen klassifizierbar sind (Kapitel 2). Daraufhin werden verschiedene Wort-
artensysteme analysiert (Kapitel 3) und Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten
zwischen den Wortartensystemen herausgearbeitet. Die Vorgehensweisen der
Sprachwissenschaftler werden kritisch durchleuchtet, um Stärken und
Schwächen der Klassifizierungsstrategien offenzulegen. Dabei stehen folgende
Leitfragen zur Diskussion: Was sind Gründe dafür, dass es unterschiedliche
Wortartensysteme gibt? Welche Paradigma der Wortartenklassifizierung lassen
sich unterscheiden? Welche Argumentationslinien nutzen Sprachwissenschaftler,
um ihre Klassifizierungskonzepte, die erheblich von anderen Wortartensystemen
abweichen können, zu rechtfertigen?
In dieser Arbeit wird folgende These diskutiert: Die in den Bildungsstandards
Deutsch formulierten Lernziele für eine schulische Thematisierung der Wortarten 1 Vgl. Peter Eisenberg, Grundriß der deutschen Grammatik. Band 1: Das Wort, Stuttgart 2004, S. 34.2 Peter Eisenberg, Angelika Linke, Wörter, in: Praxis Deutsch 139 (1996), S. 20-30, hier: S. 20.3 Vgl. Eisenberg (2004), S. 34.4 Wolfgang Menzel, Wortarten. Ein Basisartikel, in: Praxis Deutsch 77 (1986), S. 12-18, hier: S. 16.5 Vgl. ebd.6 Angelika Steets, Lernbereich Sprache in der Sekundarstufe I, in: Michael Kämper-van den Boogaart (Hrsg.), Deutsch-Didaktik. Leitfaden für die Sekundarstufe I und II, Berlin 2008, S. 216-237, hier: S. 225.
1
verleugnen die Pluralität und Theorienvielfalt der Sprachwissenschaft. Die Folge
davon ist eine normative Wortartenlehre, die eine „terminologisch richtig(e)“7
Wortartenbestimmung vortäuscht.
Abschließend wird ein Unterrichtsmodell für einen systematischen und
handlungsorientierten Umgang mit Wortarten vorgestellt, der die Theorienvielfalt
der Fachwissenschaft akzeptiert und den Fokus auf die sprachwissenschaftlichen
Kategorisierungsprozesse legt (Kapitel 4).
2. Möglichkeiten, Wörter zu klassifizieren Für die deutsche Sprache existieren quantitativ und qualitativ unterschiedlich
ausdifferenzierte Wortartensysteme, die sich auf den ersten Blick vor allem hin-
sichtlich der Anzahl der klassifizierten Wortarten unterscheiden. Johann Chris-
toph Adelung definiert in seiner traditionellen Grammatik „Deutsche Sprachlehre“8
aus dem Jahr 1781 zehn Wortarten, während andere Sprachwissenschaftler zu
davon abweichenden Ergebnissen der Klassifizierung gelangen: Hans Glinz
erkennt in seiner Grammatik lediglich fünf Wortarten an,9 während Wladimir
Admoni deren dreizehn unterscheidet.10 Die stark voneinander abweichenden
Anzahlen der Wortarten in den Grammatiken stellen eine Folge der
unterschiedlich angewandten Kriterien der Wortartklassifizierung und der
unterschiedlichen Klassifizierungstheorien dar.
Für das Deutsche als flektierend-alternierende Sprache sind drei Kriterien maß-
geblich zur Klassifizierung der Wortarten: Wörter können nach morphologischen,
semantischen sowie syntaktischen Merkmalen klassifiziert werden. Entscheidend
für die Anzahl der Wortarten in einem System sind einerseits das der
Klassifizierung zugrunde liegende Paradigma sowie andererseits die Hierarchi-
sierung der Klassifikationskriterien. Eine primär nach morphologischen Merkma-
len durchgeführte Wortartenklassifizierung kommt zu anderen Ergebnissen als
eine Einteilung nach primär semantischen Kriterien oder eine stark heterogene
Klassifizierung, bei der mehrere Kriterien überkreuzt angewendet werden.
7 Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), Kernlehrplan für die Realschule in Nordrhein-Westfalen Deutsch, Frechen 2004, S. 39.8 Johann Christoph Adelung, Deutsche Sprachlehre. Zum Gebrauche der Schulen in den Königl. Preuß. Landen. Berlin 1781.9 Vgl. Hans Glinz, Der deutsche Satz. Wortarten und Satzglieder wissenschaftlich gefasst und dichterisch gedeutet, Düsseldorf 1970, S. 35.10 Wladimir Admoni, Der deutsche Sprachbau, München 1982.
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Eine Klassifizierung der Wortarten des Deutschen gemäß morphologischer Krite-
rien erscheint zunächst „relativ problemlos“11 durchführbar. Die Flexionsmerk-
male Konjugierbarkeit, Deklinierbarkeit und Komparierbarkeit unterscheiden die
flektierbaren Wortarten eindeutig und zweifelsfrei von den nicht flektierbaren
Wortarten (Partikeln). Der Germanist Hans Glinz nutzt eine solche morphologi-
sche Klassifizierungsstrategie. Er unterscheidet die Wortarten Verben, Substan-
tive und Adjektive von einem Restbestand Partikeln, da die zuletzt genannten
„keine regelmäßig durchführbare Formveränderung“12 aufweisen. Allerdings er-
laubt die Anwendung morphologischer Kriterien keine weitere Ausdifferenzierung
dieser quantitativ großen Restklasse, sodass ein morphologisches Wortarten-
system kein Kategoriennetz darstellt, mit dem alle Wörter der deutschen Sprache
lückenlos klassifiziert werden können.13 Eine alleinige Verwendung des
morphologischen Ansatzes reicht demzufolge nicht aus, um eine vollständige und
differenzierte Wortartencharakteristik aufzustellen.
Wörter können weiterhin semantisch klassifiziert werden. Dies ist auf zwei unter-
schiedlichen Ebenen möglich. Der Sprachwissenschaftler Gerhard Helbig schlägt
vor, die semantischen Kriterien A und B voneinander zu unterscheiden.14
Unter dem semantischen Kriterium A versteht Helbig die vor allem in traditionel-
len deutschen Grammatiken durchgeführte Klassifizierung der Wortarten nach
objektiv bedingten Elementen ihrer lexikalischen Semantik. Demzufolge ergeben
sich die Wortarten gemäß dem semantischen Kriterium A unmittelbar aus der
Sachbedeutung der Wörter: So werden Tätigkeiten als „Tätigkeitswörter“, Dinge
als „Dingwörter“ und Wörter, die Eigenschaften oder Merkmale beschreiben als
„Eigenschaftswörter“ klassifiziert.15
An einer mechanisch-eindeutigen Zuordnung von außersprachlichen Realitäten
und sprachlichen Formen wird kritisiert, dass eine Identität von außers-
prachlichen und sprachlichen Formen nicht existiere.16 In den zwanziger Jahren
des 20. Jahrhunderts wurde darüberhinaus ein weiteres Problem der Wortarten-
klassifizierung gemäß dem semantischen Kriterium A diskutiert. Die Sprachwis-
senschaftler Ernst Otto und Friedrich Slotty machen darauf aufmerksam, dass 11 Gerhard Helbig, Zu einigen Problemen der Wortartklassifizierung im Deutschen, in: Ders. (Hrsg.), Linguistische Studien. Beiträge zur Klassifizierung der Wortarten, Leipzig 1977, S. 90-118, hier: S. 93.12 Glinz, S. 32.13 Gerhard Helbig, Zum Problem der Wortarten, Satzglieder und Formklassen in der deutschen Grammatik. In: Clemens Knobloch, Burkhard Schaeder (Hrsg.), Wortarten. Beiträge zur Geschichte eines grammatischen Problems, Tübingen 1992, S. 333-364, hier: S. 341.14 Vgl. Helbig (1977), S. 94.15 Vgl. Walter Jung, Grammatik der deutschen Sprache, Leipzig 1966, S. 170f.16 Vgl. Helbig (1977), S. 94.
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eine mechanisch-eindeutige Zuweisung von außersprachlichen Realitäten und
sprachlichen Formen dann an ihre Grenzen stößt, wenn Wörter inhaltlich gleich-
bedeutend, aber formell unterschiedlich sind. Dieses Phänomen tritt auf, wenn
Wörter durch Flexion in eine andere Wortart wechseln. Otto nennt als Beispiele
die Wortpaare „Gegner“ und „gegnerisch“ sowie „Härte“ und „hart“, welche sich in
ihren lexikalischen Bedeutungen jeweils nicht unterscheiden lassen, obwohl es
sich um eindeutig unterschiedliche Wortarten handelt. Aus diesem Grund hält es
Otto für notwendig, Wortarten als Kategorien zu verstehen, in denen die Umwelt
widergespiegelt erscheint.17
Slotty greift diesen Gedanken Ottos auf, indem er den Wortarten ein „kategoria-
les Meinen“ zuschreibt.18 Auch Slotty kritisiert die mechanische Zuordnung von
Wort und Realität gemäß dem semantischen Kriterium A, da für ihn Wortarten
sprachliche Ausdrücke für Kategorien des Bewusstseins darstellen, in denen der
denkende Mensch Erscheinungen der Umwelt einordnet.19 Wortarten ergeben
sich nicht mehr aus der lexikalischen Sachbedeutung der Wörter, sondern aus
einer abstrahierten kategorialen Bedeutung, welche die lexikalische Bedeutung
überlagere.20 Diese verallgemeinerte Bedeutung bezeichnet Helbig als
semantisches Kriterium B.21 Die abstrahierte kategoriale Bedeutung wird damit
zum wortartprägenden Element. Substantive bezeichnen demnach keine Dinge,
sondern Wörter, die vom menschlichen Denken als Dinge oder Größen
wahrgenommen werden. Damit spiegeln Wörter die Realität kategorial wider.
Unklar an der Theorie des semantischen Kriteriums B bleibt jedoch, ob alle Wor-
tarten des Deutschen diese kategoriale Grundbedeutung aufweisen. Otto defi-
niert in seiner „Widerspiegelungstheorie“22 vier Kategorien der Wirklichkeit
(Gegenstand, Merkmal, Tätigkeit, Relation), denen die vier „fundamentalen Wor-
tarten“ Substantiv, Adjektiv, Verb und „Verhältnis- und die Bindewörter“23
entsprechen. Damit bleibt bei der semantischen Klassifizierung eine große
17 Vgl. Ernst Otto, Die Wortarten., in: Clemens Knobloch, Burkhard Schaeder (Hrsg.), Wortarten. Beiträge zur Geschichte eines grammatischen Problems, Tübingen 1992, S. 197-206, hier: S. 201.18 Friedrich Slotty, Wortart und Wortsinn., in: Clemens Knobloch, Burkhard Schaeder (Hrsg.), Wortarten. Beiträge zur Geschichte eines grammatischen Problems, Tübingen 1992, S. 207-220, hier: S. 207.19 Vgl. ebd., S. 209f.20 Vgl. Karl-Ernst Sommerfeldt, Günter Starke, Einführung in die Grammatik der deutschen Gegenwartssprache, Tübingen 1998, S. 42.21 Helbig (1977), S. 95.22 Vgl. Otto, S. 204f.23 Otto, S. 205.
4
Restklasse kleinerer Wortarten über, die nicht eindeutig „auf Grund einer
kategorialen Auffassung der Wirklichkeit“24 definiert werden können.
Wörter können zudem nach syntaktischen Merkmalen klassifiziert werden. Diese
lässt sich, ähnlich zur semantischen Klassifizierung, auf zwei Ebenen durchfüh-
ren. Der Sprachwissenschaftler Helbig unterscheidet zwei Verfahren der syntak-
tischen Klassifizierung.
Die Klassifizierung gemäß dem syntaktischen Kriterium A ist bereits in den tradi-
tionellen Wortartenlehren eine Strategie der Wortartenklassifizierung, obwohl sie
dort nicht explizit als Klassifikationstheorie ausgewiesen wird. Johann Christoph
Adelung definiert in seiner Sprachlehre Ende des 18. Jahrhunderts die Konjunk-
tionen nach syntaktischen Kriterien, da diese „das Verhältnis so wohl zwischen
den Gliedern eines Satzes, als auch zwischen ganzen Sätzen“25 bezeichnen.
Entscheidend für diese Wortart sei demnach sowohl die Position („zwischen den
Gliedern“) als auch die Funktion („Verhältnis“ ausdrücken).
In vielen Grammatiken wird mit Substitutionsrahmen gearbeitet, mit denen über-
prüft werden kann, ob Wörter zur gleichen Wortart gehören:26
(1) Der … arbeitet fleißig.
(2) Der Student … fleißig.
Syntaktisch korrekt können in die offene Position (1) lediglich Substantive, in die
Position (2) nur Verben eingesetzt werden. Neben der Position der Wörter kann
darüberhinaus die „Art der Kombination“27 bei der syntaktischen Klassifizierung
berücksichtigt werden. Dabei wird untersucht, ob sich Wörter nach dem Auftreten
in spezifischen Satzfeldern, Umgebungen oder Gruppen klassifizieren lassen.
Eine weitere Methode des syntaktischen Kriteriums A besteht darin, festzustellen,
inwiefern Wörter satzgliedfähig sind und dadurch zu bestimmten Wortarten zu-
sammengefasst werden können. So bilden finite Verben Prädikate, Substantive
sind entweder Subjekt oder Objekt eines Satzes und Adjektive treten als Attribute
auf.
Allerdings weist eine syntaktische Klassifizierung mithilfe von Substitutionsrah-
men einen Nachteil auf, da diese Methode nicht universell angewandt werden
kann. Die Satzgliedstellung im Deutschen folgt im Vergleich zu anderen Spra-
chen keiner strikten Regelung, da deutsche Sätze eine relativ freie Wortstellung
aufweisen. Demzufolge müssen syntaktische Klassifizierungskriterien der
jeweiligen Sprache angepasst werden. Eine Übernahme konkreter Substitutions-
24 Ebd.25 Adelung, S. 108.26 Vgl. Charles Carpenter Fries, The Structure of English, London 1963, S. 74.27 Johannes Erben, Deutsche Grammatik. Ein Leitfaden, Frankfurt am Main 1968, S. 39.
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rahmen in eine andere Sprache, um Wortarten sprachenübergreifend klassifizie-
ren zu können, ist selten möglich. Somit können Kenntnisse über die Grammatik
des Deutschen im Bereich syntaktischer Wortartenklassifizierung nicht dazu
beitragen, das Erlernen von Fremdsprachen zu erleichtern – obwohl dies ein in
der Fachdidaktik viel diskutiertes Argument für eine systematische
Sprachbetrachtung ist.28
Weiterhin problematisch ist, dass mithilfe der Substitutionsrahmen nicht in allen
Fällen Unterschiede zwischen Wortarten erfasst werden können. Besonders die
Unterscheidung zwischen Adjektiv und Adverb ist problematisch:
(3) Der Student ist fleißig.
(4) Der Student isst fleißig.29
Sowohl Position als auch Umgebung des hervorgehobenen Lexems sind iden-
tisch. Eine Unterscheidung zwischen dem Adjektiv in Satz (3) und dem Adverb in
Satz (4) ist demzufolge mit dem Verfahren des syntaktischen Kriteriums A nicht
durchführbar.
Allerdings ist es möglich, durch Berücksichtigung der syntaktischen Tiefenstruk-
tur mithilfe Chomskys Theorie der generativen Grammatik einen Unterschied
zwischen den hervorgehobenen Lexemen zu analysieren. Dazu werden die
oberflächensyntaktisch identisch aufgebauten Sätze (3) und (4) zu einfachen
Kernsätzen transformiert. Dadurch wird verständlich, dass in Satz (3) der Student
fleißig ist (arbeitet), während in Satz (4) das Essen des Studenten (verstanden
als Vorgang) fleißig geschieht.30 Eine solche tiefenstrukturelle Transformation
verdeutlicht die hinter einer linearen Redekette verborgenen unterschiedlichen
Beziehungen und ermöglicht es, zwischen Adjektiven und Adverbien syntaktisch
zu differenzieren.31 Dieses Verfahren bezeichnet Helbig als „syntaktisches Krite-
rium B“.32
3. Wortartensysteme a. Die traditionelle Wortartenklassifizierung am Beispiel von Jo-
hann Christoph Adelungs „Deutscher Sprachlehre“
28 Vgl. Steets, S. 220.29 Vgl. Helbig (1977), S. 98.30 Vgl. ebd.31 Vgl. Sommerfeldt, Starke, S. 43.32 Helbig (1977), S. 97.
6
Von grundsätzlicher Bedeutung für die Theorie moderner Wortartensysteme ist
noch immer das traditionelle Wortartensystem. Dieses wird von Sprachwissen-
schaftlern oftmals als Ausgangspunkt für eine kritische Diskussion der Wortar-
tenlehre genutzt, um eine nötige Revision oder eine mögliche Reform des tradi-
tionellen Systems anzuregen. Das traditionelle System der deutschen Wortarten
basiert auf der bereits im Hellenismus entwickelten Lehre der acht Wortarten, die
lange Zeit in Europa paradigmatisch war.33 Die antiken griechischen Gelehrten
unterschieden unter Berücksichtigung logisch-kategorialer Funktionen sowie
morphologischer Kriterien acht Teile der Rede: Nomen, Verben, Partizipien, Arti-
kel, Pronomen, Präpositionen, Adverbien, Konjunktionen.
Diese antike Theorie wurde von deutschen Grammatikern auf die deutsche Spra-
che übertragen. Dies geschah unter der Prämisse, den Beweis für eine kompli-
ziert-anspruchsvolle Grammatik der relativ jungen Volkssprache Deutsch liefern
zu wollen. Allerdings musste die hellenistische Theorie an vielen Stellen an die
Eigenarten des Deutschen angepasst werden. So verweist Johann Christoph
Adelung auf die antike Wortart Partizip, welche für eine deutsche Wortartenklas-
sifizierung überflüssig sei, da die deutschen Adjektive und Adverbien dessen
Funktion übernähmen.34 Damit emanzipiert sich Adelung von der
paradigmatischen Wortartenlehre der Hellenisten und legitimiert seine
Klassifizierung.
Adelung beachtet für seine Klassifizierung nach eigenen Angaben primär mor-
phologische und semantische Kriterien, da er die Wörter nach „ihrer Form, oder
der Art des Begriffes“35 gliedert. Doch auch syntaktische Klassifikationskriterien
werden vom Autor herangezogen, da Wörter Vorstellungen in einem Satz aus-
drücken und daher „Redetheile“36 darstellen, wie der Autor feststellt. Das Resultat
ist eine stark heterogene Wortartenklassifizierung, in der die Prinzipien der Klas-
sifizierung überkreuzt angewandt sind.
Nach semantischen Kriterien grenzt Adelung das Substantiv von allen anderen
Wortarten ab, da es als „Substanz“37 der Rede die einzige selbständige Wortart
sei.38 Substantive bezeichnen nach Adelung „ein einzelnes Ding (…) oder Arten,
33 Vgl. Wilhelm Schmidt, Die deutschen Wortarten aus der Sicht der funktionalen Grammatik betrachtet, in: Clemens Knobloch, Burkhard Schaeder (Hrsg.), Wortarten. Beiträge zur Geschichte eines grammatischen Problems, Tübingen 1992, S. 295-314, hier: S. 304.34 Vgl. Adelung, S. 89.35 Adelung, S. 83.36 Ebd., S. 84.37 Ebd.38 Vgl. Adelung, S. 84f.
7
Gattungen und Klassen von Dingen“39, wodurch eine eindeutige Zuordnung von
außersprachlicher Realität und sprachlicher Form definiert wird (semantisches
Kriterium A). Da die Substantive als einzige Wortart selbständig gedachte Dinge
bezeichnen, seien sie semantisch von allen anderen Wortarten grundverschie-
den.40 So fasst Adelung die Adverbien, Präpositionen, Konjunktionen, Verben,
Adjektive, Artikel, Pronomen und Numerale antithetisch zum „Hauptwort“41 Subs-
tantiv als Klasse der unselbständigen Wortarten zusammen.42 Dies begründet
Adelung auch syntaktisch, da er davon ausgeht, die unselbständigen Wortarten
seien dazu bestimmt, die Handlungen des Substantivs zu benennen, zu konkreti-
sieren und in Beziehung zu anderen Dingen oder Vorgängen zu setzen.
Lediglich nach semantischen Kriterien fassbar ist die von Adelung klassifizierte
Wortart der Numerale, welche einen zahlenmäßigen Umfang zeigen.43 Diese
Zahlwörter definiert Adelung als „allgemeine Wörter der Menge und Vielheit“44,
welche weder über eine verbindende syntaktische Funktion, noch über
gemeinsame morphologische Merkmale verfügen.
Darüberhinaus definiert Adelung auch Adjektive und Verben nach dem semanti-
schen Kriterium A, indem er postuliert, Adjektive bezeichneten Eigenschaften,
Verben hingegen seien Zeitwörter, welche Tätigkeiten ausdrückten. Weiterhin
werden die Adverbien nach dem semantischen Kriterium A klassifiziert, da sie als
„Beschaffenheitswörter“45 Temporales, Lokales, Modales und Kausales näher
bestimmen.46
Doch Adelung beachtet darüberhinaus auch syntaktische Kriterien, um Wörter in
Wortarten zusammenzufassen: Die Konjunktionen werden von Adelung als rein
syntaktisch klassifizierbare Wortart aufgefasst, da sie Verhältnisse zwischen
Satzgliedern und Sätzen ausdrückten.47 Auch die als eigenständige Wortart
klassifizierten Artikel haben nach Adelung eine syntaktische Funktion, indem sie
Substantive nicht nur begleiten, sondern den syntaktischen Bezug des Prädikats
verdeutlichen.48 So stelle der Artikel bestimmte Anforderungen an den Kasus des
folgenden Substantivs. Darüberhinaus misst Adelung auch den bereits seman-
39 Ebd., S. 86.40 Vgl. ebd., S. 84.41 Ebd.42 Vgl. ebd., S. 85.43 Vgl. ebd., S. 194.44 Ebd..45 Ebd., S. 85.46 Vgl. ebd., S. 322ff.47 Vgl. ebd., S. 88.48 Vgl. ebd., S. 86.
8
tisch klassifizierten Verben syntaktische Funktionen bei, da diese in finiter Form
das Prädikat eines Satzes bilden.
Abschließend teilt Adelung die bereits nach semantischen und syntaktischen
Kriterien klassifizierten Wortarten auch nach ihrer Flektierbarkeit in zwei Gruppen
ein: die beugbaren Wörter und die nicht veränderlichen Partikeln.49 Allerdings
versäumt es der Autor, seine Wortartenklassifizierung systematisch zu ordnen
und zu hierarchisieren. Dadurch wirkt seine Klassifizierung unpräzise, die einzel-
nen Klassifikationskriterien sind überkreuzt und unsystematisch angewandt. Der
Sprachwissenschaftler Ludwig Sütterlin kritisiert diese Inkonsequenz der Klassifi-
zierung Adelungs, der eine objektive Klassifizierungstheorie fehle.50 Sütterlin for-
dert stark normativ, es dürfe lediglich ein Klassifizierungskriterium angewandt
werden, sei das Ziel eine wissenschaftlich-objektive Wortartencharakteristik.51
Dieser umfassende Angriff Sütterlins auf eine heterogene Wortartenklassifikation
im Allgemeinen und die traditionelle Wortartenlehre im Speziellen initiierte einen
sprachwissenschaftlichen Diskurs um Wissenschaftlichkeit und Objektivität der
Wortartenlehre. Die weiteren vorgestellten Beiträge zur Klassifizierung der Wor-
tarten des Deutschen stellen Reaktionen auf Sütterlins fundamentalen Angriff auf
heterogene Klassifizierungen dar.
b. Ein homogener Klassifizierungsversuch: Walter Flämigs Algorithmus der Wörter
Analog zu Sütterlin kritisiert auch Walter Flämig heterogene Wortartenklassifizie-
rungen mit stark überkreuzenden Einteilungskriterien, und bemängelt an der tra-
ditionellen Wortartentheorie fehlende Einheitlichkeit in der Theorie.52 Deswegen
schlägt Flämig vor, Wörter systematisch nach grammatischen Klassifizie-
rungskriterien zu ordnen.53
Flämig sortiert Wörter primär nach Merkmalen der inneren Struktur. Eine solche
morphologische Klassifizierung erscheint ihm angemessen, da es im Deutschen
bestimmte Klassen von Flexionsmorphemen gebe, welche die Semantik und
49 Vgl. Adelung, S. 89.50 Vgl. Ludwig Sütterlin, Die Deutsche Sprache der Gegenwart (Ihre Laute, Wörter, Wortformen und Sätze). Ein Handbuch für Lehrer und Studierende, Leipzig 1918, S. 97.51 Vgl. ebd.52 Vgl. Walter Flämig, Grammatik des Deutschen. Eine Einführung in Struktur- und Wirkungszusammenhängen, Berlin 1991, S. 356.53 Vgl. ebd.
9
Satzfunktion der Wörter beeinflussen.54 Flämig versucht zwar, eine streng homo-
gene Klassifizierung zu entwerfen, stößt allerdings auf das kategorische Problem
einer homogen morphologisch durchgeführten Einteilung der Wörter, welches
bereits diskutiert wurde (siehe Kapitel 2): Neben den nach Konjugation, Deklina-
tion und Komparation deutlich trennbaren Wortarten Verb, Substantiv, Adjektiv
bleibt eine große undifferenzierbare Restklasse übrig. Als Ausweg nutzt Flämig
an dieser Stelle syntaktische Klassifikationskriterien, indem er die nicht flektierba-
ren Wortarten nach Satzwert, Satzgliedwert und Kasusforderung differenziert
(syntaktisches Kriterium A).
Das Resultat ist eine prinzipiell einheitliche Klassifizierung nach grammatischen
Kriterien, die eine interne Ordnung und Hierarchie aufweist. Die syntaktischen
Klassifikationskriterien werden von Flämig erst dann beachtet, wenn morphologi-
sche Kriterien keine weitere Unterscheidung zulassen. Bei dieser Klassifizierung
spielen semantische Kriterien keine Rolle und werden von Flämig ausgeschlos-
sen, obwohl der Autor eingesteht, dass den einzelnen, grammatisch klassifizier-
ten Wortarten durchaus semantische Bedeutung beizumessen sei.55 Flämigs
Modell stellt eine „form- statt sachbezogene Klassifizierung“56 dar, die sich im
Gegensatz zu Adelungs Wortartensystem durch eine stark strukturierte und
systematisierte Theorie auszeichnet. Flämigs Modell kann in folgendem Al-
gorithmus dargestellt werden:57
Dieser Skizze können die von Flämig klassifizierten Wortarten des Deutschen
schnell entnommen werden: Verb, Substantiv, Adjektiv, Pronomen, Modalwort,
Adverb, Partikel, Präposition, Konjunktion. Im Gegensatz zu Adelung ordnet Flä-
54 Vgl. Flämig, S. 356.55 Vgl. ebd., S. 357, S. 359.56 Helbig (1977), S. 105.57 Flämig, S. 358.
10
mig die Artikel wegen syntaktischer Ähnlichkeit der Gruppe der Pronomen zu. Die
Numerale können nach Flämigs Modell ebenfalls nicht mehr als eigenständige
Wortart aufgefasst werden, da sie keine morphologische Einheit bilden und als
Substantive, Adjektive oder Adverbien auftreten können.
Neu ist in Flämigs Modell die Klasse der Modalwörter, welche angeben, wie ein
Sprecher einen Sachverhalt einschätzt. Diese Gruppe ist nach Flämig syntaktisch
zu fassen, da Worte wie „vielleicht“ oder „wahrscheinlich“ als Antworten auf Ent-
scheidungsfragen satzfähig seien. Wörter, die weder satzfähig, noch satzgliedfä-
hig und auch nicht Fügewort sein können, fasst Flämig als Partikeln auf. Diese
Wörter können weder einen Ein-Wort-Satz bilden, noch verfügen sie über die
Funktion, syntaktische Verknüpfungen herzustellen. Die einzige syntaktische
Funktion dieser Wörter bestehe darin, einzelne Teile einer Äußerung zu
modifizieren, indem sie bestätigend, hervorhebend, gegenüberstellend oder
beschwichtigend gebraucht werden können.58 Allerdings kann Flämig nicht
überzeugend darlegen, inwiefern solche semantischen Modifikationen
syntaktische Funktionen erfüllen.
Die Stärke Flämigs Modell besteht in der Systematik und Eindeutigkeit der Theo-
rie. Die klare Hierarchisierung der Klassifizierungskriterien (morphologisch vor
syntaktisch) wirkt überzeugend, da der Autor die Wörter des Deutschen struktu-
riert und nachvollziehbar ordnet. Allerdings hat das System auch deutliche
Schwächen. Adjektive, die nicht komparierbar oder deklinierbar sind „(rosa“,
„futsch“, „quitt“) lassen sich mit Flämigs Modell nicht als solche einordnen. Zu-
dem gibt es in der deutschen Sprache Wörter, die von anderen Wortartensyste-
men überzeugend als Pronomen klassifiziert wurden, obwohl sie artikelfähig sind
(„der eine – der andere“; „die übrigen“).59 Flämig hingegen klassifiziert diese
Wörter als Substantive, obwohl des nur dann überzeugend möglich ist, wenn sich
diese Wörter auf bereits geäußerte Substantive beziehen und diese als
Stellvertreter ersetzen.
58 Vgl. Flämig, S. 550.59 Vgl. Sommerfeldt, Starke, S. 48.
11
c. Reformversuche der heterogenen Wortartenklassifizierung durch Wladimir Admoni
Auch Wladimir Admoni reagiert auf Sütterlins Kritik am traditionellen Wortarten-
system – allerdings mit anderen Argumenten und einer anderen Intention als
Flämig. Für Admoni stellt die Wortartenklassifizierung die „schwierigste Aufgabe
der Sprachwissenschaft“60 dar, da der „charakteristische Aspektreichtum“61 der
Sprache beim Wort besonders deutlich sei. Da Wörter „eine zu komplizierte und
vielseitige grammatische Einheit“62 darstellten, verteidigt Admoni das traditionelle
System vor Sütterlins platonischem Angriff: Eine homogene Wortarteneinteilung
verleugne die Komplexität der Wörter und führe zu „allgemeiner Unsicherheit.“63
So plädiert Admoni dafür, die Komplexität und Widersprüchlichkeit der Wörter zu
akzeptieren. Da eine heterogene Wortarteneinteilung somit „dem Wesen des
Untersuchungsobjekts folgt“64, sei diese einer homogenen Klassifizierung metho-
disch überlegen und damit wissenschaftlich und objektiv. Dies sei der Grund da-
für, dass Adelungs unsystematische und nach überkreuzten Klassifizierungsprin-
zipien erfolgte Wortartenlehre eben „kein Notbehelf“65 darstelle. Dennoch erach-
tet es Admoni für notwendig, Adelungs System zu reformieren und auszubauen,
da er davon ausgeht, dass die Komplexitätsprobleme der Wörter eine neue
Gruppierung und Hierarchie der Klassifizierungskriterien erfordern.66 Admoni
erhebt den Anspruch, ein systematisches Theoriennetz aufzustellen, nach der
die Wörter eindeutig klassifiziert werden können. So seien drei Kriterien, von
denen keines eine dominierende Stellung einnehmen dürfe,67 entscheidend für
jede Wortart: die verallgemeinerte, abstrahierte Bedeutung, die morphologische
Struktur, sowie die syntaktische Funktion.68 Aus dieser Theorie entsteht eine
Lehre der dreizehn Wortarten Admonis: Zu den zehn bekannten (und ähnlich
klassifizierten) Wortarten des traditionellen System Adelungs ergänzt Admoni die
Negation, Modalwörter und Partikeln.
Unter dem Etikett Negation klassifiziert Admoni Wörter, die analog zu Adelungs
Wortart Numeralia weder über eine einheitliche morphologische Struktur verfü-
gen, noch in ihrer syntaktischer Funktion eine Einheit darstellen. Allerdings wei-
sen die von Admoni als Negation klassifizierten Wörter ein verbindendes Ele-
60 Admoni, S. 63.61 Ebd.62 Ebd.63 Ebd.64 Ebd.65 Ebd.66 Ebd., S. 64.67 Ebd., S. 65.68 Ebd..
12
ment in ihrer abstrahierten Semantik auf: es handelt sich um Wörter der Vernei-
nung. Zwar versucht Admoni diese lediglich nach dem semantischen Kriterium B
definierbare Gruppe zudem mit grammatischen Kriterien zu erfassen. Eine
Rückführung auf das angeblich alle Negationen beinhaltende Grundmorphem –n
wirkt jedoch wenig überzeugend,69 da ein solches keinerlei Bedeutung trägt.
Darüberhinaus widersprechen die Negationen „kein“ und „keineswegs“ dieser
Argumentation.
In der Gruppe der Modalwörter fasst Admoni solche Wörter zusammen, die we-
gen ihrer morphologischen Gestalt im traditionellen System als Adverbien gelten.
Admoni stellt jedoch fest, dass Modalwörter semantisch als eigenständige
Gruppe klassifiziert werden können und unterscheidet sie von den Adverbien.
Admoni argumentiert, die Modalwörter seien, im Gegensatz zur logischen Wortart
Adverbien, eine Gruppe von Wörtern, die eine „kommunikativ-grammatische Ka-
tegorie“70 auszeichne und eine „Einschätzung des Inhalts (…) von seiten des
Sprechenden“71 erkennen ließe.
Auch die von Admoni als Partikeln klassifizierten Wörter sind in traditionellen
Systemen der Gruppe der Adverbien zugeordnet. Admoni hält es dennoch für
sinnvoll, sie als eigenständige Gruppe aufzufassen, da sie „oft stark emotional“72
wirkten und dazu beitrügen, „die Wirklichkeit der Äußerung (…) zu betonen oder
irgendwie zu modifizieren.“73
Admonis Wortartensystem unterscheidet sich lediglich in Detailfragen vom tradi-
tionellen System Adelungs. Dies ist kaum verwunderlich, da es Admonis Prä-
misse darstellt, das seiner Meinung nach gelungene traditionelle System weiter-
zuentwickeln. Allerdings überbetont Admoni das Kriterium der verallgemeinerten
abstrahierten Bedeutung (semantisches Kriterium B), sodass grammatische Kri-
terien von Admoni lediglich ergänzend herangezogen werden, um seine seman-
tischen Hypothesen zu untermauern. Dadurch entsteht im Gegensatz zu Flämig
eine sehr stark sachbezogene Wortartenklassifizierung. Entgegen seiner eigenen
theoretischen Vorüberlegungen räumt Admoni damit dem semantischen Krite-
rium B eine dominierende Stellung bei der Wortartenklassifizierung ein. Aus
diesem Grund kann auch Admoni eine Inkonsequenz der Klassifizierungstheorie
vorgeworfen werden.
d. Betonung der Syntax: Gerhard Helbig und Joachim Buscha
69 Vgl. Admoni, S. 66.70 Ebd., S. 207.71 Ebd.72 Ebd., S. 209.73 Ebd.
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Die Sprachwissenschaftler Gerhard Helbig und Joachim Buscha distanzieren
sich in ihrer Deutschen Grammatik von der Diskussion um die Wissenschaftlich-
keit und Objektivität einer heterogenen Wortartenklassifizierung. Vielmehr stellen
die Autoren praktische Probleme der Wortartensysteme in den Vordergrund, in-
dem sie betonen, dass die Wörter der deutschen Sprache weder umfassend
nach dem Kriterium der Formveränderlichkeit klassifiziert werden können, noch
dass alle Wörter des Deutschen einen direkten Wirklichkeitsbezug aufweisen.74
Helbig und Buscha plädieren dafür, syntaktische Kriterien bei einer Wortarten-
klassifizierung stärker zu fokussieren, da jene in den oben diskutierten Theorien
lediglich als Hilfsmittel herangezogen werden, um eine bereits nach semanti-
schen oder morphologischen Kriterien durchgeführte Klassifizierung syntaktisch
zu untermauern.
Die Autoren argumentieren, der Vorteil einer primär syntaktischen Wortartenklas-
sifikation bestünde darin, alle Wörter der deutschen Sprache umfassend und
homogen ordnen zu können. Helbig und Buscha gehen von der Prämisse aus,
„die Sprache als Funktionsmittel“75 könne nur deshalb funktionieren, da alle
Wortarten über eine syntaktische Funktion verfügen. Allerdings wirkt diese
theoretische Vorüberlegung zugunsten einer primär syntaktischen
Wortartenklassifizierung wenig überzeugend, da die Übermittlung von
Informationen in seltenen Fällen auch ohne Beachtung syntaktischer Korrektheit
funktioniert. Primitive Ausdrücke wie „Hunger“, „Feuer“ oder „heiß“ können, ohne
dass die einzelnen Wörter direkte syntaktische Funktionen erfüllen, von Hörern
angemessen gedeutet werden.
Helbig und Buscha stützen ihre Wortartentheorie auf den britischen Linguisten
Charles Fries, der für die englische Sprache so genannte „form classes“ definiert.
Mithilfe von Substitutionsrahmen ermittelt Fries vier Formklassen und weitere 15
„Funktionsklassen“ des Englischen.76 Letztere seien zwar morphologisch nicht
ausdifferenzierbar, weisen laut Fries allerdings jeweils eigenständige Funktionen
im Satzgefüge auf.77
Helbig und Buscha verwenden Fries‘ Theorie als Grundlage für ihr syntaktisches
Wortartensystem. Auch sie nutzen zur Klassifizierung der Wortarten Substituti-
onsrahmen (syntaktisches Kriterium A):
(5) Der … liest ein dickes Buch.
74 Vgl. Joachim Buscha, Gerhard Helbig, Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht, Leipzig 1993, S. 19.75 Ebd.76 Vgl. Fries, S. 67ff. 77 Vgl. ebd.
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(6) Der Junge … ein dickes Buch.
(7) Er liest ein … Buch.
(8) Das Buch ist ….
Als Maßstab für die Substitution gilt, ob jeweils ein grammatisch korrekter Satz
entsteht, welcher semantisch sinnlos erscheinen kann.78 Demnach können alle
Wörter, die in Satz (5) eingesetzt werden können, der gleichen Wortklasse
(Substantive) zugewiesen werden. Für die Sätze (6), (7) sowie (8) gilt dies de-
mentsprechend für Verben, Adjektive und Adverbien.
Aufgrund der Betonung des syntaktischen Kriteriums unterscheidet sich das
Wortartensystem von Helbig und Buscha stark von traditionellen Grammatiken.
Im Gegensatz zum traditionellen System fehlen bei Helbig und Buscha die Nu-
meralien als Wortart. Weiterhin sind Pronomen und Interjektionen keine eigens-
tändigen Wortarten, sondern den Funktionsklassen untergeordnet. Neben den
„vier hauptsächlichen Wortklassen (Verb, Substantiv, Adjektiv, Adverb)“79 umfasst
das System von Helbig und Buscha weiterhin vier Formklassen: Artikelwörter,
Partikeln, Modalwörter und Satzäquivalente. Die zuletzt genannten Satz-
äquivalente bezeichnen Wörter, die nicht Teile eines Satzes sind, „sondern selbst
Sätze darstellen.“80 Dazu gehören die Interjektionen als Gefühlsausdrücke
(„Hurra!“ „Aua!“ „Pfui!“), Antworten auf Entscheidungsfragen („Ja.“ „Nein.“) sowie
die Höflichkeitsformeln („Danke.“ „Bitte.“).81
Die Artikelwörter umfassen bei Helbig und Buscha sowohl die bestimmten und
unbestimmten Artikel, als auch die adjektivistischen Demonstrativ-, Interogativ-,
Possessiv- und Indefinitpronomen. Dies begründen die Autoren syntaktisch und
morphologisch: Die Merkmale Position im Satz (Artikelwörter stehen immer vor
Substantiven), fehlende Kombinierbarkeit untereinander sowie die Möglichkeit
zur Konjugation erweitern die traditionellen Artikel um viele Wörter, die von
Adelung als Pronomen aufgefasst werden. Allerdings fassen Helbig und Buscha
die Relativpronomen nicht als Artikelwörter auf, da jene als Stellvertreter zur
Klasse der Substantive gehören. Auch dies rechtfertigen die Autoren
nachvollziehbar und anschaulich mit Substitutionsrahmen:
(9) Er mag Petra.
(10) Er mag sie.
(11) * Er mag der.
(12) * Er mag dessen.
78 Vgl. Buscha, Helbig, S. 20.79 Ebd., S. 21.80 Ebd., S. 529.81 Vgl. ebd., S. 531f.
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Als Partikeln definieren Helbig und Buscha eine geschlossene Gruppe von zirka
40 Wörtern, welche weder deklinierbar, noch konjugierbar oder komparierbar
seien.82 Die Autoren klassifizieren sie nach drei hierarchisch gegliederten
Kriterien. Erstens: im Unterschied zu Adverbien, Modalwörtern, Interjektionen
oder Satzäquivalenten sind Partikeln keine selbständigen Satzglieder, sondern
nur Teile von diesen. Zweitens: Partikeln sind, bezogen auf das topologische
Feldermodell des Satzes, nicht erststellenfähig und müssen gemeinsam mit
einem Bezugswort verschoben werden. Drittens: da die Partikeln nicht
satzgliedfähig sind, können sie keine Antworten auf Fragesätze sein.83
Diese syntaktische Klassifizierung erscheint zunächst deutlich komplexer und
komplizierter als Admonis Klassifizierung der Partikeln (siehe Kapitel 3c).
Allerdings überzeugt die Argumentation bei Helbig und Buscha im Gegensatz zur
semantisch begründeten Klassifizierung Admonis bezüglich ihrer Eindeutigkeit.
Partikeln wie „halt“, „mal“ oder „ja“ weisen keine semantische Bedeutung auf,
auch eine abstrahierte kategoriale Bedeutung lässt sich nur sehr ungenau und
unbefriedigend formulieren (Anteilnahme eines Sprechers). Demzufolge können
Partikeln mangelhaft semantisch, aber überzeugend syntaktisch klassifiziert
werden.
Für eine Abgrenzung der Modalwörter von den Adverbien nutzen Helbig und
Buscha die Transformationstechnik, da einfache Substitutionsrahmen eine
eindeutige Trennung der beiden Wortarten nicht zulassen:
(13a) Er kommt vermutlich.
(14a) Er kommt pünktlich.
Um die beiden Wortarten trennscharf voneinander zu unterscheiden, ist es nötig,
die Funktionen der Wörter „pünktlich“ und „vermutlich“ auf der Tiefenstruktur zu
analysieren (syntaktisches Kriterium B). Dazu werden die oberflächensyntaktisch
identisch aufgebauten Sätze umgestellt:
(13b) Es ist vermutlich so, dass er kommt.
(14b) *Es ist pünktlich so, dass er kommt.
Mithilfe der Transformationstechnik können Modalwörter eindeutig von Adverbien
unterschieden werden. Dieses syntaktische Verfahren hilft allerdings nicht bei der
Erfassung des „Wesen(s) der Modalwörter.“84 Trotz der syntaktischen
Abgrenzung der Modalwörter können Helbig und Buscha diese lediglich
82 Buscha, Helbig, S. 475.83 Vgl. ebd.84 Buscha, Helbig, S. 503.
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semantisch definieren als Wörter, die eine Stellungnahme wiedergeben und eine
„subjektiv-modale Einschätzung des Geschehens durch den Sprechenden“
ausdrücken.85 Damit scheitert eine homogen syntaktische Klassifizierung, in
Einzelfällen müssen Helbig und Buscha weitere Klassifikationskriterien
heranziehen.
Weiterhin ist die Transformation als Verfahren der syntaktischen
Wortartenklassifizierung in Einzelfragen ungenau. Der Satz „Er spricht bestimmt
mit ihm.“ lässt sich je nach Lesart unterschiedlich transformieren:
(15) Er ist bestimmt der Fall, dass er mit ihm spricht.
(16) Der Tonfall, in dem er mit ihm spricht, ist bestimmt.
Dies erschwert eine eindeutige Zuordnung von Wörtern zu Wortarten mithilfe der
Transformationstechnik und sorgt für Unsicherheiten in der
Wortartenklassifizierung. Die Folge solcher Unsicherheiten könnte sein, bei der
Wortartenklassifizierung in Streitfragen wieder verstärkt semantische oder
kategoriale Bedeutungen zu fokussieren.
4. Lehre der Wortarten – Ein Kampf der Systeme? Die Analyse der in ihren Theorien unterschiedlich konzipierten Wortartensysteme
verdeutlicht, dass zwei Richtungen der Wortartentheorie voneinander
unterschieden werden können:86
Einerseits kritisieren einige Sprachwissenschaftler die überkreuzt angewandten
Prinzipien heterogener Wortartenklassifizierungen (siehe Flämig, Helbig und
Buscha). Besonders Sütterlins Angriff auf das traditionelle Wortartensystem
entfachte eine fruchtbare Diskussion der Sprachwissenschaftler über die
Wissenschaftlichkeit, Systematik und Objektivität der Wortartenlehre. Ziel von
Sütterlins Polemik war die Inkonsequenz heterogener Systeme, da eine nach
morphologischen, als auch semantischen und syntaktischen Gesichtspunkten
durchgeführte Wortartenklassifizierung ein „Potpourri verschiedenartiger
Bezeichungen“87 der Wortarten zur Folge hätte.
Auf der anderen Seite verteidigten Sprachwissenschaftler heterogene
Wortartensysteme vor Sütterlins Fundamentalkritik. Admoni spricht der
Heranziehung mehrerer Klassifizierungskriterien eine methodische Überlegenheit
85 Ebd., S. 504.86 Vgl. Sommerfeldt, Starke S. 42.87 Menzel (1986), S. 12.
17
zu, da die Komplexität der Sprache eine heterogene Klassifizierung erfordere.88
Der Linguist Wilhelm Schmidt vertritt gar die These, Wörter könnten nur dann
wissenschaftlich und objektiv zu Wortarten zusammengefasst werden, wenn eine
Klassifizierung nach möglichst vielen Kriterien bewiesen werden könne.89
Daraus ergibt sich, dass die Einteilung der Wörter des Deutschen nach den oben
bereits definierten Klassifizierungskriterien (morphologisch, semantisch,
syntaktisch) auf zwei Ebenen erfolgen kann: entweder homogen oder heterogen.
In den Bildungsstandards des Schulfaches Deutsch ist als verbindliches Lernziel
der schulischen Thematisierung der Wortartenlehre festgeschrieben, dass
Schüler Wortarten unterscheiden, erkennen und untersuchen sollten.90 Allerdings
kann nach der Analyse der verschiedenen Wortartensysteme das Zwischenfazit
gezogen werden, dass dieses Lernziel nur erreicht werden kann, wenn eine
Didaktik der Wortarten die Pluralität der Wortartensysteme akzeptiert. Mit
Ausnahme der vier Fundamentalwortklassen, die in allen Systemen ähnlich
klassifiziert sind, existieren erhebliche Unterschiede in der Bestimmung und
Definition weiterer Wortarten. Daraus folgt, dass die Wahl des theoretischen
Wortartensystems unmittelbare Auswirkungen auf die praktischen Fragen und
Probleme der Wortartenbestimmung hat. Die Unterscheidung, Erkennung und
Untersuchung der Wortarten muss demnach vor dem Hintergrund eines explizit
ausgewählten Klassifizierungssystems erfolgen. Dies müssen Lehrerinnen und
Lehrer bei der Wahl der Methoden und Arbeitsmaterialien eines
Wortartenunterrichts unbedingt beachten, um Schüler nicht durch ein Potpourri
der Systeme zu verunsichern. Der Sprachdidaktiker Hartmut Melenk untersuchte
in einer empirischen Studie die Leistungen von Schülern bei einer
Bestimmungsaufgabe der Wortarten.91 Dabei entdeckte Melenk, dass besonders
die Bestimmung der Wortarten Konjunktion und Relativpronomen problematisch
sei, in fast zwei Drittel aller Fälle seien diese Wortarten falsch oder gar nicht
bestimmt worden. Derartige „Kaskaden falscher Zuordnungen“92 können mit
„Inkonsistenzen“93 der Wortartensysteme erklärt werden. Wie aus der Analyse
der Wortartensysteme hervorgeht, handelt es sich bei Konjunktion und
88 Vgl. Admoni, S. 63.89 Vgl. Wilhelm Schmidt, Grundfragen der deutschen Grammatik. Eine Einführung in die funktionale Sprachlehre, Berlin 1977, S. 74.90 Vgl. Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen, S. 39.91 Vgl. Hartmut Melenk, Kommasetzung und Grammatikkenntnisse, in: Hartmut Melenk, Werner Knapp (Hrsg.), Inhaltsangabe – Kommasetzung. Schriftsprachliche Leistungen in Klasse 8, Baltmannsweiler 2001, S. 169-188, hier: S. 186ff.92 Melenk., S. 186.93Steets, S. 226.
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Relativpronomen um Wortarten, deren Klassifizierungsmöglichkeiten sich in den
unterschiedlichen Wortartensystemen stark voneinander unterscheiden (siehe
Kapitel 3a-c). Helbig und Buscha stellen gar die Existenz der Relativpronomen
als eigenständige Wortart infrage und definieren sie als Stellvertreterwörter der
Wortart Substantiv (siehe Kapitel 3d.). Demzufolge können schlechte Leistungen
und Unsicherheiten von Schülern im Bereich Wortartenbestimmung als Folge
eines simplifizierenden und undifferenzierten Umgangs mit der Pluralität der
wissenschaftlichen Wortartensysteme gedeutet werden.
Gerade die Pluralität der Wortartensysteme verbietet es, im Grammatikunterricht
eine normative Wortartenlehre zu betreiben, da es auf „Experimentierregeln“94
ankommt, ob ein Wort zu einer bestimmten Wortart klassifiziert werden kann oder
nicht. Das von der Kultusministerkonferenz formulierte Lernziel „Sie
unterscheiden Wortarten (…) und bezeichnen sie terminologisch richtig“95
impliziert eine nicht vorhandene Eindeutigkeit in Problemfragen der
Wortartenbestimmung. Dabei wird von den Verfassern der Bildungsstandards
außer Acht gelassen, dass das verwendete Wortartensystem sowie die für die
Wortartenbestimmung beachteten Klassifizierungskriterien die Unterscheidung
und Bezeichnung der Wortarten erheblich beeinflussen. Es ist mangelhaft, dass
ein solcher Hinweis in den Bildungsstandards nicht formuliert ist.
Die in den Bildungsstandards formulierten Lernziele fokussieren die Bestimmung
und Bezeichnung der Wortarten. Eine solche Simplifizierung des
Themenkomplexes Wortarten hat zur Folge, dass ein Grundanliegen des
Grammatikunterrichts zu wenig Aufmerksamkeit erhält: Schülerinnen und Schüler
sollten Einsichten in den Aufbau und in das Funktionieren des Systems Sprache
erhalten.96 Um dies zu erreichen, bietet es sich an, Schülerinnen und Schüler zu
einer eigenaktiven Auseinandersetzung mit Klassifizierungskriterien anzuregen,
wie es Wolfgang Menzel und Peter Eisenberg in ihrer Grammatik-Werkstatt
fordern.97 In den Fokus geraten dabei die fachwissenschaftlichen
Kategorienbildungsprozesse, in denen Schülerinnen und Schüler in
Experimenten erfahren, nach welchen Kriterien Wörter voneinander abgegrenzt
und unterschieden werden können.98 Damit dringen die Schülerinnen und
Schüler in das komplexe System Sprache ein und erfahren handlungsorientiert,
94 Wolfgang Menzel, Grammatik-Werkstatt: Theorie und Praxis eines prozessorientierten Grammatikunterrichts für die Primar- und Sekundarstufe, Seelze-Velber 1999, S. 13.95 Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen, S. 39.96 Vgl. Peter Eisenberg, Wolfgang Menzel, Grammatik-Werkstatt, in: Praxis Deutsch 129 (1995), S. 14-23, hier: S. 16.97 Vgl. Eisenberg, Menzel, S. 17; Menzel (1999), S. 56.98 Menzel (1999), S. 58f.
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dass Wortarten von Menschen erfundene Konstrukte darstellen, die das
komplizierte Geflecht der Sprache vereinfachen und überschaubar machen
sollen.99 So können Schülerinnen und Schüler induktiv erkennen, dass aufgrund
von Problemen der Klassifizierungstheorien zweifelhafte und untypische Fälle der
Wortartenbestimmung existieren.100 Dies ist ein entscheidender Vorteil
gegenüber einer deduktiven Bestimmung und Unterscheidung der Wortarten
nach vorab erlernten Bestimmungsregeln, da ein deduktiver Grammatikunterricht
lediglich „totes Wissen“101 erzeugt.
5. Fazit Durch die Analyse der unterschiedlich konzipierten Wortartensysteme konnte
verdeutlicht werden, dass eine normative Wortartenlehre, wie sie auch die
Bildungsstandards Deutsch durch unklare Formulierungen implizieren, eine nicht
zufriedenstellende Simplifizierung darstellt. Ebenso wenig wie es „die Grammatik
des Deutschen“ gibt, kann von einer prototypischen Lehre der Wortarten
ausgegangen werden, die es erlaubt, Wortarten „terminologisch richtig“102 zu
bestimmen. Im Gegenteil: die Theorienvielfalt der Sprachwissenschaft ermöglicht
es, verschiedene Wortartensysteme im Unterricht gegenüberzustellen, um
Probleme der Wortartenklassifizierung im Sprachbetrachtungsunterricht zu
untersuchen.103
So kann im Wortartenunterricht der Fokus auf Kategorisierungsprozesse gesetzt
werden. Dadurch wird es möglich, Einsichten in die Struktur und Funktion der
Sprache zu entwickeln sowie das formal-logische Denken der Schüler zu fördern,
also wesentliche Lernziele des Grammatikunterrichts zu erreichen.104 Ein weiterer
Vorteil eines experimentellen Grammatikunterrichtes, besteht darin, dass
Schülerinnen und Schüler induktiv erkennen können, dass das Kategorisieren
der Wortarten ein Prozess auf mehreren Ebenen ist.105 Ein handlungsorientierter
99 Vgl. ebd., S. 54f.100 Vgl. ebd., S. 61.101 Jakob Ossner, Sprachthematisierung – Sprachaufmerksamkeit – Sprachwissen. In: Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 40 (1989), S. 25-38, hier: S. 35.102 Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen, S. 39.103 Vgl. Werner Ingendahl, Sprachreflexion statt Grammatik, Tübingen 1999, S. 3.104 Vgl. Winfried Ulrich, Didaktik der deutschen Sprache: Ein Arbeits- und Studienbuch in drei Bänden. Texte – Materialien – Reflexionen. Band 3: Grammatikunterricht – Wortschatzarbeit – Unterrichtsmittel – Multimedia, Stuttgart 2001, S. 9.105 Vgl. Günter Rudolph, Kreativer und systematischer Umgang mit den Wortarten. Einige Vorschläge zur Behandlung von Wortarten, in: Deutschunterricht 1/2001, S. 17-21, hier: S. 17.
20
Umgang mit Wörtern, wie ihn Eisenberg und Menzel in ihrer Grammatikwerkstatt
vorschlagen, entspricht der kindlichen Entdeckungslust und kann auf
Schülerinnen und Schüler motivierend wirken. In diesem Grammatikunterricht
besteht weiterhin die große Chance, spontan geäußerte subjektive
Einschätzungen zu Sprachphänomenen als Anlass für weiterführende Reflexion
über Sprache zu nutzen.
6. Literaturverzeichnis Adelung, Johann Christoph, Deutsche Sprachlehre. Zum Gebrauche der Schulen in den Königl. Preuß. Landen. Berlin 1781.
21
Admoni, Wladimir, Der deutsche Sprachbau, München 1982.
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