Bergson, Henry_geist Und Leben

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  • 7/30/2019 Bergson, Henry_geist Und Leben

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    RegineKather 0GelebteZeitundschpferischesWerden-HenriBergson(1859-1941)RegineKather,Ihringen1 .DieZeitderUhrenunddieZeitdesLebensJedermannhatbemerkenknnen,daesschwierigerist,inderErkenntnisdesIchFortschrittezumachen,alsinderderuerenWelt.AuerhalbdesIchistdieAn-strengungdesErkennensunserem Wesennaturgem;mitfortgesetzterbungwirdsieimmerleichter;man wendetRegelnan.InderRichtungnachinnenmudieAuf-merksamkeitmmerespannt leiben,nderFortschrittwirdmhsamer;man knnteagen,amanegeneinnatrlichesGeflleanzusteigenucht.Liegtdanichtetwasberraschendesvor?W irsindunsinunserem Innernunmittelbargege-ben,undunserePersnlichkeitolltenwireigentlichambestenerkennenknnen.Aberkeineswegs;nserGeistis tdawieinderFremde,whrenddieMaterieihm vertrautist,undersichbeiihrwiezuHausefhlt." 1 SelbstvergessenwendenwirunsderAuenweltzu,zielbewuthandelnd,neugierigorschendoderzerstreutdurchdieFlutderSinnesreize.Dien-nenweltbleibtunbelichtet,dasWissenvonunsoberflchlichunddieSpra-

    che,diezuhrerBeschreibungdient,unscharfundverschwommen.DiesebeunruhigendeBeobachtungfhrteHenriBergson,der859inParisgebo-renwurde,zueinersorgfltigenStudiedesmenschlichenGeistes.DerVater,ein polnischer Jude,warMusiklehrerundKomponist.DieMut-ter,KatherineLevison,tammteausNordenglandundmachtehrenSohnmitderenglischenSpracheundLebenshaltungvertraut.NachderBerufungdesVatersansKonservatoriuminGenflebtedieFamiliefrzweiJahreinderSchweiz.AlseinweiteresAngebotsiezurcknachParisundkurzdar-auf nachLondonfhrte,bliebderneunjhrigeHenrialsGymnasiastamLy-ceeCondorcetinParis.SchoninderSchulzeitzeichneteicheinedoppel-seitigeBegabungab,diedasphilosophischeWerk prgenwird:BergsonsIn-teressengehrtenderMathematikunddenexaktenNaturwissenschaftenge-nausowiederLiteraturundPhilosophie.Erstbeiseinem EintrittindieEcolenormalesuperieure878fielzurberraschungderLehrerdieEntscheidungzugunstendersectionLettres'.DreiJahrepterbestandBergsondieAb-schluprfungundwurdeGymnasiallehrerfrPhilosophiezunchstinAn-gersund883nClermont-Ferrand.nderAbgeschiedenheitderProvinz1H.Bergson,DenkenundschpferischesWerden.AufstzeundVortrge.Hamburg993,55f.

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    HenriBergson 1 fander dieMue,dieDoktorthesezuformulierenundseinephilosophischenVorstellungenzuprfen.AlsBergson1888seinerstesBuchmitdemTitel,ZeitundFreiheit'ver-ffentlichte,warenrstreiigahreergangen,eitDarwinspochalesWerk,berdieEntstehungderArten'erschienenwar.DurchzuflligeMu-tationenundSelektion,sodieTheorie,entstandimLaufderErdgeschichte dieungeheureVielfaltanLebewesen.NichtnurdieEntwicklungneuerAr- tenrklrtemanmechanisch,ondernuchenmenschlichenGeist:DiePsycho-PhysiksahnGedankenundGefhlenBegleiterscheinungenphy-siologischerProzesse.SchmerzundFreudelokalisiertemaninbestimmtenKrperteilenundmadieIntensittvonEmpfindungenanderStrkeue-re rReize.DasseelischeErleben,sodachteman,folgedemgleichfrmigen FluderZeit,dendieUhrenanzeigen.DerGeistbliebindiesemWeltbild einseltsamerundunerklrlicherFremdling.FrBergson,derzunchstvom EvolutionismusHerbertSpencersgeprgtwar,wurdedieAnalysederZeitzumSchlsselseinerPhilosophiedesschpferischenWerdens.2Alsim bergangvomMittelalterzurNeuzeiteinneuesBildvomKosmosentstand,wandeltesichauchdieVorstellungvonRaumundZeit:mMit-telaltererschienderKosmosalseinhierarchischgeordnetesGanzes,indem jederOrtdurchseineNheoderFernezumgttlichenSeinausgezeichnetwar.HimmelundErdewarenklarvoneinandergeschieden.DieErdehattezwardasPrivileg,inderMittedesKosmoszuruhen,dochihrMittelpunktwarderHllenschlund,erOrtdergrtenFernevonGott.Entwicklung oderVerfallwarengleichbedeutendmitdemAufstiegzuGottoderderAb-wendungvonihm.SeitGalileisteuernNaturgesetze,dieaufderErdeundamHimmel,anal-lenOrtenund zuallenZeitengelten,denAblaufdesGeschehens.InwelcheHimmelsrichtungauchimmerderBeobachterdenBlickrichtet-berallhatdasUniversum denselbenAufbau.,Alles,wasmebarsei,sollemebarge-machtwerden',orderteGalilei;rselbstberechnetedieGeschwindigkeitvonKugeln,indemerdieZeitma,indersieeineschiefeEbenehinabrol-len.DerhomogeneRaumunddiegleichfrmigdahinflieendeZeitderUh-renhattendiequalitativeOrdnungderDingeabgelst.InderZeit,darinwa- rensichLeibnizundKanteinig,folgendieEreignisseineinerununterbro-chenenLinienacheinander,whrendsieim Raumgleichzeitignebeneinan-derbestehen.3DankderZeitderUhrenwerdenLebensdatenhronologischeordnet,2H.Bergson:zit.in:M.Barlow,HenriBergson.Paris966,25f.3A.Koyre, ondergeschlossenenWeltzumunendlichenUniversum.Frankfurt/M.980,llf.

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    RegineKather 2 Terminplnerstellt,nteressenundVerpflichtungenmiteinanderkoordi-niert.DasHandelnwirdwirkungsvollundzielsicherundseineFolgenkn-nenimvorausabgeschtztwerden.DieMinutenundStunden,mitdenendieUhrdieLngezweierEreignisseundihrenAbstandvoneinandermit,un-terscheidensichallerdingsinnichtsvoneinander;siesindhomogenundleer.JedesEreigniswirdmitdemselbenMastabgemessen, jederKrperknnteseinenOrtmiteinemanderentauschen.Aberkannman,sofragtBergson,mitderhomogenenundleerenZeitdas

    EntstehendesNeueninderNaturunddieOrdnungdesinnerenErlebensbe-schreiben?UnablssigverknpftdermenschlicheGeistdieVielfalteinzel-nerErfahrungen,GefhleundGedanken.SogarwennwirauseinemtiefenSchlaferwachenundbereinenrtselhaftenTraumnachsinnen,sprenwir,dawirselbstderTrumerwaren.UnsereEinstellungen,derFreundeskreis,derBerufunddasLand,indemwirleben,habensichseitunsererKindheitverndert;trotzdemfhlenwir,dawirdieselbePersongebliebensind.DasBewutsein,darinstimmtBergsonLeibnizundKantzu,istunteilbar.Esbil-deteineEinheitinder Zeitundnicht,wieeinKrper,eineEinheitimRaum.DieverrumlichteZeitreilich,nderdieEreignisseeineendlose,homo-geneLiniebilden,stdemLebendesGeistesremd.Beobachtenwirunsselbst:ndergelebtenZeitistjederAugenblickeinzigartig.KeineMinutegleichtdernchsten;iewreanders,htteeinbestimmtesEreignisnichtstattgefundenundtatteinereinanderes.DieVergangenheitwirktdurchdieErinnerungfortundjedeErfahrunggtetwasNeueshinzu.KeineSi-tuationkannnocheinmalerlebtwerden,selbstwennsieeineranderennochsohnlichst.ederAugenblickrgtetwasheran,wasnochnichterlebtwerdenkonnte,dasunvorhersehbaristundnichtskehrt jemalswieder.AmeigenenLebenerfahrenwirdieUnumkehrbarkeitderZeitunddieEinma-ligkeitjedesAugenblicks.Ichmagmir nochsosehrim einzelnenvorzustellenversuchen,wasmir zustoenwird:wiearm,abstrakt,schematischistdocheinesolcheVorstellungim Vergleichzudem dannwirklicheintretendenEreignis!DieVerwirklichungbringteinunvor-hersehbaresgewissesEtwasmitsich,dasallesverndert.Ichmuz.B.einerVer-sammlungbeiwohnen;ichweigenau,welchePersonensichdorttreffen,umwel-cheTische,inwelcherTischordnungmansitzen,berwelchesProblemmanspre-

    chenwird.Aberwennienuntatschlichkommen,ichsetzenundsprechen,wie icherwartete,unddassagen,wasichvermutete:asGanzewirddanndocheineneinzigartigenndeuenEindruckmachen,lsbsjetztmitinem riginalenStrichvonKnstlerhandgezeichnetwre."4H.Bergson,Denken...,op.cit.10.

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    HenriBergson 3EshandeltichumeinebloeProjektionderVergangenheitndieZu-

    kunft,wennmanbehauptet,manwisse,wasdieZukunftbringenwirdundmanknnesiesogarberechnen.StndigwerdenneueTatsachengeschaffenundmitihnenneueMglichkeiten.DieZukunftgehtausdemSchoderGe-genwarthervor.DerMenschstallesanderealseinProduktuererUm-stnde,gefesseltdurchdieMachtdereigenenGeschichte,wenneraufdiefeinenNuancenachtet,dienochdievertrautesteSituationinsichtrgt.DieAufmerksamkeitdurchbrichtdieeintnigeWiederkehrdesGleichen'undweitetdenBlickfrdieZukunft.JederMomentunseresLebensisteineArtSchpfung,dieunsvonTagzuTagbewuterwerdenkann.MitRechtalsosagtman,unserTunhngevondemab,waswirsind;nurda

    nochhinzugefgtwerdenmte,dawiringewissem Gradauchsind,waswirtun,unddawirunsselbstunaufhrlicherschaffen.DieseSchpfungdesSelbstdurchsichselbst.. .istumsovollkommener,jebessermandasdurchdenkt,wasmantut... .wirfinden,daDaseinf reinbewutesWesendarinbesteht,ichzuwandeln;sichzuwandeln,umzureifen;zureifen,umsichunendlichzuerschaffen." 5SelbsteinenflchtigenEindruckodereineuerlicheGewohnheitkann

    mannichteinfachwieeinKleidwiederabstreifen.Fastunmerklichvern-dernunsdieGedankenundGefhle,dieunstndigbewegen.ndenTie-fenderSeeleverschmelzensiezueinerEinheitmitalldenErfahrungen,diemanimLaufedesLebensgesammelthat.JemehreineHandlungausderin -nerenMittehervorgeht,destoelbstbestimmterstie,destotrkerprgtsichinihreinunverwechselbarerStilaus.DerTypusdes,homofaber',derdasLebenplant,einenLaufberechnetundberdieWeltverfgt,wirdab-gelstdurchdenKnstler,derseinLebenalsseinWerkversteht:Wirsindfrei,wennunsreHandlungenausunsrerganzenPersnlichkeithervor-gehen,wennieieausdrcken,wennsiejeneundefinierbarehnlichkeitmitihrhaben,wiemaniezuweilenzwischendemKunstwerkundseinemSchpferfin-det."6 MitdernnerenFreiheitwchstdasGespr,dadieZeitnichtwieeinmchtigerStromdasErlebtemitsichreit,bisesirgendwannimDunkelderVergangenheitversinkt.ImGedchtnis,jenemOrgan,dasunsvordemVer-gessenbewahrtundunsmitderLastderVergangenheitauchdieOffenheit

    frdieZukunftbeschert,werdendieErlebnissenichteinfacharchiviertundkatalogisiert;siedurchdringensichwiedieFarbeneinesGemldesoderdieTneeinerSymphonie.DemVaterverdanktBergsondiewunderbarenBil-derausderMusik,indenenerdieOrdnungdesinnerenErlebensbeschreibt.

    H.Bergson,SchpferischeEntwicklung.Jena912,3f. 1H.Bergson,ZeitundFreiheit.Frankfurt/M.989,29.

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    RegineKather 4WhrendderabstrakteBegriffdieunmittelbareEinsichtverstellt,ffnetdasBild,einGemldeinWorten,denBlickfrdieTiefendimensionendesGei-stes.DieganzreineDaueristdieForm,diedieSukzessionunsrerBewutseinsvor-gngennimmt,wennnserIchichemLebenberlt... sengt,wennsdieseZustnde,indemessicherinnert,nichtnebendenaktuellenZustandwieeinenPunktnebeneinenanderenPunktstellt,sonderndaessiemitihmorganisiert,wie esgeschieht,wennwirunsdieTneeinerMelodie,diesozusagenmiteinanderver-schmelzen,nsGedchtnisrufen.Knntemannichtsagen,a ,wenn ieseTneauchaufeinanderfolgen,wirsiedennochneinanderwahrnehmen,unddaiealsGanzesmiteinemLebewesenvergleichbarsind,dessenTeile,wennsieauchunter-

    schiedenind,ichrotzdemeradeurchihreSolidarittgegenseitigurchdrin-gen?DerBeweisdafrist,da,wennwirdenTaktunterbrechen,indemwireinenTonderMelodieberGebhraushalten, ichtdiebertriebeneLngealsolche,sonderndiequalitativeVernderung,diedamitdemGanzendesmusikalischenSat-zeswiderfhrt,unsunserVersehenbemerkbarmacht."7DieTneverbindensichzueinerrhythmischenKomposition,dieerstinihrerGanzheitwirkt.JederTonhateineeigentmlicheZeitbestimmtheit,de-

    renModifikationdenGesamteindruckverndert.DerersteTon,derlngstverklungenist,wirktinderErinnerungfortundverbindetsichmitdemletz-ten.WiedieTnegewinnendieeinzelnenEmpfindungenhrebesondereFrbung,ndemieichdurchdringen,ichergnzenundichaneinanderreiben.Jedervonuns,obetontBergson,hatseinebesondereArtzuliebenundzuhassen;ndieserLiebeundindiesemHapiegeltichdieganzePersnlichkeit.InjederGesteverrtsichdiebisherigeLebensgeschichte.VerglichenmitderwahrenDauerdesIchstdieZeitderUhren,diedenAlltagbestimmt,,nurderSchattenihrerselbst und kaltwiederTod'.8IndemlebendigenZusammenspielverschiedenerErfahrungengewinntjedeMinuteihreigentmlichesGewicht.DasErlebenltsichvonderZeitsowenigab-lsenwiederRhythmusvonderMelodie.DieZeitmureifseinfretwas;sieisterfllt,wennmangenaudastut,wasinkeinemanderenAugenblickmglichwre.JederMenschhatseineZeit.DiewahreDauerdesch,dasnnereLeben,stkeinFilm,beidemeine

    Momentaufnahmedernchstenolgt.WederreihenichdiezahllosenEr-fahrungenaneinanderwiediePerleneinerKette;nochgleichtdasIchdemqualittslosenFaden,derdiePerlenverbindet.WirdeinMenschpltzlichinTodesnheversetzt,beimErtrinken,beimAbsturzvoneinerFelswandoderbeieinemAutounfall,kannchlagartigeinLebenvordemnnerenAuge7H.Bergson,Zeit...,op.cit.77f.8H.Bergson,Denken...,op.cit.48.

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    HenriBergson 5abrollen.9PltzlichstdieVergangenheitnallhrenNuancenwiederbe-wut.SiewarnurunsererAufmerksamkeitentzogenundniewirklichtot.ErstwennichdieAufmerksamkeitvondenDingenosreit,ichan-spanntunddeminnerenLebenzuwendet,umfatsieVergangenheitundGe-genwartzugleich.WieichausTneneineSymphoniebildet,okristalli-siertsichdiewahreDauerdesIchausderlebendigenundbeweglichenKon-stellationllerErfahrungen.DieMelodienseresnnerenLebens'10er-klingtununterbrochenvonderGeburtbiszumTod.DiesereineBewegung,dieounteilbaristwieeineKompositionunddernichtsStarresundTotesanhaftet,bildetdieStabilittderPerson.DasZusammenspielallerErfahrungen,dieEinheitdesErlebens,erfatal-

    lerdingsnurdieIntuition.,DiedirekteSchaudesGeistesdurchdenGeististdiehauptschlichsteFunktionderIntuition',agtBergson."EineWirklichkeitgibtes...,diewirallevoninnenherdurchIntuitionundnichtdurcheinfacheAnalyseerfassen,dasistunsereeigenePersoninihremFludurchdieZeit.EsistunserIch,welchesdauert.KeinenanderenGegenstandknnenwir.. .geistigmiterleben,aberwirerlebensicherlichunsselbst."12JemehrwirdenBlickinunserInneresrichten,jetieferwirineseindrin-

    gen,destomehrammeltichdiePersonneinemPunkt.DieErlebnisserckenzusammen,iegewinnenanTiefeundDichte,dieVergangenheitistgegenwrtig.ndemMae,ndemdiennereGespanntheitwchst,telltsichdasGefhlvonLebendigkeitundchpferischerFreiheitein.Diege-schftigeZerstreuung,dieermdendeWiederholungvonEreignissenunddieastendeSchwereneuerAnforderungenwerdendurcheinewachsendeIntensittdesErlebensabgelst:WirgehenaufeineDauerzu,diesichimmermehrinsichspannt,sichzusam-menzieht,mmerintensiverwird:nderGrenzewrdedieEwigkeitsein. .,ineEwigkeitdesLebens.EinelebendigeundinfolgedessenbeweglicheEwigkeit,inderunsreeigeneDauersichwiederfindenwrdewiedieVibrationenim Licht".1 3VomerstenBuchanstBergsonsWerkdurchdieSpannungzwischenWissenschaftundMetaphysikgekennzeichnet.Beideergnzensich,siesindprziseundfhrenzusicherenErgebnissen;abersieverwendenandereMe-thoden,ieindunterschiedlicheRichtungendesDenkens,odaiever-

    schiedeneSeitenderWirklichkeiterschlieen.EsisteinIrrtumzuglauben,9H.Bergson,Denken...,op.cit.73f.

    1 0H.Bergson,Denken...,op.cit.69f.1 1H.Bergson,Denken...,op.cit.58 .1 2H.Bergson,Denken...,op.cit.84 .1 3H.Bergson,Denken...,op.cit.210f .

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    RegineKather 6manknnedenGeistmitdenselbenBegriffenbeschreibenwiematerielleProzesse.WiedieWissenschaftmusichallerdingsaucheinemoderneMe-taphysikufieErfahrungttzen.WhrendeneieAuenwelt,enRaum,dieKrperunddieGesetzeihrerBewegungbeschreibt,wendetsichdiesederDynamikdesnnerenErlebensu.14eanGuitton,inSchlerBergsons,erlutert:UmdasgeheimeGesetzseinesLebensrichtigzuverstehen,mu man wohlfest-stellen,daervomKonfliktzweierBerufungenbeherrschtwar...DieGelehrten,Sophisten,PositivistenundSzientistenhattendiewahreFormdessicherenWissenserarbeitet.DiePsychologen,Moralisten,Mystiker,DichterundRednerstudierten denMenschen,..jedochimmerineinergewissenVerschwommenheitundvoller

    Hintergedanken.Bliebalsonur,dievorsichtigeundgenaueMethodederNaturwis- senschaftenaufdasStudiumdesinnerenWesensanzuwenden,umdaszuschaffen,wasBergsoneinmalpositiveMetaphysiknannte."15

    2 .GehirnundGeist1888zogBergsonnachPariszurckundunterrichtetenacheinanderandreiverschiedenenGymnasien.KurzdaraufheirateteerLouiseNeuburgerundwarnunmitdemRomancierMarcelProustverwandt,derwieBergsonauf,derSuchenachderverlorenenZeit'war.FrBergson,dermitWortenwieeinKnstlereinBilddesnnerenLebenszeichnete,wareseinechwereHerausforderung,aeineTochteraubgeborenwurde.DankallernurmglichenUntersttzungandiechlielichnKunstundMalereihreSprache.Zweimal,1894und1898,bewarbsichBergsonvergeblichumeineProfessuranderSorbonne,zuderenAblehnungvermutlichderSoziologeundhilosophEmileDurkheimeitrug.DochchonurzaraufwarBergsonglcklich,Verpflichtungenentronnenzusein,dieihnvondereige-nenArbeitabgelenkthtten.Ungestrtverffentlichteer1896seinzweitesBuchmitdemTitel,MaterieundGedchtnis',indemerdasVerhltnisvonKrperundGeisterrtert.OhneZweifelsindgeistigeProzesseohnedasGehirnfrunsundenkbar.

    Aberbedeutetdas,dadasBewutseinausGehirnfunktionenableitbarist,unddadieVernderungenderphysiologischenProzessedieUnterschiedeimErlebenauslsen?ReichtderGeistnichtweitberdasrationaleDenkenunddasVibrierenderEmpfindungenhinaus?UntersuchtmandenneurophysiologischenAufbaudesGehirns,dannbe-

    1 4H.Bergson,Denken...,op.cit.58f.1 5J.Guitton,LebenundWerkvonHenriBergson,o.A.27f.

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    HenriBergson 7schreibtmanmaterielleStrukturen.ManbetrachtetdasGehirnalseinenKrperimRaum,alseinDingunterDingen.DurchexakteMessungener-forschtmaneinzelneFunktionen,diemanbestimmtenBewutseinszustn-denzuordnet.SocheintderGeistnichtsandereszueinalsdasProduktuerstkomplizierterchemischerundelektrischerProzesse.AberdasinnereLebenvollziehtsichnichtimRaumundquantitativeBe-stimmungenrfassensuroberflchlich.Manmullerdings,mdenGeistmitWortenzubeschreiben,dieeinereigenenSphreentstammen,einedreihundertJahrealteDenkgewohnheitdurchbrechen.DasGehirn,oschlietBergson,stemBewutseinurugeordnet.EineestimmteSchraubemagfrdasFunktioniereneinerMaschinenotwendigsein;trotz-demgibtdieSchraubekeinenAufschluberdenAufbauunddenZweckderMaschine.EinGarderobenhaken,andenmaneinenMantelhngt,ver-rtnichtsberdenMantel.

    WenndieErfahrungfeststellt,.. .danureinkleinerTeildesbewutenLebensdurchdasGehirnbedingtist,sowirddarausfolgen,da selbstdieAusschaltungdes GehirnswahrscheinlichdasbewuteLebennochfortbestehenlt."1 6NichtnurDescartes,auchLeibnizundKanthattenjedeEinwirkungdes

    GeistesaufdenKrperausgeschlossen.LeibnizahnGeistundMaterieverschiedeneOrdnungenderWirklichkeit;iewarenwiezweiUhrenauf-einanderabgestimmtundolgtenunbeeinflutvoneinanderhreneigenenGesetzen.EbensowenigvermagderKrperdenGeistzumDenkenzuver-anlassenwieumgekehrtderGeistdenKrperzurRuheoderBewegung',schriebSpinoza.17FrBergsonjedochbewegtsichdasmenschlicheErlebenzwischenGeistundMateriewiezwischenzweiPolen.EinAktderAufmerksamkeitversetztunsentwederindenMittelpunktdesinnerenErlebensoderindieTurbulenzdesuerenGeschehens.DieAufmerksamkeit,ebendigerAusdruckdesmenschlichenGeistes,verbindetInnen-undAuenwelt.mSinnederAn-tike,diedenDualismusvonMaterieundGeistnichtkannte,istderMenscheineleib-seelischeEinheit.Animaformacorporis-dieSeeleeidieFormdesLeibes,hieesimMittelalter.

    MateriendGeistabenineemeinsameBerhrungsflche,ennewisseoberflchlicheSchwingungenderMateriedrckenichinEmpfindungenaus,die gleichsaman derOberflcheunseresGeistesliegen;undandererseitsmuderGeist,umaufdenKrpereinzuwirken,stufenweisezurMateriehinabsteigenundsichver-

    1H.Bergson,Denken...,op.cit.61f.B.deSpinoza,EthikP.III,prop.2.

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    HenriBergson 9rer,anschaulicherundbeinahemusikalischerSpracheverfat,chlagartigdieAufmerksamkeitberdenKreisderFachgelehrtenhinauserregte.Dafrwurdeihm,derwienurwenigePhilosopheneinMeistervollendeterProsaundeinbrillanterEssayistwar,928derNobelpreisfrLiteraturverliehen.DieEvolutionslehrewarrBergsonerAnsto,asEntstehenesNeuennderNaturzuuntersuchen.FrdasmechanistischeWeltbild,aufdemdieTheorieDarwinsberuhte,bestandenichtbareKrperausharten,unwandelbaren,beweglichenundundurchdringlichenBausteinen.Vernde-rungvollzogsichdurcheineNeukombinationderTeileunddengeregeltenbergangvoneinemZustandzumnchsten.DieseKombinationenkonnteman,wiebeieinemPuzzle,jederzeitwiederrckgngigmachen.DerPro-zedesWerdensschienumkehrbarunddieZeit,inderessichvollzog,un-wichtigzusein.FrdieklassischeMechanikknntenalleVorgngeauchinumgekehrterRichtungablaufen;nichtdieNaturgesetze,ondernnurdieAnfangsbedin-gungenentscheidenberdentatschlichenVerlaufeiner Bewegung.DieZu-kunftist,zumindestprinzipiell,vorhersehbarundberechenbar.Einallwis-senderGeistwiederLaplacescheDmonknnteallemglichenZustndederWeltaufeinenSchlagerfassen,wennerihrenjetzigenZustandkennenwrde.EsgibtnichtsNeuesunterderSonne'.NochAlbertEinsteinwarberzeugt,dadieErfahrungeinereinsinnigenundunumkehrbarenZeit-richtung,dieunserAlltagslebenbestimmt,eineIllusionsei.23GetreuderklassischenMechanikvollzogmaneineweitereAbstraktion:ManbetrachtetedieDingeunabhngigvonhrerUmwelt,umdieGesetzeihrerBewegungumsoreinerzuerfassen.NurimVakuumfalleneineFederundeinSteingleichschnell.-Aber,sofragtBergson,gibtesberhauptiso-lierteSysteme?WenndieWissenschaftbisansEndegehtundvollstndigisoliert,sonur derBe- quemlichkeitderUntersuchunguliebe.Stillschweigendetztieoraus,adie sogenanntisoliertenSystemegewissenuerenEinflssenunterworfenbleiben.. dieseEinflsse(sind)ebensovieleFden,diedasSystemmiteinemanderen,gre-renverknpfen.. .undsofort.. .biszumSonnensysteminseinerGesamtheit.UndselbstdagiltdieIsoliertheitnichtabsolut.UnsereSonnestrahltWrmebisjenseitsdesfernstenPlaneten... .Gewi,derFaden,dersiedem brigenUniversumverhaf-tet,istunendlichfein.Dennochisteres,woransichdiedemGanzendesUniver-23955,nmittelbarnachdemTodseinesFreundesMicheleBessoundwenigeMonatevordemeigenen,schrieber:Nunistermirauchmitdem AbschiedvondiesersonderbarenWelteinwenigvorausgegangen.Diesbedeutetnichts.FrunsglubigePhysiker hatdieScheidungzwischenVergangenheit,GegenwartundZukunftnurdieBedeutungeinerwennauchhart-nckigenIllusion."Zit.in:I.Prigogine/1.Stengers,Dialogmitder Natur.NeueWegenatur-wissenschaftlichenDenkens.(bers.F.Griese).Mnchen981 2,286.

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    RegineKather 0sumsimmanenteDauerfortpflanztbiszumwinzigstenTeilchenderWelt,darinwirleben."24 BergsontrifftdenNervdermodernenWissenschaft,wennerisolierteSy-

    stemealsntzlicheHilfskonstruktionenbegreift.ndiesenSystemenindalleMglichkeitenderEntwicklungvorgezeichnet.Neuesentstehtnurn,offenenSystemen',dieEnergiemitihrerUmgebungaustauschen.WhrendderEvolutionverwandeltederStoffwechseleinfacherLebewesendieZu-sammensetzungderAtmosphre,odaLebewesen,dieSauerstoffbrau-chen,ntstehenonnten.AuchiesewirkenlleinurchAtmungndErnhrungunaufhrlichaufdieNaturein.kologischeSystemebefindensichineinemlabilenGleichgewicht:StirbteineArtausoderentstehteineneue,dannverndertsichdasZusammenspielderLebenwesenunberechen-barundunwiderruflich.HandeltesichbeiderEvolutionalsoatschlichnurumdenmechani-

    schenZusammenschlumateriellerElemente?OderprgensichallmhlichkeimhaftangelegteMglichkeitenaus,wieAristotelesdachte?Aberentste-henmitneuenGestaltennichtauchneueMglichkeiten?MitjedemEreig-nisverndernichdieLebensbedingungenderZukunftundchlieeneineRckkehrineinenfrherenZustandaus.UnaufhrlichtreibtdieGegenwartneueTatsachenundmitihnenneueMglichkeitenhervor,diedenSpielraumdesWerdenseinengenodererweitern.Alles,wasjeentstandenist,warnurzueinembestimmtenZeitpunktmglich.DasEntstehendesNeuensteineinmaligesEreignis.VorderEntwicklungdesLebens',oBergson, lei-bendieTorederZukunftbreitoffen.'25Derwirkliche,StoffderWeltistBe-wegung,chpferischesWerden.

    Sagenwiralso,daesinderDauer,alsschpferischeEvolutionaufgefat,eineunaufhrlicheSchaffungonMglichkeitennd ichtlleinonWirklichkeiten gibt...WenneinMusikereineSymphoniekomponiert,warseinWerkdannmg-lich,bevoreswirklichwurde?Ja,wennmanesdahinversteht,daseinerVerwirk-lichungeinnbersteigbaresHindernismWegetand...Aber:WedermBe- wutseindesKnstlers,nochvielweniger.. .inirgendeinemanderenBewutsein.. .wredieSymphonieinderEigenschafteinesbloMglichenvorhanden,bevorsie wirklichwurde.AberkannmannichtdasselbesagenvonirgendeinemZustanddes UniversumsunterEinschluallerbewutenundlebendigenWesen?Is tesnichtrei-chernNeuem,nadikalerUnvorhersehbarkeit,ls ieSymphonieer rtenMeister?"26 2 4 H.Bergson,SchpferischeEntwicklung,op.cit.5-17.25H.Bergson,zit.n:R.Sheldrake,DieWiedergeburtderNatur.WissenschaftlicheGrund-lageneinesneuenVerstndnissesderLebendigkeitundHeiligkeitderNatur.Bern,Mnchen,Wien993,88.26H.Bergson,DenkenundschpferischesWerden.AufstzeundVortrge.Meisenheim/Glan1948,32 .

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    HenriBergson 1 DieNaturgleichtkeinemPuzzle,onderneinemGemlde.iehneltnichtdemHandwerker,dervorgefertigteTeilezusammenbaut,sonderndem

    Knstler,dessenWerksichausdemMaterialalleinnichterklrenlt.AlleFarbenmgenbereitstehenunddieLeinwandebensovorhandenseinwiediezndendedee:OhnedasmhsameRingenmitdemMaterial,dasbehut-sameErprobenverschiedenerMglichkeitenunddaszgerndeSkizzierenderFormenentstehtkeinGemlde.EsgewinntdurchdenchpferischenAktelbstDimensionen,dieesmGeistedesKnstlersnochnichthatte.WhrendbeimPuzzledasBildschonfertigist,brauchtderMalerdiewirk-licheZeit.,DieZeitistZeugung,odersieistschlechthinnichts'27,sie,istdieSpannungdesZgernsundWhlens'28,sagtBergsonknapp.29InerDynamik,ieieFormbildungnerNaturorantreibt,iehtBergsonasWirkeninerLebensschwungkraft',ineselanital'.hreRichtungstnichtvorherbestimmt.DasLebenneinemFormenreichtumentwikeltichnGarbenform',esmndetnSackgassen,beginntwieder

    vonneuemundverzweigtichmmerweiter.njedemAugenblickgibtesmehrereMglichkeiten,dieimLaufederVerwirklichungdurchdieAnpas-sungandieUmgebungeingeschrnktwerden.ErstdurchdasZusammen-wirkenderLebensschwungkraftmitdemWiderstandderMateriekommtdieEntwicklunginGang.NichtsanderesbeobachtenwiranunsselbstbeiderEntwicklungjenerbeson-derenTendenz,diewirunserenCharakternennen.JedervonunswirdbeimRck-blickaufseineGeschichtefeststellen,wieseineKindheitspersnlichkeit,ihrerUn- teilbarkeitungeachtet,mannigfachePersoneninsichvereinigte,die-weilnochim Werdezustand-verschmolzenbleibenkonnten:jadieseUnentschiedenheitmitih-rerFllevonVersprechungenistgeradeeingrterZauberderKindheit.Mitstei-gendemWachstumaberwerdendiesosichdurchdringendenPersonenunvereinbar;undajederonnsurinLebenebt,strentigt,eineWahlureffen.TatschlichwhlenwirunaufhrlichundgebenebensounaufhrlichvielerleiDingeauf."30 WiebeimMenschenverluftauchinderNaturdieEvolutionin,Garben-form'.Mglichkeitenwerdendurchgespieltundverworfen,erschiedeneEntwicklungslinienbildensichundlaufeneineZeitlangnebeneinanderher.

    EswreeinIrrtum,allePflanzenalsVorluferderTiereanzusehen;auchdieEntwicklungderTierezieltnichtnuraufdiedesMenschen.Dieerstaunli-cheOrganisationeinesBienenvolkesetwastellteinenvorlufigenEndpunkt27H.Bergson,SchpferischeEntwicklung,op.cit.344.28H.Bergson,DenkenundschpferischesWerden,op.cit.948,12.29H.Bergson,SchpferischeEntwicklung,op.cit.7.30H.Bergson,SchpferischeEntwicklung,op.cit.05f.

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    RegineKather 2dar,der niezurBildungdesMenschenweiterfhrenkonnte.VonzahlreichenVerstelungenfhrtenureinZweigweiterzumMenschen.

    Esis tfalschz uglauben,dieMenschheit,wiewirsievorAugenhaben,seiinderEntwicklungsbewegunggleichsamprdestiniert.Nichteinmalovieltsichbe- haupten,da siederZusammenstromdergesamtenEntwicklungsei.Dennaufmeh-rerenunddivergierendenLinienhatsichdieEntwicklungvollzogen,undwennam EndedereinenLiniedieArtMenschsteht,sosindnebenih randereLiniendurch-messenworden,mitanderenArtenanihremEnde."31 DerMenschistzwarnichtdasZiel,abereinKonvergenzpunktderEvo-

    lution:Esistunbersehbar,dasichdasBewutseinindenletztenJahrmil-liardenmmermehrentfaltetundeineBedeutungzugenommenhat.AberfastberallfhrtedieseEntwicklungineineSackgasse;nur beimMenschenfanddasBewutseindenWeg,bersichhinauszuwachsenineineneueDi-mension.MitdemSelbstbewutseinwurdedieFreiheitgewonnen,demei-genenLebeneineRichtungzugebenundnachdemletztenUrsprungallenWerdenszufragen.DieMetapherder,Garbe'oderdes,Baumes'hatdieder,KettederLebe-wesen'abgelst.NachdiesemMotiv,dasrmehrals2000ahrezuden

    berhmtestenBildernderabendlndischenGeistesgeschichtegehrte,ol-gendieLebewesenockenlosaufeinanderwiedieGliedereinerKette.DieseeichtevonderunbelebtenMaterieberdieniedrigstenLebewesenbiszuGott,demschpferischenUrgrundallenSeins.DerStufenleiterdesSeinsverdanktederKosmosseineninnerenZusammenhang.32InDeutschlandgerietBergsoneitdemDrittenReichnVergessenheit;dieExistentialisten,dieFrankfurterSchuleunddieanalytischePhilosophiewarenichnderAblehnungBergsonseinig.ErstdieErgebnissedermo-dernenNaturwissenschaftenenthllendieungewhnlicheWeitsichteinesWerkes,dasPierreTeilharddeChardinebensoinspiriertewieAlfredNorthWhitehead.Teilhard,erdieEvolutionslehre,ieseeueBotschaftomWerdenderWelt,wieeineVerheiung'33nichaufnahm,ahmWerkBergsonseineneueVerbindungvonGeistundMaterie,vonSchpfungundEvolution.AuchWhiteheadpinntandemFadenweiter,denBergsonauf-gegriffenhatte:EinemodernePhilosophiemudasWerdeninderNaturwieinderWeltdesGeistesangemessenwrdigen.34DemNobelpreistrgerIlyaPrigoginedientBergsonskritischeBestandsaufnahmederklassischenWis-3 1H.Bergson,zit.in:J.Hemleben,PierreTeilharddeChardin.Reinbekb.Hamburg1966,37.32Vgl.A.O.Lovejoy,Die groeKettederWesen.GeschichteeinesGedankens.Frankfurt/M. 1993.33P.TeilharddeChardin:p.cit.35.34A.N.Whitehead,Prozeund Realitt.EntwurfeinerKosmologie.Frankfurt/M.1984,387f.

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    HenriBergson 3senschaftnochimmeralsProgramm.DiemitderBewegungverknpfteho-mogeneZeitis tinderTatnuraufeinebegrenzteKlasseeinfacherdynami-scherSystemeanwendbarundungeeignet,dieSelbstorganisationderMate-riezubeschreiben.DerUmschlagineineneueStrukturgeschiehtnurinSy-stemen,dienichtimGleichgewichtsind.DieserProzeistunumkehrbar,so dadieZeiteinebishernichtgekannteBedeutunggewinnt.35 4.DieErneuerungderReligionausderIntuitionBergsonsRufdehntesichallmhlichberFrankreichhinausaus.91 1hielterVorlesungeninOxfordundBirmingham,91 3inNewYork.Imschick-salsschwerenJahr914,nemderersteWeltkriegusbrachundEuropaverwstete,wurdeerindieAcademiefrancaisegewhlt.ImselbenJahrver-botPapstPiusX.denPriesterndenBesuchderVorlesungenBergsonsundsetztedessenWerkeaufdenIndexderf rKatholikenverbotenenBcher.DerZeitpunkt,dieEvolutionslehremiteinerspirituellenInterpretationderWirklichkeituerbinden,warochnichtekommen.NochTeilhardeChardinmpfteeitlebensergeblichmie erffentlichungeinerSchriften.urzachdemBergson921eineProfessurmCollegeeFranceniedergelegthatte,whltemanihnzumPrsidentenderCommissioninternationaledecooperationintellectuelle.mAltervon65JahrenwurdeerzumerstenMalinseinemLebenvoneinerschwerenKrankheitheimge-sucht:EinchmerzhafterAnfallonRheumawarderBeginninernichtmehrabreiendenKettevonKrisen, ieihnimmerstrkeraneineWoh-nungfesselten.DieEinschrnkungseinerBewegungsfreiheitzwangihnim-mermehrzummndlichenundschriftlichenAustauschmitFreundenundSchlern.Nachdemihm1928derNobelpreisfrLiteraturverliehenwordenwar,empfingerzweiJahresptermitdem,GroenKreuzderEhrenlegion'eineweiterehoheAuszeichnung.Schon902hatteBergsoneinenbegeistertenBriefvondemrenommier-tenHarvard-ProfessorWilliamJames,einemVertreterdesamerikanischenPragmatismus,rhalten.amesatteinenhnlichenntwicklungswegzurckgelegtwieBergson:VommechanistischenWeltbildausgehend,hatte1 51.Prigogine/I.Stengers,Dialogmit derNatur,op.cit.8f;00 :DerzentraleBegriff(inder TheoriederSelbstorganisation,R.K.)istdasProblem de r ZeitundihrerBeziehungzurKom-plexitt...WennBergsonskritischeBestandsaufnahmederklassischenWissenschaftnochimmerverstndlichist,so.. .alseinProgramm,dasvondengegenwrtigenWandlungender Wissenschaftallmhlichrflltwird.Sowissenwirheute,adieonBergsonkritisierte,mitderBewegungverknpfteZeitinderTatnuraufeinebegrenzteKlassevoneinfachendy-namischenSystemenanwendbarist."

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    RegineKather 4erichllmhlichasanzepektrumermenschlichenErfahrungr-schlossen.EineseineretztenBcherrgtdenbezeichnendenTitelDieVielfaltreligiserErfahrung'.WieBergsonwarauchJamesberzeugt,daeinemoderneMetaphysikichaufdieErfahrungttzenmsse.AuchdieverschiedenenFormenreligisenErlebens,dieweltweitbezeugtsind,mumanaufihrenKerndurchleuchten.36WiederW egvonJamesmndetauchderBergsonsndasStudiumreligisenErlebens.932erschiendasetztegroeWerkmitdemTitel,DiebeidenQuellenderMoralundderReligion'.AuchndieserSchriftbleibtdieFrageeitend:Worauspeisenunderneu-ernsichreligiseAnschauungen?IntensivsetztsichBergsonmitdenTheo-rienauseinander,diedieReligionenaufpsychologischeodersoziologischeGewohnheitenzurckfhren.AnderslseitaatenbildendenTierenwieAmeisenderBieneneruhenmenschlicheGemeinschaftenufFreiheitundntelligenz.SozialeFormenverleiheneinegewisseOrientierungundschtzenvorderAngstvordemTod,denngewhnlichfindetunserIchsei-nenHaltanderOberflcheundnichtindereigenenTiefe.VielefolgendenRegelnerGesellschaftallerdingsurausBequemlichkeit,Gewohnheit,blinderPflichterfllungoderGehorsam.DadurchhabenreligiseOrganisa-tionenieTendenz,Zwngeuszubenndichegeneinanderbzu-schlieen.AufdieseWeiseentstehtdiestatischeReligion.DochesgibtnocheineandereQuellederReligion:Dientuition,inschpferischerAktalso,durchbrichtdenengenKreiseligiserGewohn-heiten.FreinenAugenblickwirdeinMenscheinsmitdemLebensstrom,derallesdurchflutet.Derelanvital',dieLebensschwungkraft,reibtnichtnurdieEvolutionvoran.SieistdieGotteskraftselbst,dieFlleallerZeiten,derschpferischeUrsprungdesLebens.MystikistfrBergsondieunmit-telbareErkenntnisdesGttlichen,eine,cognitioDeiexperimentalis',wieesimMittelalterhie.Durchden(Lebens-)Strom.. .inihrenTiefenerschttert,hrtdieSeeleauf,sichumsichselbstzudrehen... .Siehltinne,alshttesieeineStimmevernommen,die sieriefe.Dannltsiesichgeradeaustragen.SiekanndieKraft,vondersiebewegtwird,nichtdirektwahrnehmen,abersiefhltihreundefinierbareGegenwart,odersieahntsie,durcheinesymbolischeVisionhindurch.Nunkommteineungeheure Freude,eineEkstase,indersieaufgeht...:Gottistda,undsieis tinihm."37DieBerhrungmitemLebensstromweitetenBlickrieanzeMenschheit.DerMystikeristerflltvondemWissen,daderLebensstrom

    inallenMenschenundsogarinderNaturwirkt.Dadurcherneuertsichdieberzeugung,daWertewiedieMenschenwrde,GerechtigkeitoderLiebe

    1H.Bergson,Denken...,op.cit.238.H.Bergson,DiebeidenQuellenderMoralundde rReligion.Frankfurt/M.992,79.

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    HenriBergson 5uneingeschrnktrlleelten.DieffeneHaltungwirktichturchZwngeundGebote,nichtdurchAngstundDrohungen,onderndurchdieAnziehungskraft,ieerjenigeusstrahlt,erieherendealeerMenschheitverkrpert.ndieserGeisteshaltungwandtensichdieStifterfi-gurenderReligionenwieBuddhaoderChristusanalleMenschen.FrunsistderHhepunktderMystikeineFhlungnahme,unddamiteinteil-weisesEinswerdenmitderschpferischenAnstrengung,dievomLebenoffenbartwird.DieseAnstrengungistvonGott,wennnichtgeradezuGottselbst.DergroeMystikerwredemnacheineIndividualitt,diedieGrenzenberschreitet,diederSpeziesdurchihreStofflichkeitgezogensind,undsodasgttlicheWirkenfortsetztundverlngert."38 DerMystikermueinWissennsHandelnberfhren,mageineZeitihnverstehenodervielleichtersteineptere.nkostbarenAugenblicken

    schpfterausderintuitivenFhlungmitdemLebensstrom,ummAlltaginmhsamenSchritten,neuenWeininalteSchluchezugieen'.InimmerwiederneuenAnlufenwirddieIntuitionzumKorrektivfrdieLebensge-wohnheitenderGemeinschaft.DiestatischeReligionistnureineMoment-aufnahmeimlangsamenFortschrittderMenschheitzurWahrheit.WiederisteseinBeispielausderMusik,dasBergsonhilft,dieArbeitdesbersetzenszwischenIntuitionundDenken,zwischendynamischerundstatischerReli-gionzuverdeutlichen.39IneinehnlicheRichtungwieBergsonsImpulszieltdernochlngstnicht

    eingelsteAusspruchvonKarlRahner:DerChristderZukunftwirdeinMystikerseinodernichtmehrsein'.40FrCarlFriedrichvonWeizsckeristdieMystikdietiefsteWurzelderverschiedenenReligionen.WiedieSpei-cheneinesRadeslaufensieineinemgemeinsamenMittelpunktzusammen.AlsHitlermSeptember939Polenund940Parisbesetzenie,be-merkteBergsonvollBitterkeit,daer,zulangegelebthabe'.AuchinFrank-reichwurdenundiejdischeBevlkerungegistriertunddeportiert.ManwollteBergsonchtzen,abererselbstwollteaufderSeitederLeidenden

    undErniedrigtenstehen.41ObwohlerschonlangekeineinnereVerbindungmehrumudentumattendichurhristlichenMystikingezogenfhlte,estandrarauf,lsudeegistriertuwerden.TrotzeinerSchmerzenverlieerseinBettundstelltesich,nurmitSchlafrockundPan-toffelnbekleidetundvoneinemDienergefhrt,imanuar1941vieleStun-denindieSchlangederWartenden.DurchdieeisigeKltezogersicheine38H.Bergson,DiebeidenQuellen...,op.cit.72 .39H.Bergson,DiebeidenQuellen...,op.cit.96f.40K.Rahner,SchriftenzurTheologieXIV,Zrich,Einsiedeln,Kln983,375.4 1Zit.in:H.Bergson,Denken...,op.cit.8.

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    RegineKather 6Lungenentzndungzu,anderereinundachtzigjhrignachdreiTagenstarb.DieZeitumstndeverboteneineangemesseneWrdigung.Nurwenigeka-menzurBeerdigung,beideraufseinenWunscheinkatholischerPriesterei-nigeGebetesprach.FrdenpolnischenPhilosophenLeszekKolakowskiiegtdasVerdienstdesDichterphilosophen'darin,daerdenMenschenwiedermitdemKos-mosunddiePhilosophiewiedermitdemLebenverbindet.42Derfranzsi-schePhilosophEmanuelLevinassiehtBergsonsBeitraginderTheoriederDauer,diedieVorherrschaftderZeitderUhrenzerstrtunddenMenschendemganzAnderen,demUnendlichenffnet.43DasWerkBergsonsistvonderberzeugungdurchdrungen,daimScho

    derGegenwartstetsmehrereMglichkeitenruhen.Neuesentsteht,daseineBereicherung,einWachsen,einschpferischesWerdenseinkann.AuchdieGeschichtederMenschheitwirdnichtvoneinemunabnderlichenFatumgelenkt.DieVielzahleinzelnerEntscheidungenundHandlungendurchdrin-genichundbringendieBedingungenhervor,unterdenendieMenschheitknftiglebenwird.Einfachheit,sowardieberzeugungBergsons,seieineVorbedingungfreinerflltesLeben.NurdannkanndieMenschheitineineRichtungweiterschreiten,wieieBergson,nspiriertvomohannes-Evan-gelium,zeichnet:

    AberdieMenschheit...weinichtgengend,daihreZukunftvonih rselbstab-hngt.Esstanihr,unchstzuntscheiden,obieweiterlebenwill,nihr,ichweiterzufragen,obsienurlebenoderauerdemnochdientigeAnstrengunglei-stenwill,amitichuchufunsermwiderspenstigenPlaneten iewesentlicheAufgabedesWeltallserflle,dasdazudaist,Gtterhervorzubringen."44

    4 2 L.Kolakowski,HenriBergson.EinDichterphilosoph.Mnchen,Zrich985.43E.Levinas,EthiqueetInfini.Paris,982,22f:E sistdasVerdienstBergsons,diePhiloso-phievomerblffendenModellderwissenschaftlichenZeitbefreitzuhaben...Bergson..zeigteeinleuchtenddie.. .WirklichkeitderZeit.Ichweinicht,obdiemoderneWissenschaftunsnochimmerineineWeltstellt,inderes,nichtsNeuesgibt'.Ichdenke,sieversichertunszumindestdieErneuerungihrereigenenHorizonte.AberesistBergson,derunsdieIdeedes Neuengelehrthat,derunsdas,Sein'freivonde ruerenErscheinungineinemjenseitsdes Seins'elehrthat."44H.Bergson,DiebeidenQuellen...,op.cit.247.