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DIE ELEMENTE CHLOR, BROM UND IOD stellen die Ausgangsstoffe für eine Reihe von Produkten dar, die wir in unserem alltäglichen Leben verwenden (fotografische Filme, Kunststoffe, Arzneimittel). Die Frage nach der Gewinnung der Rohstoffe, aus denen diese Produkte hergestellt werden, ist daher von großem Interesse.
Im Folgenden wird zunächst ein Überblick über die fachlichen Hintergründe zur industriellen Gewinnung von Chlor, Brom bzw. Iod gegeben. Weiterhin werden neuartige Experimente zu den jeweiligen Produktionsprozessen vorgestellt. Die Einordnung der Thematik in die Unterrichtskonzeption Chemie im Kontext ist in [1] erfolgt. ----.J
Stichworte: Großtechnische Verfahren· Halogengewinnnung . Redoxreaktionen
1. Einleitung Die Ozeane der Welt bedecken etwa 71 % der Erdoberfläche.
Das Wasservolumen beläuft sich auf 1,3 Milliarden km3• Die
gelösten Stoffe im Ozeanwasser liegen in fast unvorstellbar großen Mengen vor, die Ozeane stellen daher eine einzigartige Rohstoffquelle dar. Aufgrund ihrer geringen Konzentrationen lassen sich jedoch viele Substanzen nicht auf lohnende Weise gewinnen. Wirtschaftlich rentable Verfahren existieren derzeit nur fUr die Gewinnung von Magnesium [2] und Brom. Doch auch Chlor, das in Form von Chlorid-Ionen den Hauptbestandteil des Meersalzes bildet, und Iod, das von Meerespflanzen und -tieren angereichert wird, können ökonomisch sinnvoll aus dem Reservoir Ozean gewonnen werden.
2. Die Gewinnung von Chlor aus Meerwasser Chlor gehört zu den wichtigsten Grundchemikalien der
chemischen Industrie. Rund 70 % des Umsatzes, den die deutsche Chemie erwirtschaftet, hängt direkt oder indirekt von chlorchemischen Verfahren ab. In Deutschland wurden 1997 über 3,5 Mio. Tonnen Chlor produziert, etwa ein Zehntel der
, weltweiten Jahresproduktion [3]. Für viele Produkte ist Chlor ein wichtiger Baustein im Produktionsprozess. Dabei wird das eingesetzte Chlor meist im Kreislaufsystem wieder verwendet, so dass bei der Herstellung der entsprechenden Produkte Chlor nicht als Abfallprodukt anfällt.
Chlor wird zur Produktion von Salzsäure, Magnesium und Brom eingesetzt. Ferner findet es Anwendung in der Synthese organischer Produkte. Haupteinsatzgebiet ist die Darstellung von Polyvinylchlorid. In der Papier- und Celluloseindustrie wird Chlor als Bleichrnittel eingesetzt (mit abnehmender Tendenz), in der Wasseraufbereitung von Schwimmbädern dient es als Desinfektionsmittel.
Hergestellt wird diese Grundchemikalie fast ausschließlich durch die Chloralkalielektrolyse. Das benötigte Natriumchlorid wird aus Salzlagerstätten oder - in wärmeren Ländern - durch Verdunsten von Meerwasser in Salzgärten gewonnen. Im Wasser der Ozeane sind ca. 50 Billiarden Tonnen Natriumchlorid
CHEMKON (Weinh.) © WlLEY-VCH Verlag GmbH, D-69451 Weinheim, 2001 0944-5846/01/0410-193 $ 17.50 + .50/0
Chlor, Brom, IodElemente aus dem Meer
Antje Paschmann, Andrea Wenninga und Ilka Parchmann
gelöst. Der Vorrat an Steinsalz in Lagerstätten, die sich aus vergangenen Ozeanen gebildet haben, erstreckt sich auf ca. 3,7 Billionen Tonnen. Diese riesigen Vorräte können quasi als unerschöpflich angesehen werden.
Bei der Chloralkalielektrolyse werden an der Anode Chlorid-Ionen zu elementarem Chlor oxidiert, an der Kathode erfolgt die Umsetzung von Wassermolekülen zu Hydroxid-Ionen und Wasserstoff. Wichtige Endprodukte der Elektrolyse sind daher neben Chlor auch Natronlauge und Wasserstoff. Eine Vermischung der Produkte aus dem Anoden- und Kathodenraum muss unbedingt vermieden werden, da dies zur Bildung eines Wasserstoff/Chlor-Knallgasgemisches fUhren kann. Ferner würde bei der Alkalisierung des Anodenraumes das gebildete Chlor zu Chlorid- und Hypochlorit-Ionen disproportionieren, welches zu Chlorat weiterreagiert [vgl. 4]. Heute existieren drei großtechnische Verfahren, die eine Trennung des Anodenund Kathodenraumes gewährleisten: 1. Membranverfahren 2. Diaphragmaverfahren 3. Amalgamverfahren (Näheres s. z.B. [5]).
Neben dem Diaphragmaverfahren eignet sich im Unterricht auch das Membranverfahren zur experimentellen Erarbeitung. Bei diesem Verfahren erfolgt eine äußerst effektive Trennung der Elektrodenräume durch eine Kationentauschermembran, die fast ausschließlich fiir Natrium-Ionen durchlässig ist. Die von der Firma Dupont entwickelte Nafion®-Membran besteht
Nation (R)
(CF2 -CF2lx -(CF2 -CF}y
4 F3C --<r-F
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Abb. 1: Kationentauschermembran
beispielsweise aus polymeren fluorierten Kohlenwasserstoffen, die Seitenketten mit Sulfonsäure- bzw. Carboxylgruppen enthalten. Deren negative Ladungen stoßen Anionen wieder ab, so dass nur Kationen die Membran durchdrin-gen können. Abb. 1 gibt schematisch den Aufbau dieser Membran wieder.
Antje Paschmann, siehe CHEMKON 614 (1999) 191. Sie ist zurzeit Studienreferendarin am Studienseminar Salzgitter
Andrea Wenninga, Jahrgang 1973, ist zurzeit Studienrefrendarin am Studienseminar Leer. Sie studierte von 1994 bis 2000 Mathematik und Chemie for das Lehramt an Gymnasien an der Universität Oldenburg.
Ilka Parchmann, siehe CHEMKON 811 (2001) 15
Anschriften: Dr. Antje Paschmann, Spannweg 11,38176 WendeburglSophiental Andrea Wenninga, Pferdemarktstr. 6,26789 Leer Dr. Ilka Parchmann, IPN an der Universität zu Kiel, Olshausenstr. 62,24098 Kiel
193
Elemente aus dem Meer
Bei der Elektrolyse der Natriumchlorid-Lösung werden an der Anode Chlorid-Ionen zu Chlor oxidiert, an der Kathode wird Wasser zu Wasserstoff und Hydroxid-Ionen reduziert. Der Lösung im Anodemaum werden somit negative Ladungsträger entzogen, der im Kathodemaum werden negative Ladungsträger hinzugefügt. Die Ladungsbilanz wird durch eine "Wanderung" der Natrium-Ionen durch die Ionentauschermembran vom Anoden- in den Kathodemaum ausgeglichen.
Entsprechende Apparaturen zur Demonstration des Membranverfahrens im Chemieunterricht sind in der Literatur beschrieben. So schlagen Flintjer et. al. zur Demonstration des Membranverfahrens vor, als Reaktionsraum eine Tobifo®Kammer aus Plexiglas zu verwenden, in die eine Nafion®-Kationentauschermembran eingespannt wird [4]. Die PlexiglasApparatur muss gekauft werden. In der folgenden Versuchsbeschreibung wird eine Apparatur vorgestellt, die mit einfachen Mitteln selbst angefertigt werden kann.
Versuch 1: Gewinnung von Chlor nach dem Membranverfahren
Geräte und Chemikalien: 400 mL-Becherglas, 400 mL-Polyethylen-Flasche mit Deckel, Spannungsquelle (15 V), kreisrundes Stück Nafion®-Membran (0 = 42 mm), Kohleelektrode, Nickelnetz, zweifach durchbohrter Stopfen, gebogenes Glasrohr, 6 kleine Kristallisierschalen, Pasteurpipetten gesättigte Kaliumnitrat-Lösung, gesättigte Natriumchlorid-Lösung, Phenolphthalein-Lösung, Kaliumiodid-Lösung, w(KI) = 5%, Salpetersäure, c(HN03) = 2 mol/L, Silbernitrat-Lösung, c(AgN03)
= 0,5 mol/L
Sicherheitshinweis: Chlor ist giftig beim Einatmen! Es reizt Augen, Atmungsorgane und Haut. Abzug!
Entsorgung: ChlorhaItige Lösungen werden mit Natriumthiosulfat-Lösung versetzt und in den Ausguss gegeben.
Vorbereitung: Aus dem Deckel und dem Boden einer Polyethylen-Flasche wird je eine kreisförmige Scheibe (0 = 40 mm) ausgeschnitten. Man legt nun die Nafion® -Membran in den Deckel und schraubt diesen auf die Flasche. Der Boden wird mit dem durchbohrten Stopfen verschlossen.
DurchfiJhrung: Die Apparatur wird nach Abb. 2 aufgebaut. Die Polyethylen-Flasche wird mit der Natriumchlorid-Lösung, das Becherglas mit der Kaliumnitrat-Lösung gefüllt. Das Nickelnetz, das von außen um die Polyethylen-Flasche gelegt wird, schließt man als Kathode an die Spannungs quelle an, die Kohleelektrode dient als Anode. Man elektrolysiert 10 Minuten bei einer Spannung von 15 V und einer Stromstärke von 500 mA. In jeweils zwei kleine Kristallisierschalen gibt man folgende Nachweisreagenzien:
a) einige Tropfen Phenolphthalein, versetzt mit etwas destilliertem Wasser (Nachweis von Hydroxid-Ionen)
b) Kaliumiodid-Lösung (Nachweis von Chlor)
c) Silbernitrat-Lösung, mit einigen Tropfen Salpetersäure versetzt (Nachweis der Chlorid-Ionen)
194
Nickeldrahtnetz
KaliumnitratLösung
15V
1--++--+-- Kohleelektrode
NationMembran
NatriumchlorIdLösung
Abb. 2: Apparatur zum Membranverfahren
Nach beendigter Elektrolyse gibt man jeweils 1 mL der Lösungen aus dem Anoden- bzw. dem Kathodemaum in die drei verschiedenen Nachweisreagenzien.
Beobachtung und Deutung: An beiden Elektroden ist eine Gasentwicklung zu beobachten. Die Lösung in der PolyethylenFlasche ist schwach gelb-grün gerarbt. Der Hydroxid-IonenNachweis fallt bei der Lösung aus dem Kathodemaum positiv, bei der aus dem Anodemaum negativ aus. Ferner können im Kathodemaum weder elementares Chlor noch Chlorid-Ionen nachgewiesen werden. Die entsprechenden Nachweise für den Anodemaum fallen positiv aus.
Die Nafion®-Membran ist also weder durchlässig für Chlor, noch für Hydroxid- und Chlorid-Ionen. Unerwünschte Nebenreaktionen unterbleiben. Im Kathodemaum entstehen Hydroxid-Ionen, im Anodemaum bildet sich Chlor. Folgende Reaktionen finden an den Elektroden statt:
Kathode: 2 H20(1) + 2 e' ~ H2(g) + 2 OH'(aq) Anode: 2 Cr(aq) ~ Cb(g) + 2 e-
Es wird deutlich, dass mit dem Membranverfahren sehr reine Produkte gewonnen werden.
3. Die Gewinnung von Brom aus Meerwasser 1825 stellte der französische Chemiker Antoine Jerome Ba
lard Untersuchungen mit Meerwasser an. Bei der Behandlung von Algen und MeerwassersoIen mit Chlorwasser bildete sich ein auffallend braunes Gas, das zu einer braunen Flüssigkeit kondensierte. Balard erkannte, dass es sich bei dieser Substanz um ein neues Element handelte, das seinem Geruch entsprechend als Brom (griech. bromos = Gestank) bezeichnet wurde. Nicht Balard hat das Brom entdeckt, sondern das Brom hat Balard entdeckt [7] war ein Ausspruch Liebigs, der bei Experimenten im Labor die braune Substanz bereits zwei Jahre zuvor hergestellt hatte, sie aber für eine Verbindung aus Iod und Chlor hielt und folglich ihren Elementcharakter nicht erkannte.
99% der irdischen Bromvorräte sind in den Ozeanen gespeichert [8]. Weiterhin kommt Brom in Form von bromidhaItigen Salzen in Salzseen, in Salzsolen sowie in Salzlagerstätten vor. Hauptbromproduzenten sind die USA, gefolgt von Israel,
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China und Großbritannien. Die USA verfUgen über große Salzseen, ebenso wie Israel und Jordanien (Totes Meer), aus denen Brom in großem Maßstab gewonnen wird. In Deutschland wurde Brom lange Zeit aus Camallitendlaugen, die bei der Kali-Produktion anfielen, produziert. Die Brom-Produktion der Kali- und Salz-AG ist 1992 eingestellt worden [9]. Das in Deutschland benötigte Brom muss seitdem importiert werden.
Seit Beginn der 90er Jahre ist ein Anstieg in der Bromproduktion festzustellen: Wurden 1980 rund 380.000 t Brom hergestellt, so belief sich die Weltjahresproduktion im Jahre 1998 auf 514.000 t Brom [10]. Der größte Teil des elementaren Broms wird weiterverarbeitet zu Verbindungen, die eine hohe Dichte sowie Feuer hemmende oder Feuer löschende Eigenschaften aufweisen. Abb. 3 zeigt die Verwendung von Brom im Jahre 1998 im Vergleich zu 1975.
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195 200 ..
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senulzmillei Aüs'igkeil&n
Abb. 3: Verwendung von Brom 1975 und 1998 [10, 11)
Bis heute ist die Produktion von Bromverbindungen, die als Flammschutzmittel in Kunststoffen eingesetzt werden, ein schnell wachsendes Gebiet. Ferner findet seit Beginn der 70er Jahre Calciumbromid erhöhte Anwendung in der Erdöl- und Erdgasförderung, wo ca. 95% des produzierten Calciumbromids auf grund der hohen Dichte der wässrigen Lösung (<p = 1,7 g/cm3
) als hydraulische Flüssigkeit eingesetzt wird [10]. Umstritten ist der Einsatz von Methylbromid als Pestizid. Es zählt zu den ozonzerstörenden Substanzen und wird laut Beschluss der USA nach 2005 nicht mehr hergestellt [10]. Doch auch durch natürliche Quellen wie Meeresalgen, I Salzmarschen, Rapssamen und Pilze wird Methylbromid in großen Mengen freigesetzt [12]. Die Produktion von Dibromethan ist seit 1975 drastisch zurückgegangen. Dibromethan wurde lange Zeit den bleihaltigen Antiklopfmitteln im Fahrzeugbenzin zugesetzt, auf die aus Umweltschutzgrunden inzwischen verzichtet wird, so dass sich auch die Verwendung von Dibromethan stark verringert hat.
Bromverbindungen finden weiterhin in der Fotografie Anwendung: Silberbromid stellt die lichtempfindliche Substanz der fotografischen Filme dar.
1 Die Ozeane stellen nicht nur die größte Quelle, sondern auch eine große Senke für Methylbromid dar. Der Nettofluss ist insgesamt negativ.
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Elemente aus dem Meer
Bei der Gewinnung des Broms unterscheidet man zwei Verfahren voneinander. Die Heißentbromung (steaming out process) wird angewendet, wenn der Gehalt an Bromid-Ionen in der jeweiligen Sole über 19/L liegt [13]. Hier wird nach Oxidation der Bromid-Ionen das entstandene Brom mit heißem Dampf ausgetrieben. Bei geringeren Konzentrationen, wie sie etwa im Meerwasser vorliegen, rentiert sich dieses Verfahren nicht, da die Dampfkosten zu hoch wären. Ein anderes Verfahren kommt zum Einsatz, das im Folgenden beschrieben wird:
Das Kaltentbromungsverfahren (Blowing out process) Aus dem Meerwasser wird das Brom nach dem Verfahren
der Kaltentbromung gewonnen [14]. Der zentrale Schritt bei diesem Verfahren ist die Oxidation der im Meerwasser vorhandenen Bromid-Ionen zu elementarem Brom. Das Oxidationsmittel muss äußerst selektiv sein, da. eine große Zahl weiterer oxidierbarer Substanzen im Meerwasser vorliegen und es muss wirtsch!lftlich effektiv sein. Als geeignetes Oxidationsmittel hat sich Chlor erwiesen, das bereits Balard bei der Entdeckung des Broms verwendet hat. Ein Vergleich der Normalpotentiale zeigt, warum Chlor in der Lage ist, Bromid-Ionen zu Brom zu oxidieren [6]:
CI2 + 2 e" .... 2 CI' E :: + 1,36 V Br2 + 2 e" .... 2 Br" E == + 1,06 V
2 Br" + CI2 ~ 2 CI' + Br2 In einer Nebenreaktion reagieren Chlor und Brom unter Bildung von Bromchlorid miteinander:
Br2 + CI2 .... 2 BrCI Abb. 4 gibt den schematischen Verlauf der Verfahrens schritte der Kaltentbromung wieder. .
Chlor_
Schwefelsaure
MeerwassJ
-CI ~.
2 2
BrCl
Ausblas" Absorptions turm turm
2
t t t Luft
Abb. 4: Das Kaltentbromungsverfahren
Schwefelsäure
1. Das Meerwasser wird zum Kopf eines Ausblasturmes (1) geleitet. Um eine· optimale Durchrnischung zu gewährleisten, wird es direkt hinter den Pumpen mit Schwefelsäure und Chlor versetzt. Da Meerwasser mit einem pH-Wert von 7,5 bis 8,2 leicht alkalisch ist, wird dort das Gleichgewicht
Br2 + 2 H20 .... H30+ + Br" + HOBr zusätzlich zu Gunsten der Disproportionierung des Broms
verschoben, was fUr den Produktionsprozess hinderlich ist. Es wird daher Schwefelsäure hinzugefUgt, bis die Lösung einen
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Elemente aus dem Meer
pH-Wert von 3,5 aufweist. Im Ausblasturm reagieren nun die Bromid-Ionen der angesäuerten Meerwasser-Lösung mit dem Chlor unter Bildung von Brom:
CI2 + 2 Br- ~ 2 cr + Br2
Durch den Turm wird von unten Luft geblasen, wodurch aus der Lösung ein Gemisch aus Brom, Chlor sowie Bromchlorid, das als Nebenprodukt anfallt, ausgetrieben wird. Dieses Gasgemisch gelangt in den Absorptionsturm (2).
2. Im Absorptionsturm (2) wird das Gasgemisch aus Brom, Chlor und Bromchlorid im Gegenstrom mit einer Sodalösung gewaschen. Die Sodalösung, die sich in einem Lagertank befindet, wird zum Kopf des Absorptionsturmes geleitet und von oben in den Turm gesprüht. Bei der Reaktion der Sodalösung mit dem Gasgemisch findet eine Disproportionierung des Broms zu Bromid- und Bromat-Ionen statt:
3 Na2C03 + 3 Br2 ~ 5 NaBr + NaBr03 + 3 C02
3. Wenn die Alkalinität der Sodalösung weitgehend erschöpft ist, wird sie in einen Reaktor (3) geleitet. Die an Bromid- und Bromat-Ionen angereicherte Lösung wird hier mit Schwefelsäure behandelt, wodurch in einer Komproportionierungsreaktion elementares Brom in hoher Konzentration gebildet wird:
NaBr03 + 5 NaBr + 3 H2S04 ~ 3 Br2 + 3 Na2S04 + 3 H20 Zur Gewinnung von Rohbrom wird die Lösung destilliert. Das so gewonnene Brom kann nun zu den verschiedenen Produkten weiterverarbeitet werden.
Aufgrund der geringen Konzentration des Meerwassers an Bromid-Ionen (aus 1 Liter Meerwasser können theoretisch maximal 0,02 mL Brom gewonnen werden) ist die Durchführung eines entsprechenden Modellexperiments mit "Meerwasser" nicht sinnvoll. Um dennoch einen hohen Realitätsbezug zu gewährleisten, kann das Experiment unter Verwendung von Salz aus dem Toten Meer, das als Badesalz in Drogerien und Apotheken erhältlich ist, durchgeführt werden. Am Toten Meer wird Brom ebenfalls in großem Maßstab gewonnen, hier allerdings nach dem Verfahren der Heißentbromung. In 1 Kilogramm des Wassers aus dem Toten Meer sind 330 g Salz enthalten. Der Gehalt an Bromid-Ionen beträgt 4 glL.
Versuch 2: Gewinnung von Brom aus Meerwasser nach dem Kaltentbromungsveifahren
Geräte und Chemikalien: wie in Vers. 1, zusätzlich: 250 mLWaschflasche, Indikatorpapier, 1 L-Rundkolben, Schlauch, Gasflasche mit Stickstoff, Wasserstrahlpumpe, Schwefelsäure, w(H2S04) = 30%, Salz aus dem Toten Meer, NatriumcarbonatLösung, c(Na2C03) = 0,7 moVL
Sicherheitshinweise: Chlor ist giftig beim Einatmen! Es reizt Augen, Atmungsorgane und Haut. Bromdämpfe sind giftig! Bei Hautkontakt mit konzentriertem Brom kommt es zu starken Verätzungen. Abzug! Eine 10%ige Natriumthiosulfat-Lösung muss bei Versuchen mit Brom immer griffbereit sein [vgl. 15).
Entsorgung: Chlor- und brornhaltige Lösungen werden mit Natriumthiosulfat-Lösung versetzt. Sie können dann in den Ausguss gegeben werden.
196
Durchfiihrung: Die Apparatur wird nach Abb. 5 aufgebaut. In den Rundkolben gibt man eine Lösung aus 500 g Salz des Toten Meeres in 600 mL Wasser (30DC) und säuert diese mit Schwefelsäure an (pH = 3,5). Die Waschflasche wird mit 70 mL Sodalösung gefüllt. Man elektrolysiert 15 min bei einer Spannung von 15 V. Nun wird der Chlorentwickler entfernt und für ca. 30 min ein starker Strom der Wasserstrahlpumpe eingestellt. Danach werden ca. 20 mL der Sodalösung in ein Reagenzglas gegeben und vorsichtig mit Schwefelsäure angesäuert.
Hinweis: Bei zu geringer Leistung der Wasserstrahlpumpe kann diese ggf. entfernt und anstelle des Chlorentwicklers eine Gasflasche mit Stickstoff an die Apparatur angeschlossen werden. Man leitet nun ca. 30 Minuten lang einen kräftigen Stickstoffgasstrom durch die Apparatur.
Beobachtung: Sobald das gebildete Chlor in den Rundkolben gelangt, farbt sich die Salzlösung augenblicklich gelb, im weiteren Verlauf hellbraun. Bei Einleiten von Luft bzw. Stickstoff entfarbt sich die Lösung langsam wieder. Die Sodalösung ist zu Beginn des Versuches farblos und am Ende leicht gelb gefarbt. Nach dem Ansäuern der Sodalösung entweichen braune Dämpfe, die Lösung verfarbt sich hellbraun.
Auswertung: Im Rundkolben werden die im Salz des Toten Meeres enthaltenen Bromid-Ionen mit Chlor zu elementarem Brom oxidiert, das die Lösung gelbbraun farbt. Da in der angesäuerten Lösung das Brom nur mäßig löslich ist, lässt es sich durch Einleiten von Luft bzw. Stickstoff in den Rundkolben aus der Lösung austreiben und wird so in die Sodalösung geleitet. Dort disproportioniert das Brom bei der Reaktion mit Natriumcarbonat zu Bromid- und Bromat-Ionen. Fügt man Säure zu diesem Gemisch aus Bromid- und Bromat-Ionen, so entsteht in einer Komproportionierungsreaktion wieder Brom (Reaktions gleichungen s. Kaltentbromungsverfahren).
Die Verwendung der Apparatur aus Vers. 1 zur Chlorentwicklung (Modellexperiment zum Membranverfahren) lässt die gekoppelte Darstellung zweier wichtiger technischer Verfahren zu. (Chlor kann auch durch Zugabe von Salzsäure zu Kaliumpermanganat im Gasentwickler hergestellt werden.)
4. Die Gewinnung von Iod aus Meeresalgen In einem Kilogramm Meerwasser sind 50 Ilg Iodid-Ionen
enthalten. Eine großtechnische Förderung, ähnlich der des Broms, ist bei einem so geringen Gehalt nicht denkbar. Meeresalgen sind jedoch in der Lage, die im Meerwasser vorhandenen Iodid-Ionen anzureichern. Besonders Braunalgen weisen einen hohen Iodidgehalt auf (Iodidgehalt veraschter Braunalgen: 0,1-1% [16]). Iod wird heute im Umfang von etwa 17.000 tla aus Chilesalpeter und iodidreichen Quellen gewonnen. Im 19. Jahrhundert wurde Iod fast ausschließlich aus Meeresalgen hergestellt. Bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts soll diese Form der Iodgewinnung noch regional angewendet worden sein [17].
Unter den Braunalgen weisen die Fucus- und Laminariaarten den höchsten Iodgehalt auf. Der Blasentang (Fucus vesiculosus) tritt an der deutschen Nordseeküste in großen Mengen auf. Der Zuckertang (Laminaria saccharina), der Fingertang (Laminaria digita) und der Palmtang (Laminaria hyperborea) sind vor der Küste Helgolands zu finden.
CHEMKON/8. Jahrg. 2001/Nr. 4
NIckeldrahtnetz
15V
1--++--+-- Kohleelektrode'
Elemente aus dem Meer
o
Natrlumchlorld- r-#-........ KaliumnItrat
Lösung
NanonMembran
Lösung
Abb. 5: Demonstrationsexperiment zum Kaltentbromungsverfahren
Salzlösung aus dem Toten Meer
Sodalösung
Nach dem Kelp-Verfahren wurden zur Darstellung von Iod aus Algen zunächst die während der Flut an den Strand geschwemmten Tange gesammelt, in der Sonne getrocknet und verbrannt. Die Algenasche wurde mit Wasser ausgelaugt. Beim Eindampfen dieser Lauge fällt zunächst Kaliumsulfat, dann Kaliumchlorid und Natriumchlorid aus. Die verbliebene iodidreiche Lösung wurde zur Oxidation der Iodid-Ionen mit Braunstein und Schwefelsäure, in einer anderen Variante mit Chlorwasser versetzt und destilliert.
Der folgende Versuch beschreibt in Anlehnung an das historische Kelp-Verfahren eine Möglichkeit der Gewinnung von Iod aus Algen. Als Oxidationsmittel wird Chlor verwendet. 2
Versuch 3: Iod aus Meeresalgen
Geräte und Chemikalien: Porzellanschale, Bunsenbrenner, Mörser, Heizrührer, 100 mL-Becherglas, Trichter, Filterpapier, 20 mL-Reagenzglas, Aktivkohle (gekörnt), gut getrocknete Braunalgen: Blasentang (Fucus vesiculosus), besser geeignet ist Zuckertang (Laminaria saccharina), Salzsäure, c(HCI) = 2 mol/L, Chlorwasser, Petroleum
Filter /-hlorwasser mit Aktivkohle
Asche in Salzsäure gelöst
tiu ~ ~-~. Abb. 6: Iodgewinnung aus Meeresalgen
2 Auch Wasserstoffperoxid eignet sich für die Oxidation, wie von Twenhöven beschrieben wird [18].
CHEMKON!8. Jahrg. 200l/Nr. 4
Durchfohrung: Etwa 5 g der gut getrockneten Algen werden in einer Porzellanschale verbrannt, die Asche wird fein zermörsert und in 30 mL Salzsäure kurz gekocht (vgl. Abb. 6). Die noch heiße Lösung wird durch 2 g Aktivkohle in ein Reagenzglas filtriert. Zum Filtrat werden 0,5 mL Chlorwasser hinzugefiigt. Anschließend gibt man 2 mL Petroleum hinzu und schüttelt kräftig. Ggf. fügt man weiteres Chlorwasser hinzu.
Beobachtung und Auswertung: Nach Filtrieren der Asche-Lösung durch Aktivkohle ist die
Lösung farblos. Bei Versetzen mit Chlorwasser ist eine Braunfärbung zu beobachten. Schüttelt man mit Petroleum aus, so nimmt das Petroleum die typisch violette Farbe des in organischen Lösungsmitteln löslichen Iods an. Bei der Reaktion der Algenasche mit dem Chlorwasser entsteht Iod gemäß folgender Redoxreaktion:
CI2 + 2 I' ~ 2 CI' + 12
Anmerkung: Eine Zugabe von Chlor in größeren Mengen ist zu vermeiden, da in diesem Fall Chlor mit Iod direkt zu Iodchlorid reagiert:
Cb + b ~ 21CI Der Iodnachweis fällt dann trotz der Anwesenheit von IodidIonen in der Ausgangslösung negativ aus.
5. Ausblick Im Rahmen des Konzeptes Chemie im Kontext ist ein
Lernzyklus Rohstoffe aus dem Meer entwickelt worden,in dessen Rahmen die Schülerinnen und Schüler die Thematik eigenständig erarbeiten und die Experimente mit den ihnen zur Verfiigung stehenden Mitteln selbst entwickeln. Dieser Lernzyklus sowie erste Erfahrungen, die damit im Unterricht gemacht werden konnten, werden von den Autoren auf Anfrage zur Verfiigung gestellt.
197
Elemente aus dem Meer
Dank Wir danken dem Fonds der Chemischen Industrie für die
freundliche Unterstützung dieser Arbeit.
Bezugsquellen: - Nafion®350-Membran: z.B. Firma Aldrich 45,473-7 - Laminaria saccharina: Biologische Anstalt Helgoland,
Materialversorgung, Postfach 180, 27483 Helgoland, Tel. 04725/819-212
6. Literatur
[I] I. Parchmann, R. Demuth, B. Ralle, A. Paschmann, H. Huntemann, Chemie im Kontext - Begründung und Realisierung eines Lemens in sinnstiftenden Kontexten, PdN-ChiS SOll (2001) 2ff
[2] A. Paschmann, B. Höffmann, I. Parchmann, Die Gewinnung von Magnesium aus dem Salz des Toten Meeres, CHEMKON 8/1 (2001) 30-31
[3] VCI: Positionen zur Chemie mit Chlor, Stand: 01.12.1998, http://www.vci.de
[4] B. Flintjer, W. Jansen, R. Peper, H. Fickenfrerichs, Das Membranverfahren in der Chloralkalielektrolyse, PdN-Ch 4 (1983) 115ff
198
[5] F. R. Minz, R. Schliebs, Modeme Verfahren der Großchemie: Chlor und Natronlauge, ChiuZ 5 (I987) 135ff .
[6] W. Jansen et al., Elektrochemie, Köln (1994)' [7] G. Bugge, (Hrsg.) Das Große Buch der Chemiker, Bd. 2., Weinheim
1984 [8] Römpp Lexikon Chemie, Version 1.2, StuttgartlNew York, 1996 [9] Persönl. Mitteilung, Kali und Salz AG, 1999 [10] Phyllis A Lyday, Bromine and Iodine, Minerals Yearbook, Washington
1999; http://minerals.usgs.gov/minerals/pubs/commodity/myb [11] R. B. McDonald.et al, The Bromine and Bromine-Chemicals Industry.
In: The modem Inorganic Chemicals Industry, London 1975 [12] J. H. Butler, Better budgets for methyl halides? Nature 403 (2000) 260f [13) K. Winnaker: Chemische Technologie, Bd. 2, München 1982' [14) Ullmanns Enzyklopädie der technischen Chemie, Bd. 8, Weinheim 1974' [15) G. Ameth et. al, Richtlinien zur Sicherheit im naturwissenschaftlichen
Unterricht. Empfehlung der Kultusministerkonferenz. Bundesverband der Unfallkassen e.V. München 1995
[16) K. Lüning, Meeresbotanik, Verbreitung, Ökophysiologie und Nutzung der marinen Makroalgen, Stuttgart 1985
[17) Ullmanns Enzyklopädie der technischen Chemie, Bd. 13, München 1977,42Iff.
[18) F. L. Twenhöven: Die Nutzung von Algen, UB 21 (225) (1997) 4lff.
Eingegangen am 09. Mai 2000
o
CHEMKON!8. Jahrg. 20011Nr.4