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Da geht noch was: Leben an der Basis Heinz-Günter Lang zum 70sten »Ohne ... freien Meinungskampf erstirbt das Leben in jeder öffentlichen Institution, wird zum Scheinleben, in dem die Bürokratie allein das tätige Element bleibt.« (Rosa Luxemburg)

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Da geht noch was:Leben an der Basis

Heinz-Günter Lang zum 70sten

»Ohne ... freien Meinungskampferstirbt das Leben in jeder öffentlichen Institution,

wird zum Scheinleben,in dem die Bürokratie allein das tätige Element bleibt.«

(Rosa Luxemburg)

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Herausgeberexpress-Redaktion/AFP e.V., Bleichstraße 9, 63065 OffenbachNovember 2005

Foto Titelseite: Mathias ErnertLayout/Satz: Birgit LetschRedaktion: Kirsten HuckenbeckDruck: Kopierwerk GmbH Frankfurt/Main

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Inhalt

Vorwort der HerausgeberInnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

I. Beiträge von Weggefährten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Manfred Birkhahn: Geschichte selber machen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

Peter Grohmann: »Meine sehr verehrten Damen und Herren, Kollegin, Genossinnen« 12

Wolfgang Günther: »Ei de Vadder« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

Kirsten Huckenbeck & Nadja Rakowitz: Genügend Gründe gegen den Zynismus . . . 15

Jens Huhn: »Immer neue Aufbrüche« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

Otto Jacobi: Die gewerkschaftliche Führungslinke – Ratlos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

Anton Kobel: Seit 1973 immer wieder Kollege und Genosse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

Hans-Werner Krauß: »Gegen den Strom« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

Sybille Laturner: Anfang der 70er in Darmstadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

Mia Lindemann: Basisdemokratie zulassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

Ulrich Mückenberger: Zeit, unter politischen Freunden zu streiten! . . . . . . . . . . . . . . . 30

Mathias Münter-Elfner: HG oder das Geheimnis gewerkschaftlicher Kraft . . . . . . . . . 34

Walther Müller-Jentsch: Erfolgreich gescheiterte Zeitungsfusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

Hinrich Oetjen: Fußball spielen in Schweden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

Knut Riedel: »Verhältnisse, nicht die Gewerkschaft bekämpfen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

Bernd Riexinger: »Spielräume für eigenständige Politik« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

Eberhard Schmidt: Verkehrte Welt. Betriebsnahe Tarifpolitik gestern und heute . . . . . 42

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Edwin Schudlich: »Grenzenlos flexibel – Die Würde des Menschen ist antastbar« . . . 45

Wolfgang Stather: »Winterfest!« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

Norbert Trautwein: Annäherung an HG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

Karin Volkmer und Ernst Dohr: Aller Anfang in Mannheim war nicht leicht. . . . . . . . . . 54

Ewald Wehner: »Kein Ruhestand« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

Edgar Weick: Betrachtungen zum »aufrechten Gang« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

II. Bilddokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

III. Beiträge von Heinz-Günter Lang, alias A.D. Timm, veröffentlicht im express in den Jahren 1974 – 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

IV. Beiträge aus anderen Publikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

V. Weitere Dokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193

Aufruf gegen Notstandsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

Kündigungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

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Vorwort der HerausgeberInnen

Am 70. Geburtstag von HG erinnern wir uns. Wir erinnern uns an unsere Begegnungen mit ihm,und an seine politischen Tätigkeiten. Ein »Erinnern« zu festlichem Anlass setzt sich zwangsläufigdem Verdacht aus, es handle sich hier um die Art der Erinnerung, die Bloch »die Unlust gegenüberdem Möglichen« nannte. Es werden Tatsachen aufgereiht und in eine Ordnung gebracht, und damitVergangenheit zu einem fertigen Produkt organisiert. Derartiges Erinnern ist oft nichts anderes alsdie Vorbereitung zum Vergessen und für den mit solcher Art Erinnerung »Geehrten« drängt sichleicht der Eindruck auf, er befände sich auf seinem eigenen Begräbnis und könne in einer »Fest-schrift« seinen »Nachruf« lesen. Solches »Gedenken« wäre hier vollkommen unangemessen, undwir hoffen, dass der Inhalt dieser Schrift einen solchen Verdacht zerstreuen kann.

Das politische Leben von HG ist ein Leben in der Arbeiterbewegung. Kein Leben in dieser Bewe-gung kann als »fertig und abgeschlossen« angesehen werden. Alle Anstrengungen und Hoffnungeneines solchen Lebens sind nämlich auf das Ziel einer freien menschlichen Gesellschaft gerichtet, undvon dieser sind wir bisher weit entfernt. Dadurch gehören alle Biografien über Generationen hin-weg in der Arbeiterbewegung zusammen. Für eine menschenwürdige freie Gesellschaft gibt eszwar objektive Bedingungen, aber sie ist dennoch kein Resultat blinder objektiver »Entwicklungenvon Produktivkräften«, und sie kommt sicher nicht, wie W. Benjamin spottete, aus der Fabrikarbeitals einer »politischen Tat«. Sie entsteht aus starken Überzeugungen und moralischen Entscheidun-gen von Menschen, die sie mit ihrem Mut, ihrem Verstand, ihrer Fantasie, ihrer List und ihrer Erfah-rung praktisch werden lassen. Dabei erwerben sie kein technisches Wissen, das mit jeder neuenGeneration und unter veränderten gesellschaftlichen Umständen entwertet wird. Auch finden sichdiese Überzeugungen, Haltungen und Verhaltensweisen nicht nur bei besonders »begnadeten«hervorgehobenen Personen. Die Arbeiterbewegung bleibt nicht allein dadurch lebendig, dass siesich in einer Tradition der Verehrung besonderer Ahnen oder kluger »linker Theorie« bewegt(obwohl man ihr heutzutage gerade davon mehr wünschen würde). Ihr Erbe ist reicher. Es findetsich in den Lebensläufen vieler Generationen von Menschen, die für eine menschenwürdige Gesell-schaft gestritten haben.

Bei oberflächlicher Betrachtung war das politische Leben HGs das eines gewöhnlichen Gewerk-schaftsfunktionärs, der, wenn auch mit einer Unterbrechung, die »Karriereleiter« stetig hochgeklet-tert war. Hier einige wichtige Daten:

● Seit 1952 Mitglied bei der Gewerkschaft HBV, wurde HG bald Landesjugendleiter in Hessen.1955 wechselte er zur IG Chemie nach Darmstadt, wurde zunächst Jugendsachbearbeiterund dann Organisationssekretär.

● 1961 beauftragte ihn der Hauptvorstand der IG Chemie mit dem Aufbau einer Verwaltungs-stelle in Trier.

● 1963 wählte ihn die Verwaltungsstelle Neuwied der IG Chemie zum Geschäftsführer. ● 1964 kehrte er zur IG Chemie nach Darmstadt als gewählter Geschäftsführer zurück. Zeit-

weise war er Mitglied des Bundesstreikteams der IG Chemie.● 1973 begann er eine Tätigkeit als pädagogischer Mitarbeiter an der Hessischen Jugendbil-

dungsstätte in Dietzenbach.● 1983 arbeitete er in der Hauptverwaltung der HBV● 1986 wurde er zum Geschäftsführer der HBV Mannheim gewählt und● 1989 zum Landesleiter der HBV Baden Württemberg.

Solcherlei Daten mögen HG zwar als einen »bedeutenden Mann« erweisen, sind aber zunächst»totes Material«, auch wenn sie durch die Information ergänzt werden, dass HG immer als ein »Lin-ker« galt, von Anfang seines politischen Lebens an in den verschiedenen Friedensbewegungen der

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Bundesrepublik beteiligt, leidenschaftlich in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit und bis heute im»express« tätig war und ist. Sein Beitrag zur Arbeiterbewegung wird erst deutlich in den Erinnerun-gen und Reflexionen seiner Freunde, Mitstreiter und Weggenossen und in den Artikeln, mit denen erim »express«, in den »Jahrbüchern« (zunächst »Gewerkschaften und Klassenkampf«, dann »kriti-sches Gewerkschaftsjahrbuch«), in Broschüren und Büchern in politische Debatten eingriff.

Ohne den folgenden Beiträgen dieser Broschüre vorgreifen zu wollen, sei hier schon Einiges überHGs Haltungen und Überzeugungen gesagt. Dazu eine Bemerkung vorweg: Wenn HG mit Mutund Standhaftigkeit auch in für ihn schwierigen Situationen zu seinen Überzeugungen gestandenhat, dann nicht weil sie aus einem theoretischen oder gar religiösen Dogmatismus stammen. Es sind,das wird, glauben wir, aus der Lektüre der hier versammelten Beiträge deutlich, kollektive Erfahrun-gen aus einer langen Geschichte der Arbeiterbewegung.

Es waren nicht sehr viele in der Arbeiterbewegung davon überzeugt, dass jene Freiheit, die die bür-gerliche Gesellschaft den Menschen zugestand, in einer anderen humanen Gesellschaft noch über-boten werden müsse und dass man dorthin keineswegs über vorübergehende, Umständen geschul-dete Herrschaft von ZKs, »demokratischem Zentralismus« oder »proletarischer Diktatur« gelangenwürde. Für HG hat der Zweck niemals die »unheiligen Mittel« geheiligt, vielmehr haben diese ihnunerreichbar werden lassen. Seine Abneigung gegen Parteien, die sich im »Namen der Befreiung«heeresförmig organisiert hatten, war und ist notorisch.

In Deutschland hatte das Bürgertum weder Freiheitsrechte eingeführt noch hinlänglich verteidigt.Die Freiheitsrechte in der bürgerlichen Demokratie verdankten sich den Anstrengungen der deut-schen Arbeiterbewegung. Obwohl wahre Demokratie erst jenseits der bürgerlichen Gesellschaftmöglich erschien, mussten bestehende Freiheitsrechte heute schon und immer wieder gerade vonder Arbeiterbewegung verteidigt werden. Dort wo sie fehlten, war die Entwicklung der Arbeiterbe-wegung gehemmt, ihr inneres Leben durch Illegalität deformiert. Dass aber die Verteidigung vonFreiheitsrechten nicht erst dann beginnt, wenn das Organisations-,Versammlungs- oder Streikrecht,das Recht auf freie Meinungsäußerung angegriffen werden, wusste HG. Man findet ihn u.a. in derKampagne gegen die Notstandsgesetze, beim Pfingstkongress des SB und von Anfang als Mitgliedim »Komitee für Grundrechte«. Bei den Bundestagswahlen 1966 kandidierte HG sogar in der SPDgegen Schmidt-Vockenhausen, einen glühenden Vertreter der Notstandsgesetze, und verpasste nurrecht knapp eine Kandidatur.

Schon zu Anfang des 20. Jahrhunderts beklagte Rosa Luxemburg die zunehmende Macht einerPartei- und Gewerkschaftsbürokratie, deren einzige Sorge mehr und mehr darin bestand, den eige-nen Erhalt zu sichern, und die versuchte der Arbeiterbewegung ihre eigene institutionelle Logik auf-zuzwingen. Gewerkschaften streikten nicht gegen den Krieg und für einen grundsätzlichen gesell-schaftlichen Umsturz, weil das Streikinstrument zu kostbar für den Tarifstreit sei, um es »leichtfertigaufs Spiel zu setzen« (so der damalige ADGB-Vorsitzende Legien anlässlich der berühmten »Mas-senstreikdebatte«). Parlamentarische Fraktionen der SPD versuchten ihre politischen, d.h. parlamen-tarischen Einflussmöglichkeiten zu »verbessern«, indem sie die SPD programmatisch und praktischvon der Arbeiterklasse zu einem »Volk« hin zu öffnen suchten.

An diesen sich damals abzeichnenden Tendenzen hat sich bis heute nichts geändert. EhemaligeParteien der Arbeiterbewegung werben in Wahlkampagnen um »alle«, damit sich ihre parlamenta-rische »Gestaltungsmacht« verbessert. Gewerkschaften fungieren innerhalb fast durchgehend »ver-rechtlichter Arbeitsbeziehungen« – immer schlechter – überwiegend als »Lohnfindungsmaschinen«,in denen ein vor allem auf Machterhalt eingeschworener Apparat einer zunehmend gleichgültigenMitgliedschaft gegenübersteht. Aus Instrumenten, die einst dafür geschaffen wurden, der Arbeiter-klasse in der Arbeit an ihrer Befreiung behilflich zu sein, sind überwiegend »Stützen der Gesell-schaft« geworden, die aufkommenden Unmut niederhalten sollen und absehbar selbst diese Aufga-be immer schlechter erfüllen. Dass wir es wagen können, heute überhaupt noch von einer Arbeiter-

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bewegung in Deutschland zu sprechen, verdanken wir nicht zuletzt auch denjenigen, die innerhalbder Apparate an der Idee einer anderen menschenwürdigen Gesellschaft festgehalten haben.

Zu ihnen gehört HG. »Gewerkschaften tun gute Dienste als Sammelpunkte des Widerstands gegendie Gewalttaten des Kapitals«, heißt es bei Marx. Sie sollten »ihre organisierten Kräfte gebrauchenals einen Hebel zur schließlichen Befreiung der Arbeiterklasse, d.h. zur endgültigen Abschaffungdes Lohnsystems«. Im schwierigen gewerkschaftlichen Alltag, der bestimmt ist von den Lasten einer»Verwaltung von Menschen« und einem Übermaß an »Verrechtlichung« in den Arbeitsbeziehun-gen, bedeutet dies, Mittel und Wege zu finden, Menschen zusammenzubringen, ihr Selbstbewusst-sein zu stärken, ihre Kenntnisse zu erweitern. Aber dies ist noch nicht alles. Gelingen kann dies nur,wenn zwischen Funktionären und Mitgliedern ein Prozess in Gang kommt, bei dem Theorie undErfahrung aneinander abgearbeitet werden. Gewerkschaftsarbeit bedeutet, auch im Drang derGeschäfte und auch außerhalb der dafür »offiziell« vorgesehenen Bildungsveranstaltungen Orteund Gelegenheiten für das, was Oskar Negt später soziologische Phantasie und exemplarischesLernen nennen sollte, zu schaffen. Die Beiträge dieser Broschüre zeugen reichlich davon, dass HGsich dieser Art von Gewerkschaftsarbeit verpflichtet fühlte. Er wusste allerdings auch, dass unter dengegebenen Umständen nur Annäherungen an ein solches Ideal möglich waren. Bei Marx heißt esauch: »[Gewerkschaften] verfehlen ihren Zweck zum Teil, sobald sie von ihrer Macht einen unsach-gemäßen Gebrauch machen. Sie verfehlen ihren Zweck gänzlich, sobald sie sich darauf beschrän-ken, einen Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zu führen, statt gleichzeitigzu versuchen, es zu ändern«.

Oft genug haben diejenigen, die von ihrer Macht im Gewerkschaftsapparat einen »unsach-gemäßen Gebrauch« machten, die Wege HGs gekreuzt. Man kann sogar sagen, dass sie seineständigen Begleiter waren. Die Art von Gewerkschaftsarbeit, die HG und seinen Mitstreitern vor-schwebte, fand nicht in Nischen statt, die von selbstvergessenen Apparaten »machtfrei« gelassenwurden, sondern sie mussten überhaupt erst geöffnet werden. Dies gelang nicht immer. 1973 hatHG deshalb die IG Chemie verlassen. (S. Dokumentationsteil)

Am Anfang des 21. Jahrhunderts ist, anders als noch zu manchen früheren Zeiten, keine reale Bewe-gung mehr auszumachen, die aus dem kapitalistischen Schlamassel hinausdrängt. Deshalb habensich viele einst »subversive« Gewerkschafter auf den »Kleinkrieg gegen die Wirkungen des beste-henden Systems« verlegt. Auch dabei müssen Menschen organisiert und mobilisiert werden.

(Insofern lässt er sich oberflächlich nur schwer von einer Gewerkschaftsarbeit unterscheiden, diesich »als Hebel zur Abschaffung der Lohnarbeit« verstehen möchte.) Allerdings gibt es in diesemKleinkrieg heute immer weniger Schlachten zu gewinnen, und zumeist ist die Siegestrophäe dabeinur noch der pure Erhalt eines Arbeitsplatzes. Alle ideologischen Überhöhungen, die diesen Klein-krieg begleiten, wie »Mitgestaltung«, »Zukunftssicherung«, »moderne« Gewerkschaftspolitik usw.verdecken nur notdürftig, dass er heute perspektivloser ist denn je. Im 19. und bis in die Mitte des20. Jahrhunderts vermochte er oft noch unverzügliche Abhilfe aus einer elenden Situation undmoralische »Aufrüstung« gegen kränkende Umstände schaffen. Heute kann nur mühselig verbrämtwerden, dass die Resultate dieses überhöhten Kleinkriegs häufig nichts anderes sind als ein Schlaggegen die Würde und das Selbstbewusstsein von Menschen.

Wer in den letzten Jahren mit HG häufiger über Gewerkschaften gesprochen hat, der konnte erfah-ren, dass er sehr skeptisch war, ob sich eine andere Gewerkschaftsarbeit je gegen eine Politik desbloßen Machterhalts oder des ideologisch überhöhten Kleinkriegs im Bestehenden durchsetzenkönne. Den anderen »klassischen Zweig« der Arbeiterbewegung, die Partei, hatte er – obwohl erüber viele Jahre Mitglied der SPD war –, ob in alter oder irgendeiner neuen Form, schon längst alsuntaugliches Instrument abgeschrieben. Ohne es deutlich auszusprechen, konnte man den Eindruckgewinnen, HG sähe das Ende der Arbeiterbewegung voraus. Zugleich aber beschäftigte er sichneugierig und offen mit allen Ansätzen und Versuchen, zu einer neuen, anderen Arbeiterbewegungzu gelangen. Sein Interesse galt dabei der Entstehung der französischen SUD ebenso wie den Days

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of Action der kanadischen Automobilarbeitergewerkschaft CAW oder den Versuchen zur Grün-dung einer neuen Arbeiterorganisation in den Freien Produktionszonen Sri Lankas. Wenn HG Skep-sis über die Zukunft der Arbeiterbewegung hat, dann ist es wohl eine vorsichtige.

Wir überlassen es jetzt dem Leser, weitere Aspekte an HGs Leben zu entdecken. Wir gehen davonaus, dass Du selbst, HG, mit dem Bild von Dir, welches Dir hier zurückgespiegelt wird, nicht immereinverstanden bist. Wenn wir uns an Dich erinnern, dann beschäftigen wir uns mit uns selbst, wer-den vielleicht gewahr, was wir selbst wollten, erhofften, konnten oder auch nicht konnten. Dass wirdabei vieles Eigne auf Dich projizieren ist unvermeidlich. Aber zugleich macht die Erinnerung anDich noch etwas anderes deutlich:

»Wir brauchen die Historie, aber wir brauchen sie anders als sie der verwöhnte Müßiggänger imGarten des Wissens braucht.« (Nietzsche) Wir brauchen sie, um unser Leben zu bestehen.

In diesem Sinne: Herzlichen Glückwunsch zu Deinem 70. Geburtstag

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I.

Beiträge

von Weggefährten

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MANFRED BIRKHAHN

Geschichte selber machen

Lieber Heinz-Günther, lieber HG,

Dein 70. Geburtstag ist eine gute Gelegenheit, um ein paar Gedanken aufzuschreiben. Wir kennenuns schon ziemlich lange. Spätestens seit 1972 ist mir Dein Name »HG Lang« politisch vertraut. Diedamalige IG Chemie streikte (ich weiß gar nicht, ob sie dies danach noch einmal schaffte). Duwarst damals verantwortlich für den Streik bei der Firma Merck, und wir in Berlin bei Scheringwaren stolz auf Euch und wurden dadurch motiviert. Einen kleinen Warnstreik bekamen wir dannauch noch hin. Der Vorsitzende des Bundessozialgerichts Wannagat hat den Konflikt durch einenSchiedsspruch dann allerdings schnell beendet. Dieser Schiedsspruch brachte damals ca. 7 Pro-zent mehr in die Lohntüten, wenn ich mich recht erinnere. Gemessen an dem, was unsere Gewerk-schaften heute ›rausholen‹ – Größenordnungen von 0,5 bis 1,5 Prozent, 1,6 Prozent, 1,7 Prozent –war dies damals eine Menge Holz. Du erinnerst Dich, wir waren trotzdem sauer und wollten mehr!So ändern sich die Zeiten bzw. die Kräfteverhältnisse in unserer Gesellschaft.

Danach haben wir uns, bis zu meiner unrühmlichen Kündigung bei Schering, einige Male im Che-miekreis um den »express« gesehen. Du hattest der IG Chemie den Rücken gekehrt und Dich im Bil-dungsbereich bewährt. Irgendwann, ich weiß gar nicht mehr genau, wann es war, sahen wir unsdann bei HBV wieder. Du als Landesleiter für Ba-Wü und ich als Mitglied im Gewerkschaftsaus-schuss für den Landesbezirk Berlin. Rückblickend war dies die aktivste Zeit politischer Gewerk-schaftsarbeit.

Denk nur an den »HBV-Strategieprozess« (dieses Scheitern einer Reform von oben!), Euren »Antragzur Überprüfung der Ausgaben des GHV’s zwischen 1988 – 1992«, die sog. »Wiedervereini-gung« usw.

Euren Antrag haben letztlich Euer Kollege Manfred Krüger und ich bearbeitet. Ein irres Stück Arbeitfür uns zwei Ehrenamtliche. Aber ich denke, wir haben eine gute Analyse abgeliefert.

Persönlich habe ich Dich besser und näher kennen gelernt, nachdem ich im Oktober 1994 als»Quereinsteiger« zum Landesleiter im HBV Landesbezirk Berlin gewählt wurde. Du warst damalsnoch Sprecher der Landesleiter und gerade dabei, diesen Job wieder aufzugeben. Für einen sol-chen »Hühnerhaufen« konntest bzw. wolltest Du nicht Sprecher sein. Dies war für mich ein sehr ein-schneidendes Erlebnis. Ich war, noch aus meiner Zeit als Mitglied des Gewerkschaftsausschusses,davon ausgegangen, die Landesleiter wären die grauen Eminenzen im Hintergrund und neben demGHV das eigentliche Machtzentrum in HBV. Weit gefehlt, das Ego der einzelnen Landesleiter ließeine solche Rolle gar nicht zu. Wir waren (mich inbegriffen) ein Haufen von Individualisten, unfähigzu gemeinsamer Initiative! Einige waren natürlich »mehr« und »wichtiger« als Andere. Insbesonde-re die Kolleginnen »Ossies« wurden, so schien es mir, behandelt wie Landesleiter zweiter Klasse.Einer der Gründe war wohl das negative Budget – der Osten als »Zuschussbetrieb«.

Mir selbst gelang es, die miese finanzielle Situation Berlins zu ändern. Mehr als Du vielleicht ver-mutest, hast Du mir bei diesem Gewaltakt geholfen! Ähnliches gilt übrigens für Peter Hauschild. Ihrbeide habt mir sofort und ohne Vorbehalt das Gefühl gegeben, dazu zu gehören. So manchesGespräch mit Dir, mancher Tipp und Hinweis waren Gold wert. In diesem zeitlichen Zusammen-hang warst Du für mich und meine Arbeit als Landesleiter sehr, sehr wichtig. Was war es, was Dichso wichtig sein ließ? Du warst immer direkt und gradlinig. Deine und die politische Linie Baden-Württembergs waren oft konträr zur Linie des Rests der Organisation. Gute Argumente, gute Debat-ten ließen mich viel von Dir lernen. Denk nur an die Debatten im Zusammenhang mit einem Tarifab-schluss im Einzelhandel. Auf einer großen Zusammenkunft im »Sauerland-Stern« solltet Ihr ‚Maßgenommen werden’. Deine ehrenamtlichen Kolleginnen und Du, Ihr hattet einen schweren Stand,

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habt Euch aber behauptet. Was es hieß, am Pranger zu stehen, habe ich durch meinen »unkoordi-nierten Abschluss« im Jahre 1999 erfahren dürfen. Es waren damals auch Du und viele Deiner Kol-legInnen, die mir den Rücken stärkten und das Gefühl gaben, nicht alleine zu stehen. Es gab auchdie »Kopf-ab-Fraktion«! Diese hat sich, solange es HBV gab, Gott sei Dank nicht durchsetzen kön-nen.

Der Übergang zu ver.di ist ein ganz besonders bitteres Kapitel gemeinsamer Erfahrung. Vieles vondem, was wir vorhergesagt hatten, ist leider Wirklichkeit geworden! Ich bin darüber gar nicht glück-lich, in vielem Recht behalten zu haben. Dieser Übergang, den ich auch heute noch für undemo-kratisch und falsch halte, war die intensivste Zeit unserer Zusammenarbeit. Ohne persönliches Ver-trauen, ohne Freundschaft wäre diese Zeit schwerlich zu bewältigen gewesen. Mir hat, nicht nur indiesem Zusammenhang, immer sehr stark Deine basisbezogene Sichtweise und Arbeit imponiert.Du hast Deine Ehrenamtlichen nie manipuliert. Du hast überzeugt und am Ende akzeptiert, wasmehrheitlich von ihnen beschlossen wurde. Bis zu Deinem Ausscheiden als Landesleiter schien es so,als könnte die 75-Prozent-Marke zur Auflösung von HBV verhindert werden. Ba-Wü, Berlin, Teilevon Hessen, Bayern und auch NRW hätten es schaffen können! Es sollte anders kommen, trotz derguten Analysen aus Ba-Wü. Aus den Alternativen zu ver.di wurde – nach Dir – die Alternativlosig-keit zu ver.di. Der Zug war abgefahren, meinte ein besonders Angepasster!

Die vielen Gespräche mit Dir, auch der Einblick in Dein persönliches Leben haben mich Dir sehrnahe gebracht. Es ist schön, dich zu kennen!

Einer unserer »Überväter« hat mal gesagt: »Die Menschen machen ihre Geschichte selbst, aber siemachen sie unter vorgefundenen Bedingungen und Umständen« Dies scheint wohl wahr zu sein. Duhast jedenfalls als Mensch und Kollege im Rahmen Deiner Arbeit vielem einen ganz persönlichenStempel aufgedrückt. Einiges werden wir noch tun, jeder an seinem Platz und auch gemeinsam.Darauf freue ich mich!

Jetzt gilt es, Dir einen schönen 70. Geburtstag zu gestalten. Bleib gesund, dies wünscht Dir herzlichst

Dein Freund und KollegeManfred Birkhahn

Manfred Birkhahn war bei Schering und ist heute in Altersteilzeit.

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PETER GROHMANN

Meine sehr verehrten Damen und Herren,Kollegin, Genossinnen,

ein erster und herzlicher Gruß geht an die Gruppe Internationalismus, an die Vogelgrippemörderund Pestbeulen, die sich hier bei uns in Deutschland die Zähne reparieren lassen, unseren Frauenschöne Augen machen und der eigenen Oma ihr klein’ Häuschen in der Toskana an Leute wieOskar Lafontaine veräußern.

Aber: Kein Mensch ist illegal, wie Helmut Kohl zu Otto Schily gern sagt. Und bei dieser Gelegen-heit erinnere ich gern an alle, die deutsch sind, Stolzer zu sein. Die Wüste lebt, wie der FlüchtlingGrohmann dem Flüchtling Lang gern zuruft in diesen heißen Zeiten.

Durch die Wüste, durch die Steppe zogeine kühne Division ...

Hin zur Küste dieser weißen, heiß umstrittenen Bastion /::/

Und die haben ja tatsächlich Lebende in der Wüste gefunden, neben Toten. Unbeschreiblich. DieLippen aufgeplatzt. Das Gesicht ausgemergelt, ausgetrocknet fast. Aber schön, irgendwie schönnoch im Tod. Kamerafahrt von den Dunlop-Sandalen die schlanken Beine hinauf – hätte ein Sprin-ter werden können, Hürdenlauf, Marathon, hätte das Zeug gehabt. Nur die Augen. Unvergesslich.Die Augenlider flattern ...

Und traurig, unglaublich traurig. Aber eben wunderschöne Aufnahmen. Das Kamerateam hatte jaselber nur einen Landrover dabei, und da lagen 10, 12 Leute in der Wüste ... Also da war nix zumachen. Schade, eigentlich, beim Nachdenken. Unwahrscheinlich schade. Aber irgendwie auchein Appell an uns, an den Menschen in uns. Der mag verschüttet sein, verstehen Sie, der mag sichverstecken, aber irgendwann wird er gefunden, der Mensch in uns.

Und dann aber Hallo!! Es menschelt halt überall, oder? Ich bin ganz sicher. Und das ist ja ebenauch ein Stück Leitkultur. Es wollen doch im Grunde genommen alle, dass wir mitleiten.

Ob UNO oder WHOob Schröder oder Lammers

so hammer’s – gern

Hilf Dir selbst, so hilft Dir Gott, wie es ganz richtig beim Roten Kreuz heißt. Gottlob, möchte ich anfü-gen, hat der Rote Halbmond hier nichts zu melden. Allerdings, wenn es nach Typen wie HG ginge...

Hilf Dir selbst! Da steckt doch ein ganzes Bündel Literatur-Geschichte drin, in diesem schlichten Vers,oder? Ihr habt doch studiert, Ihr müsst das doch wissen! Für was hat man Euch denn auf die Aka-demie der Arbeit geschickt? Na also!

Aber mal ganz unter uns, Kolleginnen, Kollegen, Genossen:

Ich habe niemanden gerufen. Wir haben ja auch gar kein’ Platz in der Olgastraße. Was habenwir – na, grob geschätzt sind das eben mal 120 qm, wenn’s hoch kommt. Und selbst wenn: Ichglaube nicht, dass sich ein Afrikaner hier wohl fühlen würde. Schon von der Witterung her. Dannder Verkehr. Wahnsinnig. Eben durch die vielen Umleitungen. Stau vom Eugenplatz bis runter zumOlgaeck.

Das ist manchmal wirklich nicht mehr schön. Dann das Telefon, den ganzen Tag Telefon, Telefon,Telefon. Das sind die ja gar nicht gewöhnt. Aber selbst wenn wir einen hätten bei uns zu Hause, deruns dann bissel zur Hand geht – au pair mäßig –, aber eben auch tariflich, da leg ich Wert drauf,dass da keine Sauerei passiert.

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Ich war doch selber jahrelang im Sozialistischen Büro, im SZ, gar keine Frage, soviel Anstand hätteselbst der Schröder, wenn er noch ... na ja, lassen wir das.

Aber ich sag mal so: Autowaschen, kochen und so’n Zeug – also wir schwärmen ja für die Afrika-nische Küche – also wenn wir einen Asylanten hätten, rein prophylaktisch gedacht – und dann klin-gelt das Telefon, und ich würde dem sagen – nur mal angenommen -und das müssen Sie jetzt nichtso wörtlich nehmen – »Nimm mal ab Bimbo, ich sitzt grade auf’m Klo«.

Da sieht der alt aus, der Afrikaner, mit seinen Autoreifenschuhen.1. Kann nicht richtig deutsch, ja,2. Macht mir den Hörer dreckig mit seinen schwarzen Händen und 3. hat keinen blassen Schimmer von der Leseaktion

gegen Gewalt und Vergessen. Wisst Ihr, wir lesen ja da an Schulen, am 8. und 9. November, jedesJahr, damit die Schülerinnen eben auch wissen, wo’s lang geht, toleranzmäßig. Schon die RosaLuxemburg hat ja immer wieder betont: Toleranz ist immer die Toleranz der Andersdenkenden.

Für solche Weisheiten reicht eben eine HBV-Schulung heute auch nicht mehr – erstens, weil es keineHBV mehr gibt, sondern ver.di, und zweitens, weil eben ver.di an sich die Schulung ist.

Meine Oma Glimbsch aus Zittau, väterlicherseits: Die hatte Toleranz, mehr als vielleicht gut ist. Diekam aus der gleichen Ecke wie die Merkel. Die hat mir schon als Kind immer sonstewas erzählt.Vom Karl dem Großen und Karl Mai oder von Karl Marx oder von Karlheinz, ihrem Schwipp-Schwager. Die reinsten Schauermärchen ... Und wenn ich dann gefragt habt: Beweise, Oma,Beweise? meinte sie: Beweise? Paar in die Fresse, haste Beweis.

Das sind irgendwie Erkenntnisse nach einem langen Berufsleben, die wir eben zu schnell vergessen,genauso wie die Genossen, die jetzt im Himmel sind. Ich nenne nur – stellvertretend – Fritz Lamm,Eugen Eberle oder, um auch eine Frau dabei zu haben, Nina Hoss. Und die lebt ja noch, und dasollte der HG mal nachhaken, ob sich da nicht noch was machen ließe, knetemäßig oder so.

Ich gebe heute, Ihr merkt es, mein Bestes: Worte, nichts als Worte. Aber wie oft haben uns in derVergangenheit die Worte gefehlt? Wie oft, seid mal ehrlich, waren wir sprachlos, ja mittellos?

Ich gebe gern.

Wir haben ja schon beim Tsunami gegeben. Bei mir war der Auslöser dieses Kind mit der offenenSchädeldecke, da hab ich sofort gesagt: Marlies, Scheckheft her. Was haben wir gegeben, Mar-lies? OK, wir haben dann vergessen, den Scheck wegzuschicken. Aber auch der Wille zur Hilfe istja schon was wert, oder? Marlies?

Na ja, die ist schon Bett. Ich hüpf jetzt auch rein.Zähneputzen, Prothese raus. Es kommen auch bessere Tage, hä?In diesem Sinne, sage ich immer!

Peter Grohmann war Mitglied im Arbeitsausschuss des SB und Sekretär des SZ Stuttgart und nannte sich gernauch mal 1. Vorsitzender der ApO, was ihm aber von den eher dogmatischen Leuten (à la Fischer) sehr übelgenommen wurde. Nicht von Leuten wie HG, die vorn herein in der zweiten Reihe saßen und ahnten:

Grohmann könnte Recht haben! HG vorsorgte nämlich selbigen mit interessanten Neuigkeiten aus den großenFilialen der Arbeiterbewegung, der wiederum die Plakat-Gruppe um Willi Hoss und Co. damit versorgte. Ein gutfunktionierender, basisnaher Nachrichtendienst also – Vorläufer des KGB ... nein nein, jetzt komme ich schon wie-der ins Schwadronieren, und HG, graue Eminenz, wird wieder rot...

Peter Grohmann (Olgastr. 1 A, 70182 Stuttgart, Tel. (0711) 2 48 56 77, email: [email protected]) koor-diniert heute das von ihm begründete Bürgerprojekt »Die AnStifter«, das jährlich mit 140 Lesenden die »LeseZeichen« anden Schulen organisiert (9. November) und den Stuttgarter Friedenspreis vergibt – 5 000 Euro, im letzten Jahr an dieAktion »Ferien vom Krieg« (Komitee für Grundrechte, Helga Dieter u.a.), in diesem Jahr an Giuliana Sgrena (Il Manifes-to). Der Preis wird im Rahmen einer FriedensGala am 18. November im Stuttgarter Theaterhaus verliehen.

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WOLFGANG GÜNTHER

»Ei de Vadder«

ist eine Begrüßungsformel, die HG des Öfteren zu hören bekommt. Sie wird verwandt von Kolle-ginnen und Kollegen, die in den 50er Jahren des vorigen Jahrtausends geboren wurden. DieseBegrüßung drückt aus, dass HG auf die Sozialisation der jüngeren gewerkschaftlichen Aktiven die-ser Generation in seinem Wirkungsbereich als Geschäftsführer der IG CPK Darmstadt und alspädagogischer Mitarbeiter in der Hessischen Jugendbildungsstätte Dietzenbach einen nicht unwe-sentlichen Einfluss ausübte.

HG wird in einer Zeit zum »Ziehvater« von uns, in der wir unsere autoritären Väter, die autoritärenFamilienstrukturen auf das heftigste bekämpften. Dieser Kampf gegen Autoritäten auf allen gesell-schaftlichen Ebenen – in der Familie, in der Schule, im Betrieb – verknüpft mit einem unserer Lebens-motti »Trau keinem über 30« machte eine Annäherung an HG in dieser Zeit gar nicht so einfach.

Aber, HG war und ist – was er von seinem Selbstverständnis nie sein wollte – ein guter Pädagoge.Ihn zeichnet aus, dass er zuhören kann, um eine Problemstellung zu erfassen und zu analysieren. Erlehnt es ab, Losungen und Lösungswege vorzugeben – Lösungswege müssen immer gemeinsamentwickelt werden. Insofern war sein pädagogischer Ansatz, nämlich die verantwortliche Beteili-gung der Betroffenen am Prozess, der SeminarteilnehmerInnen am Seminarverlauf, Seminarinhaltund am Seminarziel der gleiche wie sein politischer: gegen die Stellvertreterlogik – für Teilhabeund für Verantwortlichsein!

Die Zusammenarbeit in gewerkschaftlichen Strukturen und in politischen Seminaren hat dazugeführt, dass wir Ausnahmen machten: Wir trauten HG trotz seines lebensaltersmäßigen Vor-sprungs, wir näherten uns vorsichtig, und aus politischen Zusammenhängen entstanden Freund-schaften, die bis heute fortdauern.

HG hat die ihm von uns angetragene Rolle des väterlichen Freundes angenommen. Er hat gangba-re Wege aufgezeigt, ohne uns zu Entscheidungen zu drängen, er hat Hilfestellungen angeboten,wenn er merkte, dass wir Hilfe brauchen, oder wenn wir um Hilfe nachgefragt haben. Er hat unter-stützt, ohne Dominanz auszuüben.

Natürlich war uns in der damaligen Zeit nicht bewusst, dass wir HG zum »Ziehvater« auserkorenhatten. Erst in der zurückschauenden Betrachtung wurde dies für uns deutlich.

Als einer derjenigen, die vom »Vadder« profitierten, ein ganz herzliches Dankeschön an HG, ver-bunden mit dem Zuruf: Mach weiter so!

Wolfgang Günther ist seit 1974 Mitglied der IG CPK; im Zusammenhang mit der Einführung des Hessischen Bil-dungsurlaubsgesetzes 1975 hatte die IG CPK Hessen eine so genannte Hospitantenschulung/Teamerqualifizie-rung für die Jugendbildungsarbeit durchgeführt, HG war einer der Schulenden. Seit dieser Zeit Mitarbeit im Tea-merarbeitskreis der CPK. Studium der Sozialpädagogik (Schwerpunkt außerschulische Jugendbildung) 1977-81,1982 Anerkennungsjahr in der Hessischen Jugendbildungsstätte Dietzenbach, 1983-89 Pädagogischer Mitar-beiter in der DGB Bundesjugendschule/Haus der Gewerkschaftsjugend Oberursel, seit 1989 Gewerkschaftsse-kretär zunächst der ÖTV, heute bei ver.di.

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KIRSTEN HUCKENBECK & NADJA RAKOWITZ

Genügend Gründe gegen den Zynismus

Unterschiede und Gemeinsamkeiten von express-Mitarbeiternaus verschiedenen Generationen

Lieber HG,

Als wir 1966 geboren wurden, gab es den express schon seit vier Jahren, und Du und andere hat-ten schon einige Auseinandersetzung hinter Euch, noch größere vor Euch. Die verschiedenen Textevon Deinen Weggefährten zeugen davon. Bei der Vorbereitung Deines Festes und dieser Broschü-re (wie auch bei der Vorbereitung des 40-Jahre-express-Festes 2002) haben wir die alten expresseund Broschüren, die Ihr gemacht habt, noch mal durchgeblättert und dabei noch manches erfahrenvon Deinen und Euren Kämpfen und Auseinandersetzungen, vom Auf und Ab der Arbeiterbewe-gung. Und uns geht es dann oft so, dass wir froh wären um manche Auseinandersetzungen, auf dieIhr vielleicht gerne verzichtet hättet. Denn ein bisschen kommt es uns vor, als ob es (den Linken)unserer Generation so geht, wie Marx es 1844 für das Verhältnis von Deutschland zu Frankreichbeschrieben hat: Wir haben die Restauration mit Deiner Generation geteilt, ohne die Revolutionenzu teilen.

Ja, ja. Ihr habt auch keine Revolution erlebt, schon gar keine gemacht – schon klar. Aber Ihr habtzumindest mal Zeiten erlebt, in denen sich gesellschaftlich etwas (mehr) bewegt hat in Richtung Frei-heit und Emanzipation. Umso frustrierender die heutigen Zeiten; und eine Leistung, da nicht zynischzu werden, sondern weiterzumachen. Ein großer Unterschied zu uns.

»I know you’re set for fighting, but what are You Fighting for?« (Phil Ochs)

Wir sind schon so zynisch aufgewachsen, dass wir sicher einen anderen Weg machen mussten,um »politisch« zu werden – trotzdem. In unserer Generation musste man z.B. nicht mehr über denFaschismus der (in unserem Fall Groß-) Eltern desillusioniert werden. Dazu hattet Ihr schon einigeArbeit geleistet. Das heißt für uns (natürlich nicht für alle aus unserer Generation) aber, dass wirseit unserer Kindheit wissen, dass wir von Massenmördern abstammen und mit ihnen unter einemDach aufgewachsen sind. Aber nicht nur das. Von der linken Bewegung seit den 60ern, an der essicher viel Berechtigtes zu kritisieren gibt, haben wir nur den Niedergang mitbekommen können.Als wir halbwegs politisch zu denken beginnen konnten, war z.B. Allende schon mehr als zehnJahre tot, fing Kohl gerade an zu regieren, waren die Grünen schon so staatstragend, wie Ihr essicher schon von Anfang an geahnt habt, war es nur schwer, Enthusiasmus für Befreiungsbewe-gungen in der sog. Dritten Welt aufzubringen, weil auch dort schon offensichtlich war, wie vielFreiheit auf der Strecke geblieben ist. Und uns auf eine Arbeiterbewegung zu beziehen, die uns inGestalt von Gewerkschaft und SPD begegnete, war uns – zumindest ein Gespür für autoritäre For-men hatten wir, wenn auch keinen Begriff davon – fast so zuwider, wie vielleicht den heutigenJugendlichen. Fast.

»Ich will kein Held der Arbeit sein, heute ist ein super Tag« (Die Toten Hosen)

Unsere Jugend war deshalb durch und durch geprägt von etwas, das wir für Individualismus hiel-ten: Unser Existenzialismus war der Punk, und die kritischste Erkenntnis, zu der wir in der Lagewaren, war die, dass in dieser Gesellschaft keine Schweinerei groß genug sein kann, dass sienicht gemacht würde. Das politische Engagement anderer (sofern überhaupt vorhanden und nicht

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per se verpönt) kam uns angesichts dessen oft lächerlich (wie die esoterisch-romantischen Stadt-und Zivilisationsflüchter bei den Grünen), naiv (wie die bedingungslosen Pazifisten in der Frie-densbewegung), oder eben auch autoritär (wie die »MG« und andere marxistische Gruppen ander Uni) vor.

»Denn von allen Gedanken schätze ich doch am meisten die interessanten«(Die Sterne)

Unser Weg war denn auch, mitten in der politischen Eiszeit der restaurativen 80er Jahre, zunächstein theoretischer. Wir meinten in all unserer Abstraktheit, es gebe nichts Praktisches, auf das mansich beziehen könnte – wir machten uns allerdings zunächst auch nicht die Mühe, danach zuschauen. Die Theoretiker, von denen wir uns zunächst, aber auch zurecht, Aufklärung erhofften,machten sie sich allerdings auch nicht. Die Frankfurter Kritische Theorie kam uns hier sehr entge-gen mit ihrem Diktum, es gebe ›kein richtiges Leben im Falschen‹: Horkheimers und AdornosAnnahme, dass die »Dialektik der Aufklärung« nur zu einer neuen, perfiden Form eines nahezusystemischen Zwangszusammenhangs, der Unterwerfung von Mensch und Natur unter die Herr-schaft »des Allgemeinen«, verstanden als alle und alles über einen Kamm scherendes Prinzip desÄquivalententauschs, der Auslöschung aller Besonderheit und damit auch Individualität, bis hinzur Barbarei des Nationalsozialismus führen könne und dass das Proletariat spätestens im sogenannten »Spätkapitalismus« als vollständig integriert zu gelten habe, warf allerdings Fragenauf: Von welchem aparten Standpunkt aus waren diesen Theoretikern ihre Erkenntnisse und ihreKritik noch möglich, wenn der Verblendungszusammenhang so universell wäre und so perfektfunktionierte, wie von ihnen behauptet? Und welche eigenartige Macht wurde hier jenen verding-lichten Verhältnissen, als deren Motor das »Tauschprinzip« galt (von Kapital, gar von Produktionwar nicht zufällig selten die Rede in den Schriften unserer theoretischen Bezugsmänner) zuge-sprochen, Verhältnissen also, die doch zugleich als »Fetisch« kritisiert werden sollten? Kontrastier-ten diese theoretischen Erkenntnisse nicht auch mit den durchaus widersprüchlichen Erfahrungenund Beobachtungen, die wir selbst in unseren diversen Lohnarbeitsverhältnissen gemacht hattenund machten?

»There is power in a factory, power in the land, Power in the hands of a worker«(Billy Bragg)

Zeit, sich – theoretisch – den Produktionsprozess des Kapitals genauer anzusehen. Das zumindestwar in den 80er Jahren, wo die Hälfte der akademischen Linken (auch, wie wir im studentischenStreik 1988/89 erfahren durften, am Institut für Sozialforschung, wo damals noch einige ehemali-ge express-Autoren arbeiteten) ihren theoretischen Abschied von den kritischen Potentialen der Kri-tischen Theorie nahm, indem sie diese auf ihre Thesen zur Kulturindustrie reduzierte, und solcher-maßen entschlackt frisch-fröhlich-beschwingt einfach umwertete, sehr unzeitgemäß: Hier war dasgroße Hurra auf die Museumsuferfestgesellschaft und die freiheitlich-pluralistischen Errungenschaf-ten der »Zivilgesellschaft« ausgebrochen. Die andere Hälfte suspendierte mit den gesellschaftskriti-schen Dimensionen der Kritischen Theorie auch gleich deren immer noch vorhandenen Bezug zurKritik der politischen Ökonomie und hatte nur Häme und Zynismus für den »antiquierten« Bezug aufMarx übrig. »Anything goes!«, so lautete die Devise, dabei ging gar nichts und niemand. Kind mitdem Bad auf den Müll, neue soziale Bewegungen suchen oder erfinden und eine entsprechendeBindestrich-Soziologie (Familien-, Organisations-, Unternehmens-, Stadtteil-, Fußball- etc. Soziolo-gie) – das war das mehrheitsfähige Studienangebot der 80er Jahre. Dazwischen gab es Nischen,oder man musste sich selbst sein Angebot organisieren.

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»You can be active with the activists; Or sleep in with the sleepers;While you’re waiting for the Great Leap Forwards« (Billy Bragg)

Die Lücke und die Widersprüche, die sich in der Kritischen Theorie auftaten, konnten mit einemgründlichen Studium der Marxschen Schriften theoretisch nicht geschlossen, sondern überhaupterst sinnvoll diskutiert werden. Im Gegensatz zu den meisten zeitgenössischen Rezeptionsvariantenvon Marxens Kritik der politischen Ökonomie wurde uns jedoch schnell deutlich, dass sich wederdie Frage nach dem Proletariat, und schon gar nicht die nach der Arbeit im Kapitalismus erledigthaben – also auch nicht die der Arbeiterbewegung, so verstaubt sie auch sein mochte. Denn: Esmuss produziert werden, bevor verteilt, zirkuliert, distribuiert wird, und Produzieren heißt immerauch: Aneignen von gesellschaftlicher Wirklichkeit. Doch wer, wie, in welcher Form, an welchemOrt in dieser Gesellschaft? Und plötzlich erschien uns die – bloß – theoretische Arbeit als die ein-fache. Die Arbeit beim express, die zunächst (1994) nur »Broterwerb-Ersatz« angesichts der Flauteund der grassierenden Konkurrenzschlacht am akademischen Arbeitsmarkt war, versprach also –auch das gegen den Zeitgeist – eine erfreuliche Verkomplizierung des Denkens und Tuns und auchder Vorstellung von Arbeiterbewegung, wie wir sie hatten.

Wenn entsprechende Uni-»Karrieren« dazu geführt hätten, als einzig möglicher Form von Praxis anAdornos individualistischer Vorstellung einer intellektuellen »Flaschenpost« als – universitär –beschränktem Aufklärungsanspruch mit potentieller Langzeitwirkung festzuhalten und dies besten-falls noch bedeutet hätte, gegen die gegenwärtigen (und zu unserer Studienzeit absehbaren) Ten-denzen der Konformisierung und »Modularisierung« der Lehrinhalte darauf zu setzen und daraufhinzuwirken, dass Bildung mehr ist als der Erwerb eines marktgängigen Zertifikats gemäß Lissabon-Strategie der EU, dann erscheint die Arbeit beim express dagegen zunächst ›nur‹ als Lern- undAneignungsprozess für uns. Aber der hat’s in sich. Denn hier gab und gibt es eben auch die ande-re Seite, die der tatsächlichen Emanzipation und Befreiung, des anarchischen Witzes und des aufpraktischen Erfahrungen gegründeten Selbstbewusstseins in der sozialen Auseinandersetzung überdie verschiedenen Produktionsorte und zwischen den verschiedenen Produzenten. Der »Reichtum«,der hier zu entdecken ist, ist einer, der nichts mehr und doch alles mit den verselbständigten ökono-mischen Verhältnissen, in denen wir leben, zu tun hat, nämlich als der Versuch ihrer beständigenpraktischen Negation: In gewisser Weise ist er schon die »andere Welt«, die möglich ist. Und dasSchöne daran ist: Es ist eben weder bloß Selbst- noch Fremdaufklärung nach dem Muster des»Nürnberger Trichters«.

»So join the struggle while you may; The Revolution is just a T-shirt away;Waiting for the Great Leap Forwards« (Billy Bragg)

I. Das zeigt sich in den frühen, aber bis heute anhaltenden Erfahrungen mit den KollegInnen vonder »Autokoordination«, die z.B. wie selbstverständlich vorschlugen, gemeinsam ein Buch zu pro-duzieren (»Werktage werden schlechter«), in dem die Erfahrungen der Benz-Arbeiter mit 15 JahrenStandortsicherungsvereinbarungen akribisch festgehalten sind, auf dass die ewige Fortsetzung derArgumentation mit dem »Sachzwang-Standort« und den vermeintlichen Sicherheiten einer solchenKonzessions-Politik ein Ende habe. (Dazu hat »die Stiftung«, also auch Du, damals ihr Placet undeinen Zuschuss gegeben.) Wie selbstverständlich suchten sie die gemeinsame Debatte darüber, wiebetriebliche Öffentlichkeit und international orientierte Ansätze zur Überwindung von Spaltungenund Individualisierungstendenzen mittels Bildungsarbeit und Betriebszeitungen, gemeinsamen Ver-anstaltungen zum Thema Outsourcing, Leiharbeit, Prekarisierung etc. geschaffen werden könnten,ohne dass sie dabei eine Grenze zwischen »Intellektuellen« und »Praktikern« gezogen hätten. Unddie in einem Maße solidarisch, offen in ihrer Kritik und trotzdem nicht-konkurrent miteinander umgin-gen, wie es an der Uni rar geworden ist – und das trotz der äußerst unterschiedlichen Geschichtenund Hintergründe der »Ausgeschlossenen«, der zigfach transformierten und gebrochenen »K-

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Grüppchen«, der Einzelkämpfer, Literaten, Künstler usw., die ihr angehören. Ein Beispiel: Jedemerneuten Versuch, z.B. die Krise der Gewerkschaften und die Malaise der ArbeiterInnenbewegungauf ein Versagen von »Leitfiguren«, auf falsche Fuffziger in den Gewerkschaftsvorständen oder ähn-lich autoritäre Muster zurück zu führen, ist eine Erwiderung sicher, die sofort zurück führt auf dieeigenen Möglichkeiten als Autokoordination und kritische Menschen im Betrieb: Wer ist dieseOrganisation »Gewerkschaft«, wer macht sie, und warum? Und diese Reflexionsschleife wird wohlglücklicher- oder unglücklicherweise, je nach Verhältnissen, auch noch eine Weile so weiter gehen.

»Nothing ever burns down for itself, every little fire needs a little help«(Chumbawamba)

II. Dazu gehören auch die Erfahrungen bei der Fusion von ver.di: Anton und Du, Ihr wart treibendeKräfte bei der Produktion der Broschüre »Last Exit ver.di?«1 und bei der damit verbundenen Suchenach Alternativen zum »Mega-Merger«, der – wie Ihr es in der Broschüre beschrieben habt – dazuführen würde, dass wir uns »für eine Reihe von Jahren ... mehr mit uns selbst als mit den Interessenunserer Mitglieder beschäftigen«. Ein klassischer Fall von Verselbständigung und »Organisations-kretinismus«, wie ihn schon Rosa Luxemburg bezogen auf die sozialdemokratische Partei 1917beschrieben hatte: zwischen »Verhimmelung« und »Hinschmeißen des Mitgliedsbuchs«, die nurzwei Seiten der Verselbständigung sind, in der der »Organisation« ein quasi-Selbstzweck-Statusund alle Fähigkeit des Handelns zugesprochen wird und die zugleich immer eine Selbstentmündi-gung der Mitglieder bedeutet. Kurze Zeit schien es möglich, dieses Organisationsmodell mit seinenfalschen Antworten auf die Krise der Gewerkschaften tatsächlich verhindern zu können. Die Wider-stände der jeweiligen »Organisationskulturen«, wie Organisationssoziologen dies nennen würden,waren enorm, doch letztlich hat die Sachzwang-Raison auch hier gegriffen. Der Broschüre vorausgingen lange Debatten auch innerhalb der express-Redaktion, die durchaus Kontroversen hinsicht-lich der »Unausweichlichkeit« und »Notwendigkeit« dieser Fusion, letztlich hinsichtlich der Frage,welche Organisationsform eigentlich angemessen wäre angesichts des stetig und in vielfältigerForm wachsenden Drucks auf die Lohnarbeitenden, beinhalteten: Kartell, Einheitsgewerkschaft,Selbstorganisation, Fusionen? Wenn es hier etwas zu lernen gab, dann: dass Organisationsformennie fix und fertig vom Himmel fallen, sondern gemacht werden – selbst in der Niederlage wirdGeschichte gemacht. Und ohne Euch ließe sich noch nicht einmal eine Niederlage festhalten, gäbees nur Sieger-Geschichtsschreibung! Die Sache mit den Niederlagen gilt allerdings nur im Falle derver.di-Fusion, nicht jedoch in Bezug auf die Erfahrungen im Arbeitskampf bei Nanz-Edeka, beiSchlecker, bei der Quelle-Tochter Schöpflin, in die Ihr involviert wart und die wir dokumentiert oderpubliziert haben. An ihnen zeigt sich, dass die Formensuche – entgegen dem Gerede vom Endeder Geschichte – noch lange nicht abgeschlossen ist: In der Krise entsteht so etwas wie »ursprüng-liche Gewerkschaftsakkumulation«, die ihre eigenen Wege sucht und geht. Und in der widerständi-gen Praxis können Subjektivität und Selbstbewusstsein entstehen oder wachsen. Und auf sie sindletztlich auch all jene Organisationshuber angewiesen, die ihre Macht doch auf nichts anders stüt-zen können als das »Mitmachen«.

»When fine society sits down to dine, remember that someone is pissingin the wine« (Chumbawamba)

III. Und schließlich, um aus der Vielzahl von Erfahrungen noch eine ganz persönliche herauszuhe-ben, zeigt sich dieses Lernen in der Auseinandersetzung, in der praktischen Negation, auch in Dei-nem, HG, Agieren in der »Gewerkschaftslinken«. Schon lange bevor jetzt die Forderungen nacheiner strafferen Organisationsstruktur, nach mehr »Effizienz«, nach eigenständigen Befugnissen desG-Linken-Sekretariats in Bezug auf die Herausgabe von Presseerklärungen, nach einer organisati-onspolitischen Plattform, kurz: nach mehr Zentralismus in der Verwaltung, womit diese automatischzu mehr als einer Verwaltung wird, virulent wurden, die wohl auch dazu führten, das Ewald Wehner

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und Du das G-Linken-Sekretariat zum Ende des Jahres abgebt, gab es Diskussionen über die»Schlagkraft« der G-Linken. In einer dieser Sitzungen, in denen wieder einmal versucht wurde, dasPferd von hinten zu zäumen, indem straffere Zügel gefordert wurden, statt an der Gründungsideeder G-Linken weiter zu arbeiten – nämlich dem Aufbau und der Stärkung regionaler und lokalerGewerkschaftsforen, in denen gewerkschaftsübergreifend und für alle Interessierten offen zentraleProbleme einer gesellschaftskritischen Gewerkschaftsarbeit aufgegriffen und öffentlich diskutiertsowie nach Kooperationsmöglichkeiten vor Ort und dann auch überregional gesucht werden sollte–, in einer solchen Sitzung also fiel mal wieder die Rede vom »ZK« und von den »Leitplanken« fürdie vielbeschworenen »Kolleginnen und Kollegen vor Ort«, die es eigentlich bräuchte. Da hast Dudann gesagt, Du seiest Anarchist, das ginge leider mit dir nicht. Du! Die Irritation im Raum hättenicht größer sein können. Eine Autorität, die sich verweigert – Chapeau, wie Jürgen Emig nochsagen durfte, bevor er eben diesen wegen Korruption im Amt nehmen musste!

In diesem Sinne:

»Bisher hatten die Philosophen die Auflösung aller Rätsel in ihrem Pulte liegen, und die dumme exo-terische Welt hatte nur das Maul aufzusperren, damit ihr die gebratenen Tauben in den Mund flo-gen. Die Philosophie hat sich verweltlicht, und der schlagendste Beweis dafür ist, dass das philoso-phische Bewusstsein selbst in die Qual des Kampfes nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich hin-eingezogen ist. Ist die Konstruktion der Zukunft und das Fertigwerden für alle Zeiten nicht unsereSache, so ist desto gewisser, was wir gegenwärtig zu vollbringen haben, ich meine die rücksichtslo-se Kritik alles Bestehenden, rücksichtslos in dem Sinne, dass die Kritik sich nicht vor ihren Resultatenfürchtet und ebensowenig vor dem Konflikt mit den vorhandenen Mächten. (...) Es hindert uns alsonichts, unsre Kritik an die Kritik der Politik, an die Parteinahme in der Politik, also an wirkliche Kämp-fe anzuknüpfen und mit ihnen zu identifizieren. Wir treten dann nicht der Welt doktrinär mit einemneuen Prinzip entgegen: Hier ist die Wahrheit, hier kniee nieder!«

(Marx an Ruge, Mai 1843, in: MEW 1, S. 345, Berlin 1988)

Anmerkung:

1) Erschienen in der Reihe »Ränkeschmiede. Texte zur internationalen Arbeiterbewegung«, hrsg. von tie e.V. undexpress-Redaktion, Offenbach 1999

Kirsten Huckenbeck ist seit 1992 bis heute in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit tätig und arbeitet seit 1994als Redaktionssektärin für das Sozialistische Büro (Widersprüche und express), seit 1997 ausschließlich für den»express« in Offenbach. Darüber hinaus Mitarbeit in der Internet-Redaktion des ver.di-Bezirks Mannheim undfreie Journalistin.

Nadja Rakowitz ist seit 1992 bis heute in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit tätig und arbeitet seit 2000 inder Redaktion des express, außerdem ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medizinische Soziolo-gie an der Uniklinik Frankfurt/M. und arbeitet im Rahmen des »theorie praxis lokal« in Marx-Lesegruppen

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JENS HUHN

»Immer neue Aufbrüche«

Lieber HG,

bei unseren Frühstückstreffen mit Edgar haben wir uns auch öfter über die Vergangenheit, Gegen-wart und Zukunft der Arbeiterbewegung unterhalten. Dabei hast Du Dich über die Vergangenheitmeist nüchtern realistisch, über die Gegenwart skeptisch ernüchtert (um es vorsichtig auszudrücken)und über die Zukunft so gut wie gar nicht geäußert. Als Maßstab für Deine Einschätzungen galt Diroffensichtlich dabei die Forderung, oder besser Einsicht von Marx, dass die »Befreiung der Arbei-terklasse nur das Werk der Arbeiterklasse selber sein« könne.

Die Geschichte der Arbeiterbewegung, so mein Eindruck, ist für Dich eine Geschichte immer neuermutiger Versuche und Aufbrüche von Menschen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, umnicht nur gegen bestehende Herrschaftsverhältnisse, sondern auch gegen bürokratische, sich nurselbst erhaltende Apparate, Besserwisser und geschichts-philosophische Experten in den Reihen derArbeiterbewegung selbst ihren Traum von der Befreiung zu verwirklichen und ... immer wieder andiesen Mächten zu scheitern. Ich weiß, dass Du dafür keine schlichten Erklärungen hast. DieseGeschichte ist für Dich keine, die sich auf das Muster reduzieren ließe, dass eine verdorbeneFührung eine »reine Basis« immer wieder verraten hat. Gerade Du weißt mehr als viele andere, dieich kenne, von den Ängsten, den Gefühlen von Ohnmacht und dem Anpassungsdruck, der aufMenschen lastet, die nichts zu verkaufen haben als ihre Arbeitskraft, und der sie immer wieder zuKomplizen der eigenen Unterdrückung werden lässt. Für Dich war der Fortschritt der Arbeiterbewe-gung zu einer Befreiungsbewegung an die Entfaltung einer Dialektik gebunden, in der sich dieTheorie der Befreiung mit der Erfahrung der Unterdrückten vermittelt. Und damit war es nun wirk-lich, abgesehen von wenigen Ausnahmesituationen (zu denen es allerdings auch heute nochkommt, ich denke an Rheinhausen oder Alstom), in dieser Bewegung schlecht bestellt.

Vielleicht übertreibe ich ja, wenn es mir schien, als ob Du inzwischen meintest, dass der »Sieges-zug« der sich selbst erhaltenden Apparate nicht mehr aufzuhalten ist, die Ohmacht der »Vertrete-nen« gegenüber ihren »Vertretern« ein Ausmaß erreicht hätte, das nicht mehr umkehrbar erscheint,die Reste der Arbeiterbewegung endgültig zu einer Lobby von Gnaden des Unternehmerverbandesmutiert und wir somit am Ende der Geschichte der Arbeiterbewegung als Befreiungsbewegungangelangt seien.

Ich schreibe Dir jetzt nicht, um Dir in der Betrachtung der bisherigen Geschichte der Arbeiterbewe-gung grundsätzlich zu widersprechen. Ich teile sogar Deine pessimistische Sicht auf den »Pyrrhus-sieg« der Bürokratie über ihre Mitglieder. Auch wenn ich dabei mitbedenke, dass unser Alter denBlick auf Unzulänglichkeiten übermäßig schärfen mag. Aber ich möchte Dir auch von einer Hoff-nung erzählen. Mit dem quälenden Sterben alter Institutionen der Arbeiterbewegung stirbt diesenicht auch schon selbst. In seiner Studie »Utopistik« hat Immanuel Wallerstein für die Gegenwartdas Ende eines »historischen Kompromisses« prognostiziert, der seit der Revolution von 1848 diegesellschaftliche Entwicklung zunehmend bestimmte: die Forderungen der jeweils unterdrücktenKlasse nicht mehr nur mit dem Knüppel zu beantworten, sondern ihnen, soweit es die grundsätzli-chen Herrschaftsformen nicht beeinträchtige, entgegenzukommen. Davon kann heute immer weni-ger die Rede sein. Wenn, wie Wallerstein annimmt, die gegenwärtige harte Haltung des Kapitalsgegenüber den Interessen der Lohnabhängigen nicht einer vorübergehenden schlechten Konjunk-tur, sondern einer grundsätzlichen, in absehbarer Zeit kaum zu behebenden allgemeinen Krise derKapitalverwertung entspringt, dann hat diese Krise eine ebenso grundsätzlich Krise der traditionel-len Institutionen und Praxis der Gewerkschaft und derjenigen Parteien zur Folge, die sich irgendwie

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noch als politische »Vertreter« der Lohnabhängigen verstanden. Ihr Lebenselixier bestand nämlichin der Vertretung »der Klasse« beim Aushandeln von Kompromissen. Dies hat ihr inneres Leben undihre Form bestimmt. Ich schließe mich dem an, es kommt aber noch etwas hinzu: Niemals haben dieInstitutionen der alten Arbeiterbewegung alle Lohnabhängigen erfasst und organisiert. Ihre Kom-promisse waren Kompromisse für Teile. Ihre Versuche im, wie Negt es nennt, »gesamten proletari-schen Lebenszusammenhang« zu organisieren, sind längst abgestorben oder durch »Dienstleistun-gen« ersetzt worden. Von Hobsbawm stammt der Hinweis, dass es nie in der Geschichte zuvor soviele Arbeiter (Lohnabhängige) gegeben habe. Erst jetzt hat sich die Prognose von Marx, dass dieArbeiterklasse »an sich« zu einer überwältigenden Mehrheit der Weltbevölkerung werde, erfüllt. Inihrer Zusammensetzung sind jene Teile der Klasse, die in den alten Institutionen am besten vertretenwaren, nur noch eine kleine Minderheit. Mir gefällt das Bild von einer von ihren alten Gestalten ver-lassenen Arbeiterbewegung. Ich weiß, dass eine neue Masse noch keine neue Bewegung ist. Ichweiß auch aus meiner internationalen Arbeit, dass neue Bewegungen wie etwa die brasilianischeCUT ziemlich rasch »alte Gestalten« annehmen können. Aber die alten Formen sind keine »heiligeKuh« mehr. Es werden neue gesucht: Ich nenne hier nur unter vielen die Arbeiterorganisationen inAsien oder Lateinamerika, die die Arbeitsteilung von Partei und Gewerkschaft aufheben wollen, ichnenne die Frauengewerkschaften in Korea oder Mexiko. Wenn ich die Diskussionen um den letztenStreik bei Opel Bochum verfolge, dann scheint mir, dass selbst die »heiligste unser heiligen deut-sche Kühe«, der Betriebsrat, nicht mehr tabu ist. Die Kolleginnen und Kollegen dort sind, wenn auchnur im nachhinein, zu dem Schluss gekommen, dass ihr Kampf eigene, andere Vertretungsorganegefordert hätte. Die Geschichte der Arbeiterbewegung ist nicht an ihrem Ende, sie beginnt neu undvielleicht sogar mit der Perspektive, dass es ihr endlich gelingt, unser altes Programm zu verwirkli-chen, dass die Arbeiterklasse sich wirklich selbst befreit.

Lieber HG, wir wissen, dass dies nur gelingt, wenn sich dabei die Dialektik von Theorie und Erfah-rung entfalten lässt. Für diese Arbeit, wo immer sie stattfindet, ob in Bildungs- und anderen Veran-staltungen, ob in Zeitungen oder wo auch immer, brauchen wir keine Gehirntierchen, Organisati-onshuber oder Tatsachenfetischisten, sondern Menschen, also Dich.

Es ist mir ein Bedürfnis, diesen Brief mit einer ganz persönlichen Bemerkung zu beenden. Ich möch-te mich schriftlich für Deine Anteilnahme während meiner Krankheit ganz besonders bedanken. Duhast mir sehr geholfen.

Ganz herzliche solidarische Grüße und ein schönes FestDein Jens

Jens Huhn ist ehemaliger Redakteur der »links«, Mitglied der »express«-Redaktion und arbeitet im TIE-Bildungs-werk e.V.

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OTTO JACOBI

Die gewerkschaftliche Führungslinke – Ratlos

In einer Reihe deutscher Gewerkschaften, darunter den beiden Großgewerkschaften, versteht sichdie Führung von der nationalen über die regionale bis zur lokalen Ebene mehrheitlich als links. DieErfolge dieser Führungslinken sind rar gesät. Die Krisensignale stehen unverändert auf Rot: Die Zahlder Mitglieder stagniert oder sinkt, das öffentliche Ansehen der Gewerkschaften fällt. Es hat denAnschein, als erreichten die linken Botschaften nicht mehr die reale Welt. Der Grund dafür liegtweniger darin, dass diese Botschaften links sind, sondern eher darin, dass sie es nicht sind, besten-falls können sie als linkskonservativ durchgehen.

Die Gewerkschaftslinke ist eine Traditionslinke und hat vergessen, was links ist. Wie recht hat dochder österreichische Autor Ernst Jandl mit seinem Wortspiel: »Manche meinen, lechts und rinks kannman nicht velwechsern – werch ein Illtum«. Von der Gewerkschaftslinken kommen vor allemKampfbegriffe, die – wie Neoliberalismus – zwar prominent sein mögen, aber wenig bis nichtsbeitragen zur Revitalisierung linken oder gar marxistischen Denkens. Neoliberal wird nicht nur alsKampfbegriff gegen äußere Gegner benutzt, sondern auch innergewerkschaftlich als Würgegriffvor allem gegen Vertreter einer modernen Linken angesetzt. Dass die Führungslinke alte Theoriennicht aktualisieren kann, neue Theorien kaum zur Kenntnis nimmt, den Kontakt zu Literatur undKunst weithin verloren hat, sind weitere Facetten einer Gewerkschaftswelt, die nur noch in Teilseg-menten gesellschaftlicher Wirklichkeit zu Hause ist. Es ist daher auch kein Wunder, dass die links-konservativ gewendeten und geführten Gewerkschaften an politischer Vitalität und sozialer Prä-gekraft eingebüßt haben. Wer zu sehr einem vergangenheitsorientierten Abwehrmuster anhängt,das Management von Wandel und Vielfalt nicht beherrscht und auch nicht lernen mag, landetunversehens und auch unbeabsichtigt im sozial-konservativen Lager. Dies ist der Vorwurf an unse-re Führungslinke: Sie hat die Gewerkschaften in einen historischen Gegensatz zu ihrer Geschichteals Reform- und Fortschrittsbewegung manövriert. Die gewerkschaftliche und politische Arbeiter-bewegung sind selbst Teil der europäischen Moderne und haben mit der Durchsetzung demokra-tischer und sozialer Teilhaberechte das Gesicht unserer Gesellschaft mitgeprägt. Jetzt gelten derFührungslinken klassische Begriffe wie Moderne, Reform oder Fortschritt als suspekt. Dieser Still-stand hat viel damit zu tun, dass die konstitutionellen Rechte und der institutionelle Schutz dieBeharrungskräfte in den Gewerkschaften stärken. Damit verbunden ist die Etablierung einesgewerkschaftlichen Apparates, der mangels eines effektiven Systems innerverbandlicher Öffent-lichkeit nur unzureichend kontrolliert wird und Gefahr läuft, ein Eigenleben zu führen, das die Rea-lität nur noch vorgefiltert wahrnimmt.

Gefangen genommen von einer traditionellen Weltsicht sind sie verstrickt in Abwehrkämpfe. Dersozial-konservativen Führungslinken fehlt die Fähigkeit, die Widersprüche eines sich globalisieren-den Kapitalismus’ aufzugreifen und die hierin liegenden Chancen zur Revitalisierung der Gewerk-schaften als transnationaler öko-sozialer Bewegung zu nutzen. Eine längerfristige zukunftsorientier-te Strategie liegt nicht vor.

Ein gutes Anschauungsmaterial liefert die Haltung unserer Gewerkschaften zu Europa. UnserFreund und Wegbegleiter mit marxistischem Hintergrund, der britische Wissenschaftler RichardHyman, hat vor kurzem in einem Artikel über die Gewerkschaften im 21. Jahrhundert die funda-mental neuen sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen gewerkschaftlichen Handelns beschrie-ben.1 Ein Aspekt hierbei ist, dass angesichts der Internationalisierung der Wirtschaft einer wirksa-men sozialen Regulierung im nationalen Raum der Boden entzogen wird. Dass rein nationaleGewerkschaften schon heute ziemlich hilflos sind, zeigt sich täglich in den Konzessionen, die siegroßen und kleinen multinationalen Unternehmen machen müssen, die damit drohen, Arbeitsplätzezu verlagern oder gleich woanders aufzubauen.

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Insbesondere in der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion verlieren nationale Akteure anpolitischer und sozialer Macht. Der wirtschaftliche Ordnungsrahmen samt gemeinsamem Binnen-markt und einheitlicher Geldverfassung ist europäisiert mit der Folge, dass sich an Stelle nationalerÖkonomien europäische Branchen und Multis etablieren. Es liegt auf der Hand, dass nationaleGewerkschaften ohnmächtig, reaktiv, perspektivenlos bleiben müssen. Zwar haben unsere Gewerk-schaften die europäische Integration stets politisch unterstützt, aber ihre eigene inhaltliche undorganisatorische Europäisierung unterlassen. Die Spaltung zwischen europäischer Rhetorik undnationaler Praxis, die sich leicht mit alten und neuen Bürokratietheorien erklären lässt, verhärtet eingewerkschaftliches Bild von Europa, das zum Zerrbild verkommen ist. Die Skepsis gegenüber derEU-Verfassung, der weltweit fortschrittlichsten Festlegung auf soziale und gewerkschaftliche Grund-rechte, und die Wahrnehmung der EU als Veranstaltung neoliberaler Deregulierung sind grandioseFehleinschätzungen. Natürlich ist die EU kein sozialistisches Paradies, aber doch ein Gebilde, dasden europäischen Sozialstaat widerspiegelt.

Es ist mehr als befremdlich, dass die gewerkschaftliche Führungslinke die europapolitischen Schrif-ten von Jürgen Habermas nicht kennt.2 Bei ihm kann man nachlesen und lernen, dass die EU in derTradition der europäischen Moderne von der Aufklärung bis zur demokratischen und sozialen Zivil-gesellschaft steht. Für Habermas ist klar, dass die EU ein so hohes Niveau an transnationaler Inte-gration und Interdependenz erreicht hat, dass wir von einer »postnationalen Konstellation« redenmüssen. Die EU ist Habermas zufolge »Regieren jenseits des Nationalstaates«. Natürlich weiß erum die Defizite demokratischer und sozialer Integration. Diese einzuebnen, genau das ist die Auf-gabe einer Gewerkschaftsbewegung, die die Zukunft anpeilt. Die EU hat einen politischen undsozialen Rahmen geschaffen, der den Gewerkschaften einen großen Aktionsradius mit vielen Rech-ten der Mitsprache und Selbstgestaltung in Europa öffnet. Es ist doch ein Gemeinplatz, dass die EUmehr Möglichkeiten anbietet, als die Gewerkschaften willens und fähig sind auszuschöpfen.Europäische Kommission und Parlament können nicht mehr machen, als den Gewerkschaften Was-ser hinzustellen, saufen müssen sie schon selbst.

Manchmal – wie bei der Leitfigur der Führungslinken, Jürgen Peters – wird ja richtig erkannt, dass»Globalisierung und Europäisierung die Bedingungen für gewerkschaftliche Politik grundlegendverändert haben« und es darauf ankomme, »unseren Europäisierungsrückstand« abzubauen, eine»pro-europäische Kraft« zu werden, ein »Leitbild für Europa« zu entwerfen.3 Er bleibt aber auf einemerkwürdige Art unpolitisch: Er fordert einen wirtschafts- und geldpolitischen Kurswechsel vonEuropäischer Kommission und Zentralbank, wie man aber strategisch und organisatorisch die IGMetall europatauglich machen kann, darüber kein Wort. Ganz legalistisch Aufrufe an Dritte, anstaatliche Instanzen, ganz vergessen und verdrängt, dass für Marx der Staat ein Herrschaftsinstru-ment war. Da fehlt der politische Schwung, da gibt es keine zukunftsfähigen Leitplanken, da fehltjegliche Utopie, wie man die Gewerkschaften zu Pionieren machen kann, die Verantwortung für einsoziales Europa übernehmen. Eine transnationale Gewerkschaft zu werden, verlangt freilich vielArbeit und Geschick, damit internationale Solidarität trotz mannigfacher Unterschiede in sozialenInteressenlagen und kulturellen Traditionen hergestellt werden kann.

Wird die nationalstaatliche Isolierung der Gewerkschaften in einem irreversiblen Prozess weitererEntgrenzung nicht überwunden, gibt es keine Zukunft, sondern nur Untergang. Leider muss man inBetracht ziehen, dass unsere Gewerkschaften Kinder des industriekapitalistischen Nationalstaatessind, mit diesem auch wieder samt einem ehrenden Eintrag im Geschichtsbuch verschwinden. Die-sem Schicksal werden nur sie selbst entrinnen können und auch nur dann, wenn sie zukunfts- undeuropataugliche Strategien und Strukturen aufbauen. Nur dann ist man auf der Höhe der Zeit.Chancen und Potentiale sind da. Sie warten darauf, von einer fortschrittlichen Gewerkschaftslinkenausgeschöpft zu werden.

HG, wie man sieht, kann ich mich noch immer in Rage schreiben, wenn es darum geht, den Unter-schied zwischen hehren Ansprüchen und gewöhnlicher Praxis aufzuspießen.

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Anmerkungen:

1) Richard Hyman: »The Future of Trade Unions«, in: Anil Verma and Thomas A. Kochan (eds.): »Unions in the21st Century«, palgrave macmillan, New York 2004

2) Jürgen Habermas: »Die postnationale Konstellation«, Suhrkamp, Frankfurt 1998 sowie Jürgen Habermas:»Der gespaltene Westen«, Suhrkamp, Frankfurt 2004

3) Jürgen Peters: »Perspektiven eines neuen Europäischen Sozialmodells«, in: Joachim Beerhorst und Hans-Jür-gen Urban (Hg): »Handlungsfeld europäische Integration«, VSA, Hamburg 2005

Ich kenne Heinz Günter Lang seit seiner Zeit bei der Darmstädter IG Chemie. Wir waren beim Ostermarschzusammen, haben gegen die Notstandsgesetze protestiert, im Sozialistischen Büro zusammen gearbeitet, denExpress gemacht. HG war ein geachteter Autor des Kritischen Gewerkschaftsjahrbuches und ist ein kritischerWegbegleiter über viele Jahre.

Seit 10 Jahren arbeite ich eng mit dem Europäischen Gewerkschaftsinstitut in Brüssel zusammen und bin Mither-ausgeber der Vierteljahreszeitschrift des Instituts »TRANSFER – European Review of Labour and Research«.

ANTON KOBEL

Seit 1973 immer wieder Kollege und Genosse

Im Frühjahr 1973 traf ich zum ersten Mal auf HG. In der WG von Sybille L. fand die Redaktions-sitzung des »Informationsdienst Arbeiterbildung« statt. »Der Info dient der Kommunikation undKooperation von Genossen, die mit dem Anspruch, Arbeiterbildung zu leisten, in der politischenBildung tätig sind«, so der Anspruch dieser im Sozialistischen Büro Offenbach erscheinenden Bro-schüre. Mitgenommen hatte mich Aike B., der schon länger Kontakte zum SB, dem express unddem Info hatte. Aike und ich hatten im Winter 1972/73 in zahlreichen betriebsnahen Arbeitskrei-sen für Vertrauensleute der IG CPK in der Verwaltungsstelle Mannheim als Teamer in der Bil-dungsarbeit mitgemacht. Dabei hatten wir als junge Diplomvolkswirte zahlreiche Materialien undÜberlegungen zu »Möglichkeiten und Grenzen der Lohnpolitik« erarbeitet und in den Arbeitskrei-sen mit den Vertrauensleuten diskutiert und weiterentwickelt. Es ging um die sog. produktivitätsori-entierte bzw. kostenniveauneutrale Lohnpolitik, wie sie der damalige Sachverständigenrat vorge-schlagen hatte; heute würde eine solche Lohnpolitik als linksradikal und wirklichkeitsfremd von denNachfolgern und neoliberalen Apologeten diffamiert werden. Es ging um die »Konzertierte Ak-tion« zwischen Regierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften, um Lohnleitlinien, um die Laufzeitvon Tarifverträgen, um betriebsnahe Tarifpolitik, bei der neben der Lohnhöhe auch die Arbeitsbe-dingungen zur Verhandlung anstehen könnten und die vor allem ein Beitrag zur Demokratisierungder Tarifarbeit durch Einbeziehung der gewerkschaftlichen Vertrauensleute und der Belegschaftenleisten sollte.

Diese Bildungsmaterialien hatten Aike und ich in der Redaktion erwähnt, aber nicht offensiv zur Ver-öffentlichung angeboten. Uns schienen sie selbst »zu wenig marxistisch«, bezogen sie sich dochunmittelbar auf die herrschende bürgerliche Ökonomie. In der Diskussion animierten uns HG undEdgar Weick zur Veröffentlichung, was dann auch im »Informationsdienst« 4, Juni 1973 erfolgte.Insbesondere HG ermutigte dazu: »Dies sind unsere Themen, die Fragen unserer Kollegen. Darüber

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müssen wir in der Bildungsarbeit diskutieren.« Diese politischen Ermutigungen waren auch in denfolgenden mehr als 30 Jahren ein Kennzeichen von HG. Keine Denk- und Diskussionsverbote, ein-gehen auf die Fragen und Erfahrungen der KollegInnen.

In der express-Redaktion

Monate später begann ich auch in der express-Redaktion mitzuarbeiten. Für den Neuling warensofort Ränge und Rollen spür- und erlebbar. Der »Doktorenteil« W. Müller-Jentsch, Otto Jacobi undEberhard Schmidt, der nichtanwesende Teil der Berliner Prokla-Professoren und -Doktoren – er spiel-te vor allem in der SB-Zeitschrift »links« eine bedeutsame politökonomische Rolle –, die Frankfurter,wenige Auswärtige und zwei besondere Kollegen/Genossen, die wegen anderer Verpflichtungenhäufig nicht da, aber immer präsent waren: HG und HH. HG mit seinen Erfahrungen, seinem Wis-sen, seinen Verbindungen und Beziehungen, seinen Problemen in und mit der IG CPK. Er hatte »rich-tige« Arbeitskampferfahrungen, hatte notgedrungen Niederlagen verarbeiten müssen. So manchesMal gaben seine Beiträge den Ausschlag bei kontroversen Diskussionen. Manchmal genügte eineinziger. Nur selten, aber wenn er es für nötig hielt, konnte er richtig explodieren und hartnäckig inder Sache eine Diskussion bestimmen.

Arbeitskollegen in der Gewerkschaft HBV

Ende der 70er/Anfang der 80er hatten wir ca. 5 Jahre lang nur sporadischen Kontakt. 1983 hatteHG bei HBV in der Hauptverwaltung in der Abteilung Versicherungen und Ersatzkassen angefan-gen. Trotz aller Verhinderungsversuche des damaligen IG CPK-Vorsitzenden. 1986 wechselte er indie für HBV-Verhältnisse starke und bedeutsame Bezirksverwaltung Mannheim/Heidelberg.

HG spielte als »Mannemer« HBV-Geschäftsführer für viele in Baden-Württemberg eine prägendeRolle. Er war der Alte, wie ihn einige schon lange kannten, mit Erfahrungen und Überzeugungenwie innergewerkschaftliche Demokratie, Rede- und Diskussionsfreiheit, Einheitsgewerkschaft, Aus-probieren, Neues entwickeln, laut, deutlich und begründet Nein sagen, auch zu von ihm geschätz-ten KollegInnen, Opposition bilden, wenn nötig, auf jeden Fall vernetzen.

Mich erstaunte immer wieder, mit wem er alles redete und sich zu Gesprächen traf, obwohl ergewerkschafts- und allgemeinpolitisch mit einigen dieser Leute total konträr lag. Da hat er so man-chem jüngeren, sich undogmatisch links verstehenden Kollegen einiges exemplarisch beigebracht.Auch mir, einem Anhänger des exemplarischen Lernens.

Für uns beeindruckend waren immer wieder seine »Maximen« in der gewerkschaftlichen Arbeit:● mitglieder- und betriebsnahe Bildungs- und Tarifarbeit● konsequentes Festhalten am Erfahrungsansatz in der Bildungs- und allgemeinen Gewerk-

schaftsarbeit● die konsequente Einbeziehung genauer wirtschaftlicher Daten und Zusammenhänge in die

gewerkschaftlichen Diskussionen und Reden. Ihm reichte nicht das Ausrufen des »richtigen«Klassenstandpunktes; ihm ging es auch um Aufklärung und Überzeugung. Glauben war nicht– jedenfalls nicht erkennbar – seine Sache.

● Rechtsfortschritt durch gewerkschaftliche Gegenmacht● seine Zuverlässigkeit und Standfestigkeit in Konflikten, ob gegenüber Arbeitgebern oder HBV-

intern gegenüber dem (geschäftsführenden) Hauptvorstand. So manches Mal musste er alsLandesbezirksleiter von Baden- Württemberg, zu dem er im Oktober 1989 gewählt wordenwar, Beschlüsse des politisch renitenten und aufmüpfigen Landesbezirks in Düsseldorf vertre-ten. Er tat dies, auch wenn er landesintern eine andere als die dann mehrheitlich beschlossenePosition eingenommen hatte. So unterstützte er in der Diskussion einer Landesbezirkskonferenzin Karlsruhe die dann beschlossene Forderung nach dem Rücktritt des HBV-Vorsitzenden

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Lorenz Schwegler und des Vorstandsmitgliedes Stritter nicht, wohl aber dann in den folgendenTagen in Düsseldorf. Diese Festigkeit in prinzipiellen, demokratischen Fragen hat mich undviele andere Haupt- und Ehrenamtliche immer wieder beeindruckt.

● Zu seinen »Maximen« gehört auch sein Eintreten für die Rechte der Minderheiten in derGewerkschaft. Sein fast prinzipielles Misstrauen, insbesondere gegenüber KollegInnen,denen sofort alles klar war, aber vor allem gegenüber den »Oberen«, erstaunte immer wie-der. Er hatte wohl so manche von links kommen und nach rechts weitergehen sehen.

● seine Offenheit und Bereitschaft für Neues, auch Riskantes.

Diese Offenheit und Bereitschaft machte es mir z.B. problemlos möglich, mit ihm offen über Riskan-tes und Risiken zu reden. Bluffen oder verschweigen war nicht nötig. HG war nicht erst dabei, wenndie Lorbeeren verteilt wurden. Mann konnte sich auf ihn verlassen, gerade wenn es eng wurde beiAktionen.

Unvergessen bleibt mir, wie wir 1994 unter vier Augen die vorher in Mannheim intern entwickelteKonzeption der »Schlecker-Kampagne« beredet und geprüft haben. HG hörte zu, fragte nach,schmunzelte hier und da anerkennend, auf jeden Fall war es Zustimmung. Auf seine Frage »Wasmacht Ihr denn in der und der Situation?« reichte ihm die offene Antwort »Das wissen wir jetzt nochnicht.« In solchen Situationen wurde der Unterschied zu so manchem lautstarken, aber letztendlichfeigen Hühnchen deutlich. Die Zusicherung »Ich halte Dich auf dem Laufenden« beantwortete er mit»Melde dich, wenn Ihr mich braucht«.

Und seine Zustimmung zur praktischen Umsetzung der Schlecker-Kampagne war noch HG-typi-scher. Es war eine Frage zum Schluss: »Traut Ihr es euch zu?« Mein Ja für die BezirksverwaltungMannheim/Heidelberg war schließlich das seine.

Und wenn uns das Wasser am Halse stand und wir seinen Einsatz in der Öffentlichkeit bzw. in dengewerkschaftlichen Kulissen brauchten, war HG da. Mit seiner Erfahrung, seinem Ansehen und sei-ner Kraft. Auf ihn war Verlass, wenn es um die Würde arbeitender Menschen ging.

Über HGs Zweifel am Weiterbestehen einer/der Arbeiterbewegung haben wir bisher noch nichtrichtig gesprochen. Die Gründe für seine Einschätzung könnten so manches Gespräch nach derGeburtstagsfeier zum 70. am 17. November 2005 würzen.

Anton Kobel war langjähriger Geschäftsführer der HBV Mannheim/Heidelberg.

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HANS-WERNER KRAUß

»Gegen den Strom«

Lieber HG,

man muss lange zurück denken. Dezember 1981. Die ungeheure wirtschaftliche und politischeMacht Hoechst AG und die Funktionäre der Großgewerkschaft IG Chemie hatten entschieden, einekleine Gruppe links-grün gefärbter Gewerkschafter in Hoechst empfindlich spüren zu lassen, wassie mit einem zu machen in der Lage sind, wenn man versucht gegen den Strom zu schwimmen:

Mit meiner Kündigung wegen angeblicher Beleidigung des Unternehmens und der Beschäftigtensollte die erfolgreiche Wahl zum Betriebsrat (16 Prozent Stimmenanteil), schnell hinfällig werden.

Unter normalen Umständen wäre davon auszugehen gewesen, dass nach kurzem juristischenGeplänkel ein Aufhebungsvertrag mit üblicher Abfindung meinem Arbeitsverhältnis und wahr-scheinlich auch meiner gewerkschaftspolitischen Arbeit ein Ende gemacht hätte.

Aber die Umstände waren nicht normal.

Da gab es eine Familie, die bereit war, mich bei der Austragung des Konfliktes zu unterstützen. Dagab es die Gruppe, die diese Kündigung als Angriff auf ihre Politik – ihr politisches Verständnis –verstand und zur Verteidigung bereit war. Und es gab Dich, den Freund HG.

Du warst sofort bereit zu helfen, damit diese Kündigung kein normaler Kündigungsfall wurde. DeineIdeen, Deine Ressourcen und Deine Verbindungen waren ungeheuer wichtige Bausteine, die dazugeführt haben, dem ganzen Verfahren zu einer breiten Öffentlichkeit zu verhelfen und es schließlichauch zu einem guten Ende zu bringen.

Unsere vielen und langen politischen Debatten und freundschaftlichen Gespräche haben michgestärkt und nicht mutlos werden lassen.

Lieber HG, ich weiß, dass Dir Dein Tun selbstverständlich ist. Lass mich trotzdem diese Gelegenheitnutzen, Dir dafür von Herzen zu danken.

Ich habe 1962 bei der Hoechst AG meine Ausbildung zum Biologielaborant gemacht und war anschließend bis2004 bei der Hoechst AG bzw. bei den Nachfolgegesellschaften beschäftigt. Ab 1965 war ich gewerkschaft-lich aktiv, z.B. als Vorsitzender der Berufsgruppe Laboranten und Chemotechniker.

Im Nachgang des Streiks 1971 habe ich HG bei Treffen von kritischen Kollegen gegen die Politik des IG Chemie-Hauptvorstandes kennen und schätzen gelernt. !976 wurde ich mit anderen Kolleginnen und Kollegen wegenFraktionierung (ich hätte unter dem Mantel aktiver Mitarbeit die heimliche Machtergreifung betrieben) aus der IGChemie ausgeschlossen. 1981 wurde ich von der Hoechst AG gekündigt. Man warf mir Verleumdung des Unter-nehmens vor. Der daraus resultierende politische und juristische Prozess wurde 1984 zu meinen Gunsten ent-schieden. Während der vielen Jahre der gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen war HG immer ein verläss-licher Freund.

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SYBILLE LATURNER

Anfang der 70er in Darmstadt

So habe ich HG Anfang der siebziger Jahre in Darmstadt kennen gelernt: Er war ein Gewerk-schaftssekretär, der im Rahmen seiner Aufgaben und Pläne als Geschäftsführer der IG CPK keineBedenken hatte, auch Leute, die »von außen« kamen, also keinen betrieblichen Hintergrund hatten,in die gewerkschaftspolitische Arbeit der Verwaltungsstelle Darmstadt einzubinden.

Ich hatte in Seminaren von Wolfgang Abendroth die Rolle kennen gelernt, die Gewerkschaften inder Weimarer Republik gespielt hatten. Ein ehemaliger Student – er hatte sich im Sinne der Politi-sierung der Beschäftigten bei der Firma Merck nützlich machen wollen – hatte mir angeboten, inDarmstadt Veranstaltungen des DGB und der IG CPK kennen zu lernen und Gewerkschaftssekretä-re live zu erleben. So konnte ich zwischen teach-ins der Studenten an der Uni Frankfurt, Kontaktenam Institut für Sozialforschung und Gesprächen mit einem älteren Professor, der in den 30er Jahrennach Moskau geflüchtet war, Kontakte zu Vertrauensleuten und Betriebsräten der Fa Merck auf-nehmen.

Als Studentin war das häufig die einzige Möglichkeit zur Beteiligung an gewerkschaftlichem Leben.Wir beteiligten uns als »Teamer« – das war so eine Art Referentin/Diskussionsleiterin – an Arbeits-kreisen, die die IG CPK für Vertrauensleute, Betriebsräte und »einfache« Gewerkschaftsmitglieder»ihres« Betriebes durchführte. Diese betriebsnahe Bildungsarbeit stand auch für eine Repolitisierungder Gewerkschaft und ihrer Mitglieder und war gerade deswegen immer wieder in der Diskussion.

Wie schwierig und wenig »selbstverständlich« diese Arbeit der Gewerkschaftssekretäre war, wurdeauch einer Studentin wie mir sehr schnell deutlich. Zuverlässigkeit, Disziplin, Ausdauer, Loyalität undVertrauen waren Eigenschaften, die in den Konflikten, die sich sehr schnell einstellten, bei allen not-wendig waren. Konflikte gab es nicht nur in den Betrieben – die betriebsnahen Arbeitskreise hattenja vor allem betriebliche Erfahrungen und Probleme als Ausgangspunkt der Diskussionen und Lern-prozesse –, sondern ebenso in den gewerkschaftlichen Gremien. Es ging für die Beteiligten nichtnur darum, sich persönlich zu behaupten. Uns allen, den Gewerkschaftssekretären um HG Lang,den »rebellisch« gewordenen Vertrauensleuten, den Teamern ging es um gewerkschaftspolitischeVorstellungen, deren Konkretisierung und Erprobung. Es ging um die Demokratisierung der Gewerk-schaft, ihrer Tarifpolitik, der Betriebsratswahlen. Die Rolle der gewerkschaftlichen Vertrauensleutewar das häufig machtpolitisch umstrittene Thema. Bei Merck spielte der Arbeitskampf von 1971sowie die Betriebsratswahl von 1972 eine bedeutsame Rolle.

Und HG war mittendrin, initiierte, kämpfte, ermunterte. Wir haben ihn oft bewundert. Und das hießkurz nach der 68er Studentenbewegung viel. Für uns studentische Teamer vor allem.

Sybille Laturner hat in »Gewerkschaften und Klassenkampf. Kritisches Jahrbuch« 1972 und 1973 (hg. Von OttoJacobi, Walther Müller-Jentsch und Eberhard Schmidt) zusammen mit den Vertrauensleuten die Artikel zur Che-mietarifrunde 1971 und zur Betriebsratswahl bei Merck 1972 verfasst.

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MIA LINDEMANN

Basisdemokratie zulassen

Als ich 1992 in der HBV Mannheim hauptamtlich wurde, hielt ich es bald für selbstverständlich,dass Basisdemokratie in unserer Gewerkschaft eine entscheidende Rolle spielte für unseren Zusam-menhalt, für die Entwicklung von guten Ideen und von Kampfkraft. Ich hielt das und halte es immernoch für absolut notwendig. Aber die politische Richtung hat sich erst in HBV und dann auch mitver.di verändert. Wir haben mehr Zentralisierung und weniger Einfluss von örtlichen Gremien. Nurder Arbeitskampf, die Mitgliederwerbung, die Betriebs- und die Mitgliederbetreuung bleiben nachwie vor am Ort.

Aber es hing auch schon immer von den handelnden Personen ab und von ihrer Fähigkeit, Basisde-mokratie zuzulassen.

So habe ich HG als Landesleiter seit 1992 erlebt: Er hat zugehört, die Kolleginnen und Kollegenbeteiligt, hat demokratische Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse gefördert, aber seineRichtung nicht aus den Augen verloren. Sensibel, verletzlich, aber nicht verletzend. Kritisch, nüch-tern, klar, Orientierung gebend, Verhandler, aber den Klassenkampf nicht vergessend.

Welch ein Glück, so einen Kollegen als Landesleiter zu haben.

Aber HG ist uns noch näher gekommen, als er uns nach seinem aktiven Berufsleben im BezirkMannheim kräftig unterstützt hat. Das reichte von der dokumentarischen Aufarbeitung unserer Kam-pagnen bis zu dem nach wie vor beispielhaften Projekt des Arbeitskreises International.

Diesen Arbeitskreis hat HG mit seiner guten und erfahrenen Art geleitet. Es war faszinierend zu erle-ben, wie das Interesse der Kolleginnen und Kollegen aus dem Handel an der internationalen Arbeit-steilung und an den weltweiten Strategien ihrer Arbeitgeber sich in Diskussionen noch vertiefte, zukonkreten Ergebnissen in der Recherche und schließlich zu konkreter Kontaktaufnahme mit Kollegenund Kolleginnen in den USA, in der Türkei und in Sri Lanka und Bangladesh führte.

Bis heute spüre ich Unterstützung von ihm, kritische Solidarität, Verständnis für die Politisierung derGewerkschaftsarbeit, der er sich selbst verschrieben hat: Mit dem Projekt der Gewerkschaftslinkenoder im kleineren Rahmen des Linkentreffens in der ehemaligen HBV.

Wenn in dem Klein-Klein der täglichen Arbeit die Orientierung unterzugehen droht, lohnt einGespräch mit HG. Wie schön, HG, dass es Dich gibt!

Herzliche Glückwünsche, lieber HG! Bleib noch lang an unsrer Seite!

Mia Lindemann ist Gewerkschaftssekretärin in Heidelberg (ver.di).

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ULRICH MÜCKENBERGER

Zeit, unter politischen Freunden zu streiten!

Heinz-Günter Lang zum 70sten

Wir waren uns damals immer einig: Jugend- und Erwachsenenbildungsarbeit am Erfahrungsansatz ori-entiert; Kritiker, Widerständler (und Opfer – HG mehr als ich) gewerkschaftlicher Apparate und Appa-ratschiks; für betriebsnahe Arbeitskreise und Bildungsarbeit (bis 1975 – dann waren wir alle Vertrie-bene); für die Organisation internationaler Basiskontakte ohne die Gewerkschaftsspitzen – etwa dieConti-Korbach-Arbeiter zu Besuch in Oberursel für zwei oder drei Wochenendseminare zur Vorberei-tung auf den Besuch bei Arbeitern in Liverpool; gegen K-Gruppen und gegen Stamokap-Gruppen imgewerkschaftlichen Umfeld; Arbeitsfeld- und nicht zentralistischer Ansatz im SB.

Vorausgesetzte politische Nähe

Wir haben, glaube ich, nie gestritten. Wir waren uns oft nahe. Nahe? – ja nahe. Persönlich nahevor allem, politisch Verbündete, aber nicht unbedingt völlig offen zueinander. Vielleicht war dasdamals mit vielen innergewerkschaftlichen Oppositionellen so. Man schmiedete Koalitionen fürinnerorganisatorische Machtkämpfe. Das brachte uns zuweilen näher – und wir nannten uns Freun-de. Zu HG fühlte ich oft eine große persönliche Nähe – die sich in Augenzwinkern, in gemeinsa-mem Lachen, auch sachten Umarmungen bei der Begrüßung ausdrückte. Die politische Nähe zwi-schen uns war irgendwie vorausgesetzt. Nie haben wir – wie gesagt – wirklich gestritten. Ich kannmich auch nicht an ein Ringen um Positionen erinnern. Dieses Ringen müsste es im Umfeld von HGwohl gegeben haben. Ich jedenfalls bin daran nicht beteiligt gewesen. Vielleicht weil ich erst 1973über Hinrich Oetjen in den Umkreis des »express« und nach Oberursel kam.

Ich habe wohl sagen können, was HG im Großen und Ganzen »strategisch« meinte und betrieb(auch noch von der Bildungsstätte Dietzenbach aus). Wohl kaum habe ich sagen können, was ihnletztlich wirklich antrieb, wo seine Wunden lagen (ich meine nicht die durch die Hauenschilds, Rap-pes, Schäfers beigebrachten Demütigungen, sondern: was diese Demütigungen in seiner Seele aus-lösten), wo seine Glückserlebnisse lagen, welche Sehnsüchte er hatte, wenn er politisch handelte.Die persönliche Nähe tastete nicht daran. Das machte die politische Nähe zwar möglich, abermerkwürdig fragil – so dass ich mir heute über ihre Fortdauer völlig im Ungewissen bin.

Erwartete Erfahrungen

Im Erfahrungsansatz waren wir uns wie gesagt einig. Veranschaulichen wir uns – wir sprechen hiervon der Mitte der siebziger Jahre – diesen Erfahrungsansatz einmal an einem Beispiel. HG, JochenMüller und ich führten eine Besuchs-Reise mit deutschen Reifenarbeitern bei britischen Kollegendurch. Davor machten wir eine Reihe von Seminaren mit den Conti-Korbach-Arbeitern, die wir nachLiverpool begleiteten. Ein beachtliches Trio bildeten HG, Jochen Müller und ich im Umgang mit demErfahrungsansatz. Jochen Müller erzählte unnachahmlich schöne Geschichten vom Übergang vonder bäuerlichen zur städtischen Lebensweise. Das betraf die Struktur des Landes um Korbach undsetzte in seiner Plastizität alle (uns zwei übrigen Teamer eingeschlossen) in Bann. Dieses Faszino-sum sorgte freilich auch für eine gewisse Irritation darüber, was aus diesen Geschichten eigentlichfür unsere Seminare und unsere Exkursion folgen werde. Ich – Junior im Trio und gerade promoviertüber die Klassenkämpfe in England – nahm die Rolle des einfühlsam Fragenden ein. Ich sprach dieüberwiegend männlichen Kollegen auf ihre aktuelle Erfahrung mit sozialen Problemen und Ansät-zen widerständiger Praxis an – Korbach war wenige Jahre zuvor zum deutschen Hauptsitz der bri-

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tischen Continental geworden. Dabei hielt ich für die Sortierung dieser Erfahrung bereits eine rechtklare Matrix von »Krise und Gegenwehr« im Kopf bereit – unter die dann die mitgeteilten Erfahrun-gen gut subsumiert werden konnten. HG hielt sich mit solchen Umwegen meist nicht auf. Er begannbei den Schilderungen der Kollegen oft recht schnell, Erklärungen mit Fehlhandlungen des Haupt-vorstandes anzubieten. Er mischte sich sofort in die kritische oder zustimmende Beurteilung desHandelns einzelner betrieblicher Akteure ein. Da zog mancher unserer Conti-Arbeiter schnell denKopf ein und formulierte seine Erfahrungen erwartungsgemäß um. Soweit zum Erfahrungsansatzdes Trios ...

In diesem Angebot unter dem Titel des Erfahrungsansatzes kamen Ecken und Kanten zutage, die wohlschon dem Negt’schen Ansatz eigen waren. Es ging eigentlich um die – damals politisch und theore-tisch begründbare – Erwartung bestimmter und eigentlich nur der politischen Artikulation bedürftigerErfahrungen. Mehr noch als »Soziologische Phantasie und exemplarisches Lernen« spitzten die The-menkreis Betrieb-Hefte des SB dieses Erwartungsmuster noch zu. Hätten wir einem wirklichen Erfah-rungsansatz gehuldigt, wären wir wohl eher der heimlichen Agenda unser Conti-Leute nachgegangen.Die führten zu dieser Zeit massive Machtkämpfe untereinander – darüber nämlich, wer im nächstenBetriebsrat welchen Posten erhält und wer nicht (beide rivalisierende Fraktionen waren präsent). Daswar ihr Erfahrungsschauplatz, den ich immer nur am Rande der Seminare an roten Köpfen und mis-sbilligenden Blicken wahrnahm. Wahrscheinlich hat HG diese heimliche Agenda mitgekriegt unddabei mitgemischt. Gegenstand des Seminars und der offiziellen Reflexion wurde sie nicht. Da warJochen Müllers Betrachtung der »Mondscheinbauern« irgendwie viel attraktiver.

Er macht Notizen über Notizen ...

Wann immer ich HG in jenen Jahren traf und mit ihm zusammen Besprechungen und Begegnungenhatte, machte er Notizen. Das ist mir bis heute geradezu ein Charakteristikum seiner Person. Noti-zen auf losen Zetteln – allenfalls in einem Schnellhefter zusammengehalten. Intensive und kontinu-ierliche Notizen. Gewiss: Es gibt Leute, die ständig Notizen machen – weil sie ihrem Gehirn nichtmehr trauen und/oder weil sie sich beschäftigen müssen; sie schmeißen die Notizen nachher ein-fach weg. Aber: Sicher war ich mir, dass dies nicht das Schicksal von HGs Notizen war.

Was er wirklich mit diesen Notizen anfing, darüber war – und bin – ich mir bis heute vollkommen imUnklaren. Ich stellte mir manchmal vor, er hätte zuhause oder irgendwo sonst ganze Räume, Schrän-ke, Schubladen voll Notizen. Und er führte ein genauestes System darüber, wo er irgendwann wel-che Information wiederfinden und nutzbar machen könnte. Ein leichtes Unbehagen gab es bei mir,wenn ich mir diese Akribie vorstellte. Auf welchen Anlass, auf welche Personen, auf welche Zeitenwaren diese Archivalien zugeschnitten? Lückenlose Buchhaltung ist dem Kassierer, dem Detektiv, demV-Mann, dem Historiker, dem Psychoanalytiker eigen, Benjamin schreibt sie sogar dem Flaneur zu.Über all dies war ich mir im Unklaren, wenn ich einmal darüber nachdachte – eben weil die politi-sche Nähe zwischen uns kaum erarbeitet war. Ich habe aber so gut wie nie darüber nachgedacht.Nur ist die Beobachtung mir gegenwärtig, wie als fände sie heute statt.

Transnationale gewerkschaftliche Basisarbeit

Internationale Basiskontakte zwischen Gewerkschaftern waren HG eine Kopf- und Herzensangele-genheit. Wir drückten uns wechselseitig unsere Abscheu über die Art der internationalen Gewerk-schaftsarbeit aus, wie wir sie damals wahrnahmen: Eine Zangenbewegung mit doppelter Auswir-kung. Erstens: Rituelle, bürokratische Kontakte von Delegationen, Spitzenfunktionären und -sekretären fanden statt und blieben praktisch völlig unbedeutsam. Vielleicht sollten sie bedeutungs-los bleiben, weil sich die deutschen Gewerkschaften als mit den fremden konkurrierend und nichtals sich mit ihnen solidarisierend verstanden. Deshalb zweitens: Die internationale Gewerkschafts-politik war streng darauf gerichtet, das Monopol der internationalen Abteilungen der Hauptvor-

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stände gegen unmittelbare grenzüberschreitende Basiskontakte abzusichern – solche Kontakteohne Autorisierung hatten zu unterbleiben.

Gerade dagegen – und unter Umgehung der offiziellen internationalen Abteilungen – warendie Kontakte und Besuchsreisen angelegt. Damals gab es keine grenzüberschreitenden ehren-amtlichen Gremien, es gab weder Email noch Internet. Dadurch waren gerade internationaleKontakte im Prinzip noch »von oben« kontrollierbar – was sie heute überhaupt nicht mehr sind.So waren Reisen der erste Schritt zu mehr transnationaler Kooperation. Sie waren organisati-onspolitisch gefährliche Unternehmungen – mussten daher auch als Sprachreisen oder Bil-dungsurlaub kaschiert werden.

Wenn ich heute an unsere damaligen Ziele und Inhalte von internationaler Gewerkschaftsarbeitdenke, bin ich überrascht über ihre Aktualität, aber ein Stück weit auch über ihre Naivität. Es gingdabei um angenommene Notwendigkeit und Chancen internationaler Solidarität. Wir sahen (undbesprachen), wie in englischen Fabriken Produktionszahlen öffentlich ausgestellt wurden, die dieenglische Leistung mit der in Werken deutscher (oder anderer kontinentaleuropäischer) Fabrikenverglichen. Da wurde sichtbar, was die Leistungsbereitschaft deutscher Arbeiter – als Konkurrenz-faktor – für internationale Auswirkungen hatte. Wir erarbeiteten, wie ausländische Streiks durchinternationale Streikbrecherarbeit gebrochen oder aber durch – in Deutschland illegale – Solida-ritätsstreiks unterstützt werden konnten. Da erweiterte sich die Dimension gewerkschaftlichen Han-delns und gewerkschaftlicher Solidarität über Grenzen hinweg. Wir beobachteten bei den Englän-dern Verhandlungsmethoden von shop stewards, bei denen Forderungen und Gegenforderungenzu Paketen zusammengeschlossen und nach dem Prinzip der »Gegenseitigkeit« (mutuality) gemein-sam zur Verhandlung und Konfliktaustragung gestellt wurden. Daraus konnten für die Anwendungder rechtlichen Struktur des Betriebsverfassungsrechts praktische Lehren gezogen werden – wieauch aus dem Organisationsprinzip der shop stewards selbst.

Das waren alles aufregende Themen, die HG herausstellte und an denen wir gemeinsam arbeiteten.Wenn man sie auf heute bezieht – auf Transnationalisierung von Unternehmen, Produktionsverlagerun-gen, Standortkonkurrenz –, kann man auf den strategischen Reichtum und die perspektivische Bedeu-tung fast ein bisschen stolz sein. Was soll in diesem Zusammenhang »Naivität«? Ich glaube, ich hatte beidiesen transnationalen Basisaktivitäten überhaupt keine Ahnung, was damit für ein Fass aufgemacht war– oder aufgemacht worden wäre, wenn man wirklich auf diese Weise eine solche transnationale Soli-darität hätte bewirken wollen. Ob meine Mitstreiter das wussten, ob HG das wusste, ist mir genausounklar. Es war irgendwie ein entschiedener Griff in die Zukunft ohne Bodenhaftung.

Exkurs: Die Trautwein-Story

Norbert Trautwein begegnet mir in Oberursel – als dem »express« abtrünnig gewordener und demStamokap-Flügel zugeschriebener Widersacher. In diesen Zeiten finde ich HG immer auf meinerSeite. Norbert nähert sich während seiner HBV-Zeit Hinrich und mir gegenüber wieder an, wirddann Mitglied des Hattinger Kreises – und bleibt ihm treu, wenn ihn nicht die Malerei abhält. Nor-bert bringt HG, den er einst ablehnte, jetzt als von der Chemie diskriminierten fähigen Gewerk-schafter schätzte, in der HBV unter. Beide leben eine Zeitlang in der Wohngemeinschaft zusammen.Norbert liebstes und wichtigstes Ziel innerhalb der HBV wird nun die Vereinigung zur Dienstlei-stungsgewerkschaft ver.di. Das wiederum ist der von HG meist gehasste und bekämpfte gewerk-schaftsbürokratische Prozess. Was bleibt, ist persönliche Nähe.

Zeit, in Freundschaft zu streiten?

Unsere Wege – HGs und meine – haben sich in den zwischenliegenden drei Jahrzehnten verdünntund auseinanderentwickelt. Ich habe mit Mitstreitern aus der damaligen gewerkschaftsoppositio-

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nellen Szene den Hattinger Kreis aufgebaut und in dessen schmerzhaften Lernprozessen selbst star-ke Neuorientierungen – würde HG sie wohl als »Revisionen« bezeichnen? – erfahren.

Dafür nur ein paar Beispiele zu den eingangs genannten Feldern der Gemeinsamkeit. Ich glaube,dass der Erfahrungsansatz bei uns – zwar vielleicht nicht so dogmatisch wie bei den Stamokaps –nicht wirklich respektiert wurde. Ich halte die alte und (soweit ich den »express« heute überhauptnoch wahrnehme) gegenwärtige »express«-Position der Apparate-Schelte und Basis-Idealisierungfür sachlich und politisch völlig falsch und romantisierend. Für betriebsnahe Politik – radikaler noch:für individuennahe Betriebspolitik – bin ich weiter und versuche sie, soweit ich das kann, zu unter-stützen. Aber mit Kooperation auf allen Ebenen: die Basis ist da oft nicht die treibende, die Führungnicht die bremsende Seite. Die transnationale Arbeit ist so wichtig wie nie – aber sie muss Institutio-nalisierung und »systemische Verankerung« suchen und nutzen: Sonst bleibt sie folgenlos – subver-sive gemeinte Besuchsreise.

Ich glaube nicht, dass man heute noch theoretische wie praktische Fortschritte machen kann, wennman eine auf Basis bezogene »Lager«-Bildung betreibt und meint, Formen der Mitsteuerung von –und Mitverantwortung für – auch schmerzhafte systemische wirtschaftliche und politische Prozessemeiden zu können oder zu sollen. Deshalb erscheint mir ein Kritik- und Forderungs-Ungetüm wie dieLinkspartei der Lafontaines und Gysis ebenso absurd und traditionsverhaftet wie vieles aus demAttac-Umfeld – damit natürlich auch das wohlfeile Liebäugeln mit beiden aus dem gewerkschaftli-chen Bereich. Ich habe mich in den 70er Jahren noch als »Sozialist« verstanden. Heute sehe ichkeine strukturelle Alternative zum globalen Kapitalismus mehr. Ich habe mich von dem erwerbsar-beitsbezogenen Primat verabschiedet und sehe heute die »gesellschaftliche« Frage für überlebens-notwendiger an als die »soziale« Frage – insofern die »Klassenfrage« nicht als Nabel der neuenGesellschaft. Völlig kontraproduktiv finde ich, wenn gescheite Leute und Intellektuelle im gewerk-schaftlichen Umfeld sich nicht einmischen in die Gestaltung und Zähmung dieses Kapitalismus, in dieIdentifikation und humanisierende Ausfüllung von ambivalenten Bereichen, sondern sich in derSystemkritik und im Aufstellen fundamentaler unrealistischer Forderungen einrichten.

Diese ganz schemenhaft angedeuteten Wandlungen meiner politischen Person mögen um Gotteswillen nicht so aufgefasst werden, als sähe ich HG sozusagen jeweils am anderen Pol der Orientie-rung – als das, wovon ich mich abgrenze. Nein, das meine ich keinesfalls – schon weil ich die poli-tische Nähe zu ihm rein praktisch nicht mehr erlebe. Ich vermute allerdings, dass HG in so gut wieallen Punkten, die ich eben gerade aufgeführt habe, andere Positionen oder Akzente nennenwürde. Ich entnehme das der Tatsache, dass er dem »express« so treu geblieben ist, an dem, wasich aus der Kontroverse um die ver.di-Vereinigung mitgekriegt habe, wo ich immer – ungeachtet derFehlkonstruktionen und der fortdauernden, Politik verdrängenden Selbstbeschäftigung – ein Befür-worter war und geblieben bin.

Geblieben ist, was ich eingangs persönliche Nähe nannte. Ich freue mich, HG gegenübertretenund ihn umarmen zu können. Ich bin mir (fast!) sicher, dass es ihm ebenso geht – selbst wenn erdiese Zeilen liest. Und vielleicht bietet diese persönliche Nähe – diese Freundschaft, freilich ohneviel aktuelles Erfahrungsfeld – die Grundlage und Voraussetzung, jetzt in aller Freundschaft zu strei-ten und uneinig zu sein.

Ulrich Mückenberger war 1973 bis 1977 Mitarbeiter der DGB-Bundesschule Oberursel, gelegentlich Autor desexpress, Mitherausgeber der Reihe »Gewerkschaften und Klassenkampf. Kritisches Jahrbuch« (1972-1977, FischerVerlag) sowie der Nachfolgereihe »Kritisches Gewerkschaftsjahrbuch« (1977/78-1988/89, Rotbuch-Verlag) sowiedes »Jahrbuchs Arbeiterbewegung« (später: »Jahrbuch Soziale Bewegungen«) (80er Jahre, EVA – dann Campus-Verlag).

Seit 1985 lehrt er an der Universität Hamburg (damals noch HWP) Arbeitsrecht und Europarecht. Er ist Vorsit-zender der »Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik« (www.zeitpolitik.de) und Forschungsdirektor des Centre ofInternational Studies Hamburg (www.hwp-hamburg.de/cis).

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MATHIAS MÜNTER-ELFNER

HG oder das Geheimnis gewerkschaftlicher Kraft

1. Kennenlernen ...

Mindestens so hoch wie das Selbstbewusstsein unserer HBV-Bezirksverwaltung Mannheim-Heidel-berg waren die Erwartungen, die wir an den Nachfolger unseres legendären GeschäftsführersGerd Beyer stellten, der in den Ruhestand ging. Gerd hatte uns versichert, er habe bei der Auswahlseines Nachfolgers mitgewirkt und peinlich darauf geachtet, dass dieser »der Richtige« sei, d.h.,dass er zu uns passe. Auf der Busfahrt zu einer Veranstaltung des HBV-Landesbezirks lernten wir ihndann kennen: Heinz-Günter Lang, früher IG Chemie, in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit tätig,zuletzt in der HBV-Hauptverwaltung zuständig für die Versicherungen und die Ersatzkassen, kurzHG – sein Namenskürzel brachte er mit. Und schon bald merkten wir, dass er zu uns passt.

Es war kein abrupter Übergang, eher war Kontinuität angesagt. Und doch wurde bald HGs eigeneHandschrift erkennbar. HG legt großen Wert auf die Meinung und vor allem auf die Aktivität derMitglieder und ehrenamtlichen Funktionäre. In bester Tradition der europäischen Aufklärung undals in der Wolle gefärbter Demokrat glaubte er an den grundlegenden Wert und Nutzen des Dia-logs und der Diskussion. Ich denke, hier liegt die Wurzel seiner bewundernswerten Fähigkeit zurIntegration. Seine eigenen, nicht selten richtungweisenden Beiträge entbehrten dabei jeder dogma-tischen Note. HG ist praktizierender Anhänger der Einheitsgewerkschaft: Entscheidend ist nicht dieparteipolitische Überzeugung des einzelnen Mitglieds, sondern das gewerkschaftliche Engage-ment in Diskussion und Aktion. Das Engagement beim Einzelnen zu wecken oder zu verstärken, aufden Anderen ganz unverstellt zuzugehen und in welchem Rahmen auch immer zur Mitarbeit einzu-laden – das ist eine der besonderen Gaben von Heinz-Günter.

2. HBV-Geschäftsführer in Mannheim-Heidelberg

So pragmatisch er auch eingestellt ist, er gab immer auch dem Experiment Raum, dem Nachdenkenüber kommende Entwicklungen und gewerkschaftliche Positionen. Gerne denke ich an den Arbeits-kreis »Zukunft der Arbeit« zurück, der sich – lange, bevor dies Allgemeingut wurde – mit dem Nie-dergang des Normalarbeitsverhältnisses und möglichen Schlussfolgerungen daraus beschäftigte.Aus den Diskussionen im Arbeitskreis ging unter anderem ein Antrag unserer Bezirksverwaltung her-vor, der auf dem Essener Gewerkschaftstag 1988 zu heißen Diskussionen führte. Im HBV-Landes-bezirk Baden-Württemberg brachten wir unter HGs Führung das Gewicht unserer Bezirksverwal-tung, der zweitgrößten im Land, ein.

Von zwei ganz unterschiedlichen Fällen will ich berichten, in denen Betriebsrat und Belegschaftunseres Duden-Verlages von HG ganz konkret unterstützt wurden: HBV hatte im Gefolge unseresStreiks 1982 unter Führung von Anton Kobel einen Firmen-Manteltarifvertrag abgeschlossen, des-sen gegenüber dem Flächentarif bessere Regelungen nach dem Wiedereintritt des Arbeitgebers inden Arbeitgeberverband ausliefen. Es ging nun darum, möglichst viel von diesen besseren Rege-lungen in Form von Betriebsvereinbarungen, Arbeitgeberzusagen o.ä. zu erhalten. Dabei war Fan-tasie, Standfestigkeit und Verhandlungsgeschick gefragt – in allem fanden wir die tatkräftige Unter-stützung durch HG.

Der andere Fall betraf den Vorsitz unseres Betriebsrats und mich ganz persönlich. Ich hatte michnach sieben Jahren bei der Wahl 1987 vom Vorsitz zurückgezogen und einer jüngeren KolleginPlatz gemacht. Meine Nachfolgerin verließ allerdings nach wenigen Monaten aus privaten Grün-den den Betrieb, und der Betriebsrat stand vor einer prekären Situation. HG, den wir zu unsererBetriebsratssitzung eingeladen hatten, ließ zunächst die Diskussion laufen, in der jede und jeder

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erklärte, warum er/sie für den Betriebsratsvorsitz nicht zur Verfügung stünde. Auch ich brachtemeine Beweggründe vor, vor allem meinen heftigen Wunsch, wieder stärker in meinem ursprüngli-chen Berufsfeld als Redakteur für Geschichte und Politik zu arbeiten. Doch HG lenkte die Diskussionnun geschickt dahin, dass ich gar nicht mehr anders konnte, als meine Prioritäten nochmals zu über-denken und schließlich meine Bereitschaft zur erneuten Kandidatur für den Betriebsratsvorsitz zuerklären. Auch in der Folgezeit gelang es HG immer wieder einmal, mich mit einer Mischung auspolitischer und persönlicher Argumentation für Funktionen innerhalb der Gewerkschaftsorganisati-on zu gewinnen.

Das Jahr 1989 war bei HBV vor allem geprägt vom Kampf um menschen- und familienfreundlicheArbeitszeiten im Einzelhandel. Die schwarzgelbe Koalition in Bonn hatte das Ladenschlussgesetzdahingehend geändert, dass ein so genannter Dienstleistungsabend mit Ladenöffnungszeiten amDonnerstag bis 20.30 Uhr eingeführt wurde. Den Arbeitgebern ging es nun darum, tarifliche Rege-lungen zu erreichen, die ihnen die Anwendung der neuen Gesetzesbestimmungen ermöglichten.Unterschiedliche Auffassungen über die Reichweite der bundesweiten Koordination der regionalenTarifverhandlungen, die Rolle des geschäftsführenden Hauptvorstandes (GHV) dabei, die Rechteder ehrenamtlichen Tarifkommissionen sowie das Spannungsverhältnis ›Landesleiter als Angestellterdes Hauptvorstandes und gewählter Landesbezirksvorsitzender in einer Person‹ führten zum Konfliktzwischen dem GHV und dem Landesbezirk Baden-Württemberg, der im Rücktritt des Landesvorsit-zenden Klaus Rücker gipfelte.

3. Landesvorsitzender und Landesleiter der HBV Baden-Württemberg

Ein Gerangel um die Nachfolge Klaus Rückers gab es nicht, vielmehr konnte die Position und dasAnsehen Heinz-Günter Langs in Baden-Württemberg daran abgelesen werden, dass er von ganzvielen Seiten gebeten wurde, sich für den Landesbezirksvorsitz zur Verfügung zu stellen. Er erklärtezwar, lieber in Mannheim bleiben zu wollen, gab aber schließlich dem vielfältigen Drängen nachund wurde im Oktober 1989 zu unserem neuen Landesbezirksvorsitzenden gewählt. Die kollegialeZusammenarbeit fand nun auf einer anderen Ebene statt.

Zur gleichen Zeit stellten die friedliche Revolution in der DDR und der Prozess der deutschen Verei-nigung auch die Gewerkschaft HBV vor ganz neue Herausforderungen. Die Bildung einer gesamt-deutschen Gewerkschaft HBV erfolgte in mehreren Schritten bis zum Herbst 1990. Einer dieserSchritte war die Bildung von Partnerschaften zwischen westlichen und östlichen Bezirken. In diesemRahmen besuchte der Landesbezirksvorstand der HBV Baden-Württemberg unter Führung vonHeinz-Günter Lang die Kolleginnen und Kollegen des Bezirks Dresden in der noch existierendenDDR.

An dem vom Hauptvorstand ausgerufenen »Strategieprozess« beteiligten sich die Mitglieder unse-res Landesbezirks eher mit einer skeptischen Einstellung: In der Methode stark von modischen Ele-menten der Beratungsbranche geprägt, beinhaltete dieser Prozess einen zentralistischen Ansatz,der die von vielen gewerkschaftlichen Erfolgen begleitete Eigenständigkeit unseres Landesbezirksbedrohte. In den folgenden Diskussionen über eine Kooperation mit anderen Einzelgewerkschaftenvertrat HG lange das Modell eines engeren Gewerkschaftskartells, das Tradition und Eigenlebenunserer HBV weitgehend bewahren sollte. Die Entwicklung ist darüber hinweggegangen. Nachdem Ausscheiden HGs aus dem hauptamtlichen Dienst der Gewerkschaft kam es zur so genanntengroßen Lösung: der Bildung von ver.di und zur Auflösung von HBV.

Mathias Münter-Elfner ist Redakteur im Bibliographischen Institut Fa. Brockhaus AG (Duden-Verlag), dort früherauch Betriebsratsvorsitzender und zu HGs Zeit als Landesleiter Mitglied im Gewerkschaftsausschuss der HBV.

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WALTHER MÜLLER-JENTSCH

Erfolgreich gescheiterte Zeitungsfusion

Mit Heinz-Günter Lang verbinden mich viele Jahre gemeinsamer Arbeit in der Redaktion des»express« und im Sozialistischen Büro (Offenbach). Seinem Basisverständnis zufolge war dasSozialistische Büro (SB) in Politik- und Praxisbereiche untergliedert. Unsere Redaktionsgruppe hattesich im Politikbereich »Betrieb und Gewerkschaft« engagiert. Zu dessen Hauptaufgaben gehörtedie Kooperation mit gewerkschaftlichen und betrieblichen Kollegen (auch »Kader« genannt), mitdenen wir auf zentralen und regionalen Tagungen über unsere Aufgabe – die Zuspitzung derbetrieblichen und tariflichen Konflikte – berieten und diskutierten. Besonders widmeten wir uns zumeinen der Stärkung der gewerkschaftlichen Basis (Vertrauensleute, Bildungsobleute) gegen den»Apparat« und zum anderen der Unterstützung der Betriebskollegen, die auf oppositionellen Listengegen die etablierten »Berufsbetriebsräte« kandierten (linksoppositionelle Listen zu Betriebsrats-wahlen waren damals keine Seltenheit). Neben den Tagungen war es vor allem der monatlicherscheinende »express«, der unsere hoffnungsvollen Botschaften von »antikapitalistischen Vertrau-ensleuten« und »autonomen Gewerkschaften« verbreitete.

Hervorgegangen war der »express« aus der Fusion des von einem eigenen Verein und linken IG-Metallern getragenen »express international« mit der vom SB herausgegebenen »SozialistischenBetriebskorrespondenz« (SBK). Letzter Redaktionssekretär des »express international« war übrigensder heutige Chef des WISO-Magazins im ZDF, Michael Opoczynski, der mit seinem geradeerschienenen Buch über den entfesselten Kapitalismus, »Die Blutsauger der Nation« (Droemer2005), seiner Vergangenheit eine späte Ehre erweist.

Seit Anfang der siebziger Jahre erschien der »express« unter den Fittichen des SB. Dies führte auchHeinz-Günter (ehemals SBK) und mich (ehemals »express international«) zusammen. Es warennatürlich die wöchentlichen Redaktionssitzungen, die uns persönlich und politisch näher brachten.Einige versprengte Sponti-Kollegen, die zeitweise den »express« zum Organ einer Selbsterfah-rungs- oder Selbstbestätigungsgruppe umzufunktionieren versuchten, konnte Heinz-Günter mit Hilfeder »alten Hasen« ausbremsen. Das »Produkt Zeitung« war uns immer das Wichtigste. Den»express« in einem formal und inhaltlich akzeptablen Gewand zum festgesetzten Zeitpunkt abzu-liefern, hatte für uns erste Priorität.

Eine härtere Bewährungsprobe stellte sich dem »express« in den Jahren 1974 und 1975. DerSekretär des SB, Klaus Vack, obwohl emphatischer Vertreter der Basisdemokratie, hatte die Lei-tungsorgane des SB von seiner Absicht überzeugt, die beiden vom SB herausgegebenen Zeitschrif-ten »links« und »express« zusammenzulegen und setzte nun in der ihm eigenen »soften« Art dieRedaktion unter Druck. Seine Absicht stieß indessen auf den entschiedenen Widerspruch Heinz-Günters und eines beachtlichen Teils der Redaktionsmitglieder des »express«. Eines unsererHauptargumente war, dass die Adressatengruppen beider Zeitungen wenig gemeinsam hätten.Beim »express« waren es progressive Gewerkschafter und Kollegen ohne direkte politische Bindun-gen an das SB, bei der »links«, gewissermaßen dem »Zentralorgan« des SB, hatten wir es hingegenmit Studenten, Intellektuellen und Politisierten aus anderen Erfahrungsbereichen zu tun. Die spezifi-sche Funktion des »express« schien uns durch die Zusammenlegung gefährdet.

Bei dem auf beiden Seiten ausdauernd geführten Kampf um die Fusion entwickelte Klaus Vack eineeminente Hartnäckigkeit; so wies er uns einen hauptamtlichen Redaktionssekretär zu, der offen dieFusionskarte gegen die Majorität der »express«-Redaktion spielte. Dass am Ende aber die Antifusi-onslinie obsiegte, war auch Heinz-Günters zuweilen heiligem Zorn zu verdanken, der übrigensnoch heute nachbebt, wenn man die Fusionsfrage anspricht. Rückblickend betrachtet, darf voneinem klaren Sieg des »express« gesprochen werden. Das Sozialistische Büro existiert nur noch als

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»Besitztitel«, die Zeitung, die uns schlucken wollte, »links«, wurde schon vor Jahren eingestellt – nurder »express« existiert munter weiter, nunmehr herausgegeben von einem Verein und finanziellunterstützt von einer Stiftung.

Für Basisdemokraten besteht folglich kein Grund zu verzagen, solange Heinz-Günter an ihrer Seitestreitet. Auch deshalb: ad multos annos, lieber HG!

Walther Müller-Jentsch, geb. 1935, Prof. em. für Soziologie an der Ruhr-Universität Bochum. Studium der Sozio-logie, Politikwissenschaft und Nationalökonomie in Frankfurt/M. und der Industrial Relations an der LondonSchool of Economics. Wiss. Mitarbeiter am Institut für Sozialforschung in Frankfurt/M., 1969-1981. Währenddieser Zeit Mitarbeit am »express international« und »express« sowie – zusammen mit Otto Jacobi und EberhardSchmidt – Mitherausgeber der kritischen Gewerkschaftsjahrbücher.

Seit 1992 div. Professuren, Arbeitsschwerpunkte: Industrielle Beziehungen (Industrial Relations); Arbeits-,Betriebs- und Industriesoziologie; Organisationssoziologie; Soziologie der Kunst.

Wichtige Buchveröffentlichungen:– »Soziologie der Industriellen Beziehungen«, 2. Aufl., Frankfurt/M. 1997– »Konfliktpartnerschaft. Akteure und Institutionen der industriellen Beziehungen«, 3. Aufl., München/Mering

1999 (Hg. und Co-Autor)– »Organisationssoziologie. Eine Einführung«, Frankfurt/M. 2003

HINRICH OETJEN

Fußball spielen in Schweden

Einige Jahre lang war ich schon mit Familie in den Sommerferien nach Schweden gefahren. DiesesMal muss es so Mitte der sechziger Jahre gewesen sein. Damals gab es noch eine bequeme Fährevon Arhus in Dänemark nach Halmstad in Schweden an der Westküste. Dort gab es in der Nähezur Stadt eine Ferienhaussiedlung, hufeisenförmig angelegt, mit einer großen Wiese inmitten.

Auf dieser Wiese gab es am Nachmittag, nachdem das Strandleben vorbei war, regelmäßig Fuß-ball. Oft spielten die Deutschen gegen die Schweden. Zuschauer waren die Bewohner der Ferien-häuser, die vor diesen Hütten saßen, Spieler die Männer aus den Familien. Gegenüber von unsererFerienhütte wohnte ebenfalls eine deutsche Familie mit einem Opel aus Neuwied. Wir, HG und ich,trafen uns so zufällig in den schwedischen Ferien, weil wir beide beim Fußball mitmachten, dennHG war eben jener Bewohner von gegenüber mit Familie. Natürlich gab es dann den gemeinsa-men Grillabend vor der Hütte und Gespräche über die IG CPK, unsere Gewerkschaft. HG war dortGeschäftsführer in Neuwied und ich damals Bundesjugendsekretär. Wir hatten viele gemeinsameÜberzeugungen.

Nach dem Urlaub kam HG in Hannover vorbei. Hermann Rappe war unser Nachbar, und so gabes eine abendliche Begegnung mit Umtrunk bei Rappes. Hermann Rappe wollte in den Hauptvor-

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stand und galt bis dahin als durchsetzungsfähiger Linker. Alle erwarteten wir davon eine Verstär-kung unserer Position. So unterstützten wir dann auch gemeinsam Rappes Bewerbung – mit Erfolg.

Später, HG war schon in Darmstadt Geschäftsführer, entwickelte sich ein Konflikt zwischen den »Lin-ken« und Hermann Rappe. Rappes Wahl war erfolgreich gewesen, weil er sich für eine verstärkteRolle der Vertrauensleute in der Politik der Organisation eingesetzt hatte. Diese Position wurde aufdem Wiesbadener Kongress 1968 auch satzungsmäßig abgesichert. In ihr wurde festgelegt, dassdie VL die Betriebsratskandidaten bestimmen, die Delegierten der gewerkschaftlichen Versammlun-gen wählen und das Wichtigste: die Tarifforderungen aufstellen. Der Konflikt über gewerkschaftli-che und betriebliche VL entwickelte sich daraus und führte zu einer heftigen Kontroverse und einerKursänderung der Gewerkschaft CPK. Betriebliche VL waren solche, die von den Betriebsräten inden Großbetrieben ernannt worden waren, um auch in Abteilungen, in denen keine VL-Wahl durch-geführt worden war, aus welchen Gründen auch immer, vertreten zu sein. Diese VL hatten einendurch Betriebsvereinbarungen abgesicherten besonderen Status. Sie trafen sich regelmäßigwährend der Arbeitszeit mit Betriebsräten und waren dafür freigestellt Die Gewerkschaft anerkann-te diese als gewerkschaftliche VL, sofern sie Mitglied der Gewerkschaft waren. Natürlich stärktediese Handlungsweise die Betriebsräte der chemischen Großbetriebe in der Gewerkschaft. PaulPlumeyer, der entgegen den Planungen des Hauptvorstandes in den Vorstand gewählt worden war,machte sich die klassischen gewerkschaftlichen Vorstellungen der VL-Rolle zu eigen und entwickelteaus dem Gegensatz von betrieblichen und gewerkschaftlichen VL eine Legitimationskrise derGewerkschaft: Denn im Zweifel war diese doch von nicht durch Gewerkschaftsmitglieder ins Amtgekommene, d.h. durch die Gewerkschaft ernannte VL legitimiert worden, wenn nämlich betriebli-che VL die satzungsmäßigen Rechte der Wahl von Delegierten und Betriebsratskandidaten usw.wahrgenommen hatten.

In der Verwaltungsstelle Darmstadt kam es zu Auseinandersetzungen, weil gewerkschaftliche VL,nur von Mitgliedern gewählt, prominente Betriebsräte nicht wieder zur Wahl vorschlugen. HG stärk-te diese damals »satzungsmäßige« Position. Die prominenten Betriebsräte beschwerten sich darü-ber beim Hauptvorstand, und dieser war der Meinung, dass der Geschäftsführer in einem solchenKonflikt vermitteln müsse und nicht eine eindeutige Position einzunehmen habe. Daraus entstand dieEntfremdung von HG und der IGCPK, die letztlich dazu führte, dass er zunächst nach Dietzenbachan die Bildungsstätte wechselte, bevor er dann zur HBV ging.

Hinrich Oetjen, geboren 1933 in Leeste bei Bremen, Werkzeugmacher, war von 1957 bis 1960 hauptamtlichbeim DGB in Hameln, Bundesjugendsekretär bei der Gewerkschaft LEDER in Stuttgart bis 1963, dann Bundesju-gendsekretär bei der IGCPK bis 1970. Danach Leiter der DGB Bundesjugendschule Oberursel und von 1984 bis1995 Leiter des Bildungszentrums des DGB-Bildungswerks in Hattingen.

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KNUT RIEDEL

»Verhältnisse, nicht die Gewerkschaft bekämp-fen«

Lieber HG!

Im Jahr 1975 gab es in der Hoechst AG eine IG Chemie-Betriebsgruppe, die war, wie die IG Che-mie so war und die nachfolgende IG BCE so ist, mit einem starken Chef und vielen Ja-Sagern, dieihm halfen, seinen »sozialpolitisch verantwortlichen« Kurs der hemmungslosen Sozialpartnerschaftin der Belegschaft durchzusetzen. Außerdem gab es IG-Chemiemitglieder, die an diesen Verhält-nissen litten und sich regelmäßig im Bildungs- und Kulturzentrum Höchst, »Bikuz« genannt, trafen,um zu diskutieren, wie man die Verhältnisse verbessern könnte. Die Gruppe war als »Bikuzgruppe«in der Hoechst AG bekannt, aus ihr entwickelten sich später die »Kolleginnen und Kollegen für einedurchschaubare Betriebsratsarbeit«, kurz, »die Durchschaubaren«.

In Dietzenbach gab es eine Jugendbildungsstätte, mit Dir, HG, als Leiter. Trotz oder wegen DeinesRauswurfs aus der Verwaltungsstelle Darmstadt der IG Chemie warst Du heftig daran interessiert,die Richtung der IG Chemie zu beeinflussen. Kein Wunder, dass wir uns über den Weg liefen,genauer gesagt, wir als Bikuzgruppe bei Dir und mit Dir Jugendbildungs- und Wochenendseminaremachten.

Das waren spannende Zeiten. Wir waren unerfahren, jung und voller Illusionen, auch darüber, wieschnell sich in der Arbeitswelt etwas verändern lässt. Bei den Diskussionen haben wir sehr von Dei-nen intimen Organisationskenntnissen und Beziehungen profitiert. Du hast uns auch beigebracht,die Verhältnisse in der IG Chemie, nicht aber die Gewerkschaft zu bekämpfen. Diesen Unterschiedzu machen war nicht immer einfach, zumal einige von uns 1976 wegen »gewerkschaftsschädlichemVerhalten« aus der IG Chemie ausgeschlossen wurden, obwohl sie nur unter ihrem eigenen NamenFlugblätter mit sehr moderaten Forderungen an die Gewerkschaft vor den Toren der Hoechst AGverteilt hatten.

In dieser Zeit hast Du uns geholfen, ja beigebracht, eine Solidaritätsbewegung zu organisieren,eine Broschüre zur Dokumentation zu schreiben und sie auf dem Gewerkschaftstag der IG Chemiezu verteilen. Am Ausschluss hat das nichts geändert, es hat jedoch eine größere Anzahl von Kolle-ginnen und Kollegen für eine kritische, solidarische Gewerkschaftsarbeit gewonnen und so für dienächsten 30 Jahre verhindert, dass die IG Chemie für ihre niederträchtige Arbeit in Höchst die volleUnterstützung der Belegschaft reklamieren konnte. Immerhin konnten wir unsere Erfahrung mit Soli-daritätsbewegungen für andere Opfer von Unternehmer- oder Gewerkschaftswillkür in der Folge-zeit häufiger gebrauchen. Dadurch bildeten und festigten sich bundesweite Beziehungen, die unsein Arbeitsleben lang wertvolle Dienste leisteten. Dafür und für die vielen Diskussionen in den letz-ten 30 Jahren herzlichen Dank und Dir alles Gute!

Als ich HG kennen lernte, war ich junger Chemiker in der Forschung der Hoechst AG und Mitbegründer derBikuzgruppe – das war wohl der Grund für den späteren Gewerkschaftsausschluss aus der IG Chemie. 1984wurde ich Betriebsrat auf der Liste der »Durchschaubaren« bei der Hoechst AG. Heute bin ich ein alter Chemikerin der Forschung und Betriebsrat von Clariant, die einen Teil der Hoechst AG aufgekauft hat.

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BERND RIEXINGER

»Spielräume für eigenständige Politik«

HG und ich hatten uns vor 1990 immer wieder auf verschiedenen Tagungen und Kongressen inner-halb und außerhalb der Gewerkschaften getroffen und uns dabei schätzen gelernt. Wir saßen imSommer 1990 in der Stuttgarter Kellerschenke, und er fragte mich, ob ich nicht im hbv-Landesbezirkanfangen möchte. In dieser Zeit begann eine enge Zusammenarbeit innerhalb der hbv, die nach demAusscheiden von HG in den Ruhestand in der Gewerkschaftslinken fortgesetzt wurde, deren Sekretari-at er zusammen mit Ewald Wehner übernommen hatte. Unter der Woche wohnte HG über mehrereJahre bei Elsbeth und mir in Stuttgart. An zahllosen Abenden diskutierten wir die immer gleichen The-men und Fragen. Meistens ging es um die hbv, den Zustand und die Zukunft der Gewerkschaften.

HGs Wunschtraum war es nicht, Landesleiter der hbv in BaWü zu werden, und er bereute es häufig,diesen Schritt getan zu haben. Er wäre lieber Geschäftsführer in Mannheim geblieben. Seine Nähezur Basisarbeit war aber gerade sein großes Plus im Landesbezirk. Er unterstützte und schätzte alleInitiativen, die an der Basis, in den Betrieben und Bezirken entwickelt wurden. Den Ehrenamtlichenwurde in allen Gremien immer der Vorzug gegeben. Geprägt durch seine Geschichte hatte er seintiefes Misstrauen gegenüber dem Gewerkschaftsapparat niemals abgelegt, besonders gegen denauf Bundesebene. Bei der hbv in Baden-Württemberg stieß er mit dieser Haltung auf große Gegen-liebe. Den hbv-Landesbezirk betrachtete er auch als Schutzwall gegen Zu- und Eingriffe von»Oben«. Die Erfahrung bei der damaligen IG-Chemie war gerade, dass die Linken nicht geschütztwerden können, wenn sie im Landesbezirk keine Unterstützung finden.

Diese Rolle war nicht immer vergnügungssteuerpflichtig. Obwohl HG immer wusste, auf welcherSeite er stand, blieb es nicht aus, dass er manchmal zwischen den Fronten stand. HG ist, ich glaubeauch heute noch, sensibler, als es nach außen erscheint. Das waren dann oft die Phasen, in denener am liebsten den Bettel hingeworfen hätte. Es bestand jedoch nie die wirkliche Gefahr, dass er esgetan hätte. Disziplin und Verantwortungsbewusstsein waren so ausgeprägt, dass er niemals dieeingenommene Stellung verlassen hätte.

Trotz HGs Skepsis gegenüber dem Gewerkschaftsapparat war er auch ein Kind desselben. SeinDenken und Handeln kreiste stark um die Rolle, Handlungen und Wirkungen der Hauptamtlichen.In einer kleinen Gewerkschaft, wie es die hbv war, die aufgrund der Zusammensetzung der Mit-gliedschaft (insbesondere im Handel, jedoch auch bei Banken und Versicherungen) über ver-gleichsweise wenig politisierte Ehrenamtliche verfügen konnte, war es besonders wichtig, dassengagierte, politisch bewusste und auch risikofreudige Hauptamtliche beschäftigt wurden. AnStreiks, wie sie i.d.R. bei der IGM organisiert wurden, war eben bei hbv in den seltensten Fällen zudenken. Ständig mussten neue Wege gegangen werden, um Arbeitskämpfe zu führen, Kampagnenzu entwickeln und neue Betriebe zu organisieren. Ein beharrender und bürokratisierter Apparatwäre und ist für eine solche Arbeit hinderlich.

»Die Hauptamtlichen müssen dem Willen der Mitglieder folgen«, so eine seiner häufig wiederhol-ten Aussagen, wenn er auch genau wusste, dass die Hauptamtlichen eine wichtige Rolle bei derWillensbildung der Mitglieder spielten. Deshalb war er auch äußerst tolerant gegenüber Haupt-amtlichen, deren Arbeit er schätzte und ließ ihnen großen Freiraum bei der Gestaltung ihrer Arbeit.Umgekehrt ließ er es diejenigen des öfteren deutlich spüren, von denen er keine so hohe Meinunghatte. Bei den Entscheidungen über die Tarifpolitik im Handel waren für ihn die entscheidendenAkteure immer die Bezirke. Deren Einschätzungen, Mobilisierungsfähigkeit und ihre Beschlüssewaren für ihn maßgebend, weniger die bundesweite Linie oder die Entscheidungen der sog. Bun-desweiten Koordinierung. Diese Linie war auch organisatorisch äußerst erfolgreich. Der hbv-Lan-desbezirk konnte in fast allen Jahren dem bundesweiten Trend trotzen und hatte meist eine positiveMitgliederentwicklung vorzuweisen.

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Gegenüber den vielfältigen Fusionsmodellen, die Ende der 90er Jahre in verschiedener Form(»5 kleine Tiger«) diskutiert wurden, wie auch später gegenüber der Bildung von ver.di war HGnicht nur skeptisch, sondern er lehnte sie rundweg ab. Dementsprechend hatte der hbv-Landesbe-zirksvorstand in Ba-Wü, während HG die Leitung innehatte, beschlossen, dass hbv alleine bleibensoll. Die einzige Gewerkschaft, mit der für ihn eine Fusion vorstellbar gewesen wäre, war die NGG.Bei ihr sah er große Schnittstellen zur hbv im Bereich des Handels.

Die Herausbildung von ver.di war für ihn identisch mit dem Verlust von fast allem, was ihn mit derhbv verbunden hatte. Eine Großgewerkschaft mit einem riesigen Apparat lehnte er als basisfern ab.Die hbv würde darin untergehen und somit auch die Spielräume für eine eigenständige Politik, ins-besondere im Handel und in den Bezirken. Auch die Eingliederung der DAG betrachtete er nicht alsFortschritt, vielmehr sah er darin die Gefahr der Anpassung an eine deutlich weniger kämpferischeund konsequente Gewerkschaftspolitik. Dass der Apparat der ÖTV alle anderen schlucken würde,war für ihn ausgemachte Sache. Dass durch die Riesengewerkschaft ver.di mehr Durchsetzungskraftin den angestammten Branchen der hbv entstehen würde, daran glaubte er keinen Augenblick. Dieunter seinem Nachfolger eingeleitete Politik der kritischen Begleitung des ver.di-Prozesses stieß beiHG auf Kritik. Deshalb wollte er erst gar nicht auf den letzten Gewerkschaftstag der hbv gehen. Erhat es dann trotzdem getan. Sicherlich könnte man heute noch trefflich streiten, ob es besser gewe-sen wäre, auf die Organisierung der Sperrminorität zu setzen. Ich selbst war, obwohl ich ver.diabgelehnt hatte, ab einem bestimmten Punkt der Meinung, dass es hbv zerrissen hätte, wenn eineMinderheit von 25 Prozent den ver.di Prozess verhindert hätte.

Es kann heute keinen Zweifel darüber geben, dass durch ver.di die angestammten Bereiche von hbvnicht gestärkt und die Versprechungen zur Bildung von ver.di nicht eingelöst wurden. Die Krise derGewerkschaften, die nach wie vor in größerem Maße eine politische als eine organisatorische ist,wurde durch ver.di nicht überwunden. Die Mitgliederverluste sind höher, als sie es vorher bei hbvwaren. Die Debatte über die Ausrichtung der Gewerkschaften und die richtigen gewerkschaftspoli-tischen Ansätze sind in ver.di wichtiger denn je.

Deshalb hat es mich auch sehr gefreut, dass HG von Anfang an das Projekt zur Vernetzung derGewerkschaftslinken unterstützt und mit Ewald Wehner dessen Sekretariat übernommen hat. DieGewerkschaftslinke hat viele Jahre von seiner Erfahrung, seinen Ratschlägen und seiner aktivenArbeit profitiert. Auch wenn er die Arbeit im Sekretariat zum Ende dieses Jahres niederlegt, hoffeich, dass wir auch die nächsten Jahre auf seine Unterstützung und Hilfe zählen können.

Mit den besten Wünschen zum 70stenBernd Riexinger

Bernd Riexinger ist Geschäftsführer des ver.di-Bezirks Stuttgart.

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EBERHARD SCHMIDT

Verkehrte WeltBetriebsnahe Tarifpolitik gestern und heute

Mitte Juli 1971. An einem schönen Sommertag versammeln sich aufgebrachte Chemiearbeiter vonCaltex, Raunheim, und anderen hessischen Chemiefirmen vor dem vornehmen Hotel SchwarzerBock in Wiesbaden, wo sich im Obergeschoss Vertreter des Arbeitgeberverbandes der Chemi-schen Industrie und der Industriegewerkschaft Chemie-Papier-Keramik unter neutralem Vorsitzgegenübersitzen, um eine bundesweite Schlichtung im Tarifkonflikt auszuhandeln. Es gelingt denArbeitern, an den entsetzten Portiers vorbei die Treppen des Hotels hinaufzustürmen und so dieSchlichtung zum Platzen zu bringen. Die IG Chemie-Spitze ist konsterniert. Sie entschuldigt sich beiden Arbeitgebern. Nur der hessische Landesbezirksleiter Franz Fabian scheint über diese Entwick-lung nicht unzufrieden zu sein. Er bereitet weiter den Streik vor.

Worum ging es?

1969 war es einer linken Mehrheit auf dem Gewerkschaftskongress der IG Chemie gelungen, dieOrganisation von der Notwendigkeit einer betriebsnahen Tarifpolitik zu überzeugen. Die Umset-zung sollte 1970 im Landesbezirk Hessen erfolgen. Das Konzept einer betriebsnahen Tarifpolitikwar nicht von der IG Chemie erfunden worden. Fritz Salm, Vorstandsmitglied der IG Metall, hattees bereits 1958 auf einem Kongress seiner Gewerkschaft propagiert. Aber obwohl sich Otto Bren-ner noch 1965 dafür einsetzte, beließ es die IG Metall in der Folgezeit bei verbalen Bekundungen,ohne Anstrengungen zu ihrer Realisierung zu unternehmen. Zwei Ziele waren mit der betriebsnahenTarifpolitik verbunden. Zum einen ging es darum, mittels betrieblicher Öffnungsklauseln im Flächen-tarifvertrag die Lohndrift zu verringern, also die Kluft zwischen tariflich vereinbarten und effektivgezahlten Löhnen, die inzwischen in den Großbetrieben bis zu 30 Prozent ausmachte. Die Bedeu-tung der Lohndrift für die Strategie der Unternehmer war unübersehbar: »Da die übertariflichenLohnanteile keinen Rechtsanspruch beinhalten, hängen wichtige Bestandteile der Arbeitereinkom-men von den Entscheidungen der Unternehmensleitungen ab und konstituieren so eine wichtigeQuelle der Verhandlungsmacht der Unternehmer« (Eckart Teschner: »Zentralisierte Lohnpolitik undbetriebliche Lohnfindung«, in: Otto Jacobi, Walther Müller-Jentsch, Eberhard Schmidt: »Gewerk-schaften und Klassenkampf«, Kritisches Jahrbuch 1972, Frankfurt/M., S. 144). Der damit verbun-denen Schwächung der Gewerkschaften sollte aktiv begegnet werden und, das war das zweiteZiel, den Beschäftigten der Zusammenhang zwischen gewerkschaftlicher Aktivität und Lohnhöhewieder bewusst gemacht werden. Es sollten dazu betriebliche Tarifkommissionen gebildet werden,in denen Betriebsräte, Vertrauensleute und einfache Gewerkschaftsmitglieder vertreten wären, diemit dem Arbeitgeber über entsprechende Regelungen verhandelten. Werner Vitt, stellvertretenderVorsitzender der IG Chemie, nannte als Regelungsbereiche: Arbeitsordnung, spezielle Lohn- undLeistungssysteme, Prämien und Gratifikationen, Rationalisierungsmethoden etc. (s. express-interna-tional, Nr. 91, S. 8).

Die Arbeitgeber der Chemieindustrie reagierten sofort mit heftigem Widerstand und einer Kampa-gne, die die verfassungsrechtliche Legitimation einer betriebsnahen Tarifpolitik dieser Art bestritt.Ihre Koalitionsfreiheit sei bedroht, weil die Gewerkschaften die Arbeitgeberverbände aufzuspaltendrohten. Da diese Argumentation nicht sehr überzeugend ausfiel und nicht einmal von allen konser-vativen Juristen geteilt wurde, beschritt der Arbeitgeberverband der Chemischen Industrie einen wir-kungsvolleren Weg. Weil der IG Chemie-Vorstand in dieser Frage keine einheitliche Meinung ver-trat, zudem unter dem Druck stand, die Einkommenspolitik (»Konzertierte Aktion«) des SPD-Wirt-schaftsministers Schiller zu unterlaufen, nutzten die Chemiearbeitgeber die Tarifverhandlungen im

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benachbarten Bezirk Rheinland-Pfalz aus und boten dort einen hohen Tarifabschluss mit beträchtli-chen Vorauszahlungen und hohen prozentualen Steigerungen an. Entgegen vorherigen Abspra-chen innerhalb der IG Chemie stimmte der dortige Bezirksleiter dem günstigen Abschluss zu. Dasermunterte die Betriebsräte der großen hessischen Chemieunternehmen (insbesondere der damali-gen Hoechst AG), ihre gewerkschaftliche Bezirksleitung unter Druck zu setzen. In ihren Betriebensei keine Streikbereitschaft mehr vorhanden, argumentierten sie. Nur bei Merck in Darmstadt undbei der Caltex in Raunheim konnte noch auf Unterstützung gerechnet werden, weil hier seit Mona-ten entsprechende Schulungsveranstaltungen stattgefunden hatten. Das aber reichte für einen Streiknicht aus, und IG Chemie-Bezirksleiter Franz Fabian musste zähneknirschend nachgeben. DieArbeitgeber hatten der Gewerkschaft das tarifpolitische Konzept buchstäblich abgekauft, mit Lohn-erhöhungen, die zu den höchsten der Nachkriegszeit zählten. Eine Mitgliederbefragung über dasErgebnis, von Vertrauensleuten gefordert, wurde nicht zugelassen.

Und heute?

Betriebsnahe Tarifpolitik ist auf andere Weise wiedergekehrt. Differenzierte Tarifstandards fürbestimmte Beschäftigtengruppen, allgemeine und spezielle Öffnungsklauseln, die nur teilweise vonder Zustimmung der Gewerkschaften abhängig sind, oder Härtefallklauseln bei betrieblichen Not-lagen sind weit verbreitet. Gewerkschaften, Betriebsräte und Belegschaften werden jetzt auf eineneue Stufe der Verbetrieblichung der Tarifpolitik vorbereitet. CDU und FDP haben im Wahlkampfangekündigt, die neue Regierung werde gesetzliche Öffnungsklauseln für betriebliche Bündnissedurchsetzen, die es den Unternehmensleitungen ermöglichen sollen, mit den Betriebsräten ohne Ein-schaltung der zuständigen Gewerkschaften weitgehende Abkommen zur Tarifabsenkung abzu-schließen. Die Belegschaften sollen so gezwungen werden, Regelungen zuzustimmen, die zu Ver-schlechterungen der Entgelt- und Arbeitsbedingungen führen. Nach einer repräsentativen WSI-Umfrage bei Betriebsräten existieren betriebliche Bündnisse bereits in über 20 Prozent der Betriebe,die eine gute Auftragslage haben, einen guten Umsatz und gute Gewinne machen (Böckler Impuls11/2005, S. 2). Unternehmen machen also zunehmend von den so genannten ÖffnungsklauselnGebrauch, mit denen temporär von den im Tarifvertrag festgelegten Leistungen abgewichen wer-den kann. Öffnungsklauseln werden nach Meinung von Experten zunehmend ausgenutzt, umLöhne zu drücken. In der Metallbranche hat sich die Zahl solcher Sonderregelungen seit 1990mehr als verdreifacht. Dass dabei nicht immer die Ertragslage der Firmen ausschlaggebend war,verdeutlichen die Zahlen: So weisen die Tarifverträge im vergangenen Jahr eine durchschnittlicheLohnsteigerung von 1,2 Prozent aus. Die effektiven Brutto-Jahresverdienste stiegen aber nur um 0,3Prozent (http://www.mdr.de/umschau/1853614.html).

Die Begründung für »betriebsnahe Tarifpolitik« hört sich von Arbeitgeberseite heute so an: »Zieleiner betriebsnahen Tarifpolitik muss es gerade sein, dass Notsituationen bei den Unternehmen garnicht erst eintreten.« Das soll aber keinesfalls über tarifvertragliche Regelungen geschehen: »EinErgänzungstarifvertrag hat im Übrigen seine rechtliche Eigenständigkeit und damit auch seine eige-ne Laufzeit. Es könnte unterschiedliche Laufzeiten und damit nicht deckungsgleiche Zeiten der Frie-denspflicht geben. Vereinbarungen wie die erwähnten gegebenenfalls unter Streikdruck aushan-deln zu müssen, würde dem betrieblichen Bedürfnis nach schneller und sachnaher Klärung zuwi-derlaufen. Eine Gewerkschaft ist nicht so betriebsnah wie ein Betriebsrat. Mit einem Ergänzungsta-rifvertrag droht somit eine Auseinandersetzung über organisationspolitische Ziele und nicht über dieLösung eines sachlichen Problems eines Unternehmens.« Deshalb propagiert man ein weicheresInstrument: »Für die Umsetzung der jeweiligen Differenzierung liegt der Vorteil von Öffnungsklau-seln zu Gunsten der Betriebsparteien auf der Hand: Geschäftsleitung und Betriebsrat können diebetriebsindividuellen Erfordernisse am besten beurteilen. Die Verhandlungen orientieren sich anden konkreten Interessen von Unternehmen und Belegschaft. Außerbetriebliche Aspekte bleibenaußen vor und beeinträchtigen weder die Verhandlungen noch das Ergebnis.« (alle Zitate: Dr.Ulrich Brocker, Hauptgeschäftsführer Südwestmetall, bei einem Symposium des IG Metall-Vorstan-

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des mit der Zentralen Verhandlungskommission des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall zumThema »Differenzierung durch Tarifverträge« am 19. Oktober 2001 in Bergisch-Gladbach).

Widerstand gegen diese Aushöhlung der Flächentarifverträge regt sich in den Gewerkschaftenallenthalben. Nur ein Beispiel: Betriebsräte des Groß- und Einzelhandels haben gemeinsam mitver.di die Initiative »Betriebsräte gegen tarifliche Öffnungsklauseln« gestartet, mit der sie sich anArbeitgeberverbände und politische Parteien wenden. Darin heißt es u.a.: »Als Betriebsräte wissenwir aus unserer täglichen Arbeit

● wie oft wir und damit die Belegschaften gegeneinander ausgespielt und damit eine Spiralenach unten in Gang gesetzt werden soll;

● wie mit dem Argument »entweder ihr verzichtet auf Geld, verlängert die Arbeitszeit, oder eswerden Beschäftigte entlassen« Belegschaften und Betriebsräte unter Druck gesetzt werden,um sich Konkurrenzvorteile zu verschaffen.

Wir wissen als Betriebsräte um die Bedeutung und Wichtigkeit der Tarifverträge als Schutz für dieBeschäftigten. Tarifverträge haben die Aufgabe, Mindeststandards für Einkommen und Arbeitsbe-dingungen zu regeln und zu garantieren. Deshalb lehnen wir tarifliche Öffnungsklauseln, durch diediese Mindeststandards ausgehöhlt und abgesenkt werden sollen, entschieden ab. Wir warnenaber auch all diejenigen Parteien und Politiker, die eine Abweichung von Tarifverträgen per Gesetzdurchsetzen und damit das Grundrecht der Tarifautonomie beseitigen wollen. Auch solchen Vorha-ben werden wir, wie bereits in der Vergangenheit, unseren Widerstand entgegensetzen.« (Ver.dimeldet am 16. September 2005, dass inzwischen mehr als 5 300 Betriebsratsmitglieder aus über1 000 Betrieben des Handels diesen Aufruf unterstützt haben).

Welt verkehrt?

Wofür sich viele linke Gewerkschafter, nicht zuletzt auch Heinz Günter Lang, einmal vehement ein-gesetzt haben, nämlich durch eine betriebsnahe Tarifpolitik eine stärkere Beteiligung der betriebli-chen Gewerkschaftsmitglieder an der Gestaltung ihrer Lohn- und Arbeitsbedingungen durchzuset-zen, droht also ins Gegenteil verkehrt zu werden. Dabei zeigt sich: Den Unterschied ums Ganzemacht das Zusammenspiel von Gewerkschaft und Betriebsräten aus. Wird dieses Band zerrissen,sei es durch gesetzliche Regelungen oder eine erpresserische Politik der Unternehmensleitungen,dann wird den Belegschaften die Möglichkeit der Gegenwehr genommen. Betriebsnahe Tarifpolitikmacht nur dann Sinn, wenn es sich um den Abschluss von Tarifverträgen handelt und wenn diedavon Betroffenen am Abschluss beteiligt werden, nicht aber, wenn einseitig veränderbare Abkom-men an ihre Stelle treten. Oder um mit den Worten des ehemaligen Präsidenten des Bundesarbeits-gerichts, Thomas Dieterich, zu sprechen, Tarifverträge dürften nicht zur unverbindlichen Richtlinieverkommen, die nur so lange Geltung beanspruchen, »bis ein Arbeitgeber seine Belegschaft mitStilllegungsprojekten so lange unter Druck setzt, bis sie alles unterschreiben« (Einblick 13/05 v. 11.Juli 2005, S. 3). Betriebliche Bündnisse darf es nur in absoluten Notlagen mit Zustimmung derzuständigen Gewerkschaften geben. Was sonst heute unter »betriebsnaher Tarifpolitik« läuft, isteine Mogelpackung.

Die Darstellung des Konflikts über die betriebsnahe Tarifpolitik in der IG Chemie geht auf persönliche Erfahrun-gen des Verfassers zurück, der damals Pressesprecher des IG Chemie-Bezirks Hessen war, s. dazu auch: Eber-hard Schmidt: »Zur Strategie der betriebsnahen Tarifpolitik«, in: Otto Jacobi, Walther Müller-Jentsch, EberhardSchmidt: »Gewerkschaften und Klassenkampf«, Kritisches Jahrbuch 1972, Frankfurt/M., S. 145-161)

Prof. (em.) für Politikwissenschaft an der Uni Oldenburg (seit 1974). Damals: Pressereferent beim Vorstand der IGMetall in Frankfurt (1966-1969), Pressesprecher des IG Chemie-Bezirks Hessen (1970), Redakteur des »express-international«, dann »express« von 1964 – 1973. Mitherausgeber der Jahrbücher: »Gewerkschaften und Klas-senkampf. Kritisches Jahrbuch« (später: »Kritisches Gewerkschaftsjahrbuch«) 1972-1988/89

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EDWIN SCHUDLICH

»Grenzenlos flexibel – Die Würde des Menschenist antastbar«

Die ersten (gewerkschafts)politischen Kontakte zu HG hatte ich – noch als Mitglied der damaligen IGChemie – Anfang der siebziger Jahre im Zusammenhang mit der »Basisarbeit« in den Betrieben derchemischen Industrie. Im Rahmen meiner gewerkschaftssoziologischen Untersuchungen wie meinergewerkschaftlichen Bildungsarbeit lernten wir uns näher kennen und schätzen. Mit gefiel vor allem,dass HG an seinen Überzeugungen – mit denen ich nicht immer überein stimmte – festhielt, auch umden Preis von persönlichen und beruflichen Nachteilen. In den letzten fünfzehn Jahren arbeiteten wirdann enger zusammen, zuerst im Rahmen der »Initiative Neue Soziale Politik«, dann in der »Initiativefür die Vernetzung der Gewerkschaftslinken«. Hier stellten wir eine Reihe von Übereinstimmungen inden zentralen gesellschaftspolitischen Fragen fest, wie sie im vorliegenden Aufsatz skizziert werden.HG hat sein Leben für die Aufklärung über die herrschenden Verhältnisse gearbeitet, damit wir in unse-rem Denken und in unserem politischen Handeln wie im Kampf um eine andere, gerechtere und fried-lichere Gesellschaft von jener kritischen Vernunft Gebrauch machen, die von Immanuel Kant eingefor-dert wird. Ich wünsche HG zu seinem 70. Geburtstag vor allem, dass er noch viele Jahre mit unge-brochener Energie in diesem Projekt weiter arbeiten kann – und Spaß dabei hat.

I. Arbeitslosigkeit ist ein Gewaltakt

»Arbeit und menschliche Würde« ist der Titel des vor vier Jahren erschienenen Buches von OskarNegt. In ihm verbindet er die zerstörerischen Tendenzen und entwürdigenden Strukturen unserervom neoliberalen Wirtschaftsgeist durchdrungenen Gesellschaft mit dem »Ringen um eine zukunfts-fähige Arbeitsgesellschaft«.

Arbeitslosigkeit als Massenphänomen in ihren vielfältigen Erscheinungsformen ist die dunkle Kehr-seite des so genannten Fortschritts in unserer Gesellschaft – vor allem aber des kapitalistischen Pro-fitstrebens, insbesondere in seiner neoliberalen Ausprägung.

Arbeitslosigkeit zerstört die Psyche der Individuen ebenso wie die sozialen Strukturen und damit dieIntegrationskräfte unserer Gesellschaft. Sie ist – wie Negt dies ausdrückt – ein Gewaltakt, sie ist ein»Anschlag auf die körperliche und seelisch-geistige Integrität, auf die Unversehrtheit der davonbetroffenen Menschen«. Artikel 1, Absatz 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschlandhingegen legt unmissverständlich und verbindlich fest: »Die Würde des Menschen ist unantastbar«.Dies wird von unserer Verfassung – auf dem Papier – garantiert.

Die soziale Wirklichkeit lehrt uns allerdings etwas Anderes: Denn die »Vermarktung« hat unsereTauschgesellschaft so weit durchdrungen, dass alles, was nicht über den Markt vermittelt werdenkann, der Ausgrenzung verfällt – vor allem die lohnabhängigen Menschen, deren Arbeitskraft nie-mand mehr kaufen will.

Die Würde dieser ausgegrenzten Menschen wird ebenso angetastet wie die der Menschen, die ausAngst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, zu entwürdigenden Bedingungen – in den industrialisierten Län-dern wie vor allem auch in den Ländern der sog. Dritten Welt – ihre Arbeitskraft verkaufen müssen.

II. Menschliche Arbeitkraft wird überflüssig

Der technisch-organisatorische Wandel in Gestalt der mikro-elektronischen Revolution macht zusam-men mit einer am Shareholdervalue orientierten Unternehmenspolitik menschliche Arbeitskraft – in

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unserem Land wie weltweit – in immer größerem Umfang überflüssig. Hier zeichnet sich eine Ent-wicklungsstufe der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ab, auf der die Entwer-tung menschlichen Arbeitsvermögens die sozialen Prozesse immer empfindlicher belastet.

Vor diesem Hintergrund mutet die ständig erhobene Forderung nach »Vollbeschäftigung« merkwür-dig antiquiert und phantasielos an. Trotzdem wird sie gebetsmühlenhaft immer wieder aufgestellt –angesichts der herrschenden Umstände sicherlich legitim, doch auf das Problem bezogen, vor demwir stehen, bleibt diese Forderung den sozio-ökonomischen Strukturen verhaftet, die das Problemder Arbeitslosigkeit erst schaffen.

Um Missverständnissen vorzubeugen, sei betont, dass Jeder, der arbeiten will, einen Anspruch aufeine zumutbare Arbeit hat. Eine Umverteilung der Arbeit – sprich eine massive Arbeitszeitverkür-zung – ist daher absolut erstrebenswert.

Tatsächlich wird die Weltgesellschaft in zwei »Realitäten aufgespalten« – ganze Nationen oderErdteile wie Afrika, ganze Bevölkerungsteile unseres Landes – neue Länder, Jugendliche – werdenvon der kapitalistischen Profitmaschine nicht mehr gebraucht – mit verheerenden Folgen. Negt ver-weist in diesem Zusammenhang explizit auf die herrschaftspolitische Dimension des Überflüssig-werdens der Arbeitskraft. Denn: »Zum ersten Mal in der Geschichte braucht die kleine Zahl derer,die die Wirtschaft regieren und die Macht haben, die Gesamtheit der Menschen nicht mehr.«

III. Soziale Gerechtigkeit

Wir erleben zur Zeit vor allem auch eine Umdeutung tradierter Begriffe, die die Arbeiterbewegungdefiniert hatte und die von anderen sozialen Bewegungen weiter getragen und weiter entwickeltwurden. Ein zentraler Begriff dieser Bewegungen in ihrem Bemühen, eine bessere Gesellschaft zuschaffen, ist die »Soziale Gerechtigkeit«.

So war mit der Forderung nach »Arbeit und soziale Gerechtigkeit« im Jahr1998 vor allem von denGewerkschaften der Wahlkampf der SPD und von Gerhard Schröder erfolgreich unterstützt wor-den. Aber mit dem kurz nach der Wahl verbreiteten sog. Schröder/Blair-Papier – das fast schonwieder in Vergessenheit geraten ist – wurde die Umdeutung dieses Begriffes vorbereitet und mit denMitte des Jahres 2003 veröffentlichten Thesen des damaligen SPD-Generalsekretärs Scholz auchprogrammatisch abgesegnet.

Die Forderung nach »der gerechten Verteilung des Zuwachses an Wohlstand und Einkommen« – imNachkriegsdeutschland Orientierungsmarke einer Politik der Gerechtigkeit – sei angesichts der»aktuellen Herausforderungen« perspektivlos geworden. Damit ist auch diese ehemalige »Arbei-ter«-Partei in der neoliberalen »Realität« angekommen.

Die »Chicago Boys« um Milton Friedman, die mit missionarischem Eifer nach dem Militärputsch1973 in Chile daran gegangen waren, ihre marktradikale Wirtschaftspolitik durchzusetzen und allegewerkschaftlichen und wohlfahrtsstaatlichen Errungenschaften zu zerstören, würden dieser »Refor-mpolitik« uneingeschränkt Beifall spenden.

Ihr Nestor und der Begründer der neoliberalen Wirtschaftstheorie – Friedrich August von Hajek –bekannte in seinem 1977 erschienenen Buch »Gerechtigkeit und Sozialismus« frank und frei: »Mehrals zehn Jahre habe ich mich intensiv damit befasst, den Sinn des Begriffes »Soziale Gerechtigkeit«herauszufinden. Der Versuch ist gescheitert: Oder besser gesagt, ich bin zu dem Schluss gelangt,dass für eine Gesellschaft freier Menschen dieses Wort überhaupt keinen Sinn hat.«

In dieser Theorie – für die Hajek übrigens den Nobelpreis für Wirtschaftspolitik erhalten hat –haben ethische Normen wie Gerechtigkeit und Solidarität nicht nur keinen Platz, sie werden gera-dezu als Hemmnisse für das »freie Spiel der Kräfte« – gemeint sind Angebot und Nachfrage aufden Märkten, insbesondere auf den Arbeitsmärkten – verteufelt.

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Das neoliberale Projekt will deshalb die Märkte von allen »Sünden« der keynesianistischen Wirt-schaftspolitik – Globalsteuerung durch den Staat, wohlfahrtsstaatliche Transferleistungen, Autono-mie der Tarifparteien und Massenkonsum – »reinigen«.

Hier stoßen fundamental gegensätzliche Auffassungen über die Art und Weise, wie Menschen ihrZusammenleben organisieren und wie unsere Gesellschaft insgesamt funktionieren soll, aufeinander.

Hatte noch der Kirchenvater Augustin beziehungsvoll gefragt: »Was anders sind also Reiche, wennihnen Gerechtigkeit fehlt, als große Räuberbänden?« – so hat heute die schamlose ForderungNapoleons III: »Enrichez-Vous – Bereichert euch!« in der von der neoliberalen Theorie geprägtenEllbogengesellschaft Hochkonjunktur. Ex cathedra verkünden die Propheten des Marktradikalismus,dass eine von moralischen und ethischen Normen befreite Verfolgung individueller Bedürfnisse wieeinzelbetrieblicher Profitinteressen schließlich auch dem Gesamtwohl diene.

Die angeblich »verkrusteten« wohlfahrtsstaatlichen Regelungen und Institutionen behinderten vorallem die Flexibilität auf den Arbeitsmärkten und dadurch das Entstehen eines Marktgleichgewichtes.Die logische Konsequenz dieses Dogmas ist, dass Arbeitslosigkeit nicht die Folge der entfesseltenMarktkräfte und der stetig steigenden Arbeitsproduktivität ist, sondern das Ergebnis von Restriktionenund Regulierungen – wie z. B. Tarifverträgen, Arbeitslosengeld und Sozialhilfe. Diese – so die Lehr-meinung – hielten den Lohn auf einem nicht marktgerechten hohen Niveau und produzierten solangeArbeitslosigkeit, bis das Angebot und die Nachfrage nach Arbeitskraft wieder ausgeglichen seien.

Der perfide Clou dieser Theorie ist: Die Arbeitslosen verursachen damit ihr Schicksal selber, weil sielieber die – höheren -Transferzahlungen in Anspruch nähmen, als zu einem – niedrigerem – aberdafür marktgerechten Gleichgewichtslohn zu arbeiten. Deshalb sollen sie nun – Hartz und derAgenda 2010 sei Dank – durch untertarifliche Löhne und entgrenzte Zumutbarkeitsregeln »gren-zenlos flexibel« gemacht werden, um dem Arbeitsmarkt wieder zur Verfügung zu stehen.

Der in New York und London lehrende Soziologe Richard Sennet hat in diesem Zusammenhangden Versuch vieler Industrieländer analysiert, ihre Sozialsysteme dem Vorbild der privaten Wirt-schaft folgend nunmehr auf Gewinnerzielung ausgerichtet umzubauen. Er kam zu dem Ergebnis,dass all diese Versuche zum Scheitern verurteilt seien, weil sie u.a. entscheidende, gesellschaftsin-tegrierende Werte wie Loyalität und Solidarität für irrelevant erklärten.

Die tiefgreifenden Auswirkungen der ökonomischen Veränderungen auf die Lebensführung, dieSelbstwahrnehmung und die Identität der Menschen habe »sozialmoralische Folgen für die Gesell-schaft, da die Menschen ihre Selbstachtung nicht mehr wie bisher über »Arbeit« gewinnen können.«Und er fürchtet, dass generell die »Wertorientierung« verloren gehe und dadurch die Fähigkeit zurcharakterlichen Bildung der Menschen schwinde.

IV. Arbeitszeit und freie Zeit

Es ist schon paradox und offenbart erneut den widersprüchlichen Charakter unserer Gesellschaft,dass in einer Phase, in der die Arbeitsproduktivität so sehr ansteigt, dass immer weniger Menschenimmer mehr gesellschaftlichen Reichtum produzieren – der freilich sehr ungleich verteilt wird – derRuf nach – selbstredend nicht bezahlter – Verlängerung der Arbeitszeit erhoben wird.

Verlängerte Arbeitszeiten haben – neben der Gewinnerzielung – aber nach wie vor auch die Funk-tion, »als Hebel zur Verinnerlichung von Disziplin, zur Aufrechterhaltung von Existenzangst und zurBewahrung von Loyalität zu dienen«. So Oskar Negt in seinem zum Tarifkonflikt um die 35-Stun-denwoche erschienenen Buch »Lebendige Arbeit, enteignete Zeit«.

Der Kampf um die Verkürzung der Arbeitszeit und die Ausdehnung der arbeitsfreien Zeit sei eben auchein Kampf um mehr Selbstbestimmung der Menschen. Denn: »Je größer die Zeitsouveränität der Men-schen ist, desto mehr können sie sich dem entfremdeten Disziplinardruck der Arbeit entziehen.«

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Faulheit ist aber keineswegs etwas Natürliches, sondern etwas gesellschaftlich Produziertes, eben diedurch das Arbeitsleid vermittelte – bewusste oder unbewusste – Arbeitsverweigerung. Sie ist das Pen-dant zum Arbeitszwang und unterscheidet sich wesentlich von der Muße, die im Nichts-Tun besteht.

Arbeitslosigkeit ist somit erzwungene Freizeit und kann von den Betroffenen gerade nicht als Chan-ce zur Muße begriffen werden. Vielmehr bestehen diese unter den herrschenden Bedingungen aufihrem Recht, arbeiten zu können.

Dass der Mensch von Natur aus faul sei, sei eine interessen-geleitete Grundannahme der politi-schen Anthropologie, von der die Herrschaft der Reichen und Mächtigen zehre – das hebt Negthervor. Er zitiert in diesem Zusammenhang Paul Lafargue, den – ungeliebten – Schwiegersohn vonKarl Marx, der seinerzeit den radikalsten Angriff auf das Unterdrückungsmedium Arbeit vorgetra-gen habe. Diesem erschien nämlich – merkwürdig aktuell – das »Recht auf Arbeit« als »ekelerre-gendes Loblieb auf den Gott des Fortschritts«. Angesichts der »Ausweitung des Maschinensystems«und der ständig erweiterten Produktivität der Arbeit hätte man – so Lafargue – an Stelle des »Rechtsauf Arbeit« besser die Forderung erhoben, die Zahl der Feiertage wieder her zu stellen, die es imMittealter gegeben habe und die mit dem entstehenden Kapitalismus abgeschafft wurden.

Da die Abschaffung von Feiertagen – sei es direkt bei der Einführung der Pflegeversicherung durchdas Opfern des Buß- und Bettages, sei es indirekt durch die Ausweitung der Arbeit an Feiertagen –auch derzeit bei uns wieder Konjunktur hat, wäre gegen die Forderung Lafargues auch heute nichtseinzuwenden, auch wenn eine radikale Verkürzung der Wochen- und Tagesarbeitszeit der Lösungdes Problems näher käme.

Die Spaltung der Gesellschaft in diejenigen, die von – entfremdeter – Arbeit leben müssen und dieihre Freisetzung zu Recht als Gewaltakt erfahren, und in diejenigen, die materiell von Arbeit befreitmit ihrem Besitz im Hintergrund tatsächlich selbst bestimmen können, wie sie in ihrer freien Zeit derMuße frönen, wird immer offensichtlicher. Dabei gilt nach wie vor: »Der biblische Fluch, dass, wernicht arbeitet, auch nicht essen solle, hat sich immer nur auf die unterdrückten und ausgebeutetenKlassen ausgewirkt.« (Negt)

V. Eine andere Gesellschaft

Mit dem Hinweis, dass im alten Athen – dem Entstehungsort unserer modernen Demokratie – die Teil-nahme an den Volksversammlungen als politische Arbeit am Gemeinwesen angesehen und entspre-chend entlohnt wurde, fordert Negt für alle Bürger der entwickelten Industriegesellschaften einGrundgehalt und betont: »Wie immer man über die Idee des garantierten Sozialeinkommens denkenmag, plausibel an ihr scheint mir zu sein, dass sie dem Gebot der Gerechtigkeit entspricht als auchrealistisch ist.« Diese Idee, die ja auch von anderer Seite vorgetragen wird, weist über die bestehen-den gesellschaftlichen Machtstrukturen, die bis in die Psyche der Individuen reichen, hinaus.

Die verinnerlichten moralischen Normen von Lohn und Leistung verlören ihre prägende Kraft, dadie Verknüpfung von Arbeitsleistung und Einkommen partiell aufgelöst und die an die ökonomischeEffizienz gekoppelten Vorstellungen von »sozialer Gerechtigkeit« durchlöchert würden.

Die Durchsetzung einer Moral jenseits von Lohn und Leistung stößt aber nicht nur auf in der Psycheder Einzelnen verankerte Hindernisse, sie kollidiert im Besonderen mit den Interessen der herr-schenden Klasse.

Auch wenn uns von allen Seiten unserer Kommunikationsgesellschaft immer wieder Glaubengemacht wird, dass unsere Erwerbsgesellschaft auf friedliche Weise verändert werden könne,bleibt es eine Illusion, dass diese Veränderung vollzogen werden kann, ohne die bestehendenMacht- und Herrschaftsverhältnisse anzutasten. Es bleibt eine historische Tatsache, dass sich Herr-schaftsverhältnisse nicht von alleine auflösen, sondern dass sie ihre Gewaltseite desto offener her-vorkehren, je entschiedener sie bedroht sind.

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Die zunehmende Aufspaltung der Gesellschaft führt durch den Abbau sozialer Errungenschaftendaher nicht nur zur Vergrößerung der Existenzängste und zum massenhaften Verschleiß vonArbeitskraft – in den Unternehmen durch ständig steigende Arbeitsbelastung und bei den Arbeits-losen durch die Entwertung ihrer physischen und psychischen Arbeitsfähigkeiten. Sie beschleunigtauch das Anwachsen neuer Grauzonen von Menschenrechtsverletzungen und die Einschränkungdemokratischer Selbst- und Mitbestimmungsrechte.

Deshalb sei »die gerechte Organisation des Systems gesellschaftlicher Arbeit, die Herstellungbefriedigender individueller Arbeitsverhältnisse, eine Grundvoraussetzung für den innergesell-schaftlichen Friedenszustand und damit den Frieden insgesamt.« Auf der Agenda für eine Weiter-entwicklung unserer Gesellschaft – so Negt weiter – stehe ein Paradigmenwechsel: »An die Stelleder politischen Ökonomie der toten Arbeit, des Kapitals, des Eigentums, muss ... die politische Öko-nomie lebendiger Arbeit treten, die auf eine vernünftige Organisationsform des Gemeinwesenszielt.« So schwer dies auch erscheine und es größter Anstrengungen bedürfe, »die Linien einerGesellschaftsreform« zu erkennen, die zukunftsfähig und haltbar sei, meint Negt, dass »das PrinzipHoffnung« noch nicht aufgebraucht sei.

VI. Würde und Autonomie

Menschliche Würde ist immer mit der Vorstellung von Selbstbestimmung und Autonomie verbunden,Voraussetzungen, die in unserem System der Erwerbsarbeit kaum oder gar nicht gegeben sind. Aufdie arbeitslos gewordenen Menschen bezogen heißt dies, dass sie zumindest eine bezahlte Arbeitfinden müssen, um überhaupt autonomiefähig zu sein. Auf unsere Welt-Gesellschaft bezogen heißtdas, eine neue Form der gesellschaftlichen Produktion zu finden.

Denn »für die Zukunftsfähigkeit einer friedenssichernden und gerecht eingerichteten Weltordnung«– so Oskar Negt in seinem Epilog – »wird es nicht ausreichen, nur jene lebendige Arbeit zu nutzenund für wertschaffend zu betrachten, die durch die engen Schneisen der Warenproduktion und dermarktvermittelten Dienstleistungen gepresst wird. Wir müssen ganz andere und reichhaltigere For-men der Arbeit entwickeln und fördern, in denen die Menschen sich in ihren Ansprüchen an Selbst-verwirklichung wieder erkennen...«. Das heißt, dass neben die Befreiung von – entfremdeter –Arbeit, die Befreiung in der Arbeit treten muss.

Um dieses Ziel erreichen zu können, ist Aufklärung über die herrschenden Verhältnisse Vorausset-zung und Bedingung. Die Frage, was Aufklärung sei, hat Immanuel Kant mit Bezug auf die je eige-ne Verantwortung des Einzelnen wie folgt beantwortet: »Aufklärung ist der Ausgang des Menschenaus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Ver-standes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. ... Dass der bei weitem größte Teil der Menschen(darunter das ganze schöne Geschlecht) den Schritt zur Mündigkeit, außer dem dass er beschwer-lich ist, auch für sehr gefährlich halte: dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Oberaufsichtüber sie gütigst auf sich genommen haben. ... Zu dieser Aufklärung aber wird nichts erfordert alsFreiheit; und zwar die unschädlichste unter allem, was nur Freiheit heißen mag, nämlich die: von sei-ner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen.«

Edwin Schudlich, Jg. 1941, Sozialwissenschaftler, Frankfurt am Main

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WOLFGANG STATHER

»Winterfest!«

Wer zu HG nach Hause kommt, sein beschauliches Häuschen und den liebevoll gepflegten Gartenmit Blumen und Gemüse sieht, weiß, dass da jemand ist, der offensichtlich zu leben versteht. Kei-neswegs allerdings in der Trennung des Privaten vom Politischen, denn in dieser Idylle wird auchimmer Politik gemacht, wie HG selbst auch in all seinen Aktivitäten durchscheinen lässt, dass er sichdabei selbst mit seiner ganzen Person in die Waagschale wirft. Diese Einheit des politischen und pri-vaten Menschen haben wir zu Spontizeiten immer verlangt. Aber wer hat es schon wirklich gelebt?Das hat uns HG vorgemacht, er, der alte undogmatische Linke, gegenüber uns aus der Neuen Lin-ken.

Werfen wir zunächst einen Blick in Haus und Garten: Zu manchem Frühstück saßen wir dort sams-tags, um über den Arbeitersolidaritätsfonds Projekte und von Repression betroffene KollegInnen, diekeine oder zu wenig gewerkschaftliche Hilfe hatten, zu unterstützen.

Mit Willi Scherer, dem gewerkschaftlichen und politischen Urgestein aus dem Ruhrpott, EdgarWeick, dem unermüdlichen linken Intellektuellen aus Frankfurt, und anderen prüften wir die Unter-stützungsanträge. Wurden Betriebe besetzt – in der BRD selten genug – Betriebsräte gekündigt,aktive GewerkschafterInnen rausgeworfen oder entstanden unabhängige Betriebszeitungen, mus-ste schnelle Hilfe geleistet werden. War der Topf leer, fand HG immer wieder jemanden, den er»anzapfen« konnte. Wichtig bleibt sein Rat in den heiklen Fällen von Gewerkschaftsausschlussver-fahren oder bei der Bildung oppositioneller Listen bei den Betriebsratswahlen. Ohne HGs Erfah-rung und Kenntnis der innergewerkschaftlichen Strukturen wäre das nie zu meistern. Auch bei derKoordination internationaler Treffen mit aktiven KollegInnen aus demselben Konzern oder dersel-ben Branche wurde der Arbeitersolidaritätsfonds aktiv, ein lebendiges Netzwerk in sozialen Bewe-gungen.

Kein Wunder, dass HG in seiner gewerkschaftlichen Arbeit bei HBV eben diesen Netzwerkgedan-ken einbrachte und auf lebendige Aktionen setzte, um Aufklärung und Aufmerksamkeit zu schaffen.

Zwei Beispiele: Als der lange Donnerstag (»Schlado«) 1988/89 drohte, wurde eben nicht nurübers »Arbeiten rund um die Uhr« diskutiert, über die Belastungen für die Verkäuferinnen, sondernauch über den kulturellen Verlust gemeinsamer Zeiten in einer Gesellschaft.

Und durch die Kaufhäuser zogen Nikoläuse, die bei Kunden und Beschäftigten für die Beibehal-tung des bisherigen Ladenschlusses warben. (S. Bilddokumentation) Dass so die Verkaufsräume zuöffentlichen Stätten der Diskussion wurden, war neu für eine gewerkschaftliche Tätigkeit, die sichauf die klassischen Strukturen Betriebsräte und Vertrauensleute beschränkte. Die Einbeziehung derÖffentlichkeit in die gewerkschaftliche Arbeit, die Suche nach Bündnispartnern in Politik und Öffent-lichkeit, der Versuch, Kunden zu mobilisieren: Alle diese Momente, die später in der Schlecker-Kam-pagne virulent werden sollten, wurden hier ausprobiert. HG setzt auf kreative Ideen, auf Phantasie,auf Lebendigkeit, auch auf den Bruch mit den eigenen Ritualen.

Als der Kampf der Hertie-Belegschaft für ihre Arbeitsplätze in die letzte Runde ging und klar war,dass die Schließung nicht mehr zu verhindern war, war es HG, der als Landesleiter einen unge-wöhnlichen Tarifvertrag absegnete: Möbel Walther verpflichtete sich gegenüber HBV, einen Teilder Hertie Belegschaft einzustellen, wenn die Ansiedlung eines Möbel-Hauses gelingen sollte. Diebetriebsnahe Gestaltung von Tarifverträgen – mit HG war das zu machen.

Wenn es galt, auch auf ungewöhnliche Art Arbeitnehmerinteressen durchzusetzen, wenn Tabus zubrechen waren, wenn Gewerkschaften sich als soziale Bewegung neu zu konstituieren lernten, HGwar und ist immer dabei: Solidarisch, humorvoll, nachhaltig aufmunternd.

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So wird denn auch dieser 70. Geburtstag für HG mehr Anlass sein, nach vorne zu blicken, dennRückschau zu halten. Dem Neoliberalismus – gleich in welchen Strukturen und Parteien – die Stirnebieten, den oppositionellen Geist stärken, den Gemeinsinn fördern, Solidarität üben: Da wird HGdabei sein. Unsere Gratulationen wird er geduldig ertragen. Seine Sache ist das nicht.

Also haltet ihn nicht zu lange auf. Irgendjemand auf dieser Welt benötigt dringend Hilfe; irgendwogibt es Opposition, die seinen Rat braucht; Initiativen brauchen ihn als Organisator und Aktivisten –und schließlich ist da noch sein Garten. Der muss winterfest gemacht werden.

Herzlichen Glückwunsch zum 70. Geburtstag, lieber HG!

In alter Freundschaft Dein Wolfgang Stather

Wolfgang Stather ist seit 1973 in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit tätig und Fachanwalt für Arbeitsrecht,Heidelberg.

NORBERT TRAUTWEIN

Annäherung an HG

HG Lang – Kollege, Freund, Mitbewohner, Verbündeter – über viele gelungene und gescheiterte Akti-vitäten könnte ich berichten. In 34 gemeinsamen »Gewerkschaftsjahren« kommt viel zusammen. Auchwenn wir in der Regel getrennt agiert haben – aber immerhin selbst in Zeiten von HGs »Exil« warenwir, wenn nicht in konkreter Tagespraxis, so doch in der Diskussion über nach unserer Meinung sinn-volles gewerkschaftliches Handeln – sei es gesellschafts- oder organisationspolitisch – verbunden.

Was aber macht die vielen Geschichten und Diskussionen zu einer Geschichte, hinter der oder bes-ser durch die hindurch der »rote Faden«, also die Person HG, wenigstens annäherungsweiseerkennbar wird? Oder anders gefragt: Was verhindert, dass die vielen Geschichten zu beliebigenAnekdoten werden? Was ist das »Besondere«, das »Unverwechselbare«, das seine Arbeit in »unse-rer« Gewerkschaftsgeschichte erkennbar macht? Und – nicht nur nebenbei – in unserem persönli-chem Verhältnis?

Was ist das Konstante, Stabile, Kontinuierliche, das ihn gewappnet zeigte gegen tiefe Enttäuschun-gen und schwere Niederlagen? Ihn unverdrossen eben nicht zum Zyniker oder Fatalisten werdenließ? Was hielt seinen Willen, sich verändernd einzumischen, aufrecht?

Ich will versuchen diese Fragen nicht in einer sauklug-reflektierten Art von »Kriegsberichtserstat-tung« zu beantworten, zumal ich dazu auch viel mehr Platz brauchen würde. Zu groß wäre dieGefahr dann auch, so eklatante Konflikterfahrungen wie seine jahrelange Verbannung ins gewerk-schaftliche Exil oder die Androhung eines Gewerkschaftsvorsitzenden gegenüber einem anderenVorsitzenden, im Falle der Einstellung von HG die diplomatischen Beziehungen abzubrechen, zuexemplarischen Umgangsformen zu erhöhen.

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Schon gar nicht habe ich Lust, im Gestrüpp der politisch-ideologischen Auseinandersetzungen ab´68 den Versuch zu wagen, HGs Positionen oder politischem Verhalten nachzuspüren. Einmalabgesehen davon, dass sich meine Frustbereitschaft im Nachdenken über eine Zeit außerordentlichunproduktiver Auseinandersetzungen inzwischen gegen Null neigt, war das, so wie ich ihn erlebthabe, nie sein Problem. Er hatte und hat so etwas wie seinen Kompass. Klar, andere hatten einenandern, damit konnte er immer umgehen, aber er eben seinen eigenen. Wenn der sich, um gutzusammenzuarbeiten, als zuverlässig erwies, warum heute darüber streiten wollen.

Da sind andere Fragen viel nahe liegender: Woher nimmt diese Person ihre Sicherheit? Was schät-ze ich an ihm? Was kritisiere ich, und was habe ich von ihm gelernt?

I.

Meine erste Annäherung an HG, immerhin inzwischen ca. 34 Jahre zurück, hat sich Jahre später,HG war schon im Exil, in den Augen meiner Frau Chiout widergespiegelt. Sie war begeistert vondem ersten Treffen mit ihm und seinen Kolleginnen und Kollegen. Nicht so sehr wegen der vorge-tragenen Konzeption – wegen der strahlenden Augen von HG, mit denen er die Berichte, Erfah-rungen und Gefühle seiner Kolleginnen und Kollegen begleitet und kommentiert hat. Ich fand meineBegeisterung wieder. Wie schön zu erleben, wenn jemand so selbstverständlich eintauchen kann indie Erfahrungen derjenigen, mit denen er, ganz eng aneinander, und zunehmend miteinander seineVorstellung von Interessenpolitik entwickeln kann, ihre Probleme, Gedanken und Interessen stetszum Bezugspunkt nehmend.

Sofort war auch bei unserem ersten Treffen ohne alle ätzende damals übliche politische Abtaster-und Schubladenschieberei eine selbstverständliche Übereinstimmung entstanden, wie wir zusam-menarbeiten wollten, so einfach im Brechtschen Sinn: Es kommt darauf an, dass sich die Arbeiten-den in ihre eigenen Angelegenheiten einmischen. Wahrscheinlich haben wir es damals »schöner«ausgedrückt- Selbsterkenntnis und Autonomie stärken, Handlungsfähigkeit fördern, durch solidari-sche Praxis gewerkschaftlicher Organisierung Sinn und Kraft geben – so etwa.

II.

Ich kann mir vorstellen, dass manchen Kolleginnen und Kollegen das bisher Erzählte ein bisschennaiv-idealistisch angemutet hat oder vor lauter Menschen-Verliebt- und Offenheit nicht ganz ›dicht‹gegenüber dem Druck überbordender Kapitalinteressen. Tatsächlich aber war seine besondereFähigkeit, sich den Kolleginnen und Kollegen zuzuwenden, stets geleitet von dem, was ich als sei-nen Kompass bezeichnet habe. Er war eben auch ein knallharter Gewerkschafter und insoweitgefeit gegen opportunistische Beliebigkeit, wenn es ans Handeln ging. Da kann er eine manchmaldurchaus nervende Sturheit entwickeln, die man freilich altdeutsch positiv auch »Geradheit« nennenoder als »politische Moral« bezeichnen kann. Ich wenigstens kenne nur ganz wenige Kollegen, dieso konsequent ihren aus ihrer Sicht als richtig erkannten Weg gegangen sind und dafür auch bereitwaren, existentielle Risiken einzugehen. Deshalb mag ich ihn so.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: HGs »Gradheit« schätze ich gerade deshalb, weil sienichts mit Dogmatismus zu tun hat – was ja nahe liegen könnte. Dogmen nach meiner und sicher auch HGsErfahrung beanspruchen ewige Gültigkeit, um die machtpolitische Wirksamkeit von Organisationen – seies nun der katholischen Kirche oder irgendeiner kommunistischen Partei – ideologisch abzusichern. Dieeine hat gute Chancen zu überleben, weil Menschen nun einmal sterblich und verletzlich sind, die andereschlechte, weil der Nachweis einer besseren Idee, wie es den Menschen hier und zukünftig besser organi-siert gehen kann, nicht gelungen ist. Wie auch immer – die »Ewigkeitsdebatte« war und ist (ich wiederholemich da) nicht HGs Problem. Geradheit und Moral heißen für ihn: zu seinen Einsichten und damit verbun-denen Entscheidungen stehen, heißen aber auch, neue Einsichten, gewonnen aus der engen Kommunikati-

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on mit den Kolleginnen und Kollegen, praktisch wirksam zu machen. Gerade zu sein im komplizierten Ver-hältnis von Einsichten und Handeln – Kritik in Selbstkritik umzuwandeln, das ist bekanntlich schon so etwaswie übermenschlich. Aber wenn es für mich da so etwas wie eine Autorität gibt, dann ist sie HG geworden.

Ich habe das Gefühl, auch wenn wir zuweilen zu etwas depressiven Aussetzern neigen: Geradejetzt kann ich was von ihm lernen. Trotz meiner ungern gewachsenen Überzeugung, dass man imAltern nicht klüger, eher dümmer wird – vielleicht haben wir jetzt eine Chance, den Abstand, denwir in den vergangenen Jahren von der Tages-, besser Alltagsarbeit gewonnen haben, zu nutzen. Erhat andere Vorstellungen als ich, wie organisationspolitisch die möglichst beste Gewerkschaft ent-stehen kann und wie wir dazu beitragen können. Aber welches Recht habe ich denn zu meinen, ichhätte Recht? Aber wieso er? Da gibt es noch eine Menge zwischen uns zu klären.

Immerhin weiß ich, HG ist nicht der »ideelle Gesamt-Anti Apparatschik«, wie ihn manche gesehenhaben. Was er immer angestrebt hat, ist ein Gleichmaß an innergewerkschaftlicher Demokratie undgewerkschaftlicher Durchsetzungskraft – so wie ich auch. Schwierige Fragen, weil es dabei umzwei Fragen geht: Wie kann man Solidarität effektiv organisieren und wie gleichzeitig eine Ver-selbständigung der »Organisation« gegenüber denen, deren Interessen wir vertreten, so weit wieirgend möglich verhindern?

Keine neuen Fragen. Aber sie stellen sich halt immer neu. Ich bin sicher, ein paar neue Anregungenwird mir HG zu seinem 70sten geben. Mal abwarten.

Norbert Trautwein war viele Jahre Vorstandssekretär beim Bundesvorstand des DGB und beim Hauptvorstand derHBV.

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KARIN VOLKMER UND ERNST DOHR

Aller Anfang in Mannheim war nicht leicht.

HG war »Mineralwassertrinker«! Zusammen mit Sekretären und ehrenamtlichen Kolleginnen undKollegen hat er behutsam Neuerungen in der Bezirksverwaltung voran getrieben. Berichtsbogender Sekretäre über die Arbeit in den Fachbereichen wurden Arbeitsgrundlage für Sekretäre undehrenamtliche Gremien. So wurde für alle die Arbeit transparent.

Ja, und dann war da noch die »Loseblattsammlung« von AG-Urteilen. Die sortierte der »Chef« zumErstaunen mancher selber. Nicht ohne sie vorher über die »Umlaufmappe« neben vielem anderenbekannt gemacht zu haben. Immer nach dem Motto »Wissen ist Macht – aber für alle«! Akribisch,verantwortungsvoll, alle mitnehmend war sein Arbeitsstil.

Ach ja, die Sekretärsdienstbesprechungen. Sinnvoll, aufschlussreich – und nicht von allen geliebt:Erledigtes aufarbeiten, in Planung Befindliches allen bekannt machen, durchgehend informieren.Eine sinnvolle Einführung.

Hobby?! Der Adresscomputer. Den ließ er stets auf den neuesten Stand bringen. Den Kreis der zuInformierenden stetig zu erweitern, das war sein Ziel!

So wie überhaupt die noch stärkere Einbeziehung der ehrenamtlichen Kolleginnen und KollegenHG am Herzen lag. Jede und jeden mitnehmen. Sie dort abholen, wo sie stehen. Vom Lagerarbei-ter bis zum Verlagsangestellten, vom Bänker bis zur Verkäuferin. Dort, wo wir nicht mehr oder nochnicht so präsent waren, ermunterte er immer wieder zum Mut – auch zur kleinen Teilnehmerzahl.

HBV in der Öffentlichkeit (auch in der gesamten Bezirksverwaltung) weiter bekannt zu machen, wardarüber hinaus ein Ziel vieler Aktionen: die Menschenkette zum Ladenschluss in Mannheim, dievom Wasserturm über die Planken bis zur Kurpfalzbrücke reichte; »Geisterstunde« und »Nikolaus-aktion« in den Kaufhäusern von Heidelberg zur Verteidigung des Ladenschlussgesetzes, die»Raupe« (auch »Tarifschlange« genannt – mehrere KollegInnen bewegten sich in einem Schlauchzusammen durch die Kaufhäuser und verteilten Flugblätter, s. Foto-Dokumentation) und vieles mehr.Nicht zu vergessen die Mitgliederwerbung – dazu ein Schlagschlicht: 19.30 Uhr, HG noch immerim Büro: Auch ein Werber, der nur ein einziges Mitglied geworben hatte, sollte ein Dankesschrei-ben und ein kleines Präsent erhalten. Anschreiben und Präsent eintüten, Adresscomputer an – undab auf den Postweg!

Die Zusammenarbeit mit HG war harmonisch, wie auch sein Arbeitsstil. Verbindlich, arbeitsintensiv.Dabei war er stets vorne dran.

Lachen konnte HG herzlich. Aber vor manchem Scherz musste man ihn schon aufmerksam machen»Achtung Scherz!«.

Karin Volkmer und Ernst Dohr waren 1996, als Heinz-Günter Lang zur hbv nach Mannheim kam, HBV-Haupt-amtliche.

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EWALD WEHNER

»Kein Ruhestand« – HG wird 70!

Als sich vor ca. acht Jahren in einer Konferenz in Frankfurt a.M. die »Initiative zum Aufbau einesNetzwerks der Gewerkschaftslinken« gründete, wurde, »wie es sich so gehört«, ein Sekretariatgegründet. HG Lang und ich sollten es besetzen. Er vom »express« und ich vom »Gewerkschaftsfo-rum« des »Sozialismus« benannt, sollten wohl das politische Spektrum abdecken.

Beide Zeitschriften waren sozusagen die Hebammen bei der Netzwerksgründung. Die eine undog-matisch links (was immer das heißt), die andere mehr traditionell-ökonomistisch.

Im Nachhinein betrachtet haben die Kolleginnen und Kollegen mit unserer Nominierung gar keineso schlechte Entscheidung getroffen: Jeder von uns beiden – Rentnern – hatte eine teils gemeinsa-me, teils unterschiedliche gewerkschaftliche Biographie, gute und schlechte, auch leidvolle Erfah-rungen mit Organisationen und Apparaten und denen, die sich ihrer bedienten.

Dass HG jetzt 70 wird – dreieinhalb Jahre jünger als ich – zeigt auf eine lange Prägephase hin, ausder wir unsere haupt-, ehren- und nebenamtlichen Erfahrungen, so oder so verarbeitet, einbringenkonnten.

Die Unterschiedlichkeit weist, neben anlagebedingten Gründen, sicher auch auf die Bezugsperso-nen und die Gruppierungen hin, mit denen jeder von uns zu tun hatte – schließlich waren die»Gewerkschaftslinken« nicht die ersten, mit denen wir es zu tun hatten.

Eine politisch bewertende Betrachtung der zurück liegenden acht Jahre »Gewerkschaftslinke« fälltsicherlich differenziert aus: Es ist das wichtigste Ergebnis, dass es uns, das Netzwerk – so langegegeben hat und noch gibt. Das dürfte einmalig sein in der Geschichte der Arbeiterbewegung.Dabei hat es im Arbeitsausschuss und in den Konferenzen manchmal geknistert, war es für HG undmich auch ärgerlich, polarisierten die Auffassungen – und das bei wechselnden Beteiligungen imArbeitsausschuss –, war unklar, wer eigentlich wen vertritt, eben Veranstaltungen ohne Satzung,Statuten und Geschäftsordnung. So sind sie halt, die (oft imaginären) Linken.

Forderungen nach mehr Verbindlichkeiten, mehr Zentralismus wehrte HG mit der Bemerkung »Wirsind kein Zentralkomitee« ab. Recht hatte er, und so blieb der Arbeitsausschuss ein Info-Kreis, in demdie jeweils Anwesenden ihre Erfahrungen und Meinungen austauschten und ihre Wut zum Aus-druck brachten, zu Recht oder zu Unrecht, darüber wurde oft gestritten.

Für das Sekretariat brauchten HG und ich auch keine Geschäftsordnung. Es klappte auch so. Manch-mal ohne Absprache tat jeder das, was notwendig war. Erstaunlich, wir konnten uns »blind« aufeinanderverlassen. Unsere besten Zeiten hatten wir – aus meiner Sicht – in den Arbeitsgruppen der »Gewerk-schaftslinken«: Betriebsrätearbeit, Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes, betriebliche Gewerk-schaftsarbeit. Die Broschüren, die wir gemeinsam gemacht haben, werden heute noch gelesen undhaben Eingang in die gewerkschaftliche Bildungsarbeit gefunden – soweit es diese noch gibt.

Jetzt haben wir dem Arbeitsausschuss mitgeteilt, dass wir Schluss machen wollen mit dem Sekretari-at – spätestens zum Ende des Jahres. Es ist auch Zeit für zwei emeritierte Gewerkschaftssekretäremit »70+«. Wir werden uns sicher nicht in den Sessel setzen, die Hausschuhe anziehen und – wieman/frau sagt – in den »wohlverdienten Ruhestand« begeben. Wir werden, auch wenn wir nichtmehr »Sekretariat der Gewerkschaftslinken« sind, »linke Gewerkschafter« bleiben.

Ewald Wehner war Mitglied des Geschäftsführenden Hauptvorstandes der DPG, ist seit Anfang 1994 Beratervon Gewerkschaften und Betriebsräten und bildet noch bis Ende 2005 gemeinsam mit HG Lang das Sekretariatdes Arbeitsausschusses der Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken

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EDGAR WEICK

Betrachtungen zum »aufrechten Gang«

Natürlich wird jeder für sich beanspruchen, aufrecht durchs Leben gegangen zu sein. Wer willschon zugeben, dass er sich gebeugt, geduckt, versteckt, gedrückt hat? Wer will dazu stehen, dasser ausgewichen ist, den Widerspruch und Widerstand gescheut hat, wo es nötig gewesen wäre,nein zu sagen? Wer bekennt sich dazu, dass er Konflikten am liebsten aus dem Weg geht, dasgeringere Übel akzeptiert und so gut über die Jahre gekommen ist? Den Vorwurf des Opportunis-mus will niemand einstecken, der sich für das Pragmatische entschieden hat und damit auch Erfolgevorweisen kann. Aufrecht sind alle durchs Leben gegangen, die nicht verlegen sind, die Elastizitätund Flexibilität ihres Charakters zu erklären und zu begründen.

Wovon soll also hier die Rede sein? Von der Geradlinigkeit auf den krummen Wegen des Lebens.Von der Unbeugsamkeit, wo das Anschmiegen und Mitmachen erwartet wird. Von der Unverzicht-barkeit politischer und letztlich auch moralischer Prinzipien in einer Zeit, in der der angebliche»Wandel« alles zur Disposition stellt. Aufrechter Gang als Kategorie des Politischen in einememphatischen Sinne, davon soll hier die Rede sein.

Verschlissen scheint der Begriff zu sein, der allzu oft und billig verwendet wird. Kleingeredet wurdeer, seiner Herkunft und seines Gehalts beraubt. Erkennbar sind die Folgen dieses Verschleißes. Eshat nichts mehr Bestand, was dem Menschen in der Aussichtslosigkeit dieser Zeit Orientierung undMaßstab für sein Verhalten geben könnte. Warum dennoch an diesem Bild einer humanen Existenzunter den Bedingungen des Inhumanen, an diesem Begriff, der in eine andere Zukunft weist, fest-halten?

Für Ernst Bloch, dem dieser Begriff zugeschrieben wird, ist der »aufrechte Gang« unmittelbar undzielbestimmend mit der menschlichen Würde verbunden. Sie hat für ihn naturrechtlichen Ursprung,steht im Gegensatz zu einem auf Herrschaft bezogenen Recht, dem Recht der Obrigkeit, das Ein-ordnung erzwingen soll. »Naturrecht ist von Haus aus revolutionär«, sagt Bloch in einem Gespräch,es ist das Recht des Menschen auf seine Befreiung. Ihr gesellschaftlicher Ort ist das Soziale, ihr Zielist Solidarität und hergestellte Würde, ihre Instrumente sind die erkämpften Rechte und Freiheitender Meinungsäußerung, des Versammlungsrechts, des Koalitionsrechts, des Streikrechts. »Aufrech-ter Gang« ist die einzig mögliche Bewegungs- und Verkehrsform des Gewerkschafters. Gewerk-schaftsarbeit kann und darf daher nichts anderes sein, als die ständige Einübung und Ausübung die-ser Gangart, denn anders wären die Ziele nicht zu erreichen, für die die Gewerkschaften historischeinmal angetreten sind. Schon der gedankliche Verzicht muss notwendigerweise zur programmati-schen und strategischen Unterernährung und damit zum Dahinsiechen führen.

Das Bild des »aufrechten Gangs« hat den gesellschaftlichen Gegenentwurf zu den kapitalistischenAusbeutungs- und Herrschaftsverhältnissen aufgenommen, vorstellbar, mit Klang und Kraft. Dasmuss man wollen, mit ungebrochenem Entschluss und anhaltender Entschiedenheit und mit demmoralischen Hintergrund, der in die Autonomie des Subjekts die Leidensgeschichte aufnimmt, derdoch ein Ende bereitet werden soll. Das Bild des »aufrechten Gangs« hat eine menschheitsge-schichtliche Begründung und in hohem Maße eine unverzichtbare alltagsethische Schubkraft. Sieerst führt aus der Erkenntnis der Geschichte zu politischem Verhalten und Handeln.

In der persönlichen, aber auch in der kollektiven Lebensgeschichte ist diese Schubkraft auf »erneu-erbare Energien« angewiesen. Kaum jemand weiß das besser als derjenige, der die Verhältnisseändern will und nach Niederlagen nicht nur das Lied aus den Bauernkriegen anstimmen will:»Geschlagen kehren wir nach Haus, die Enkel fechtens besser aus ...«. Orte, an denen diese Ener-gien gewonnen werden können, sind rar geworden. Auch der utopische Vorrat scheint aufgezehrt.Kostbar sind die verbliebenen Erkenntnisse geworden, die noch auf eine andere, eine bessere Welt

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verweisen. Daher ist das Verbliebene zu hüten und zu pflegen wie eine kostbare Wahrheit, mit derman nicht zu verschwenderisch umgehen darf. Und neue Anläufe scheinen notwendig, die Gangartweiter zu üben und im unwegsamen Gelände der Gegenwart das Niveau zu erreichen, von demaus Überblicke und Ausblicke zu gewinnen sind. Die notwendige Ausdauer und langer Atem istnichts, was wir von Geburt an mitbekommen. Beides gewinnt man durch Übung, durch Praxis. Poli-tische Kondition ist also durchaus über die Lebensjahre zu gewinnen und lässt sich erhalten in derLust am Aufspüren der Widersprüche, im öffentlichen und tätigen Einspruch und in gelebter Freund-schaft.

HG – wie er unter Freunden genannt wird – ist, solange ich ihn kenne, das gelebte Beispiel meinerBetrachtungen. Wir sind uns 1953 als junge Gewerkschafter im Darmstädter Gewerkschaftshaus inder Rheinstraße begegnet. Es war die Zeit der hinterhältig geplanten Wiederaufrüstung. Wir grün-deten und warben für den Verband der Kriegsdienstverweigerer. Wir organisierten mit ganz weni-gen Gleichgesinnten die ersten öffentlichen Demonstrationen gegen die Politik der Wiederaufrü-stung. Es war für HG eine Selbstverständlichkeit, sich der Ostermarschbewegung und der Kampa-gne für Demokratie und Abrüstung anzuschließen und aktiv im Hessischen Ausschuss mitzuarbeiten.Sein Name steht unter dem damals weit verbreiteten »Darmstädter Aufruf«. HG engagierte sich inden Aktionen gegen die Notstandsgesetze. Er hielt als hauptamtlicher Funktionär der IG Chemie inallem dem Druck stand, der auf diejenigen ausgeübt wurde, die mit der außerparlamentarischenOpposition auf die Politik in Bonn Einfluss nehmen wollten.

Als hauptamtlicher Gewerkschaftsfunktionär war er gegen alle Machenschaften des Apparats einunbeugsamer Verteidiger der innergewerkschaftlichen Demokratie. In einem Konflikt um die Kandi-datenaufstellung bei den Betriebsratswahlen der Fa. Merck in Darmstadt war 1972 für ihn derPunkt erreicht, an dem er sich entscheiden musste: Für die gewählten gewerkschaftlichen Vertrau-ensleute oder ein Paktieren mit Betriebsräten, die ihre eigenen und auch von oben gedeckten Inter-essen verfolgen wollten. HG kündigte sein Arbeitsverhältnis als Geschäftsführer der IG Chemie-Ver-waltungsstelle Darmstadt. (S. Dokumentation in dieser Broschüre.)

Die Wege des aufrechten Gangs sind selten die geradlinigen. Sie führen manchmal abseits der vonden Großorganisationen betonierten Pisten des Politischen. Für einige Jahre fand er an der Jugend-bildungsstätte Dietzenbach ein Betätigungsfeld, das es ihm erlaubte, in der Bildungsarbeit die Zieleaufrechtzuerhalten, für die er als Gewerkschafter seit seiner Jugend eingetreten war. Das gerade inHessen beschlossene Bildungsurlaubsgesetz bot einen Rahmen für kreative Formen der politischenBildung. Der Bruch mit den Oberen der IG Chemie war geradezu die Gewähr für eine basisorien-tierte Bildungsarbeit, die nicht nur in der IG Chemie ausgegrenzt und diffamiert wurde. Dietzen-bach war ein gesuchter Ort zur Regenerierung gewerkschaftlicher Energien. Dass es HG zurück zueiner hauptamtlichen Funktion drängte, die er dann bei der Gewerkschaft HBV fand, mag nach sei-nen Erfahrungen verwunderlich sein. Doch dies geschah in einer Zeit und unter Umständen, die mitder Hoffnung und gar nicht mit der Zuversicht verbunden waren, wieder unmittelbarer auf gewerk-schaftliche Praxis Einfluss nehmen zu können. Hoffnung kann enttäuscht werden, sonst wäre siekeine Hoffnung. Unbeugsam auch dieser Enttäuschung standzuhalten, das ist in Zeiten der Dürredie einzige Chance, die Kategorie der Möglichkeit geschichtsmächtig zu erhalten. Auf seinem Wegist HG nicht alleine. Wir wünschen ihm und uns, noch viele Jahre seine Begleiter sein zu können.

Edgar Weick, Jahrgang 1936, in den 50er Jahren in der gewerkschaftlichen Jugendarbeit und in der SPD-Linkenin Darmstadt engagiert, in den 60er Jahren Referent in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit, beruflich bis 1999in der Erwachsenenbildung tätig. Im Sozialistischen Büro Mitarbeit an der Sozialistischen Betriebskorrespondenzund viele Jahre Mitglied der express-Redaktion.

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II.

Stationen

in Bildern

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Nanz-Eppenheim, Warnstreik 1988

Demo gegen Verlängerung der Ladenöffnungszeiten, Heidelberg

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»Geisterstunde«

»Raupe«

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»Menschenkette« zur Verteidigung des Ladenschlussgesetzes

»Menschenkette« – vom Wasserturm über die Planken bis zur Kurpfalzbrücke

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Aktionen gegen Ladenschluss-Änderung – HG in Aktion

Ladenschluss-Aktion

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Aktion in der Tarifauseinandersetzung

Versammlung

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Demonstration gegen den Kosovo-Krieg, Berlin 1999

Demonstration gegen den Kosovo-Krieg, Berlin 1999

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express-Fest 2002: 40 Jahre express

express-Fest 2002: 40 Jahre express

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SeniorInnenehrung

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Einleitung zur Dokumentation

Im Folgenden veröffentlichen wir eine Auswahl von Beiträgen, die HG in den vielen Jahren seinerMitarbeit beim express geschrieben hat. Zu seiner publizistischen Tätigkeit gehörten auch Veröf-fentlichungen in den Jahrbüchern »Gewerkschaften und Klassenkampf« bzw. der Nachfolgepubli-kation »Kritisches Gewerkschaftsjahrbuch«, in der express-Vorläuferzeitung »sozialistische Betriebs-korrespondenz« (die später mit dem »express international« zum »express« fusionierte), den SB-Publikationsreihen »Betrieb und Gewerkschaft« sowie »Informationsdienst Arbeiterbildung«, derexpress-Beilage »express-plakat«, der »Buschtrommel« und vielen weiteren Broschüren – vielesdavon unter Pseudonym erschienen oder als Redaktions-Kollektiv verfasst. Seine Veröffentlichungenzeigen HG als einen Gewerkschafter, der nicht nur in Gremien, sondern auch publizistisch für Trans-parenz und Demokratie in der Gewerkschaft stritt und sich so im Gegensatz zu vielen anderenbefand und befindet, die meinen, man müsse eine Gewerkschaft wie ein Unternehmen »leiten«. Die-ser Unterschied ums Ganze betrifft sowohl die Frage innergewerkschaftlicher Demokratie und Wil-lensbildung als auch die Bedeutung der Gewerkschaften für gesellschaftliche Veränderungsprozes-se und ihr »politisches Mandat«. Beides zieht sich als roter Faden durch die Beiträge:

Im Mai 1952 protestierte die damalige IG Druck und Papier nach Beschluss des DGB Bundesvor-stands gegen eine Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes in einem 2-tägigen Streik. DieGewerkschaften kritisierten vor allem, dass die vorgesehene Betriebsverfassung die Vertretung derBeschäftigten in Betrieben ausschließlich den von allen gewählten Betriebsräten überließ, die überkeinerlei gewerkschaftliche Rechte (so z.B. das Streikrecht) verfügten, und die Gewerkschaften aufdie Aufgabe überbetrieblicher Tarifverhandlungen beschränkte. Das Gesetz wurde verabschiedet.In einigen Betrieben hatte man schon seit 1946 versucht gewerkschaftliche Vertrauenskörpern zubilden. Nach Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes 1952 erfuhren sie eine Aufwer-tung: Sie sollten gegenüber den schon gesetzlich zur Kooperation mit der Unternehmensleitung ver-pflichteten Betriebsräte ein gewerkschaftliches Gegengewicht bilden und betriebliche Interessenge-gensätze deutlich zur Sprache bringen. Mit dem Zerfall antikapitalistischer Kritik in den Gewerk-schaften, der zunehmenden Anerkennung bestehender Verhältnisse, die es »sozialpartnerschaft-lich« zu lenken und verwalten galt (das DGB-Grundsatzprogramm von 1963 markiert hier eineWende), verblasste die Idee einer gewerkschaftlichen Gegenmacht im Betrieb. Der auf Kompro-miss und Partnerschaft orientierte Betriebsrat erschien nun als das geeignetere Instrument gewerk-schaftlicher Politik im Betrieb. Gewerkschaftliche Vertrauensleute, ohnehin nur in einigen Großbe-trieben vorhanden, wurden in die Tätigkeit des Betriebsrats eingebunden und von diesem kontrol-liert. Wo dies nicht so recht gelingen wollte, griff man zu schärferen Maßnahmen. In der IG Chemieerfand man sich einfach »Vertrauensleute« neuen Typs. Diese sollten nicht mehr von den Gewerk-schaftsmitgliedern im Betrieb gewählt werden, sondern wie der Betriebsrat von allen Beschäftigtenund außerdem vom Vorstand der jeweiligen Verwaltungsstelle »bestätigt« werden. Die Auseinan-dersetzung innerhalb der IG Chemie um dieses neue Konstrukt zog sich nicht nur über Jahre hin,sondern hatte auch eine bis dahin beispiellose »Säuberung« der Gewerkschaft zur Folge. Es wur-den Funktionäre gemaßregelt oder gar entlassen, Mitglieder ausgeschlossen. Manchmal genügtees, wenn ein Mitglied oder Funktionär den wachsenden Mangel an innergewerkschaftlicher Demo-kratie kritisierte, zumeist aber traf es diejenigen, die den neuen sozialpartnerschaftlichen Kurs derGewerkschaft und die damit verbundene erweiterte Machtstellung einiger Großbetriebsräte in derOrganisation theoretisch und praktisch in Frage stellten.

Die Gewerkschaftstage der IG Chemie hatten von da an einen einzigartigen Verlauf. Der Vorstandbeschloss ohne Delegierte, die Delegierten stellten Anträge ins Leere, und als Ausbund gewerk-

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schaftlicher Politik wurde die Loyalität zur bestehenden SPD Regierung erklärt. Diese sollte sich in»maßvoller« Lohnpolitik und der Ablehnung jeglicher Streiks (auch bei anderen Gewerkschaften)niederschlagen. Damit allerdings – nicht jedoch mit ihrer »Säuberungsaktion« – stand die IG Che-mie lange Zeit ziemlich allein unter den Gewerkschaften. Ab Mitte der 70er Jahre entstanden dieGruppen der von der Gewerkschaft Ausgeschlossenen, von denen die aus der IG Metall geworfe-ne »plakat«-Gruppe die berühmteste wurde. Sie wandten sich mit manchmal erheblicher Unterstüt-zung durch Belegschaften gegen den »Schmusekurs« vieler Betriebsräte.

Im Laufe diese Auseinandersetzung, die sich in der IG Chemie zunächst an der Rolle der Vertrau-ensleute entzündete, hat HG zwar 1973 die IG Chemie verlassen (s. Dokumentation), aberzugleich- wie seine folgenden Artikel aus dem express bezeugen- »von außen« weiter eindeutigStellung bezogen und jene Gruppen der Ausgeschlossenen, die sich bei Bayer oder Höchst dazuentschlossen hatten, ihre Politik des Widerstands gegen »Sozialpartnerschaft« im Betrieb fortzuset-zen, auch praktisch unterstützt.

Dass das Thema Demokratie nicht nur das Innenleben der IG Chemie oder deren fragwürdiges Ver-ständnis von einem politischen Mandat der Gewerkschaft im Verhältnis zum »parlamentarischenArm« SPD betraf, sondern später auch die HBV und ver.di, zeigt sich an HGs Beiträgen zu Gewerk-schaftstagen der HBV kurz vor der Fusion und zur Fusion von ver.di selbst, verfasst zur Zeit von HGsTätigkeit als Landesleiter der HBV in Baden-Württemberg. Von Anfang an finden sich hier kritischbegleitende Kommentare zur Frage, ob das »Mega-Merger« die notwendige, alternativlose unddas heißt einzige Organisations(re)form als Antwort auf die Krise der Gewerkschaften sein müsse.Egal ob es um das Kooperationsprojekt der »fünf kleinen Tiger« (HBV, NGG, IG Medien, GHK,GTB), den »Deutschlandachter« (ÖTV, DPG, GdED, GEW, IG Medien, NGG, HBV, DAG) oder dieschließlich verbleibenden fünf Gewerkschaften ÖTV, IG Medien, HBV, DAG und DPG ging: Maß-stab der Beurteilung von Organisationsformen war immer, ob es um »die Gewerkschaftsbewegung... oder um die Erhaltung der eigenen Apparate und deren Finanzierung« geht (vgl. express Nr.10/1998). Und der Begriff Gewerkschaftsbewegung war dabei nicht wiederum ein Abstraktum,sondern die praktische Beantwortung der Frage: »was verbindet eine(n) Krankenpfleger(in), einenDrucker, Postboten mit einer Einzelhändlerin oder einem Bänker? Dass sie alle Lohnabhängige sind,soll ja der DGB abdecken.« (Ebd.) Aufhebung von Konkurrenz war hier zentrales Kriterium, und dasist – so lässt sich als roter Faden durch die Beiträge erkennen – ohne die betroffenen Menschenund ohne entsprechende Auseinandersetzungen und auch Kämpfe nicht zu machen. Dies weistjedoch auch weit hinaus über die damalige Debatte zur Fusion von ver.di: Hier geht es um diegrundlegende und immer noch aktuelle Frage, wie Menschen gewonnen werden können, ihreInteressen als Lohnabhängige gemeinsam zu formulieren und zu vertreten – in der Perspektive aufeine Aufhebung von Knechtschaft und Befreiung aus Unmündigkeit, in der die Verhältnisse die Men-schen halten.

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III.

Beiträge

von Heinz-Günter Lang,

alias A.D. Timm

– veröffentlicht im express

in den Jahren 1974 – 2000

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expr

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10.1

0.19

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Auf Grund der Erfahrungen mit den letztenBetriebsratswahlen 1972 im Bereich der Indu-striegewerkschaft Chemie-Papier-Keramik hatder Hauptvorstand jetzt neue Richtlinien fürBetriebsrätewahlen erlassen.

Bei den Betriebsratswahlen 1972 hatten u.a.bei den Firmen Merck und Röhm in Darmstadtlangjährige Betriebsräte keine sicheren Listen-plätze mehr von den Vertrauensleuten erhaltenund deshalb eigene Listen aufgestellt. Gegendiese Kandidaten wurde von der Verwaltungs-stelle Darmstadt ein Ausschlußverfahren einge-leitet. Der Beschwerdeausschuß hat die Aus-schlüsse abgelehnt. Die Gründe für die Ableh-nung sind bis heute nicht bekannt. (Siehe auch»express« 1/1973)

In den neuen Richtlinien heißt es zu denBetriebsratswahlen 1972: »Die Erfahrungen,die im Verlaufe der Betriebsratswahlen, insbe-sondere im Jahre 1972, gesammelt werdenkonnten, und die zunehmende politische Polari-sierung in der Bundesrepublik Deutschland las-sen den Schluß zu, daß sich bei künftigenBetriebsratswahlen mehr denn je von eigennüt-zigen Erwägungen geleitete Gruppierungenund Grüppchen um Mandate in den Betriebsrä-ten bewerben werden. Die Interessenvertretungder Arbeitnehmer gegenüber den Betriebs- undUnternehmensleitungen kann dadurch auf dasernsthafteste gefährdet werden.«

Die Tatsachen zeigten aber 1972, daß es sichbei den meisten »von eigennützigen Erwägun-gen geleiteten Gruppierungen...« um langjähri-ge alte Betriebsrate und rechte Vertrauensleutehandelte, die eher die Interessen der Unterneh-mensleitungen als die Interessen der Lohnab-hängigen gegen die Unternehmensleitungenvertreten haben. Deshalb geht es dem Haupt-vorstand der IG Chemie bei den Richtlinien fürdie Betriebsrätewahlen auch nicht darum, dieVertrauensleute aufzufordern, nur Kandidatenfür die Betriebsratswahlen vorzuschlagen, dieeindeutig die Interessen der Lohnabhängigenvertreten. Im Vorwort zu den Richtlinien heißt es:

»Jeder Kandidat, der für die IG Chemie-Papier-Keramik kandidiert, wird darzulegen haben,

wie er zu den Grundrechten und zu den Prinzi-pien der demokratischen Grundordnung steht.«

Eine Formulierung also, wie wir sie im Radikale-nerlaß der Bundesregierung für den öffentli-chen Dienst finden und die von Landesparteita-gen der SPD und einigen Gewerkschaftenscharf verurteilt worden ist. Dem Hauptvorstandist es aber offenbar wichtiger, die Betriebsrats-kandidaten auch auf die kapitalistische Eigen-tumsordnung festzulegen, die von den Unter-nehmerideologen als grundgesetzlich garan-tiert hingestellt wird, anstatt auf die Zielsetzung»die wirtschaftliche Ausbeutung der Menschenzu beseitigen«, wie sie in der Satzung der IGChemie in § 4 enthalten ist.

In den neuen Richtlinien ist jetzt zwar einigesklarer gegenüber den bisher geltenden Richtlini-en formuliert worden. So wurde klargestellt,daß die Vertrauensleute-Versammlung zur Auf-stellung der Betriebsratskandidaten nur dannbeschlußfähig ist, wenn mehr als die Hälfte derVertrauensleute des Betriebes daran teilneh-men. Falls die erste Vertrauensleute-Versamm-lung nicht beschlußfähig war, muß erneut einge-laden werden. Die zweite Vertrauensleute-Ver-sammlung ist dann in jedem Falle beschluß-fähig.

Für die Wahl der Betriebsratskandidaten unddie Aufstellung der Listen werden mehrere Ver-fahren angeboten. Danach muß sich die Ver-trauensleute-Versammlung darauf einigen, obsie nach Einzelabstimmung für jeden Listen-platz, Blockwahl für jeweils 5 Plätze, Rangwahloder alphabetischer Reihenfolge die Kandida-tenliste wählen wollen. Dies ist grundsätzlicheine Verbesserung der seitherigen Richtlinien, indenen dazu nichts ausgesagt wurde.

Allerdings kommt es für die Vertrauensleute beiAufstellung der Betriebsratskandidaten daraufan, durchzusetzen, daß die Kandidaten entwe-der in Einzelabstimmung für jeden Listenplatzoder in Form der Rangwahl – alle Betriebsrats-kandidaten stehen zur Abstimmung, der Listen-platz ergibt sich aus der Stimmzahl, die jederKandidat auf sich vereinigen konnte – ermitteltwerden.

IG Chemie:Neue Richtlinien für die Wahl der Betriebsräte

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express 15.11.1974

Nur diese Wahlverfahren garantieren eine wirk-liche demokratische Auswahl der Betriebsrats-kandidaten durch die gewerkschaftlichen Ver-trauensleute und bedeuten für die Betriebsrats-kandidaten eine stärkere Rückendeckung für sieselbst.

Für die Groß-Chemie wäre ein Wahlverfahren,wie es in dem Artikel von Willi Hoss, HermannMühleisen und Mario D’ Andrea in dieser Aus-gabe des »express« vorgeschlagen wird, eben-falls anwendbar. (S. Dokumentation in dieserBroschüre, Teil IV)

Eine wesentliche Verschlechterung kann dieBestimmung bedeuten, daß in Zukunft die Ver-trauensleute-Versammlung auch zu beschließenhat, »wieviel Kandidaten und Listen« für jedenBetrieb aufgestellt werden sollen. Die Ver-

schlechterung wird dann wirksam werden,wenn seitherige Betriebsräte nicht mehr das Ver-trauen der Vertrauensleute erhalten und des-halb eigene Listen, die nicht von den Vertrau-ensleuten akzeptiert werden, aufstellen wollen.

Gibt es nämlich hierüber keine Übereinstim-mung, so entscheidet nach den neuen Richtlini-en der Bezirk im Einvernehmen mit dem Haupt-vorstand. Von den Vertrauensleuten abgewähl-te oder nicht aufgestellte Betriebsratskandida-ten können dann auch in Zukunft hoffen, daßder Hauptvorstand ihre Listen als offizielleGewerkschaftslisten genehmigt, um Auseinan-dersetzungen wie nach den Betriebsratswahlen1972 aus dem Wege zu gehen.

A.D. Timm

IG Chemie – Statt eines Gewerkschaftstags

Auf dem Gewerkschaftstag 1972 der IG Che-mie wurde eine einmalige Verlängerung derAmtszeit des Hauptvorstandes auf vier Jahrebeschlossen, um zu vermeiden, daß derGewerkschaftstag in das Bundestagswahljahrfällt. Die Macht des Schicksals hat aber den klu-gen Plan zunichte gemacht. Gleichzeitig wurdeder Hauptvorstand beauftragt, Alternativen zurmethodischen Gestaltung und zum innerenAblauf von Gewerkschaftstagen vorzuschlagenund im Jahre 1974 eine Bundesarbeitstagungmit den Delegierten des Gewerkschaftstages1972 zu veranstalten. Diese Bundesarbeitsta-gung fand vom 7.-9.10.74 in Nürnberg statt.Der Hauptvorstand hatte 4 Arbeitspapiere zufolgenden Bereichen vorbereitet: 1. Tarifpolitik,2. gewerkschaftliche Betriebspolitik, 3. gesell-schaftspolitische Perspektiven, 4. technologi-sche Entwicklung »Der Wandel industrieller Per-sonalstrukturen«.

Bei der Eröffnung der Bundesarbeitstagungwurde von dem IG Chemie-Vorsitzenden KarlHauenschild erklärt, daß über Anträge zur Ver-änderung der Arbeitspapiere keine Abstim-

mung erfolgen kann, da es sich bei den 4 The-menbereichen nur um eine Auswahl aus derAufgabenstellung der IG Chemie handelt. Inder Diskussion müsse man auch mit Außenseiter-meinungen rechnen, dem Hauptvorstand gehees auch nicht um eine endgültige Meinungsbil-dung, vielmehr sollte die Diskussion in RichtungGewerkschaftstag 1976 weitergehen. DerHauptvorstand werde aus den Diskussionen her-aus eigene Anträge für den kommendenGewerkschaftstag erarbeiten.

Vom Hauptvorstand wurde versucht, die Teilneh-mer auf die Politik der SPD/FDP-Koalition festzu-legen. Offensichtlich wollte er Diskussionen dar-über vermeiden, wie die Gewerkschaften dieInteressen der Mitglieder gegenüber den Partei-en und der Bundesregierung vertreten können.

So wurden die Teilnehmer aufgefordert, auf dieMitglieder dahingehend einzuwirken, daß zumnächsten Gewerkschaftstag keine Anträge zurSozialisierung oder auf Überführung bestimm-ter Industriezweige in Gemeineigentum gestelltwerden. Auch müßte man sich überlegen, ob imJahr einer politischen Wahl, oder wenn wichti-

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15.1

1.19

74

ge politische Entscheidungen im Bundestaganstehen, evtl. anstehende Streiks bis nach denpolitischen Entscheidungen verschoben werdensollten.

Die Delegierten wurden aufgefordert, in diesemJahr keine Anträge auf Erhöhung des Steuerfrei-betrags für Weihnachtsgeld zu stellen, da dieBundesregierung solche Wünsche wegen derab 1975 geltenden Steuerreform doch nichterfüllen könne.

Bei der Diskussion über die These, daß es fürdie Arbeiter von morgen und übermorgen wich-tiger sein wird, gesellschaftliche Reformen zuerreichen, »als die Frage, ob die jährliche Lohn-oder Gehaltserhöhung 1% höher oder niedri-ger ausfällt«, wurde der Hauptvorstand von eini-gen Delegierten aufgefordert, im DGB auf eineDisziplinierung der ÖTV hinzuwirken, da diesedurch überhöhte Lohnforderungen die Refor-men verspiele.

Es komme aber auch darauf an, meinte ein Dis-kussionsredner, daß die Gewerkschaften in derLohnfrage Zurückhaltung üben, da man diesenicht nur von den Kapitalisten verlangen dürfe.

Die von einigen Diskussionsrednern gefordertePriorität für den Lohnkampf wurde in der Zusam-menfassung als Meinung einer Minderheit hin-gestellt, da der Zuwachs an realer Kaufkraftzugunsten staatlicher Reformen gegenüber derVergangenheit zurückgehen bzw. langsameransteigen würde. Mehr als Lohnzurückhaltungist dem Hauptvorstand als Konzept für dieDurchsetzung von Reformen nicht eingefallen.In der Diskussion über den Mitbestimmungskom-promiß der SPD/FDP-Koalition wurde erklärt,daß es keinen Grund geben würde, gegen dieVerabschiedung dieses Gesetzes zu sein. KarlHauenschild unterstrich diese Meinung undbetonte, daß die IG Chemie an diese Fragebesonnener herangegangen sei als die IGMetall. Die von einigen Diskussionsrednerngeforderte Urwahl der Aufsichtsratsmitglieder

durch die Belegschaft wurde von Karl Hauen-schild als Pseudo-Demokratie abgelehnt.

Abschließend stellte Hauenschild fest, daß esdarauf ankomme, die SPD kritisch zu begleitenund positiv zu unterstützen. Die Gewerkschaftenhaben sich für die Reformpolitik entschiedenund wollen keine Systemüberwindung. Für ihnsei privater Besitz an Produktionsmitteln nichtunvereinbar mit Demokratie. Es muß deshalbden Gewerkschaften gelingen, daß der Arbeit-nehmer von seinem Staat spricht.

In anderen Arbeitsgruppen konnten im wesentli-chen die gewerkschaftlichen Positionen, die aufden Gewerkschaftstagen 1969 und 1972erreicht wurden, gehalten werden.

Trotzdem wird das Ergebnis der Diskussionen inder Arbeitsgruppe »Gesellschaftspolitische Per-spektiven« auch auf die übrigen Bereichegewerkschaftlicher Arbeit Auswirkungen haben.Deshalb kommt es darauf an, daß die VL alleAngriffe auf ihre Mitbestimmungsrechte inner-halb der tarifpolitischen und der betrieblichenAuseinandersetzungen abwehren. Dies wirdihnen aber nur gelingen, wenn sie in der Lagesind, ihre Politik an den Bedürfnissen der Mit-glieder zu orientieren und wenn sie die Mitglie-der zu aktivem gewerkschaftlichen Handelngewinnen.

Entgegen den Intentionen der in Nürnberg vor-gelegten Arbeitspapiere, die von Karl Hauen-schild in seinem Schlußwort bereits als Positions-papiere bezeichnet wurden, müssen bereitsheute die Diskussionen in den Betrieben begin-nen, damit zum nächsten Gewerkschaftstag1976 Anträge vorgelegt und durchgesetzt wer-den können, die verhindern, daß die IG Chemiezu einem Wurmfortsatz rechtssozialdemokrati-scher Politik wird.

A.D. Timm

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express 20.04.1975

Die Tarifrunde 1975 für die Beschäftigten in derchemischen Industrie ist beendet, bevor sie rich-tig begonnen hat. Ohne daß die Vertrauensleu-te Forderungen aufstellen konnten, wurde am26.3.1975 ein neuer Tarifvertrag auf Bundese-bene vereinbart. Vom Hauptvorstand der IGChemie waren diese Verhandlungen mit demArbeitgeberverband gegenüber den Mitglie-dern als »Gespräche« getarnt worden. Es nah-men auch nur hauptamtliche Spitzenfunktionäredaran teil. Die Mitglieder, die bezirklichen Tarif-kommissionen und die Hauptamtlichen in denVerwaltungsstellen und den Bezirken haben dasErgebnis durch eine Rundfunkmeldung am1.4.75 erfahren. In vielen Betrieben haben dieUnternehmer noch vor der IG Chemie dieBeschäftigten über den Abschluß informiert.

Der Hauptvorstand hat gegenüber den Vertrau-ensleuten versucht, die Meldungen der Unter-nehmer damit herunterzuspielen, daß es sichbei diesem Abschluß nur um ein »Gesprächser-gebnis« handele und die bezirklichen Tarifkom-missionen das letzte Wort haben. Auf Grundder von den Unternehmern herausgegebenenInformationen, die höchstwahrscheinlich mitder IG Chemie abgestimmt waren, kann manjedoch davon ausgehen, daß der Hauptvor-stand dem Arbeitgeberverband konkrete Zusa-gen gemacht hat. Angesichts dessen haben diebezirklichen Tarifkommissionen, die jetzt darü-ber abzustimmen haben, nur noch die Funktion,den zentral ausgehandelten – als »Gespräch-sergebnis« verschleierten – Abschluß formal zuratifizieren, gegenüber unzufriedenen Mitglie-dern zu legitimieren und zu verteidigen. DasErgebnis der Geheimverhandlungen: 6,8%mehr Lohn und Gehalt, Unterstützungsfonds fürarbeitslose Chemiearbeitnehmer, Aufstockungder vermögenswirksamen Leistungen. Seit Ver-abschiedung der neuen Richtlinien für die Tarif-arbeit im Jahre 1972 war dies die erste Ver-handlung über Löhne und Gehälter in der che-mischen Industrie auf Bundesebene. DiesenTarifrichtlinien zufolge müssen die Vertrauens-leute rechtzeitig vor Beginn der Tarifverhand-lungen in den Willensbildungsprozeß für dieAufstellung von Forderungen eingeschaltetwerden. So war es auch in den vergangenen

Tarifrunden mehr oder weniger der Fall gewe-sen.

Bereits auf der Bundesarbeitstagung der IG Che-mie in Nürnberg im Oktober 1974 (siehe»express« Nr. 11/1974) wurde der Einfluß derVertrauensleute auf die Tarifforderungen kriti-siert. Vom Leiter der Tarifabteilung im Hauptvor-stand, Erwin Grützner, wurde erklärt, die Erfah-rungen der letzten Jahre hätten gezeigt, daß esvon »unten nach oben« nicht geht. Deshalb müß-te ein Weg gesucht werden, wie man Tarifrun-den vorbereiten könne, ohne gegen die Richtlini-en zu verstoßen. Eine solche Möglichkeit zurUmgehung der tarifpolitischen Richtlinien botsich jetzt dem Hauptvorstand. Das Rationalisie-rungsschutzabkommen im Manteltarifvertrag,das für das gesamte Bundesgebiet gilt und des-halb vom Hauptvorstand abgeschlossen wird,mußte neu verhandelt werden. Dies nahm erzum Anlaß, Forderungen zum Manteltarifvertragmit Forderungen zum Lohntarifvertrag in einem»Paket« zu verhandeln und einen kombiniertenAbschluß auszuhandeln. Solche zentral geführ-ten Paketverhandlungen gab es schon öfters; siehaben jedesmal dazu gedient, die Tarifkommis-sionen und die Mitglieder vom tarifpolitischenWillensbildungsprozeß auszuschließen.

Hinhaltetaktik des Hauptvorstandes –Vertrauensleute ausgetrickst

Gegenüber den Vertrauensleuten, die nach denRichtlinien bei den Vorbereitungen von Tarifver-handlungen einbezogen werden müssen, wur-de vom Hauptvorstand in Verbindung mit denBezirksleitern eine Hinhaltetaktik verfolgt, aufdie die meisten Vertrauensleute hereingefallensind. So hieß es in der »Gewerkschaftspost«vom Januar 1975, daß es wegen der »gespal-tenen Konjunktur« in der chemischen Industrienoch nicht ratsam ist, »schon jetzt von konkretennominellen Forderungen zu sprechen«. Mit derZusicherung, daß bundeseinheitliche Verhand-lungen nur über ein Arbeitsplatzsicherungsab-kommen erfolgen werden, wurden die Vertrau-ensleute vom Hauptvorstand hinters Lichtgeführt. Der Leiter der Tarifabteilung beimHauptvorstand, Erwin Grützner, erklärte: »DieIG Chemie erwartet, daß der Arbeitsring der

Chemietarifrunde ohne Vertrauensleute

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expr

ess

20.0

4.19

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Arbeitgeberverbände der chemischen Industriedie Verhandlungen (über ein Arbeitsplatzsiche-rungsabkommen; d. Verf.) baldmöglichst auf-nimmt, um kurzfristig zu einem positiven Ergeb-nis zu kommen, das würde die anstehendenLohn- und Gehaltsverhandlungen in den Betrie-ben wesentlich erleichtern.«

In der Delegiertenkonferenz der IG ChemieOffenbach erklärte der Vorsitzende der IG Che-mie, Karl Hauenschild, am 1.3.75, die IG Chemiewürde »nicht einfach ›abschreiben‹, was für denöffentlichen Dienst, für die Bau-Industrie oder dieMetall-Industrie vereinbart wurde. Das wider-spräche der Tarifautonomie«. Im gleichen Atem-zuge wurden alle Vertrauensleute, die sich seitherund auch in diesem Jahr für eine lineare Erhöhungder Einkommen einsetzten, als von linken Sektie-rer-Gruppen gesteuerte Irre abqualifiziert.

Noch in der »Gewerkschaftspost« für denMonat April wird davon gesprochen, daß die»zuständigen Tarifkommissionen in den näch-sten Tagen und Wochen zusammentreten, umüber den weiteren Verlauf der Tarifrunde zuberaten« und konkrete Forderungen abzuset-zen. Noch ehe diese Ausgabe der »Gewerk-schaftspost« in den Händen der Vertrauensleuteund Mitglieder war, stand das Ergebnis derTarifrunde 1975 fest. Tatsache ist, daß späte-stens seit Januar 1975 Gespräche zwischen derIG Chemie und dem Arbeitsring der Arbeitge-berverbände der chemischen Industrie auf Bun-desebene wegen eines Arbeitsplatzsicherungs-abkommens stattfanden. Der hessischen Tarif-kommission wurde bereits Anfang Dezember1974 mitgeteilt, daß die Lohn- und Gehaltser-höhung für 1975 sowie eine Aufstockung desTarifvertrages über vermögenswirksame Leistun-gen von seither DM 26 mtl. auf DM 52 mtl. indiese Gespräche auf Bundesebene miteinbezo-gen werden. Nach einer mehrstündigen Diskus-sion in der hessischen Tarifkommission, in der esim wesentlichen um die Einbeziehung der Ver-trauensleute ging, wurde festgelegt, daß dieVertrauensleute wie in der Vergangenheit überArt und Höhe der Forderungen diskutieren sol-len, sobald ein akzeptables Angebot aus den»Bundesgesprächen« vorliegt. Trotzdem lehnten5 Tarifkommissionsmitglieder die Einbeziehungder Lohn- und Gehaltsverhandlungen in die»Gespräche« auf Bundesebene ab.

Wie recht sie damit hatten, zeigt der weitereVerlauf der Geheimverhandlungen auf Bundes-ebene. Obwohl der Tarifvertrag über Löhne undGehälter zum 31.3.1975 ausgelaufen war, wur-den bis zum Ergebnis der Geheimverhandlun-gen am 26.3.1975 keine Forderungen von denTarifkommissionen beschlossen. Die bezirklicheTarifautonomie wurde mit einem Federstrichaußer Kraft gesetzt. Auch von den Mitgliedernder bezirklichen Tarifkommission wurde meistnichts unternommen, um die Kollegen in denBetrieben über die Taktik des Hauptvorstandesaufzuklären. In vielen Verwaltungsstellen wurdedie Durchführung von Vertrauensleuteversamm-lungen hinausgezögert oder in der Form abge-halten, daß über Forderungen noch nichtgesprochen wurde, da erst das »Gesprächser-gebnis« auf Bundesebene abgewartet werdensollte.

Arbeitsplatzsicherungsabkommen –Unterstützungsfond für Arbeitslose

Die IG Chemie hatte einen Vorschlag für denManteltarifvertrag erarbeitet, ohne daß die Ver-trauensleute oder die bezirklichen Tarifkommis-sionen in die Diskussion miteinbezogen waren.Dieser Vorschlag sah eine Verlängerung derKündigungsfristen bei Entlassungen durch denUnternehmer vor. Diese Kündigungsfristen soll-ten nach Betriebszugehörigkeit gestaffelt wer-den und zwischen 6 Wochen und 6 Monatenzum Ende eines Kalendervierteljahres betragen.Die gekündigten Kollegen sollten dann eineAbfindung erhalten, wenn sie ein bestimmtesLebensalter erreicht hatten. Die Höhe sollte sichnach dem Lebensalter und der Zeit der Betriebs-zugehörigkeit richten. Die niedrigste Abfindungsollte ein effektives Monatseinkommen ausma-chen. Die höchste Abfindung (Lebensalter ab55 Jahre und nach 20-jähriger Betriebszu-gehörigkeit) sollte 18 effektive Monatseinkom-men erreichen.

Die Chemie-Unternehmer durchbrachen dieseForderung der Gewerkschaft und schlugen dieBildung eines Unterstützungsfonds für entlasse-ne Chemiebeschäftigte vor. Mit diesem Vor-schlag konnten sich die Chemie-Unternehmerauch durchsetzen. Ab 1.10.75 erhalten»arbeitslos gewordene ChemiearbeitnehmerZuschüssse zum Arbeitslosengeld, wenn sie aus

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betriebsbedingten oder aus personenbedingtenGründen, die unverschuldet sind, entlassen wor-den sind«. Dies gilt aber nur dann, wenn derbetroffene Kollege mindestens 8 Jahre Betrie-ben der chemischen Industrie und davon minde-stens 4 Jahre einem Betrieb angehört hat. Dannerhält er für die Dauer der Arbeitslosigkeit,maximal bis zu einem Jahr, einen Zuschuß inHohe von 15% des Arbeitslosengeldes. DieFondsverwaltung wird paritätisch von Gewerk-schafts- und Arbeitgeberseite besetzt, wobeiauch die DAG und der Verband angestellterAkademiker (ULA) vertreten sein muß. Von den700.000 Beschäftigten in der chemischen Indu-strie sind z.Zt. ca. 21.000 arbeitslos. Dies ent-spricht einer Quote von 3%. Da bei Entlassun-gen sehr oft nach dem Prinzip vorgegangenwird, wer zuletzt kommt, geht zuerst, dürfte dergrößte Teil kaum die geforderte Betriebszu-gehörigkeit nachweisen können. In den Genußder Unterstützung wird also zum jetzigen Zeit-punkt nur ein kleiner Teil der arbeitslos gewor-denen Chemiekollegen kommen.

Es scheint deshalb auch den Unternehmernwesentlich mehr darauf angekommen zu sein,die IG Chemie in ihr »sozialpartnerschaftliches«Konzept einzubinden. Die Zukunft wird zeigen,ob die IG Chemie als zweite große Industriege-werkschaft nach der IG Bau-Steine-Erden denWeg des Unterstützungsvereins einschlagenoder ein Kampfverband für die Interessen derLohnabhängigen bleiben wird. Gewerkschafts-politisch bedeutsam ist dabei die Tatsache, daßmit der Vereinbarung über den Unterstützungs-fonds der gewerkschaftliche und betrieblicheKampf gegen Entlassung und Betriebsstillegungerschwert wird. Statt das Recht auf Arbeit ohneAbstriche zu vertreten, hat die IG Chemie eszugunsten eines zusätzlichen Almosen für Entlas-sene aufgegeben. Die Chemie-Unternehmer kön-nen nunmehr, mit dem Hinweis auf die Unterstüt-zungsleistungen, leichter Arbeiter »herausratio-nalisieren« als früher. Der Rationalisierungs-»schutz« dient in der gegenwärtigen Krisensitua-tion daher eher den Unternehmern als den Che-miearbeitern.

Lohn- und Gehaltserhöhung

Die vereinbarte Lohn- und Gehaltserhöhung ab1.4.1975 um 6,8 Prozent bedeutet in Hessen für

die Arbeiter eine Erhöhung zwischen DM80,04 und DM 99,18 mtl. Für die Angestelltenin Hessen beträgt die Erhöhung – in der jeweilshöchsten Altersstufe – zwischen 81 und 196DM mtl. Für die Auszubildenden wird die 6,8%Erhöhung auf volle 5 DM aufgerundet.

Die seither vom Unternehmer zu zahlende ver-mögenswirksame Leistung in Höhe von DM 26mtl. wird ab 1.1.1976 auf 39 und ab 1.4.1977auf 52 DM mtl. erhöht.

Dieses Gesamtergebnis wurde mit einerErklärungsfrist bis zum 18.4.1975 ausgestattet.Sollte eine bezirkliche Tarifkommission diesesErgebnis ablehnen, dann müßten Verhandlun-gen auf zwei Ebenen beginnen. Nämlich fürdas Arbeitsplatzsicherungsabkommen auf Bun-desebene und für die Lohn- und Gehaltser-höhung auf der jeweiligen Bezirksebene. Es istjedoch kaum zu erwarten, daß auch nur einebezirkliche Tarifkommission ablehnen wird, dasich niemand den Vorwurf einhandeln will,durch diese Ablehnung eine Regelung fürarbeitslos gewordene KoIlegen unmöglichgemacht zu haben. Der Hauptvorstand hat inseiner Strategie bestimmt eingeplant, daß es inden Betrieben einigen Ärger geben und er sichnach dem Motto: »Es darf gemotzt werden, Kol-legen« verhalten wird.

Die Reaktion der Vertrauensleute undTarifkommissionen

In fast allen Vertrauensleuteversammlungen, dienach dem Abschluß stattfanden, wurde heftigeKritik geübt. Bis auf Ausnahmen beschränktesich diese Kritik aber auf die Art und Weise, wiees zu dem Tarifabschluß gekommen ist. Inhaltli-che Kritik wurde in der Regel nicht geübt. Nurdie Vertrauensleute in Darmstadt haben auchdas materielle Ergebnis einstimmig abgelehnt.

Die Tarifkommissionen in den drei großen Che-mie-Bereichen: Nordrhein, Rheinland-Pfalz undHessen haben das Tarifergebnis angenommen.Dabei gab es in Hessen mit 10 Gegenstimmenden größten Widerstand. In Rheinland-Pfalzstimmten 5 und in Nordrhein 2 Tarifkommissi-onsmitglieder gegen die Annahme desAbschlusses.

Wie das Beispiel dieser Tarifrunde zeigt, kommtes nicht nur darauf an, bestimmte Mitbestim-

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mungsrechte der Gewerkschaftsmitglieder inihrer Gewerkschaft auf Kongressen durchzuset-zen. Die Mitglieder müssen auch darüberwachen und aktiv dafür eintreten, daß diese

Rechte von der obersten Schreibstube in Han-nover nicht eingeschränkt oder gar außer Kraftgesetzt werden können.

A.D. Timm

IG Chemie: »Unternehmerzitate nicht erwünscht« »Wenn man die Rolle der Gewerkschaften von ‘45 bis heute und in ihrerfrüheren Geschichte betrachtet, dann darf man wohl, ohne unbeschei-den zu sein, für die Gewerkschaften in Anspruch nehmen, daß sie eindemokratischer Stabilisierungsfaktor gewesen sind. Vielleicht sind dieUnternehmer noch einmal dankbar, wenn wir behilflich sind, mitbestimmten Radikalitäten von links und rechts in den Betrieben fertig zuwerden.«

(Karl Hauenschild, 1. Vorsitzender der IG Chemie, in einem Interview mitder »Wirtschaftswoche« 23/1971)

Für das Winterhalbjahr 1973/74 hatte die IGChemie-Papier-Keramik als Schwerpunktthemafür die Schulungen der Vertrauensleute das The-ma »Gewerkschaften und Betriebsverfassung«empfohlen. Als erstes Thema dieser Schulungs-reihe wurde behandelt: »Industriearbeit – Lei-stung auf Kosten der Gesundheit? – Möglich-keiten zur menschengerechten Gestaltung derArbeit«. Dabei wurde auch nachstehender Aus-zug aus einer Rede des Vorstandsmitgliedes derBASF, Dr. Hans-Albrecht Bischoff, als Teilneh-mermaterial mit eingesetzt. Der Artikel sollte fürdie Erreichung des Schulungszieles: Unterord-nung der »lebendigen Arbeit« als Funktion unterdas Kapitalinteresse der Gewinnmaximierung,exemplarisch eingesetzt werden.

»Nummern, Zeitgenossen, Brüder«

(aus einem Vortrag von BASF-Direktor Dr. Hans-Albrecht Bischoff)

»... Der Mensch steht keinesfalls etwa – wieNeoromantiker der Sozialpolitik es so gernsähen – im Mittelpunkt des Betriebes. Dort stehtetwas ganz anderes. Dort steht die Produktion,der sachliche, der wirtschaftliche Erfolg. Dennum ihretwillen ist der Betrieb da. ... Sein alleini-ger Zweck ist die Produktion von Gütern, von

Waren, die andere brauchen. Alle seine Mittelsind darauf ausgerichtet und miteinander dahin-gehend abgestimmt, dieses Ziel bestmöglich zuerreichen, d.h. so billig wie möglich und so gutwie möglich so viel Güter zu produzieren undabzusetzen wie möglich. Damit dies erreichtwird, muß der Betrieb funktionieren, muß jederseiner Teile funktionieren, müssen alle seinetechnischen und organisatorischen Mittel funk-tionieren.

Zu den Mitteln, die er hat und derer er sichbedient und bedienen muß, damit das Zielerreicht wird, gehören auch Menschen. Da alleMittel funktionieren müssen, müssen auch dieMenschen funktionieren. Was funktioniert, istFunktion. Der Betrieb braucht die Menschennicht als Menschen, die Gott bei ihrem Namengerufen hat, sondern als Funktionen. Er brauchtnicht den Franz S., nicht den Ernst K., nicht denHeinz B., sondern er braucht einen Schlosser,einen Kraftfahrer, einen Buchhalter. Franz S. istder Schlosser, Ernst K. der Kraftfahrer undHeinz B. der Buchhalter. Der Betrieb verwendetsie in diesen Funktionen, er braucht sie in diesenFunktionen, in keinen anderen.

Braucht er keinen Buchhalter mehr, weil dessenArbeit von einer Rechenmaschine übernommen

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wird, so muß er sich von Heinz B. trennen, sowertvoll dieser als Mensch auch sein mag.Denn dem Betrieb nützt der wertvolle Menschnichts, sondern ihm nutzte bisher der Buchhalter.Wird Ernst K. so nervös, daß er den Straßenver-kehr nicht mehr bewältigen kann, so muß derBetrieb sich von Ernst K. trennen. Es kann ihmnicht auf den Menschen, sondern nur auf denKraftfahrer K. ankommen. Da K. nicht mehrKraftfahrer sein kann, muß er gehen, und derBetrieb muß einen neuen Kraftfahrer einstellen,denn den braucht er.

Das klingt unmenschlich und ist auch unmensch-lich. Aber es ist nicht im moralischen Sinneunmenschlich, sondern in einem ganz nüchtern-

sachlichen. Der Mensch ist vom Betrieb nicht alsMensch, sondern als Funktion gefragt. DerMensch als solcher als Funktion, die er ausübenkann, alles. Ganze Berufe fallen weg, und dieMenschen, die sie ausübten, werden überflüs-sig, wenn sie nicht anders nutzbar sind: umge-schult oder umgelernt...

Funktionen und Funktionäre müssen alsowesensmäßig ersetzbar sein. Da sie innerer Teileines Ganzen – des Betriebes – sind, sind sieersetzbares Teil und – von der Kehrseite gese-hen – Ersatzteile. Ersatzteile müssen griffbereitdaher eingeordnet, gekennzeichnet, katalogi-siert sein, eine Nummer tragen. Das Wesentli-che und Wichtige an ihnen ist diese Nummer,

Dr. Hans-Albrecht Bischoff 6700 Ludwigshafen am Rhein 12.12.1974BASF Aktiengesellschaft

HerrnKarl HauschildVorsitzender der IndustriegewerkschaftChemie, Papier, Keramik3000 HannoverKönigswörther Platz 6

Sehr geehrter Herr Hauenschild!

Ich erfahre, daß schon wieder einmal im Rahmen einer Wochenendschulung der IG Chemie, Papier,Keramik in Verbert der völlig tendenziös ausgewählte Auszug aus einem Referat von mir behandeltworden ist, das ich im Jahre 1962 gehalten habe.

Das Referat füge ich in der Anlage bei, ebenso den fraglichen Auszug. Dieser ist scheinbar formell inOrdnung, weil er dem Wortlaut des Referats entspricht. Trotzdem ist er nicht nur geeignet, sondernwird dazu benutzt, aus ihm eine sachlich völlig falsche Schlußfolgerung zu ziehen. Das würde nichtgeschehen können, wenn man das Referat im Ganzen bringen würde.

Daß in der technologischen Wirtschaft der arbeitende Mensch als Nummer eingegliedert ist, undzwar bis hoch hinauf in die obersten Spitzen, kann im Grunde gar nicht zweifelhaft sein, weil dasUnternehmen und der Betrieb funktionieren müssen. Wie man diesem Schicksal des arbeitendenMenschen in der technologischen Wirtschaft – und zwar völlig gleichgültig, ob kapitalistische, sozia-listische oder genossenschaftlich organisiert – begegnen kann, ist die entscheidende Frage, die andieser Stelle des Referats naturgemäß noch gar nicht angesprochen werden konnte. Bei der Benut-zung dieses Auszugs aus dem Referat, und nur dieses Auszugs, handelt es sich also um eine ausge-sprochen böswillige Interpretation.

Ich hatte wiederholt bei Herren der IG Chemie dieses Problem angesprochen. Es war mir zugesagtworden, diese mißbräuchliche Benutzung des Referats zu unterbinden. Aber es zeigt sich, daß vondieser Unterbindung leider keine Rede sein kann.

Ich wäre Ihnen doch dankbar, wenn Sie als Vorsitzender der Industriegewerkschaft Chemie, Papier,Keramik Ihre Autorität einsetzen würden, daß in Zukunft solche mißbräuchliche Benutzung unter-bleibt. Ich würde das im Interesse der guten Zusammenarbeit, die ich mit vielen Gremien und Herrender IG Chemie, Papier, Keramik habe, doch wirklich sehr begrüßen. Es wird Sie in diesem Zusam-menhang interessieren, daß nach etwa 10 Jahren, in denen ein solcher Mißbrauch kaum zu ver-zeichnen war, dieser nun in der DDR getrieben wird und von dort auf die Bundesrepublik ausstrahlt.Dieses, wie ich meine makabre Spiel, sollte die IG Chemie, Papier, Keramik wirklich nicht mitspielen.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr

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die angibt, wie sie als Ersatzteil verwendet wer-den können. Ein Mensch aber, dessen wichtig-stes, dessen Wesensmerkmal für den Betrieb dieNummer ist, die er trägt, ist selber Nummer.Und in diesem Sinne sind wir alle Nummern.Nummernsein gehört zum Wesen des Men-schen im industriellen Massenzeitalter.«

(Quelle: Informationsdienst des Männerwerks inRheinland-Pfalz. Nr. 2262. Verlag Botschaft undDienst)

Der Einsatz dieses Zitates führte zu einemSchriftwechsel zwischen Dr. Hans AlbrechtBischoff von der BASF und dem Vorsitzendender IG Chemie-Papier-Keramik, Karl Hauen-schild. Wir geben den Schriftwechsel (sieheKästen) ungekürzt und kommentarlos zur Kennt-nis:

A.D. Timm

Karl Hauenschild Hannover, den 20.12.1974Vorsitzender der Industriegewerkschaft Chemie, Papier, Keramik

HerrnDr. Hans-Albrecht BischoffDirektor derBASF Aktiengesellschaft

6700 Ludwigshafen am Rhein

Sehr geehrter Herr Dr. Bischoff,

ich kann Ihnen bestätigen, daß Sie wiederholt versucht haben, die mißbräuchliche Interpretation desnun schon beinahe überstrapazierten Zitats in Gesprächen mit mir und Kollegen unseres Hauptvor-standes zu unterbinden. Es hat auch an entsprechenden Versuchen meinerseits und meiner Kollegin-nen und Kollegen ganz bestimmt nicht gefehlt.

Aber wie das mit Zitaten so ist: Wenn sie einmal irgendwo gedruckt worden sind, werden sie in derFolgezeit von jedwedem, dem sie ins Konzept passen, immer wieder zitiert. Diese Erfahrung müssennicht nur sie machen, sondern davon kann auch mancher verantwortliche Gewerkschaftsfunktionärein Lied singen.

Ihr Schreiben vom 12.12.1974 nebst Anlage habe ich noch einmal allen Kolleginnen und Kollegenunseres Hauptvorstandes in Kopie zur Verfügung gestellt und hoffe, daß sie sich mit mir gemeinsambemühen, diese Angelegenheit nun wirklich zum Sterben zu bringen. Haben Sie aber bitte Verständ-nis dafür, daß nicht alles, was in einer so großen Organisation, wie wir sie sind, gesprochen odergeschrieben wird, von hier aus beeinflußt und kontrolliert werden kann.

Mit freundlichen Grüßen und den besten Wünschen für 1975

Ihr

Karl Hauenschild

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express 23.03.1976

1. Wirtschaftliche Situation

Die chemische Industrie mußte 1975 erstmalsseit 25 Jahren einen Produktions- und Umsatz-rückgang hinnehmen. Trotzdem ist es die Bran-che, die von der Krise als letzte betroffen wurdeund die sich mit unter den ersten befindet, diefür 1976 mit einer erheblichen Expansion rech-nen können.

Der Umsatz ist von 83,5 Mrd. DM 1974 auf 74Mrd. DM 1975 zurückgegangen. Die Investitio-nen in der BRD betrugen im vergangenen Jahr5 Mrd. DM, etwa 10% weniger als 1974. Dieausgewiesenen Gewinne sind um ca. 50%gesunken. Die Zahl der Beschäftigten wurde umca. 12.000 reduziert und betrug Ende des ver-gangenen Jahres ca. 660.000.

Inzwischen werden wieder Überstunden in vie-len Betrieben geleistet – nur vereinzelt stelltendie Betriebsräte dagegen die Forderung nachNeueinstellungen auf.

2. IG-Chemie-Boß Hauenschild für hoheUnternehmergewinne und niedrige Tarif-abschlüsse

Bereits im Dezember 1975 erklärte der Vorsit-zende der IG Chemie-Papier-Keramik Karl Hau-enschild: es ist zu ertragen, wenn die Unterneh-menseinkommen 1976 doppelt so stark wachsenwie die Arbeitnehmereinkommen – wobei esausreichend ist, wenn die vermuteten Preissteige-rungen bei den Löhnen ausgeglichen werden.

Ganz in diesem Sinne hat dann auch derHauptvorstand mit den Bezirksleitern die dies-jährige Tarifrunde vorbereitet. Von vornhereinwird auf jede Mobilisierung der Mitglieder ver-zichtet, weil: »in diesem Jahr die Partie ohnediesnicht auf Streik ... steht« und die Konfliktbereit-schaft der Lohnabhängigen minimal sei.

Dieses gern gebrauchte Argument von deruntätigen Basis wird immer dann benutzt, wenndie Gewerkschaften ihre eigene Untätigkeit ver-schleiern wollen. Denn immer noch erwartendie Gewerkschaftsmitglieder auch Handlungs-anweisungen von denen, die sie gewählthaben, damit eine gemeinsame Interessenver-tretung erfolgen kann.

3. Es darf gefordert werden

Am 11.2.1976 setzten Hauptvorstand undBezirksleiter eine Forderungsempfehlung an dieVertrauensleute auf:

»Angesichts der besonderen Konjunktursituationund wegen der anhaltenden Schwierigkeitenauf dem Arbeitsmarkt sollten die diesjährigenTarifabschlüsse eine soziale Komponente ent-halten. Der Hauptvorstand und die Bezirksleiterempfehlen den gewerkschaftlichen Vertrauens-leuten und den Tarifkommissionen, in diesemJahr eine Mischforderung aufzustellen, dasheißt:

auf die derzeitigen Löhne und Gehälter einenbestimmten Prozentsatz zu fordern, auf dendann ein Festbetrag aufzustocken ist, wobei dasSchwergewicht in der prozentualen Forderungliegen sollte. Die »soziale Komponente« darfalso dem Hauptvorstand zufolge – nicht zuhoch sein; diese würde freilich die Unternehmermehr kosten, da die Mehrheit der Beschäftigtennicht in den höchsten Lohn- und Gehaltsgrup-pen eingruppiert ist.

Wie man hört, soll die Forderung bei 5% und50 DM liegen, was einer Gesamtforderung von8,5% entspricht.

4. Zentralen Verhandlungen nicht abgeneigt

Obwohl der zentrale Tarifabschluß 1975 (siehe»express« 4/75) zu heftiger Kritik geführt hat,wäre Hauenschild auch 1976 bereit, einen zen-tralen Abschluß zu machen, wenn der Arbeitge-berverband ein »schnuckeliges Angebot in Rich-tung Vertrauensleute-Absicherung« machenwürde. Nach Abschluß der neuen Schlichtungs-vereinbarung ist ein zentraler Abschluß immerdann machbar, wenn Hauptvorstand und/oderArbeitgeberverband dies wollen. Man kannden Mitgliedern und Vertrauensleuten nur emp-fehlen, darüber zu wachen, daß keine Entschei-dung in den Tarifkommissionen getroffen wird,die nicht vorher mit den Vertrauensleuten undden Mitgliedern diskutiert und entschieden wur-de.

Chemie-Tarifrunde 1976 hat begonnen

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5. Vertrauensleute haben nur Feigenblatt-Funktion

Die Vertrauensleute konnten zwar, anders als1975, ihre Vorstellungen von der Art und derHöhe der Forderung in diesem Jahr innerhalbder Organisation diskutieren, doch das Ergeb-nis der Forderung stand praktisch schon vorherfest.

Aus den bekannten Forderungen läßt sichunschwer erkennen, daß zumindest ein sehrgroßer Teil der Vertrauensleute mit der vorgege-benen Mischforderung nicht einverstanden war.Dies zeigen die Forderungen nach einem festenDM-Betrag bzw. die Forderungen mit einemgeringen Prozentsatz und einem hohen DM-Betrag.

Deshalb mußten auf vielen Vertrauensleute-Ver-sammlungen einige Hauptamtliche massiv ein-

greifen, um die Vorstellungen des Hauptvorstan-des durchzusetzen. So hatte die Verwaltungs-stelle Darmstadt vor Beginn der einzelnen Ver-trauensleute-Versammlungen in einem Rundbriefan alle Mitglieder die Empfehlung des Haupt-vorstandes verteilen lassen, um zu erreichen,daß die Vertrauensleute sich diese Empfehlungzu eigen machen.

Von einer echten Mitbestimmung der Vertrau-ensleute kann bei der Aufstellung der diesjähri-gen Tarifforderung nicht die Rede sein. NachAuffassung des Hauptvorstandes und derBezirksleiter der IG Chemie beginnt die Demo-kratie oben und muß nach unten durchgesetztwerden. Die Vertrauensleute hatten dabei dieAufgabe, diesem Vorgang die demokratischeLegitimation zu geben.

A.D. Timm

IG Chemie-Papier-Keramik Wer zu aktiv ist, wird ausgeschlossen

Gewerkschaftsausschlüsse bei derHoechst AG

Der Hauptvorstand der IG Chemie-Papier-Kera-mik hat mit 13 gegen 11 Stimmen bei einer Ent-haltung den Ausschluß gegen 6 Kolleginnenund Kollegen aus der Hoechst AG beschlossen.Bemerkenswert bei diesem Stimmenergebnis ist,daß eine Mehrheit der ehrenamtlichen Haupt-vorstandsmitglieder gegen den Ausschlußgestimmt hat.

Den Hauptvorstandsmitgliedern lagen umfang-reiche Material-Zusammenstellungen vor, dar-unter eine 10-seitige Ausschlußbegründung desgeschäftsführenden Hauptvorstandes. NachEröffnung des Ausschlußverfahrens durch dieVerwaltungsstelle Frankfurt/M. am 31.8.76.nahmen die vom Ausschluß Betroffenen zu dengegen sie erhobenen Vorwürfen Stellung. Sieversuchten deutlich zu machen, daß es ihnenum die Durchsetzung der gewerkschaftlichenArbeit in der Hoechst AG gegangen sei und sie

ihre Aktivitäten aufgrund der Richtlinien für dieVertrauensleute-Arbeit in der IG Chemie ent-wickelt hatten. Alle Betroffenen erklärten, es seiihnen keineswegs um eine Schädigung derGewerkschaft gegangen, sondern alleine dar-um, gewerkschaftliche Prinzipien und Inhalte indie Gewerkschaftsarbeit bei Hoechst einzubrin-gen. Alle gegen sie erhobenen Vorwürfe wur-den durch Gegenbeweise entkräftet. Auf dieseDarstellung und angebotenen Gegenbeweisereagierte der Geschäftsführer der Verwaltungs-stelle Frankfurt/M., Fritz Libuda, in einemSchreiben an den Hauptvorstand mit der Unter-stellung, daß es sich bei den Darstellungen derKolleginnen und Kollegen nur »um Schauspiele-rei handelt« und sich die Betroffenen als aktiveGewerkschafter tarnen. Als Beweis führte er an,daß eine der Betroffenen 1975 an einem Lehr-gang in der IG Chemie-Schule in Bad Münderteilgenommen hat und »dort gänzlich aus derRolle fiel«. Auch sei in einem Brief des Haupt-vorstandsmitgliedes, Hermann Rappe, eine

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express 15.04.1977

»eindeutig negative Grundeinstellung« festge-stellt worden. Libuda stellt dann, schon in ver-leumderischer Absicht fest, daß diese Grundhal-tung symptomatisch für alle Betroffenen ist.

Kein Wort davon, was diese Behauptung vonder »negativen Grundeinstellung« inhaltlich aus-sagt, auf was sie sich bezieht. Außerdem stehtdies in keinem Zusammenhang mit den erhobe-nen Vorwürfen gegen die vom AusschlußBetroffenen.

Anhörungsverfahren

Am 15.1.1976 wurde auf Antrag der Betroffe-nen eine mündliche Anhörung durchgeführt. Andieser nahmen drei Mitglieder des geschäfts-führenden Hauptvorstandes und der Bezirkslei-ter der IG Chemie von Hessen (als Zuhörer) teil.Aus der zusammenfassenden Darstellung, diedem Hauptvorstand bei der Ausschlußberatungvorlag, geht hervor, daß die Betroffenen alleihnen zur Last gelegten Ausschlußgründe wider-legen konnten und entsprechende Gegenbe-weise angeboten haben. Folgende Ausschluß-gründe sind dort aufgeführt:

1. Die Betroffenen bilden den Kopf einer oppo-sitionellen Gewerkschaftsgruppe. 2. In geheimer Wahl sei ein »Vorstand«

gewählt worden. 3. Sie haben ein Willensbildungs- und Infor-

mationssystem zur betrieblichen und über-betrieblichen Gewerkschaftsarbeit ent-wickelt.

4. Es sei ein Organisationsplan entwickelt wor-den, der 9 Info-Gruppen mit 73 Namenund Gebäude- und Telefonnummern enthal-ten würde.

5. Die Gruppe betreibe durch Flugblätter eineeigene Informationspolitik.

6. Sie seien die Initiatoren und Anführer derGruppe, die den Versuch unternommen hat,eine Gewerkschaft in der Gewerkschaft zugründen, um dadurch eine »Macht-ergreifung« auf schleichendem Wege zuerreichen.

Offenbar wurden die Gegenbeweise, die vonden Betroffenen in ihrer schriftlichen Stellun-gnahme und während des Anhörungsverfah-rens angeboten wurden, nicht überprüft, da dievorgenommenen Ausschlüsse nur mit Vermutun-gen und nicht mit Tatsachen begründet wurden.

Nur Vermutungen – keine Beweise

Zu der Behauptung, es handelte sich um eineoppositionelle Gewerkschaftsgruppe, stellt derHauptvorstand fest, daß »diese Annahme ... nichtglaubhaft widerlegt werden« konnte.

»Die Ausarbeitung über Sinn und Zweck vonInfo-Gruppen ... lasse darauf schließen, daßhier Gruppenarbeit an der Gewerkschaft vorbeibeabsichtigt und durchgeführt wurde.«

Die Herausgabe von Flugblättern beweise,»daß nicht Aufklärungsarbeit innerhalb dergewerkschaftlich zuständigen Beschlußgremi-en, sondern Informationspolitik neben derGewerkschaft, wenn nicht gegen die Gewerk-schaft betrieben wurde«. (Hervorhebung, d.Verf.) Interessant ist, daß der Vorwurf, eineneigenen »Vorstand« gewählt zu haben, nichtaufrecht erhalten wurde.

Gewerkschaftsarbeit bei Hoechst stagniert nach wie vor

Die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder hat sichtrotz einer breit angelegten Werbeaktion nichterhöht, sie ist in den letzten Monaten sogareher rückläufig. Auf jeden Fall konnte der Mit-gliederhöchststand von 1971 mit 10.311 Mit-gliedern bisher nicht erreicht werden, er liegtimmer noch deutlich darunter.

Rolf Brand hat sich als Vorsitzender desBetriebsrates erneut zum Vorsitzenden der Ver-trauensleute wählen lassen. Von 158 abgege-benen Stimmen erhielt er 110, 27 Vertrauens-leute stimmten mit nein und 21 enthielten sichder Stimme. Gegen 6 Vertrauensleute, die sichin der Versammlung zur Kritik an der Arbeits-weise des Betriebsrates – wie sie in der Doku-mentation der Hoechst-Kollegen dargestellt wur-de –, bekannten, wurde ein Mißtrauensantrageingebracht und von der Brand-Mehrheit durch-gesetzt.

Immerhin mag diese Art von Gewerkschaftsar-beit, wie sie von Rolf Brand und Fritz Libudarepräsentiert wird, dazu geführt haben, daß derAusschlußantrag nur mit einer Mehrheit vonzwei Stimmen durchgesetzt werden konnte. DenBetroffenen bleibt jetzt noch die Möglichkeit,den Beschwerdeausschuß anzurufen, der end-gültig entscheiden wird. A.D. TIMM

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Der Hauptvorstand der IG Chemie-Papier-Kera-mik hat am 14.12.1976 neue Vertrauensleute-Richtlinien beschlossen. Sie lösen die Richtlinienvom September 1972 ab. Die Änderungen wur-den damit begründet, daß es notwendig sei,von Zeit zu Zeit Klärungen herbeizuführen, not-wendige Ergänzungen vorzunehmen und dieRichtlinien insgesamt der Entwicklung anzupas-sen.

Auf den ersten Blick könnte man meinen, und sowird es auch vom Hauptvorstand dargestellt,daß es sich bei den vorgenommenen Änderun-gen um »keine weltbewegenden Veränderun-gen, sondern notwendige Klarstellungen« han-delt: Dies trifft auch für einige neue Bestimmun-gen zu. Bei einer genauen Gegenüberstellungder seitherigen mit den neuen Richtlinien kannman jedoch eine Reihe von Änderungen feststel-len, die eine Einschränkung der Vertrauensleute-Arbeit bedeuten. Bisher wurde z.B. die betriebli-che Abgrenzung der Vertrauensleute-Bereicheim Betrieb von der Verwaltungsstelle mit denVertrauensleuten des Betriebes vorgenommen.Dies bedeutete, die Vertrauensleuteversamm-lung beriet über die vorhandene Vertrauensleu-testruktur und konnte notwendige Veränderun-gen, wie z.B. kleine Betreuungsbereiche für dieVertrauensleute, beschließen. Diese Möglich-keit besteht jetzt nur noch für die Vertrauenskör-perleitung. Die Möglichkeit, in GroßbetriebenAbteilungs-Vertrauenskörper zu bilden, wurdebeseitigt. Während in der Vergangenheit dieVertrauenskörperleitungen der Verwaltungsstel-le für die regelmäßige Durchführung von Ver-trauensleute-Versammlungen verantwortlichwaren, ist dies jetzt nur noch im Einvernehmenmit der Verwaltungsstelle möglich. Diese Verän-derungen bedeuten eine engere Anbindung andie gewerkschaftliche Bürokratie und habenauch schon dazu geführt, daß zu Vertrauens-leute-Versammlungen, die von Vertrauenskör-perleitungen beschlossen waren, einfach nichteingeladen wurde, weil es dem einen oderanderen Geschäftsführer nicht in den Krampaßte. Initiativen aus den Betrieben heraus sindnicht mehr erwünscht.

Falsches Demokratieverständnis

In den Gewerkschaften hat sich in den letztenJahren immer mehr eingebürgert, wichtigeArbeitsrichtlinien für die Mitglieder und Vertrau-ensleute nicht mehr in der Satzung, sondern inRichtlinien zu regeln.

Für den gewerkschaftlichen Willensbildungspro-zeß heißt dies, daß die Delegierten aufGewerkschaftstagen allgemeine und formaleSatzungsbestimmungen beschließen, Richtlinienaber, in denen konkret die Gewerkschaftsarbeitim Betrieb und in der Organisation festgelegtwird, sind diesem Willensbildungsprozeß entzo-gen. Diese werden meist von den Hauptvorstän-den und in einzelnen Fällen vom Beiratbeschlossen. Dies bedeutet aber, je weiter wegvon den konkreten Erfahrungen der Mitgliederund Vertrauensleute solche Regelungenbeschlossen werden, desto mehr werden dieBedürfnisse der Gewerkschafts-Bürokratie indiese Richtlinien eingehen und um so wenigerRegelungen, die für die konkrete betrieblicheArbeit der Mitglieder und Vertrauensleute wich-tig sind.

Der Wust von Richtlinien

In der IG Chemie-Papier-Keramik haben dieRichtlinien, die vom Hauptvorstand bzw. vomBeirat beschlossen werden, schon einen größe-ren Umfang als die eigentliche Satzung. So gibtes in der IG Chemie: Vertrauensleute-Richtlinien,Richtlinien für die Tarifarbeit, Richtlinien für dieFrauen-, Jugend- und Angestellten-Arbeit, Richtli-nien für die Betriebsratswahlen, Richtlinien fürdie Wahl der Aufsichtsratsmitglieder, Streikricht-linien. Wie heißt es doch in der Vertrauensleute-Broschüre der IG Chemie: »Nicht von obennach unten, sondern umgekehrt von unten nachoben sind die Forderungen und Wünsche zuartikulieren«. Es wird Zeit, daß sich die Mitglie-der und Vertrauensleute selbst um ihre Richtlini-en kümmern und die Richtlinien-Kompetenz desHauptvorstandes beenden.

A.D. TIMM

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Einschränkung der Vertrauensleutearbeit

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Der 1. Mai 1978 fällt in eine Zeit, in der mehrals 1,2 Millionen Arbeitslose registriert sind.Experten schätzen, daß es einschließlich derDunkelziffer mehr als 2 Millionen Arbeitslose inder Bundesrepublik gibt.

Für mehr als 100.000 Jugendliche fehlen Aus-bildungs- und Arbeitsplätze. Seit Beginn der Kri-se, 1974, haben rund 700.000 ausländischeArbeiter die Bundesrepublik verlassen müssen,Frauen und ältere Lohnabhängige werden ausden Betrieben herausgedrängt und tauchen inkeiner Arbeitslosenstatistik auf.

Das »soziale Netz« – es ist sicher bessergeknüpft, als zur Zeit der Weltwirtschaftskrise inder Weimarer Republik – wird immer weitma-schiger, und vielen Lohnabhängigen bietet eskeinen Halt mehr.

Die 1. Mai-Feiern finden unter dem DGB-Motto»Recht auf Arbeit – Zukunft sichern« statt. Vor-stellungen, wie man diesem Motto in der prakti-schen gewerkschaftlichen Arbeit gerecht wer-den will, gibt es erst in Ansätzen. Dies gilt es vor-anzutreiben.

Noch am 1. Mai 1975 wurde von den meistenoffiziellen Mai-Rednern die Meinung vertreten,daß die hohe Arbeitslosigkeit nur ein vorüber-gehender Zustand sei und durch entsprechen-de staatliche Maßnahmen wieder schnellbehoben werden kann, wenn die Regierendennur wollen. Dies hat sich nun auch für die vehe-mentesten Vertreter einer an der Sozialpartner-schaft orientierten Gewerkschaftspolitik als Illu-sion erwiesen. Mit Appellen an Staat undUnternehmer ist diese bisher schärfste Krisedes westdeutschen Kapitalismus nicht zu besei-tigen.

Auch an diesem 1. Mai werden die meistenMai-Redner eine Reihe von Fragen, die für dieKolleginnen und Kollegen wichtig sind, nichtanschneiden. Dies gilt für die Fragen, die mitder Diskussion um den weiteren Ausbau derAtomkraftwerke und der Haltung der DGB-Gewerkschaften zusammenhängen. Auch dieProbleme, die sich aus der Forderung nach wei-teren Arbeitsplätzen in der Rüstungsindustrie

ergeben, werden nur »weiße« Flecken in vielenMai-Reden sein.

Wir haben im März 1978 die härtesten Aus-einandersetzungen der letzten Jahre zwischenKapital und Arbeit erlebt. In diesen Streiks ginges noch nicht um die Forderung nach Schaf-fung neuer Arbeitsplätze, um die Zahl derArbeitslosen zu beseitigen, sondern um dieErhaltung der vorhandenen Arbeitsplätze undum erste Auseinandersetzungen gegen diekapitalistische Logik bei Rationalisierungen undder Einführung neuer Technologien. DieseStreiks sind jetzt die erste Phase des Widerstan-des gegen eine Entwicklung, deren Auswirkun-gen die meisten Lohnabhängigen nur dumpfahnen. Der Kampf der IG Metall für Lohnsiche-rung bei Rationalisierung und im Alter ist nurdas erste Anzeichen einer Auseinanderset-zung, die in den nächsten Jahren auch in allenanderen Bereichen um sich greifen wird. DerKampf der Setzer gegen die Vernichtung einesganzen Berufsstandes ist der Anfang desWiderstandes gegen die Vernichtung der Exi-stenzbasis ganzer Gruppen von Lohnabhängi-gen einschließlich vieler Angestellten-Berufe.Auch die von der IG Druck und Papier und derIG Metall am weitesten entwickelten Möglich-keiten neuer tarifpolitischer Forderungen sinderst ein Anfang in der Entwicklung qualitativneuer tarifpolitischer Inhalte. Damit sind dieGrenzen der tarifpolitischen Möglichkeitennoch lange nicht erreicht, wie eine Reihe vonBeispielen in anderen westeuropäischenGewerkschaften zeigen.

In diesen Auseinandersetzungen wird es daraufankommen, ob von den DGB-Gewerkschaftenrechtzeitig erkannt wird, daß ein Kampf, der»nur« um die Erhaltung der Arbeitsplätze unddem Schutz vor der kapitalistischen Rationalisie-rung geführt wird, nicht ausreicht, um für dasHeer der Arbeitslosen wieder Arbeit zu schaf-fen. Das Recht auf Arbeit wird nicht allein indem einen oder anderen Wirtschaftsbereichverwirklicht werden können. Dazu bedarf esweitergehender Zielsetzungen und Kampfstra-tegien unserer Gewerkschaften.

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1. Mai 1978Ende eines Feiertages?

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Gelingt es unseren Gewerkschaften nicht, diebisher nur vorhandene verbale Solidarität vonArbeitenden und Arbeitslosen mit konkretenInhalten und Zielen zu verbinden, wird die Zahlder Gewerkschaftsmitglieder zurückgehen, weildie Mitgliedschaft von Arbeitslosen in Gewerk-schaften, die ihren Rausschmiß aus dem Produk-tionsprozeß nicht verhindern konnten, für diesedann sinnlos ist.

Das Ziel der Unternehmer ist klar: sie haben einmassives Interesse daran, die mehr als eine Mil-lion Arbeitslose als ewige Lohndrücker undAngstfaktoren zu erhalten. Die Mittel der staatli-chen Wirtschaftspolitik sind weitgehend daraufgerichtet, durch Finanzierung von Investitioneneine Ankurbelung der Wirtschaft zu erreichen.Diese Investitionen werden jedoch, da sie ohneAuflagen und staatliche Kontrollen gezahlt wer-den, von den Unternehmern unmittelbar zurRationalisierung verwendet und tragen damitzur weiteren Vernichtung von Arbeitsplätzenbei.

Auf die sozialpartnerschaftlichen Vorstellungender meisten Gewerkschaftsvorstände nehmendie Unternehmer wenig Rücksicht, weil sie nicht

sicher sein können, ob sich die Interessen derMitglieder nicht doch in den Gewerkschaftenstärker durchsetzen, als dies bisher der Fall ist.Dies wird deutlich an der harten Gangart, dievon Gesamtmetall schon lange vor der Metall-Tarifrunde eingeschlagen wurde. Ohne daßForderungen vorlagen und bevor die Tarifver-träge gekündigt waren, haben die Metall-Arbeitgeber sich schon auf Streik und Aussper-rung vorbereitet.

Die Streiks in den letzten Wochen haben neueInhalte und Ziele in der gewerkschaftlichenNachkriegspolitik deutlich gemacht. DieseKämpfe der Lohnabhängigen können die Vor-stufe eines sich wieder entwickelnden Selbstbe-wußtseins der Lohnabhängigen sein. Es ist auchunsere Aufgabe, dieses Selbstbewußtsein durchunsere tägliche Kleinarbeit in Betrieben, Verwal-tungen und in den Gewerkschaften zu stärkenund weiter voranzutreiben. Nur dann wird esgelingen, daß die Gewerkschaften ihrer Funkti-on als Kampfverband gerecht werden, der denWiderstand der Lohnabhängigen gegen dieMacht des Kapitals zusammenfaßt, unterstützt,verbreitet und weitertreibt. A.D.T.

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IG ChemieAuf dem Weg zu einer gelben Gewerkschaft?

In den Großbetrieben der chemischen Industriegibt es z.T. seit 1946 das System betrieblicherVertrauensleute. Die Unternehmer haben diesesSystem insbesondere in der chemischen Indu-strie weiter ausgebaut. Heute werden in mehrals 40 Betrieben betriebliche Vertrauensleutegewählt.

Die betrieblichen Vertrauensleute sind in vielenBetrieben durch Betriebsvereinbarungen zwi-schen Unternehmensleitung und Betriebsratzustande gekommen. Zu den Aufgaben heißt esz.B. in der Betriebsvereinbarung der HoechstAG: »Sie stellen die Verbindung zwischenBetriebsrat und Belegschaft einerseits sowiezwischen Belegschaft und Betriebsführungandererseits her«. Die betrieblichen Vertrauens-

leute werden von allen Beschäftigten gewählt.Von der IG Chemie werden die so gewähltenbetrieblichen Vertrauensleute als gewerkschaft-liche Vertrauensleute berufen, sofern sie Mit-glied der IG Chemie sind. Dies bedeutet aber,daß dieser vom Vorstand der Verwaltungsstelleberufene gewerkschaftliche Vertrauensmannnicht aufgrund einer Wahl von Gewerkschafts-mitgliedern Vertrauensmann wird, sonderndurch die Wahl von allen Beschäftigten.

Konkret heißt das, dieser gewerkschaftliche Ver-trauensmann wird auch durch Unorganisierteund anders Organisierte gewählt. Nach derSatzung der IG Chemie sind die Vertrauensleu-te die »Repräsentanten der Mitglieder«. Nurüber »die Vertrauensleute üben die Mitglieder

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ihr Recht auf demokratische Beteiligung an denEntscheidungen der Organisation aus«. Wennaber die von allen Beschäftigten gewähltenbetrieblichen Vertrauensleute zu gewerkschaftli-chen Vertrauensleuten ernannt werden, dannbedeutet dies, die Gewerkschaftsmitglieder kön-nen nur noch teilweise direkten Einfluß ausüben,da nicht die Gewerkschaftsmitglieder alleinebestimmen können, wer für sie als gewerkschaft-licher Vertrauensmann tätig wird.

Durch die Entscheidung des Beschwerdeaus-schusses zur Wiederaufnahme der Kolleginnenund Kollegen aus der Bayer AG (siehe»express« 9/78, 11/78, 1/79) wurde die seit-herige Übung der Berufung betrieblicher zugewerkschaftlichen Vertrauensleuten infragegestellt.

Vorgeschichte

Seit dem Streik in der chemischen Industrie1971, wo es in vielen Betrieben der Großche-mie nicht möglich war, die Beschäftigten in dieStreiks einzubeziehen, gibt es eine innergewerk-schaftliche Diskussion über die Rolle derbetrieblichen Vertrauensleute, die gleichzeitigals gewerkschaftliche Vertrauensleute tätig wer-den. Auf dem Gewerkschaftstag 1972 erklärtdas für Vertrauensleute-Arbeit zuständigeHauptvorstandsmitglied, Paul Plumeyer, zu denbetrieblichen Vertrauensleuten: »Sogenanntebetriebliche Vertrauensleute, deren wichtigsteAufgabe es nach den Arbeitgebervorstellungensein soll, als seismographische Frühwarnstellealle Erschütterungen zu registrieren und zu mel-den, töten, oft ungewollt, die gewerkschaftlicheHandlungsfähigkeit«.1

Diskussion auf der Bundesarbeitstagung 1974

Die Bundesarbeitstagung 1974 beschäftigtesich mit der Rolle der betrieblichen Vertrauens-leute. In einem Thesenpapier der zuständigenHauptabteilung des Hauptvorstandes heißt esu.a., daß sich die immer noch in einigen Betrie-ben bestehenden Regelungen zur Wahl vonbetrieblichen Vertrauensleuten auf längere Sichtzum Nachteil der Organisation auswirken wer-den, zumal »in einigen Betrieben die Zusam-menarbeit der zuständigen Organisationsstel-len mit diesem Vertrauenskörpern auf ein Mini-

mum reduziert ist«.2 Weiterhin wird in Fragegestellt, ob die auch von den Unorganisiertengewählten betrieblichen Vertrauensleute dannals gewerkschaftliche Vertrauensleute im Sinneder IG Chemie-Satzung anerkannt werden kön-nen, weil sie gewerkschaftlich organisiert sind.

Wie sehr die Unternehmer die Institution derbetrieblichen Vertrauensleute als ihr Instrumentbetrachten, wurde während der ergebnislosenVerhandlungen für einen Tarifvertrag über dieEinrichtung und den Schutz von gewerkschaftli-chen Vertrauensleuten deutlich. Die Arbeitgeberder chemischen Industrie waren nur bereit,einem Tarifvertrag zuzustimmen, wenn darin dieInstitution der betrieblichen Vertrauensleute bei-behalten wird.

Das Ergebnis der Diskussionen auf dieser Bun-desarbeitstagung war für diejenigen innerhalbder IG Chemie, die sich für die Abschaffung derbetrieblichen Vertrauensleute einsetzten, durch-aus positiv. So wurde festgestellt, »daß betriebli-che Vertrauensleute nur eine Übergangslösungsein können«. Es wurde gefordert, insbesonderedort gewerkschaftliche Vertrauenskörper aufzu-bauen, »wo noch betriebliche Vertrauensleutetätig sind«.3

Die Diskussion geht weiter

Mit dem Ergebnis der Bundesarbeitstagung1974 waren einige inhaltliche Schwerpunkte fürdie Behandlung dieser Problematik auf demGewerkschaftstag 1976 vorgegeben.

Schon im Geschäftsbericht für die Jahre 1972-1976 wird herausgestellt, daß die gewerk-schaftlichen Vertrauensleute nur dann wirksamwerden können, wenn sie eine demokratischeLegitimation durch die Mitglieder haben, weil»die gewerkschaftlichen Vertrauensleute ...nach den Bestimmungen (der) Satzung Rechteund Pflichten (haben), die im Auftrag der Mit-glieder wahrzunehmen sind«.4

Aus einigen Verwaltungsstellen und Bezirkenlagen zu dem Komplex Vertrauensleute insge-samt 15 Antrage dem Gewerkschaftstag vor.Gefordert wurde die tarifvertragliche Absiche-rung gewerkschaftlicher Vertrauensleute, dienotfalls auch mit dem Mittel des Streiks durch-gesetzt werden soll, und daß »künftig soge-nannte betriebliche Vertrauensleute nicht mehr

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zu tolerieren« sind.5 In einem Hauptvorstands-Antrag wurde versucht, die verschiedenen For-derungen zusammenzufassen. Zur Frage derbetrieblichen Vertrauensleute heißt es in demAntrag:

»In Beratung mit gewerkschaftlich organisier-ten Betriebsräten sowie mit Vertretern dergewerkschaftlichen VL-Körpern von Großunter-nehmen ist zu prüfen, wie die betrieblichenVertrauensleute durch gewerkschaftliche Ver-trauensleute ersetzt werden können... DerHauptvorstand hat dem Beirat bis zum31.12.1977 über die Ergebnisse seiner Unter-suchungen zu berichten und das Thema ggf.auf der nächsten Bundesarbeitstagung erneutzur Diskussion zu stellen«. In der Diskussionüber diese Anträge wurde von dem zuständi-gen Hauptvorstandsmitglied, Paul Plumeyer,insbesondere die gewerkschaftliche Legitimati-on der betrieblichen Vertrauensleute, die mehroder minder automatisch dann zu gewerk-schaftlichen Vertrauensleuten ernannt werden,wenn sie als betriebliche Vertrauensleutegewählt wurden und gleichzeitig Gewerk-schaftsmitglied sind, problematisiert. Deutlichstellte er heraus, daß sich das System derbetrieblichen Vertrauensleute mit der Legitima-tion der gewerkschaftlichen Vertrauensleutedurch die Mitglieder nicht verträgt, »weil ander Bestellung der betrieblichen Vertrauensleu-te auch Un- und anders Organisierte mitwir-ken«. Er stellt die Frage, »welcher Verein, wel-che Partei und welcher Verband ist denkbar,wo bei der Bestellung der Organe Personenmitwirken, die nicht Mitglied dieses Vereins,dieser Partei oder dieses Verbandes sind?«und stellt dazu fest: » Aber genau das ist beiuns möglich«.

In der Diskussion wurde zwar von einigen Dele-gierten gefordert, auch die positiven Beispielebetrieblicher Vertrauensleutearbeit darzustellenund nicht wegen der Negativbeispiele dasganze System der betrieblichen Vertrauensleu-te zu beseitigen. Der oben zitierte Antrag desHauptvorstandes wurde gegen 6 Stimmenangenommen.

Mit dieser Entscheidung war man, so glaubtendie Delegierten, der endgültigen Abschaffungder betrieblichen Vertrauensleute ein Stücknaher gekommen.

Die sozialpartnerschaftlichen Betriebsräte blocken ab

Aufgrund des Gewerkschaftstagsbeschlussesveranstaltete der Hauptvorstand drei Arbeitsta-gungen im September/Oktober 1977 mitBetriebsräten und Vertretern von gewerkschaftli-chen Vertrauensleutekörpern aus Großunter-nehmen. In den Diskussionen, die Klarheit überdie Umsetzung des Gewerkschaftstagsbeschlus-ses von 1976 bringen sollten, blockten diebetrieblichen Funktionäre, in deren Betriebebetriebliche Vertrauensleute gewählt werden,alle vom Hauptvorstand gemachten Vorschlägeab. In einer Vorlage des Hauptvorstandes fürdie Sitzung des Beirats am 1.12.1977 heißt esdann auch: »Für eine überschaubare Zukunftsind von den verantwortlichen Funktionären inden wesentlichsten Betrieben keine besonderenAktivitäten zu erwarten, die als konkreter Schrittin Richtung der Abschaffung der betrieblichenVertrauensleute bezeichnet werden können.«

Dem Beirat wird vorgeschlagen, »diese Proble-matik bei der Bundesarbeitstagung 1978«nochmals zu diskutieren. Die Betriebsräte wer-den erneut aufgefordert, »keine neuen Betriebs-vereinbarungen über betriebliche Vertrauens-leute abzuschließen, bestehende Betriebsver-einbarungen zu verändern oder ohne Vereinba-rung betriebliche Vertrauensleute erstmaligwählen zu lassen«.

Weiterhin wird festgelegt, daß nach der Bun-desarbeitstagung 1978 »dem Hauptvorstandund dem Beirat« die Diskussionsergebnisse zueiner »evtl. Beschlußfassung vorgelegt« werden.Rechtzeitig vor dem Gewerkschaftstag 1980,und zwar vor Ablauf der Antragsfrist, soll allenOrganisationsstellen über den Stand der Diskus-sion und Entscheidungen zum Komplex betrieb-licher Vertrauensleute berichtet werden.

Von der Anerkennung bis zur Abschaf-fung der betrieblichen Vertrauensleute –Vier Vorschläge

Zur Bundesarbeitstagung 1978 in Münchenlegte die Hauptabteilung Organisation desHauptvortandes vier Vorschläge zur Diskussionvor. (6)

Der erste Vorschlag sprach sich für den Vollzugdes Gewerkschaftsbeschlusses bis 1983 aus

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und beinhaltete die Vorgehensweise, wie diesbis 1983 durchgesetzt werden soll.

Im zweiten Vorschlag soll neben den betriebli-chen Vertrauensleuten eine zusätzliche Wahlvon gewerkschaftlichen Vertrauensleuten statt-finden.

Vorschlag drei anerkennt die betrieblichen Ver-trauensleute und schlägt vor, Tarifverträge nach§3 des Betriebsverfassungs-Gesetzes (Arbeits-gruppensprecher) durch die IG Chemie anzu-streben.

Der vierte Vorschlag geht davon aus, daß füreine Übergangszeit das System der betriebli-chen Vertrauensleute erhalten bleibt. Eine Aus-dehnung der betrieblichen Vertrauensleute aufweitere Betriebe soll verhindert werden. DieVerwaltungsstellen nominieren bei betrieblichenVertrauensleutewahlen für die einzelnen Wahl-kreise gewerkschaftliche Kandidaten. In denWahlkreisen, wo doch ein Unorganisierter zumbetrieblichen Vertrauensmann gewählt wird, istim Einvernehmen mit den Mitgliedern eingewerkschaftlicher Vertrauensmann vom Vor-stand der Verwaltungsstelle zu berufen.

Als Ergebnis der Diskussionen auf der Bundes-arbeitstagung 1978 wurde in der »Gewerk-schaftlichen Umschau« 6/1978 folgendeZusammenfassung veröffentlicht: Alle Diskussi-onsredner waren dafür, daß in allen Betriebengewerkschaftliche Vertrauensleute gewählt wer-den müssen. Wann und wie dies erfolgen soll,darüber gab es unterschiedliche Meinungen.Eine große Zahl von Diskussionsrednern spra-chen sich für den ersten Vorschlag aus. Dieswürde bedeuten, daß bis 1983 die betriebli-chen durch gewerkschaftliche Vertrauensleute-wahlen abgelöst werden.

Von den Betriebsratsvorsitzenden aus denGroßbetrieben der chemischen Industrie wurdeder vierte Vorschlag favorisiert, da er als Über-gangslösung besser geeignet wäre: Von eini-gen Rednern wurde ein fünfter Vorschlag, dernoch zu formulieren sei, eingebracht. Dieser solleine deutliche zeitliche Befristung enthalten,damit klare Entscheidungen getroffen werdenkönnen. Auf jeden Fall soll der nächste Gewerk-schaftstag 1980 eine klare Entscheidung tref-fen, die »dann in der Praxis von allen Organisa-tionsstellen auch durchgesetzt werden« muß.

Beschwerdeausschuß hebt Ausschlußauf, da innergewerkschaftliche Willens-bildung auch durch Unorganisiertebeeinflußt wurde

Im Oktober 1978 hat der Beschwerdeausschußden Ausschluß von 50 Mitgliedern der Verwal-tungsstelle Leverkusen aufgehoben, die zurBetriebsratswahl 1978 eine eigene Liste aufge-stellt hatten und deshalb vom Hauptvorstandaus der IG Chemie ausgeschlossen wordenwaren. (Siehe auch »express« 6 und 9/1978;1/1979).

Der Beschwerdeausschuß begründete die Auf-hebung des Ausschlusses u.a. damit, daß dieinnergewerkschaftliche Willensbildung beiAufstellung der IG Chemie-Listen zur Betriebs-ratswahl durch betriebliche Vertrauensleuteerfolgt sei und damit auch durch Unorganisier-te beeinflußt wurde. Ursache ist die über Jahregeübte Praxis, betriebliche Vertrauensleute,die auch gleichzeitig Gewerkschaftsmitgliedsind, als gewerkschaftliche Vertrauensleute zuberufen.

Anfang November 1978 wird der geschäfts-führende Hauptvorstand der IG Chemie beauf-tragt, die durch die Entscheidung des Beschwer-deausschusses aufgetretene Rechtsunsicherheitzu untersuchen und Lösungsmöglichkeiten fürderen Beseitigung zu erarbeiten.

Am 8. November 1978 reichen der Vorstandder Verwaltungsstelle Leverkusen sowie HansWeber (Gesamtbetriebsratsvorsitzender derBayer AG) und Joachim Lux (Betriebsratsvorsit-zender der Bayer AG, Leverkusen) Klagegegen die Entscheidung des Beschwerdeaus-schusses beim Landgericht Hannover ein. Luxund Weber sind auch gleichzeitig Mitgliederdes Vorstandes der Verwaltungsstelle Leverku-sen. Mit dieser Klage wollen sie die Entschei-dung des Beschwerdeausschusses als rechts-widrig und unwirksam erklären lassen.

Durch die Entscheidung des Beschwerdeaus-schusses ist der IG Chemie-Hauptvorstand insSchleudern geraten. Mußte er doch damitrechnen, daß allen Delegierten zum Gewerk-schaftstag und allen übrigen Funktionsträgernihr Mandat aberkannt werden kann, wenn ander Wahl betriebliche Vertrauensleute betei-ligt waren.

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Was dies bedeutet, kann man sich vorstellen,wenn man sich folgende Zahlen vor Augenführt: In 42 Betrieben werden betriebliche Ver-trauensleute gewählt. Rund 25% der von der IGChemie erfaßten Beschäftigten arbeiten in die-sen 42 Betrieben. Von der Gesamtzahl derorganisierten Beschäftigten sind ebenfalls rund25% in diesen Betrieben beschäftigt.

Gutachten sprechen sich gegen die seitherige Praxis aus

Die Rechtsabteilung des Hauptvorstandeskommt in einem Gutachten zu folgender Stellun-gnahme:

1.) Gewerkschaftliche Vertrauensleute sind dieRepräsentanten der Mitglieder. Das einzel-ne Mitglied kann nur durch die Wahl dergewerkschaftlichen Vertrauensleute Einflußauf die Politik der IG Chemie nehmen.

2.) Die Berufung der betrieblichen Vertrauens-leute zu gewerkschaftlichen Vertrauensleu-ten bedeutet letztlich, daß Nichtmitgliederund in gegnerischen GewerkschaftenOrganisierte den gleichen Einfluß auf dieOrganisation haben wie die Mitgliederselbst.

3.) Eine Änderung der Satzung, wonachbetriebliche Vertrauensleute, wenn siegewerkschaftlich organisiert sind, zugewerkschaftlichen Vertrauensleuten beru-fen werden können, wird »als rechtlichbedenklich« und »sogar unzulässig«bezeichnet.

Die Hauptabteilung Organisation der IG Che-mie kommt auf der Grundlage des Rechtsgut-achtens zur Auffassung, daß in allen Betrieben,wo betriebliche Vertrauensleute gewählt wer-den, sogenannte Vorwahlen stattfinden müssen.Konkret wird folgender Vorschlag unterbreitet:»Vor der Wahl der betrieblichen Vertrauensleu-te wird in den jeweiligen Wahlkreisen aussch-ließlich durch die Gewerkschaftsmitglieder einKandidat gewählt, der durch diese Vorwahldamit als gewerkschaftlicher Vertrauensmannlegitimiert ist«.

Trotz dieser Stellungnahmen schlägt der Vorsit-zende der IG Chemie, Karl Hauenschild, vor,die Satzung so zu ändern, daß die gewerk-schaftlichen Vertrauensleute durch Wahlen

oder durch Berufung legitimiert sind. All diesereignet sich in dem Zeitraum vom 17. bis 31.Januar 1979. Innerhalb der Organisationkommt es zu den ersten Anfragen von Haupt-amtlichen, die aber weder vom Hauptvorstandnoch von den Bezirksleitern, die im Besitze deroben angeführten Unterlagen sind, konkretbeantwortet werden. Auch werden die Unterla-gen nicht herausgegeben.

In ihrer Sitzung am 6.2.1979 empfiehlt die Sat-zungskommission dem Hauptvorstand, vor einerendgültigen Beschlußfassung alle Verwaltungs-stellen und Bezirke in den Meinungsbildungs-prozeß einzubeziehen und die Unterlagenzuzuschicken.

Die Rechtsabteilung stellt zu der Beschlußvorla-ge fest:

1.) Wahl und Berufung werden durch diegeplante Satzungsänderung gleichwertignebeneinander gestellt.

2.) Da der Verwaltungsstellenvorstand dieBerufung vornimmt, bestellt er sich damitzumindest einen Teil der Wähler selbst.

3.) Die Rechtsunsicherheit wird dadurch nichtbeseitigt.

Trotz dieser eindeutigen Stellungnahmenbeschließt der Hauptvorstand am 9.2.1979 mit19 gegen 6 Stimmen die geplante Satzungsän-derung. In Zukunft sollen also gewerkschaftli-che Vertrauensleute gewählt oder berufen wer-den.

Der Vorschlag der Satzungskommission,zunächst eine breite innergewerkschaftliche Dis-kussion zu ermöglichen, wird mit Mehrheitabgelehnt.

Die Entscheidung des Hauptvorstandes zurÄnderung der Satzung ist letztlich ein Über-einkommen der Mehrheit des Hauptvorstandesmit den sozialpartnerschaftlichen Betriebsrätenbei Bayer und Hoechst, die ihre gewerkschaftli-che Bremserfunktion wieder einmal durchsetzenkonnten.

Geheimhaltung klappt nicht

Obwohl der Hauptvorstand offenbar ein Inter-esse daran hatte, die geplante Satzungsände-rung möglichst ohne innergewerkschaftlicheDiskussion über die Bühne zu bringen, konnte er

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nicht verhindern, daß die Öffentlichkeit davonerfuhr. Am 20.2.1979 veröffentlichte die»Frankfurter Rundschau« unter der Überschrift»IG Chemie-Vorstand möchte umstrittene Praxiszementieren« die geplante Satzungsänderung.

Viele Hauptamtliche und fast alle ehrenamtli-chen Funktionäre erfahren erstmals genaueresüber den Umfang der geplanten Satzungsände-rung. In den Verwaltungsstellen wurde darüberdiskutiert, einen außerordentlichen Gewerk-schaftstag zu fordern. Im Bezirk Nordrhein for-derte der Bezirksleiter, Walter Glasner, alleGewerkschaftsführer und Sekretäre auf, keineMaßnahmen zur Forderung eines außerordent-lichen Gewerkschaftstages zu ergreifen. Fastunverhüllt droht er bei Zuwiderhandlung perso-nelle Konsequenzen an.

Aufgrund der Veröffentlichung in der »FrankfurterRundschau« verschickt Hauenschild am26.2.1979 die Gutachten und Stellungnahmenan alle Hauptamtlichen in der Organisation. Ineinem Anschreiben wird auf die Notwendigkeitder Satzungsänderung hingewiesen.

Eine Richtigstellung des Hauptvorstandes– aber nur die halbe Wahrheit

In der »Frankfurter Rundschau« erscheint am8.3.1979 eine Richtigstellung des Hauptvor-standes zu der Berichterstattung vom 20.2.1979. Wesentliche Punkte werden in der Rich-tigstellung nur angedeutet, so daß der Eindruckentstehen kann, als habe die »FR« nicht richtigberichtet.

So wird z.B. erklärt: »In diesem Zusammenhangwurde in der ›FR‹ nicht berichtet, daß es sich beidem von ihr erwähnten juristischen Gutachten ...nur um eines von mehreren handelt«. Tatsacheist, daß der Hauptvorstand beim Justitiar desDGB-Bundesvorstandes, Heinz Gester, am9.1.1979 noch ein Rechtsgutachten bestellt hat.Dieses Gutachten, und das wird vom Hauptvor-stand unterschlagen, stützt im wesentlichen dieRechtsauffassung der IG Chemie-Juristen. In demGutachten heißt es u.a., daß eine Korrektur derSatzung mit dem vom Hauptvorstand gewünsch-ten Inhalt nicht sinnvoll wäre, weil die Satzungdann nicht mehr dem Demokratieanspruch genü-ge, wie er von den Gewerkschaften verlangtwerde. Eine Berufung von Vertrauensleuten wird

auch deshalb ausgeschlossen, weil die Vertrau-ensleute in der IG Chemie als einzigesbeschlußfassendes Gremium den Willen der Mit-glieder aus den Betrieben direkt repräsentieren.

In der Berichtigung wird von Hauenschild aucherklärt, die von der IG Chemie-Spitzegewünschte Änderung der Satzung werde»auch von anderen Gewerkschaften, etwa derIG Metall, praktiziert«. Tatsache ist jedoch, daßes eine derartige Satzungsregelung bei der IGMetall nicht gibt. In dem Gutachten von HeinzGester heißt es dazu: »Nach Auskunft derzuständigen Stellen beim IG Metall-Vorstandgilt das Wahlprinzip auf der Ortsverwaltungse-bene uneingeschränkt auch bei größeren Unter-nehmens- und Betriebseinheiten«. Tatsache ist,daß die Rechtsunsicherheit, die durch die Ent-scheidung des Beschwerdeausschusses aufge-treten ist, nicht dadurch beseitigt werden kann,daß in der Satzung die Berufung von Vertrau-ensleuten geregelt wird.

Alle Rechtsgutachten gehen davon aus. Trotz-dem wird die klarste organisationspolitische Ent-scheidung, wie sie von der HauptabteilungOrganisation vorgeschlagen wurde, überhauptnicht in Betracht gezogen.

Trotz Rechtsunsicherheit wird an der Berufung festgehalten

Obwohl alle Rechtsgutachten davon ausgehen,daß eine Berufung betrieblicher zu gewerk-schaftlichen Vertrauensleuten »unzulässig« bzw.»aus verfassungs- und tarifrechtlicher Sichtbedenklich wäre«, hält der Hauptvorstand auchmit seinem neuesten Vorschlag an der Berufungdurch den Verwaltungsstellenvorstand fest. Ein-zige Einschränkung ist die Möglichkeit des Ein-spruchs durch fünf Gewerkschaftsmitglieder inder entsprechenden Abteilung. Tatsache bleibtaber, die Wahl der betrieblichen Vertrauensleu-te erfolgt dann immer noch von allen Beschäf-tigten. Die Unorganisierten und anders Organi-sierten haben damit immer noch den gleichenEinfluß auf den Wahlvorgang und damit letzt-lich auf die Zusammensetzung der gewerk-schaftlichen Vertrauensleute. Alle Vorschlägeder Organisationsabteilung des Hauptvorstan-des, durch entsprechende Wahlverfahren denEinfluß der Unorganisierten und anders Organi-sierten auszuschließen, wurden im geschäfts-

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führenden Hauptvorstand mit Mehrheit nieder-gestimmt.

Die Mehrheit im geschaftsführenden Hauptvor-stand, die sich bei den entscheidenden Abstim-mungen immer mit 6:2 Stimmen durchsetzt,betreibt eine innerorganisatorische Fraktionie-rung. Die gewerkschaftspolitischen Vorstellun-gen von Hauenschild und Co. werden offenbarrigoros gegen die mehr an den Mitgliederrech-ten orientierten Gewerkschaftsvorstellungen derMinderheit, Paul Plumeyer und Werner Vitt,durchgesetzt.

Wenn Hauenschild jetzt in einem Brief an alleVerwaltungsstellen auf die innere und äußereGeschlossenheit der IG Chemie gegenüber denArbeitgebern hinweist, die nach seiner Meinungdurch Patschkowski gebrochen wurde, dann istdas eine heuchlerische Argumentation. Gerademit der Sanktionierung der betrieblichen Vertrau-ensleute wird der Unternehmerstrategie, gewerk-schaftliche Aktivitäten im Betrieb mit Hilfe derbetrieblichen Vertrauensleute zu unterbinden,Tür und Tor geöffnet. Wenn schon die Geschlos-senheit der Organisation auf dem Spiele steht,

dann wird diese von der Mehrheit des Haupt-vorstandes auf’s Spiel gesetzt und nicht vondenen, die sich für eindeutige gewerkschaftlicheEntscheidungen in der Frage der gewerkschaftli-chen Vertrauensleute einsetzen.

Hauenschild, der schon seit Jahren einen sozial-partnerschaftlichen Kurs in der IG Chemie steu-ert, sieht diesen durch eine Infragestellung derbetrieblichen Vertrauensleute gefährdet. DieBekanntgabe seiner erneuten Kandidatur alsVorsitzender für die Zeit von 1980 bis 1984 –zunächst hatte er die Absicht, 1980 auszuschei-den – deutet auf die innergewerkschaftlichenAuseinandersetzungen hin, die z.B. in der Fragebetrieblicher/gewerkschaftlicher Vertrauensleu-te deutlich wird. Als Vertreter einer zentralisti-schen Gewerkschaftspolitik muß Hauenschildmit seiner Mehrheit den Versuch machen, dieEinflußnahme von Mitgliedern und Vertrauens-leuten soweit wie möglich zurückzudrängen.Die von der Hauptvorstandsmehrheit seit Jahrenvertretene und praktizierte zentrale Tarifpolitikin der chemischen Industrie ist sonst langfristignicht durchhaltbar.

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Hauenschild und die Mitglieder In den derzeitigen Auseinandersetzungen in der IG Chemie sieht der IG Chemie-Vorsitzende Hauenschild „kein Indiz für eine Entfremdung zwischen Mitgliedschaftund Führung“ (FR 3.4.79). Wer Hauenschild kennt, wird sich über diese Aussagenicht wundern. Als „geborener“ Hauptamtlicher, ohne konkrete Erfahrungen vonGewerkschaftsarbeit in der Verwaltungsstelle, kann er sich einfach nicht vorstellen,daß die Mitglieder in den Betrieben eigene Vorstellungen von Gewerkschaftsar-beit haben.

Für Hauenschild galt schon immer, daß an der Basis nur das passiert, was dieHauptamtlichen wollen. So richtete sich seine innergewerkschaftliche Kritik immergegen die Hauptamtlichen, in deren Verwaltungsstellen kritische Einschätzungenund Positionen von Funktionären und Vertrauensleuten laut wurden. Für ihn sinddie Gewerkschaftsmitglieder manipulierbare Subjekte, die durch die Hauptamtli-chen auf den richtigen Kurs, so wie ihn Hauenschild versteht, gebracht werdenkönnen. Daß Hauptamtliche sich für die Entwicklung eines gewerkschaftlichenBewußtseins, getragen vom Willen der Mitglieder einsetzen, ist mit seiner Vorstel-lung von gewerkschaftlicher Organisation nicht vereinbar. Funktionäre haben zufunktionieren und zwar so, wie es der Vorsitzende wll und nicht, wie es den Inter-essen der Mitglieder entspricht. Kein Wunder, wenn er zu den aktuellen Ausein-andersetzungen feststellt: Die derzeitigen Aktivitäten wurden nicht an der Basisausgelöst, sondern wurden in die Basis hineingetragen. Selbstverständlich wurdedie Basis, so Hauenschild, von hauptamtlichen Kollegen mobilisiert.

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Mit 78 gegen 23 Stimmen hat der Beiratder IG Chemie, Papier, Keramik die Bestim-mungen über die Wahl der Vertrauensleutein der Satzung geändert. Dieser Satzungs-änderung ging eine innergewerkschaftli-che Auseinandersetzung voraus, wie sie inder IG Chemie bisher noch nicht stattgefun-den hat. Höhepunkt war die Kündigungdes Geschäftsführers der IG Chemie-Ver-waltungsstelle Hann. Münden, FerdinandPatschkowski. Im »express« 4/79 und im»express«-Extra-Blatt zum I. Mai 1979haben wir ausführlich berichtet.

Obwohl die grundsätzliche Frage, ob diegewerkschaftlichen Vertrauensleute ausschließ-lich durch die Wahl der Gewerkschaftsmitglie-der oder auch durch Berufung legitimiert wer-den, zugunsten der Berufung entschieden wur-de, kam es im Zuge der Auseinandersetzungenzu nicht unwesentlichen Veränderungen.

War zunächst nur vorgesehen, die Satzungdahingehend zu ändern, daß die Wahl der

gewerkschaftlichen Vertrauensleute mit derBerufung durch den Vorstand der Verwaltungs-stelle gleichberechtigt nebeneinander steht, sowurde dies im Laufe der Auseinandersetzungwieder etwas eingeschränkt.

5 Mitglieder können Berufung aufheben

Die vom Beirat durchgesetzte, von immerhin 30Prozent der Beiratsmitglieder abgelehnte, Sat-zungsänderung sieht folgendes vor:

1.) Vertrauensleute sind zu wählen oder durchden Verwaltungsstellenvorstand zu berufen.

2.) Die Berufung ist als Ausnahme vorgesehenund zwar für die Fälle, »wo die Mitgliedernicht die Möglichkeit haben, die Wahl ord-nungsgemäß innerhalb des Betriebes durch-zuführen und wo eine ordnungsgemäßeWahl innerhalb des Betriebes unzumutbareorganisatorische Schwierigkeiten bereitet«.

3.) Die Verwaltungsstelle muß dem Mitgliedschriftlich und postalisch mitteilen, »wer fürdas Mitglied als Vertrauensmann berufenwurde«.

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express 16.05.1979

Der Mai ist gekommen – Die Wahlen fallen aus IG Chemie: Klare Fronten

beim Kampf um innergewerkschaftliche Demokratie

Die Basis lebt noch

Trotz des Druckes, der auf die haupt- und ehren-amtlichen Funktionäre ausgeübt wird, gibt es invielen Verwaltungsstellen und in einigen Bezir-ken Widerstand gegen die geplante Satzungs-änderung.

Die von der Mehrheit des Hauptvorstandesdurchgesetzte Kündigung des IG Chemie-Geschaftsführers Patschkowski, die mit sehrfadenscheinigen Begründungen erfolgte, solltewohl Druck auf die übrigen Hauptamtlichenausüben. Dies ist aber nur zum Teil gelungen.Bis Redaktionsschluß sind aus folgenden Ver-waltungsstellen Anträge für einen außerordentli-

chen Gewerkschaftstag bekannt geworden:Wuppertal, Hannoversch-Münden, Neuwied,Saarbrücken, Siershahn (Westerwald), Nien-burg, Aachen, Mainz, Köln, Neustadt/Wein-straße, Duisburg. A.D. Timm

Anmerkungen:

1) Protokoll IG Chemie-Gewerkschaftstag 1972

2) Gewerkschaftliche Umschau 5/1974

3) Gewerkschaftliche Umschau 6/1974

4) Geschaftsbericht der IG Chemie für 1972-75

5) Antrag 199 zum Gewerkschaftstag 1976

6) Gewerkschaftliche Umschau 14/1978

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4.) Die Berufung »muß zurückgenommen wer-den, wenn mehr als 5 der von einem Ver-trauensmann vertretenen Mitglieder inner-halb von einer Frist von 4 Wochen Wider-spruch beim Verwaltungsstellenvorstandeinlegen«. Dann muß eine Briefwahl durch-geführt werden.

5.) Der Verwaltungsstellenvorstand hat jährlichzu überprüfen, »ob die Berufung ... durcheine Wahl ersetzt werden kann«. Damit istzwar optisch klargestellt, daß eine Berufungvon Vertrauensleuten nur die Ausnahme seinsoll, praktisch ist aber mit dieser Satzungsän-derung das System der betrieblichen Ver-trauensleute zunächst festgeschrieben.

Nicht unwichtig ist auch das den Mitgliedernzugestandene Initiativrecht, wenn sie mit einemberufenen Vertrauensmann nicht einverstandensind. Wie sich dies aber in der gewerkschaftli-chen Praxis auswirken wird, kann man sichererst nach den Vertrauensleutewahlen im Dezem-ber 1979 feststellen.

Sind 35 Prozent noch die Ausnahme?

In 42 Betrieben des Organisationsbereichesder IG Chemie existieren betriebliche Vertrau-ensleute. Wenn man allerdings genauer unter-sucht, stellt man fest, daß allein 38 Betriebe ausdem Bereich der chemischen Industrie sind, derRest ist in den Betrieben der Kautschukindustrie.

In 38 Betrieben der chemischen Industrie wer-den keine gewerkschaftlichen Vertrauensleutegewählt. Dort werden die gewählten betriebli-chen Vertrauensleute zu gewerkschaftlichen Ver-trauensleuten berufen. Von den im Bereich derchemischen Industrie Organisierten sind immer-hin ca. 35% der Organisierten in diesen 38Betrieben beschäftigt. Das Organisationsverhält-nis in diesen 38 Betrieben liegt unter 50 Prozent.Konkret heißt das, in diesen Betrieben bestimmteine Mehrheit von Unorganisierten und andersOrganisierten, wer in der IG Chemie zumgewerkschaftlichen Vertrauensmann berufenwird. Wer hier noch von einer Ausnahmerege-lung spricht, der betreibt Augenwischerei.

In 8 Verwaltungsstellen mit 120.000Organisierten bestimmen praktisch die Unorganisierten, was Gewerkschaftspolitik ist

In 8 von 67 Verwaltungsstellen der IG Chemiesind mehr als 50 Prozent der betriebstätigenMitglieder in Betrieben beschäftigt, in denenbetriebliche Vertrauensleute gewählt werden.Es handelt sich um die Verwaltungsstellen Frank-furt/Main, Hannover, Offenbach, Wiesbaden,Leverkusen, Krefeld, Marl und Ludwigshafen.Die dort tätigen gewerkschaftlichen Vertrauens-leute setzen sich in ihrer Mehrheit aus berufe-nen Vertrauensleuten zusammen. Zugespitztkann man also sagen, daß in diesen 8 Verwal-tungsstellen die Verwaltungsstellenvorständesich ihre Wähler selbst berufen.

Die vom Verwaltungsstellenvorstand berufenenVertrauensleute wählen dann die Delegiertenzur Verwaltungsstellen-Delegiertenkonferenz,die dann wieder den Verwaltungsstellenvor-stand, Delegierte für die Bezirksdelegiertenkon-ferenz und den Gewerkschaftstag wählen. Sieentscheiden über Anträge und wählen die Mit-glieder der einzelnen Tarifkommissionen.

In 8 Verwaltungsstellen, darunter die Verwal-tungsstellen, in denen die Großbetriebe derchemischen Industrie ihren Sitz haben, bestim-men faktisch Unorganisierte und anders Orga-nisierte mit darüber ab, wer die Inhalte derGewerkschaftspolitik in der IG Chemie-Verwal-tungsstelle bestimmt.

Außerordentlicher Gewerkschaftstagwar nicht durchsetzbar

Trotz des Widerstandes von fast allen Bezirks-leitern und der Mehrheit des Hauptvorstandes,stimmten in 11 Verwaltungsstellen die Mehrheitder Delegierten für die Einberufung einesaußerordentlichen Gewerkschaftstages. In die-sen Verwaltungsstellen sind ca. 130.000 Mit-glieder organisiert. Insgesamt hätten sich rund197.000 Mitglieder für einen außerordentli-chen Gewerkschaftstag entscheiden müssen,um eine Einberufung durch den Hauptvorstandzu erreichen. Initiativen in vielen Betrieben, dieihre Verwaltungsstellen aufforderten, eine Dele-giertenkonferenz zu diesem Zweck einzuberu-fen, scheiterten wie in Darmstadt – an denGeschäftsführern, die sich massiv für die Haupt-vorstandsentscheidung einsetzten.

Erfreulich ist, daß es in der kurzen Zeitspannevon knapp 4 Wochen zwischen Bekanntwerden

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der geplanten Satzungsänderung und der Sit-zung des Beirates in 11 Verwaltungsstellen mitrund 130.000 Mitgliedern möglich war, denBeschluß für die Einberufung eines außerordent-lichen Gewerkschaftstages durch die Delegier-ten zu fassen.

Solidarität setzt Wiedereinstellung durch

Die Solidarität aus zahlreichen Betrieben undvon vielen Hauptamtlichen mit dem gekündig-ten Geschäftsführer der VerwaltungsstelleHann. Münden, Ferdinand Patschkowski, warsicher in einem höheren Maße vorhanden, alses der Hauptvorstand der IG Chemie erwartethat. Insbesondere die Geschlossenheit der Mit-glieder und Funktionäre in der Verwaltungsstel-le Hann. Münden, mit der sie sich hinter ihren

Geschäftsführer stellten, war beispielhaft.

Auf der anderen Seite muß man aber auch ein-schränkend feststellen, daß viele Hauptamtlichegekuscht oder zum Teil üble Gerüchte überPatschkowski in die Welt gesetzt haben. Deut-lich wurde aber, wer wo in der IG Chemie stehtund das ist für zukünftige Auseinandersetzun-gen wichtig zu wissen.

Auch wenn Patschkowski in einer Erklärung sei-ne besondere Treuepflicht als Beschäftigter derOrganisation unterschreiben mußte, so kannihm daraus kein Vorwurf gemacht werden, ist esdoch das erste Mal, daß der Hauptvorstand ineiner politisch-personellen Auseinanderungnachgeben mußte.

A.D. Timm

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express 17.09.1979

IG Chemie Mit der Pressefreiheit auf Kriegsfuß

In der Auseinandersetzung um die Satzungsän-derung in der IG Chemie-Papier-Keramik undder damit verbundenen Kündigung und Wieder-einstellung des Geschäftsführers der IG ChemieVerwaltungsstelle Hann. Münden (siehe»express« Nr. 3, 4 und 5/1979) denkt dieMehrheit des Hauptvorstandes nicht daran,Ruhe zu geben. Zielscheibe ist die »FrankfurterRundschau«, die mit einem Artikel im Februar1979 die geplante Satzungsänderung – siesollte möglichst geräuschlos über die Bühnegezogen werden – an die Öffentlichkeit brach-te und damit die Mitgliedschaft der IG Chemiealarmierte.

Ein Kommentar und die Folgen

Neben der schon genannten Veröffentlichungder geplanten Satzungsänderung, war in der»FR« auch ein Kommentar zu lesen, in dem esu.a. heißt: »Nun aber läßt ihre (der IG Chemie)Führung eine Mentalität erkennen, deren mögli-che Auswirkungen fatal an das Kaderprinzipkommunistischer Parteien mit zentralistischen

Zentralkomitees, mit Durchgriffsmöglichkeitenvon oben nach unten erinnert«. Hauenschild waroffenbar tief getroffen und schrieb einen Brief andie »FR«-Chefredaktion, offensichtlich mit demZiel, den Kommentator zu rügen und eine weite-re Berichterstattung über die Auseinandersetzun-gen zur Satzungsänderung in der IG Chemie zuunterbinden bzw. auf Hauptvorstandslinie einzu-stimmen. Hauenschild schreibt unter anderem,daß der Hauptvorstand erwartet, »daß die ›FR‹von sich aus geeignete Maßnahmen ergreift, umähnliche Darstellungen in Zukunft zu unterbin-den und die beanstandeten Artikel von sich ausin geeigneter Weise zu berichtigen.«

Hauenschild, der ja auch gerne die Worte Pres-sefreiheit und Demokratie in den Mund nimmt,steht mit diesen Errungenschaften der bürgerli-chen Demokratie ganz offensichtlich auf demKriegsfuß. Für ihn gilt diese Pressefreiheit offen-bar nur, wenn sie keine Kritik an ihm und der IGChemie übt. Wird er und seine Politik angegrif-fen, dann fordert Hauenschild: »ähnliche Dar-stellungen sind in Zukunft zu unterbinden«.

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500.000 DM oder Haft bis zu sechs Monaten

Anfang März beauftragte die IG Chemie einenRechtsanwalt mit der Wahrnehmung ihrer Inter-essen gegen die »FR«. Dieser forderte von der»FR« eine Unterlassungserklärung, die Redak-teure sollten sich verpflichten, den Satz über dieMentalität der IG Chemie nicht mehr zu wieder-holen. Auch diese Zumutung der IG Chemiewurde von der »FR« zurückgewiesen.

Am 19. April wurde von der IG Chemie Unter-lassungsklage eingereicht. In dem Klageantragverlangt die IG Chemie, daß den Beklagten ver-boten werden sollte, den oben zitierten Satzvon der Mentalität der IG Chemie-Führung zuwiederholen. »Bei jeder Zuwiderhandlung wäreein Ordnungsgeld in Höhe bis zu einer glattenhalben Million Mark fällig, ersatzweise Haft biszu sechs Monaten. Die Klägerin sei in ihrer Ehreganz erheblich verletzt worden. Bei der Kläge-rin handele es sich ohne Zweifel um eine demo-kratische Organisation, was sich schon aus ihrerSatzung ergebe ... Kritik sei in Ordnung, abernur mit einem Mindestmaß an Anstand zulässig,wird in der Klageschrift gesagt« (FR v. 24.7.79).

Den Redakteuren zeigen, wo die Grenzen journalistischer Freiheit liegen

Das Landgericht Frankfurt hat dieser Forderungder IG Chemie, die in der Klageschrift aufge-stellt wurde, nicht Rechnung getragen. Die Kla-

ge der IG Chemie wurde abgewiesen. In einemInterview mit dem Hessischen Rundfunk am12.7.79 erklärte der vortragende Richter zu die-ser Entscheidung: »Daß hier keine persönlichenAngriffe gegen die Gewerkschaft oder derenVorstand geäußert worden waren, sondern daßder Vergleich zwischen dem Zentralkomiteeeiner kommunistischen Partei und dem Vorstandeiner Gewerkschaft als bloßer Strukturvergleichgewählt worden war, weil es hier um die Fragedes Durchgriffs, jedenfalls der Möglichkeit desDurchgriffs von oben nach unten, ging. Und indiesem entscheidenden Vergleichspunkt bestan-den in der Tat zulässige Vergleichsmaßstäbe.«In der gleichen Sendung erklärte Hauenschild,er wisse zwar nicht, »ob der Vorstand die Sacheauf sich beruhen lassen wird oder nicht ... In derOrganisation ist ... inzwischen Gras über dieSache gewachsen, die zur Auslösung dieserKontroverse mit der ›FR‹ geführt hat, und ich binder Meinung, wenn über irgend etwas Grasgewachsen ist, dann sollte nicht irgend einKamel kommen und sollte das abgrasen«. Am24. Juli meldet die »Frankfurter Rundschau«,daß die IG Chemie wegen der Berichterstattungüber den Satzungskonflikt gegen die »FR«Beschwerde beim Presserat eingelegt hat. Bleibtdie Frage: Wer war das Kamel? Daß Karl Hau-enschild als Europaabgeordneter in den dorti-gen Landwirtschaftsausschuß gewählt wurde,dürfte für diese Entscheidung sicher ohne Ein-fluß gewesen sein. A.D. TIMM

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Im Bezirk Hessen der IG Chemie mußten kurzvor dem Sommer zwei hauptamtliche Kollegenihren Arbeitsplatz verlassen. Der 3. Kollegesteht, wie man hört, schon auf der Abschußliste.

Im Mai 1979 wurde Kollege Bromberger,Sekretär in der Verwaltungsstelle Hanau, demHauptvorstand zur Verfügung gestellt. DietmarThieser, Bezirksjugendsekretär in Hessen, folgteihm im Juli. Die Verfehlungen, die den beidenKollegen zur Last gelegt werden, sind allesamtformal, aber bei der Aufräumungsaktion ging esden Initiatoren, an der Spitze der neue Bezirks-leiter Horst Mettke, nicht darum, diese oder jene»Verfehlung« zu ahnden. Ziel war und ist dieAusschaltung von Kollegen, die sich »erlaubt«haben, in wichtigen gewerkschaftlichen Frageneine eigene Meinung zu vertreten.

Zur Vorgeschichte

Die jetzige Entwicklung stellt einen Meilensteinin der Entwicklung des Bezirks Hessen dar.Historisch und im Zeitraffer beobachtet, passier-te folgendes. Auf dem letzten Gewerkschaftstag(1976) sollte Rolf Brand (Betriebsratsvorsitzen-der der Hoechst AG) in den ehrenamtlichenHauptvorstand gewählt werden. Egon Schäfer(damals Bezirksleiter; heute Mitglied des Haupt-vorstandes) wollte damit deutlich machen, daßdurch seine Politik der Bezirk Hessen sich vollund ganz der sozialpartnerschaftlichen Politikder Großbetriebe untergeordnet hat. DieseWahl brachte aber erhebliche Komplikationenmit sich (der »express« berichtete in Nr. 10/76ausführlich darüber). Im Nachgang zu dieserWahl wurden die Schuldigen bzw. die Wider-ständler dieser Politik im Bezirk lokalisiert.

Zuerst sollte die Bildungsarbeit dieses Bezirksdaran glauben. Hier vermuteten viele eine mar-xistische Infiltration. Auch die Jugendarbeit wur-de dieser Richtung zugeordnet; alles was mitMarxismus zu tun hat, ist in den Augen dieserHerren von Übel. Beide Bereiche der bezirkli-chen Arbeit und aber auch die Ungeschützte-sten, denn Jugend und Bildung sind nicht so ver-ankert wie etwa kämpferische Betriebspolitik.Neben der Auflösung von Bildungsarbeitskrei-

sen, Kontrolle der Bildungsmaterialien gab esvielfältige Formen der Einschränkung. Haupt-amtliche wurden bespitzelt und überwacht, wiesie sich in Versammlungen verhielten, mit wemsie sich trafen, wie sie auf Veranstaltungen agi-tierten und abstimmten.

Überwintern, nicht kämpfen

Zu einer nennenswerten Gegenwehr kam esnicht. Vielmehr ging die »Lehre« vom Überwin-tern durch die Reihen. Damit wurden die sozial-partnerschaftlichen ehren- und hauptamtlichenFunktionäre aber eher gefräßiger, und reihen-weise begann das große Resignieren. DerBezirksjugendausschuß trat zurück, als politi-sche Demonstration gedacht, aber ohne auslö-sende Wirkung (siehe »express« Nr. 9/77).Verdächtige Hauptamtliche wurden in ihrenKompetenzen eingeschränkt, die Wahl vonDelegierten zu allen Ebenen wurde vorgeplantund zum Teil administrativ auch durchgesetzt.Funktionsträger mußten sich der herrschendensozialpartnerschaftlichen Mehrheitsmeinunganpassen. Diskussionen über inhaltliche oderstrategische gewerkschaftliche Fragen werdennicht mehr zugelassen.

Die Auseinandersetzung um den KollegenPatschkowski kam den Saubermännern geradeRecht: die öffentliche Auseinandersetzung überdas, was ein hauptamtlicher Angestellter der IGChemie tun und lassen darf. Die Position der IGChemie, vertreten durch Karl Hauenschild undEgon Schäfer vom Hauptvorstand sowie denhessischen Bezirksleiter Horst Mettke, ist: DerFunktionsträger hat nach Mehrheitsbeschlüssen,die in möglichst hohen Organisationsgremienfallen, seine eigene Meinung abzulegen und istdazu verpflichtet, ausschließlich die offiziellePosition der Organisation zu vertreten. In diesesKlima gehören die »Freisetzungen« der Kolle-gen Bromberger und Thieser.

Zwei Sekretäre werden versetzt

Die Verwaltungsstelle Hanau und ihr Geschafts-fährer Alfred Müller waren immer vornedran,wenn es darum ging, Bildungsarbeiter zu sus-

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express 17.09.1979

IG Chemie Hessen Machtpolitik ohne Rücksicht auf Verluste

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pendieren, Betriebsrätewahlen so vorzumau-scheln, daß auch ja nichts »schief« gehen konn-te.

Daran konnte auch Bromberger grundsätzlichnichts ändern, aber allein sein Versuch, den vor-handenen Spielraum auszunutzen, wurde ihmzum Verhängnis. Dies konnte natürlich nichtGegenstand der Versetzung sein. Es mußtenFormalien wie zu spät kommen und ähnlichesherhalten; dabei war unwichtig, ob diese Vor-würfe haltbar waren oder nicht, sie sollten ledig-lich eine Legitimationsbasis gegen mögliche Kri-tik bieten. Diese entstand auch, vielleicht zuzaghaft, aber Vertrauensleute und Jugendfunk-tionäre ließen ihre Wut raus.

Ganz so dumm und dreist waren die Gründe fürdie Freisetzung von Dietmar Thieser nicht. Mett-ke hat sich mehr Zeit mit der Liquidierung gelas-sen. Es wurden eigens Revisionen vom Hauptvor-stand aus durchgeführt, um Thieser an den Fall-stricken gewerkschaftlicher Abrechnungen kip-pen zu lassen. Jeder, der hauptamtlich beschäf-tigt ist, kann seinen Hut nehmen, wenn diesesPrinzip generell gelten soll, denn bei den Vor-würfen gegen Thieser handelt es sich um organi-sationsweit verbreitete und im Interesse derOrganisation seit Jahren geübte Praktiken. Umdie IG Chemie vor Schaden zu bewahren, ver-zichten wir auf Details. Aber so viel sei gesagt:Würde publik, um was es geht, käme der IGChemie einiger Ärger ins Haus. Das wissen auchHauenschild, Schäfer und Mettke. Nichtumsonst, und schon gar nicht aus Fürsorge undAnständigkeit ist der gemaßregelte Thieser nichtentlassen, sondern nur versetzt worden.

Die Jugend zur Anpassung erziehen

Mit Mißtrauen wird betrachtet, daß die Jugend-arbeit auch als kleines und zartes Pflänzchengewerkschaftlicher Politik immer noch Wider-spruch zu bestimmten Gewerkschaftspositionenhervorruft. Weil z.B. Jugendliche nicht einsehenwollten, daß die Nichtübernahme ein sozialpo-litischer Fortschritt für die Einstellung neuer Aus-zubildender bedeutet. Das Argument derJugendarbeitslosigkeit wurde rücksichtslos dazubenutzt, um einen schwachsinnigen Tarifvertragfür Jugendliche ohne Hauptschulabschlußdurchzuboxen (siehe »express« Nr. 11/77).

Der Jugendsekretär Thieser mußte gehen, weiler nicht willens und auch nicht in der Lage war,dieser Gewerkschaftsjugend den letzten Restgewerkschaftlichen Gedankenguts auszutrei-ben.

Mit diesen Versetzungen fühlte sich die Mehr-heitsfraktion in Hessen sicher und auch ange-spornt, weitere Disziplinarmaßnahmen durchzu-setzen. Es wird uns nicht überraschen, wenn wirim nächsten »express« die Abservierung desnächsten Sekretärs in Hessen bekanntgebenmüssen. Die Kolleginnen und Kollegen werdengezwungen sein, ihre Diskussionen noch klein-lauter zu führen, wenn sie nicht bereit sind,gegen die Machtpolitik von Mettke offensiv vor-zugehen.

Es muß aber auch festgehalten werden, daßvon der oft beschworenen gewerkschaftlichenSolidarität im haupt- und im ehrenamtlichenFunktionärskreis kaum etwas zu hören ist.

m.b./A.D.T.

»Ohne ... freien Meinungskampf erstirbt das Leben in jeder öffentlichenInstitution, wird zum Scheinleben, in dem die Bürokratie allein das tätigeElement bleibt«. (Rosa Luxemburg)

»Es gibt nämlich zweierlei organische Lebenswesen, solche, die einRückgrat haben und deshalb auch gehen, zuweilen sogar laufen. Esgibt andere, die keines haben und deshalb nur kriechen und kleben«.

(Rosa Luxemburg)

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Wer dachte, mit der Satzungsänderung imFrühjahr 1979, wonach Vertrauensleutenicht nur durch Mitglieder gewählt werden,sondern auch durch die Vorstände der Ver-waltungsstellen berufen werden können,sei die Auseinandersetzung um die inner-gewerkschaftliche Demokratie in der IGChemie erstmal abgeschlossen worden,muß jetzt feststellen, daß der Kampf gegendie Vertreter für mehr innergewerkschaftli-che Demokratie weitergeführt wird.

Karl Hauenschild, Egon Schäfer (der von Hau-enschild als Nachfolger auserkoren wurde) undihre Anhänger im Hauptvorstand versuchen,alle Kritiker an dem derzeitigen gewerkschaftli-chen Kurs der IG Chmie noch vor dem Gewerk-schaftstag im September 1980 mundtot zumachen.

Von langer Hand eingefädelt wurde am4.2.1980 dem Mitglied des geschäftsführendenHauptvorstand, Paul Plumeyer, vom Hauptvor-stand das Mißtrauen ausgesprochen. Der Vor-schlag, ihn auf dem Gewerkschaftstag 1980erneut als Hauptvorstandsmitglied zur Wieder-wah1 vorzuschlagen, wurde zurückgenommen.

Dieser Entscheidung war einiges vorausgegan-gen.

1.) Plumeyer hatte auf der Delegiertenhaupt-versammlung in Hann. Münden am 19.1.80eine Rede gehalten und sich u.a. für eineStärkung der innergewerkschaftlichenDemokratie eingesetzt. Unter anderem hater sich mit einem Antrag des Hauptvor-stands zum Gewerkschaftstag auseinander-gesetzt, der die Rechte des Beschwerdeaus-schusses einschränken soll. Der Antrag bein-haltet eine Entmachtung der Verwaltungs-stellenvorstände, die künftig nicht mehr dasRecht haben sollen, den Beschwerdeaus-schuß in Angelegenheiten anzurufen »diedas Arbeitsverhältnis der hauptamtlichBeschäftigten betreffen, auch soweit mitdem Arbeitsverhältnis verbundene Wahl-funktionen berührt werden«: Hintergrund fürdiese Änderung ist die Entscheidung des

Beschwerdeausschusses, wonach die Ent-lassung des IG Chemie-GeschäftsführersFerdinand Patschkowski, Hann. Münden,nicht rechtmäßig war, weil der Hauptvor-stand gegen die Satzung verstoßen hat. Plu-meyer hat im Hauptvorstand gegen diesenAntrag gestimmt und in Hann. Münden dieMeinung vertreten, daß er nicht verstehenkann, daß sich gestandene Gewerkschafterin freier Abstimmung selbst entmachten.

2.) In der Sitzung des Bezirksvorstandes Hes-sen am 28.1.80 hat sich der Bezirksleiter,Horst Mettke, für einen Antrag starkgemacht, wonach der Hauptvorstand ineiner außerordentlichen Sitzung überprüfensoll, ob Plumeyer zur Wiederwahl demGewerkschaftstag vorgeschlagen wird.Nach Berichten aus dem Bezirksvorstandsoll auch das Mitglied des HauptvorstandesEgon Schäfer für diese Forderung eingetre-ten sein.

3.) Auf der Bundesangestelltenkonferenz vom31.1.–2.2. in Duisburg wurde eine Resolu-tion eingebracht, in der, ohne den NamenPlumeyer zu erwähnen, der Hauptvorstandaufgefordert wurde, »die Voraussetzungenfür eine faire und sachliche Diskussion wie-derherzustellen«. Das für Angestelltezuständige Mitglied des Hauptvorstandesist Egon Schäfer.

Am 4.2. fand die von langer Hand vorbereiteteaußerordentliche Hauptvorstandssitzung statt.In dieser Sitzung ging es nur um die Auseinan-dersetzung mit Paul Plumeyer. Die ehrenamtli-chen Mitglieder des Hauptvorstands beschlos-sen bei einer Gegenstimme und einer Enthal-tung, daß sie sich u.a. gegen die beleidigendeUnterstellung verwahren, sie seien gläubigeKollegen, die eine Selbstentmachtungbeschließen. Weiterhin sehen sie die Geboteder Fairniß verletzt durch Anspielungen, esbestehe nicht die Sorge, Kommunisten bekä-men in der IG Chemie das Sagen, sondern Aus-mauschler würden überhand nehmen. Da Plu-meyer erklärte, er werde kein Wort von seinemRedemanuskript zurücknehmen, sei eine ver-trauensvolle Zusammenarbeit nicht mehrgewährleistet. Plumeyer wird deshalb das

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express 14.02.1980

Hauenschild sieht seine Kreise gestört

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Mißtrauen ausgesprochen. Die Empfehlung zurWiederwahl der Hauptvorstandsmitglieder aufdem Gewerkschaftstag wird zurückgenommen.Auch die Mitglieder des geschaftsführendenHauptvorstands stimmen bei Stimmenthaltungvon Werner Viti dem Mißtrauensantrag zu.

Vermutet wird, daß dem Gewerkschaftstag alsneue Hauptvorstandsmitglieder der hessischenBezirksleiter Horst Mettke, für den aus Alters-gründen ausscheidenden Erwin Grützner, undfür Paul Plumeyer der in der Abteilung Hauen-schild arbeitende Ewald Bergk vorgeschlagenwerden.

Einen Tag lang setzte sich der Hauptvorstandmit Paul Plumeyer auseinander. Keine MinuteZeit hatte man dagegen, sich mit den Äußerun-gen von Hauenschild zur jüngsten Ölpreiser-höhung zu beschäftigen. In einem Interview imSüdwestfunk am 2.2. hat Hauenschild dieÖlpreiserhöhung verteidigt, weil ein Verzicht

der Ölmultis auf Gewinn nicht gerechtfertigt sei.Am Tage vorher wurde bekannt, die Profite derÖlmultis im Jahre 1979 betragen 38,5 Milliar-den Mark und wurden hauptsächlich in Japanund Westeuropa erzielt.

Die chemische Industrie geht da schon andersgegen die Ölmultis vor. Einige Tage vor demHauenschild-Interview erklärte sie, die Preispoli-tik der Ölmultis ist weit überzogen. Die gegendie Interessen der Arbeitnehmer gerichtetenAussagen von Hauenschild, auch in Zusammen-hang mit der IG Metall-Tarifrunde, haben eherdas Mißtrauen der IG Chemie-Mitglieder ver-dient als die Äußerungen von Paul Plumeyer.Wie lange lassen sich die IG Chemie-Mitgliedernoch gefallen, daß sich ihr Vorsitzender für dieInteressen des Kapitals einsetzt und die Interes-sen der Gewerkschaftsmitglieder mißachtet?

A.D. Timm

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IG Chemie Vertrauensleutewahlen abgeschlossen

Vor den vom 1. September bis 30. Novem-ber stattgefundenen Vertrauensleutewah-len in der IG Chemie, Papier, Keramik sorg-te eine Satzungsänderung für Aufregung.Danach können in Zukunft auch betriebli-che Vertrauensleute – das sind Vertrauens-leute, die auch von Un- und Andersorgani-sierten gewählt werden – zu gewerkschaft-lichen Vertrauensleuten berufen werden,wenn eine Wahl gewerkschaftlicher Ver-trauensleute »unzumutbare organisatori-sche Schwierigkeiten bereitet«. Über dieseAuseinandersetzung berichteten wir in»express«, Nr. 4 und 5/1979.

Die neugewählten bzw. berufenen Vertrauens-leute werden in den nächsten Wochen die Dele-gierten zu den Delegiertenhaupt-Versammlun-gen der Verwaltungsstellen wählen. Dort wer-den dann die Delegierten zum Gewerkschafts-

tag, der im September 1980 in Mannheim statt-findet, gewählt.

Keine Veränderungen gegenüber 1975

In keinem der Großbetriebe der chemischenIndustrie, Bayer Leverkusen, BASF Ludwigsha-fen, Hoechst AG Frankfurt wurde auch nur derVersuch von der zuständigen Verwaltungsstelleoder Bezirksleitung gemacht, die betrieblicheVertrauensleutewahl durch eine Wahl dergewerkschaftlichen Vertrauensleute zu ergän-zen bzw. zu ersetzen.

Nach den offiziellen Berichten der IG Chemiehat sich zwar die Zahl der Betriebe, in denenVertrauensleute gewählt bzw. berufen wurden,um 86 erhöht, von 971 Betriebe im Jahre 1975auf 1.057 Betriebe in 1979, die Zahl dergewählten oder berufenen Vertrauensleute hatsich bei rund 25.000 eingependelt.

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Behinderung in sieben Betrieben

Nur in sieben Betrieben gab es Behinderungenbei der Wahl der gewerkschaftlichen Vertrau-ensleute im Betrieb durch die Arbeitgeber. Amspektakulärsten war die Behinderung und dievon der IG Chemie ergriffenen Gegenmaßnah-men im Werk Wuppertal-Elberfeld der BayerAG, die auch bundesweites Aufsehen erregten.

Wie im Hauptwerk der Bayer AG in Leverkusengibt es, bis auf das Werk in Brunsbüttel, in allenWerken der Bayer AG Betriebsvereinbarungenüber die Wahl betrieblicher Vertrauensleute.Nach der Satzung werden die aus dieser Wahlhervorgehenden Gewerkschaftsmitglieder dannals gewerkschaftliche Vertrauensleute berufen.Die Verwaltungsstelle Wuppertal der IG Chemie,deren Funktionäre sich schon immer für dieAbschaffung dieser undemokratischen Praxis ein-setzten, konnte erstmals 1975 durchsetzen, daßauch im Werk Wuppertal-Elberfeld der BayerAG gewerkschaftliche Vertrauensleute im Betriebgewählt wurden. Die Unternehmensleitung ver-zichtete damals auf eine Wahl der betrieblichenVertrauensleute und beließ die im Jahre 1972gewählten betrieblichen Vertrauensleute im Amt.

Anläßlich der jetzigen gewerkschaftlichen Ver-trauensleute verbot die Unternehmensleitungdie Wahl der gewerkschaftlichen Vertrauensleu-te im Betrieb und auf dem Werksgelände. DieIG Chemie führte daraufhin die Wahl dergewerkschaftlichen Vertrauensleute vor denWerkstoren durch. Noch vor dieser Wahl wur-de die immer noch bestehende Betriebsverein-barung über die Wahl betrieblicher Vertrauens-leute am 15.11.1979 vom Betriebsrat gekündigt.

Die Wahl vor den Toren brachte der IG Chemieeinen eindeutigen Vertrauensbeweis. Die Mit-glieder beteiligten sich nämlich in weitaus höhe-rem Maße an dieser Wahl, als dies bei derWahl 1975, die im Betrieb stattfand, der Fallwar. 1975 beteiligten sich 53 Prozent der Mit-glieder an der Wahl ihrer Vertrauensleute, dies-mal waren es 73,2 Prozent.

Betriebliche Vertrauensleutewahl bei derHoechst AG, Frankfurt/Main

In der Hoechst AG wurde dagegen erst gar-nicht der Versuch unternommen, gewerkschaftli-che Vertrauensleute zu wählen. Wie in der Ver-

gangenheit wurden die Bedingungen derbetrieblichen Vertrauensleutewahl, wie sie vonder Unternehmensleitung vorgegeben wurden,von der IG Chemie übernommen.

Mit einem großen Werbeaufwand hat dieUnternehmensleitung die Wahl der betriebli-chen Vertrauensleute vorbereitet und durchge-führt. Eine Reihe von Artikeln der Werkszeitung,u.a. auch ein Interview mit dem Betriebsratsvor-sitzenden und ehrenamtlichen Hauptvorstands-mitglied der IG Chemie, Rolf Brand, der sich vollhinter die Konzeption der Hoechst AG stellteund die Wahl betrieblicher Vertrauensleutebefürwortete, Plakate, Flugblätter, Streichholz-briefe und fast tägliche Berichterstattung sorg-ten für eine Popularisierung der betrieblichenVertrauensleutewahl.

Mit der Berufung der gewerkschaftlichen Ver-trauensleute nach der Wahl der betrieblichenVertrauensleute hatte die IG Chemie Verwal-tungsstelle offenbar große Schwierigkeiten.

In vielen Bereichen wurden den Gewerkschafts-mitgliedern gleich mehrere gewerkschaftlicheVertrauensleute als ihre Vertrauensleutebenannt, obwohl ein Teil dieser benannten Ver-trauensleute in anderen Wahlbereichen gewähltwurde, also nichts mit diesen Mitgliedern zu tunhat. Die Satzungsbestimmung: »Die Verwal-tungsstelle hat dem Mitglied schriftlich undpostalisch mitzuteilen, wer für das Mitglied alsVertrauensmann berufen wurde« konnte von derVerwaltungsstelle nicht erfüllt werden.

In 129 Wahlbereichen wurden betriebliche Ver-trauensleute gewählt, die keine Mitglieder der IGChemie sind. Dies bedeutet, daß die IG Chemie-Mitglieder in diesen 129 Wahlbereichen von dergewerkschaftlichen Willensbildung vollkommenausgeschlossen sind. Nach Schätzungen sinddavon rund 1.000 der insgesamt 9.000Gewerkschaftsmitglieder in der Hoechst AGbetroffen.

Die rund 500 Auszubildenden, die Mitglied derIG Chemie sind, erhielten bis heute keine posta-lische Nachricht, wer ihr gewerkschaftlicherVertrauensmann ist.

Allein diese Gründe zeigen, daß noch nicht ein-mal die im April 1979 vorgenommene Satzungs-änderung bei der Berufung der gewerkschaftli-

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express 14.02.1980

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chen Vertrauensleute in der Hoechst AG einge-halten wurde. Ob die Verwaltungsstelle in derLage ist, die dargestellten Satzungsverstöße nochvor der konstituierenden Vertrauensleutever-sammlung zu bereinigen, ist äußerst zweifelhaft.

Sollte dies nicht gelingen, besteht die Möglich-keit, daß die in dieser Vertrauensleuteversamm-lung gewählten Delegierten für die Delegierten-hauptversammlung der Verwaltungsstelle Frank-furt nicht rechtmäßig zustande kommen.

Mit gutem Willen und etwas mehr gewerk-schaftlicher Aktivität hätte eine Wahl gewerk-schaftlicher Vertrauensleute, auch wenn diesevor den Werkstoren hätte stattfinden müssen –ähnlich wie bei Bayer in Wuppertal-Elberfeld –,sicher mehr zur Entwicklung eines gewerkschaft-lichen Selbstverständnisses in der Hoechst AGbeigetragen, als die Übernahme der von derUnternehmensleitung entwickelten und getra-genen betrieblichen Vertrauensleutewahl, dienur zu Verärgerung bei vielen Gewerkschafts-mitgliedern in der Hoechst AG führte.

Wird die Satzung wieder geändert?

Bis zum 31.3.1980 finden die Delegierten-hauptversammlungen in allen IG Chemie-Ver-

waltungsstellen statt. Dort werden u.a. auch dieDelegierten zum Gewerkschaftstag im Septem-ber 1980 gewählt und Anträge zum Gewerk-schaftstag gestellt. In einigen Delegierten-hauptversammlungen, die bisher stattfanden,wurde auch eine Änderung der Satzung dahin-gehend verlangt, daß als gewerkschaftlicheVertrauensleute nur von den Gewerkschaftsmit-gliedern gewählte Vertrauensleute tätig wer-den dürfen.

In der Delegiertenhauptversammlung der Ver-waltungsstelle Hannoversch Münden wurde einentsprechender Antrag einstimmig angenom-men. In weiteren Anträgen wird eine veränderteZusammensetzung des Beirats gefordert. Bisherwurden von den 110 Beiratsmitgliedern nur 65in den Bezirksdelegiertenkonferenzen gewählt.Nach dem Willen der Antragsteller sollen inZukunft alle Beiratsmitglieder in den Verwal-tungsstellen gewählt werden. Die »Gewerk-schaftspost«, Zentralorgan der IG Chemie, sollverpflichtet werden, in Zukunft u.a. satzungsän-dernde Anträge zwei Monate vor derBeschlußfassung im Beirat zu veröffentlichen,damit die Mitglieder darüber diskutieren kön-nen.

A.D. Timm

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Die innergewerkschaftliche Auseinander-setzung in der IG Chemie-Papier-Keramik(siehe »express« 2/1980) um die Positio-nen des Hauptvorstandsmitgliedes PaulPlumeyer gehen weiter. Auch die Bundesju-gendkonferenz der IG Chemie, sie fandvom 21.-23.2.1980 in Augsburg statt,befaßte sich – neben einigen anderenwichtigen Fragen – im wesentlichen mit die-sen Auseinandersetzungen und der geradebekannt gewordenen Disziplinierung derKollegen in der DGB-BundesjugendschuleOberursel. Die Positionen der IG Chemiezur Situation in Oberursel spielten auch inder Presseöffentlichkeit eine große Rolle.Dagegen wurden die Diskussionen undAnträge zur innergewerkschaftlichen Aus-einandersetzung in der IG Chemie kaumzur Kenntnis genommen.

Ölpfennige wurden gesammelt

Am Rande der Konferenz wurde die 1-Pfennig-Gewinn-Aussage von Karl Hauenschild (dazuauch der Beitrag auf Seite 13) zur Gewinnex-plosion der Ölmultis persifliert. Einige Delegier-te hatten einen Stand aufgebaut, um 1-Pfennig-Stücke für die Investitionen der Ölmultis zu sam-meln. In einem Rollenspiel, das als Diskussions-beitrag zur Jugendarbeit von einigen Delegier-ten dargestellt wurde, heißt es an einer Stelle:weil wir jetzt die Mitbestimmung haben undunsere Vertreter in den Aufsichtsraten sitzen, istes das Gebot gewerkschaftlicher Solidarität:ein Pfennig von jeder Mark macht die Vebastark. Karl Hauenschild sitzt im Aufsichtsrat derVeba, diese betreibt unter anderem auch dieTankstellenkette der Aral AG.

Initiativanträge und die Folgen

Zu den Auseinandersetzungen um die innerge-werkschaftliche Demokratie und Maßregelungvon Plumeyer durch den Hauptvorstand warenzwei Initiativanträge eingereicht worden. DerInitiativantrag von Werner Dritschler und

Genossen kritisiert, daß die für die IG Chemielebenswichtigen Fragen »nicht mehr in dergebotenen Sachlichkeit, sondern weitgehendpersonalisiert« geführt werden. In dem Antragheißt es dann:

»Genauso selbstverständlich muß es sein, Mei-nungen, die noch nicht Mehrheiten besitzen,innerhalb unserer Organisation vertreten zudürfen, ohne mit dem Vorwurf der Illegalitätkonfrontiert zu werden. Dabei ist unterstellt, daßgefaßte Beschlüsse von den zuständigen Kolle-gen und Gremien durchgeführt werden.

Man muß sich fragen, ob die Einberufung einerSondersitzung des Hauptvorstandes, um einReferat eines Mitgliedes des geschäftsführen-den Hauptvorstandes auf einer VWSt-Konfe-renz zu bewerten, nicht ein Beitrag zu einerunnötigen Verscharfung darstellt. Dies ist umso-mehr zu fragen, als wir das Referat des Kolle-gen Plumeyer als diskussionswürdig ansehen,aber keinesfalls als Grundlage für die unver-ständliche Entscheidung des Hauptvorstandesverstehen können, den Kollegen Plumeyer nichtmehr zur Wahl auf dem Gewerkschaftstag vor-zuschlagen und ihm das Mißtrauen auszuspre-chen.«

Am Schluß des Antrags wird Kollege Plumeyeraufgefordert, sich als Mitglied des geschafts-führenden Hauptvorstands erneut zur Wahl zustellen. Hermann Rappe, verantwortlichesHauptvorstandsmitglied für die Jugendarbeitund SPD-MdB, war sich sicher darüber im kla-ren, daß ein Antrag, der das Mißtrauensvotumdes Hauptvorstandes gegen Plumeyer unter-stützt, auf dieser Konferenz nicht durchsetzbarwar. Es fügte sich dann gut in das Konferenz-konzept, daß mit dem Initiativantrag von Ange-lika Eckhardt und Genossen offenbar ein Kom-promiß gefunden werden konnte, der auch vonvielen Hauptamtlichen noch akzeptiert wurde.In diesem Antrag heißt es u.a.:

»Die Auseinandersetzung der letzten Wochenwird insbesondere an zwei Personen geführt.

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express 14.03.1980

Ein Pfennig von jeder Mark macht die Veba stark

IG Chemie-BundesjugendkonferenzMit massivem Einsatz Solidarität mit Plumeyer verhindert

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● Zu heftigen Reaktionen des Hauptvorstan-des führte ein Referat des Kollegen Paul Plu-meyer. Teile dieser Rede des Kollegen Plu-meyer sind nicht geeignet, unserer gewerk-schaftlichen Diskussion weiterzuhelfen. Diesist für uns jedoch kein Grund, einem Mit-glied des HV das Mißtrauen auszuspre-chen. Vertrauens- und Mißtrauens-erklärungen gegenüber HV-Mitgliedernsind Sache des Gewerkschaftstages, der imSept. 1980 stattfinden wird.

● Ebenso kritisiert die Bundes-Jugendkonfe-renz die Erklärungen des Kollegen KarlHauenschild, wonach die Preiserhöhungender multinationalen und nationalen Ölkon-zerne akzeptabel seien. Diese, oder zumin-dest entsprechend mißverständliche Aussa-gen in Interviews, haben die Unternehmer-vertreter begierig aufgegriffen, um damitdie ungerechtfertigten Preiserhöhungen zulegitimieren.«

Konferenzmaschinerie wird in Gang gesetzt

Als mit Antragsschluß am Freitag, 22.2., klarwar, daß diese beiden Anträge zu den aktuel-len Auseinandersetzungen in der IG Chemievorliegen, wurde die Konferenzmaschinerie –im wesentlichen gesteuert von einigen Haupt-amtlichen – in Gang gesetzt. In den Wandel-gängen wurde nun der Versuch gemacht, alleDelegierten, die den Antrag von Dritschler undGenossen unterschrieben hatten, dazu zubewegen, ihre Unterschrift zurückzuziehen. Eswurde damit u.a. argumentiert, daß überalldort, wo heute noch Spielräume in der Jugend-und Jugendbildungsarbeit vorhanden sind, die-se durch die offene Unterstützung von Plumeyerdurch die Jugend beseitigt werden. Außerdemsei, wenn dieser Antrag angenommen wird,damit zu rechnen, daß in der IG Chemie Köpfefallen. Gemeint waren damit auch die Kollegin-nen und Kollegen, die den Antrag von Dritsch-ler unterschrieben haben und einige Hauptamt-liche, die ›ihre‹ Jugendlichen nicht im Griff hat-ten. Dieses massive Unter-Druck-Setzen zeigteauch Wirkung. Kollege Dritschler erklärte sichbereit, seine und weitere Unterschriften zurück-zuziehen. Der Antrag hätte dann nicht mehr dieerforderliche Zahl von Unterschriften gehabt.Gleichzeitig wurde mit der Antragstellerin Eck-

hardt vereinbart, daß auch ihr Antrag zurückge-zogen wird.

Die Resignation unter den Delegiertenwächst – ein letztes Aufbäumen

Bei vielen Delegierten führte dies zu einer fatali-stischen Haltung, die Luft war raus, um Antrags-inhalte wurde nicht mehr gekämpft, die Empfeh-lungen der Antragskommission, die vorher ineinigen wichtigen Fragen niedergestimmt wur-den, gingen nun ohne größere Gegenwehrdurch. Am Samstag, 23.2., wurde nach der Mit-tagspause die Flüsterparole verbreitet, Dritsch-ler und seine Kolleginnen und Kollegen würdenihre Unterschrift doch aufrecht erhalten. Vor derBeratung der beiden o.g. Initiativanträge melde-te er sich dann auch zu Wort und erklärte u.a.,daß die Unterzeichner über ihren Schritt disku-tiert hatten und sich entschieden haben, ihreUnterschriften aufrecht zu erhalten. Weiterhinsagte er, sie seien nicht bereit, sich politisch dis-ziplinieren zu lassen und sich dem Druck, derauf sie ausgeübt worden sei, zu unterwerfen. Essei notwendig, die Vorgänge auf der Konferenzund um den Kollegen Plumeyer gewerk-schaftsöffentlich zu machen.

Dieser Erklärung folgt ein Aufmarsch derHauptamtlichen zum Rednerpult. HermannRappe erklärte, daß eine Zusammenarbeit mitPlumeyer im Hauptvorstand schon seit längererZeit nicht mehr möglich sei. Die Delegiertenwarnte er, Plumeyer zu unterstützen, dieser seikein Linker, sondern ein rechter Apparatschick.Gleichzeitig warf er Dritschler und seinen Kol-leginnen und Kollegen vor, sie würden nur tak-tieren und ihre Forderung nach einer unbüro-kratischen Jugendarbeit damit ad absurdumführen. Bundesjugendsekretär Gerd Andressetzte sich ebenfalls deutlich von Plumeyer ab.Weitere Hauptamtliche setzten sich massiv fürden Antrag Eckhardt ein, da dieser einen Kom-promiß zum Antrag Dritschler darstellt. Für denAntrag Eckhardt wurden dann ca. 60 % derStimmen und für den Antrag Dritschler 40 %der Stimmen abgegeben. Hält man sich dieBedingungen vor Augen, unter denen diesesErgebnis zustande kam, dann muß diese Ent-scheidung dennoch als Erfolg bewertet wer-den. A.D. Timm

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Tief betroffen war der Vorsitzende der IG Che-mie-Papier-Keramik, Karl Hauenschild, als derRedakteur W.G. Brügmann in einem Kommen-tar der »Frankfurter Rundschau« am 20.2.1979meinte, daß die Führung der IG Chemie »eineMentalität erkennen (lasse), deren möglicheAuswirkungen fatal an das Kaderprinzip kom-munistischer Parteien mit zentralistischen Zen-tralkomitees, mit Durchgriffsmöglichkeiten vonoben nach unten« erinnere. Der Hauptvorstandder IG Chemie verklagte daraufhin den Redak-teur der »Frankfurter Rundschau« auf Unterlas-sung dieser Äußerung. Die Klage wurde vomLandgericht Frankfurt a.M. am 12.7.79 abge-wiesen. Wie aktuell diese Feststellung desKaderprinzips in der IG Chemie gerade heuteist, machen verschiedene Vorgänge deutlich,die in letzter Zeit Bestandteil gewerkschaftlicherPolitik in der IG Chemie wurden.

Die Devise heißt: Mehrheitsstabilisierend

Nach einer Konferenz aller Hauptamtlichen imJanuar in Frankfurt/M. erklärte Hauenschild,daß bei einem knappen Fünftel der 67 Verwal-tungsstellen noch intensive Überzeugungsarbeitgeleistet werden müsse, um diese auf den richti-gen Weg zu bringen. Gemeint sind damit insbe-sondere die Verwaltungsstellen, die sich im Vor-feld des Gewerkschaftstages und auf demGewerkschaftstag im September 1980 aktiv indie Auseinandersetzung um die Abschaffungder betrieblichen Vertrauensleute eingeschaltethatten.

Zahlreiche Personalentscheidungen nach demGewerkschaftstag wurden bereits unter der Prä-misse gefällt, ob die Kandidaten für den Haupt-vorstand auch »mehrheitsstabilisierend« auftre-ten. So wurde nach dem Gewerkschaftstag derfür den Bezirksleiter von Westfalen, Hans Wulf,vorgesehene Nachfolgekandidat Kurt Lieberumvom Hauptvorstand nicht mehr vorgeschlagen.Hauenschild, der an der Bezirksvorstandssit-zung selbst teilnahm, erklärte kategorisch, auchwenn ihr zehn Kandidaten des Hauptvorstan-des ablehnt, der elfte Kandidat wird nicht Lie-berum heißen.

Gegenüber dem »Handelsblatt« erklärte Hau-enschild, es komme darauf an, bei Neueinstel-

lungen von hauptamtlichen Funktionären zweck-entsprechend »zu sieben«.

Durchgriff von obenauch in der Bildungsarbeit

Auf der gleichen Konferenz wurde vom Haupt-vorstand, hier im wesentlichen vom MdB-SPDHermann Rappe, einer zentralistisch ausgerich-teten Bildungsarbeit das Wort geredet. InZukunft will der Hauptvorstand allen Verwal-tungsstellen die Bildungsthemen zentral vor-schreiben. Die Zusammenarbeit mit anderenInstitutionen (wie z.B. »Arbeit und Leben«) undzwischen den Verwaltungsstellen ist nur nachZustimmung der Bezirksleitung möglich. Auchdie Referenten sollen nur noch durch denHauptvorstand bzw. die Bezirksleitungenbestimmt werden.

Anträge zum DGB-Grundsatzpragramm:Beerdigung erster Klasse

Auf dem IG Chemie-Gewerkschaftstag im Sep-tember 1980 wurden auch einige Anträge zumDGB-Grundsatzprogramm behandelt. DieAntragskommission hatte empfohlen, alle Anträ-ge, »die auf das DGB-Grundsatzprogramm ein-gehen (...), als Material an den Hauptvorstand«zu überweisen. In der Debatte wandte sich einDelegierter gegen diese Verfahrensweise undforderte die direkte Entscheidung durch denGewerkschaftstag, also die Annahme als Wei-terleitung an den Außerordentlichen DGB-Bun-deskongreß in diesem Jahr.

Der Sprecher der Antragskommission erklärtedazu: »Wir sehen die Überweisung als Materi-al, nicht als Beerdigung erster Klasse an (...),sondern wir sehen darin für denjenigen eineVerpflichtung, an den das Material geht, umdas daraus zu machen, was die Antragstellerwollen.«

Am 21.1.1981 erklärte Hauenschild in einerPressekonferenz, die IG Chemie werde keineAnträge zum DGB-Grundsatzpramm einrei-chen. Er begründete dies u.a. damit, daß derHauptvorstand die Anträge des Gewerkschafts-tages als nicht so wichtig erachte, um sie zumAußerordentlichen DGB-Bundeskongreß einzu-

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Hauenschild: Unfehlbar wie der Papst

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Seit Jahren steht die IG Chemie-Papier-Keramik in der Hoechst AG im Brennpunktinnergewerkschaftlicher Auseinanderset-zungen. Die Betriebsräte der IG CPK inder Hoechst AG sind für viele Gewerk-schafter der Inbegriff für eine Betriebs-ratspolitik, die sich an den Interessen derUnternehmensleitung und nicht an denender Beschäftigten orientiert. Multifunk-tionär Brand hat in seiner Betriebsratszeitdazu beigetragen, daß sich das gewerk-schaftliche Organisationsverhältnis vonknapp 50 Prozent auf unter 30 Prozentreduziert hat. Innergewerkschaftliche Kri-tiker wurden und werden von Brand mitaktiver Unterstützung der Frankfurter IG-Chemie-Verwaltungsstelle verfolgt und

wenn irgend möglich, aus der IG Chemieausgeschlossen. Spektakulär war die Aus-einandersetzung mit einer Reihe von Ver-trauensleuten im Jahre 1976/77, die sichfür eine gewerkschaftliche Betriebspolitikauf Grundlage der IG-Chemie-Beschlüsseeinsetzten und deshalb aus der IG Chemieausgeschlossen wurden (siehe »express«10/76 und 4/77). Zur Betriebsratswahl1981 kandidierten 22 Kolleginnen undKollegen, darunter zwei der 1977 Ausge-schlossenen, auf eigenen Listen mit demZiel, die Vormachtstellung von Rolf Brandund seinen Vasallen zu brechen und sichim Betriebsrat für eine durchschaubareBetriebsratsarbeit einzusetzen.

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Mit Brand bergab – BR-Wahlen bei Hoechst

Da sind die Unbedenklichen,die niemals zweifeln.Ihre Verdauung ist glänzend,ihr Urteil unfehlbar. Sie glauben nicht den Fakten, sie glauben nur sich. Im Notfall müssen die Fakten dran glauben. Ihre Geduld mit sich selbst ist unbegrenzt. Auf Argumente hören sie mit dem Ohr eines Spitzels. (Bertolt Brecht in »Lob des Zweifels«)

reichen. Außerdem beinhalte der Entwurf desDGB-Grundsatzprogrammes eine »ausgewoge-ne Mitte-links-Position«. Die IG Chemie sei dage-gen, daß diese Position weiter nach linksgerückt werde.

Hauenschild meinte dann noch, er halte es auchfür merkwürdig, da er selbst an dem Entwurf mit-gearbeitet habe und dafür eintrete, wenn dannnoch von der eigenen Organisation Änderungs-anträge eingereicht würden. Die Selbstherrlich-keit des Kollegen Hauenscnild kennt keine

Grenzen, möglicherweise kann er mit einer der-artigen Überzeugung als Gewerkschaftspapst,einschließlich der päpstlichen Unfehlbarkeit, indie Geschichte der deutschen Gewerkschafteneingehen.

Merke: »Die Mitglieder sollen ehrerbietig,gehorsam, schweigsam, ehrlich, friedfertig unddemütig sein«. (In Abwandlung einer Gesinde-ordnung, die 1918 aufgehoben wurde.)

A.D. Timm

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Persönlichkeitswahl

In der Belegschaft der Hoechst AG wurde imVorfeld der diesjährigen Betriebsratswahl auchdarüber diskutiert, ob es nicht besser wäre, vonder bisherigen Listenwahl abzugeben und dieBetriebsräte in Persönlichkeitswahl direkt vonden Beschäftigten wählen zu lassen. Dabei istwichtig zu wissen, daß im Arbeiterbereich seitJahren von der IG Chemie zwei Listen einge-reicht werden – eine mit deutschen und eine mitausländischen Kandidaten –, um die Listenwahlauch im Arbeiterbereich zu garantieren. Mitdiesem formalen Trick ist es Brand in den ver-gangenen Jahren gelungen, daß immer nur dieKandidaten in den Betriebsrat einzogen, diedem Betriebsrats- und Vertrauensleutevorsitzen-den Rolf Brand in sein Konzept paßten. Nichtgenehme Kandidaten wurden auf den Listen soweit hinten plaziert, daß sie keine Chancen hat-ten, in den Betriebsrat gewählt zu werden. Mitdiesem Instrument und dem Prinzip betrieblicherVertrauensleutewahlen gelang es, alle opposi-tionellen Einflüsse klein zu halten. Die Kollegin-nen und Kollegen, die sich für eine Persönlich-keitswahl stark machten, forderten im Novem-ber 1980 den Betriebsrat auf, mit der Beleg-schaft auch das Wahlverfahren für die Betriebs-ratswahl zu diskutieren. Der lehnte ab.

»Der Wähler ist überfordert«

Wesentlichstes Argument von IG Chemie undDAG gegen die Persönlichkeitswahl: DieWähler seien nicht in der Lage, aus der Vielzahlder vorgeschlagenen Personen die richtigenauszuwählen. Im DAG-Flugblatt liest sich dasso: »Bei ca.10.000 Wählern und 357 Kandida-ten – das waren die Zahlen im Werk Hoechst1978 für die Angestellten – ist der Wähler beiPersönlichkeitswahl überfordert; denn wählenheißt auswählen.« Genau darum aber ging esdenen, die sich für die Persönlichkeitswahl ein-setzten. Denn bei einer Listenwahl werden allegewählt, die auf der Liste stehen, eine Auswahlist also nicht möglich. Damit der Belegschaft dieUnmöglichkeit der Auswahl bei einer Persönlich-keitswahl auch deutlich wird, reicht die IG Che-mie drei Listen (zwei im Arbeiterbereich undeine bei den Angestellten) ein, auf denen für die43 Betriebsratssitze 497 Kandidaten aufgeführtsind. Alleine für die 24 Arbeitersitze kandidie-

ren auf den beiden IG-Chemie-Listen 326 Kolle-ginnen und Kollegen.

»Kollegen für eine durchschaubareBetriebsratsarbeit« kandidieren

22 Kolleginnen und Kollegen, davon 20 IG-Chemie-Mitglieder, geben sich wegen derNichtdurchsetzung der Persönlichkeitswahlaber nicht geschlagen, sie reichen entsprechen-de Listen ein und erklären in ihren Flugblättern:»Wir fordern weiterhin Persönlichkeitswahl. Wirziehen sofort unseren Listenvorschlag zurück,wenn auch die anderen Kandidatenlisten dazubereit sind.« In einer 20-seitigen Broschüre stel-len sie ihre Vorstellungen für eine durchschau-bare Betriebsratsarbeit der Belegschaft gegenü-ber dar. Die Broschüre wird während der Mit-tagspausen in den Kantinen und nach derArbeitszeit vor den Toren an Info-Ständen andie Belegschaft verteilt. Wesentliche Punkte:

● Weitergabe aller Informationen, die sie alsBetriebsräte erhalten, an die Belegschaft;

● Durchführung der im Betriebsverfassungs-gesetz vorgeschriebenen vier Betriebsver-sammlungen im Jahr, statt der bisher nurzweimal stattfindenden Betriebsversamm-lungen;

● Aufklärung über die in der Hoechst AGstattfindende Datensammlung über jedenMitarbeiter und den Aufbau der Arbeits-platzdatei, die bisher ohne jeglicheBetriebsvereinbarung und Kontrolle durchdie Belegschaft vorgenommen wird;

● Disziplinarmaßnahmen gegen Beschäftigtemüssen eingehend geprüft und mit denBetroffenen vorher besprochen werden,damit der Betriebsrat gegen die Vorstellun-gen der Unternehmensleitung handeln kann.

Fragen zur Schichtarbeit, Rationalisierung,Gesundheitsschutz runden das Programm ab.

Massive Kampagne gegen die »Durchschaubaren«

Natürlich wurden die »Durchschaubaren«sofort in eine linksextremistische Ecke gedrückt.Als Dreckschleuder betätigte sich insbesonderedie DAG, die in einem Flugblatt vom Februaru.a. erklärte: Der ultra-linke Teil der IG Chemie»hat sich unter ›Kollegen für eine durchschau-

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bare Betriebsratsarbeit‹ selbständig gemacht(Informationen zu dieser Gruppe können Siebei uns abrufen). (...) Jedenfalls wird hier vonextremen Kräften der Versuch unternommen,das zu erreichen, was ihnen im politischenBereich, z.B. durch den KBW, auch nicht imAnsatz gelingt: Mandate zu erringen.

Die IG Chemie argumentierte zwar in gleicherRichtung, tat dies jedoch meist in Versammlun-gen und nicht in dieser Deutlichkeit in ihren Ver-öffentlichungen.

In den Betriebsversammlungen am 5. und 6.März behauptete der Spitzenkandidat der IG-Chemie-Angestelltenliste, Arnold Weber, einerder Kandidaten auf der Liste der »Durchschau-baren« sei Mitglied und Aktivist des KBW. Derbetroffene Kollege erklärte, dies sei falsch. (DerKollege war vor einiger Zeit im KBW, hat abermit dieser Gruppe nichts mehr zu tun.) Trotzdemwurde der Vorwurf von Weber auch auf derzweiten Betriebsversammlung wiederholt. Am9.3. wurde deshalb gegen ihn eine Strafanzei-ge wegen Verleumdung eingereicht.

Auch die Unternehmensleitung ließ es sich nichtnehmen, in den Wahlkampf einzugreifen.Zunächst beschlagnahmte die Werksfahndungdie o.g. Broschüren während der Verteilung ineiner Kantine. Die Kollegen beschwerten sichsofort beim Wahlvorstand, dieser vertrat jedochdie Auffassung, daß ihn dies nichts angehe. Derdarauf folgende Protest bei den Vertretern derUnternehmensleitung hatte insoweit Erfolg, alsdie Broschüren wieder herausgegeben wurdenund es keine weiteren Behinderungen bei derVerteilung mehr gab. Die von den »Durch-schaubaren« geforderte schriftliche Entschuldi-gung steht aber bis heute aus.

Nach den Betriebsversammlungen wurde vonder Abteilung Personal- und Sozialwesen dieInformation »kurz berichtet« herausgegeben. In»Wertneutraler Verpackung« wurde über dieBetriebsversammlung und die Diskussion gegendie »Durchschaubaren« berichtet. Diese Dar-stellung kann man auch deshalb als massiveWahlkampfunterstützung für Brand und seine»Mannschaft« bezeichnen, weil in der Vergan-genheit über Diskussionen in den Betriebsver-sammlungen nie mehr als einige wenige Zeilenin »kurz berichtet« erschienen sind.

Sieben Sitze für die »Durchschaubaren«– Brand und Anhang ohne Mehrheit

Wenn man alle diese Widerstände und Ver-leumdungen, die gegen die Kandidaten der»Durchschaubaren« eingesetzt wurden, zu demWahlausgang in Beziehung setzt, können die»Durchschaubaren« das Ergebnis insgesamt alsgroßen Erfolg verbuchen. Schließlich war kei-ner ihrer Kandidaten bisher als Betriebsrat tätig– auch dies ist ja bei der Wahlabgabe für vieleBelegschaftsmitglieder von Bedeutung. Insge-samt konnten die »Durchschaubaren« im Arbei-terbereich 17 Prozent (4 Sitze) und im Ange-stelltenbereich 15 Prozent (3 Sitze) erringen.Die offiziellen IG-Chemie-Listen verlorengegenüber der letzten Betriebsratswahl 5 Sitzeund haben von den 43 Betriebsratssitzen insge-samt nur noch 21 erreicht. Damit kann die IGChemie nur mit Hilfe der DAG oder der Unor-ganisierten eine Mehrheit erhalten. Im Ange-stelltenbereich hat die IG Chemie seit 1972 dieHälfte der Sitze verloren und schickt nach die-ser Wahl noch 3 Leute in den Betriebsrat. DieDAG konnte ihren Vorsprung weiter ausbauenund verfügt nun über 12 Sitze, einen mehr als1978. Hier wird auch deutlich, daß die aufextremer sozialpartnerschaftlicher Politik beru-hende Betriebsratsarbeit der DAG bei derMehrheit der Hoechster Angestellten fest veran-kert ist und nur klare alternative Inhalte und Posi-tionen in Zukunft eine Veränderung bewirkenkönnen. Die IG Chemie kann mit ihrer Anpas-sung an die DAG-Politik jedenfalls keine Wählermehr hinter dem Ofen hervorlocken. »Im Arbei-terbereich hat die IG Chemie seit 1975 einenständigen Rückgang der Betriebsratssitze zuverzeichnen.« Waren es 1975 noch 25, so sindes 1981 nur noch 18; 2.258 Wähler habensich in diesem Zeitraum von der IG Chemieabgewandt. Für die »Durchschaubaren« war esauch wichtig, festzustellen, daß sie ihren Wahl-erfolg nicht nur in einigen wenigen Wahlkreisenerreichen konnten, sondern daß er in allenWahlkreisen gleich stark war.

AusschlußantrÄge als Reaktion auf die Niederlage

Bereits in der ersten Zusammenkunft der Ver-trauensleute-Leitung nach der Wahl wurde zumersten Schlag gegen die »Durchschaubaren«

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Ende 1981 wird das BetriebsratsmitgliedGiampaolo Porcu auf Antrag des Betriebs-ratsvorsitzenden Willi Träxler durch dieUnternehmensleitung der Firma Röhm frist-los entlassen. Als Grund wird von Träxlerangegeben, G. Porcu habe ihn auf der letz-ten Betriebsversammlung beleidigt. DieMehrheit des Betriebsrats folgte dem frist-losen Entlassungsantrag der Unterneh-mensleitung.

Giampaolo Porcu war lange Jahre freigestelltesBetriebsratsmitglied in der Firma Röhm. SeineAktivitäten in der Betreuung der ausländischenBeschäftigten machten ihn aber für die Mehr-heit des Betriebsrates suspekt. So wurde erdann im Jahre 1980 aus der Freistellung abge-wählt.

Bei den Betriebsratswahlen kandidierte er nichtmehr auf der Liste der IG Chemie, die in der

ganzen Auseinandersetzung auf der Seite desBetriebsratsvorsitzenden Träxler stand und ihmkeine Unterstützung zukommen ließ. Mit ande-ren Kolleginnen und Kollegen kandidierte er aufder Liste »Interessenvertretung der Belegschaft«.Sie errangen drei Betriebsratssitze.

Ärzte schreiben zu viel krank

In der letzten Betriebsversammlung erklärte derBetriebsratsvorsitzende sinngemäß, daß dieÄrzte zu viel krank schreiben und der Kranken-kasse und der Firma Röhm viel früher die Augenhätten geöffnet werden müssen. Dies verstandder Kollege Porcu als Aufforderung an dieUnternehmensleitung, dafür zu sorgen, daßweiter kranke Kolleginnen und Kollegen entlas-sen werden können.

Da in allen Betriebsversammlungen ein Ton-band mitläuft, zu dem die Unternehmensleitungfreien Zugang hat, konnte der Betriebsratsvorsit-zende sich mit dem wörtlichen Auszug aus die-

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express 19.03.1982

Habt Ihr Deutschen keinen Stolz mehr?

ausgeholt. Fast einstimmig wurde der Antragauf Ausschluß aller Kandidaten auf der alterna-tiven Liste beschlossen. Am 9. April wird sichder Vorstand der Verwaltungsstelle Frankfurt –Vorsitzender Rolf Brand – mit diesem Antragbeschäftigen. Es gibt keinen Zweifel, daß er denAusschlußantrag gegenüber dem Hauptvor-stand bestätigen wird.

Damit hat die IG Chemie wieder einmal bewie-sen, daß es nicht möglich ist, in ihr eine breiteDiskussion nach einer derartigen Niederlagezu beginnen. Die Antwort heißt: Organisations-räson, koste es, was es wolle. Diese Politik wirdaber sicher nicht dazu beitragen, das Vertrau-en der Beschäftigten bei Hoechst in die IGChemie zu stärken, sondern eher den Degene-rationsprozeß der IG Chemie fördern. DieGefahr, daß sie sich bei Hoechst zu einer Split-terorganisation entwickelt, ist nicht von derHand zu weisen.

Wählst Du meinen – wähl ich Deinen

In der konstituierenden Betriebsratssitzung am25.3.1981 wurde die Durchsetzung desMachtanspruchs der IG Chemie gegen die»Durchschaubaren« erneut deutlich. In großerKoalition wurden die Vorschläge der »Durch-schaubaren« abgebürstet.

Brand wurde mit den Stimmen der DAG wiederzum Vorsitzenden und Bommel (DAG) mit denStimmen der IG Chemie-Liste zu seinem Stellver-treter gewählt, obwohl im Angestelltenbereicheine IG Chemie-Kollegin von der Liste der»Durchschaubaren« gegen Bommel kandidier-te. Fritz Libuda, Geschäftsführer der Verwal-tungsstelle Frankfurt der IG Chemie, reagierteauf die Kritik an dem IG Chemie-MultifunktionärRolf Brand mit der Aussage: »Er hat für dieGewerkschaft sehr erfolgreiche Arbeit gelei-stet.« Na denn! A.D. Timm

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sem Diskussionsbeitrag an die Unternehmenslei-tung wenden und die Entlassung des KollegenPorcu fordern.

Die Unternehmensleitung nahm diese Forde-rung von Träxler gerne auf und bat denBetriebsrat mit nachstehendem Schreiben umZustimmung zur fristlosen Kündigung des Kolle-gen Porcu:

»In der Betriebsversammlung, die am 9. Dezem-ber 1981 im Werk Weiterstadt stattfand, wieauch in der Betriebsversammlung, die am glei-chen Tag nachmittags im Werk Darmstadt statt-fand, hat Herr Porcu beide Male wörtlicherklärt:

Ich hätte noch Fragen zu Entlassung wegenKrankheit, aber diese Fragen werde ich lieberder Geschäftsleitung stellen. Ich wunder michaber sehr, daß dem Vorsitzende diese Betriebsratnoch mehr Entlassung kranker Menschen fordert.

Herr Porcu hat damit öffentlich die Behauptungaufgestellt und gleichzeitig die Beschuldigungvorgebracht, der Betriebsratsvorsitzende Träxlerbetreibe die Entlassung von Mitarbeitern.

Herr Träxler hat ausdrücklich in den Betriebsver-sammlungen am 09.12.1981, wie auch bereitsin vorhergegangenen Betriebsversammlungenerklärt, daß weder er noch der Betriebsrat Ent-lassungen betreibt, veranlaßt oder fordert. HerrTräxler hat jeweils ausdrücklich darauf hinge-wiesen, daß der Betriebsrat lediglich im Rah-men seiner betriebsverfassungsrechtlichenPflichten tätig wird.

Die obengenannte – wiederholte – unwahreund beleidigende Äußerung des Herrn Porcustellt eine schwerwiegende Verleumdung derPerson des Betriebsratsvorsitzenden Träxler dar.Dieser hat sich deshalb beschwerdeführend anuns gewandt.

Bereits in der Vergangenheit hat Herr Porcu ineiner Vielzahl von Fällen Behauptungen aufge-stellt, die – so auch durch Entscheidung desArbeitsgerichts – als nicht der Wahrheit ent-sprechend festgestellt worden sind, d.h. HerrPorcu hat in mehreren Fällen bewußt unwahreBehauptungen aufgestellt und verbreitet.

Nachdem bereits in der Vergangenheit durchdie unwahren Behauptungen des Herrn Porcu

der Betriebsfrieden gefährdet gewesen ist, hatHerr Porcu durch seine in den Betriebsversamm-lungen abgegebenen Erklärungen den Betriebs-frieden nunmehr so nachhaltig gestört undgleichzeitig die Grundlagen des Arbeitsverhält-nisses sowie die notwendigen Voraussetzungenfür eine vertrauensvolle Zusammenarbeit sonachhaltig zerstört, daß eine Fortsetzung desArbeitsverhältnisses schlechthin nicht mehr mög-lich ist.

Wir beabsichtigen daher, das mit Herrn Porcubestehende Arbeitsverhältnis außerordentlichfristlos zu kündigen und bitten um Ihre Zustim-mung.«

In der entsprechenden Betriebsratssitzung for-derten die Vertreter der Liste »Interessenvertre-tung der Belegschaft« die Tonbandabschrift derRede des Betriebsratsvorsitzenden Träxler. Dieswurde mit Mehrheit abgelehnt! Ohne sich mitdem auseinanderzusetzen, was der Anlaß fürden Diskussionsbeitrag von Porcu war, stimmteder Betriebsrat der fristlosen Entlassung zu. Dasist ein Demokratieverständnis, wie man es nuraus diktatorischen Staaten kennt, die Aussagendes Angeklagten (Porcu) werden wortwörtlichzitiert, die Aussagen des Anklägers (Träxler)werden durch Mehrheitsbeschluß nicht zurKenntnis genommen. Der in der Sitzung anwe-sende Geschäftsführer der IG Chemie, HansTerbrack, sitzt am Tisch und schweigt, unterstütztalso durch sein Schweigen die Machenschaftendieser IG Chemie-Betriebsräte.

Angriffe gegen die ausländischen Kolleginnen und Kollegen

In der gleichen Betriebsversammlung wandtesich die IG Chemie-Betriebsrätin, Christel Mat-thäus, an die Beschäftigten und forderte diedeutschen Beschäftigten auf, mehr Stolzgegenüber den ausländischen Beschäftigten zuentwickeln. In dem Diskussionsbeitrag heißt esu.a.:

»Ich glaube, wir sollten ein kleines bißchen andie Deutschen appellieren. Habt ihr überhauptkeinen Stolz mehr? Ihr müßt einmal den Kolle-gen Porcu bei uns in der Betriebsversammlungerleben... Ich bin gespannt, wann einer vondenen aufsteht (gemeint sind die Ausländer, d.Verf.) und verspricht, wählt uns und dann

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Der innergewerkschaftliche Streit um die Legiti-mation der gewerkschaftlichen und betriebli-chen Vertrauensleute, siehe »express« 4 und5/1979 und »Buschtrommel« 1/83, ist been-det. Zwischen der IG Chemie und dem Bundes-arbeitgeberverband Chemie wurde im Januar1983 eine Vereinbarung über die Wahlgewerkschaftlicher Vertrauensleute abgeschlos-sen, die gleichzeitig die Anerkennung derbetrieblichen Vertrauensleute beinhaltet. Aufdem Gewerkschaftstag 1980 wurden zu dieserFrage entsprechende Anträge angenommen,mit dem Ziel, in einem Tarifvertrag folgende Fra-gen zu lösen: Wahl der Vertrauensleute (VL)während der Arbeitszeit, keine Behinderung derVL-Arbeit im Betrieb, VL-Arbeit während derArbeitszeit bei Weiterzahlung des Lohnes, Frei-stellung für gewerkschaftliche Lehrgänge, Kün-digungsschutz. Auch der für die Tarifarbeit

zuständige Kollege Mettke erklärte in derDebatte, daß in einem Tarifvertrag die »Wahlwährend der Arbeitszeit und Sitzungenwährend der Arbeitszeit« geregelt werden müs-sen. In einem Rundschreiben des Hauptvorstan-des an alle Vertrauensleute vom 25.1.1983werden als Ziele der Tarifgespräche mit demBundesarbeitgeberverband folgende Punkteaufgezählt:

● eine Vereinbarung zu finden, daß diegewerkschaftlichen Vertrauensleute imBetrieb gewählt werden können;

● diese Wahlen in Verbindung mit den Orga-nisationsstellen der IG Chemie vorbereitetwerden können;

● daß die Vertrauensleute aufgrund ihrerTätigkeit nicht benachteiligt werden dürfen

● sicherzustellen, daß in den Betrieben, indenen es betriebliche Vertrauensleute gibt,

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express 21.03.1983

Vertrauensleute-Vereinbarung in der IG Chemie

bekommt ihr euer Geld am Monatsendegeschickt und dann braucht ihr nicht mehr zuschaffe. Merkt ihr denn nicht, was die machen,die verhetzen euch – und auch die ausländi-schen Kollegen, die sollten sich das einmal einklein bißchen überlegen – seid froh, daß ihr beiuns seid und hier schaffen könnt. lrgendwo hör-t’s nämlich auf. «

Ein Kollege von der Liste »Interessenvertretungder Belegschaft« forderte den Betriebsrat auf,folgende Mißbilligung für Frau Matthäus auszu-sprechen:

»Der Betriebsrat verurteilt die Rede des BR-Mit-gliedes Matthäus in der Betriebsversammlung ...weil sie dazu beiträgt, die Solidarität zwischendeutschen und ausländischen Kolleginnen undKollegen kaputt zu machen und dies eine Ermu-tigung für die Geschäftsleitung ist, die Spal-tungsmöglichkeit zu nutzen, gerade in der heuti-gen wirtschaftlichen Lage. «

Einige Betriebsratsmitglieder und auch der IGChemie-Geschäftsführer, Terbrack, schlagen

vor, Frau Matthäus soll sich in der nächstenBetriebsversammlung entschuldigen und ihrenRedebeitrag klar stellen. Matthäus selbst lehntdies ab, da sie nichts Falsches gesagt und auchniemand beleidigt habe. So entschied dannauch die Betriebsratsmehrheit.

Fazit

Dieser Betriebsrat ist ganz offensichtlich nichtmehr in der Lage, die Interessen der Beschäftig-ten bei der Firma Röhm zu vertreten. Er ist ein-deutig zum Handlanger der Unternehmenslei-tung geworden. Solche Funktionäre wie WilliTräxler, die gleichzeitig Mitglied der Tarifkom-mission der IG Chemie sind, im Vorstand der IGChemie-Verwaltungsstelle Darmstadt sitzen,sind nicht geeignet, die Interessen von abhän-gig Beschäftigten zu vertreten. Sie tragen mitdazu bei, daß die IG Chemie-Papier-Keramik,wie es einmal Paul Plumeyer formulierte, zumroten Zweig der Heilsarmee verkümmert.

A.D. Timm

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auch gewerkschaftliche Vertrauensleutegewählt werden können, damit in denBetrieben das Legitimationsproblem (Beru-fung gewählter betrieblicher Vertrauensleu-te als gewerkschaftliche VL, wenn derbetriebliche Vertrauensmann Mitglied derIG Chemie ist) gelöst wird.

Von den ursprünglichen Forderungen wird erstgar nicht geredet, weil man sonst die nun getrof-fene Vereinbarung nicht als den Erfolg hätte ver-kaufen können, wie dies nun geschieht.

Es gibt keinen Tarifvertrag für gewerkschaftliche Vertrauensleute

Gewerkschaftspolitisch schwachster Punkt istder, daß die nun getroffene Regelung als Ver-einbarung zwischen dem Hauptvorstand der IGChemie und dem BundesarbeitgeberverbandChemie getroffen wurde. Diese Vereinbarunghat keine rechtlichen Auswirkungen wie etwaein Tarifvertrag, d.h. alle Regelungen in dieserVereinbarung sind nicht einklagbar. Sollte sichein Arbeitgeber weigern, Wahlen der gewerk-schaftlichen Vertrauensleute im Betrieb zuzulas-sen, dann kann zwar der Arbeitgeberverbandauf den Arbeitgeber einwirken, beharrt derArbeitgeber aber auf seinem Standpunkt, fin-den keine Vertrauensleutewahlen in seinemBetrieb statt. Weiterhin hat der Bundesarbeitge-berverband Chemie in der Vereinbarung nurzugelassen, daß die Wahlen in Betrieben mitmehr als 700 Beschäftigten im Betrieb stattfin-den können, »in kleineren Betrieben, in denen,bisher schon solche Wahlen im Betrieb prakti-ziert worden sind, soll aus Anlaß dieser Emp-fehlung keine Änderung eintreten«, heißt es inder Vereinbarung. Ausgeschlossen werden inder Vereinbarung folgende Punkte:

● Wahlen während der Arbeitszeit; ● Vorbereitung der Wahlen durch die Organi-

sationsstellen, da »die Wahlen der gewerk-schaftlichen Vertrauensleute im Betrieb . . .durch Gewerkschaftsmitglieder aus demBetrieb organisiert werden«;

● Sitzungen der Vertrauensleute während derArbeitszeit;

● Vertrauensleutearbeit während der Arbeits-zeit;

● Freistellung der Vertrauensleute für gewerk-schaftliche Lehrgänge;

● besonderer Kündigungsschutz für Vertrau-ensleute.

Anerkennung der betrieblichen Vertrauensleute durch die IG Chemie

Durchgesetzt haben die Arbeitgeber die Aner-kennung der betrieblichen Vertrauensleutedurch die IG Chemie. In dem bereits erwähntenRundschreiben an die Vertrauensleute heißt es,daß die IG Chemie keine juristischen Initiativengegen die geltenden Betriebsvereinbarungenüber die betrieblichen Vertrauensleute einleitenwird. Dies ist um so verwunderlicher, weil die IGChemie auch in der Vergangenheit nie bereitwar, einen solchen Schritt zu tun. Immerhin gibtes diese Betriebsvereinbarungen mindestensseit 1967 in den Großbetrieben der chemi-schen Industrie. Initiativen, auch aus dem Kreiseder gewerkschaftlichen Vertrauensleute, gegendiese Betriebsvereinbarungen mit allen rechtli-chen Möglichkeiten vorzugehen, wurden in derVergangenheit immer wieder vom Hauptvor-stand abgeblockt. Entscheidend für die gewerk-schaftspolitische Bewertung mit möglichennegativen Auswirkungen auch auf andere DGB-Gewerkschaften ist, daß die IG Chemie in die-ser Vereinbarung eindeutig erklärt hat, daß»Regelungen über die betrieblichen Vertrauens-leute nicht in Frage« gestellt werden. Nochdeutlicher wird dies in der Aufforderung an diegewerkschaftlichen Vertrauensleute, sich beiden Wahlen zu den betrieblichen Vertrauens-leuten ebenfalls zur Wahl zu stellen, um einevolle Identität zwischen gewerkschaftlichen undbetrieblichen Vertrauensleuten zu erreichen.

Lohn für Sozialpartnerschaft

In der Unternehmerpresse wurde diese Rege-lung zum Teil scharf attackiert. Gegenüberdem Handelsblatt erklärt der Bundesarbeitge-berverband Chemie, die Vereinbarung sei»eine Bestätigung dafür, daß die Chemie-Sozi-alpartner ihre Beziehungen so ideologiefreiund sachlich wie möglich gestalten wollen«.Der Bundesarbeitgeberverband »habe sich imHinblick auf normale und ausgewogene Bezie-hungen zur IG Chemie und unter Anerkennungdes Interesses der Gewerkschaft an einer mög-lichst repräsentativen Zusammensetzung ihrerVertrauensleute zu dieser Empfehlung ent-

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Der reale Kaufkraftverlust der Arbeitneh-mer hat sich insbesondere in der Umsatz-entwicklung des Einzelhandels niederge-schlagen. Seit 1981 haben sich die Realein-kommen der Arbeitnehmer nicht mehrerhöht, sie sind bis 1985 sogar um 6,4%gesunken. Im Jahre 1985 erreicht dieArbeitnehmerkaufkraft den Stand von1977.

Der Einzelhandelsumsatz erhöhte sich imJahresdurchschnitt 1973–1980 nominal um7,2%, im Jahresdurchschnitt 1981–1984dagegen nur noch um nominal 3,2%, waseiner realen Steigerung von ca. 1,9% ent-spricht.

Der Anteil der Warenhäuser am Einzelhan-delsumsatz ist von 10,9% im Jahre 1975auf 5,8 Prozent im Jahre 1985 gesunken

Diese Entwicklung hat – neben den Entwicklun-gen der SB-Märkte auf der grünen Wiese – zueinem erhöhten Verdrängungswettbewerb imEinzelhandel, und hier besonders bei denWarenhäusern geführt. Die verfehlte Politik desHertie-Managements wirkt sich in Zeiten gerin-gen realen Umsatzzuwachses katastrophal fürdie Beschäftigten aus.

Zur Geschichte des Hertie-Konzems

Gründer des Hertie-Konzerns war HermannTietz, der 1882 sein erstes Geschäft in Gera

eröffnete, sein Neffe Oskar Tietz begann dannmit der Ausweitung des Unternehmens indem erWarenhäuser in München und Berlin eröffnete.Kurt Pritzkoleit schreibt in seinem Buch »Wemgehört Deutschland« über die erste große Krisedes Hertie-Konzerns: »Die Krise der frühendreißiger Jahre – verschärft durch die warenh-ausfeindliche Agitation der Nationalsozialisten,der Kampfbünde des Mittelstandes, vieler Lan-desverbände des Einzelhandels und selbst derkatholischen Kirche, vertreten durch die Bischöf-lichen Ordinariate – brachte auch den Hertie-Konzern in ernste Schwierigkeiten. Die Beleg-schaftszahl war von 1930 bis 1933 um 15 Pro-zent, der Umsatz jedoch um 46,6 Prozentgesunken, d.h. das Gewicht der Betriebskostenhatte in dem Maße zugenommen, daß dasUnternehmen in die Verlustzone gedrängt wur-de, während gleichzeitig die Schuldenlastwuchs... Eine Bankengruppe ... gab die erfor-derlichen Kredite her. Freilich nicht, ohne sichein Tauschpfand von denkbar hohem Substanz-und noch höherem Zukunftswert zu sichern.Insofern nämlich, als die Gläubigergruppe die›Hertie-Kaufhaus-Beteiligungs-GmbH‹ bildete,die maßgebenden Einfluß auf den Konzern aus-üben konnte... «

Nach dem 2. Weltkrieg ist der Hertie-Konzernrestlos in den Besitz der Hamburger FamilieKarg übergegangen. Georg Karg, der nichtwollte, daß sein Sohn Hans-Georg die Leitungdes Konzerns übernimmt, brachte seinen Anteil

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express 07.05.1986

Wird Hertie kaputt saniert? Massenentlassungen als Folge der Krise der Warenhäuser

schlossen«. Der Behauptung der IG Chemie,daß mit dieser Vereinbarung ein Punkt desTABU-Kataloges der Arbeitgeber durchbro-chen worden sei, wird vom Arbeitgeberver-band deutlich widersprochen, weil diese Ver-einbarung keine rechtliche Verpflichtung fürden einzelnen Arbeitgeber beinhalte, weil dieWahlen grundsätzlich nicht während der

Arbeitszeit stattfinden, »anderslautende Inter-pretationen der IG Chemie seien ausdrücklichfalsch«. Ausdrücklich wird hervorgehoben,daß die Regelungen über die betrieblichenVertrauensleute aufgrund der Vereinbarung mitder IG Chemie sicherer geworden sind.

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am Hertie-Konzern in eine gemeinnützige Stif-tung zur Förderung von Wissenschaft, Erzie-hung, Volks- und Berufsbildung ein, die sich derErforschung der Multiplen Sklerose widmet.Seither hält die Stiftung 97,5% des Hertie-Stammkapitals von 300 Millionen Mark. Ver-bunden war damit die Einsparung der Erb-schaftssteuer.

Kaufrausch in den sechziger Jahren

In den Zeiten des Wirtschaftswunders, verbun-den mit der steigenden Kaufkraft breiter Bevöl-kerungsschichten, wurden viele neue Häuserdes Hertie-Konzerns eröffnet, auch an Standor-ten, wo es schon ein breites Angebot gab.Solange wie es wachsende Kaufkraft gab, gingdieses Konzept von Georg Karg auch auf. Alssich jedoch die SB-Märkte, Discounter wie Aldietc. auf dem Einzelhandelsmarkt immer mehrdurchsetzten, wurden diese auch zu einer ernst-haften Konkurrenz der Warenhäuser. ImGegensatz zu Hertie reagierten die anderenWarenhaus-Konzerne (Karstadt, Kaufhof, Hor-ten) relativ schnell auf diese Entwicklung.

● Der Riese unter den Kaufhäusern, immernoch belastet durch die Verlust bringendeNeckermann AG, Karstadt, setzt auf dieEntwicklung neuer Fachmarktketten, vondenen es inzwischen 30 Läden gibt. Diesefirmieren unter den Namen Joy (Mode),Papetik (Papierwaren), Runners Point(Sportschuhe und -bekleidung) und Picobello (Kinderbekleidung). Geplant sind 30Neueröffnungen pro Jahr. Im Warenhaus-bereich will man fünf Warenhaustypen ent-wickeln. Die reichen vom herkömmlichenWarenhaus (»Alles unter einem Dach«)über TOP-Warenhäuser für die über demDurchschnitt verdienende Bevölkerung, biszum einfachen Warenangebot für Häuserin Arbeiterregionen.

● Die Kaufhof AG hat eine langfristigeUmstrukturierungsphase schon hinter sichgebracht. Der Kaufhof setzt auf die weitereEntwicklung seiner Reisetochter ITS, dieSaturn-Hansa-Häuser, den Versandhandelmit der Tochter Wenz und die TextilmärkteMac Fash. Inzwischen macht der Kaufhof-konzern nur noch 60 Prozent seines Umsat-zes im Warenhausbereich. Das Konzept für

die Warenhäuser heißt Schließung ganzerAbteilungen und Vermietung dieser Ver-kaufsflächen an viele kleine Einzelhändler.Dies geschieht z.Zt. durch Schließung vielerLebensmittelabteilungen und Aufbau einesMarkthallenkonzepts durch Vermietung anentsprechende Einzelhändler. Weiterhinwird das Konzept des selektiven Warenhau-ses erprobt, d.h. Schließung unrentablerAbteilungen, wie z.B. Möbel, Teppiche,Gardinen etc. und Ausweitung umsatzträch-tiger Abteilungen wie Sportartikel undSportbekleidung.

● Bei Horten wurden schon zwischen 1975und 1981 bundesweit 15 Warenhäusergeschlossen und ca. 10.000 Beschäftigte,von einstmals über 30.000, auf die Straßegesetzt bzw. Stellenabbau über die soge-nannte natürliche Fluktuation betrieben. DieHorten-Lebensmittelabteilungen wurden1979 an die Edeka verpachtet. Der Pacht-vertrag läuft bis 1995. Hortens Mehrheit-saktionär Batig GmbH, die deutsche Hol-ding des britischen Zigarettenkonzerns BAT,will allerdings mehr Gewinn sehen. Ob esHorten gelingt, allein mit dem Konzept derCarsch-Häuser – dies sind Nobelwarenhäu-ser für den exklusiven Bedarf – die Trend-wende zu erreichen, kann man heute nochnicht absehen.

Die Fehler des Hertie-Managements

Nach dem Tode von Georg Karg im Jahre1972 übernahm sein Sohn Hans-Georg Karg(damals auch schon 50 Jahre alt) den Vorsitzdes Aufsichtsrates. Von da an gings bergab. DieMacht der Konzernzentrale wurde auf Kostender örtlichen Filialleiter und Einkäufer gestärkt.Die Filialen durften nur noch bei Lieferantenkaufen, die in einer Liste der Konzernzentraleaufgeführt waren. Damit konnte die konkreteNachfrage der Kunden vor Ort aber nichtbefriedigt werden. So kommt es immer wiedervor, daß Waren für eine Sonderaktion, für diebereits bundesweit geworben wird, noch nichtin den Filialen vorhanden ist. Bestimmte Kunden-wünsche können mit diesem Einkaufskonzeptauch nicht befriedigt werden. Kein Wunderalso, wenn die Umsätze zurückgehen und roteZahlen geschrieben werden. Dazu ist den Kon-zernherren dann auch nicht mehr eingefallen

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als dies: »Die Personalkosten sind zu hoch, siemüssen reduziert werden«.

Obwohl in den letzten 8 Jahren über 20.000Arbeitsplatze vernichtet, 13 Häuser bis 1985geschlossen wurden, hat sich an der Talfahrtnichts geändert. Konkrete Verkaufsstrategienwurden bis heute nicht entwickelt, sieht mandavon ab, daß man aus den Hertie-Häusernlauter kleinen KaDeWes – das Spitzenhaus desHertie-Konzerns in Berlin am Wittenbergplatz –machen wollte mit hohem Qualitätsangebot zuhohen Preisen und mit wenig Personal. Das diesein Flop wurde, darauf hatten die Betriebsräteund Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat schonfrühzeitig hingewiesen. Bis heute existiert keinfunktionierendes Warenwirtschaftssystem – wiein den anderen Kaufhaus-Konzernen –, mit demfestgestellt werden kann, welche Ware schnellumgeschlagen werden und welche als Ladenhü-ter verkommen und Kapitel binden. Dagegenhat man die Kaufhäuser nach Umsatz undGröße in fünf Klassen eingeteilt. Diese reichenvom Vorortkaufhaus über City-Rand-Lagen biszu Weltstadthäusern. Entsprechend dieser Klas-sifizierung darf nur eingekauft werden. Diesführt dazu, daß es z.B. im Weltstadtkaufhausbestimmte Markenartikel gibt, die im Vorortwa-renhaus auch bei Nachfrage nicht angebotenwerden.

Kein Wunder, daß solche Unternehmenspolitikzum Desaster führen mußte. Von 1977 bis1984 hat der Konzern 517 Millionen Mark Ver-lust gemacht.

Die Betriebsverluste allein bis 1984 sind vielhöher als das Stammkapital (300 MillionenMark).

Hertie saniert konsequent weiter

... heißt es in einem Telex des Hertie-Vorstandesvom 3.2.1986. Die Sanierung deutet dieSchließung von 5 Filialen mit 1.500 Beschäftig-ten. Die Konsequenz des Hertie-Vorstandesbezieht sich also nur auf die alten Rezepte. ImTelex vom 19.3.86 teilt der Vorstand dann mit:»Noch acht Filialen sollen schießen«. Betroffendavon sind weitere 3.000 Beschäftigte.

Mit der Schließung dieser 15 Filialen gibt Hertieeinen Jahresumsatz von etwa 620 MillionenDM, ein Zehntel des Gesamtumsatzes, und

133.000 Quadratmeter Verkaufsfläche (rundein Siebtel der Gesamtfläche) auf. (FAZ,20.3.86)

Mit der Senkung des Gesamtumsatzes werdensich auch die Möglichkeiten, bei den Lieferan-ten entsprechende Preisreduzierungen zu errei-chen, ein Stück weit einschränken. Die Kostenfür die Sozialpläne werden sicher auch dasErgebnis von 1986 negativ beeinflussen.

Obwohl der alte Vorstandsvorsitzende Lipp-mann im Februar 1986 sein Bündel packte, istdem neuen Vorstandschef Krüger, trotz einesjährlichen Einsparvolumens von 1 Million DM,nichts Besseres als seinem Vorgänger eingefal-len: Sanierung durch Schließung und Perso-nalabbau. Daß der alte Aufsichtsratsvorsitzen-de Hans-Georg Karg seinen Posten an den per-sönlich haftenden Gesellschafter der Dr. A. Oet-ker KG, Guido Sandler, einen Tag nach demletzten Sanierungsbeschluß des Hertie-Auf-sichtsrates, abgeben mußte, macht deutlich, inwas für einem desolaten Zustand sich die Her-tie-Führungsriege befindet.

Nach wie vor müssen die Betriebsräte und dieArbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat feststellen,daß sie unvollständig, zu spät oder gar nichtüber Maßnahmen des Unternehmens informiertwerden. In keiner Weise wurde bei der Bekannt-gabe der Schließung der 15 Hertie-Warenhäu-ser auf die o.g. Vorschläge der GewerkschaftHBV, der Betriebsräte und der Arbeitnehmerver-treter im Aufsichtsrat eingegangen. Deshalbhaben auch die Arbeitnehmervertreter derSchließung der 15 Häuser im Aufsichtsrat wider-sprochen.

Die Gewerkschaft HBV hat die Beschäftigtendes Hertie-Konzerns zu einer bundesweitenDemonstration in Frankfurt/M. aufgerufen. Die-se Demonstration soll am 14. Mai 1986 stattfin-den.

Heinz-Günter LangDer Autor ist HBV-Geschäftsführer Mannheim.

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Zunächst wollten die Gewerkschaften HBV,NGG, IG Medien, GHK und GTB in einerKooperation den Versuch unternehmen, ge-meinsame Projekte zu finden, um daraus Struk-turen der Zusammenarbeit zu entwickeln, diemittel- und langfristig zu einem Kartell dieserGewerkschaften führen könnten. Durch die Ent-scheidung von GTB und GHK, sich der IGMetall anzuschließen, wurde dieser Versuch,bevor er überhaupt richtig begonnen wurde,beendet.

Noch in der Phase, in der geklärt werden sollte,wie es weitergehen könnte mit HBV, NGG undIG Medien, erklärte die DPG, sie wolle mit HBVund IG Medien einen Verbund gründen, mitdem Ziel, eine neue Gewerkschaft aufzubauen.Die NGG, die in einigen Bereichen erheblicheÜberschneidungen mit dem Organisationsbe-reich der HBV hat, war damit zunächst weg vomFenster. Im November 1997 wurde der Ver-bundvertrag von den Bundesgremien HBV,DPG und IG Medien verabschiedet.

Bereits im Juli 1997 kam es zu ersten Ge-sprächen der Gewerkschaften ÖTV, DPG,GdED, GEW, IG Medien, NGG, HBV undDAG.

Waren es zunächst 8 Gewerkschaften – dersogenannte Deutschland-Achter –, die übereine Neustrukturierung der Gewerkschaften imDienstleistungssektor berieten, verabschiedetesich die NGG bereits vor der am 4. Oktober1997 unterschriebenen gemeinsamen Erklä-rung aus dem Kreis. Jetzt waren es nur noch sie-ben!

Vor der Einigung der Vorsitzenden auf einen»Entwurf zur politischen Plattform« im Februar1998 verließ die GdED das gemeinsame Boot,und die GEW hat ihre Beteiligung im Juli 1998ausgesetzt. Jetzt sind es nur noch fünf! Die HBVwar immer dabei und hat in ihren Gremien dieverschiedenen Konzepte jeweils als den einzigmöglichen Weg zum Überleben der HBV ange-preisen.

Sowohl der Verbundvertrag zwischen HBV,DPG und IG Medien als auch die »PolitischePlattform« der Gewerkschaften ÖTV, DPG, IGMedien, HBV und DAG befassen sich imwesentlichen mit organisatorischen Fragen. EineAnalyse der gewerkschaftlichen Krise, die imKern eine politische Krise ist, sucht man verge-bens.

Es werden keine Konzepte entwickelt oderangedacht, wie man der neoliberalen Politik,der Aufkündigung der Sozialpartnerschaftdurch die Arbeitgeber und ihre Verbände, derGlobalisierung, der Ausgliederung von Betrie-ben bzw. Betriebsteilen entgegentreten will. ImAntrag der HBV-LandesbezirkskonferenzBaden-Württemberg zum HBV-Gewerkschafts-tag 1998 heißt es folgerichtig: »Am augenfäl-ligsten ist, daß in der politischen Plattform auchnicht ein einziges gewerkschaftspolitisches Zielformuliert wird, daß mit der Aufhebung der Kon-kurrenz unter den Gewerkschaften verfolgtwird:

● Abbau der Massenarbeitslosigkeit,● Sicherung der Beschäftigung,● Sicherung und Steigerung der Einkommen

und● ein Ende der Umverteilungspolitik von unten

nach oben,

um nur einige Eckpunkte zu nennen, müssennach wie vor Ziel der gewerkschaftlichenGegenmacht bleiben. Der Abbau der Konkur-renz kann nur Mittel zum Zweck, aber keinSelbstzweck sein.«

Die neu zu gründende Dienstleistungsgewerk-schaft ist ein Novum in der Geschichte der deut-schen Gewerkschaften nach 1945. Auf der einenSeite kann dies zu berufsständischen Einheitenführen, wie dies heute bei der DAG der Fall ist,und zum anderen sind heute 70 Prozent derBeschäftigten im engeren und weiteren SinneDienstleistungsbeschäftigte. Es »zeigt sich eineTendenz, die neuen Gewerkschaften nach demKriterium voneinander abzugrenzen, ob sie Mit-glieder in der Produktion oder im Dienstleistungs-

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»Megalithkultur«Fusionsprojekt als Antwort auf die gewerkschaftliche und

politische Krise?

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bereich organisieren. Es muß intensiv bezweifeltwerden, ob sich daraus ein neues Organisations-schema entwickeln (lassen) könnte«.1

Stellt sich die Frage, was verbindet eine(n) Kran-kenpfleger(in), einen Drucker, Postboten miteiner Einzelhändlerin oder einem Bänker? Daßsie alle Lohnabhängige sind, soll ja der DGBabdecken.

Die Megagewerkschaft – ein DGB im DGB ?

Mit der Gründung einer neuen Dienstleistungs-gewerkschaft entsteht ein DGB im DGB. Wennam Ende der Fusionswelle noch 4 bis 6 Ge-werkschaften übrig bleiben, ist es fraglich, obder DGB mit seinen jetzt schon reduzierten Auf-gaben, insbesondere nach der Ausgliederungdes Rechtsschutzes, noch sinnvoll aufrecht erhal-ten werden kann.

Eines der Ziele einer neuen Dienstleistungsge-werkschaft ist es, die gewerkschaftliche Konkur-renz untereinander auszuschließen und neueBereiche gemeinsam zu organisieren. VieleÜberschneidungen zwischen HBV und NGGwerden weiterhin an der Tagesordnung sein,weil die NGG sich aus der Diskussion um dieMegagewerkschaft verabschiedet hat. Mit demAnspruch, auch die Beschäftigten in der dienst-leistungsnahen Industrie zu organisieren, ent-steht neue Konkurrenz, insbesondere zu dengroßen Industriegewerkschaften.

Im übrigen wird die Konkurrenz an den Rän-dern aller Gewerkschaften überbewertet. DieHBV hat, wie die meisten anderen der fünfGewerkschaften, in ihren Kernbereichen nochlange nicht so viel Potential ausgeschöpft, alsdaß sich der Kampf um die Ränder mit anderenGewerkschaften lohnen würde. Auch ist diesdurch Kooperationen in den Bereichen Soft-ware, Sparkassen usw. lösbar. Wenn dies bis-her kaum in Angriff genommen wird, sondernFachbereichsstrukturen diskutiert werden, diesich sehr stark auf die jetzigen Strukturen derfünf Gewerkschaften beziehen, zeigt dies, daßes nicht mehr um die Gewerkschaftsbewegunggeht, sondern um die Erhaltung der eigenenApparate und deren Finanzierung. Was nichtausschließt, daß es am Ende Sieger und Verlie-rer geben wird.

Die kritische Einschätzung von H.O. Hemmer in»Gewerkschaftliche Monatshefte 5/98« zurEntwicklung einer Dienstleistungsgewerkschaftist nicht von der Hand zu weisen: »Damit tauchteine Konfiguration am Horizont auf, die wenigGutes verspricht: eine Dienstleistungsgewerk-schaft und mehrere kombinierte Industrie-/Dienstleistungsgewerkschaften (Multibran-chengewerkschaften), die um Mitglieder kon-kurrieren. Damit würde sich, natürlich völligunterschiedlich in den Einzelheiten, die Konstel-lation von Konkurrenzgewerkschaften (vom ein-zelnen Betrieb bis zu ganzen Branchen) wie-derholen, die sich weder in der deutschen nochin der internationale Gewerkschaftsgeschichtebewährt hat.«

Größe allein bedeutet nicht mehr Macht

Die neue Dienstleistungsgewerkschaft würde mitca. 3,3 Millionen Mitglieder größte Einzelge-werkschaft im DGB und in der Welt. »Aber dieseGrößenordnung erreicht man ja nur um denPreis eines Konglomerats, eines Gemischtwaren-ladens, dessen struktureller Sinn wohl noch lan-ge verborgen bleiben wird.«2 Ist die Zahl derMitglieder gleichzusetzen mit Macht und Stärkebei der Durchsetzung von Mitgliederinteressengegenüber Arbeitgebern und Politik?

Wir wissen aus unseren Erfahrungen in derGewerkschaft HBV, daß die Stärke vonGewerkschaften in der Bewegung ihrer Mitglie-der manifest wird. Es ist sogar gefährlich, denMitgliedern eine vermeintliche Stärke durchpure Größe zu suggerieren. Gerade die HBVlebt von den Auseinandersetzungen, in denenes gelingt, die Mitglieder aktiv einzubeziehenund eine breite Bewegung zu entfalten. Dieshängt auch damit zusammen, daß die HBVweder eine große Stammitgliedschaft nochgroße Betriebseinheiten hat.

Die von HBV organisierten Betriebe sind beson-ders stark geprägt von den spezifischen Bedin-gungen der Kleinst-, Klein- und Mittelbetriebe.

Gerade die Erfahrungen beim Aufbau vonBetriebsräten in der Drogeriekette Schleckerund die jüngste Auseinandersetzung in denLebensmittelfilialbetrieben von Nanz/Allfrischbeim Verkauf an Edeka/Neukauf im RaumMannheim-Heidelberg machen deutlich, daß

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neue Arbeitskampfformen, verbunden mit Boy-kottaufruf, auch eine kleine Gewerkschaft mäch-tig machen können. Voraussetzung dafür istBewegungsfreiheit vor Ort und im Landesbezirk,damit überhaupt Bewegung entwickelt werdenkann und die Beschäftigten aus Kleinsteinheiteneine Gewerkschaft haben.

Die neue Dienstleistungsgewerkschaft würdeeine Megagewerkschaft mit mehr Bürokratieund weniger Demokratie. Alle derzeit diskutier-ten Varianten möglicher Fachbereichsstrukturenmachen deutlich: Es sind objektiv zu viele Gre-mien erforderlich, die durch Ehrenamtliche nichtmehr kontrollierbar sind. Es geht ja nicht nur umdie Fachbereiche, auch die horizontalen Ebe-nen müssen aufgebaut, strukturiert und kontrol-lierbar sein.

Wie eine Ortsverwaltung mit 9 bis 15 Fachbe-reichen und 15 bis 21 Untergliederungen ausse-hen soll, hat sich offenbar noch niemand über-legt. Dies zeigt aber deutlich, daß diese neueGewerkschaft nicht von den Mitgliedern ent-wickelt und strukturiert wird, sondern hauptsäch-lich von den Gewerkschaftsapparaten.

Der gesamte Prozeß verläuft mehr oder weni-ger undemokratisch. Aufgrund des Zeitdrucksist es kaum möglich, alle Mitglieder, die sicheinbringen wollen, zu beteiligen. Über dieMedien wird den Mitgliedern der Eindruck ver-mittelt, daß alles gelaufen ist und sie so oder soan den Grundentscheidungen nichts mehrändern können.

Diese gesamte Entwicklung hat auch dazugeführt, daß die GEW am 11.7.1998 wegen»Befürchtungen bei einer wachsenden Zahl vonFunktionären und Landesgremien, in einer neu-en Gesamtorganisation an Eigenständigkeit zuverlieren«3, ausgestiegen ist.

ÖTV und DAG mit mehr als 2,1 Millionen Mit-gliedern werden die neue Gewerkschaftbeherrschen. Es handelt sich bei den beidenGewerkschaften um die am meisten staatstra-gend und sozialpartnerschaftlich orientiertenGewerkschaften, die auch im Vergleich zu HBV,IG Medien und DPG sehr bürokratisch und zen-tralistisch aufgebaut sind. Dadurch besteht dieGefahr, daß die Spielräume für eine konfliktori-entierte fortschrittliche Politik eingegrenzt undnicht, wie es notwendig wäre, erweitert wer-

den. Die Politik wird vom Dach zentral bestimmtund nicht – wie viele Linke hoffen – von denFachbereichen. Durch die geplante Selbstauflö-sung – spätestens im Jahre 2002 – werdengewachsene und funktionierende Einheiten mitStrukturen der fünf Gewerkschaften sowie dieIdentifikation vieler Mitglieder mit ihrer Gewerk-schaft mit aufgelöst.

Der Prozeß der Zusammenführung in eine neueGewerkschaft wird quälend sein und für eineReihe von Jahren dazu führen, daß wir uns mehrmit uns selbst als mit den Interessen unserer Mit-glieder beschäftigen. Erschwerend kommt hin-zu: Die neue Gewerkschaft entspringt nicht demBedürfnis der meisten Mitglieder, sie ist eineKopfgeburt der geschäftsführenden Vorständeund wird deshalb zwangsläufig die Kräfte desApparates absorbieren und viel mit Direktivenerledigen müssen.

Es gibt Alternativen

Zu dieser Megagewerkschaft gibt es Alternati-ven, die zwar hier und da angesprochen wur-den, aber bisher in allen betroffenen Gewerk-schaften nicht und schon gar nicht in notwendi-ger Breite diskutiert wurden.

Sicher ist es positiv, wenn die DAG wieder inden DGB zurückkehrt. Warum kann dies abernur mit der Gründung einer neuen Dienstlei-stungsgewerkschaft erreicht werden? Alle DGB-Gewerkschaften werden in ihren Organisations-bereichen von der DAG – mal stärker, malschwächer – tangiert. Deshalb muß es die Auf-gabe aller DGB-Gewerkschaften sein, dafür zusorgen, daß die DAG in den DGB integriertwird. Dies wäre auch – für eine Übergangszeit– als selbständige Gewerkschaft im DGB mög-lich. In Kooperation mit allen DGB-Gewerk-schaften könnte mittelfristig zusammenwachsen,was zusammen gehört.

Denkbar ist auch die Schaffung von zweiDienstleistungsgewerkschaften, nämlich eine füröffentliche Dienstleistungen (ÖTV, GEW undGdP) und eine für private Dienstleistungen. Diesentspricht auch dem Antrag des HBV-Gewerk-schaftstages von 1995. Bleibt die Frage, washat die ÖTV gegen eine derartige Lösung?Oder hat die ÖTV den Kampf gegen die Privati-sierung öffentlicher Dienstleistungen aufgege-

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Ziele einer DGB-Reform ● Die Schaffung einer größeren Flexibilität im System zwischen den Fachge-werkschaften des DGB und dem DGB selbst und damit eine raschere Anpassungan den wirtschaftlichen Wandel ohne größere Abgrenzungsquerelen und Exi-stenzgefährdungen gewachsener Organisationen einerseits und möglichenMachtmißbrauch andererseits; ● die Gewährleistung, daß ausreichend Finanzmittel und personelle Ressourcenzur Verfügung stehen, um mit der ganzen Kraft des DGB im Rücken in den neuenWachstumsbereichen zu organisieren und diese Bereiche gewerkschaftlich zudurchdringen; ● eine Verstärkung von Mitgliedernähe, Fachlichkeit, Berufsbezogenheit undder Möglichkeit der Identifikation mit spezifischeren und differenzierteren Fachor-ganisationen mit hoher Autonomie unter einem einheitlichen Dach des DGB; ● die Einbeziehung der DAG und ihrer differenzierten Strukturen, die sich bes-ser als in jedem anderen bisher diskutierten Modell in eine solche Konstruktion ein-fügen ließen; ● die Schaffung sinnvoller interessenpolitischer Organisationsstrukturen für dieimmer größer werdende Zahl nicht betriebsgebundener Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer (noch nicht oder nicht mehr oder in neuen Abhängigkeitsverhältnis-sen arbeitenden Arbeitnehmern), für die die Gewerkschaften mehr Partizipations-möglichkeiten und konkrete politische Interessenvertretungsmöglichkeiten anbie-ten müssen. Zwar ist es nach wie vor richtig, daß gewerkschaftliche Stärke heuteund noch absehbar von ihrer betrieblichen Verankerung abhängt. Aber noch vielstärker wären die Gewerkschaften, wenn sie die betrieblich nicht zuordbarenJugendlichen (es gibt heute mehr Studenten als Auszubildende), die wachsendeZahl der betrieblich nicht, wohl aber sozial- und gesellschaftspolitisch interessier-ten Senioren (bei vielen Gewerkschaften schon an die 30 Prozent), die Erwerbs-losen und Beschäftigten in den Beschäftigungsgesellschaften mit gewerkschaftsü-bergreifenden, spezifischen Aktivitäten erreichen könnten; ● und schließlich: die Verstärkung der politischen Attraktivität und nationalenwie internationalen Wirksamkeit eines geschlossen auftretenden Gewerkschafts-bundes. Alle beteuern ja, daß der gewerkschaftliche Dachverband gestärkt wer-den müsse, unterstellen aber mehr klammheimlich den jeweils anderen, sie würdenihn beherrschen wollen oder gar den verhängnisvollen Weg zurück zu Richtungs-gewerkschaften gehen.

Die Notwendigkeit einer Stärkung des Dachverbandes ergibt sich ja nicht nur ausder politischen Regulierungsfunktion des DGB zwischen den Gewerkschaften,sondern vor allem daraus, daß die schleichende neoliberale Restaurationsbewe-gung, daß Deregulierung und damit auch die institutionelle Entmachtung derGewerkschaften vor allem in der Tarif-, natürlich auch in der Sozialpolitik, politi-sche Antworten gegen die übermächtig werdenden Neoliberalen verlangen – inDeutschland und in Europa. (Vgl. H. Schumann, Wie arm sollen die Leute wer-den?, in: Der Spiegel, 39/1997, S. 96 ff.)

Norbert Trautwein: »Und sie bewegen sich doch: Gewerkschaftstrukturen imUmbruch«, in: Gewerkschaftliche Monatshefte 11/97)

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Im Mittelpunkt dieses Gewerkschaftstages –möglicherweise der letzte ordentliche Gewerk-schaftstag vor der Selbstauflösung von HBV –stand die Diskussion und Auseinandersetzungum die geplante Fusion zu einer Mega-Dienst-leistungsgewerkschaft.

50 Jahre HBV

Am ersten Tag des Gewerkschaftstages feiertendie Delegierten selbst »50 Jahre GewerkschaftHBV«. Das nächste Jubiläum wollen und wer-den sie nicht erleben. Schwungvoll ging die 50-Jahre-Revue unter dem Motto »Ein bißchen wei-se und kein bißchen leise« über die Bühne. Allewaren fröhlich, beklatschten den Kabarettisten

Thomas Freitag, lauschten dem tollen Gesangvon Pe Werner oder tanzten zur »Latin Power«der »Combo Capriccio«.

Doch am Morgen danach – Kater hin, Kater her– begann »eine Art Seelenmassage zur Einstim-mung der rund 300 Delegierten« (Weser Kuriervom 26.10.98) auf die Dienstleistungsgewerk-schaft aus HBV, DPG, IG Medien, ÖTV undDAG. Die erste Vorsitzende Margret Mönig-Raane: »Mit den vier anderen Gewerkschaftenwollen wir durch eine Bündelung unserer Kräftedeutlich durchsetzungsfähiger werden undneue Bereiche organisationspolitisch er-schließen.«

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Der ultimative HBV-GewerkschaftstagAuf der Suche nach den politischen Inhalten

ben und sieht ihre Chance in den privatenDienstleistungsbereichen?

Die Schaffung eines Kartells, eines Verbundesoder ein Kooperationsmodell würde die Eigen-ständigkeit der fünf Gewerkschaften ermögli-chen und in der konkreten Zusammenarbeit,auch in Projekten, deutlich machen, wie dieGewerkschaften zusammenwachsen können.Der jetzt geplante Gewaltakt wird alle fünfGewerkschaften schwächen, wenn es denn beiden fünf bleiben sollte.

Eine andere Option, die auch nach 1945 eineRolle spielte, aber von den Alliierten in denWestzonen abgelehnt wurde, wäre eine »Allge-meine Gewerkschaft«. Diese Überlegungenwurden Anfang 1996 von den Vorstandsse-kretären der Gewerkschaften GTB, GHK,NGG, HBV und IG Medien zur Diskussiongestellt.4 »Dieses Gesamtmodell eines allgemei-nen Gewerkschaftsbundes mit einer einheitli-chen DGB-Mitgliedschaft«5 (siehe Kasten) wäredie Antwort auf die nicht nur strukturelle Krisealler Gewerkschaften, die neoliberale Politik,die Aufkündigung der Sozialpartnerschaft

durch die Arbeitgeber, die Ausgliederung vonBetriebsteilen und der Kampf für das Prinzip:»Ein Betrieb – eine Gewerkschaft – ein Tarifver-trag.«

Von Bernd Riexinger und Heinz-Günter Lang

Anmerkungen

1) H.O. Hemmer: Am Ende ein Anfang?, in: Gewerk-schaftliche Monatshefte 5/98, S. 267

2) Egon Lutz: Garantiert der Kapitalismus pur die Exi-stenz der Gewerkschaften?, in: IG-Medien Forum6/98, Seite 6ff.

3) Presseinformation GEW-Hauptvorstand vom11.7.1998

4) Burckard Bösche/Gerhard Kirchgäßner/NorbertTrautwein/Wolfgang Rose/Frank Schmidt: DGB-Organisationsreform: Verändern ohne Konzept?,in: Gewerkschaftliche Monatshefte 1/96, S. 17ff.

5) Norbert Trautwein: Und sie bewegen sich doch:Gewerkschaftsstrukturen im Umbruch, in: Gewerk-schaftliche Monatshefte 11/97, Seite 635ff.

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Kritische Auseinandersetzung mit dem Geschäftsbericht

An der Aussprache zum Geschäftsbericht betei-ligten sich 50 Kolleginnen und Kollegen – allein16 aus dem Landesbezirk Baden-Württemberg.

In den Diskussionsbeiträgen ging es u.a. um dieKoordination der Tarifpolitik im Einzelhandel,insbesondere im Hinblick darauf, daß die Tarif-runde 1998 nicht in den Landesbezirken, diesich am Streik beteiligt haben, beendet wurde.Für viele Kolleginnen und Kollegen überra-schend kam es zum Abschluß in Bayern. Dieserwurde von den Arbeitgebern als Pilotabschlußbetrachtet und mußte in allen anderen Landes-bezirken – hier und da mit marginalen Verbes-serungen – nachvollzogen werden.

Kritisiert wurden auch fehlende Strategien derGegenwehr gegen Personalabbau und Häuser-schließungen im Kauf- und Warenhausbereich,gegen Ausgliederung und Tarifflucht sowie diefehlende Konfliktbereitschaft in der Tarifpolitikdes Bankgewerbes.

Ein weiterer Punkt war die Zusammenarbeit mitder DAG. Aus einer Reihe von Bezirksverwal-tungen wurden Ereignisse berichtet, die deutlichmachen, wie sich die DAG – trotz des beste-henden Kooperationsabkommens – den Unter-nehmen als »die angenehmere Gewerkschaft«andient und sich damit gegen die HBV positio-niert. Dies wurde besonders deutlich beim 6-wöchigen Streik der Beschäftigten von Nanz-Allfrisch-Preisfux in der BezirksverwaltungMannheim-Heidelberg.

Die Frauenquote

Seit Jahren wird auf den Gewerkschaftstagenum die Festschreibung der Frauenquote gestrit-ten. Der Gewerkschaftstag 1995 hatte einenKompromiß verabschiedet, der eine weicheQuote festlegte. Die Heidelberger Delegierten-konferenz forderte in einem Antrag zu diesemGewerkschaftstag die sofortige Einführung derQuotierung in allen Gremien entsprechend demMitgliederanteil. Dies ging den Mitgliedern desGeschäftsführenden Hauptvorstandes, der sichderzeit aus 2 Frauen und 3 Männern zusam-mensetzt, zu weit – schließlich wären damit 3Frauen und 2 Männer für den GHV zu wählengewesen.

Deshalb wurde – mit kräftiger Unterstützungvon Margret Mönig-Raane – ein Initiativantragbeschlossen, der zwar die Quote festlegt, abererst nach diesem Gewerkschaftstag. Für dieBesetzung der Bundesgremien einschließlichdes GHV hat die Quotierung damit keineBedeutung mehr, denn spätestens der nächsteordentliche Gewerkschaftstag soll die Auflö-sung der Gewerkschaft HBV beschließen.

Ein Delegierter stellte am Rande des Kongresseszutreffend fest: »Jetzt haben wir die Frauen indie Scheinselbständigkeit entlassen.«

Wahlen

Als Vorsitzende wurde Margret Mönig-Raanemit 86,7 Prozent der Stimmen wiedergewählt.Auch Jürgen Schatta, zweiter Vorsitzender,Franziska Wiethold und Klaus Carlin wurdenmit hohen Stimmenanteilen in ihren Ämternbestätigt. Die kritische Diskussion zumGeschäftsbericht schlug sich in ihren Wahler-gebnissen nicht nieder.

Allerdings: Im einzigen Wahlgang für ein GHV-Mandat, in dem sich eine personelle Alternativebot, setzte sich Rüdiger Timmermann, bisherGeschäftsführender Sekretär der Bezirksverwal-tung Duisburg, gegen Peter Berkessel mit 181gegen 119 Stimmen durch.

Timmermann hatte in einer engagierten Vorstel-lungsrede den Prozeß zur Dienstleistungsge-werkschaft als »sehr zentral gesteuert« kritisiertund festgestellt, daß sich Gewerkschaften selbstin einer politischen Krise befänden und sichpolitisch erneuern müssen. Er sprach sich für dieOrganisierung gesellschaftlicher Unruhe aus,weil nur dann die Gewerkschaften wieder ernstgenommen würden.

Die Wahl von Rüdiger Timmermann machte deut-lich, daß die Delegierten nach politischen Inhal-ten verlangen und sich nicht nur mit der eigenenOrganisation beschäftigen wollen.

Grundsatzdebatte zur »Politischen Plattform«

Eingeleitet wurde die Debatte mit einem Diskus-sionsbeitrag der Vorsitzenden. Sie bezeichnetedie »Politische Plattform« als ersten Schritt aufdem Weg zur Dienstleistungsgewerkschaft.

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Zweiter Schritt ist der Außerordentliche Gewerk-schaftstag 1999, der »Eckpunkte einer Satzungund damit der inneren und demokratischenStruktur der neuen Organisation« beschließensoll. Dabei geht es auch um die Gründung einerÜbergangsorganisation oder »Kartellgewerk-schaft«, »um die Gründung der neuen Organi-sation vorzubereiten«. Der dritte Schritt findetdann auf dem nächsten ordentlichen Gewerk-schaftstag im Jahre 2002 statt. Dort werden dieErgebnisse bewertet, und es wird eine Entschei-dung über die Gründung der neuen Gewerk-schaft getroffen.

38 Kolleginnen und Kollegen beteiligten sich andieser Diskussion, 14 kamen nicht mehr zuWort, weil ein Antrag auf Schluß der Debatte –entgegen dem Vorschlag des Präsidiums aufSchluß der Rednerliste – angenommen wurde.Fast alle Diskussionsbeiträge kritisierten die feh-lenden politischen Inhalte der Plattform: Sie ent-halte keine Aussagen zur politischen Krise derGewerkschaften, zur Auflösung der klassischenErwerbsgesellschaft, zur Massenarbeitslosig-keit, zum Lohndumping. Es sei nur ein organisa-torischer Aufbruch, aber kein politischer Neuan-fang. Der bisherige Prozeß gestalte sich nur vonoben nach unten, und der ständige Verweis aufdie Größe der Mega-Gewerkschaft bringeallein noch keine Stärke. Trotzdem sprach sicheine knappe Mehrheit der Diskutanten für dieAnnahme der politischen Plattform aus. In deranschließenden Abstimmung haben sich ca. 70Prozent für und 30 Prozent gegen die Annahmeder Plattform ausgesprochen.

Haltelinien

In einem Initiativantrag wurden dem Hauptvor-stand für die weiteren Verhandlungen zur Grün-dung einer neuen Dienstleistungsgewerkschaftklare Aufträge erteilt. Dieser Antrag wurde beieiner Stimmenthaltung angenommen.

Ein weiterer Initiativantrag befaßte sich mit derÜbergangsorganisation als »Kartellgewerk-schaft« und legt die HBV-VertreterInnen in der

Übergangsorganisation darauf fest, daß sie indiesen weiteren Verhandlungen an dieBeschlüsse der HBV-Gremien gebunden sind.Im Übergangsprozeß dürfen keine unumkehr-baren Strukturen geschaffen werden, und dieendgültige Entscheidung zur Dienstleistungsge-werkschaft muß mit der Mehrheit von vier Fünf-teln der Delegierten fallen – unabhängigdavon, ob sich HBV nun auflöst oder mit denanderen Gewerkschaften »verschmolzen« wird.

Mit der Annahme dieser Initiativanträge verwei-gerten die Delegierten dem GHV diegewünschte vollständige Handlungsfreiheit undverknüpften die Beteiligung am Prozeß hin zurDienstleistungsgewerkschaft mit Vorbehaltenund Bedingungen. Die Delegierten des Außer-ordentlichen Gewerkschaftstages im November1999 werden die auszuhandelnden Strukturenund Inhalte der neuen Mega-Gewerkschaft anden in Bremen festgelegten Kriterien messenkönnen. Der Bremer Kompromiß – Ja zum wei-teren Prozeß, aber mit festgelegten Maßstäben– hat gleichzeitig die Einbindung der Kritikerinsbesondere aus Baden-Württemberg, Berlinund Thüringen ermöglicht und zu einem»geschlossenen Gesamtbild« der HBV beigetra-gen.

Daß die Inhalte dieses Kompromisses verschie-den interpretiert werden, ist sehr schnell deutlichgeworden: Die kurz nach dem Gewerkschafts-tag erschienene Mitgliederzeitschrift »Ausblick«hat in der Berichterstattung zum Gewerkschafts-tag die vielen kritischen Diskussionsbeiträge zuGeschäftsbericht und »Politischer Plattform«schlicht totgeschwiegen. Die Vorbehalte undBedingungen, die sich in den Beschlüssen nie-dergeschlagen haben, werden nicht einmalerwähnt.

Mein Fazit: typische Hofberichterstattung einerzentralistischen Organisation. Das haben Her-ausgeberin und Redaktion nicht nötig.

Heinz-Günter Lang

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Seit 1994 wird in der Gewerkschaft Handel,Banken und Versicherungen (HBV) darüber dis-kutiert, sich mit anderen Gewerkschaftenzusammen zu schließen. Einen wesentlichenGrund für diese Überlegungen bildeten dienegative Mitgliederentwicklung seit Anfang der90er Jahre und die damit zusammenhängen-den Einnahmeverluste: Ende 1991 hatte dieHBV noch 737.075 Mitglieder, Ende 1993waren es noch 538.782, also ein Verlust von198.293 Mitgliedern.

Zunächst wurde versucht eine Kooperation zwi-schen HBV, IG Medien, Gewerkschaft Holz undKunststoff, Gewerkschaft Textil und Bekleidungund Gewerkschaft Nahrung, Genuss und Gast-stätten zu entwickeln. Die »fünf kleinen Tiger«,wie sie genannt wurden, hatten in dem genann-ten Zeitraum 373.926 Mitglieder verloren.Durch die Entscheidung von GTB und GHK, sichder IGM anzuschließen, wurde dieser Versuch,bevor er überhaupt richtig zum Tragen kam,beendet.

Der HBV-Gewerkschaftstag 1995 nahm danneinen Antrag an, in dem die »Bildung einer priva-ten Dienstleistungsgewerkschaft unter Einbezie-hung auch der DAG« gefordert wurde. Bereits imFebruar 1996 verabschiedete der HBV-Gewerk-schaftsausschuss ein Positionspapier »Für einenVerbund der Gewerkschaften im Dienstleistungs-sektor«, in dem es schon nicht mehr nur um denprivaten Dienstleistungssektor ging.

Die Deutsche Postgewerkschaft (DPG) hatteunterdessen eine private Unternehmensbera-tungsfirma beauftragt, die Entwicklung der DPGnach der Privatisierung der Deutschen Post zuuntersuchen. Diese machte der DPG u.a. denVorschlag, sich mit der HBV, der IG Medien etc.zusammenzuschließen. Die DPG unterbreiteteHBV und IG Medien am 28. Oktober 1996dann das Angebot, einen Verbund zu gründen.Die drei Gewerkschaften verabschiedeten denVerbundvertrag im November 1997.

Während der Diskussion zum Verbundvertragkam es am 1. Juli 1997 zu Gesprächen zwi-

schen den Gewerkschaften ÖTV, DPG, GdED,GEW, IG Medien, NGG, HBV und DAG. Der»Dienstleistungs-Achter« diskutierte über eineNeustrukturierung der Gewerkschaften imDienstleistungssektor. Die NGG verabschiedetesich vor der am 4. Oktober 1997 unterschriebe-nen gemeinsamen Erklärung. Jetzt waren es nurnoch sieben!

Vor der Einigung der Vorsitzenden auf einen»Entwurf zur politischen Plattform« im Februar1998 verließ die GdED das gemeinsame Boot,und die GEW setzte ihre Beteiligung im Juli1998 aus. Jetzt waren es nur noch fünf!

ÖTV, HBV, DPG, IG Medien und DAG ent-wickelten in der Folge ein Konzept zur Grün-dung einer »Vereinigten Dienstleistungsgewerk-schaft« (ver.di). Erst mit einer solchen Gewerk-schaft sei es möglich:

● Mitgliederinteressen besser durchzusetzen,● flexibel auf den Wandel in der Arbeitswelt

reagieren zu können,● Gewerkschaftskonkurrenz aufzuheben,● durch Bündelung der Kräfte die gewerk-

schaftliche Durchsetzungsfähigkeit ange-sichts von Tarifflucht und neuer Unterneh-mensstrukturen zu verbessern,

● eine bessere Nutzung von Ressourcen zuerreichen,

● Dezentralität und Beteiligung zu verbes-sern.

Doch Tatsache bleibt: Die Interessen der Mit-glieder können immer nur dann durchgesetztwerden, wenn die Mitglieder von ihren Forde-rungen überzeugt und bereit sind, sich für dieDurchsetzung dieser Interessen aktiv einzuset-zen.

Auch die Vermeidung von Gewerkschaftskon-kurrenz ist damit nur zum Teil gegeben: Nichtzwischen DAG und den anderen DGB-Gewerk-schaften, insofern Mitglieder der DAG auch inden Industriebetrieben beschäftigt sind, undauch nicht zwischen HBV und NGG sowie zwi-schen DPG und IG Metall. Es entsteht vielmehr

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Ouvertüre oder Abgesang?Kleinlaute Töne statt Fanfaren – ver.di vor und nach dem

Ausstieg der ÖTV

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neue Konkurrenz im Bereich industrienaherDienstleistungen, für die sich die Industriege-werkschaften zuständig erklären.

Durchsetzungsfähigkeit in Fällen von Tariffluchtund/oder bei der Schaffung neuer Unterneh-mensstrukturen kann nur durch den Widerstandder organisierten Beschäftigten und durchderen Bereitschaft, dagegen zu kämpfen,erreicht werden. Ein aktuelles Beispiel hierfür istder durch die Spaltung des Arbeitgeberverban-des Einzelhandel bedingte Wegfall der Allge-meinverbindlichkeit der Tarifverträge, durch denbei einer Reihe von Einzelhandelsbetrieben, wiez.B. WalMart und Schlecker, keine Tarifbindungmehr besteht.

Zudem würde der Zusammenschluss mit denanderen Gewerkschaften im Dienstleistungsbe-reich in den meisten Branchen nicht zu einerErhöhung der Organisationsgrade führen. DieseErhöhung war auch bislang in den zuständigenEinzelgewerkschaften abhängig von der konkre-ten Gewerkschaftspolitik und dem Einsatz ehren-und hauptamtlicher FunktionärInnen. Interessantist in diesem Zusammenhang, dass nicht darüberdiskutiert wird, dass die vier DGB-Gewerkschaf-ten in der Zeit von 1991 bis 1999 insgesamt1.111.284 Mitglieder verloren haben.

Die Krise der Gewerkschaften ist in erster Linieeine politische Krise, sie ist nicht in den organi-satorischen Strukturen der Gewerkschaftenbegründet. So werden keine Konzepte ent-wickelt oder angedacht, wie man der neolibe-ralen Politik, der Aufkündigung der Sozialpart-nerschaft durch die Arbeitgeber und ihrer Ver-bände, den Folgen der Globalisierung und derAusgliederung von Betrieben bzw. Betriebstei-len entgegentreten will.

Die gewerkschaftspolitischen Ziele, die mit derAufhebung der Konkurrenz unter den Gewerk-schaften verbunden sind, sind in den Hinter-grund getreten; über – kontroverse – Wege zuihrer Realisierung wird schon gar nicht mehr dis-kutiert:

● der Abbau der Massenarbeitslosigkeit,● die Sicherung der Beschäftigung,● die Sicherung und Steigerung der Einkom-

men,● ein Ende der Umverteilungspolitik von unten

nach oben,

● Widerstand gegen die Rentenpolitik vonRot-Grün,

● die Haltung zum Bündnis für Arbeit und● der Kampf gegen Rechtsradikalismus.

Fusionen lösen die durch die politische Kriseverursachten Probleme der Gewerkschaftennicht. Entsprechend werden auch die Ursachendes Mitgliederrückganges durch diese Zusam-menschlüsse nicht beseitigt.

Bei der HBV gibt es durchaus Orts- undBezirksverwaltungen mit Mitgliederzuwachs,steigenden Beitragseinnahmen und aktiver undlebendiger Gewerkschaftsarbeit. Ein Zeichendafür, dass Größe allein Gewerkschaften nichtattraktiv macht. Die Menschen wollen keineanonymen Großorganisationen. Attraktivitätkönnen Gewerkschaften vielmehr erst gewin-nen, wenn sie wieder mehr zu Mitmach-Gewerkschaften werden, mit denen die Men-schen sich identifizieren und in denen sie etwasbewegen können.

Eine neue gewerkschaftliche Großorganisationist dagegen kein Garant für aktive Gewerk-schaftsarbeit. Es ist immer noch richtig, wasOssip K. Flechtheim 1963 festgestellt hat: »Dermodernen Arbeiterbewegung, die innerhalbdes Kapitalismus als eine Gegenbewegung ent-stand, ist es zwar gelungen, diesen scheinbarzu ›sozialisieren‹, also in Wirklichkeit ›sozialer‹zu gestalten, wie sie auch die bürgerlicheGesellschaft in einigen Aspekten zu nivellierenund den Staat bis zu einem bestimmten Gradezu demokratisieren vermocht hat. Zugleich hatsich jedoch die (...) Arbeiterbewegung selberimmer stärker in die bürgerlich-kapitalistisch-demokratische Gesellschafts-, Wirtschafts- undStaatsordnung integriert, sie hat sich ›saturiert‹und ›kapitalisiert‹. (...) Die Arbeiterorganisatio-nen befinden sich im Prozess einer immer wei-tergehenden ›Institutionalisierung‹ und ›Bürokra-tisierung‹«.

Am 27. Juli 2000 hat der Hauptvorstand derÖTV festgestellt, »dass die Zustimmung zuver.di seit dem März dieses Jahres nicht gestie-gen ist«. Deshalb wird er in seiner Sitzung am27./28. September 2000 »abschließend dar-über beraten, ob die ÖTV weiterhin eine Ver-schmelzung zu ver.di, der Vereinigten Dienst-

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leistungsgewerkschaft, im März 2001anstrebt.«

Der ÖTV-Vorsitzende Herbert Mai machte ineinem Interview mit der Berliner Zeitung am 21.August 2000 die HBV dafür verantwortlich,dass es nach dem derzeitigen Stand der Aus-einandersetzung nicht genügend Bezirke gebenwürde: »Die ÖTV will in der neuen Gewerk-schaft möglichst viele Bezirksstellen, in denenehrenamtliche Gremien agieren und Einflussnehmen können auf das Gewerkschaftsleben«.Mai drängte auf vernünftige Lösungen underklärte: »Wenn die HBV sich nicht bewegt undihre Blockade aufgibt, sehe ich allerdingsschwarz. In Bayern wären wir bereit, von jetzt22 Verwaltungsstellen auf 13 zu reduzieren.Nach Ansicht von HBV sind das aber immernoch zu viel. Das ist soweit weg von der Rea-lität, dass wir sagen: Dadurch kann die Frage,ob es ver.di geben wird, in der ÖTV auch mitNein beantwortet werden«.

Hintergrund ist, dass die ÖTV bereit wäre, diebisherigen 163 Kreisverwaltungen (Bezirke) auf125 zu reduzieren, die HBV will aber nur 80.Ein offener Punkt sind auch die 13 Fachberei-che und deren politische Selbständigkeit in denver.di-Strukturen sowie die Frage ihrer Finanzho-heit. Eine relativ autonome Fachbereichs-Struk-tur kann dazu führen, dass es in ver.di bis zu 13Gewerkschaften geben könnte, wodurch eineeinheitliche ver.di-Politik verhindert wird.

Die Reaktion von HBV, DPG, IG Medien undDAG auf die Situation in der ÖTV war der ver-zweifelte Versuch, den bisherigen Stand desProzesses als beispielhaft für die Gründung vonver.di darzustellen. Wörtlich heißt es in der ent-sprechenden Presseerklärung vom 27. Juli2000: »Die bislang erarbeiteten Lösungen undpolitischen Positionen werden dem Reforman-spruch voll gerecht. (...) Deshalb werden dievier Gewerkschaften die Schaffung von ver.di.weiter vorantreiben.«

Im weiteren Verlauf der Diskussionen in den vierEinzelgewerkschaften kam es dann zu einerEinigung dahingehend, dass HBV, DPG, IGMedien und DAG die neue Gewerkschaft ver.digründen – mit der Perspektive, dass die ÖTVauch zu einem späteren Zeitpunkt ver.di nochbeitreten könne. Dazu wurde eine »4+1-

Lösung« als Zwischenschritt entwickelt, der derÖTV übermittelt wurde. In diesem Papier sindauch mögliche Inhalte eines Kooperationsver-trages mit der ÖTV enthalten.

Interessant an dieser Vorgehensweise ist, dassdie vier Vorstände fest davon überzeugt sind,dass auf ihren Gewerkschaftstagen die notwen-dige Mehrheit für die Auflösung ihrer Gewerk-schaft erreicht wird.

Doch auch innerhalb der ÖTV gibt es Unzufrie-denheit mit dieser Konstruktion. So wollten dieVorsitzenden der Hamburger ver.di-Gewerk-schaften für Samstag, den 26. August, zu einerFunktionärskonferenz der ver.di-Bezirke und -Landesbezirke nach Mainz einladen. Themasollte sein: »ver.di ist Zukunft«. Nach heftigenGegenreaktionen vor allem aus der ÖTV selbstwurde diese Konferenz wieder abgesagt. Dar-aufhin wurde ein »Hamburger Appell« ent-wickelt, mit dem unter der Überschrift »Wir wol-len ver.di« in den Betrieben Unterschriftengesammelt werden sollen. Die HBV Frank-furt/Main hat diesen Appell übernommen undlässt bereits sammeln.

Was hat all dies mit den Interessen dermeisten Mitglieder und Funktionäre zutun?

Deutlich wird an der jüngsten Auseinanderset-zung um ver.di, dass die Neugründung derDienstleistungsgewerkschaft ein technokrati-scher Schöpfungsakt von oben ist. Verbundendamit ist der Verlust innergewerkschaftlicherDemokratie, von Identifikations-, Mitwirkungs-und Gestaltungsmöglichkeiten für Mitgliederund Funktionäre. Ein aktuelles Beispiel dafür istder am 10. Juli 2000 vorgelegte Entwurf derSatzung von ver.di, der bis zum 30. September2000 diskutiert werden kann. Vorschläge zurÄnderung können zwar noch gemacht werden,aber die Mitgliederversammlung der Grün-dungsorganisation ver.di – insgesamt 45 Kolle-gInnen – wird am 22./23. Oktober 2000 eineendgültige Satzung beschließen. Diese Sat-zung kann auf dem geplanten Verschmelzungs-kongress im März 2001 dann nur angenom-men oder abgelehnt werden.

Größe allein bedeutet auch nicht mehr Macht,denn klar ist: Gewerkschaften entstehen nicht

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am Reißbrett. Sie wachsen aus dem freienZusammenschluss von Menschen. Gewerk-schaftsmitglieder können nicht verschoben wer-den wie Aktienpakete. Gewerkschaften könnenund dürfen kein Spiegelbild der Konzerne sein– weder in Bezug auf ihren Entstehungsprozessnoch hinsichtlich ihres demokratischen Auf-baus.

Wir wissen aus unseren Erfahrungen in derGewerkschaft HBV, dass die Stärke vonGewerkschaften in der Bewegung ihrer Mitglie-der manifest wird. Es ist sogar gefährlich, denMitgliedern eine vermeintliche Stärke durchGröße zu suggerieren. Gerade die HBV lebtvon Auseinandersetzungen, in denen es gelingt,die Mitglieder aktiv einzubeziehen und einebreite Bewegung zu entfalten. Dies hängt auchdamit zusammen, dass die HBV weder einegroße Stamm-Mitgliedschaft noch großeBetriebseinheiten hat.

Die von HBV organisierten Betriebe sind beson-ders stark geprägt von den spezifischen Bedin-gungen der Kleinst-, Klein- und Mittelbetriebe.Gerade die Erfahrungen beim Aufbau vonBetriebsräten in der Drogeriekette Schleckerund die Auseinandersetzung in den Lebensmit-telfilialbetrieben von Nanz/Allfrisch beim Ver-kauf an Edeka/Neukauf im Raum Mann-heim/Heidelberg sowie die Schließung desGroßversandhauses Schöpflin in Lörrach durchQuelle machen deutlich, dass neue Arbeits-kampfformen, verbunden z.B. mit Boykottaufruf,auch eine kleine Gewerkschaft mächtig machenkönnen. Voraussetzung dafür ist Bewegungsfrei-heit vor Ort und im Landesbezirk, damit über-haupt Bewegung entwickelt werden kann undauch aus Kleinsteinheiten die Beschäftigteneine Gewerkschaft haben.

Die neue Dienstleistungsgewerkschaft würdedagegen eine Megagewerkschaft mit mehrBürokratie und weniger Demokratie. Die sogenannte Matrixorganisation – d.h. die Strukturder Ebenen und Fachbereiche – macht deutlich:Es sind objektiv zu viele Gremien erforderlich,die durch Ehrenamtliche nicht mehr kontrollier-bar sind. Es geht ja nicht nur um die Fachberei-che – auch die horizontalen Ebenen müssenaufgebaut werden, strukturiert und kontrollier-bar sein.

Dies zeigt deutlich: Die neue Gewerkschaft wirdnicht von den Mitgliedern entwickelt und struktu-riert, sondern hauptsächlich von den Gewerk-schaftsapparaten.

Die neue Gewerkschaft entspringt nicht demBedürfnis der meisten Mitglieder. Sie ist eineKopfgeburt der geschäftsführenden Hauptvor-stände und wird deshalb zwangsläufig die Kräf-te des Apparates absorbieren und viel mit Direk-tiven erledigen müssen.

Dezentralität, mehr Demokratie, erlebbare All-tagskultur und die Orientierung an den betrieb-lichen Konflikten der Mitglieder machenGewerkschaften attraktiver als schiere Größe.Identifikations-, zahlreiche Entscheidungs- undBeteiligungsmöglichkeiten für Mitglieder undinsbesondere Aktive zeichnen die HBV aus.

Wenn wir diese HBV-Kultur erhalten wollen,müssen wir jetzt in der HBV diskutieren unddafür Mehrheiten gewinnen, dass der Außeror-dentliche Gewerkschaftstag vom 12.–14. Sep-tember 2000 eine Bilanzierung vornimmt undder ver.di-Prozess beendet wird.

Heinz-Günter Lang

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Der zweite Teil des 3. AußerordentlichenGewerkschaftstages der GewerkschaftHBV fand vom 20. bis 22.11.2000 in Mag-deburg statt. Im Mittelpunkt stand die Ent-scheidung, ob die vorliegenden Ergebnissezur Gründung der neuen Dienstleistungsge-werkschaft ver.di den Inhalten des Initiativ-antrages I, beschlossen auf dem 2. Außer-ordentlichen Gewerkschaftstag vom 18. bis20.11.1999 in Würzburg, zum so genann-ten Zielmodell ausreichen, um die Grün-dung von ver.di im März 2001 vorbereitenzu können.

Es war ein Gewerkschaftstag ohne große Höhe-punkte. Erstmals nahm der Vorsitzende derDAG, Roland Issen, an einem HBV-Gewerk-schaftstag teil und wurde bei der Vorstellung mitfrenetischem Beifall begrüßt. Frank Bsirske, neu-er ÖTV-Vorsitzender und Mitglied der Grünen,nahm ebenfalls teil und bekam viel Applaus, alser in seiner Rede die Vorschläge seiner Parteizur Abschaffung des Günstigkeitsprinzips imTarifrecht scharf verurteilte.

Im Mittelpunkt stand besagter Initiativantrag I,der sich mit der Bilanz zum ver.di-Prozessbeschäftigte und im Falle der Annahme denGewerkschaftsausschuss beauftragte, »den 4.Außerordentlichen HBV-Gewerkschaftstag fürden 17. bis 19. März 2001 einzuberufen, umdie Verschmelzung zu ver.di auf der Grundlageder von der Mitgliederversammlung der Go-ver.di beschlossenen Dokumente zu vollzie-hen.«

Die HBV-Vorsitzende Margret Mönig-Raaneerläuterte in ihrer Gesamtbilanz zum ver.di-Pro-zess, dass in allen Punkten des Zielmodells eineEinigung errreicht worden sei. Lediglich in einerFrage habe die HBV einen Kompromiss akzep-tieren müssen. Ausgangspunkt war die 1999beschlossene Position zur Bezirksbildung:»Gewerkschaftspolitische Zielsetzung bei derBezirksbildung muss es sein, handlungs- unddurchsetzungsfähige Fachbereiche in denjeweiligen Kernbereichen von HBV in den Bezir-

ken abzubilden. Ziel ist es, dass bezirksüber-greifende Fachbereichsstrukturen dabei dieAusnahme und nicht die Regel sind. In möglichstvielen Bezirken müssen die für die Gewerk-schaft HBV bedeutsamen Fachbereiche sowohlhaupt- wie auch ehrenamtliche Strukturen bil-den können.« HBV hat derzeit 56 Bezirks-/Orts-verwaltungen. Ver.di wird mit 108 Bezirksver-waltungen und mit über 180 Standorten begin-nen. Die HBV-Strukturen werden damit weitge-hend zerschlagen. So werden es z.B. in Baden-Württemberg 11 statt bisher 5, in Bayern 13statt bisher 4 und in Nordrhein-Westfalen 32statt bisher 13 Bezirksverwaltungen sein. Damitwerden, entgegen dem Initiativantrag, bezirksü-bergreifende Fachbereichsstrukturen die Regelund nicht die Ausnahme sein. In vielen Bezirks-verwaltungen werden die für HBV bedeutsamenFachbereiche (Handel sowie Banken und Versi-cherungen) keine haupt- und ehrenamtlichenStrukturen bilden können.

Die Zergliederung der bisherigen HBV-Struktu-ren wird die bisherigen Träger der HBV-Entwick-lung und der HBV-Kraft – nämlich die aktivenEhren- und Hauptamtlichen – aufspalten. HBVist es nicht gelungen, ihre Hochburgen, auchunter dem Gesichtspunkt Kampfkraft und Akti-vitäten, zu erhalten. Ob dies bei den Diskussio-nen zur Bezirksbildung in ver.di überhaupt einewesentliche Rolle gespielt hat? Die Gewerk-schaft HBV zerfasert ihre Stärke, die Konzernebündeln die ihre. Regionale Unternehmens- undKonzernstrukturen haben bei der Bezirksbil-dung keinen Ausschlag gegeben, auch nicht imKonfliktfalle zwischen HBV und ÖTV.

Interessant war, dass dieses schlechte Ergebnisin der Diskussion kaum eine Rolle spielte undoffenbar die Mehrheit der Delegierten dieseZergliederung der HBV-Strukturen hinnahmoder nicht mehr bereit war, für andere Struktu-ren zu kämpfen. In vielen Einzelgesprächenwar zu hören, dass es keinen Sinn mehrmache, gegen ver.di zu kämpfen. Die langeZeit der Auseinandersetzung hat wohl auchdazu geführt, dass viele Delegierte resigniertsind und sich endlich wieder über »normale«

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An der Wende zu ver.di: Dabei sein ist alles!Bericht vom HBV-Gewerkschaftstag

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Gewerkschaftsarbeit vor Ort, im Landesbezirkund auf Bundesebene auseinandersetzen wol-len.

Ein weiterer wichtiger Punkt des Zielmodells wardie Frage, wie der Bundesvorstand mit Anträ-gen auf Einleitung von Arbeitskampfmaßnah-men umgehen darf. 1999 war beschlossen wor-den, dass Anträge auf Arbeitskampfmaßnah-men nur mit einer Dreiviertel-Mehrheit und auseinem zwingenden Grund abgelehnt werdendürfen und der/die Tarifverantwortliche beieiner Ablehnung zu hören ist. In den bereits ver-abschiedeten ver.di-Tarifrichtlinien ist weder vondem einen noch von dem anderen die Rede.

Margret Mönig-Raane interpretierte dies aufdem Gewerkschaftstag folgendermaßen: »Inder jetzigen Formulierung kann der ver.di-Bun-desvorstand Arbeitskampfmaßnahmen nurdann ablehnen, wenn damit offensichtlichwesentliche, das heißt wohl unverhältnismäßigepolitische und finanzielle Risiken verbundenwären« – mit dieser Formulierung sei den HBV-Vorstellungen »mehr als Rechnung getragenworden«.

Klar sei auch, so Mönig-Raane: »Das im Sommerals Auffanglösung entwickelte Modell 4+1 istvom Tisch.« Dies bedeutet, dass ver.di nur danngegründet wird, wenn im März 2001 alle betei-ligten Gewerkschaften die notwendige Mehrheitzur Auflösung ihrer Gewerkschaft erreichen. Bisauf die IG Medien müssen in den Einzelgewerk-schaften jeweils 80 Prozent Zustimmung erzieltwerden. Wenn eine Gewerkschaft diese Mehr-heit nicht erreicht, wird es keine Gründung vonver.di geben. Im Initiativantrag I wird formuliert:»Deshalb werden Hauptvorstand und Gewerk-schaftsausschuss für einen solchen Fall beauf-tragt, Vorsorge zu treffen, dass ver.di auf derGrundlage der erarbeiteten Prinzipien undDokumente trotzdem zustande kommen kann«.Eine Lösung könnte sein, dass qua Satzungsän-derung die Hürde der 80 Prozent-Zustimmungreduziert wird oder für die Abstimmungsergeb-nisse nicht mehr die Zahl aller Delegierten maß-geblich ist, sondern nur noch die der anwesen-den Delegierten.

Rüdiger Timmermann, Mitglied des geschäfts-führenden Hauptvorstandes und kritischerBegleiter des ver.di-Prozesses, hatte noch in

Würzburg erklärt: »Ich möchte, dass wir imNovember eine Bilanzierung entsprechend demKriterienkatalog machen. Ich möchte nicht, dasswir vor der Situation stehen: Wir können vomPrinzip her gar nichts mehr entscheiden, weilnur noch zugespitzt ›ja’ oder ›nein‹ gilt. MeineGrundhaltung ist, ... es muss schon nachgewie-sen werden, dass etwas Besseres herauskommtals das, was wir jetzt haben«. Obwohl genaudiese Entwicklung nicht eingetreten ist, hat ersich ebenfalls für ver.di entschieden und erklärt,er komme »sowohl in der gesellschaftspoliti-schen Betrachtungsweise als auch hinsichtlichder Strukturen abschließend zu dem Ergebnisund zu der Bewertung der Gesamtbilanz, dassich verd.i zustimme«.

An der Diskussion beteiligten sich nur noch 14Kolleginnen und Kollegen – in Würzburgwaren es noch 24 –, die sich mehrheitlich fürdie Annahme des Initiativantrags aussprachen.

Schon in den Vorbesprechungen der meistenLandesbezirke wurden die Delegierten von denLandesbezirksvorsitzenden eindringlich aufge-fordert, mit »ja« zu stimmen. Die Delegiertenaus Baden-Württemberg wurden zudem mitdem Argument, dass die Ablehnung des Antra-ges zur Spaltung von HBV führen könnte, zurZustimmung aufgefordert. Die in Baden-Würt-temberg entwickelten und diskutierten Kri-tikpunkte (siehe »Mega-Fusionen: Die Debatteist eröffnet« in express 3/98 und »Die Lawinerollt – Fusionen als Antwort auf die gewerk-schaftliche und politische Krise« in express10/98) spielten keine Rolle mehr.

Von den 308 Delegierten waren 296 anwe-send, von diesen stimmten 240 mit »ja«, 50 mit»nein«, 6 enthielten sich. Dies bedeutet – vonden 308 Delegierten ausgehend – eine Zustim-mungsquote von 77,9 Prozent. In Würzburgwaren es nur 69,8 Prozent. Aber: Die 80 Pro-zent wurden immer noch nicht erreicht. Deshalberklärte die HBV-Vorsitzende nach dieserAbstimmung, dass für den Gewerkschaftstag imMärz 2001 alles getan werden müsse, damitsämtliche Delegierten anwesend seien. »Wahr-scheinlich laden wir dann auch die Ersatzdele-gierten als Gäste ein«. Auch Geld spielt offen-bar keine Rolle mehr!

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In den nächsten Wochen und Monaten mussnoch geklärt werden, wie die hauptamtlichenFührungs-Positionen auf allen Ebenen und inallen Fachbereichen besetzt werden. Dazu wur-de eine Gewerkschaftsquotierung beschlossen.HBV erhält demnach 15 Prozent der Funktio-nen.

Einige setzen bei HBV nach wie vor auf dasPrinzip Hoffnung. Für die Mehrheit der ver.di-Befürworter dürfte jedoch eher das olympischePrinzip »Dabeisein ist alles«, auch ohne gewerk-schaftspolitisches Programm, gelten. Gepaartmit den Prinzipien der ver.di-Gegner und -skepti-ker ist das eine implosive und weniger eine pro-duktive Grundlage für einen gewerkschaftlichenNeuanfang.

In der weiteren Antragsberatung ging es u.a.um Anträge gegen das »Bündnis für Arbeit«, füreine »Änderung des Betriebsverfassungsgeset-zes« und gegen die vorliegenden Pläne derBundesregierung zur »Rentenreform«. Zur Been-digung des »Bündnisses für Arbeit und Wettbe-werbsfähigkeit« hatte die Antragskommissionfolgenden lauen Vorschlag gemacht: »DieGewerkschaft HBV wirbt daher in den ver.di-Gewerkschaften, im DGB und in der Öffentlich-keit für eine realistische und kritische Überprü-fung der Mitarbeit im Bündnis. Es ist an der Zeit,dass die Gewerkschaften dieses Bündnis kritischüberprüfen und Alternativen dazu entwickeln.«

Diese Position wurde in der Diskussion von der1., Margret Mönig-Raane, und der 2. Vorsitzen-

den, Franziska Wiethold, vertreten. Sie vertra-ten die Auffassung, das »Bündnis« habe nichtdie Bedeutung, wie sie in dem Antrag zum Aus-druck komme und könne zudem auch einigeErfolge, wie z.B. das Programm für die Ausbil-dungsplätze, vorweisen. Die meisten weiterenDiskussionsrednerInnen vertraten Argumente,die für eine Beendigung des Bündnisses spre-chen. Am Schluss der Diskussion nahm dieAntragskommission ihre Empfehlung zurück. Mitgroßer Mehrheit wurde der Aufkündigung des»Bündnisses für Arbeit« zugestimmt.

Beschlossen wurden außerdem weitergehendeForderungen zur Reform des Betriebsverfas-sungsgesetzes, die über die Eckpunkte, die vomBundesarbeitsminister vorgelegt wurden, hin-ausgehen. Die vorliegenden Pläne zur Renten-reform wurden abgelehnt, und es wurdebeschlossen, »Veranstaltungen und Protestde-monstrationen mit anderen Gewerkschaften,dem DGB, den Kirchen, den Sozialverbändenund Parteien oder Teilen von Parteien, die diesesogenannte Reform auch ablehnen, zu organi-sieren«.

Inzwischen wurde ein Aktionsplan der ver.di-Gewerkschaften und der IG Metall gegen dieRentenreform entwickelt. Höhepunkt sollen bun-desweite, dezentrale Aktionen am 20. Januar2001 sein. Die 3. Lesung im Bundestag soll am26. Januar 2001 stattfinden.

Heinz-Günter Lang & Anton Kobel

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IV.

Beiträge

von Heinz-Günter Lang

aus anderen Publikationen

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O. Jacobi / E. Schmidt / W. Müller-Jentsch (Hg.): »Kritisches Gewerkschaftsjahrbuch1978/79: Arbeiterinteressen gegen Sozialpartnerschaft«, Berlin 1979

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O. Jacobi / E. Schmidt / W. Müller-Jentsch (Hg.): »Kritisches Gewerkschaftsjahrbuch1978/79: Arbeiterinteressen gegen Sozialpartnerschaft«, Berlin 1979

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O. Jacobi / E. Schmidt / W. Müller-Jentsch (Hg.): »Kritisches Gewerkschaftsjahrbuch1978/79: Arbeiterinteressen gegen Sozialpartnerschaft«, Berlin 1979

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O. Jacobi / E. Schmidt / W. Müller-Jentsch (Hg.): »Kritisches Gewerkschaftsjahrbuch1978/79: Arbeiterinteressen gegen Sozialpartnerschaft«, Berlin 1979

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O. Jacobi / E. Schmidt / W. Müller-Jentsch (Hg.): »Kritisches Gewerkschaftsjahrbuch1978/79: Arbeiterinteressen gegen Sozialpartnerschaft«, Berlin 1979

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O. Jacobi / E. Schmidt / W. Müller-Jentsch (Hg.): »Kritisches Gewerkschaftsjahrbuch1981/82: Starker Arm am kurzen Hebel«, Berlin 1981

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»Geschichte der Farbwerke Hoechst...«,erschienen im Verlag 2000, 1. Auflage, Offenbach 1984,

2. Auflage, Offenbach 1989

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Inhaltsverzeichnis von: »Geschichte der Farbwerke Hoechst...«, 1. Auflage 1984

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Inhaltsverzeichnis von: »Geschichte der Farbwerke Hoechst...«, 2. Auflage 1989

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Vorworte von: »Geschichte der Farbwerke Hoechst...«, 1984 und 1989

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»Der längste und letzte Tanz...«, hg. von Gewerkschaft HBV, Anton Kobel, Mannheim, 1. Auflage, Juli 1999

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Inhaltsverzeichnis von: »Der längste und letzte Tanz...«

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Vorwort von: »Der längste und letzte Tanz...«

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Vorwort von: »Der längste und letzte Tanz...«

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»Last Exit ver.di?«, erschienen in »Ränkeschmiede«, hg. von AFP e.V., express-Redaktion,TIE – Internationales Bildungswerk, 1. Auflage, November 1999

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Inhaltsverzeichnis von: »Last Exit ver.di?«

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Inhaltsverzeichnis von: »Last Exit ver.di?«

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Vorwort von: »Last Exit ver.di?«

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Vorwort von: »Last Exit ver.di?«

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»Quelle: ausradieren statt sanieren«, hg. von hbv-Südbaden, SoS-Lörrach,1. Auflage, Freiburg 2000

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Inhaltsverzeichnis von: »Quelle: ausradieren statt sanieren«

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Vorwort von: »Quelle: ausradieren statt sanieren«

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V.

Weitere Dokumente

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