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Dr. Reinhard Bispinck
Wohin geht die Reise?
Strukturveränderungen im Tarifvertragssystem
Dr. Reinhard BispinckWSI in der Hans-Böckler-Stiftung
Zukunft des Tarifvertragssystems
3. November 2005 – Oldenburg
Kooperationsstelle
Hochschule - Gewerkschaften
Dr. Reinhard Bispinck
• Bilanz der Tarifpolitik
• Erosion des Tarifsystems
• Verbetrieblichung der Tarifpolitik
• Niedriglöhne – Mindestlohn
• Europäische Perspektiven
Überblick
Dr. Reinhard Bispinck
Verteilungsbilanz
• moderate Lohnabschlüsse
• kein Ausschöpfen des Verteilungsspielraums
• Rote Laterne in Europa
Dr. Reinhard Bispinck
Arbeitszeitbilanz
• Weitere Flexibilisierung• Verlängerung in einigen Branchen
(Bau, Maler, Deutsche Bahn)
• Verkürzung nur im Ausnahmefall(Deutsche Telekom)
Dr. Reinhard Bispinck
Weitere Bereiche• Reform der Rahmentarifverträge
(u.a. Metallindustrie ERA, öffentlicher Dienst TVöD)
• Ausbildungsförderung• Weiterbildung
(u.a. Metall BaWü, Chemie)
• Altersvorsorge• Altersteilzeit
Dr. Reinhard Bispinck
Tarifsystem unter Druck:Vor dem Systemwechsel?
• Druck auf die Tarifstandards durch wachsende internationale Konkurrenz
• Politische Angriffe auf die Tarifautonomie• Rückläufige Tarifbindung – abnehmende
Tarifverbindlichkeit• Differenzierung der Tariflandschaft• kontrollierte und wilde Dezentralisierung
Dr. Reinhard Bispinck
Tarifbindung West 1998 – 2004
76 7370 71 70 70 68
6357 55 56 55 54 53
0
10
20
30
40
50
60
70
80
1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004
West Ost
Dr. Reinhard Bispinck
Seit 20 Jahren gibt es einen schleichen-den Umbau des Flächentarifvertrags in Richtung einer Differenzierung und Dezentralisierung. Im Endergebnis ist eine spürbare Beeinträchtigung der Regulierungskraft der Tarifverträge festzustellen.
Umbau des Flächentarifs
Dr. Reinhard Bispinck
Der Vormarsch tariflicher Öffnungsklauselnhat sich wellenförmig vollzogen mit denSchwerpunkten • Flexibilisierung der Arbeitszeit, • Härtefallklauseln im wirtschaftlichen
Krisenfall, • ertragsabhängige Entgeltgestaltung,• wettbewerbsorientierte Öffnungsklauseln
Dr. Reinhard Bispinck
Branchenspezifische Flexibilitätsmuster
• Metall: Umkämpfte Flexibilisierung• Chemie: Öffnungsklauseln als
Stabilisierungsinstrument• Bauhauptgewerbe: Öffnungsklauseln in der
Strukturkrise• Finanzdienstleistungen: Flexible
Arbeitszeiten und ertragsabhängige Vergütung• Einzelhandel: Mittelstandklauseln
Dr. Reinhard Bispinck
Funktionswandel der Öffnungsklauseln
Die neue Qualität besteht darin, dass zunehmend die „Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit“ als Begründung für die Abweichung von Tarifstandards anerkannt wird. Damit werden Tarifstandards über eventuelle wirtschaft-liche Krisensituationen hinaus generell unter Revisionsvorbehalt gestellt.
Dr. Reinhard Bispinck
Die Öffnungsklauseln, wie z.B. im „Pforzheimer Abkommen“ in der Metallindustrie sind nicht der Auslöser betrieblicher Abweichungen, aber sie verdeutlichen die Probleme der Verbetrieb-lichung wie in einem Brennglas. Vor allem:• Verhältnis von Tarif- und Betriebspolitik• Ausstrahlung auf (andere) Branchen und
andere Länder
Risiken und Nebenwirkungen der Verbetrieblichung
Dr. Reinhard Bispinck
Verbetrieblichung der Tarifpolitik Angaben der Betriebsräte in %
12
30
53
6
zu begrüßenzwiespältiggenerell problematischweiß nicht
Quelle: WSI-Betriebsrätebefragung 2005
Dr. Reinhard Bispinck
Verbetrieblichung aus Sicht der BRstärkt Arbeitgeberposition 81 %
führt zu unterschiedlichen Arbeitsbedingungen
75 %
Wirkungsvoller Einfluss des BR kaum möglich
53 %
stärkt BR-Gestaltungsmöglichkeiten 49 %
Bessere Berücksichtigung betrieblicher Gegebenheiten
48 %
überfordert BR 48 %Quelle: WSI-Betriebsrätebefragung 2005
Dr. Reinhard Bispinck
Folgen einer zunehmend (branchen- und) betriebsorientierten Tariflohnpolitik
• Abkehr von gesamtwirtschaftlicher Orientierung• Mitziehen von konjunktur- und produktivitäts-
schwachen Branchen erschwert (Geleitzugprinzip)
• Prozyklische Verschärfung von Aufs und Abs der wirtschaftlichen Entwicklung
• Betonung intrasektoraler Differenzierung
Dr. Reinhard Bispinck
Konsequenzen für die Tarifpolitik
• Verteidigung von verbindlichen Tarifstandards
• Stärkung von betrieblichen Mitbestimmungsrechten
• Verzahnung von Tarif- und Betriebspolitik• Tarifpolitik als Verteilungspolitik• Europäische Perspektive
Dr. Reinhard Bispinck
Niedriglöhne - Mindestlohn
• Wachsender Niedriglohnsektor
• Begrenzte Wirkung der Tarifpolitik
• Modelle eines (gesetzlichen) Mindestlohns
Dr. Reinhard Bispinck
Tarifliche Niedriglöhne - BeispieleWest* Ost*
Landwirt. Hilfsarbeiter 4,68 4,44Wach- und Kontrollpersonal 5,65 4,32Friseurin 5,84 3,82 BäckereiverkäuferIn (1. Jahr) 5,98 4,98Hotelbote/page 6,09 5,12GebäudeinnenreinigerIn 7,68 6,18FloristIn (3. Jahr) 7,75 5,38
* jeweils einzelne regionale Tarifbereiche
Dr. Reinhard Bispinck
16,4
15,8
16,5
13,713,9 13,8
14,3
15,7 15,7 15,8
17,117,3
17,4
15,0
14,8
13,413,313,213,0
13,113,3
12
13
14
15
16
17
18
1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001
Gesamtdeutschland
Westdeutschland
Niedriglohnbezieher*
* in % der VollzeitarbeitnehmerInnen (weniger als 2/3 des Medianlohns)
Dr. Reinhard Bispinck
Bekämpfung von Niedriglöhnen
Ansatzpunkte:• Änderungen in der Tarifpolitik
• Reform der Allgemeinverbindlicherklärung von Lohntarifverträgen/Entsendegesetz
• Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns
• Verschiedene Modelle von Kombilöhnen
Dr. Reinhard Bispinck
Mindestlohn-Modelle in der gewerkschaftlichen Diskussion
• Erleichterung AVE, Ausweitung des Entsendegesetzes (IG BAU)
• Gesetzliches branchenbezogenes Mindestentgelt (IG Metall)
• Einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn (NGG, ver.di)
Dr. Reinhard Bispinck
Mindestlöhne in Europa
• Ein bewährtes Instrument in 18 von 25 Ländern
• Koordinierte Mindestlohnpolitik erforderlich
• Zielgröße: 60 % des nationalen Durchschnittslohns, kurzfristig: 50 %
Gesetzliche Mindestlöhne pro Stunde in Euro (November 2005)
8,69
8,03
7,91
7,86
7,65
7,48
3,86
3,59
3,25
2,84
2,62
1,45
1,32
1,20
1,00
0,99
0,92
0,67
0,50
0,44
4,22
0,00 1,00 2,00 3,00 4,00 5,00 6,00 7,00 8,00 9,00 10,00
Luxemburg
Frankreich
Niederlande
Grossbritannien
Irland
Belgien
Griechenland
Spanien
Malta
Slowenien
Portugal
Tschechien
Ungarn
Polen
Slowakei
Estland
Litauen
Lettland
Rumänien
Bulgarien
USA
Gesetzlich festgelegter Stundenlohnsatz: Luxemburg, Frankreich, Großbritannien, Irland, USA; Berechneter Stundensatz auf der Grundlage folgender Wochenarbeitszeiten: 40 Stunden: Griechenland, Malta, Slowenien, Ungarn, Polen, Estland, Litauen, Lettland, Bulgarien, Rümänien; 39 Stunden: Slowakei; 38,5 Stunden : Spanien, Portugal; 38 Stunden : Belgien, Tschechien; 37-Stunden : Niederlande.Quelle: Eurostat, nationale Angaben, eigene Berechnungen
Dr. Reinhard Bispinck
Dringend erforderlich:
Europäisierung der Tarifpolitik
• Koordinierung der Tarifpolitik
• Ausschöpfung Verteilungsspielraum
• Qualitative Tarifpolitik
• Europäische Mindestlohnpolitik
www.tarifvertrag.de