14
1 Der Erste Weltkrieg --------------------------- Drei Jahre im Untergrund Der Zug mit seinen wenigen Wagen rattert an den letzten Hängen der Schwäbischen Alb dem Donautal entgegen. Der Ruß der Dampflokomotive hängt in der Luft. Einige Reisende freuen sich auf den nächsten Halt in Ulm. Eine Gruppe zusammenge- sunkener Männer vermittelt das Gegenteil. Denn sie wis- sen, was auf sie zukommt. Nichts Gutes. Die Lokomotive lässt lautstark den Dampf ab und bremst. Zi- schend kommt der Zug zum Stehen. Auf dem Bahnsteig stehen die Wachsoldaten, an die die trau- rigen Gestalten nun übergeben werden. Durch die Straßen der Stadt Ulm werden die müden Männer in das Gefängnis, es- kortiert von ihren Begleitsoldaten, geführt. Es ist ein berüchtigtes Militärgefängnis. Jeder ist bereits verurteilt. Jetzt geht es an das Verbüßen ihrer Strafe. Einige haben Monate vor sich, andere Jahre. Für besonders schwere Fälle wer- den bis zu 20 Jahre verhängt. In den Doku- menten aus dieser Zeit werden die „Delikte“ berichtet: Fahnenflucht, Entfernen von der Truppe, Selbstverstümmelung, Befehlsver- weigerung und Angriff auf den Vorgesetz- ten. Ein Gefangener weiß, dass sein Freund wegen des gleichen „Vergehens“ in Berlin geschlagen und gefoltert wurde und an den Folgen starb. Jeder der Männer hat sein Schicksal. Jeder hat einen Grund für sein Verhalten. Wir sind im Krieg – im Ers- ten Weltkrieg. Johannes Rauser wurde am 15. Dezember 1882 im kleinen Orts Iselshausen geboren und 1896 evangelisch konfirmiert. Heute ist dieser Ort in die Stadt Nagold im Schwarz- wald eingegliedert. Durch den frühen Tod beider Elternteile verlor er seine Heimat. Das Jugendamt übergab ihn der Obhut ei- nes strengen, leider auch brutalen Schrei- nermeisters im Ort. Er ging so rüde mit sei- nen Kindern und dem Pflegekind um, dass sie manchmal hungrig von Tisch aufstehen mussten. Schläge und Hunger waren an der Tagesordnung. Nach dem Schulab- schluss erlernte er im Betrieb der Pflegeel- tern das Schreinerhandwerk. Bedingt durch das kalte Klima im Haus der Pflegeeltern ging er nach Abschluss der Lehre im Jahre 1890 auf Wan- derschaft, die ihn über ver- schiedene Orte im damaligen Königreich Württemberg bis nach Köln führte. Eine Lungenerkran- kung, bedingt durch den Holzstaub bei der Arbeit, machte eine weitere Tätigkeit als Schreiner unmöglich. Johannes arbei- tete dann als Handelsvertreter weiter. Im Jahre 1906 fand er eine Anstellung als Fahrer und Schaffner bei den Wiesbade- ner Straßenbahnen, die ihm sehr viel Freude bereitete. Wiesbadener Straßenbahnen um 1910 In den Jahren nach 1900 veranstalteten die Siebenten-Tags-Adventisten Vorträge in verschiedenen Orten Deutschlands. Die biblischen Prophezeiungen und der Ablauf der Weltgeschichte waren damals das Thema. Natürlich wurde auch über den Sabbat als gültigen biblischen Ruhetag Gottes gesprochen. In Wiesbaden fanden diese Vorträge auch statt.

Drei Jahre im Untergrund - Kriegsdienstverweigerung im Ersten Weltkrieg

  • Upload
    newsway

  • View
    118

  • Download
    4

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Die Geschichte eines bibelgläubigen Adventisten im Ersten Weltkrieg - er wollte Gott mehr gehorchen, als den Menschen. Anstatt einzurücken, floh er und lebte drei Jahre im Untergrund. Nach dieser Zeit wurde er gefangen genommen und wegen Fahnenflucht vor das Kriegsgericht gestellt. Dort fiel ihm der Pastor seiner früheren Glaubengeschwister in den Rücken: "Im Krieg gelten die Gebote Gottes nicht mehr." Aber: das Kriegsgericht und sogar der Militärstaatsanwalt glaubten ihm - er wurde glücklicherweise nur zu der Mindeststrafe verurteilt. Im Festungsgefängnis in Ulm wurde er dann mit Arbeit am Sabbat konfrontiert - auch hier blieb er konsequent. Deshalb wurde er mit Dunkelhaft und Stock (unbewegliches Fixieren an der Wand) bestraft. Man wollte ihn brechen. Aber durch die Abdankung und eine Amnestie für politische Gefangene durch Kaiser Wilhelm II. rette Gott ihm das Leben. Ein Einblick in die Untergrundgemeinde der Siebenten-Tags-Adventisten im Ersten Weltkrieg wird gezeigt. - Nach Unterlagen aus staatlichen Archiven rekonstuiert. Zusätzliche Berücksichtigung fanden Aussagen seiner Frau und seiner Tochter.

Citation preview

  • 1

    Der Erste Weltkrieg ---------------------------

    Drei Jahre im Untergrund

    Der Zug mit seinen wenigen Wagen rattert an den letzten Hngen der Schwbischen Alb dem Donautal entgegen. Der Ru der Dampflokomotive hngt in der Luft. Einige Reisende freuen sich auf den nchsten Halt in Ulm. Eine Gruppe zusammenge-sunkener Mnner vermittelt das Gegenteil. Denn sie wis-sen, was auf sie zukommt. Nichts Gutes. Die Lokomotive lsst lautstark den Dampf ab und bremst. Zi-schend kommt der Zug zum Stehen. Auf dem Bahnsteig stehen die Wachsoldaten, an die die trau-rigen Gestalten nun bergeben werden. Durch die Straen der Stadt Ulm werden die mden Mnner in das Gefngnis, es-kortiert von ihren Begleitsoldaten, gefhrt. Es ist ein berchtigtes Militrgefngnis. Jeder ist bereits verurteilt.

    Jetzt geht es an das Verben ihrer Strafe. Einige haben Monate vor sich, andere Jahre. Fr besonders schwere Flle wer-den bis zu 20 Jahre verhngt. In den Doku-menten aus dieser Zeit werden die Delikte berichtet: Fahnenflucht, Entfernen von der Truppe, Selbstverstmmelung, Befehlsver-weigerung und Angriff auf den Vorgesetz-ten. Ein Gefangener wei, dass sein Freund wegen des gleichen Vergehens in Berlin geschlagen und gefoltert wurde und an den Folgen starb. Jeder der Mnner hat sein Schicksal. Jeder hat einen Grund fr sein Verhalten. Wir sind im Krieg im Ers-ten Weltkrieg.

    Johannes Rauser wurde am 15. Dezember 1882 im kleinen Orts Iselshausen geboren und 1896 evangelisch konfirmiert. Heute ist dieser Ort in die Stadt Nagold im Schwarz-wald eingegliedert. Durch den frhen Tod

    beider Elternteile verlor er seine Heimat. Das Jugendamt bergab ihn der Obhut ei-nes strengen, leider auch brutalen Schrei-nermeisters im Ort. Er ging so rde mit sei-nen Kindern und dem Pflegekind um, dass sie manchmal hungrig von Tisch aufstehen mussten. Schlge und Hunger waren an der Tagesordnung. Nach dem Schulab-schluss erlernte er im Betrieb der Pflegeel-tern das Schreinerhandwerk.

    Bedingt durch das kalte Klima im Haus der Pflegeeltern ging er nach Abschluss der

    Lehre im Jahre 1890 auf Wan-derschaft, die ihn ber ver-schiedene Orte im damaligen Knigreich Wrttemberg bis nach Kln fhrte. Eine Lungenerkran-kung, bedingt durch den Holzstaub bei

    der Arbeit, machte eine weitere Ttigkeit als Schreiner unmglich. Johannes arbei-tete dann als Handelsvertreter weiter. Im Jahre 1906 fand er eine Anstellung als Fahrer und Schaffner bei den Wiesbade-ner Straenbahnen, die ihm sehr viel Freude bereitete.

    Wiesbadener Straenbahnen um 1910

    In den Jahren nach 1900 veranstalteten die Siebenten-Tags-Adventisten Vortrge in verschiedenen Orten Deutschlands. Die biblischen Prophezeiungen und der Ablauf der Weltgeschichte waren damals das Thema. Natrlich wurde auch ber den Sabbat als gltigen biblischen Ruhetag Gottes gesprochen. In Wiesbaden fanden diese Vortrge auch statt.

  • 2

    Bei diesen Vortrgen, deren Themen ihn brennend interessierten, lernte Johannes seine sptere Frau Katharina kennen und lieben. Gemeinsam traten sie der Ge-meinde der Siebenten-Tags-Adventisten bei und lieen sich im Jahre 1910 taufen. Damals hie der Beitritt aber meist auch Verlust des Arbeitsplatzes. Zum Bekennt-nis eines Adventisten gehrte auch das Be-folgen des gttlichen Ruhetags, des Sab-bats. Bei den Wiesbadener Straenbahnen erhielt Johannes Rauser keine Weiterbe-schftigung mit einem arbeitsfreien Sabbat. So musste er seinen geliebten Arbeitsplatz aufgeben.

    Johannes Rauser, Aufnahme ca. 1933

    ber einen adventistischen Schuhmacher in Wiesbaden fand er einen ebenfalls der Gemeinschaft angehrigen Schumacher in Hamburg. Dort erlernte er dieses Hand-werk. Zurck in Wiesbaden erffnete er im Jahre 1910 eine eigene Schuhmacher-Werkstatt in der Eltviller Strasse 9. Im Jahre 1911 wurde ihre gemeinsame Tochter Martha geboren.

    Der Erste Weltkrieg

    Im August 1914 teilte die Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten ihren Mitglie-dern mit, dass ab sofort der richtige gute Adventist in den Krieg zu gehen, die Waffe zu tragen und folglich andere Menschen zu

    tten habe. Dies fhrte zu greren Unru-hen in verschiedenen Gemeinden in Deutschland.

    Katharina Rauser, Aufnahme ca. 1933

    Bereits vier Tage nach Kriegsbeginn schrieb die deutsche Leitung der Gemein-schaft unaufgefordert und ohne ueren Zwang an das Kriegsministerium einen Brief. Die entscheidenden Passagen die-ses verhngnisvollen Briefes lauteten: so erlaube ich mir, Ew. Exzellenz im Fol-genden die Grundstze der deutschen Ad-ventisten vom siebenten Tage, besonders bei der gegenwrtigen Kriegslage, erge-benst mitzuteilen. Whrend wir auf dem Grunde der Heiligen Schrift stehen und uns befleiigen, die Grundstze des Christen-tums auszuleben und daher auch an dem von Gott eingesetzten Ruhetag, den Sonn-abend (Sabbat), halten und jede Arbeit an demselben vermeiden, so halten wir uns doch verpflichtet, fr die Verteidigung des Vaterlandes einzustehen und auch am Sonnabend (Sabbat) unter diesen Umstn-den die Waffen zu fhren. Wir haben die-sen unseren Grundsatz unseren Mitglie-dern mitgeteilt und auerdem alle Gemein-den ersucht, besondere Gebetsversamm-lungen anzusetzen und von Gott den Sieg der deutschen Waffen zu erflehen. Dazu einige Gedanken zum Nachdenken:

  • 3

    War der Erste Weltkrieg ein Verteidigungs-krieg? Sind die Grundstze des Christen-tums mit dem Tten anderer Menschen vereinbar? Warum hat man nicht den Mut, den Begriff: Waffentragen mit dem eigentlichen Ziel: Tten des Geg-ners gleichzusetzen? Gibt es heute noch einen gerechten gottgewoll-ten Krieg? Warum will eine interna-tional ttige Glaubensgemein-schaft den deutschen Sieg erfle-hen?

    Wenn deutsche Adventisten den Sieg fr die deutschen Waffen er-flehen und franzsische Adventis-ten den Sieg fr franzsische Waf-fen, dann bringen sie Gott in eine Zwick-mhle. Wessen Gebete soll er dann erh-ren wenn berhaupt?

    Die Bekanntmachung dieser neuen milit-rischen Grundstze wre nicht notwendig gewesen, wenn diese, das Militr betreffen-den Themen, schon frher allgemein be-kannt gewesen wren. Da sie es nicht wa-ren, mussten sie am 04. August 1914 erst-mals der adventistischen ffentlichkeit vor-gestellt werden.

    Gott hatte aber die Gemeinde nicht unge-warnt gelassen. Zur Glaubenstradition der Adventisten gehrt die Sabbatschule, heute auch Bibelschule genannt. Diese Studienanleitung der Bibel wird erstellt und in jeder Woche im Gottesdienst im offenen Gedankenaustausch besprochen. Solche Studienanleitungen haben im Allgemeinen einen Vorlauf von 1 2 Jahren. In dieser Zeit werden die einzelnen Studienteile er-stellt, zusammengetragen, bersetzt und gedruckt. So wurden im Jahre 1912 und 1913 die einzelnen Themen den entspre-chenden Sabbaten des Jahres 1914 zuge-ordnet.

    Genau in der Studienanleitung der Bibel-schule fr den 08. August 1914 wurde unter

    dem berbegriff: Pflicht gegen die Obrig-keit; Warnungen fr die letzten Tage das folgende Zitat angegeben:

    Sabbatschullektion vom 08.08.1914

    Dies wurde am Morgen des entsprechen-den Sabbats, dem 08.08.1914, in der Bibel-schule besprochen und anschlieend wurde bei den Bekanntmachungen das ge-naue Gegenteil verkndigt: Wir mssen Menschen mehr gehorchen als Gott. Dass dies in den Gemeinden zu groem Protest und auch temperamentvollen Aussagen fhrte, war klar.

    Mit der Entscheidung der Gemeinschafts-leitung fr dem Militrdienst stand die Glau-benswelt vieler STA (Adventisten) auf dem Kopf. [2]

    In diesem Zitat sind auch die Grenzen des Verhaltens der Glubigen definiert. Sehr deutlich heit es hier weiter: menschli-che Angelegenheiten sind der groen Pflicht, dem [gttlichen] Gesetz zu gehor-chen, untergeordnet. Die Reihenfolge ist ebenfalls eindeutig dargestellt: Zuerst Gott und dann die Menschen.

    Der Kommentar schliet sogar mit einer Aufforderung: rechtmiger Protest ist die Pflicht des Christen. Dies war die da-malige Position der Gemeinde der Siebten-Tags-Adventisten bis zu der fatalen Ent-scheidung: Ab sofort tten Adventisten an-dere Menschen und wenn es sein muss, auch Adventisten anderer Nationalitt.

  • 4

    Anstatt sich auf die Bibel zu besinnen, wur-den die Glieder, die sich den neuen Grundstzen nicht anpassen konnten, aus-geschlossen. Im Zitat hie es: Rechtmi-ger Protest. Ja die rechtmig Protestie-renden wurden der Gemeinde verwiesen. So ging es Johannes Rauser und seiner Frau Katharina ebenfalls. Die in ganz Deutschland Ausgeschlossenen suchten sich und fanden auch teilweise zusammen. Eine Untergrundgemeinde formierte sich.

    Klnische Zeitung vom 21. Sept. 1915

    hnliche uerungen ber Ausschlsse finden wir in den Dresdner Neuen Nach-richten vom 12. April 1918 und im Stuttgar-ter Neuen Tagblatt vom 26. September 1918, wobei die beiden letztgenannten im Stile einer Presseerklrung der Gemein-schaft der Siebenten-Tags-Adventisten ge-halten sind.

    Ende des Jahres 1916 hatte Johannes Rauser Lieferprobleme mit Leder und an-deren Materialien. Er musste sein Geschft aufgeben. Die Schwierigkeiten des Ersten Weltkrieges machten an den Grenzen Deutschlands nicht halt. Versorgungseng-psse mit z.B. Kartoffeln fhrten zu einem

    starken Anstieg der Kartoffelpreise. Wei-tere Lebensmittelpreise sind ebenfalls ge-stiegen. Ein groer Bergarbeiterstreik lies eine Menge von 500 000 t Kohle ungefr-dert und sorgte merkbar fr Liefereng-psse. Die Unzufriedenheit in der Bevlke-rung wuchs.

    Da ich eifriges Mitglied der Adventisten war und auch einige Predigten gehalten habe, wurde ich von der Adventistenge-

    meinde als Prediger nach Sachsen und Schlesien gesandt. [3]

    So reiste Johannes Rauser in den Lndern Wrttemberg, Sachsen und Schlesien des damaligen Deut-schen Reichs umher, welches da-mals bis Kattowitz an der Grenze zu Russland reichte.

    Wegen seines frheren Lungenlei-dens kamen fr ihn zwei Gestel-lungsbefehle erst im Januar 1917. Da er sich zu dieser Zeit in Sachsen aufhielt, meldete er sich nicht. Ich habe dem Gestellungsbefehl keine Folge geleistet, da ich die Gebote Gottes nach der Schrift halten wollte. [4]

    Von dem Moment an lebte er im Un-tergrund und war auf der Flucht. Er war fahnenflchtig.

    Auf der Flucht

    Am 18.Juli 1917 zog seine Frau Katharina mit der kleinen Tochter Martha von Wies-baden nach Stuttgart.

    Durch diesen Umzug kam es (glcklicher-weise) zu monatelangen Unstimmigkeiten ber die Zustndigkeit zwischen dem K-niglichen Polizeirevier in Wiesbaden und dem Kniglich Wrttembergischen Gericht des Bezirkskommando I in Stuttgart. Wer ist nun fr die Suche nach Johannes Rau-ser zustndig? Mehrere Briefwechsel gin-gen zwischen den beiden Behrden hin und her. Zwischenzeitlich ging ein Brief auch vollstndig verloren. Bis es geklrt war, ob der Brief nun nicht beantwortet oder verloren gegangen war, vergingen wieder einige Wochen. In dieser Zeit konnte er in

  • 5

    einer relativen Freiheit ungestrt seiner Ar-beit als Prediger in den angesprochenen Lndern nachgehen.

    Deckblatt der Akte ber Adventisten Un-tertitel Dienstverweigerung

    Die Gruppe von Adventisten neuerer Rich-tung in Stuttgart mit der Ehefrau Katharina, wurde von den Polizeibehrden genaues-tens berwacht. Wenn wir den Bericht le-sen, erhrtet sich der Eindruck, dass es der Polizeibehrde gelungen war, einen Maul-wurf zu installieren.

    Wie in anderen Orten des Reiches, so ha-ben sich auch hier die Siebenten-Tags-Ad-ventisten in zwei Lager geteilt. Die neue Richtung ist ausgesprochen militrfeind-lich; sie vertritt den Standpunkt, dass die zum Heeresdienst eingezogenen Glieder der Adventisten-Gemeinde auch whrend des Krieges am Sonnabend keinen Dienst leisten und nicht in den Krieg ziehen drfen. Einzelne Glieder sind dringend verdchtig, Soldaten zur Fahnenflucht zu verleiten und fahnenflchtige Soldaten bei sich aufnah-men und zu verbergen. [5]

    Denunzierung

    In der Gemeinschaft der Adventisten in Deutschland setzte leider eine deutsch-landweite, unter Christen einmalige, De-nunzierung der ehemaligen Glaubensge-schwister ein.

    Die Gemeinschaftsleitung ging rigoros ge-gen alle Protestler vor. [6] Menschen, die die Bibel als obersten Mastab hoch hiel-ten, wurden als Protestler [7], Betrger [8], Agitatoren [9] und unnchterne Ele-mente [10] bezeichnet. An verschiedenen Orten zeigten Adventisten die ihnen be-kannten Protestler als Antimilitaristen an. [11] Der Erfolg: In Berlin wurden zwei Protestler zu fnf Jahren Gefngnis verur-teilt. [12] Johannes Rauser erwhnte sp-ter, dass ein Adventist, der den Kriegs-dienst verweigerte, in Berlin im Gefngnis so geschlagen (heute wrden wir gefoltert sagen) worden war, dass er an den Folgen verstarb. Ein Adventist aus Dsseldorf wurde in Friedensau (dem gemeindeeige-nen Gelnde) von einem leitenden Adven-tisten, seinem Glaubensbruder, der Polizei bergeben. [13]

    Dr. Johannes Hartlapp, Dozent an der The-ologischen Hochschule in Friedensau ba-gatellisierte das Denunzieren der ehemali-gen Glaubensgeschwister lapidar als Selbstschutz. [14] Besonders der Predi-ger Kurt Sinz praktizierte diese Form des Selbstschutzes [15]

    Er hat eine Anzahl der Protestler verhaf-ten lassen und sagte vor Gericht gegen seine ehemalige Glaubensgeschwister aus und wies auf andere, dem Gericht nicht o-der nur kaum bekannte Namen: Drschler, Welp, Bach, Heinen, Paulus und Krahe hin. [16]

    In diesem Umfeld und mit dem Wissen ber das Verhalten seiner ehemaligen Glau-bensgeschwister war Johannes Rauser im Untergrund unterwegs. Zuhause in Stutt-gart erhielt seine Frau Katharina fters Be-such von der Polizei. Auf die Frage, wo ihr Mann sei, antwortete sie: Das sage ich Ihnen nicht. Ein anderes Mal konnte sie wahrheitsgem antworten: Das wei ich nicht. Bei einem weiteren Besuch der staatlichen Polizeibehrde fand auch eine Wohnungsdurchsuchung statt. Obwohl der fahnenflchtige Johannes sich unter dem

  • 6

    Bett versteckt hatte, wurde er nicht ent-deckt.

    Haftbefehl und Steckbrief

    Nach einiger Zeit konnten sich die beiden Polizeidienststellen in Wiesbaden und Stuttgart ber die Zustndigkeit einigen. Am 27.12.1917 wurde beim Gouverne-ments Gericht in Mainz ein Haftbefehl we-gen Fahnenflucht erlassen und ein Steck-brief ausgestellt. Es wird ersucht ihn zu verhaften und an die nchste Militrbe-hrde zum Weitertransport nach hierher abzuliefern. [17]

    Wo Johannes sich aufhielt, ist nicht belegt. Es gelang ihm aber, sich der Verhaftung lange Zeit zu entziehen.

    Die Gruppe in Stuttgart

    Die Gruppe in Stuttgart wurde von der Poli-zeibehrde stark kontrolliert und ber-wacht. Namen, einschlielich Vornamen, Geburtsdatum, teilweise auch der Geburts-name und der Geburtsort und auch der Wohnort wurden detailliert vermerkt. Offen-sichtlich war die kleine Gruppe von bibel-treuen Adventisten fr die Polizeibehrde so gefhrlich, dass das 10-seitige ber-wachungsprotokoll vom 21. Juni 1918 nach Posen, Wuppertal, Memmingen, Mnchen, Hannover, Bonn und Bremerhaven ver-sandt wurde. Das knigliche Evangelische Stadtdekanat sowie das Knigliche Innen-ministerium waren ebenfalls im Verteiler. [18]

    Der in Bonn, Eifelstrasse 95 wohnende Prediger der Adventisten Kurt Sinz wird im Stuttgarter Bericht namentlich genannt: Er knne zu den hier im Bericht genannten Personen evtl. etwas Nheres aussagen. So sind die oben genannten Denunziatio-nen des Predigers Sinz von Bonn auch in Stuttgart bekannt gewesen. [19] Offensicht-lich war seine Arbeit des Anzeigens der Glaubensgeschwister in ganz Deutschland polizeibekannt.

    Bei einem Besuch im Stadtarchiv in Bonn fand ich eine Kopie dieses Berichtes der Geheimpolizei Stuttgart.

    Offensichtlich war das Denunzieren von Glaubensgeschwistern karrierefrdernd. Br. Kurt Sinz wurde spter zum Leiter des Advent-Verlages berufen.

    Steckbrief Johannes Rauser

    Br. Johannes unterhielt bei einer Schwester sterlein, Hasenbergstrae 85 in Stuttgart ein Zimmer. Er geht kaum in die Familien-wohnung zu seiner Frau Katharina und der Tochter Martha in der Reinsburgstrae 84. Wenn er in Stuttgart weilt, und dies kommt wegen seiner Ttigkeit im Knigreich Wrt-temberg fters vor, dann trifft sich die Fami-lie in der Wohnung von Schw. Maria Schmohl. In der Gutenbergstrasse 54. Manchmal ist er auch drei Wochen nicht in Stuttgart, andererseits kann es auch vor-kommen, dass er dreimal in einer Woche in dem Zimmer in der Hasenbergstrae 85 bernachtet.

  • 7

    Schw. Maria Schmohl, laut Bericht ge-trennt lebende Kaufmannfrau, geb. am 26. August 1872, wohnhaft in der Gutenberg-strasse 54 wird eine treue Freundin und Be-gleiterin von Katharina und deren Tochter Martha. Als Schw. Schmohl wegen des Verdachts der Beihilfe zur Fahnenflucht verhaftet wurde, verblffte sie die Ermitt-lungsbeamten mit ihrer Bibelkenntnis:

    Ich mache keine Angaben ber Br. Rau-ser, denn in der Bibel steht: Verrate den Flchtigen nicht und berufe mich auf Jesaja 21, Vers 14 und 15, wo es wrtlich heit: Bringet dem Durstigen Wasser, die ihr wohnt im Lande Tema und bietet Brot dem Flchtigen. Es heit weiter in Luk. 21, 20 und 21: Wenn ihr aber sehen werdet Jeru-salem belagert mit einem Heer, so merket das Vorbeikommen ist ihre Verwstung. Alsdann wer in Juda ist, der fliehe auf das Gebirge und wer drinnen ist, der weiche heraus und wer auf dem Lande ist, der komme nicht hinein. Der Krieg ist nicht von Gott. Er ist von Menschen angefangen und ich halte nur die Gebote Gottes. Mehr habe ich nicht zu sagen! [20]

    Maria Schmohl geb. Pfauth geb. 1872

    In einer aufgezeichneten polizeilichen Ver-nehmung verzweifelte der Polizist an ihr: Sie sttzt sich bei jeder an sie gerichteten Frage auf Bibelstellen und wiederholt im-mer wieder, man drfe den Bruder nicht verraten. Lieber lasse sie sich den Kopf ab-schlagen, als dass sie den Bruder verrate.

    [21]

    hnlich verhielt es sich mit Schw. Henrike Aschinger, geb. 1845. Eine Vernehmung der Aschinger ist infolge der Aussichtslosig-keit des Erfolges ausgeblieben. [22]

    Der Mut dieser Frauen in der Zeit des K-nigtums Wrttemberg, einer Zeit in der Hie-rarchie noch eine andere Bedeutung als heute hatte, ist bewundernswert.

    Diese Henrike Aschinger stand mit Br. Adamczak in Verbindung und informierte ihn ber die Vorgnge in der Stuttgarter Gruppe.

    Im November 1917 wurde die gesamte Gruppe am Sabbat (vermutlich whrend des Gottesdienstes) auf Grund einer An-zeige des Vorstehers des Wrttembergi-schen Verbandes der Siebenten-Tags-Ad-ventisten, Emil Gugel, festgenommen und erst nach dem Verhr wieder freigelassen. Einige Zeit spter wurden Montagmorgens um 5.30 Uhr 3 Brder in der Wohnung, in der frher Br. Rose wohnte, festgenom-men. Diese Informationen stammen aus ei-nem Brief der Schw. Aschinger an Br. Adamczak, welcher vom Kgl. Landratsamt Lehe abgefangen und verffentlicht wurde. [23] Am 20. April 1918 sprach eine Schw. Elli Reuss im Rahmen des Gottesdienstes. Schw. Reuss sei aus Heilbronn und htte 11 Monate wegen ihres Glaubens im Ge-fngnis zugebracht. [24]

    Am 25. Mai 1918 wurden nach Ende des Gottesdienstes bei Schw. Schmohl Besu-cher von der Polizei in Zivil verfolgt. Beim Umsteigen am Schlossplatz in die Straen-bahn wurde Br. Heinrich Beckmann aus Hannover festgenommen. Persnliche Un-terlagen wurden ihm abgenommen. Nach einem Verhr wurde er wieder auf freien Fu gesetzt und konnte am Abend des glei-chen Tages seine Habseligkeiten auf der Polizeidienststelle wieder abholen. [25]

    Der Polizeibericht von 21. Juni 1918 schliet mit den Worten: Die Bewegung wird weiterhin scharf beobachtet. Sie ist entschieden gefhrlicher als z.B. die erns-ten Bibelforscher. [26] Dem Generalkom-mandanten wurde ein Verbot der Gruppe nahegelegt.

  • 8

    Diese polizeilichen Aktionen haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Einigen Glaubens-geschwistern waren diese Probleme zu gro und sie verlieen diese Gruppe.

    Untersuchung gegen Katharina Rauser

    Gegen Katharina Rauser wurde im Jahre 1918 ein Ermittlungsverfahren wegen Bei-hilfe zur Fahnenflucht eingeleitet. Die Poli-zei ging immer davon aus, dass sie ihren Gatten untersttzt. Natrlich untersttzte sie ihren Gatten auf der Flucht, soweit ihr dies mglich war, denn sie stand ja hinter seiner Verweigerung des Kriegsdienstes. Den Umzug von Wiesbaden nach Stuttgart fhrte sie jedoch alleine durch.

    Beschluss der Staatsanwaltschaft, das Verfahren gegen Katharina Rauser einzu-stellen.

    Am 13. Mrz 1918 wird dieses Verfahren glcklicherweise eingestellt.

    Oft dienten Glaubensgeschwister aus der Stuttgarter Gruppe als Anlaufstelle fr die Eheleute Rauser.

    Die Festnahme

    Am 23.08.1918 war die ca. 20monatige Flucht zu Ende. Im Zug zwischen Gppin-gen und Geislingen wurde Johannes fest-genommen. Er war auf dem Weg zu einem Besuch bei Glaubensgeschwistern in Ulm, Grtnerei Heuer in Michelsberg, bei denen er predigen wollte. Er ist nach seiner An-gabe und einer greren Anzahl von Papie-ren, die er bei sich fhrt, berzeugter Ad-ventist. [27]

    Bei ihm wurden 42 RM und 91 Pfg gefun-den, ein Taschenmesser, eine Taschenuhr, eine Handtasche mit Lebensmitteln, Papie-ren und Schriften. Von dort wurde er an die Zentralstelle der Polizei nach Stuttgart berstellt.

    Bereits einen Tag spter wurde er in Stutt-gart lange verhrt. Das lange Verneh-mungsprotokoll beschreibt auch die Stutt-garter Gruppe und deren Situation. Vermut-lich auf Grund der Verhaftungen im Gottes-dienst und der Hausdurchsuchungen ist die Gruppe stark geschrumpft.

  • 9

    Am Ende der Vernehmung wurde die Untersuchungshaft angeordnet, welche auch mehrmals verlngert wurde.

    Seine Frau Katharina und Schw. Marie Schmohl bildeten eine kleine Gebetsgemeinschaft und vereinba-ren, bis zu seiner Freilassung regel-mig fr ihn zu beten. Fr Katha-rina war dies eine gerne angenom-men Untersttzung in der schwieri-gen Situation. Eine Haftstrafe bis 20 Jahre Gefngnis waren bei Fahnen-flucht nicht unblich.

    Nach berstellung von der zivilen Polizei zur Militrgerichtsbarkeit wurde am 24. September 1918 ein offizieller Haftbefehl des Militrge-richts der stv. 51. Infanteriebrigade erstellt. Johannes Rauser wurde nun von der Militrischen Gerichtsbarkeit in Untersuchungshaft genommen.

    In allen seinen Vernehmungsprotokollen ist nahezu gleichlautend angegeben, dass er aus religisen Grnden keinen Heeres-dienst tun knne. Der Dienst im Heer sei mit dem Worte Gottes und seinen Geboten nicht zu vereinbaren.

    Zeitungsartikel im August 1918

    In verschiedenen Zeitungen wurde im Au-gust 1918 in einer kleine Notiz ber eine Adventistin aus Hechingen berichtet. Ich zi-tiere den Bericht des Generalanzeigers aus Reutlingen: Tbingen 20. August. Religi-ser Fanatismus. Eine Adventistin, die nher hin der amerikanischen Sekte der Sabba-tarier angehrt, ist in Hechingen verhaftet und hierher verbracht worden, weil sie in ih-rem religisen Fanatismus die Soldaten zum Ungehorsam zu verleiten suchte. [28] Im Stuttgarter Neues Tagblatt ist der gleichlautende Text abgedruckt.

    Diese Notiz wurde offensichtlich dem Vor-steher des Wrttembergischen Verbandes der Siebenten-Tags-Adventisten, Emil Gu-gel, bekannt. Am 26. September 1918 lie er in den Stuttgarter Neuen Nachrichten eine Erklrung abdrucken, aus der die ent-scheidenden Passagen zitiert werden:

    Stuttgarter Neues Tagblatt 26. September 1918

    Im August dieses Jahres erschien in den meisten Tageszeitungen Wrttembergs die Notiz eines Polizeiberichts aus Hechingen (Hohenzollern), nach welcher dort eine Ad-ventistin wegen antimilitaristischen Umtrie-ben festgenommen wurde. Es fanden sich zu Beginn des Krieges einzelne Glie-der wie auch anderswo, welche aus Mangel an Gemeinschaftssinn oder berspannung desselben nicht Kriegsdienst tun wollten. Diese fingen nun an ihre persnlichen Ge-wissensbedenken durch Wort und Schrift innerhalb der Gemeinschaft auszubreiten um auch andere zu verleiten, ein Gleiches zu tun. Sie wurden von der Gemeinschaft ermahnt, mussten aber wegen ihres hart-nckigen Beharrens und als Bedroher des inneren und ueren Friedens ausge-schlossen werden. Es kommt nun zuweilen vor, da die Behrden solche Agitatoren festnehmen. Unterzeichnet wurde diese Presseerklrung mit: Emil Gugel, Prediger und Vorsteher der Gemeinschaft in Wrt-temberg.

    Bibelglubige werden von der Gemein-schaftsleitung als Bedroher des inneren und usseren Friedens, sowie als Agita-toren gebrandmarkt.

  • 10

    Am 04. Oktober 1918 ergeht nun die offizi-elle Verfgung des Kniglich Wrttember-gischen Militrgerichts der stv. 51. Infante-riebrigade: Die Verurteilung hat durch ein Kriegsgericht zu erfolgen. Am gleichen Tag wurde auch die Anklageschrift erstellt.

    Die Gerichtsverhandlung

    Die beiden Glaubensschwestern, Maria Schmohl und Katharina Rauser vereinbar-ten nun, dass sie jede volle Stunde fr den inhaftierten Johannes Rauser beten wer-den

    Als Beweis der Anklage wird angegeben: Gestndnis des Angeklagten. Das Ermitt-lungsverfahren war beendet und wurde an das Militrgericht bergeben.

    Am 17. Oktober findet nun unter Vorsitz von Hauptmann Wittwer der Prozess in der In-fanteriekaserne in Stuttgart, Werderstrasse statt. Der Angeklagte Johannes erklrte, dem Gestellungsbefehl habe ich deshalb keine Folge geleistet, weil ich die Gebote Gottes halten wollte. Aus Gewissensgrn-den wollte ich den Sabbat halten. Das ist beim Militr nicht mglich. [29]

    In der Anklageschrift schrieb der Militrstaatsanwalt: Obgleich die religisen Anschauungen dieser Sekte den Heeresdienst und Kriegsdienst nicht verbieten, glaubte der Angeklagte, wie er versichert, den Heeresdienst mit seinem religisen Gewissen nicht vereinbaren zu knnen, weil er den Sabbat beim Militr nicht so halten knnen zu glaubte, wie er es seine Pflicht hielt. [30]

    Zeitgenssische Darstellung der Kaserne in Stuttgart (um 1900)

    Dass diese auch vom Standpunkt der Ad-ventisten aus bertriebene religise Auffas-sung der Beweggrnde fr die Nichtgestel-lung war, ist ihm nicht zu widerlegen. [31]

    In der ffentlichen Gerichtsverhandlung legte Johannes Rauser seine biblische berzeugung zur Kriegsfrage erneut dar. Du sollst nicht tten. Er knne aus Gewis-sengrnden den Kriegsdienst nicht ausfh-ren. Der im Gerichtssaal anwesende Vor-steher der Siebenten-Tags-Adventisten in Stuttgart, Emil Gugel widersprach Johan-nes Rauser und fiel ihm damit in den R-cken. Er sprach ihn direkt an: Br. Rauser, in diesen schweren Zeiten gelten andere Regeln.

    Emil Gugel Vorsteher der Wrttembergi-schen Vereinigung geb. 21.05. 1879

    Mit anderen Worten: Whrend des Krieges gelten die biblischen Gebote nicht mehr. Nicht nur Anzeigen und Denunziationen von Seiten der Adventgemeinde waren an der Tagesordnung, sondern vor Gericht sagte die Gemeinschaft gegen ehemalige Glaubensgeschwister aus. Der Vorsteher einer Religionsgemeinschaft hatte Autori-tt, seine Aussage hatte Gewicht.

    Im Falle Emil Gugel kann das Gleiche aus-gedrckt werden wie oben bei Kurt Sinz. Denunzieren von Glaubensgeschwistern und das Ausliefern an staatliche Polizeibe-hrden wirkt karrierefrdernd. In spteren

  • 11

    Jahren wurde er Vorsteher des Sddeut-schen Verbandes, Predigtamtsekretr der Division und war zuletzt Vorsteher der Ge-meinschaft der Siebenten-Tags-Adventis-ten in Deutschland. [31 a]

    Es war ein ffentlicher Prozess, der ca. 1 Km von seiner Wohnung entfernt stattfand. Es ist anzunehmen, neben seiner Frau Ka-tharina weitere Freunde der Stuttgarter Gruppe im Gerichtssaal anwesend waren.

    Nun stand Aussage gegen Aussage. Hier der angeklagte Fahnenflchtige, der sich auf seine Bibel berief und hier der angese-hene Vorsteher, der sich von der Bibel ent-fernte.

    Das Beeindruckende dieses Prozesses kommt vom Militrstaatsanwalt: Als Ankl-ger glaubte er dem Zeugen Emil Gugel, der eine angesehene Organisation vertrat, we-niger als dem Angeklagten Johannes Rau-ser, obgleich dieser sich ber 2 Jahre und 10 Monate dem Gestellungsbefehl entzo-gen hatte. Der Anklagevertreter Dr. Brgel war von seiner Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit berzeugt. Er konnte, lt. Anklageschrift, die religisen Beweggrnde nicht widerlegen und pldierte deshalb auf einen minder-schweren Fall von Fahnenflucht.

    Johannes Rauser wird daraufhin zu einer Gefngnisstrafe von fnf Monaten verur-teilt, wobei 2 Wochen der Untersuchungs-haft angerechnet werden. In der Urteilsbe-grndung finden wir: der Tatbestand be-ruht auf Einlassungen des Angeklagten, die glaubwrdig erscheinen Schon aus der Einrumung des Angeklagten geht hervor, dass er aus religisen Gewissensbeden-ken, deren Aufrichtigkeit ihm nicht zu wider-legen waren

    Bei der Strafzumessung wurde zugunsten des Angeklagten in Betracht gezogen, dass er in der Hauptsache aus religisen Beden-ken, also aus an sich nicht verwerflichen Grnden dem Gestellungsbefehl keine Folge geleistet hat Mit Rcksicht auf seine religisen Beden-ken hat das Gericht einen minderschweren Fall angenommen. [32]

    Das Urteil von fnf Monaten ist knapp ber der gesetzlichen Mindeststrafe. Nach der

    Berufung und deren Ablehnung durch das Gericht wird er am 02. November 1918 in das Festungsgefngnis in Ulm eingeliefert.

    In Ulm

    Zur Zeit des Ersten Weltkrieges herrschen in deutschen Gefngnissen furchtbare Zu-stnde. Von den 20 [bekannten] zu Ge-fngnisstrafen verurteilten Adventisten starben fnf in der Haft oder kurz nach ihrer Entlassung; alle brigen erlitten schwerste Gesundheitsschden. Die Ursache lag in den furchtbaren sanitren Verhltnissen, die whrend des Krieges in den Strafanstal-ten herrschten, sowie in den unmenschli-chen Misshandlungen, die die Kriegs-dienstverweigerer durch die Wrter und zum Teil auch durch Mitgefangene erdul-den mussten, insbesondere wegen ihrer Hartnckigkeit, mit der sie an der Sabbat-ruhe festhielten. [33] An anderer Stelle wird von Schlgen und Folterungen berich-tet. [34]

    Das weie Gebude links ist das Gefng-nis. Bild um 1910

    Johannes Rauser wurde auch am nchsten Sabbat, wie jeden Tag, zur Arbeit abgeholt. Er verwies darauf, dass fr ihn als Adven-tisten dieser Tag, als Ruhetag Gott, ge-weiht sei. Dies fhrte dazu, dass er zum zu-stndigen Offizier gebracht wurde. Im Fes-tungsgefngnis Ulm war nichts vom Ver-stndnis fr seine berzeugung zu spren.

    Er wurde in eine fensterlose dunkle Arrest-zelle gebracht. Dort wurde ihm seine Strafe vom Verantwortlichen erklrt: Fr den ers-ten Sabbat, den er nicht arbeitet, gibt es ei-nen Tag Dunkelarrest. Zustzlich wrde er

  • 12

    an der Wand angekettet werden. Ein Gang zur Toilette war nicht vorgesehen. Stuhl und Urin blieben in den Kleidern. Beim zweiten Sabbat der Arbeitsverweigerung gbe es zwei Tage angeketteter Dunkelar-rest. Beim dritten Sabbat drei Tage so-lange bis er nachgebe. Wir kriegen Sie schon klein. lautete die ausgesprochene Drohung.

    Dieses unmenschliche Urteil war, wenn man Gott treu bleiben wollte, ein Todesur-teil auf Raten.

    Die politische Growetterlage

    Kaiser Wilhelm II.

    Deutschland war in einer politischen Krise. Die deutschen Verluste im Krieg, eine zu-nehmende Ablehnung des Krieges und der Verlust des Ansehens des Kaisers Wilhelm II. waren Themen im Herbst des Jahres 1918.

    Eine 100-Tage-Offensive der Alliierten ver-fehlte die Wirkung nicht. Militrisch ging es

    nicht voran, politisch verlor der Kaiser Macht und Einfluss.

    Der Erste Weltkrieg war nun 4 Jahre und 3 Monate alt. Bereits 10 Millionen Soldaten und 7 Millionen Zivilisten verloren ihr Le-ben. Zustzlich wird die Zahl der Verwun-deten auf 20 Millionen geschtzt. Uner-messliches Leid ist ber die Welt gekom-men.

    Tote Soldaten im Schtzengraben

    Am 23. Oktober 1918 verkndet der Kaiser Wilhelm II. eine Amnestie fr politische Ge-fangene. Karl Liebknecht (SPD) gehrt auch dazu. Die Amnestie erreicht versptet auch das Festungsgefngnis in Ulm.

    Ich sitze vor den Kriegsgerichtsakten des Johannes Rauser. Alle Bltter und Doku-mente habe ich mit groer Anteilnahme, in-nerer Bewegung und doch voller Spannung gelesen. Ein kleiner Zettel ist noch im Ord-ner. Wegen der verblassten Schrift habe ich ihn anfangs nicht entziffern knnen.

    Das Gericht der stv. 51. Infanterie Brigade Stuttgart

  • 13

    Johannes Rauser ist am 10.11.1918 auf Anordnung eines Vertreters des Soldaten-rates in Freiheit gesetzt worden. [35] Ich lehne mich zurck und atme tief durch. Vor meinen Augen verschwimmt der kleine Zettel. Ich schliee die Augen und muss warten bis sich meine innere Anspannung gelegt hat.

    Was war geschehen: Der groe Gott im Himmel hat in die Geschicke seines glubi-gen Nachfolgers Johannes Rauser einge-griffen: Eine rechtzeitige Amnestie des deutschen Kaisers, Wilhelm II., kurz vor seiner Abdankung im November 1918 ret-tete Johannes Rauser das Leben. Vor dem unmenschlichen Dunkelarrest, der seinen Tod bedeutet htte, wurde er bewahrt.

    Danke lieber Vater, dass Du meinem Gro-vater in seinen schweren Stunden Kraft ge-geben und ihn vor dem Tode bewahrt hast.

    Helmut Welker

    Quellenhinweise:

    [1] Hartlapp, Johannes, Siebenten-Tags-Adventis-

    ten in Nationalsozialismus, V & R unipress, 2008,

    ISBN 978-3-89971-504-0 S.91

    [2] Hartlapp S. 95

    [3] Vernehmungsprotokoll Zentralpolizeistelle

    Wrttemberg, B.K. 8507, 24.08.1918 Staatsarchiv

    Stuttgart M 78 B 159

    [4] Vernehmungsprotokoll

    [5] berwachungsprotokoll der Stdt. Polizeidirek-

    tion Stuttgart 21. Juni 1918 Adventisten (neue

    Richtung) S. 1 Staatsarchiv Ludwigsburg F 157 B

    43

    [6] Hartlapp S. 119

    [7] Hartlapp S. 119 - Aussage Dr. Hartlapp

    [8] Dresdner Neue Nachrichten vom 12. April 1918

    Erklrung der Gemeinschaft der Siebenten-Tags-

    Adventisten

    [9] Stuttgarter Neue Nachrichten vom 24. Septem-

    ber 1918 Erklrung des Prediger Emil Gugel, Vor-

    steher der Wrttembergischen Vereinigung der

    Adventisten

    [10] Dresdner Neue Nachrichten vom 12. April

    1918 Erklrung der STA

    [11] Hartlapp S. 119

    [12] Hartlapp S. 119

    [13] Hartlapp S. 119

    [14] Hartlapp S. 119

    [15] Hartlapp S. 119

    [16] Hartlapp S. 120

    [17] Steckbrief vom Gouvernements Gericht Mainz

    vom 27.12.1917 - Staatsarchiv Stuttgart M 78 B

    159

    [18] berwachungsprotokoll S. 1 f

    [19] berwachungsprotokoll S. 3

    [20] Vernehmungsprotokoll S. 4 f

    [21] berwachungsprotokoll S. 3

    [22] berwachungsprotokoll S. 8 Der Brief von

    Schw. Aschinger an Br. Adamczak wurde vom K.

    Landratsamt in Lehe abgefangen und verffent-

    licht.

    [23] berwachungsprotokoll S. 8

    [24] berwachungsprotokoll S. 7 und Hartlapp S.

    120

    [25] berwachungsprotokoll S. 9

    [26] berwachungsprotokoll S. 10

    [27] Festnahmeprotokoll vom 23.August 1918 -

    Staatsarchiv Stuttgart M 78 B 159

    [28] Generalanzeiger Reutlingen, 21. August 1918

    [29] Verfgung der militrischen Anklagebehrde

    vom 04. Oktober 1918 Der Beschuldigte wird vor

    ein Kriegsgericht gestellt. - Staatsarchiv Stuttgart M

    78 B 159

    [30] Anklageschrift des Kgl. Wrtt. Gericht der Stv.

    51 Infanterie Brigade Stuttgart - Staatsarchiv Stutt-

    gart M 78 B 159

    [31] Anklageschrift des Kgl. Wrtt. Gericht der Stv.

    51 Infanterie Brigade Stuttgart - Staatsarchiv Stutt-

    gart M 78 B 159

    [31a] Bundesarchiv Berlin, RKM, Nr. 23387, 282,

    zit. in Hartlapp S. 292

    [32] Urteilsbegrndung der ffentlichen Sitzung

    des Kriegsgerichts der 51. Stv. Infanterie Brigade

    Stuttgart vom 17, Oktober 1918 - Staatsarchiv

    Stuttgart M 78 B 159

    [33] Grnewald, Guido, Zur Geschichte der Kriegs-

    dienstverweigerung, 1979, Deutsche Friedensge-

    sellschaft, Vereinigte Kriegsdienstgegner Essen.

    [34] (http://www.friedenskoopera-

    tive.de/ff/ff05/2-69.htm)

    [35] Amnestie und Entlassungsdokument - - Staats-

    archiv Stuttgart M 78 B 159

    Bildnachweise:

    Strassenbahn Frankfurter Rundschau April 7,

    2010

    Rauser: Privatbesitz Fam. Welker

    Blaues Deckblatt Staatsarchiv Ludwigsburg F 157

    B 43

  • 14

    Steckbrief Staatsarchiv Stuttgart M 78 B 159

    Maria Schmohl Staatsarchiv Ludwigsburg F 201

    B 546

    Ermittlung gegen Katharina Rauser - Staatsarchiv

    Stuttgart M 78 B 159

    Haftbefehl - Staatsarchiv Stuttgart M 78 B 159

    Infanteriekaserne in Stuttgart Wrttembergische

    Landebibliothek - Graphische Sammlungen Wrt-

    tembergica

    Emil Gugel Staatsarchiv Ludwigsburg F 201 B

    424/128

    Gefngnis in Ulm Stadtarchiv Ulm

    Kaiser Wilhelm II. http://commons.wikime-

    dia.org/wiki/File:Wilhelm_II_of_Germany.jpg

    Dead Soldiers Ministry of information First

    World War official Collection

    Amestie - Staatsarchiv Stuttgart M 78 B 159