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Magazin der EB Zürich Kantonale Berufsschule für Weiterbildung Nr. 15 September bis November 2007 e THEMA: OPEN SOURCE BEFREIT INTERVIEW: BROTPAPST FREDY HIESTAND

EB Kurs - Magazin der EB Zürich Herbst 2007

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Open Source befreit

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Magazin der EB ZürichKantonale Berufsschule für WeiterbildungNr. 15September bis November 2007

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THEMA: OPEN SOURCE BEFREIT

INTERVIEW: BROTPAPST FREDY HIESTAND

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AgendaAktuellEB AUF KURS

Vormerken!

Veranstaltungen rund um «literarischesSchreiben»:

1. Schreibende bieten Einblick in ihr Schaffen:

Lea Gottheil, Tania Kummer, Brigitte Spalinger, Roman GrafSamstag, 22. September 200709.15-12 Uhr

2. Schriftsteller erzählen:Eleonore Frey und Matthias ZschokkeSamstag, 6. Oktober 200709.15-12 Uhr

3. Literaturvermittler im Gespräch:Christine Lötscher, Dirk Vaihinger, Martin ZinggSamstag, 27. Oktober 200709.15-12 Uhr

Weitere Infos: www.weiterimtext.ch

Informationsveranstaltungen zu Kursen und Lehrgängen:

Anwendungen am ArbeitsplatzPublishing und digitale MedienProgrammieren und Systeme

Mittwoch, 26. SeptemberDienstag, 20. Novemberjeweils 18.00-19.30 Uhr

Persönlichkeit und ManagementDonnerstag, 30. August 2007Donnerstag, 8. November 2007jeweils 18.00-19.30 Uhr

Deutsch für DeutschsprachigeMontag, 17. September17 Uhr

Weitere Infos: www.eb-zuerich.ch/agenda

Fundus für helle Köpfe

Lernmedien. Selber lernen oder in Kursen Gelerntes vertiefen – die EBthek der EB Zürich macht's möglich; in der Präsenz-bibliothek fi nden sich Nachschlagewerke, Lexika, Fachbücher oder Lernsoftware. Obendrein gibt's im Netz die umfassende Linksammlung dazu.

Hier kommen Bücherwürmer und wissbegierige Surfe-rinnen auf ihre Kosten: Das Selbstlernangebot der EB Zürich umfasst bereits 1100 physische Medien wie Bücher, CD-ROMs oder Kursunterlagen und über 1000 sauber nach Lernthemen geordnete Links. Und: Die sogenannte EBthek wird stetig erweitert. Auskunft über den aktuellen Bestand an Medien und Links gibt die Seite www.ebthek.ch; ein Link zur EBthek fi ndet sich seit diesem Frühjahr auf allen PCs der EB Zürich.

Präsenzbibliothek im Lernfoyer. Die EBthek ist eine Sammlung von physischen und virtuellen Lernmedien zum Selbststudium, welche das Kursangebot der EB Zürich vertiefen und erweitern. Die Idee dahinter: «Selbst gesteuertes Lernen geht nicht ohne gute Lern-medien», erläutert Toni Stricker, der zusammen mit Eva Thalmann für die EBthek verantwortlich ist. Dank EBthek kann man sich zum Beispiel per DVD selbst Photoshop beibringen oder Mustervorlagen für profes-sionelle Bewerbungen nutzen oder sich testen, ob man reif für eine Englisch-Prüfung ist. Alles, was es dafür braucht, fi ndet sich im Lernfoyer der EB Zürich.

Ständige Aktualisierung. Das Personal im Lernfoyer und die Informationen auf www.ebthek.ch helfen bei der Auswahl des geeigneten Mediums. Thalmann und Stricker wollen die EBthek sukzessive so ausbauen, dass sich bald zu allen wichtigen Lerninhalten stufenge-rechte Lernmedien fi nden: «Ob Informatik, Fremdspra-chen oder Management – unser Ziel ist es, zu jedem Bildungsbereich der EB Zürich einen aktuellen Bestand mit hohem Gebrauchswert zu entwickeln», sagt Eva Thalmann. Das EBthek-Team hofft, dass die Kursleite-rinnen und Kursleiter sie aktiv unterstützen und dass bald noch mehr Lernwillige den Bestand durchstöbern.

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Editorial InhaltEDITORIAL – INHALT

Gemeinsam entwickeln

«Free Beer» ist mittlerweile in der Version 3.2 erhältlich. Wer möchte, kann unter www.freebeer.org das Rezept einsehen und für die Produktion eines eigenen Biers verwenden, das allenfalls noch besser schmeckt. Es ist sogar erlaubt, damit Geld zu verdienen. Allerdings muss man auf das Ursprungsrezept verweisen und sein eigenes ebenfalls veröffentlichen. So sind die Regeln.

Eine Bieridee? Beileibe nicht: Anhand eines populären Getränks wollten die Initianten aufzeigen, wie ein Open-Source-Projekt funktioniert.Bei der Software-Entwick-lung ist Open Source längst gang und gäbe; durch das Internet ist es möglich gewor-den, dass Entwicklerinnen und Entwickler weltweit an einem gemeinsamen Pro-jekt arbeiten, weil der Quellcode eines Programms frei zugänglich ist. Lesen Sie im Artikel ab Seite 6, wie die Idee von Open Source an Bedeutung gewinnt. Denn wo gemeinsam entwickelt und gelernt wird, entstehen bessere Produkte.

Serge Schwarzenbach, Herausgeber

IMPRESSUM

EB KURS NR. 15/SEPTEMBER BIS OKTOBER 2007 • MAGAZIN DER EB

ZÜRICH • KANTONALE BERUFSSCHULE FÜR WEITERBILDUNG ZÜRICH • RIES-

BACHSTRASSE 11 • 8090 ZÜRICH • TELEFON 0842 843 844 • FAX 044 385 83 29

INTERNET WWW.EB-ZUERICH.CH E-MAIL [email protected] AUFLAGE

33 000 • HERAUSGEBER (FÜR DIE GESCHÄFTSLEITUNG:) SERGE SCHWARZEN-

BACH REDAKTION CHRISTIAN KAISER • FRITZ KELLER • SILBENSILBER, ZÜRICH

GESTALTUNG HANARI CHIESA TEXTE CHRISTIAN KAISER • FRITZ KELLER •

CHARLOTTE SPINDLER • MARGRIT STUCKI FOTOS FREEMEDIA MEDIEN &

VERLAG, BERN (SEITE 4) • ZÜRICH TOURISMUS (S. 4) • RETO SCHLATTER

(TITEL, SEITEN 6–11, 16–17) • LUC-FRANÇOIS GEORGI (S. 14–15, 18–20) • FRITZ

FRANZ VOGEL (S. 21) ILLUSTRATIONEN EVA KLÄUI • RUEDI WIDMER DRUCK

GENOSSENSCHAFT ROPRESS ZÜRICH.

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5 Porträt Nathalie Schmid, Schriftstellerin

6 Open Source Wissen teilen und austauschen

14 Persönlich Fiona Schmid-McLeod

Fachfrau für Englisch

16 Kursfenster Schreiben für die Öffentlichkeit

18 Interview Fredy’s gesunde Brote

21 Galerie Kontaktperson

Standards02 EB auf Kurs

03 Editorial

04 Bemerkenswert

13 Tipps und Tricks

22 Kultur: Lesen, hören, sehen

23 Comic

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Die Bilder zu «Open Source».Er habe als Kind gerne Wecker auseinander genom-

men, sagt der Fotograf Reto Schlatter, «um zu wissen, was diese im Innern antreibt». Diese Erfahrungen bil-deten den Ausgangspunkt für seine Bildersuche zum Thema Open Source. Wer weiss, wie ein Computer funk-tioniert, kann ihn auch verändern. Da einige Produzenten von Hardware und Software auf Geheimniskrämerei machen, braucht es bisweilen unorthodoxe Methoden, um an dieses Wissen zu kommen. Diese Idee hat Reto Schlatter in Bilder umgesetzt (Umschlag und Seiten 6 bis 11).

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LITERATUR IN BERNGedichte. Bereits zum sechsten Mal läuft zurzeit an der EB Zürich der Lehrgang «Literarisches Schreiben» (siehe Agenda Seite 2). Die Teilnehmenden setzen sich mit verschiedenen Text-Gattungen auseinander und erlernen das literarische Handwerk. Nun haben zwei ehemalige Teilnehmende den Hauptpreis des diesjäh-rigen Lyrikwettbewerbs der Heinz und Hanneliese Weder Stiftung gewonnen. Lisa Elsässer-Arnold aus Walenstadt erhielt die Anerkennung für ihr Manu-skript «Kyrill», Fredy Peter aus Richterswil für seinen Beitrag «Kiesel». Die Gedichte der beiden Preisträger können unter www.wederstiftung.ch/aktuell gelesen werden.

GEISSENPETER IN PERUZiegen. Am 27. Juni lief im BiZE der Film «Huacan Huasi» über ein Dorf in den peruanischen Anden. Persönlich anwesend war auch «Gaissepeter» Pietro Zanoli. Der Tessiner unterstützt ein Projekt von Pan y Luz: 2008 soll die Ziegenzucht der andinen Dorf-bevölkerung eine neue Einkommensquelle sichern und ihren Speisezettel bereichern. Derzeit sind die beiden Bauern Hilario und Isidro bei Zanoli auf der Alp: Sie lernen hier käsen und melken. «Obwohl das in Peru Frauensache ist, läuft es sehr gut», sagt Zanoli. Im Oktober wird Zanoli zum zweiten Mal nach Huacan Huasi reisen, um das Dorf auf die Ankunft der Ziegen vorzubereiten. www.panyluz.ch, www.gaissepeter.ch

SPRACHE IN ZÜRICHWorte. Integration läuft über die Sprache. Deshalb wollen viele Ausländerinnen und Ausländer, die unter und mit uns leben, die deutsche Sprache erlernen. Das können sie in Kursen an der EB Zürich schon lange, praktisch und realitätsnah. Zum Beispiel beim Benüt-zen der Trams, beim Erklären eines Wegs. «Ich gehe durch die Stadt» heisst ein Kapitel aus dem Lehrmittel «Deutsch für den Alltag». Kursleiterin Dominique Sandoz Mey hat dieses Kapitel speziell mit Beispielen aus Zürich neu geschrieben. Denn je realitätsnaher die Beispiele, desto grösser der Lernerfolg. Sie werden staunen, wenn Akin Ihnen den Weg vom Bahnhof an den See weist oder Yogan Ihnen den Fahrplan erklärt.

4 BEMERKENSWERT

Gesehen, Gehört

KOMISCHE KUNST IN KASSELKünstler. Komische Kunst wird wenig ernst genommen und braucht deshalb ein eigenes Stelldichein; parallel zur Documenta fand in Kassel auch die Caricatura statt, ihres Zeichens «Bestandesaufnahme der Komischen Kunst mit den wichtigsten Künstlern des deutschsprachigen Raums». Darunter als einziger Schweizer: Ruedi Widmer. Der Win-terthurer karikiert nicht nur für Titanic, Landboten, Tages-Anzeiger, WOZ sondern auch für EB Kurs. Mit seiner neusten Lieferung (Seite 23!) bestätigte Widmer auch, dass Karikaturisten gern den Ideen etwas auf die Sprünge helfen: «An der Caricatura-Vernissage wars gut, besonders der Alkoholpegel ...».

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mein Herz höher schlägt. Ein gutes Gedicht ist für mich wie ein Hori-zont, der sich erweitert und gleich-zeitig ein unbestimmtes Gefühl von Heimat hervorbringt. Das Schönste ist, wenn meine Gedichte zu berühren vermögen, wenn sie etwas von dem transportieren, was mich berührt hat.

Lyrik ist eine Randgattung und alles andere als lukrativ. Man sagt, es schreiben mehr Leute Gedichte als es Leserinnen und Leser dafür gibt. Aber ich hatte und habe ein-fach keine Wahl. Wenn man so klar eine Ausdrucksform für sich gefunden hat, dann gibt man sie so schnell nicht wieder auf, auch wenn sich erst mal kein Geld damit verdienen lässt.

Im Herbst 2005 ist mein erster Gedichtband erschienen, ‹Die Kindheit ist eine Libelle› in der Lyrikedition 2000 in München. Das war sehr schön, ein Buch in den Händen zu halten, in dem die eigenen Gedichte gesammelt sind. Inzwischen arbeite ich an meinem zweiten Band, der im Frühjahr 2008 erscheinen soll.

«Diplomierte Schriftstellerin, das ist natürlich Quatsch. Das DLL ist einfach eine Kunsthochschule für Leute, die schreiben wollen. Um sich dafür das Handwerk anzueignen, wie man es für Musik oder Kunst auch tun kann, bewirbt man sich dort. Als ich von unge-fähr 300 Bewerbungen unter die zwanzig kam, die zu einem Auf-nahmegespräch eingeladen wer-den, war das eine erste offi zielle Auszeichnung für mein Schreiben.

Während des Studiums habe ich schnell gemerkt, dass ich Lyrik schreiben muss, dass es das ist, was ich kann und machen will, wo

Wörter im AustauschGedichte. Nathalie Schmid hat am Deutschen Literatur Institut in Leipzig (DLL) studiert. Sie wurde dort di-plomierte Schriftstellerin. An der EB Zürich bildet sie sich nun zur Erwachsenen-bildnerin aus.

Text: Nathalie Schmid

PORTRÄT

Leider komme ich nicht so oft zum Schreiben, wie ich es gerne würde. Zwei Kinder und gelegent-liche Jobs als Korrektorin/Lektorin geben einiges zu tun. Im letzten Herbst habe ich an der EB Zürich den Kompaktlehrgang für den Fauchausweis ‹Eidg. dipl. Ausbil-der/in› begonnen. Das ist ein neues Gebiet für mich und fordert mir zuweilen ganz schön was ab. Ich merke, wie wichtig Erfahrungen beim Unterrichten sind, und die fehlen mir noch.

Durch Zufall bin ich dazu gekommen, in einem Stellenlosen-projekt Schreibkurse zu geben. Da ich gemerkt habe, dass ich schnell einen Draht zu den Leuten fi nde, habe ich beschlossen, meine Lehr-tätigkeit zu professionalisieren. Dabei stosse ich auf Neuland, von dem ich hoffe, dass ich es so erobern kann, dass spannende Schreibkurse entstehen.»

Open Source steht für Offenheit und Transparenz, Zusammenarbeit auf hohem Niveau und Gemeinschaftssinn, aber auch für Rebellion gegen Machtkonzentration und Wissensmonopole. Was als Projekt zur Software-Entwicklung begann, krempelt allmählich Wirtschaft und Gesellschaft um.

Text: Christian KaiserBilder: Reto Schlatter

OPEN SOURCE

Sprechen Sie Zulu? «Umuntu ngumuntu ngabantu», sagen die Zulus und Xhosas im südlichen Afrika: «Ein Mensch ist ein Mensch dank anderer Menschen.» Diese gemeinschaftliche Lebens-philosophie wird mit dem Begriff «Ubuntu» zusammengefasst. Der Gedanke dahinter: Die Gemein-schaft ist wichtiger als der einzelne Teil, «ich bin – weil ihr seid» über-setzt Wikipedia.

Software-Astronaut. Ubuntu ist auch der Name einer Open-Source-Software, genauer: einer Distribu-tion des Betriebssystems Linux. Mark Shuttleworth, der 2002 als erster Südafrikaner im All war, hat sein Software-Projekt nicht ohne Grund «Ubuntu» genannt. «Die Ubuntu-Distribution bringt den Geist von Ubuntu in die Software-Welt», schreibt die Ubuntu-Stif-tung auf ihrer Website. Shuttle-worths Vision: Ein Entwicklerteam sollte ein qualitativ hochwertiges Betriebssystem für Server und Desktops schaffen, das weltweit für alle gratis verfügbar ist.

Der Ex-Risikokapitalist vom Kap engagiert sich stark für die wirtschaftliche und soziale Ent-wicklung in Afrika, seine Shuttle-worth-Stiftung unterstützt Pro-jekte im Erziehungsbereich, er selbst tourt seit Jahren mit seiner «Wissenschafts- und Matheshow» durch südafrikanische Schulzim-

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Open Source verändert die Welt

7OPEN SOURCE

mer, um Kinder für Technik zu begeistern. Sein Thema ist die Chancengleichheit, und die wollte er auch für Firmen und Einzelper-sonen in Entwicklungsländern herstellen, die sich Investitionen in teure Softwarepakete nicht leisten können. Das Ideal von Ubuntu sei «die Menschen für die digitale Ära fi t zu machen», schreibt Shuttle-worth.

Digitale Freiheitsrechte. Anfang 2004 scharte der ausgebildete IT-Ingenieur Shuttleworth also eine kleine aber erlesene Gruppe von Entwicklern um sich, um auf der Basis des freien Betriebssystems Linux eine neue Systemsoftware zu kreieren. Inzwischen hat sich Ubuntu zur populärsten Linux-Distribution überhaupt gemau-sert. Ubuntu hat andere Linux-Anwendungen wie Red Hat oder Suse/Novell weit hinter sich gelas-sen, selbst in europäischen Städten wie Oslo, Madrid oder Paris ist Ubuntu verbreiteter. Wer die neus-te Version installiert, kann gleich anfangen zu arbeiten: Ubuntu ent-hält nicht nur ein Linux-Betriebs-system, Anwendungen für Text-verarbeitung, Tabellenkalkulation, Präsentation, E-Mail, Internet-Browser und Kalender werden gleich mitgeliefert.

Ubuntu ist sogenannt «Free and Open Source Software» (FOSS). Was das bedeutet, erläutert die Ge-meinschaft der Ubuntu-Entwick-lerinnen und -Entwickler, die

Ubuntu-Foundation: «Unsere Arbeit zielt darauf ab, den Nutzen von Software zu verbreiten und in alle Teile der Welt zu bringen: Jeder Computer-Benutzer soll die Freiheit haben, Software herunter-zuladen, zu betreiben, zu kopie-ren, zu teilen, zu verteilen, zu studieren, zu verändern und zu verbessern, ohne dafür Lizenz-gebühren zahlen zu müssen.» Diese «Software-Freiheitsrechte», die den Nutzerinnen und Nutzern gewährt werden, sind das Wich-tigste an Ubuntu: «Sie ermögli-chen es der Ubuntu-Gemeinde, stetig zu wachsen, kollektive Erfahrungen und Expertenwissen auszutauschen, Ubuntu stetig zu verbessern und für neue Länder und Industrien anwendbar zu machen.»

Netz-Werke. Ubuntu ist nur ein Beispiel aus der stetig wachsenden Welt an Open-Source-Program-men. Allen gemeinsam ist dabei, dass ihre Quelle (engl. source) für jedermann offen (open) zugäng-lich ist: jeder Anwender, jede Ent-wicklerin erhält also Einblick in den Quellcode, den Programmtext der Software, darf ihn verändern und weitergeben. Damit bietet sich Open-Source-Software zum Ler-nen, Mitmachen und Verbessern an. Open Source lebt gewissermas-sen von der aktiven Beteiligung der Anwendergemeinde; ein Heer von Freiwilligen arbeitet gemein-sam an der Lösung bestehender Software-Probleme. »

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Möglich gemacht hat diese Form der Zusamenarbeit das Inter-net. Die Internet-Community bildet einen riesigen Pool an Know-how und Talenten, die per-sönlich am Thema interessiert sind. «Das Netz erlaubt uns, eine weltweite Gemeinschaft von Augenpaaren und Fingern zu bil-den, welche auf persönlichem Inte-resse beruht», sagt Mark Shuttle-worth. Ein solches Reservoir an qualifi zierten Entwicklerinnen und Entwicklern auf der Lohnliste zu haben, kann sich keine kom-merzielle Software-Firma der Welt leisten.

Aus «Freeware» wird «Open Source». Die Open Source zugrunde liegende Idee ist denn auch «sehr simpel»: «Wenn Pro-grammierende den Quellcode einer Software lesen, verbreiten und verändern können, entwickelt sich die Software. Menschen ver-bessern, passen an, fl icken Fehler. Und das geschieht mit einer Geschwindigkeit, die erstaunlich scheint, wenn man sich an den Rhythmus konventioneller Soft-wareentwicklung gewohnt ist», schreibt die Open Source Initiative (OSI). Die OSI ist eine Art gemein-nütziger Dachverband, der den Open-Source-Gedanken auch in den kommerziellen Software-fi rmen und High-Tech-Industrien verankern will.

Angefangen hat die Geschichte vor knapp 10 Jahren, im Januar

1998, als Netscape beschloss, den Quellcode ihres Internet-Browsers Navigator freizugeben. In einer Strategiesitzung im kalifornischen Palo Alto stimmten die Netscape-Leute für den Vorschlag von Christine Peterson und gaben den Code des Netscape-Browsers als sogenannte «Open Source» frei. Im April 1998 wurde an einer Tagung, an welcher die gesamte Prominenz freier Softwareentwickler anwe-send war, der neue Begriff «Open Source» offi ziell abgesegnet und eingeführt. Dieser «Open Source Summit» gilt als die Geburtsstunde der Open-Source-Bewegung.

Nur zum Spass. Mit dabei war auch Linus Torvalds. Ihm war 1991 als Zweitjahresstudent an der Uni-versität von Helsinki das gelungen, woran zuvor zahlreiche andere Entwickler gescheitert waren: einen Kernel, einen Kerncode, für ein offenes Betriebssystem zu schreiben – «just for fun», wie Torvalds in einem Buch der Welt erklärt. Sein Programmcode verbreitete sich, wurde laufend verbessert und angepasst, bis daraus das Herzstück des Linux-Betriebssystems entstand. Linux, dessen Markenzeichen der Pinguin Tux ist, entwickelte sich rasch zur valablen Alternative zu bestehen-den zahlpfl ichtigen Betriebssyste-men wie Unix und Microsoft. Hunderte von Organisationen und Firmen kreierten auf der Linux-Basis eigene Betriebssysteme, soge-nannte Distributionen. IT-Giganten wie Hewlett-Packard, IBM und Dell unterstützen das Linux-Betriebssystem und fördern seine Entwicklung.

Längst hat Open Source jedoch auch andere Softwarebereiche erreicht. Wer surft oder e-mailt,

nutzt praktisch täglich automa-tisch auch Open-Source-Applika-tionen mit. Bind etwa übersetzt menschenfreundliche Domain-Namen wie www.eb-zuerich.ch in für Computer lesbare numerische IP-Adressen, also 194.209.0.30. Ein weiteres Beispiel ist der Web-Ser-ver Apache. Web-Server nehmen Anfragen von Browsern entgegen und beantworten sie, sorgen also für einen reibungslosen Internet-Verkehr. Apache läuft auf über der Hälfte aller Web-Server und ist damit die klare Nummer eins.

Der Feind heisst Bill. Entwickelt und unterhalten wird Apache durch eine offene Gemeinschaft von Entwicklerinnen und Ent-wicklern unter der Schirmherr-schaft der Apache Software Stiftung. Der Name wurde mit Bedacht gewählt: «aus Respekt vor dem amerikanischen Indianer-stamm der Apachen, bekannt für ihre Ausdauer und ihre Fähig-keiten in der Kriegsführung.» Zu ihren Anfängen Mitte der 90er Jahre hatte Apache auch einen kla-ren Gegner: Apache wollte die erste Alternative zum damals verbrei-teten Web-Server der Firma Sun sein. Auch dieses kämpferische Element haben viele Open-Source-Communities gemeinsam – eine der Antriebskräfte ist, die vorherr-schende Marktstellung eines kommerziellen Anbieters zu durchbrechen. Gewöhnlich heisst der Feind Microsoft, beziehungs-weise Bill Gates.

Open Offi ce beispielsweise ver-sucht seit geraumer Zeit, Micro-softs marktbeherrschende Stellung bei den Büroanwendungen zu durchbrechen: Das Paket beinhal-tet Textverarbeitung, Tabellen-kalkulation sowie ein Präsenta-tions- und Zeichnungsprogramm

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und steht gratis jedermann und jederfrau zum Download zur Ver-fügung. Auch bei den Browsern brausen Microsoft inzwischen starke Böen entgegen: Firefox von Mozilla, eine Open-Source-Weiter-entwicklung des Netscape-Browsers, kommt mittlerweile auf einen weltweiten Marktanteil von 15 Prozent – mit stark stei-gender Tendenz. In Deutschland nutzt bereits jeder Dritte Firefox. Vor fünf Jahren noch führte hingegen kein Weg an Microsofts Internet Explorer vorbei; mit 97 Prozent Marktanteil hatte Microsoft praktisch das Monopol bei den Browsern.

Geldquelle. An der Entwick-lung von Firefox waren rund 2000 Leute beteiligt, die meisten haben Zeit und Energie investiert, ohne je einen Franken Entschädigung zu erhalten. Nun wird die Mozilla-Stiftung, welche die Entwicklung von Firefox koordiniert und über-wacht, quasi vom Erfolg überrollt. Der Suchmaschinen-Betreiber Google zahlte an Mozilla mehr als 100 Millionen Dollar, damit Google.com bei Firefox als Stan-dard-Startseite vorinstalliert ist. Die gemeinnützige Mozilla-Stiftung weiss nicht recht, was sie mit dem Geldsegen anfangen soll. Eine Ausschüttung an die Entwicklerinnen und Entwickler kommt offenbar nicht in Frage. Einerseits widerspricht die Bezah-lung der Entwicklerinnen und Entwickler dem Open-Source-Gedanken, andererseits wäre es auch schwierig, einen gerechten Verteilschlüssel zu fi nden: Wer hat wie viel beigetragen und wie hoch ist der entsprechende Anspruch?

Schneller, billiger, besser. Das ist wohl der irritierendste Punkt an der ganzen Open-Source- »

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Geschichte: Obwohl das Gros der Open-Source-Entwickelnden Freiwilligenarbeit leistet, sind Open-Source-Anwendungen nicht nur billiger, sondern auch besser. Der Computerhersteller Dell beispielsweise bietet seit kurzem in den USA und in Europa PCs und Laptops von der Stange mit Ubuntu-Betriebssystem an. Die Begründung: «Der Vorteil von Open Source ist, dass es mehr Zuverlässigkeit und Flexibilität bringt, ebenso schnellere Updates und Fehlerreparaturen, und das alles zu einem tieferen Preis.» Die Nachteile laut Dell: Zum einen würden Open-Source-Produkte höhere Anwenderkenntnisse erfor-dern, zum anderen könnten bei Open-Source-Betriebssystemen auch Kompatibilitätsprobleme mit Soft- und Hardware auftauchen.

Darin liegen wohl auch die Hauptgründe, die bisher noch viele Privatanwenderinnen und -anwender in unseren Breiten-graden vom Umstieg auf Open Source abgehalten haben. «Bis es bei uns einen Open-Source-Massenmarkt gibt, wird wohl noch viel Zeit verstreichen», sagt

Felix Ritter, Bereichsleiter für Informatik an der EB Zürich. Als Beispiel nennt er Open Offi ce: Das Offi ce-Paket von Microsoft sei beliebt und sehr verbreitet, die Angst vor Kompatibilitätsproblemen beim Datenaustausch halte viele vom Umstieg auf Open Offi ce ab. Grös-sere Chancen sieht Ritter jedoch im Bereich der Business-Anwen-dungen, beispielsweise für Kundenmanagement (CRM),

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Finanz- und Rechnungswesen oder Produktionsplanung. «Ich gehe davon aus, dass grosse Fir-men wie Banken, Versicherungen und Institutionen der öffentlichen Hand (z.B. die Stadt München) eher die treibenden Kräfte sind als kleine und mittlere Unterneh-men.»

Auch in der Schweiz. Das Spar-potenzial, welches Open Source gerade auch für kleine und mitt-lere Firmen bietet, ist jedoch nicht zu unterschätzen. Cybersource,

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eine australische Open-Source-Softwarefi rma, beispielsweise schreibt, dass das Aufrüsten auf die neuste Open-Offi ce-Version Firmen nur einen Zehntel der neusten Microsoft-Variante koste. Für eine Kleinfi rma mit 50 Arbeits-plätzen hat sie ein Sparpotenzial von mehr als 80 000 US Dollars berechnet, wenn sie ganz auf Open Source umsteigt. Voraussetzung: Betriebssystem, Antivirus, Browser, Server, Mail-Programme, Offi ce-Anwendungen usw. – für alles kommt Open Source statt kostenpfl ichtige Software zum Einsatz.

Trotzdem werden die tieferen Kosten in der Schweiz erst an vierter Stelle genannt, wenn Unternehmen nach den Vorteilen von Open Source befragt werden (siehe Grafi k 1). Laut einer Unter-suchung von SwissICT vom letzten Jahr* setzen bereits drei Viertel aller befragten Schweizer Unter-nehmen Open-Source-Software ein oder planen einen Einsatz inner-halb des nächsten Jahres. Nur 20 Prozent wollen auch langfristig auf Open Source verzichten. Das Hauptargument für diese Firmen:

«Wir sehen derzeit keine wesentlichen Vorteile für einen Umstieg.» Die grössten Bedenken bestehen bezüglich mangelndem Support, fehlender Bekanntheit der Software bei den Anwen-denden sowie allfälligen Haftungsproblemen (Grafi k 2).

Gesellschaft schafft Wissen. «Offene Standards», «Zugriff auf den Quellcode», «breite Commu-nity» – die Antworten auf die Frage nach den Vorteilen zeigen den Hauptnutzen: Open-Source-Software macht den Zugang zu Wissen, der wichtigsten Ressource in der modernen Wissensgesell-schaft, zu einem öffentlichen Gut. Darin liegt das Geheimnis ihres Erfolgs. Der prominente Linux-Programmierer Eric Raymond brachte es auf den Punkt: «Kein Problem sollte jemals zweimal gelöst werden müssen.» Das leuchtet jedem ein, deshalb enga-gieren sich weltweit Program-miererinnen und Programmierer in Open-Source-Projekten. Der offene Wissensaustausch in Gemeinschaften bringt die Welt weit schneller voran als Eigenbröt-lertum von Experten.

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Längst hat sich die Open-Source-Idee deshalb auch auf andere Wissensbereiche ausge-dehnt: Wikipedia, die freie offene Enzyklopädie im Netz, wird von Freiwilligen geschrieben und hat sich zur umfassenden Informa-tionsquelle für alle möglichen Interessensgebiete gemausert. Weblogs und Blogs übertragen die Open-Source-Kultur auf den In-formationsaustausch im Medien-

Grafi k 1: Vorteile von Free and Open Source Software (FOSS), Quelle: SwissICT

Grafi k 2: Bedenken gegenüber FOSS, Quelle: SwissICT

Open Source an der EB ZürichOpen-Source-Programme sind

gratis, meist virenfrei und machen Schluss mit der Abhängigkeit von grossen Softwareschmieden. «Die Bedeutung von Open Source wird nicht mehr exponentiell aber weiter stetig zunehmen», sagt deshalb Felix Ritter, Bereichsleiter an der EB Zürich. Die kantonale Berufsschule ist schon jetzt die Nummer 1 im Bereich Open-Source-Schulung in Zürich und will diesen Bereich wei-ter ausbauen. Ritter: «Open Source passt einfach gut zu uns als öffent-liche Institution: Wir sind offen für alle, die Neues lernen wollen.»

Immer mehr Open-Source-Anwendungsprogramme präsen-tieren sich als ebenbürtige und kostenlose Alternative zu teurer Software. Paradebeispiel ist der Sie-geszug des unabhängigen Betriebs-

systems Linux, an dem im Serverbe-reich kein Weg mehr vorbeiführt. Die OS Software-Revolution schafft zusätzlichen Ausbildungsbedarf: «Im Linux-Bereich ist für Server-Spezialistinnen und -Spezialisten eine solide Grundausbildung wichtig, wie sie mit den beiden Prüfungen zum LPI-Zertifi kat (LPI-C1/LPI-C2) erworben werden kann», sagt Ritter.

Die Haupttreiber sind nach wie vor die webnahen Branchen: Web-Programmierung, Web-Hosting, Web-Publishing und CMS (Content Management), welche die sogenann-ten «LAMP-Anwendungen» (Linux, Apache, MySQL und PHP) abdecken. Auch hier bietet die EB Zürich seit geraumer Zeit verschiedene Aus- und Weiterbildungen an, beispielsweise Programmieren mit MySQL und PHP, Joomla-Anwendungen usw.

Für weitere Impulse sorgen auch die Unis und Hochschulen: «Beson-ders im Bereich der E-Learning-Plattformen tut sich ein weites Feld für Open-Source-Applikationen auf, weil proprietäre Lösungen schlicht kaum bezahlbar sind», sagt Felix Ritter. Die Lernplattform Moodle beispielsweise hat sich in nur weni-gen Jahren von Australien aus rasch um den ganzen Globus verbreitet und kommt inzwischen bereits in 60 Sprachen und 120 Ländern zum Einsatz. Auch die EB Zürich nutzt Moodle unterstützend zum Prä-senzunterricht in Kursen und Lehr-gängen. Interessierte können auf http://moodle.eb-zuerich.ch einen Spaziergang durch die Moodle-Lernumgebung machen.

bereich. Firmen wie Procter & Gamble nutzen Ideen-Netzwerke mit Tausenden freier Mitarbeite-rinnen und Mitarbeiter, um neue Alltags-Produkte zu entwickeln. Und im Bereich der Open Culture werden Kunstwerke wie Filme, Musik, Fotos allgemein zugäng-lich gemacht, dürfen verändert und weiterverbreitet werden. Was als neue Form der Zusammenar-beit von ein paar Software-Freaks

begann, hält also Einzug in immer mehr Lebensbereiche. Auf allen Kontinenten engagieren sich Men-schen in kreativen Gemeinschaf-ten, um die Welt ein bisschen lebenswerter zu machen. «Umuntu ngumuntu ngabantu.»

*Quelle: www.swissict.ch › Download › Studien

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Regeln für gute Webtexte. Wer nicht in den Infowellen im Internet untergehen will, muss sich anstrengen; die Anforderungen an mo-derne Webtexte sind hoch. Sie müssen präzis, knapp, klar und rasch scanbar sein.

Illustration: Eva KläuiText: Christian Kaiser

Rettungsbojen in der Infofl ut

Was zeichnet gute Texte im Web aus? Aus mehreren Studien an der Universität Bern wurde ein Modell der Benutzungsqualität von Texten entwickelt. Nach die-sem Modell* sind vier Dimensi-onen eines Textes dafür verant-wortlich, dass ein Text im Inter-net beim Zielpublikum als ein-fach zu benutzen gilt und ent-sprechend positiv aufgenommen wird:

1. Lesbarkeit 2. Verständlichkeit3. Bedienbarkeit 4. Anwendbarkeit

1. Lesbarkeit Schrift und Darstellung müssen die sensorische Aufnahme der Buchstaben unterstützen.

Negative Bewertung: «Ich kann es nicht lesen.»

2. VerständlichkeitDer Aufbau des Textes und die Sprache ermöglichen die voll-ständige Datenaufnahme und die Integration in die Vorwis-sensbestände.

Negative Bewertungen: «Ich verstehe es nicht» und «das, was ich verstan-den habe, macht für mich keinen Sinn».

3. Bedienbarkeit Der Text ist leicht mit den Augen zu scannen; er stellt sicher, dass die Lesenden sich rasch und ih-ren Bedürfnissen gemäss orien-tieren können.

Negative Bewertung: «Ich fi nde es nicht.»

4. AnwendbarkeitDas Leseziel lässt sich ohne gros-se Anstrengung erreichen: Das bedeutet unter anderem, dass nichts Überfl üssiges enthalten ist und nichts Wesentliches fehlt.

Negative Bewertung: «Das nützt mir nichts» und «das ist nicht da».

Die Aufgabe von Informations-designerinnen, Webtextern, Bloggerinnen oder Online-Re-daktoren besteht folglich darin, verständliche Dokumente zu entwickeln, deren Inhalte sich rasch aufnehmen lassen und sich

TIPPS UND TRICKS

einfach in aktives Handeln über-setzen lassen. Zentral dabei sind: Eine klare Strukturierung der Texte als Lesehilfe (mittels Absät-zen, Überschriften, Aufzählungs-zeichen usw.), konkrete Fakten als Inhalte statt Floskeln, kurze Wörter und kein Info-Ballast, keine abgelutschten Metaphern, das Vermeiden von Fremdwör-tern und Abkürzungen sowie der konsequente Verzicht auf nicht allgemein verständlichen Jargon. «Content is king», das Schlag-wort vom «König Inhalt» bedeu-tet auch, dass die Qualität der Inhalte königlich zu sein hat.

* siehe www.jmq.ch

Kurse zum Thema:«Online-Texte produzieren»: Schreiben fürs Web

Lehrgang «Journalismus»: Das Handwerk erlernen

«Attraktiv und verständlich schreiben»: überzeugende Texte verfassen

Weitere Infos und Anmeldungunter www.eb-zuerich.ch

14 PERSÖNLICH

«Klein, aber fein sei Winterthur», fi ndet Fiona Schmid: Gute Museen, viel Kultur, schöne Beizen und rundum Natur. Im Sommer ist sie meistens mit dem Fahrrad unterwegs, einem hohen schwarzen Oldtimer mit messingfarben gestrichenen Schutzblechen. Ziel-strebig schiebt sie das Gefährt durch die Altstadt und erzählt dabei aus ihrem Leben. Aufgewachsen ist sie in Glasgow; ihre Mutter stammte von den Hebriden, einer Schottland vorgelagerten Inselgruppe. «Dort verbrachten wir früher immer die Ferien», sagt sie, «Strassen gab es keine, nur Boote; zu den Häusern gelangte man zu Fuss.»

Rare Studienplätze. In die Schweiz kam Fiona Schmid zum ersten Mal als Au-Pair: «Ich stellte mir vor, hier sei die Mitte Europas.» Nach eineinhalb Jah-ren kehrte sie nach Schottland zurück, mit dem Wunsch, Primarlehrerin zu werden. «Aber daraus wurde nichts; es war die Ära Maggie Thatchers, über-all wurde gespart, natürlich auch im Bildungsbereich. Nur zwölf Studienplätze pro Jahrgang waren an unserer Uni ausgeschrieben, man hatte kaum Chan-cen. Ich fand eine Stelle beim Staat; in Edinburgh arbeitete ich mit Ausgesteuerten – in den Krisenjah-ren der Siebziger war das ein harter Job.»

Mentalitätsunterschiede. In Gockhausen bei Zürich lernte sie beim Autostoppen ihren zukünf-tigen Mann kennen, einen Auslandschweizer, der zurück in die Schweiz kam, um die Rekrutenschule zu machen. Nach einem kurzen Aufenthalt in der Schweiz wanderten die beiden nach Schottland aus, wo ihr Mann an der Universität Glasgow Anglistik und Philosophie studierte. 1984 kamen Fiona und Rolf Schmid zurück in die Schweiz; Pläne, eine Weile in Spanien zu wohnen und zu arbeiten, zerschlugen sich an den bürokratischen Aufl agen des spanischen Staates. Ein altes Bauernhaus mit grossem Garten in der Nähe von Winterthur war die nächste Etappe.

Business English and Pies. Nicht auf dem schnurgeraden Weg ist Fiona Schmid zur Englisch-Dozentin geworden. Die gebür-tige Schottin lebt bei Winterthur, unter-richtet an verschiedenen Orten – und gern kocht sie Leckeres aus ihrer Heimat für die Gäste des Pubs «Break Even».

Text: Charlotte Spindler

Sprache geht

d

15PERSÖNLICH

«Vor dem Leben in einem Wohnblock hatte ich ein bisschen Angst; die Erzählungen von den Waschkü-chenstreitigkeiten haben mir immer sehr Eindruck gemacht», lacht sie, und dass sie sich manchmal an der helvetischen Mentalität reibe, gesteht sie unumwun-den zu: «Neulich hat mir jemand ganz freundlich zu verstehen gegeben, dass es nicht statthaft sei, an einem Sonntag im Garten zu jäten.»

Artischocken und Rosen. «Gardening» ist die Lei-denschaft von Briten und Schottinnen. «Wo wir jetzt wohnen, haben wir nur noch einen kleinen Garten. Da pfl anze ich Artischocken wegen ihrer dekorativen Blätter, roten und gelben Mangold, Beeren, Rosen. Essbar und schön muss es sein.» Viel Zeit fürs Gärt-nern hat sie allerdings nicht: Sie unterrichtet Englisch und Business English unter anderem bei Citigroup und Maag Gear AG, hat ein Pensum an der EB Zürich, arbeitet für den Vorstand der Englischlehrer-Vereini-gung in der Schweiz und organisiert – ehrenamtlich – Events und eine regelmässig stattfi ndende Präsenta-tion von Didaktik-Lehrmitteln aus britischen Verla-gen. «Dass ich Englischlehrerin werden würde, hätte ich nicht unbedingt gedacht. In meinen ersten Jahren in der Schweiz habe ich als Verkäuferin beim VOLG gearbeitet. Im Deutschkurs wurde ich gefragt, ob ich nicht gerne Englisch unterrichten würde. So über-nahm ich eine Abendklasse, das ging ganz gut, ein Kurs an der Volkshochschule kam hinzu, und zusätz-lich absolvierte ich eine Didaktik-Ausbildung für Erwachsene.» Das Studium hat sie nachgeholt: An der Open University in Milton Keynes, einer grossen Fern-Uni, hat sie englische Sprache und Literatur studiert und ihr Diplom gemacht.

Übungsfeld Pub. An der Technikumsstrasse 46 par-kiert Fiona Schmid ihr Velo. «London Pride» steht auf dem roten Sonnenschirm vor der Tür, «Break Even» auf dem Wirtshausschild. Das Pub am Rand der Win-

terthurer Altstadt, Anfang 2007 eröffnet, hat eine ganz besondere Geschichte. Im Rahmen einer Studi-enwoche besuchte Rolf Schmid, Englisch-Dozent an der Zürcher Hochschule Winterthur, mit angehenden Wirtschaftsfachleuten die traditionsreiche Londoner Bierbrauerei Fuller’s, die ein exzellentes Ale produ-ziert. Und plötzlich war die Idee da, «London Pride» exklusiv in der Schweiz zu vermarkten: ein ideales Praxisfeld für Studierende. Eine Machbarkeitsstudie und ein Businessplan wurden erstellt, beides als Diplomarbeiten, ein Lokal wurde gesucht und gefun-den, Architekturstudierende übernahmen die Gestal-tung: Ungewöhnlich und elegant. Inzwischen ist das «Break Even» bereits ein gutes halbes Jahr geöffnet, geführt von Studierenden eines Wahlfachs in Manage-ment. Ausgeschenkt wird – natürlich – «London Pride», aber auch einheimische Biere, dazu werden, aus der Küche von Fiona Schmid, klassische Pies mit Steak-, Gemüse- und Chicken-Füllungen serviert. Nach der Sommerpause sind musikalische Sonntags-brunches geplant, mit «cooked breakfasts» von Fiona Schmid. Sprache ist für sie eng mit (Ess-)Kultur ver-bunden.

t durch den Magen

Wenn, dann bitte richtig!Schreibweise. Im Lehrgang «Journalismus für Quer-einsteigende» erfahren Schreibende über drei Semester hinweg, wie facetten- und anforde-rungsreich die jour-nalistische Arbeit sein kann. Dazu gehört auch die Rechtschreibung.

Text: Margrit Stucki

Verhaltene Spannung im Zim-mer 315 im BiZE: Am siebten Kurs-tag des Lehrgangs steht Recht-schreibung auf dem Programm. Ein Thema, das in der Regel keine Begeisterungsschübe auslöst. Auch nicht bei den elf Teilnehmenden des laufenden Lehrgangs, welche heute die Schulbank drücken und zugleich einen nahen Abgabeter-min für eine Schreibaufgabe im Rücken haben. Doch bald lockert sich die Stimmung, echtes Inte-resse an den Besonderheiten der Schriftsprache stellt sich ein.

Nebenberuf. Gemeinsam ist den Kursteilnehmenden, dass sie leidenschaftlich gerne schreiben und zu mindestens 20 Prozent als Journalistinnen oder als Journa-listen arbeiten – bei einem Lokal-medium, einer Hauszeitung oder einer Fachpublikation. Mit der redaktionellen Tätigkeit betreten sie Neuland. Erklärtes Ziel ist es, im journalistischen Schreiben sicherer zu werden. Der 43-jährige

Peter Rettinghausen zum Beispiel arbeitet seit vielen Jahren als Crea-tive Director und Texter in einer renommierten Werbeagentur. Nun beabsichtigt er, sein berufl iches Repertoire zu erweitern: «Ich möchte in Zukunft auch mal andere Dinge schreiben als Werbe-texte; den Journalismus als zweites Standbein aufbauen. Deshalb habe ich mich für diesen Lehrgang ent-schieden.»

Neue Wege beschreiten. Ähn-lich geht es dem 30-jährigen Tobias Gisler, der vor fünf Jahren die höhere Fachschule für Touris-mus abgeschlossen hat: «Es ist höchste Zeit, dass ich meine momentane Tätigkeit in der Reise-branche schreibend ergänze.» Auch die Psychologin Monika Egli-Schärer (54) stand vor dem Eintritt in den Lehrgang an einem Wende-punkt: Von der jahrelangen Tätig-keit als Psychotherapeutin erschöpft, reduzierte sie vor einem Jahr ihr Pensum. Sie musste rege-nerieren, suchte eine andere Betä-tigung und fand eine Teilzeitstelle als Redaktorin bei der Zeitschrift «Schritte ins Offene», welche schwerpunktmässig Themen der Frauenemanzipation aufgreift. «Nun fi nde ich mich im neuen Feld des Journalismus wieder», erzählt Monika Egli, «und pendle zwischen der Freude über diese Chance und der bekannten Angst vor dem leeren Blatt.»

KURSFENSTER16

Frisch gefordert. Im journalis-tischen Schreiben sattelfest zu wer-den, ist nicht das einzige Motiv für diese Weiterbildung. Sarah Orlando-Moser, Familienfrau, Caritas-Mitarbeiterin und Weblog-Kolumnistin, hat zum Beispiel das Schreiben als ihren «Schlüssel zum Glück» entdeckt: «Ich freue mich darauf, das Leben – Drama und Komödie zugleich – in Worte zu fassen. Tonalitäten zu komponie-ren, deren Noten Buchstaben heis-sen. Gedachtes und Unausgespro-chenes niederzuschreiben.» Und Elisabeth Werner, die im «norma-len» Berufsleben Beschwerdebriefe und Kunden-Mails beim Schweizer Fernsehen beantwortet, hat sich schon länger nach einer neuen Herausforderung umgeschaut: «Ich habe immer gesagt, ich reisse wieder etwas an. Jetzt habe ich es gefunden.»

Deutsche Sprache, schwere Sprache. Bei aller Liebe fürs Schrei-ben kommen die Teilnehmenden nicht umhin, sprachliche Kno-chenarbeit zu leisten. Etwa indem sie sich mit den Regeln der neuen deutschen Rechtschreibung ver-traut machen. Wie man die tro-ckene Materie leichter verdauen kann, zeigt der Kursleiter Fritz Keller gleich selbst: Er steigt mit der «Ballade von der Orthografi e» ins Thema ein, einem amüsanten Text von Franz Hohler, in dem eine Schreibmaschine alle Verursa-cher von Fehlern gleich auf-schluckt. Die Ballade endet mit

den Zeilen «Kauft einen Duden, seid auf der Hut! | Prüft jeden Strichpunkt, achtet euch gut! | Passt auf, was ihr schreibt, ... | es braucht nur ein Fehler, und – aaaaah!» Die Teilnehmenden sind sich einig. Gefressen wird nie-mand, der den richtigen Fall nicht trifft oder ein Wort falsch schreibt, aber die Orthografi e hat einen hohen Stellenwert, ist sie doch die berühmte Visitenkarte der schrei-benden Zunft.

Rechtschreibung als Norm. Eine kurze Chronik zeigt, dass die rich-tige Schreibung von Wörtern und Sätzen schon immer heftig disku-tiert wurde. Die neuste Recht-schreibreform ist nur das letzte Glied in einer langen Kette. Der Test «Welche Schreibweisen sind richtig?» soll den Teilnehmenden zeigen, welche Änderungen sie kennen oder schon verinnerlicht haben. Sofort zeigt sich, dass auch geübte Schreiberlinge zweifeln und das Nachschlagen in einem Wörterbuch (Duden oder Wahrig) unabdingbar ist. So beherzigen die Lernenden die drei Faustregeln «Im Zweifelsfall gross schreiben, getrennt schreiben, tolerant bleiben». Während der Übungen merken sie erleichtert, dass sie nichts falsch machten, als sie «Mayonnaise» statt «Majonäse» und «instand setzen» statt «in Stand setzen» schrieben.

Mit Druck umgehen. Trotz der angenehmen Lernatmosphäre

KURSFENSTER

wirken einzelne Teilnehmende gestresst. Der Abgabetermin für den Bericht steht an, worauf Lehr-gangsleiter Nikolaus Stähelin mit Nachdruck hinweist. Aufschiebe-wünsche, auch vehement begrün-dete, werden nicht akzeptiert. Wie in einer richtigen Redaktion eben. – Das Lehrgangskonzept sieht vor, dass sich die Teilnehmenden alle journalistischen Fertigkeiten in Theorie und Praxis aneignen. Kein Wunder, legt jeder der 18 Fachdo-zenten grossen Wert auf die prak-tische Umsetzung in Form von Hausaufgaben, was nicht in jedem Fall gut ankommt. Wer die prak-tischen Arbeiten streng einfordert, muss sich schon mal den Vorwurf der Schulmeisterlichkeit gefallen lassen. Die Aufregung legt sich jedoch meist, sobald die fertigen Arbeiten auf der Schulplattform publiziert sind. Spätestens dann weicht die Anspannung dem Stolz auf das Geleistete.

Anstrengend, aber lohnend. Im Ganzen sind die Lernenden sehr zufrieden mit der Art, wie der umfangreiche Lernstoff vermittelt wird. Im Einklang mit ihren Kurs-kollegen freut sich Monika Egli: «In diesem Lehrgang gibt’s total viel zu lernen. Hier erfahre ich Erwachsenenbildung, die vielfäl-tigen Stoff bietet und zugleich einiges fordert. Auch wenn’s anstrengend ist: Diese Weiterbil-dungsart ist mir lieber als die stän-digen Befi ndlichkeitsrunden an anderen Schulen.»

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Im Gespräch. Fredy Hiestand der «Gipfelikönig» machte als Industriebäcker

eine grosse Karriere, bis er 2003 als Präsident des Verwaltungsrats

der Hiestand AG zurücktreten musste. Es folgte eine schwere Krise.

Mit seinem neuen Unternehmen konzen-triert er sich nun auf gesundes Brot.

Interview: Fritz Keller

INTERVIEW

EB Kurs: Herr Hiestand, Sie sind vor Kurzem vom Lachsfischen in Alaska zurückgekom-men. Waren Sie erfolgreich?Fredy Hiestand: Ich bin schon ein alter Hase. Wenn die Lachse da sind, dann fange ich sie. Aber dieses Jahr waren sie etwa eine Woche später dran, weil sie einen kalten Win-ter hatten. Deshalb musste ich etwas mehr Zeit aufwenden, um mein Limit zu erreichen. Was braucht es, um beim Lachsfischen erfolgreich zu sein?Die Freude am Fischen und natürlich einen Jagdtrieb. Man muss den Ehrgeiz haben, um ein solches Tier an die Angel zu kriegen. Und man muss auch verlieren können, denn man-chen Fischen gelingt die Flucht.

Sind diese Qualitäten als Lachsfischer auch im Geschäftsleben wichtig?Ich habe meinen Kindern immer gesagt, macht nicht zu viel, aber macht richtig, das was ihr macht. Dann hat man auch Freude daran. Mich hat diese Einstellung das ganze Leben begleitet. Meine Eltern sagten ja immer, dass aus mir nichts werde. Also wollte ich erst mal meinen Eltern das Gegenteil beweisen. Später wollte ich es immer besser machen als die andern.

Ausser Freude und Ausdauer – braucht es sonst noch was?

Der kommende Brotpapst

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Man sollte etwas herstellen, wovon man selber über-zeugt ist. Ich bin stolz auf unsere Produkte. Ich hätte den Ehrgeiz nicht, eine Waffe zu produzieren, mit der man möglichst viele Menschen töten kann.

Sie produzieren lieber Lebensmittel.Ja, aber mir ist es auch wichtig, dass es ein Produkt ist, das nicht nur Genuss vermittelt, sondern auch gesund ist. Ich will nicht behaupten, dass ein Gipfel sehr gesund ist, dass man pro Tag möglichst viele Gipfel essen soll. Aber Brot als Grundnahrungsmittel, das soll vollwertig und gesund sein.

Sie haben eine Lehre als Bäcker/Konditor gemacht, dann als Taxifahrer Geld gespart, um es ins erste Unternehmen zu investieren, bis Sie eines Tages Chef von 1800 Angestellten und «Gipfelikönig» waren. Wie haben Sie das geschafft?Das wollte ich nicht von Anfang an. Aber Ziele und Visionen hatte ich immer. Darauf habe ich dann hinge-arbeitet. Auch Rückschläge sind wichtig, die können einen weiterbringen. Zum Beispiel hat mich die Scheidung mit meiner ersten Frau viel Geld gekostet. Damals las ich ein Buch, «Die Wunderwirkung gross-zügigen Denkens», übersetzt aus dem Amerikanischen, von David J. Schwartz. Ich habe es verschlungen. Ich sagte mir, dass ich das, was ich verloren habe, möglichst schnell wieder reinholen will. Ich setzte meine Ziele noch höher. Und siehe da, es hat funktioniert. Damals gewann ich die Erkenntnis, dass die Grenzen nur in unseren Köpfen sind.

Ziele setzen sich viele Leute. Aber was muss man tun, damit man die Ziele auch erreicht?Jeder möchte gern Millionär sein. Das ist angenehm. Aber man muss Prioritäten setzen und man muss verzichten können. Da kommt zuerst der Beruf, dann

INTERVIEW

nochmals der Beruf und erst viel später die Familie. Wenn man besser sein will als andere, muss man auch mehr tun.

Erfolg hat also auch negative Seiten?Für mich nicht unbedingt, ich hatte immer Freude an dem, was ich machte. Andere haben das vielleicht nicht immer begriffen, aber der Beruf war für mich immer auch Hobby. Erfolg macht süchtig, es ist schön, erfolg-reich zu sein und Komplimente zu bekommen. Aber es heisst auch kämpfen. Ich bin immer gegen den Strom geschwommen.

Heutzutage bekommt kein Jungunternehmer oder keine Jungunternehmerin Geld ohne ausgefeilten Businessplan. Sie haben nie einen gemacht. Stimmt das?Ich hätte das gar nicht gekonnt. Ich konnte meine Mitarbeitenden begeistern für ein Ziel. Die wussten, wo wir hinwollen. Aber ohne Businessplan konnte ich von heute auf morgen auf neue Gegebenheiten reagieren, ohne mich zu lange an Richtlinien fest-halten zu müssen.

Sie verliessen sich also mehr auf Ihr Gespür, auf Ihre Intuition? Ja, ich denke schon. Aber auch auf den Willen. Zum Bei-spiel als ich in Deutschland ins Geschäft kommen wollte. Elfmal hatte ich bei der Landeszentrale der Bäko (Einkaufsgenossenschaft für die Backbranche) in Stutt-gart einen Termin. Elfmal war ich dort, hatte immer einen Termin, dreimal habe ich nicht einmal einen Stuhl angeboten bekommen. Aber ich gab nicht auf, und später machten wir mit der Bäko 5 Millionen Umsatz. Man wird mutiger, wenn einem etwas gelingt. Ich hatte mein Leben lang mit meinem Selbstwert-gefühl zu kämpfen. Ich musste das stärken durch den Erfolg und gute Produkte.

Sie wirkten in der kürzlich von SF DRS ausgestrahlten Fernsehsendung «Start up» als Juror mit. Es fiel auf, dass Sie bei der Beurteilung der eingebrachten Pro-jekte zum Teil andere Kriterien anwendeten als Ihre Kolleginnen und Kollegen. Glauben Sie nicht an offizielle Managementlehren?Doch, ich glaube schon daran. Ich beneide heute viele, die das von Grund auf lernen. Ich hätte gerne eine bessere Ausbildung gemacht. Vielleicht wäre ich dann nicht Bäcker geworden. Eine gute Ausbildung ist eine wichtige Voraussetzung, aber man darf nicht nur Zah-len im Kopf haben. Für mich stand und steht immer der Mensch im Mittelpunkt.

In «Start up» präsentierte Rolf Bachmann die Idee von Minikläranlagen für Schweinemästereien. Fast als Einziger liessen Sie sich von diesem Projekt überzeu-gen und investierten aus eigener Tasche 100 000 Franken. Warum?Ich befasse mich auch mit der Umwelt und mit der Ökologie. Ich sehe ein Potenzial hinter diesen Kläran-lagen, und deshalb investierte ich mein Geld. Ich habe an der Börse schon mehr Geld verloren. Aber daraus kann etwas werden. Ich glaube an Rolf Bachmann, obwohl es ihm etwas an Charisma fehlt. Er konnte sich nicht so gut verkaufen wie andere. Aber er ist intelli-gent, er weiss, was er will. Da hat auch mein Bauchge-fühl mitgespielt. Herz und Bauch, die waren bei mir immer wichtig. In der Zwischenzeit ist dieses Projekt auch durch eine Investorengruppe gesichert.

20 INTERVIEW

Fredy Hiestand gründete 1967 mit 24 Jahren seinen ersten Be-trieb. Mit 5000 Franken Startkapital und ausgemusterten Ma-schinen begann in einer alten Wäscherei sein Aufstieg zum grössten Bäcker der Schweiz. Bahnbrechend war 1987 seine Erfi ndung des vorgegarten und tiefgekühlten Buttergipfel-Teig-lings. Danach konnte sich sein Unternehmen auch international erfolgreich etablieren. 2002 verliess er die mittlerweile börsen-kotierte Hiestand AG mit 1800 Mitarbeitern und gründete im Jahr darauf sein neues Unternehmen, «Fredy’s AG» in Baden. Mit gegen 80 Mitarbeitenden verfolgt er sein neues Ziel, ge-sunde Brote zu backen, indem er ihnen den sonst verpönten Weizenkeim beifügt.

Sie mussten in Ihrer Unternehmer-karriere auch Rückschläge hinnehmen. 2002 verliessen Sie die Hiestand AG, die wegen der weltweiten Börsenflaute viel an Wert verloren hatte. Sie fielen in ein Loch, litten unter Depressionen. Wie fanden Sie da wieder raus?Ich musste Psychopharmaka nehmen, um nicht ganz abzustürzen. Wenn man in ein Burn-out hineinfällt, dann muss man etwas verändern: Wer einfach gleich wei-terfährt im Leben, der fi ndet nicht aus dem Tief. Bei mir krampfte sich alles zusammen, wenn ich in die Holzofenbä-ckerei am Klusplatz in Zürich ging, die ich kurz zuvor gekauft hatte. Ich schaffte es nicht, diese Bäckerei zum Erfolg zu bringen, obwohl ich sie vor 30 Jahren mit-gründete. Schliesslich habe ich sie per Telefon verkauft. Ich war nie mehr dort, ich machte einfach den Abschreiber.

Dann war also Loslassen das Rezept, um aus dem Tief zu kommen?Ich musste es tun, es ging nicht anders. Gleichzeitig nagte ja auch noch der Ab-gang von Hiestand AG an mir; das war nicht so freiwillig, wie man das nach aus-sen hin kommunizierte. Neben dem Pro-blem mit der Holzofenbäckerei ging dann auch noch die langjährige Ehe in Brüche, das alles war eine Riesenbelastung. Ich hatte einen Zusammenbruch, ich war wirklich am Boden. Heute sehe ich, dass es auch eine Chance war, damals natürlich nicht. Diese neue Art von Broten, die wir hier produzieren, gibt mir eine neue Mis-sion.

Jetzt haben Sie mit Fredy’s AG wieder ein Unternehmen aufgebaut, zwar etwas kleiner, aber immerhin auch schon wie-der mit etwa 80 Mitarbeitenden. Sie haben auch wieder Expansionspläne. Fürchten Sie sich vor einem neuen Ein-bruch?Ich hatte nie Angst vor dem, was passieren könnte. Wenn man nur an die Risiken denkt, dann schläft man nicht mehr gut. Man darf nicht gleichgültig sein, man muss die Dinge ernst nehmen, aber wenn wirklich etwas schief läuft, muss man schnell reagieren.

Was halten Sie vom Stichwort «Work-Life-Balance»? Wenn ich nur meine Arbeit gehabt hätte, dann wäre ich nie so erfolgreich geworden. Es braucht schon diese Balance. Es gab sicher Phasen, in denen einige das Gefühl hatten, ich hätte nur das Geschäft im Kopf, aber ich hatte immer auch Familie und Partnerinnen, die mir Kraft gaben. Dort kann ich Dinge abladen und Pro-bleme besprechen, was ich im Geschäft mit den Mitar-beitenden nicht unbedingt kann. Sie arbeiten viel. Hat man da noch Zeit, um aufs eigene Wohl zu achten?So viel arbeite ich nicht mehr. Meistens gehe ich um 13.00 Uhr nach Hause. Ich habe dann schon noch diesen oder jenen Termin. Oder ich suche dann nach neuen Ideen. Ich lese auch viel.

Was war das letzte Buch, das Sie gelesen haben?Das war ein Zusammenzug von verschie-denen Vorträgen des Gottlieb-Duttweiler-Instituts: Unter anderem ging es darum, wie man verlorene Kunden wieder zurückgewinnen kann. Vieles wird im Marketing in Zukunft anders sein. Klas-sische Werbung hat sich verändert. Das Internet bietet neue Möglichkeiten, zum Beispiel mit den Blogs. Da überlege ich mir auch, was ich tun kann.

Wie haben Sie sich in all den Jahren weitergebildet? War alles «learning by doing» oder nutzten Sie andere Formen?Ich habe viele Seminare besucht, meistens Tages- oder Zweitageskurse. Ich habe nicht immer profi tiert davon. Aber oft blieb die Erkenntnis, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Oder ich knüpfte neue Beziehungen. So gab es immer wieder neue Anstösse, auch wenn die Seminare nicht immer topp waren.

In einem Interview haben Sie gesagt, Sie würden die Welt gerne etwas besser verlassen, als Sie sie angetroffen hätten. Müssen Sie noch etwas erledigen?

Ja, zum Beispiel dieses Projekt mit den Kläranlagen, da will ich meinen Beitrag leisten. Ein Ziel ist auch noch, Fast Food gesünder zu machen. Ich habe zum Bei-spiel für Mövenpick ein Hamburgerbröt-chen entwickelt. Es enthält 20 Prozent Dinkelvollkornmehl, Weizenkeim, Rapsöl und Honig, aber keine E-Num-mern. Ich bin stolz auf meine Erfi ndung, und Mövenpick hat Erfolg damit. So gibt es immer Projekte, die mir Freude machen.

«Lass dir von niemandem deinen Traum nehmen», ist eines Ihrer Lebensmottos. Was für Träume hat der 64-jährige Fredy Hiestand noch?Ich habe ja auch wieder einen neuen Gip-fel kreiert, der wahrscheinlich besser ist als die andern auf dem Markt. Aber ich kann ja nicht der «Obergipfelikönig» werden. Ich gehe jetzt den Weg vom Gip-felikönig zum Brotpapst. Auf dem blei-ben, was ich habe, will ich nicht, denn ich

habe viele junge Mitarbeitende, die auch noch zeigen wollen, was sie können, und Erfolgserlebnisse suchen. Ich setze mich für gesundes Brot ein und möchte mög-lichst viel davon produzieren.

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«Kontaktperson»

GALERIE

Bild aus der

Ausstellung

«Stecker, Kabel,

Interface»

von Fritz Franz

Vogel

Galerie EB ZürichSeptember bis November 2007Bildungszentrum für Erwachsene BiZE, Riesbachstr. 11im Zürcher Seefeld

Vormerken Vernissage: Donnerstag, 27.September 2007, ab 18.00 Uhr

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Franz FühmannDie dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel

LesenRegnerisch. Alle Spiele sind ausgespielt, es herrscht «regel-recht ekelerregendes Regen-wetter»: Die Geschichte vom dienstfertigen Geist Küslübür-tün, der fünf ausgefuchste Kids in die Welt der Sprache ent-führt, ist ein Klassiker der Kin-derbuchliteratur. Als «Sprach-buch voll Spielsachen» und «Spielbuch in Sachen Sprache» präsentiert sich dieses Buch, das zugleich ein «Sachbuch der Sprachspiele» ist. Die Reise geht durch Laute und Schrift-zeichen, Formen und Bedeu-tungen, durch Textsorten des Alltags und der Literatur, bis zurück zu den Anfängen von Sprache. So anspruchsvoll der Stoff ist, so vergnüglich kommt die Sache daher.

HörenKomisch. Was tun an einem reg-nerischen Sonntag? Das Leben ist kurz, die Kunst ist lang. Da-rum wähle man aus der ele-ganten Kartonbox mit der Ge-samtausgabe Ton des Kabaret-tisten Karl Valentin eine der 8 CDs mit Aufnahmen von 1928 bis 1947 aus und schiebe sie in den CD-Player. Karl Valentin war keineswegs nur ein neuro-tischer Querdenker, Spassma-cher und Wortverdreher. Er beobachtete scharf, bildete prä-zis ab, und hörte genau hin. Sein Werk «simpelt» die unmit-telbare Lebenserfahrungen der einfachen Leute aus seiner Ge-neration. Mit seiner Sprache lässt er Szenen und Ereignisse stattfi nden. Ein Hochgenuss eines genialen Volkskünstlers.

Karl ValentinCD Box

SehenMagisch. Einen Film von Stan-ley Kubrick gesehen haben schon viele; sie waren vielleicht verwirrt von «2001: A Space Odyssey», geschockt von «Shi-ning» oder erschüttert von «Full Metal Jacket» – ganz si-cher aber fasziniert. Der New Yorker Regisseur, der in seinem Leben nur rund ein Dutzend Werke gedreht hat und sich pro Film bis zu sieben Jahre Zeit liess, drückte vielen fi lmischen Genres seinen Stempel auf. Die-se DVD-Kollektion lässt zwar frühe Schwarzweiss-Filme ver-missen, vereint aber sieben Meisterwerke und reicht zwei-fellos, um Kubrick-Einsteiger süchtig zu machen. Ein Muss für Filmliebhaber, aber nichts für zarte Gemüter.

Stanley KubrickDVD Collection

Kursleitende und Mitarbeitende der EB Zürich geben Tipps zu interessanten Büchern, CDs und Videos.

KULTUR

Karsten StützKursleiter Deutsch

Regula MichelKursleiterin InformatikLernfoyer

Nikolaus StähelinBereichsleiter Persönlichkeit und Management

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EB ZürichKantonale Berufsschule für WeiterbildungBildungszentrum für Erwachsene BiZERiesbachstrasse 118090 ZürichTelefon 0842 843 844

e

Weiterbildung – wie ich sie will

www.eb-zuerich.ch – [email protected]