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XIX. Kleinere Mittheilungen. 231 Ein Beitrag zur searlatin~sen Otitis media. Yon Dr. Voss in Riga, Der leider so frUh verstorbene Burckhardt-Merian legte 1880 in der Arbeit tiber das Seharlaeh in seinen Beziehungen zum Geh~rorgan 1) die Differenz dar, welche in den Ansiehten, speciell der Prognosenstellung bei .den searldtinSsen Otitiden zwischen den Kinderarzten und den Otiatern herrsehte. Wurde in den Hand- und Lehrbtichern der Kinderheilkunde dieser Oti- tiden tlberhaupt gedacht, so geschah es nur mit wenigen Worten, welehQ das Vorkommen derselben angaben. DiePrognosa wurde, wenn berUhrt, glinstig gestellt. Die aindringliche Mahnung B u r a k- hardt-Mei'ian's, diese Complication nicht thatenlos als zum Scharlaeh gehiJrig zu betrachten, ist nicht umsonst gewesen (das beweisen die Statistikan der Otiatar), doch ist die oben bertihrte Differenz wohl gemildert, aber im Grunde dieselbe geblieben. Die Otitiden werden van den Piidiatern zwar eingehender als frtiher gesehildert, die Pl:ognose wird aber auch jetzt yon ihnen gtinstiger gestellt, als yon den Ohren~rzten, wit branchen nur auf jedem Gebiet oinen der bedeutenderen Repr~isentanten heraus- zugreifen, um diesen Untersehied zu illustriren~ z.B. Politzer und Henoch. Erstarer behandelt in einem gesonderten Kapitel die Eigenhaitan dar searlatin~sen Otitis media, gleich im Anfang betonend, dass sich hier sehr oi75 die schwersten Formen dar acuten eitrigen Mittelohrentztindung entwickeln. Der leiehteren Formen wird an dieser Stella iiberhaupt nicht gedaeht, doch finder sieh in der Aetiologie an varsch{edenen anderen Orten h~iufig genug auch Scarlatina angegeben. Hen o e h ftihrt die Perforationan des Trommelfells an und sagt w~rtliah yon ihnen: ,, .... , tiber walehe man sieh nicht allzu sehr beunruhigan darf. Der gr~ssta Theil derselben pflegt nnter einer einfachen Behandlung binnen wenigen Woehen wieder zu ver- narben und fast nie eine merkliche GehSrsst~rung zu hinter- lassen". Aach Henoch kennt die ganz schweren und stiirmisch verlaufenden Otitiden, hat dieselben jadoch wait seltener gesehen, als den oben yon ihm gesehildertan Varlauf. Einen ~ihnliehen 1) Volkmann's Sammlung klin. Vortr~ge. Nr. 182.

Ein Beitrag zur scarlatinösen Otitis media

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Page 1: Ein Beitrag zur scarlatinösen Otitis media

XIX. Kleinere Mittheilungen. 231

Ein B e i t r a g zur s e a r l a t i n ~ s e n O t i t i s med ia .

Yon

Dr. Voss in Riga,

Der leider so frUh verstorbene B u r c k h a r d t - M e r i a n legte 1880 in der Arbeit tiber das Seharlaeh in seinen Beziehungen zum Geh~rorgan 1) die Differenz dar, welche in den Ansiehten, speciell der Prognosenstellung bei .den searldtinSsen Otitiden zwischen den Kinderarzten und den Otiatern herrsehte. Wurde in den Hand- und Lehrbtichern der Kinderheilkunde dieser Oti- tiden tlberhaupt gedacht, so geschah es nur mit wenigen Worten, welehQ das Vorkommen derselben angaben. DiePrognosa wurde, wenn berUhrt, glinstig gestellt. Die aindringliche Mahnung B u r a k- h a r d t - M e i ' i a n ' s , diese Complication nicht thatenlos als zum Scharlaeh gehiJrig zu betrachten, ist nicht umsonst gewesen (das beweisen die Statistikan der Otiatar), doch ist die oben bertihrte Differenz wohl gemildert, aber im Grunde dieselbe geblieben. Die Otitiden werden van den Piidiatern zwar eingehender als frtiher gesehildert, die Pl:ognose wird aber auch jetzt yon ihnen gtinstiger gestellt, als yon den Ohren~rzten, wit branchen nur auf jedem Gebiet oinen der bedeutenderen Repr~isentanten heraus- zugreifen, um diesen Untersehied zu illustriren~ z.B. P o l i t z e r und Henoch . Erstarer behandelt in einem gesonderten Kapitel die Eigenhaitan dar searlatin~sen Otitis media, gleich im Anfang betonend, dass sich hier sehr oi75 die schwersten Formen dar acuten eitrigen Mittelohrentztindung entwickeln. Der leiehteren Formen wird an dieser Stella iiberhaupt nicht gedaeht, doch finder sieh in der Aetiologie an varsch{edenen anderen Orten h~iufig genug auch Scarlatina angegeben.

Hen o e h ftihrt die Perforationan des Trommelfells an und sagt w~rtliah yon ihnen: ,, . . . . , tiber walehe man sieh nicht allzu sehr beunruhigan darf. Der gr~ssta Theil derselben pflegt nnter einer einfachen Behandlung binnen wenigen Woehen wieder zu ver- narben und fast nie eine merkliche GehSrsst~rung zu hinter- lassen". Aach H e n o c h kennt die ganz schweren und stiirmisch verlaufenden Otitiden, hat dieselben jadoch wait seltener gesehen, als den oben yon ihm gesehildertan Varlauf. Einen ~ihnliehen

1) Volkmann's Sammlung klin. Vortr~ge. Nr. 182.

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232 xIx. KIeinere Mittheihngen.

gtinstigen Ausspruch S p e n e e r ' s ftihrte B u r e k h a r d t - M e r i a n auf die Behandlung zurtick, indem er sagte, dass das Ausbleiben einer passenden Behandlung das ausmache, was haapts~ichlieh dis Prognose trtibe.

Wenn auch ohne Weiteres einger~iumt werden muss, dass eine sofort eingeleitete sorgfaltige Behandlung dis Mittelohr- entztindungen beim Scharlach in einer grossen Zahl yon F~llen sehr gUnstig beeinflusst, so wird doch Jeder, der trotz einer solchen nnd wiihrend derselben das rapide Schmelzen des Trom- melfells selbst zu beobachten Gelegenheit gehabt hat, zugestehan mtissen, dass die Behandlung allein das Ausschlaggebende nieht ist. Die Meinungsverschiedenheit liesse sich vietleieht ausgleichen, wenn wir annchmen, dass zum griissten Theil die sehweran und vernaehlassigten Formen in die Behandlung yon Spedalisten kommen, w~ihrend ein grosser, wenn nicht der griisste Theil der leichteren t~ntztindungen in den H~nden der Haus- und Kinder- iirzte bleibt find bier auch ausheilt. BerUcksichtigen wir die.ver- naehl~issigten, resp. ganz unbehandelten F~ille nicht weiter~ so sind wir allardings gezwungen, versehicden schware Grade der Infection ftir den noch bleibenden Rest anzunehmcn, ich glaube, dass wir dazu aueh v~illig berechtigt sind, wenn wir dis Zeit des Auftretens und den klinischen Verlauf dieser Otitiden 'bertick- sichtigen. Allein nut letztcren in Betracht zu ziehen, wie Burck- h a r d t - M e r i a n es thut, and alle jane schweren Mittalohrent- zUndungen auf Diphtheritis zurtickzufUhren, haltc ich ftir nnbe- rechtigt, weil ich sicher solche zu bcobachten geglaubt babe, wo die genaueste Inspection niamals Diphtheria nachweisen konnte, auch nicht bei den andaren erkrankten Gliedern derselben Familie. Berticksichtigen wit jedoch ausser dem Varlaufe, wie gesagt, noch die Zeit des Auftretens, so ergeben sich sofort zwei ziemlieh seharf gesehiadcne Gruppen: Die auf der HShe der Scarlatina auftretenden 0titiden haben cinen viel schwereren Verlauf, als die sp~t, erst in der 3., 4. Woche einsctzenden Formen. Die auf der Hiihe des Exanthems oder der c0mplieirenden Diphtheria hereinbrechenden Mittelohrentztindungen entsprechen den Schil- derungen, welche die Hand- und Lehrblicher der Ohrenheilkunde vonde r scarlatinSsen Otitis entwerfen. Hier ist ein leichtar Ver- lauf mit kleiner Perforation das seltenere Vorkommniss, de r Ver- lust eines grSsseren Theiles der Membran, langdauernde Eitarung, mit ihren delet~ren Folgen ftir das Geh~ir die Regel, wfihrend bei den Sp~tformen es sich gerade umgekehrt verhalt, und zwar

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XIX. Kleinere Mittheiluagen. 233

tritt dieser gUnstige Ausgang bei den letzteren auf, obgleieh die Behan.dlung bei ihnen, wie H e n o c h sich ausdrtickt, eine ein- ti~ehe ist. Ohne Behandlung kann es nattirlieh aueh hier zu chronischcr Eiterung mit ihren Folgcn kommen.

Unter diesen Sp~fformen mSchte ich auf eine speeiell auf- merksam machen, welche mit der Scarlatina eigentlieh nicht, oder nut mittelbar imZusammenhange stel~t, dagege n in directer Abhangigkeit yon der ~ephritis. Der letztere Zusammenhang ist ein so inniger, dass im typischen Falle sich tier Verlauf der Ne- phritis aus dem Gange der Otitis ablesen li~sst. Mit der Ver- ringerung der Harnsecretion und dem begleitcnden Fieber, manch- mal auch denselben ganz kurz vorausgehend und sic auf diese Weise anktindigend, tritt Sehwerh(irigkeit mit Sehmerz in einem oder beiden Ohren auf. Letzter~r wird yon den Kindern haufig gar nieht loealisirt, sondern aussert sieh in Unruhe, Schreien und Sehlaflosiglieit. Die Inspection e.rgiebt leieht ger(ithete Rachcn- sehleimhaut, l~yperamie der Trommelh(ihle, an welcher das Trom- melfell wenig oder gar nicht sich betheiligt, und kein Exsudat. In leichteren Fallen genUgt bier die Luftdouehe nach P o l i t z e r und das Eintraufeln yon ein paar Tropfen einer einprocentigen Cocainl(Isung, um alle Ersehcinungen zum Schwinden zu bringen. Das ist abet dann stets ein Zeiehen, dass die Harnsecretion nur vorlibergehend ins Stocken gerathen ist. Manchmal habe ich 4--5mal dieses Spiel sich wicderholen sehen, mit Pausen yon ein paar Tagen, ohne .dass es zur Exsudation in die Trommel- hShle kam. Dabei sank die Harnmenge jedesmal yon circa 600 Ccm. auf 200--250; die Faxbe veranderte sieh von Hell- braunroth in Braunschwarz, Albumin und Cylinder stiegen im Verhiiltniss. Bleibt jedoch yon vornherein die Harnmenge langere Zeit sehr goring, so tritt ganz rasch .Exsudation, Rifthung und Schwcllung des Trommelfells, Perforation desselben und ein an- fangs seriiser, dann seropurnlenter Ausfluss ein. Nach Entlastung der Paukenh(ihle schwillt die Schleimhaut derselben schnell ab, das Trommeli~ll verliert seine RSthe, zeigt auf seiner grauen, glanzlosen Flache eine seharf beffrenztc Perforation von hSchstens Steeknadelkopfgriisse. Die anfangs sehr reichli¢he Secretion wird geringer, dauert aber an~ und jetzt ist in ihr zuweilen ein directer Gradmesscr ftir die Albuminurie voi'handen. Wird erstere sp~tr- lieh, so erweist .die Harnuntersuehung Abnahme des Albumins und gestiegene Harnmenge, und umgekehrt. Die Zunahme der Secretion, parallel dem steigenden Albumingehalt des Hams und

Archly fl Ohrenhoilkunde, XXVL Bd. 16

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234 xIx. Kleinere Mittheilungen.

umgekehrt proportional der Harnmenge, ist das mehr in die Augen Fallende. Schwindet die Albuminurie rasch, so tiberdauert die Otitis sic gewtihnlich, aber nieht lange, etwa um 1--2 Wochen. Das Gehtir kehrt zur Norm zurtick. Zieht sieh die Albuminurie in die Li~nge, so kann die Otitis zuerst ausheilen. In einem soichen Falte creignete sich jedoch Folgendes: Bet ether circa 9 Woehen im Ganze~ dauernden Nephritis uud Scarlatina war das Albumin in den letzten 6 Wochen nut in geringer, sieh ziem- Itch gleieh bleibender Menge nachweisbar bet reiehlicher Harn- secretion. Oedeme sind nie aufgetreten. Die in der ersten Woche der Nephritis auftreteade Paukcnhyperi~mie war auf 5 Tage ge- sehwunden, trat bet erneuerter Harnverminderung wieder auf, um rasch zu beiderseitiger Perforation mit reichlicher seropurulenter Secretion zu flibren. Am Sch[uss der 3. Woche war die Per- rotation des cinch, am Schlusse der 5. Woche die des andcren Ohres vernarbt. Erstere blieb yon jetzt ab ganz geschlossen, letztere abcr nut auf eine Woche, dann trat plStzlich profuse Secretion auf circa 12 Stunden ein. Die He l l e r ' s che Probe er- gab mehr als die doppelte Albuminmenge. Als ieh das Ohr nach weiteren 12 Stundcn zu inspiciren hatte, war dis Perforation geschlossen (und blieb es auch dauernd), kein Exsudat in der Pauke, keine Injection des Trommelf~lls. Das Albumin ver- schwand kurze Zeit darauf vollstiindig aus dem Harn. Das Ge- htir hat sieh rasch ad imegl~um restituirt.

NatUrlich sind nicht in jedem Falle die Schwankungen so stark ausgesprochen, ebenso kommen auch ohne Nephritis dutch einfache TubenschwelIung vortibergehende Gehi~rsttirungen vor. Erst das Zusammentreffen der ]Nephritis mit dieser berechtigt uns an einen Zusammenhang zu denken. Als vermittelndes Glied ist wohl in den meisten Fallen eine Steigerung dcr sehon vorhandenen Hyperamie der Rachenschleimhaut nachzuweisen. Sic tritt so gleichzeitig mit den Erscheinungen im Ohr auf, dass man letztere ftir nieht yon ihr tbrtgeleitet~ sondern beide ftir gleichzeitig durch die Nephritis verursacht ansehen ktinnte. Bedenkt man jcdocb, wie rasch die Fortleilung ether gewtihnlichen aeuten Mittelohr- entziindung vom Rachen aus zu Stande kommf, so wird man auch ftir obige F~ille denselben Weg nicht in Abrede stellen wollen, nut mit dem Unterschiede, dass dort ftir beide noeh sine Grundursache in der Nephritis gcgeben ist~ worauf e s mir der Behandlung wegen ankam.

Wie hiiufig diese Variet~tt bet der Scharlachnephritis vor-

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X I X , K l e i n e r e M i t t h e i l u n g e n . 235

kommt und einen wie grossen Proeentsatz sie unter den Otitiden bei Scharlach tiberh'aupt einnimmt~ dartlber wage ich keine An- gabe zu maehen, da mein Beobaehtungsmaterial ein zu kleines ist.. Die P. rognose seheint eine gute zu sein, vorausgesetzt aller- dings, dass die Behandlung sich sowohl gegen die Rephritis als auch gegen das Ohrenleiden richter. Die letztere ist so einfach wie mttglich z u gestalten, damit sie yon den Angeh~rigen selbst ausgeftihrt werden kann. Naeh ein~etretener Pertbration g'entigen AusspUlungen des Ohres mit sterilisirten Kochsalz- oder ganz sehwachen Borsaureltisungen, Austrocknung mit hygroskopischer Watte bei Luftdouche und Occlusion mit Wattetampon, weleher nach Bedtirfniss zu wechseln ist. Wenn sich in seltenen F~tllen hierbei der Verschluss der Perforation auch bis in die 6. Woche hinzog, so glaube ich, dass das ~,eniger yon der Einfachheit der Ohrenbehandlung, als yon dem Fortbestehen der Nephritis ab- h~tngig war. Cessirt diese, so heilt auch das Ohr noch aus.

B e r i e h t t iber d i e in d e r Z e i t vom 1. J a n u a r 1887 b is 31. M~trz 1888 in de r P o t i k l i n i k fiir O h r e n k r a n k h e i t e n

zu G t i t t i n g e n b e o b a c h t e t e n K r a n k h e i t s f M l e .

Von

Prof. Dr. K. BUrkner.

Der Zeitraum des Berichts umi~sst diesmal, da klin'ftighin der Abschluss der poliklinischcn Th~ttigkeit mit dem Etatsjahr bewerkstdligt werden soll~ 5 Vierteljahre. Innerhalb derselben wurden an 1428 Personen mit 1735 verschiedenen Krankheits- ibrmen 12388 Consultationen ertheilt.

Es wurden 1301 Kranke in regelm~tssige Behandlung ge- nommen, 127.naCh tin- oder mehrmaliger Untersuehung als un- heilbar oder aus anderen Grtinden abgewiesen.

G e h e i l t w u r d e n . . . . . . . . . . 733 P a t . ~ 51~4 Proo . G e b e s s e r t . . . . . . . . . . . 170 ~ ~ 12,2 U n g e h e i l t b l i e b e n . . . . . . . . . 23 ~ ~ i~8 A b g e w i e s c a w u r d e n . . . . . . . . 127 * ~ 8 ,9 V o r b e c n d i g t e r C u r b l i e b e n a u s . . . . 245 ~ ~ 16~5 I n B e h a n d l u n g v e r b l i e b e n . . . . . . 126 ~ ~ 8~9 -- G e s t o r b e n s i n d . . . . . . . . . . 4 ~ ~ 0 ,3

1 4 2 8 P a t . --~ 100 ,0 P r o e .

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