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Ein Elefant im Wohnzimmer DOKUMENTATION #04_2008/CHF 6.— Jährlicher Verlust der Entwicklungsländer 245 Mia. $ STEUEROASEN

Ein Elefant im Wohnzimmer_04_2008

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EvB-Dokumentation «Ein Elefant im Wohnzimmer» 04_2008 / November 2008

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Ein Elefantim Wohnzimmer

DOKUMENTATION# 04_2008/CHF 6.—

Jährlicher Verlustder Entwicklungsländer 245 Mia. $

STEUEROASEN

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Dokumentation «Ein Elefant im Wohnzimmer: Die Entwicklungsländer verlieren durch Steueroasen245 Milliarden Dollar jährlich» 04/2008 November Auflage 23500 HERAUSGEBERIN Erklärungvon Bern (EvB), Dienerstrasse 12, Postfach, 8026 Zürich, Telefon 044 277 70 00, Fax 044 277 70 01,[email protected], www.evb.ch TEXTE Andreas Missbach, Anne-Kathrin Glatz REDAKTION SusanneRudolf GESTALTUNG c.p.a. Clerici Partner AG, Zürich DRUCK ROPRESS Genossenschaft, Zürich.Gedruckt mit Biofarben auf Cyclus Offset, 100% Altpapier.Das EvB-Magazin inkl. Dokumentation erscheint 5- bis 6-mal jährlich.

EvB-Mitgliederbeitrag: Fr. 60.– pro Kalenderjahr. Spendenkonto: 80-8885-4

4_ Entwicklung durch Steuern: Ein vernachlässigter Ansatz

11_ Fehlgesteuert: Entwicklung durch «Steuerkonkurrenz»

13_ M-Budget: Wie Multis Steuern sparen

17_ Steuerfluchtgelder und die Schweiz: Ach wie gut, dass niemand weiss . . .

25_ Steuern auf der internationalen Agenda: Einen Schritt vor, zwei zurück

28_ In Steuerfragen ist die Schweiz ein Bremsklotz

31_ Argumentarium

34_ Forderungen der EvB und des internationalen Netzwerks Steuergerechtigkeit

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Was man mit 245 Milliarden Dollar – die jährlichen Ver

TOTAL: 245 MIA.$

Zum Bildkonzept_Orte der Steuerflucht sind keine Oasen und sonnigen Inseln, sondern banale Briefkästen, Faxnummern und Alibi-Räume. Attac Deutschland und das Planungsbüro Stadtblind bereiten eine Wanderausstellung zu Steueroasen und Offshore-Zentren in Europa vor. In dieser Publikation greifen wir auf Bilder der Ausstellung zurück.

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EDITORIAL

«An elephant in the living room» ist eine englische Redewendung füretwas Offensichtliches, das aber dennoch ignoriert wird. Ein solcherElefant ist die bislang vernachlässigte Bedeutung von Steuern in der Ent-wicklungsfinanzierung.

Während Themen wie Handel, Entschuldung oder die Erhöhung derEntwicklungshilfe Legionen von Regierungsbeamtinnen und Aktivistengleichermassen beschäftigen, fristeten Steuerflucht und Steueroasen bisvor Kurzem ein Schattendasein. Erst das von der Erklärung von Bern (EvB)mit gegründete internationale Netzwerk Steuergerechtigkeit (Tax JusticeNetwork, tjn) hat den Elefanten ins rechte Licht gerückt. Nur mit einemeffektiven und gerechten Steuersystem und der Schliessung von Steuer-oasen können die Uno-Entwicklungsziele bis 2015 erreicht werden.

Entwicklungsländern entgehen durch Steueroasen jedes Jahr 245 Mil-liarden Dollar an Einnahmen – Geld, das dringend für Armutsbekämp-fung und Entwicklung gebraucht würde. Die Schweiz steht dabei in einerbesonderen Verantwortung. Indem sie Steuerflucht ermöglicht, schädigtsie die Entwicklungsländer direkt. Sie blockiert jeden Schritt in Richtungvermehrter Zusammenarbeit in Steuerfragen. Im Zeitalter der multinatio-nalen Konzerne, der globalen Finanzströme und der grenzüberschreiten-den Vermögensverwaltung kann aber kein Land seine Steuergesetze ohneInformationen aus anderen Ländern durchsetzen.

Nicht zuletzt dank der Hartnäckigkeit des internationalen NetzwerksSteuergerechtigkeit ist die Steuerflucht nun auf der Agenda einer Uno-Konferenz über Entwicklungsfinanzierung. Die Schweiz muss endlichmithelfen, die Milliardenlöcher zu stopfen. Nur so werden die Entwick-lungsländer genug Steuern einnehmen, um Bildung und Gesundheits-versorgung, Sozialprogramme und Umweltschutz zu finanzieren.

Andreas Missbach, Anne-Kathrin Glatz

Ein Elefantim Wohnzimmer. . .

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luste der Entwicklungsländer durch Steueroasen – so

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Um die Uno-Entwicklungsziele zu erreichen,braucht es nicht nur mehr Entwicklungshilfe,sondern auch höhere Steuereinnahmen in denEntwicklungsländern1 selbst. Das geht nur,wenn der Mittelabfluss in Steueroasen ge-stoppt wird.

Die Staatengemeinschaft hat sich ambitio-nierte Ziele gesetzt. Bis zum Jahr 2015will sie mit den «Millennium Develop-ment Goals» (MDG) die Armut in der Welthalbieren und in vielen wichtigen Berei-chen der sozialen Entwicklung wie Bil-dung, Gesundheit und Ernährungssiche-rung messbare Fortschritte erzielen. Dafürbraucht es viel Geld. Die Uno schätzt, dassdie Entwicklungshilfe bis 2015 auf 195Milliarden Dollar fast verdoppelt werden

muss, um die Millenniumsziele zu errei-chen. Während diese Zahl in der öffent-lichen Debatte immer wieder erwähntwird, ist kaum bekannt, dass der Betrag al-leine nicht reichen wird.

Die Staatseinnahmen der Entwick-lungsländer müssen drastisch wachsen,damit sie selbst in die soziale Entwick-lung investieren können. Aber schon nurum eine Verdoppelung der Ausgaben fürArmutsbekämpfung, Bildung oder das Ge-sundheitswesen bewerkstelligen zu kön-nen, würden sich in den ärmsten Länderndie Staatsausgaben um 4 Prozent – gemes-sen an der gesamten Wirtschaftsleistung –erhöhen.

Zwar kann ein Teil der nötigen Ausga-ben durch veränderte Budgetprioritäten,zum Beispiel geringere Militärausgaben,finanziert werden, dennoch brauchen dieEntwicklungsländer Mehreinnahmen. Indiesem Zusammenhang muss das Stich-wort Steuern fallen.

ENTWICKLUNG DURCH STEUERN:

Ein vernachlässigterAnsatz

alles finanzieren könnte (jährliche Ausgaben in Milliar

TOTAL: 245 MIA.$

1 Der Begriff Entwicklungsländer ist kontrovers, weil er einen eindeu-tigen Entwicklungsbegriff unterstellt. Mangels überzeugender Al-ternativen und weil der Ausdruck Developing Countries in der inter-nationalen Debatte überwiegt, wird er hier dennoch verwendet.

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Steuern sind ein übliches Mittel fürStaaten, ihre Ausgaben zu finanzieren,aber Entwicklungsländer offenbaren indiesem Bereich noch grosses Potenzial.Während ein Industrieland wie Deutsch-land fast 90 Prozent der Staatseinnahmenaus Steuern bezieht, sind es in Uganda le-diglich knapp 30 Prozent. Zudem gehendie Zolleinnahmen, welche Entwicklungs-ländern traditionellerweise den grösstenTeil der Einnahmen brachten, durch dieLiberalisierung des Handels unweigerlichzurück, soweit sie nicht schon weggefallensind.

Steuereinnahmen schwanken zudemweniger stark und sind eine verlässliche-re Geldquelle als Entwicklungshilfegel-der. Damit können Entwicklungsländerautonomer werden und sich von den oftstrengen Bedingungen und Auflagen derGeber befreien.

Angesichts dieser einfachen Tatsa-chen erstaunt es, dass das Thema Steuernin der Entwicklungsdiskussion ein Schat-tendasein fristet. Es gibt kaum verlässli-che Statistiken und vergleichende Stu-dien. Bislang wurde weder untersucht,welchen Anforderungen ein Steuersystementsprechen soll, noch welche Schädendurch Steueroasen verursacht werden.Erst in den letzten Jahren wurde, dankdem von der EvB mit gegründeten inter-nationalen Netzwerk Steuergerechtigkeit(Tax Justice Network, tjn), das Thema voneinigen Entwicklungsorganisationen undWissenschaftern aufgegriffen. Dieser Arti-kel gibt einen Überblick über ihren Standdes Wissens und ihre Debatte.

Steuern als EinnahmequelleEntwicklungsländer haben geringe

Steuereinnahmen. Durchschnittlich be-tragen die Steuereinnahmen, gemessen ander Wirtschaftsleistung (Bruttonational-produkt, BNP), weniger als die Hälfte desNiveaus der Industrieländer. In armenLändern wie Bangladesch, Guinea, Mada-gaskar, Nepal oder Yemen machen dieStaatseinnahmen nur etwa 10 Prozent desBNP aus. Der Durchschnitt der armenLänder liegt bei 17 Prozent. Entwick-lungsländer mit mittlerem Einkommenerreichen 22 Prozent und solche mit ho-hem Einkommen 27 Prozent. Bei den In-dustrieländern der OECD (Organisationfor Economic Cooperation and Develop-ment) beträgt er hingegen 32 Prozent.

Es herrscht unter Entwicklungsexper-tinnen und -experten weitgehend Einig-keit, dass die Armut am besten reduziertwerden kann, wenn Staatsausgaben ge-zielt auf die Bedürfnisse der Armen ab-zielen. Die Höhe der verfügbaren Mittelfür direkte Transfers, Bildungsprogramme,Gesundheitsposten und Spitäler sowie dieFörderung der Subsistenzlandwirtschaftund der städtischen Produktion ist zen-tral. Für Armutsbekämpfung und Entwick-lungsprogramme braucht es Geld. Eine er-folgreiche Entwicklung hängt aber genausovon einem funktionierenden Staatsapparatab, der über genügend stabile Mittel ver-fügt, um sich den zunehmend komple-xen Aufgaben stellen zu können. Die vonder Weltbank eingesetzte Kommission fürWachstum und Entwicklung hat in einemBericht 2008 diese Tatsache anerkannt

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den US-Dollar): // Impfungen und Präven-

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und eine dringend nötige Korrektur dervorherrschenden marktfundamentalisti-schen Glaubenssätze eingeleitet. Der Staatist somit wieder zurück in der Entwick-lungsdiskussion: «Nur weil Regierungenmanchmal Fehler machen oder sprunghafthandeln, bedeutet dies nicht, dass man sieabschreiben sollte. Im Gegenteil: Wenn dieWirtschaft wächst und sich entwickelt,haben aktive und pragmatische Regierun-gen eine wichtige Rolle zu spielen.» Damit,und das macht der Bericht auch klar, sindwachsende Steuereinnahmen unerlässlich.

Der Wegfall von Zöllen als EinnahmequelleSteuereinnahmen sind umso dringen-

der, als Zölle als Einnahmequelle durchdie Liberalisierung des Handels im Rah-men der Welthandelsorganisation WTOimmer weiter reduziert werden. Schonjetzt hat der Wegfall der Zölle zu Einnah-meverlusten geführt, die nicht kompen-siert werden konnten. Eine Studie desInternationalen Währungsfonds IWF, die

den Zeitraum von 1975 bis 2000 abdeckt,zeigt, dass für jeden Franken Einnahme-verlust durch Zollsenkungen lediglich 28bis 49 Rappen mit neuen Steuereinnah-men ersetzt werden konnten. Mit anderenWorten: Die Entwicklungsländer verloren50 bis 70 Prozent ihrer früheren Zollein-nahmen, und die Verluste waren umsogrösser, je ärmer die Länder waren. Fürviele Länder sind Zölle trotz der bisheri-gen Handelsliberalisierung immer nocheine sehr bedeutende Einnahmequelle(siehe Tabelle oben). Ihr Wegfall bis 2015könnte in vielen Ländern einen Grossteilder versprochenen Erhöhung der Ent-wicklungshilfe wegfressen. Eine deutli-che Erhöhung der Steuereinnahmen istalso allein deswegen dringend nötig.

Umverteilung mittels Steuern?Steuern haben nicht nur die Funktion,

dem Staat Einnahmen zu verschaffen, siesind auch ein wichtiges Mittel, um sozia-le Ungleichheit zu reduzieren. So sind

tivmedizin für 500 Millionen Kinder +

+12,5 = 12,5 MIA.$

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2006

Land Prozentualer Anteil des Staatseinkommens Total TotalDirekte Sozialver- Indirekte Zölle Andere Andere Einnahmen Steuerein-Steuern sicherungs- Steuern Steuern Einnahmen in % nahmen in %

beiträge des BNP des BNP

Burundi 22 8 45 16 2 7 13,7 12,7Elfenbein-küste 20 6 17 50 3 4 21,6 20,7Indien 27 0 27 22 0 25 11,6 8,7Nepal 13 0 37 28 4 16 10,6 8,9Sierra Leone 17 0 33 46 0 3 10,2 9,9Vietnam 22 0 33 22 10 14 18,2 15,7Industrie-länder (OECD) 31 22 28 – 6 13 41,5 37,8

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beispielsweise die Einkommen in Schwe-den und den USA vor Steuerabzug undSozialleistungen sehr ungleich verteilt. InSchweden wird jedoch fast die Hälfte derursprünglichen Ungleichheit durch Steu-ern korrigiert, so dass das Land zu den Industrieländern mit der geringsten Un-gleichheit gehört, während die USA dasIndustrieland mit den grössten Unter-schieden zwischen Arm und Reich blei-ben. In der Schweiz sind die Unterschiedenach Steuern im Übrigen nur wenig gerin-ger als in den USA.

In den USA war die Ungleichheitnicht immer so gross. Mitte der 1950er-Jahre war das Realeinkommen des reichs-ten Prozentes der Bevölkerung (nach Steu-ern) um 20 bis 30 Prozent niedriger alseine Generation zuvor. Bei den reichsten0,1 Prozent hatte sich das Realeinkommensogar mehr als halbiert. Wie das? DurchSteuern: Der Spitzensteuersatz auf Ein-kommen in den USA lag bei 91 Prozent,der Erbschaftssteuersatz bei 77 Prozentund die Bundessteuer auf Unternehmens-gewinne betrug 45 Prozent. Erst diese Um-verteilung durch Steuern hat die Mittel-schichtgesellschaft der USA in der Nach-kriegszeit geschaffen.

Auch in diesem Bereich haben dieEntwicklungsländer ein grosses Potenzi-al. Viele Entwicklungsländer sind extremungleich, und im Vergleich zu den reiche-ren Ländern wird bei ärmeren Ländernwenig durch Steuern umverteilt.

Die Gründe dafür liegen nicht zuletztim Steuersystem selbst. In ärmeren Län-dern betragen die direkten Steuern, das

heisst die Besteuerung von Einkommen,Vermögen und Unternehmensgewinnendurchschnittlich nur 16 Prozent der Staats-einnahmen, 32 Prozent stammen aus indi-rekten Steuern auf Gütern und Dienstleis-tungen (vor allem Mehrwertsteuern). Inden reichen Ländern stammen 28 Prozentaus direkten und 25 Prozent aus indirek-ten Steuern sowie 26 Prozent von Sozial-versicherungsbeiträgen (siehe auch Tabel-le Seite 6).

Die Mehrwertsteuer wurde in vielenEntwicklungsländern auf Druck des IWFund der Weltbank eingeführt, nicht zu-letzt, um die wegfallenden Zolleinnah-men zu kompensieren. Da indirekte Steu-ern regressiv sind, sinkt die prozentualeBelastung des Steuerzahlers bei zuneh-mendem Einkommen. Umgekehrt steigtdie Belastung der Armen. Da sie ihr gan-zes Einkommen für Konsumgüter ausge-ben müssen, bezahlen sie, relativ gesehen,mehr Steuern als Reiche. Indirekte Steu-ern führen also zu mehr Ungleichheit. InBrasilien beispielsweise wird geschätzt,dass Familien mit niederem Einkommen26,5 Prozent des Einkommens für Mehr-wertsteuern brauchen, während dieserAnteil bei Familien mit hohem Einkom-men nur 7,3 Prozent beträgt. Wenn gleich-zeitig die direkten Steuern niedrig sind,oder die Reichen diese leicht umgehenkönnen, führt das Steuersystem insgesamtzu mehr Ungleichheit.

Vor allem in Entwicklungsländern mitmittlerem Einkommen könnte eine Umver-teilung viel zur Reduktion der Armut bei-tragen. Diese Gruppe umfasst knapp zwei

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12,5// Ausbildung, Ausrüstung und

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Drittel der Entwicklungsländer. 40 Pro-zent der Armen weltweit leben in Ländernmit mittlerem Einkommen. Chile beispiels-weise ist es durch Umverteilung gelun-gen, die Einkommensschere zwischen demreichsten und dem ärmsten Fünftel derGesellschaft von 20 :1 auf 10 :1 zu redu-zieren.

Armut könnte schliesslich beseitigtwerden, wenn sich die Umverteilung glo-bal organisieren liesse. Von 1960 bis 2000hat nämlich das reichste Fünftel der Welt-bevölkerung seinen Anteil am weltweitenEinkommen von 70 auf 85 Prozent gestei-gert, während das ärmste Fünftel von 2,3auf 1,1 Prozent abgerutscht ist. In den fünfJahren von 2002 bis 2007 hat sich das Ge-samtvermögen der Haushalte mit einemangelegten Vermögen von mehr als 5 Mil-lionen auf 20,9 Billionen Dollar mehr alsverdoppelt. Der Wissenschafter und Akti-vist Sony Kapoor hat berechnet, dass dieReduktion der Armut, die von 1981 bis2001 erreicht wurde, durch die Umvertei-lung von nur 0,12 Prozent des Einkom-mens der reichsten 10 Prozent der Weltbe-völkerung hätte finanziert werden können.

Die schwarzen Löcher der WeltwirtschaftDass die Steuereinnahmen in Ent-

wicklungsländern nicht höher sind, istzum Teil auf Schwächen im Steuersystemund in der Steuerverwaltung zurückzu-führen. Auch der grosse Anteil der infor-mellen Wirtschaft trägt dazu bei. Diewichtigsten Ursachen für die niedrigenSteuereinnahmen liegen aber ausserhalbder betroffenen Länder. Es sind dies:

• Steuerkonkurrenz und der weltweiteSteuerwettlauf;

• die Verschiebung von Unternehmens-gewinnen;

• die Steuerflucht der Reichen.

Ein weltweites Netz von Steueroasen undspezialisierten Finanzplätzen erleichtert Un-ternehmen und Einzelpersonen die Umge-hung ihrer Steuerpflicht. Das NetzwerkSteuergerechtigkeit zählt heute 72 Steuer-oasen. Die Hälfte davon hat sich erst seitden Siebzigerjahren des letzten Jahrhun-derts entwickelt.

Es wird geschätzt, dass ungefähr dieHälfte aller weltweit getätigten finanziel-len Transaktionen in der einen oder an-deren Form mit Steueroasen in Kontaktkommt. Ebenso wird ein grosser Teil desWelthandels über Steueroasen verbucht.

Die Eigenschaften von SteueroasenDie «klassischen» Steueroasen sind

Kleinstaaten und Inseln, welche sehr ge-ringe oder gar keine Unternehmenssteuernerheben, ein lasches Unternehmensrechtzur Förderung von Briefkastenfirmen ha-ben, ein striktes Bankgeheimnis kennenund keine Rechtshilfe leisten. Danebenhaben sich aber auch grössere Länder wieIrland, die Niederlande oder die Schweizauf einzelne Steueroasenfunktionen spe-zialisiert. Ebenso hat jedes grosse Banken-und Finanzzentrum Züge einer Steuer-oase. Alle Steueroasen sind hingegen vollins internationale Bankensystem einge-bunden. Keine Steueroase könnte ohneihre Verbindungen mit den grossen Ge-

Löhne von 3 Millionen Angestellten im Ge

+31,6 = 44,1 MIA.$

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schäftsbanken und ohne die Hilfe der eta-blierten Finanzplätze in Frankfurt, Lon-don, New York oder Zürich funktionieren.

Weil Intransparenz und lasche Regu-lierung zu den Kennzeichen von Steuer-oasen gehören, spielten sie auch bei deraktuellen Finanzkrise eine unrühmlicheRolle. Ein beträchtlicher Teil der derivati-ven Wertpapiere, welche die gigantischenVerluste verursachten, waren in Steuer-oasen ausgelagert und vor den Regu-lierungsbehörden versteckt. So ist es umsoweniger verständlich, dass die Schweiz

die Zweckgesellschaft, welche der UBSdie unverkäuflichen und wertlosen Papie-re abnehmen soll, in der Steueroase Cay-man Island angesiedelt hat.

Trübe StrömeGeheimhaltung gehört zum Wesens-

zweck von Steueroasen. Deshalb gibt eskeine genauen Zahlen über das Volumender Geldflüsse und der damit einherge-henden Steuerverluste. Der US-Wissen-schafter Raymond Baker stellt für das«schmutzige Geld», das jährlich durch

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esundheitswesen +31,6// Eine Million

Steueroase KleinvalsertalÖsterreich

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Steueroasen fliesst, folgende Schätzungauf (in Millionen US-Dollar), die auchvon der Weltbank offiziell verwendetwird:

Diese gemeinsame Auflistung von Gel-dern aus kriminellen Tätigkeiten wie Dro-gen-, Waffen- oder Menschenhandel mitGeldern aus «normaler» steueroptimierterGeschäftstätigkeit macht durchaus Sinn.

Denn die Strukturen, welche zur Steuer-vermeidung und -hinterziehung gebrauchtwerden – Schachtelkonstruktionen vonStiftungen, Briefkastenfirmen und Bank-konten in Steueroasen – sind dieselben,welche benutzt werden, um Geld zu wa-schen. Der Kampf gegen das organisierteVerbrechen bleibt so lange zahnlos, wiedie Steuerflucht nicht angegangen wird.

Die Verluste der Entwicklungsländerdurch Steuerhinterziehung und -umge-hung mit Hilfe von Steueroasen sindheute schon doppelt so hoch wie die Ent-wicklungshilfe (siehe die Zusammenstel-lung unten). Die Erhöhung der Steuerein-nahmen, die zur Finanzierung der Mil-lenniumsziele unerlässlich ist, kann nurdann erfolgreich sein, wenn der Steuer-flucht von Unternehmen und Reichen einRiegel geschoben wird.

neue Spitalplätze +45,0// Tests und

+45,0 = 89,1 MIA.$

Welt Entwicklungsländer(inkl. ehemaligerOstblock)

Schätzung hoch niedrig hoch niedrig

Krimineller Ursprung 549 331 338 169Aus Korruption 50 30 40 20Steuerlich motiviertekommerzielleTransaktionen 1000 700 500 350

Total 1599 1061 878 539

Verluste durch SteueroasenVolumen (Mia. $) Steuerverluste Steuerverluste Entwicklungs-

(in Mia. $ jährlich) länder (Mia. $ jährlich)Privatvermögenin Steueroasen 1 11 500 255 50Steuervermeidungvon Konzernen 2 160Verluste durchSteuerkonkurrenz 3 35Verluste Entwicklungs-länder durch Steueroasen 245

1 Tax Justice Network, The price of offshore, 20052 Christian Aid, Death and taxes: the true toll of tax dodging, 2008 (technical appendix, Zahl aufgerundet)3 Oxfam, Tax havens: Releasing the hidden billions for poverty eradication, 2000

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3-fach-Therapie für alle 30 Millionen

FEHLGESTEUERT: ENTWICKLUNG DURCH«STEUERKONKURRENZ»

Der sogenannte Konsens von Washington(Washington Consensus) fasst das dominie-rende Entwicklungsparadigma seit Anfangder Neunzigerjahre perfekt zusammen.Freihandel, die Liberalisierung des Finanz-sektors sowie die Privatisierung und dieÖffnung des Marktes für Auslandsdirekt-investitionen sind die wichtigsten Pfeilerdavon. Der Begriff besagt aber nicht, dassdiese Politikempfehlungen in Washingtoninnenpolitisch auch umgesetzt wurden; invielen Punkten machten die USA das ge-naue Gegenteil dessen, was sie den Länderndes Südens vorschrieben. Zuletzt geschahdies mit den Rettungsaktionen der Regie-rung für den angeschlagenen Finanzsektor.Mit Konsens von Washington ist die (ur-sprünglich) übereinstimmende Rezepturder in Washington beheimateten Institutio-nen Weltbank, Internationaler Währungs-fonds und US-Finanzministerium gemeint.

Weil ausländischen Investitionen fürdie Entwicklung eine so bedeutende Rollezugeschrieben wurde, verzichteten die Län-der des Südens auf Steuereinnahmen, umso Konzerne anzuziehen. In den Neunziger-jahren senkten fast alle Entwicklungsländerihre Unternehmenssteuern – zum Teil dras-tisch. Die englische Entwicklungsorgani-sation Oxfam schätzte im Jahr 2000, dassdurch die verminderten Steuersätze denLändern des Südens jährlich 35 MilliardenDollar an Steuereinnahmen entgingen.

Die auch in der Schweiz viel gepriesene«Steuerkonkurrenz» hat bereits einen kon-zeptuellen Fehler. Konkurrenz hat in derfreien Marktwirtschaft den Zweck, dafür zusorgen, dass sich diejenigen Unternehmendurchsetzen, welche die besten Produkteam günstigsten herstellen. Sind die anderenUnternehmen nicht konkurrenzfähig, müs-sen sie sich entweder verbessern, oder siegehen unter. Insgesamt wird so das Gesamt-system besser. Diese positive Wirkung derKonkurrenz lässt sich aber als «Steuer-konkurrenz» nicht einfach auf die Staaten-welt übertragen. Staaten können nicht bank-rottgehen und verschwinden. Bereits heu-te sind «gescheiterte Staaten» («failed states»), wie zum Beispiel Somalia, einesder grössten Probleme der internationalenGemeinschaft. Wenn sich Staaten gegensei-tig mit niedrigeren Steuern unterbieten unddie Steuersätze in eine ruinöse Abwärtsspi-rale geraten, wird das Gesamtsystem nichtbesser, sondern instabiler.

Steuerwettbewerbsgewinner:internationale KonzerneEntwicklungsländer haben nicht nur

die Unternehmens- und andere Steuern ge-senkt, um Investitionen anzuziehen. Fastalle Länder haben zudem Sonderwirt-schaftszonen eingeführt, in denen Unter-nehmen zumindest während einer gewis-sen Zeit vollständig steuerbefreit sind. Die

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Zahl solcher Wirtschaftszonen ist von welt-weit 850 im Jahr 1998 auf über 5000 im Jahr2004 angewachsen. Die Steuerverluste, dieIndien allein durch die Steuerbefreiung inden Sonderwirtschaftszonen bis 2010 erlei-den wird, belaufen sich auf 40 MilliardenFranken. Das wäre genug, um 55 MillionenMenschen dauerhaft zu ernähren. Transna-tionale Unternehmen profitieren nicht nurvon generellen Steuersenkungen und Son-derregelungen, bei grossen Investitionspro-jekten können sie zudem ganze Begünsti-gungspakete aushandeln. Wenn sie dabeinicht nur Länder, sondern auch einzelneBundesstaaten gegeneinander ausspielenkönnen, lässt sich besonders viel herausho-len, wie das folgende Beispiel aus Brasilienzeigt.

Krippen für Ford statt für die FavelasDie Regierung des südbrasilianischen

Bundesstaates Rio Grande do Sul offeriertein den Neunzigerjahren dem US-amerika-nischen Autokonzern Ford ein Paket imGesamtwert von 5,4 Milliarden Franken,um eine Ford-Fabrik nach Rio Grande doSul zu holen. Dazu gehörte ein auf fünfJahre hin rückzahlfreies Darlehen – zu

einem Drittel der marktüblichen Zinsen.Der Bundesstaat verzichtete zudem beiFord auf die Warenumsatzsteuern. Die Re-gierung versprach vierspurige Zufahrts-strassen, Telefon-, Strom-, Gas- und Was-serleitungen sowie den Bau eines neuenHochseehafens, exklusiv für Ford. Die Zu-geständnisse gingen so weit, dass den Ford-Angestellten eine Kinderkrippe finanziertwerden sollte, obwohl die brasilianischeVerfassung Firmen mit mehr als 100 Ange-stellten verpflichtet, eigene Kinderkrippenzu unterhalten und Krippenplätze in denArmenvierteln fehlen. Für diesen Segen garantierte Ford lediglich 1500 direkte Ar-beitsplätze. Nach einem Regierungswech-sel wollte die neue Regierung der Arbeiter-partei eine weniger weit gehende Förde-rung aushandeln. Der Automulti liess sichdaraufhin zu noch besseren Bedingungenim brasilianischen Bundesstaat Bahia nie-der. Diese und eine andere Automobilfa-brik in Brasilien kosteten die öffentlichenKassen 350 000 Dollar pro Arbeitsplatz.Mit einer Landreform oder der Förderungvon Kleingewerbe hätte sich mit diesemGeld ein Vielfaches an Arbeitsplätzenschaffen lassen.

HIV-Infiszierten in Entwicklungsländer

+12,0= 101,1 MIA.$

M-BUDGET: WIE MULTIS STEUERN SPAREN Wer Steueroasen nicht zur Kenntnisnimmt, versteht die Welt nicht. Wie wäresonst zu erklären, dass die meisten Investi-tionen nach Indien (1,2 Milliarden Men-

schen) aus Mauritius (1,3 Millionen Men-schen) kommen? Oder dass die British Vir-gin Islands (23 000 Menschen) das zweit-wichtigste Herkunftsland von Investitio-

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nen nach China (1,3 Milliarden Menschen)sind.

Letzteres wird erst dann verständlich,wenn man weiss, dass ein grosser Teil derneu gegründeten Firmen auf den BritishVirgin Islands im Besitz von Chinesen sindund dass es sich bei gut der Hälfte aller«ausländischen Investitionen» um chinesi-sches Fluchtgeld handelt, das nach einerRundreise durch eine Steueroase wieder imLand investiert wird.

Der Welthandel ist heute zu 50 bis 60Prozent nicht ein Handel zwischen zwei

Unternehmen in verschiedenen Ländern,sondern besteht aus Handel innerhalb einund derselben Unternehmensgruppe. Eingutes Beispiel dafür ist der Erdölmulti BPmit seinen über 3000 Tochterfirmen, vondenen ein beträchtlicher Teil in Steueroa-sen angesiedelt ist. Firmeninterne Geschäf-te und Niederlassungen in Steueroasen ma-chen es selbst Industrieländern schwer, Un-ternehmen zu besteuern. So bezahlten inden USA zwischen 1998 und 2005 über dieHälfte der ausländischen und 42 Prozent derUS-Unternehmen während zwei oder mehr

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n (2007) +12,0// Eine Million neue

Krumme Gewinne

Wer kassiert mit bei 1 Franken, der für Bananen ausgegeben wird

Produktions- Steueroasen Konsumlandland

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Jahren keine Steuern, weil sie Verluste aus-wiesen. Während einer Rezession wäre diesja noch verständlich, aber die Zahlen bezie-hen sich auch auf die guten Wirtschaftsjah-re wie 2000 oder 2005. Viele Firmen muss-ten keine Steuern zahlen, weil sie gezieltVerluste in den USA produzierten.

Die Leichtigkeit, mit der die grossenUnternehmen ihre Steuerzahlung umgehenoder ganz vermeiden, trifft die Entwick-lungsländer besonders stark. Traditionellist der Anteil der Unternehmenssteuern anden gesamten Steuereinnahmen in Ent-wicklungsländern höher als in Industrie-ländern.

Transfer PricingDas wichtigste Mittel zur Steuervermin-

derung oder Vermeidung ist das sogenannteTransfer Pricing, die Manipulation von fir-meninternen Preisen. Dabei werden Warenan eine Tochtergesellschaft in einer Steuer-oase zu einem Preis verkauft, der unter demMarktpreis liegt. Im Produktionsland ent-steht dadurch ein Verlust, wodurch keine

Steuern zu zahlen sind. Der Gewinn fälltdafür steuerfrei in der Tochtergesellschaftin der Steueroase an. Umgekehrt, habenüberteuerte Einkäufe denselben Effekt:Auch sie vermindern den Gewinn und verschieben Einkommen in Steueroasen.Manchmal lässt sich das Transfer Pricingsehr einfach aus Handelsstatistiken heraus-lesen: Cashew-Nüsse beispielsweise, die –bei einem Wert von 5 US-Dollar – für 50 US-Cents aus Nigeria verkauft wurden, odernach Nigeria importierte Glasfaserkabel,die für 1372 US-Dollar verkauft wurden,aber lediglich einen Wert von 6 US-Dollarhaben. Indem ein Unternehmen überhöhteZinsen an eine konzerninterne Finanzie-rungsgesellschaft in einer Steueroase be-zahlt, funktionieren Gewinnverschiebun-gen auch mit Kapital.

Um Preismanipulation zu verhindern,versuchen Steuerbehörden, vor allem in Industrieländern, das sogenannte «Fremd-vergleichsprinzip» durchzusetzen: InternePreise sollten generell den Marktpreisenentsprechen. Solche Regeln gibt es aber bis-her in keinem afrikanischen Land und nurin wenigen Ländern Asiens und Lateiname-rikas. Hinzu kommt, dass heute sehr vieleimmaterielle Güter, wie Patente oder Mar-kenrechte, an Tochterfirmen in Steueroasenausgelagert werden. Diese erheben dann fürdie Nutzung Gebühren. Das Vergleichsprin-zip lässt sich auch umgehen, indem dieUnternehmenstöchter in Steueroasen für«Beratungsleistungen» oder «Versicherun-gen» bezahlt werden. Solche Gewinnver-schiebungen sind, auch wenn es sich umreine Scheingeschäfte handelt, kaum zu

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Klassenzimmer +6,9// Ausbildung und

+6,9 = 108 MIA.$

«Mit einem wirkungsvoll umgesetzten Transfer

Pricing lässt sich viel Geld und Ärger sparen. Kon-

zerninterne Verrechnungspreise korrekt anzu-

wenden, ist eine Sache. Innerhalb der international

unterschiedlichen Regeln das Maximum an

Steuereinsparungen herauszuholen, eine andere.

PricewaterhouseCoopers bietet international

tätigen Unternehmungen hierzu massgeschneiderte

Lösungen an.» (Inserat in der NZZ vom 27.11.2001)

Page 15: Ein Elefant im Wohnzimmer_04_2008

Reichtum gibt es auch in armen Ländern.Das Vermögen und die Anzahl der Reichenin Afrika, Asien und Lateinamerika sind inden letzten Jahren stärker gewachsen als inden Industrieländern. Dies geht aus dem«Weltreichtumsbericht» der Beratungsfir-ma Capgemini und der InvestmentbankMerrill Lynch hervor.

Das Vermögen von Personen mit mehrals einer Million US-Dollar frei anlegbaremFinanzvermögen (ohne Luxusgüter und Im-mobilien) – sogenannte «High Net WorthIndividuals» (Individuen von hohem Netto-wert) – wuchs in Lateinamerika im letzten

Jahr um 20,4 Prozent, in Afrika um 14,9Prozent und in Asien um 12,5 Prozent. DieAnzahl dieser Dollarmillionäre nahm in Lateinamerika um 12,2 Prozent auf 400000,in Afrika um 10 Prozent auf 100 000 und inAsien um 8,7 Prozent auf 2,8 MillionenMenschen zu. Diese Zahlen zeigen auf, dassdie Reichen insgesamt reicher gewordensind. Ihr Gesamtvermögen wuchs nochschneller als ihre Zahl.

Ein Grossteil dieses Reichtums wirdnicht besteuert. In vielen Entwicklungslän-dern fehlen Einkommens- und Vermögens-steuern. Da die reiche Schicht auch die po-

EIN ELEFANT IM WOHNZIMMER__15

DER VERSTECKTE REICHTUM

d Löhne von einer Million Lehrerinnen

kontrollieren. Die Grafik auf Seite 13 zeigtam Beispiel einer Banane, wie sich wohinGeld abzweigen lässt.

Lukrative SteuervermeidungsindustrieWer von diesen Preismanipulationen

und Gewinnverschiebungen profitiert, isteinfach zu sagen: die Aktionäre und Mana-ger der Firmen, die so Steuern vermeiden,profitieren genauso wie der Industriezweigaus Buchprüfungsfirmen und Steueranwäl-ten, welche die passenden Unternehmens-strukturen austüfteln.

Die Höhe der entgangenen Steuern lässtsich dagegen nur schätzen. In einer Um-frage der Buchprüfungs- und Steuerbera-tungsfirma Ernst & Young von 2005 gaben44 Prozent der befragten Konzerne und 34der Tochtergesellschaften an, dass sie Ver-

rechnungspreise nach Steuerprüfungen kor-rigieren mussten. Hält man sich vor Augen,dass solche Überprüfungen fast nur in In-dustrieländern und auch dort nur punktuellstattfinden, so lässt sich die grosse Dunkel-ziffer erahnen. Die englische Entwicklungs-organisation «Christian Aid» schätzt, dass45 bis 50 Prozent der Handelsgeschäfte inLateinamerika und 60 Prozent derjenigenin Afrika jeweils um mehr als 10 Prozentfalsch fakturiert werden. Entwicklungslän-der verlieren jährlich durch manipuliertePreise etwa 160 Milliarden Dollar an Steu-ern. Und auch die eingangs beschriebenen«ausländischen» Investitionen auf Rund-reise sind teuer. Die indischen Steuerbehör-den schätzen, dass sie jährlich eine Milliar-de Franken Kapitalgewinnsteuern auf In-vestitionen aus Mauritius verlieren.

Page 16: Ein Elefant im Wohnzimmer_04_2008

16

litische Elite stellt, gelingt es nicht, ihre Besteuerung durchzusetzen. Auch Gross-grundbesitzer zahlen selten Steuern.

Genauso wichtig für das Ausbleibender Steuern ist die Steuerflucht. WerdenEinkommen und Vermögen in Steueroasengeschafft und versteckt, bleiben sie unbe-steuert.

Steueroasen sind intransparent und ko-operieren nicht mit anderen Ländern, umSteuervergehen zu verfolgen. Jeffrey Owens,der Leiter der Steuerabteilung der OECD, istbesorgt darüber, dass die offshore-Steuer-umgehung in den letzten Jahren sehr vieleinfacher geworden ist: «Mit global inte-grierten Finanzmärkten und modernenKommunikationstechnologien ist die Ein-richtung von Offshore-Konten, Briefkasten-firmen und Ähnlichem nur einen Maus-klick entfernt.»

Durch Steuerumgehung und -hinterzie-hung entgeht Jamaica schätzungsweise dieHälfte der fälligen Steuereinnahmen. InBrasilien fanden Journalisten heraus, dassvon 90 Personen, die von 1992 bis 1998etwa 20 bis 30 Millionen Franken ins Aus-land geschafft hatten, nur 20 in BrasilienEinkommenssteuer bezahlten.

Der Schaden, den ein Land durch Steu-erflucht erleidet, ist grösser als durch dieHinterziehung, bei der das Vermögen imLand bleibt – auch wenn die entgangenenSteuern zunächst gleich gross sind. Wennunversteuertes Vermögen im Land bleibt,investiert oder konsumiert wird, fördert es das Wirtschaftswachstum und generiertindirekte Steuern (z.B. Mehrwertsteuern).Steuerfluchtgeld ist hingegen dem Wirt-

schaftskreislauf des betroffenen Landes voll-ständig entzogen.

Die Kosten der SteueroasenDas Vermögen der reichen Eliten, das

in Steueroasen parkiert wird, taucht nichtim Bruttosozialprodukt der Herkunftslän-der auf. Das Beratungsunternehmen BostonConsulting Group schätzte 2003, dass dieHälfte des lateinamerikanischen VermögensOffshore gehalten wird. Für 2007 wurdedieser Wert ohne Begründung auf 24 Pro-zent, das heisst auf 744 Milliarden DollarOffshore-Vermögen, reduziert. Der US-Ka-pitalflucht-Experte Raymond Baker schätztdie Höhe der Gelder, die jährlich unbemerktvon Entwicklungsländern auf private Kon-ten geschafft werden, auf 400 MilliardenDollar. Dazu muss man noch Erträge in derHöhe von 200 Milliarden Dollar von Off-shore-Konten rechnen, die schon früherdort parkiert worden waren. Dieser ver-steckte Reichtum beträgt fast das Dreifachedes jährlichen Einkommens des ärmstenFünftels der Weltbevölkerung.

Das Tax Justice Network hat versucht,die Steuerverluste durch Offshore-Vermö-gen zu schätzen: Aufgrund verschiedenerPublikationen über die Grösse des Off-shore-Marktes rechnet man mit etwa 11 500Milliarden Dollar, die Offshore platziertsind. Bei einer unterstellten Rendite von7,5 Prozent und einem Steuersatz von 30Prozent beträgt der weltweite Steuerverlust255 Milliarden Dollar. Die Entwicklungs-länder verlieren 50 Milliarden Dollar jähr-lich auf Vermögenserträge, die in Steuer-oasen parkiert sind.

und Lehrern +3,3// Umfassende Famili

+3,3 +10,5 = 121,8 MIA.$

//*jährlicher Anteil eines 10-jährigen Programms

Page 17: Ein Elefant im Wohnzimmer_04_2008

Das eigentliche Spezialgebiet der SchweizerBanken ist die Vermögensverwaltung für auslän-dische Kundinnen und Kunden. Wird Vermögenausserhalb des Herkunftslandes des Kunden ver-waltet, spricht man von Offshore Private Ban-king. Darin hat die Schweiz eine weltweit do-minierende Stellung. Ungefähr ein Drittel dergrenzüberschreitend angelegten Privatvermö-gen werden von der Schweiz aus verwaltet.

Vermögen, das ausserhalb des Herkunfts-landes verwaltet wird, befindet sich meistauch ausserhalb der Reichweite der Steuer-behörden. In der Schweiz sind diese Ver-mögen sicher, weil hier nur Steuerbetrug,nicht aber Steuerhinterziehung ein straf-rechtlich relevantes Delikt ist.

Über die in der Schweiz angelegten aus-ländischen Privatvermögen gibt es keinegenauen Zahlen. Die Nationalbank weist inihrer Statistik über alle Banken in derSchweiz Wertschriftenbestände in Kunden-depots von ausländischen Privatkunden aus

(1109 Mia. Fr.), Verpflichtungen aus Treu-handgeschäften (364 Mia. Fr. ) betreffenebenfalls ausländische Privatkunden. Auchvon den «bilanzierten Verpflichtungen ge-genüber ausländischen Kunden»1 (725 Mia.Fr.) dürfte ein grosser Teil Privatpersonenbetreffen, total also 2198 Mia. Franken.

Nimmt man aber Schätzungen über denUmfang des Offshore Private Banking undden postulierten Marktanteil der Schweizvon einem Drittel als Ausgangspunkt derBerechnung, erhält man höhere Werte alsdie Nationalbank. Dies deshalb, weil einTeil der ausländischen Privatvermögen inder Statistik der Nationalbank nicht als sol-che erscheinen. So werden beispielsweiseDomizilgesellschaften («Briefkastenfirmen»)von Ausländern als inländische Kunden er-fasst.

EIN ELEFANT IM WOHNZIMMER__17

ienplanungsdienste* +10,5//Sauberes

STEUERFLUCHTGELDER UND DIE SCHWEIZ:

Ach wie gut,dass niemand weiss...

1 Aus der Sicht der Bank ist ein Guthaben eines Kunden eine Ver-pflichtung der Bank gegenüber diesem Kunden.

Page 18: Ein Elefant im Wohnzimmer_04_2008

18

Ausländisches Vermögen in der Schweiz Der Weltreichtumsbericht (World Wealth

Report) von Merrill Lynch/Cap Gemini von1998 schätzte, dass ein Drittel des Vermö-gens von sogenannten High Net Worth In-dividuals (HNWI, Individuen von hohemNettowert) offshore gehalten wird. DieserAnteil wird auch in neueren Schätzungenverwendet. Nach dem aktuellen World Wealth-Bericht beträgt das Vermögen der«High Net Worth Individuals» 40700 Mia.US-Dollar. Die Summe der offshore verwal-teten Vermögen beträgt also 13500 Mia. US-Dollar. Der Schweizer Anteil daran – einDrittel – ergibt eine Summe von 4500 Mia.US-Dollar oder etwa 5000 Mia. Franken.

Nach Berechnungen der Boston Consul-ting Group ist der Offshore Private BankingMarkt etwas kleiner, nämlich 7300 Mia. US-Dollar. Nimmt man auch hiervon einenDrittel für den Marktanteil der Schweiz, soergibt dies einen Betrag von 2740 Mia.Franken. Es ist angesichts dieser Berech-nungen sicher nicht zu hoch gegriffen, dieausländischen Privatvermögen, die von derSchweiz aus verwaltet werden, auf 2500 bis4000 Milliarden Franken anzusetzen.

Welcher Teil ist schwarz?Ein Bericht einer französischen Parla-

mentarierdelegation von 2001 (Montebourg-Bericht) schätzt den Anteil des unversteu-

Wasser für 1,75 Milliarden Menschen* +

+10,0= 131,8 MIA.$

Steueroase VaduzLiechtenstein

//*jährlicher Anteil eines 10-jährigen Programms

Page 19: Ein Elefant im Wohnzimmer_04_2008

erten ausländischen Vermögens in derSchweiz, unter Berufung auf Genfer Ban-kenkreise, auf 90 Prozent. Die DeutscheBank geht von 70 Prozent aus. SchweizerQuellen zu dieser Frage machen sich rar.Die bankenfreundliche Wirtschaftszeitung«Cash» schätzte den Anteil auf 30 bis 80Prozent. Konrad Hummler, Teilhaber derSt. Galler Privatbank Wegelin, ist einer derwenigen Stimmen aus der Branche, dieKlartext reden: «Die grosse Mehrheit derausländischen Anleger, die ihr Geld in derSchweiz parkiert haben, umgehen die Steu-erpflicht.» Ein politisches, moralischesoder ethisches Problem sieht Hummlerdabei nicht.

50 bis 90 Prozent von 2500 bis 4000Mia. Franken ergibt eine plausible Band-breite für das Schwarzgeld in der Schweizvon 1250 bis 3600 Milliarden Franken.

Was kommt aus dem Süden?Die Entwicklungsländer erleiden einen

Fünftel aller Verluste, die durch die Steuer-flucht von reichen Personen entstanden – sodas Netzwerk Steuergerechtigkeit. Dies ent-spricht dem Anteil der Entwicklungsländeran der Weltproduktion von Gütern undDienstleistungen. Eine erste grobe Schät-zung würde also den Anteil unversteuerterGelder aus Entwicklungsländern auf 250bis 720 Milliarden Franken ansetzen.

Für eine etwas feinere Berechnung neh-men wir die Länderstatistik der National-bank zum Ausgangspunkt. Im bankensta-tistischen Jahrbuch «Die Banken in derSchweiz» werden die bilanzierten Gutha-ben und Verpflichtungen sowie die Treu-

handgeschäfte nach Ländern aufgeschlüs-selt. Treuhandgeschäfte macht die Bank inihrem eigenen Namen, jedoch auf Rech-nung und Risiko ihres Kunden. Der Kundetritt nach aussen nicht in Erscheinung.Treuhandgelder sind also eine ideale Form,um steuerhinterzogene Gelder zu verwal-ten. Die englische Wirtschaftszeitung «Fi-nancial Times» nennt sie denn auch eine«Geheimwaffe» der Schweiz, die reichePersonen anziehe, «welche im eigenenLand Steuern hinterziehen wollen».

In der Tabelle S. 20 werden die Anteileder Steuerfluchtgelder aus Entwicklungs-ländern geschätzt, indem für einzelne Län-der und Regionen die Prozentsätze der «bi-lanzierten Verpflichtungen» und der «Treu-handgelder» verwendet werden. Demnachliegen aus Asien, Afrika und Lateinamerikazwischen 132 und 606 Milliarden FrankenSteuerfluchtgelder auf Schweizer Banken.

Auffällig ist der grosse Anteil der Gelderin der Schweiz, der von Offshore-Finanz-plätzen kommt. Und das, obwohl die Natio-nalbank nicht alle Steueroasen in der Kate-gorie Offshore-Finanzplätze erfasst. Diesesind nur Durchgangsstationen. Das bedeu-tet, dass ein Teil der Gelder aus Offshore-Finanzplätzen ebenfalls aus Entwicklungs-ländern stammt. Traditionellerweise verlas-sen Steuerfluchtgelder Lateinamerika überdie karibischen Steueroasen. Wir nehmenan, dass die Hälfte der Gelder aus Offshore-Finanzplätzen ursprünglich aus Entwick-lungsländern stammt, das heisst, dass zwi-schen 362 und 1467 Milliarden FrankenSteuerfluchtgelder aus Entwicklungslän-dern in der Schweiz liegen.

EIN ELEFANT IM WOHNZIMMER__19

10,0// Abwasserversorgung für 1 Mil-

>> Fortsetzung S. 22

Page 20: Ein Elefant im Wohnzimmer_04_2008

20

liarde Menschen in städtischen Slums*

+13,8 = 145,6 MIA.$

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Steuerfluchtgelder in der Schweiz, aufgeteilt nach Regionen (in Mio. Fr.)

Alle Länder 718 596 364 328

Lateinamerika/Karibik 19 106 2,66 % 33 699 9,25 % 33 250 95 760 115 625 333 000Argentinien 3 278 0,46 % 6 348 1,74 % 5 750 16 560 21 750 62 640Brasilien 4 625 0,64 % 3 674 1,01 % 8 000 23 040 12 625 36 360Mexiko 3 404 0,47 % 4 445 1,22 % 5 875 16 920 15 250 43 920Venezuela 1 925 0,27 % 8 358 2,29 % 3 375 9 720 28 625 82 440

Afrika 12 787 1,78 % 17 313 4,75 % 22 250 64 080 59 375 171 000Ägypten 2 152 0,30 % 2 795 0,77 % 3 750 10 800 9 625 27 720Liberia 3 194 0,44 % 7 492 2,06 % 5 500 15 840 25 750 74 160

Asien undPazifik 44 135 6,14 % 10 313 2,83 % 76 750 221 040 35 375 101 880Britisches Über-see-Territorium 52 – 1 861 0,51 % – – 6 375 18 360China 10 361 1,44 % 448 0,12 % 18 000 51 840 1 500 4 320Taiwan 11 345 1,58 % 1 059 0,29 % 19 750 56 880 3 625 10 440Marschallinseln 1 144 0,16 % 1 817 0,5 % 2 000 5 760 6 250 18 000Total Lateinamerika/Karibik, Afrika, Asienund Pazifik 76 028 61 325 132 250 380 880 210 375 605 880

Offshore-Finanzplätze 6 264 296 36,78 % 174 310 47,84 % 459 750 1 324 080 598 000 1 722 240Bahamas 22 973 3,17 % 15 184 4,17 % 39 625 114 120 52 125 150 120Jersey 11 118 1,55 % 4 962 1,36 % 19 375 55 880 17 000 48 960Kaimaninseln 60 675 8,44 % 14 412 3,96 % 105 500 303 840 49 500 142 560 Westindien (GB) 75 864 10,56 % 58 770 16,13 % 132 000 380 160 201 625 580 680

Total Lateinamerika/Karibik, Afrika, Asienund Pazifik + 1/2 Offshore-Finanzplätze 362 125 1 042 920 509 375 1 467 000

1 Es wurden jeweils die zwei Länder mit den meisten Geldern ausgewählt.2 Verpflichtungen gegenüber Kunden in Spar- und Anlageform, Übrige Verpflichtungen gegenüber Kunden, SNB, Die Banken in der Schweiz

2007, S.A104 ff.3 SNB, Die Banken in der Schweiz 2007, S.A132 ff.4 Total 1250 Milliarden Franken5 Total 3600 Milliarden Franken6 Aruba, Bahamas, Bahrain, Barbados, Bermuda, Gibraltar, Guernsey, Honkong, Insel Man, Jersey, Kaimaninseln, Libanon, Macau, Mauritius,

Niederländische Antillen, Panama, Samoa, Vanuatu, Westindien (GB)

//*jährlicher Anteil eines 10-jährigen Programms

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EIN ELEFANT IM WOHNZIMMER__21

+13,8// Gemeinschaftlich gebaute

Der Druck nimmt zu

Zu Beginn dieses Jahres gingen die deutschenBehörden mit Hilfe von Daten eines Informan-ten gegen Steuerflüchtlinge vor, die ihr Ver-mögen in Stiftungen in Liechtenstein versteckthatten. Auch die Schweiz wurde erneutZielscheibe der Kritik. Dies verwundert nicht,denn Schweizer Banken und Treuhänder richten liechtensteinische Stiftungen ein und verwalten das Vermögen dann von der Schweizaus. Liechtenstein ist nur der Wurmfortsatzdes Private-Banking-Finanzplatzes Schweiz.

Deutschland ist mit seiner Kritik an derSchweiz nicht allein. Die grosse Mehrheit derEU- und der OECD-Länder (die Organisationder Industrieländer) verlangt von der Schweizmehr Informationen, um Steuerhinterziehergerichtlich verfolgen zu können. An einem Tref-fen der OECD-Finanzminister im Oktoberwurde gefordert, die Schweiz auf eine schwarzeListe von nichtkooperationswilligen Steuer-oasen zu setzen.

Auch der US-Senat führte dieses Jahreine Reihe von Anhörungen über Steuerhinter-ziehung durch, bei denen die Schweiz heftigkritisiert wurde. Die US-Behörden haben detaillierte Informationen darüber, wie die UBSamerikanischen Bürgern bei der Steuerhin-terziehung half. Die US-Steuerbehörde verlangtvon der UBS deshalb die Herausgabe vonKundendaten. Da die UBS – bedroht von einerMilliardenbusse oder gar einem Lizenzentzug– in der Kooperation möglicherweise daskleinere Übel sieht, wurde sie von Finanzminis-ter Merz ermahnt, dass damit das Bankge-heimnis verletzt würde. Der Zuger Finanzspezi-alist Professor Maurice Pedergnana siehtin der Entschuldigung des UBS-Bankers MarkBranson vor dem US-Senat einen Dammbruch:«Denn mit diesem Schritt bricht nun die Auf-

rechterhaltung des Unterschiedes zwischenSteuerbetrug und Steuerhinterziehung.»

Schliesslich unterstützt der Präsident-schaftskandidat Barack Obama als Senator einenGesetzesvorstoss, der «Tax Havens» (sichereHäfen für Steuerfluchtgelder) das Handwerklegen will. Die Schweiz wird in diesem Gesetzes-entwurf ausdrücklich als Tax Haven bezeichnet.

Keine bilateralen HalbheitenEs ist nur eine Frage der Zeit, bis die Schweizbeim Informationsaustausch in SteuersachenZugeständnisse machen muss. Bereits heutegewährt unser Land den USA weit mehr steuer-relevante Daten als anderen Ländern. DasDoppelbesteuerungsabkommen zwischen derSchweiz und den USA sieht vor, dass Auskünfteausgetauscht werden, die für die Verhütungvon Betrugsdelikten und dergleichen erforder-lich sind. Eine spezielle Vereinbarung klärt, wasunter «und dergleichen» zu verstehen ist. InAufzählungen und Fallbeispielen werden Tatbe-stände festgehalten, die in der Schweiz alsSteuerhinterziehung gelten, gegenüber den USAaber dennoch als Steuerbetrug betrachtet werden. Die Schweiz leistet normalerweise des-halb bei Steuerhinterziehung keine Hilfe, weilbei der Rechts- und Amtshilfe das Prinzipder doppelten Strafbarkeit gilt. Der Bundesratbestätigte in diesem Zusammenhang, dass«auch Auskünfte in Fällen zu erteilen sind, diekeinen Abgabebetrug nach schweizerischemRecht darstellen» und «die beidseitige Strafbar-keit im formalen Sinne nicht gegeben ist».

Aus entwicklungspolitischer Sicht wäre esverheerend, wenn die Schweiz einzelnen Indus-trieländern oder der EU im Sinne der Regelungmit den USA entgegenkommt, den Entwick-lungsländern aber weiterhin jegliche Informa-tionen vorenthält.

Page 22: Ein Elefant im Wohnzimmer_04_2008

22

Häuser für 1 Milliarde Menschen* +21

+21,0= 166,6 MIA.$

Steuerfluchtgeld vs. EntwicklungsgelderDie Entwicklungsländer verlieren durch

Steuerflucht in die Schweiz gemäss unsererRechnung jährlich zwischen 5,4 und 22Milliarden Franken.1 In jedem Fall betra-gen die Steuerverluste ein Vielfaches der1,26 Milliarden Franken EntwicklungshilfeSchweiz (Deza und Seco 2007, ohne Europa).

Für Pakistan, Peru und Südafrika sinddie Steuerverluste – allein auf den Treu-handvermögen – beinahe so gross wie dieEntwicklungshilfe der Schweiz, für Indiensind sie gar grösser (siehe Tabelle oben).

Paradiesische Zustände für Multis in ZugHongkong (10,5), Obwalden (11,5) Zug

(13,7), Dublin (14,1), Nidwalden (14,8),Singapur (15,7), St. Gallen (16,2), Bratislava(16,3), Luzern (16,3), Schwyz (17,0) War-schau (17,0), Zürich (18,3): Diese Auflis-tung nennt die Städte und Regionen mit der

weltweit niedrigsten Besteuerung von Un-ternehmen (Steuersätze in Prozent). DieSchweiz dominiert auch hier. Sehr günstigeSteuerregime führen zu Unternehmensver-lagerung und setzen die übrigen Länderunter Druck. Dies zeigt ein Blick auf die effektiven Sätze in anderen Städten: Brüs-sel (24,7%), Luxemburg (25,2%), London(28,6%), Boston (35,8%).

Heizt die Schweiz schon bei den regulä-ren Steuersätzen die Steuerkonkurrenz an,so gilt dies erst recht für die Sonderregeln.Zug ist ein klassisches Beispiel hierfür.Holdings, Domizilgesellschaften und ge-mischte Gesellschaften profitieren in Zugbei der Kapitalsteuer von sehr niedrigenSätzen und werden vollständig von der Ge-winnsteuer befreit.

Holdinggesellschaften sind Unterneh-men, die Beteiligungen an anderen Unter-nehmen verwalten und die in der Schweizkeine eigene Geschäftstätigkeit ausüben.Domizilgesellschaften sind Unternehmen,die in der Schweiz nur eine Verwaltungs-,aber keine Geschäftstätigkeit ausüben. Einereine Domizilgesellschaft ist der vornehme

Steuerverluste und Entwicklungshilfe (2007, in Mio. Fr.)Mögliche

Treuhandvermögen 1 Steuereinnahmen 2 Entwicklungshilfe 3

Indien 1383 20,4885 17,1Pakistan 831 12,2445 14,7Südafrika 829 12,1275 20,5Peru 553 8,1045 12,7

1 Nationalbank, Die Banken in der Schweiz 20072 Bei 5% Ertrag und einem Steuersatz von 30 % (eigene Berechnung)3 Deza und Seco

>> Fortsetzung von S. 19

1 Bei einer angenommenen Rendite von 5 Prozent (die Vermögen derReichsten nahmen 2006 um 8 Prozent und 2007 um 5 Prozent zu)und einem angenommenen Spitzensteuersatz von 30 Prozent (derweltweite Durchschnitt liegt bei 37, 5%).

//*jährlicher Anteil eines 10-jährigen Programms

Page 23: Ein Elefant im Wohnzimmer_04_2008

Ausdruck für eine Briefkastenfirma. Ge-mischte Gesellschaften schliesslich sindUnternehmen oder Niederlassungen vonausländischen Konzernen, die vorwiegendim Ausland geschäftlich tätig sind und inder Schweiz nur eine untergeordnete Ge-schäftstätigkeit ausüben. Diese Unterneh-menskonstruktionen müssen in Zug ledig-lich eine Kapitalsteuer von 0,075 Promilleentrichten. Für die Holdinggesellschaftenwurde dieser Satz 2007 sogar noch auf 0,02Promille gesenkt. Inzwischen hat Zug Kon-kurrenz erhalten von Kantonen wie Schaff-hausen, Appenzell Ausserrhoden, Grau-bünden und Schwyz, die ähnliche Sonder-regeln haben.

Das schmälert die Attraktivität von Zugallerdings nicht: Seit dem Jahr 2000 hat dieZahl der in Zug registrierten Firmen umeinen Viertel zugenommen. Dank dieser Be-sonderheiten wurde Zug zum weltweit füh-renden Kaffeehandelsplatz. Auch beimHandel mit weiteren Rohstoffen wie Kup-fer, Zink, Nickel und Kohle gehört Zug zurWeltspitze.

Freier Parkplatz für Gewinne:das Beispiel von Mittal Steel Mit einer Holding in Zug lassen sich

konzerninterne Gewinne steuergünstig par-kieren. Es gibt nur wenige konkrete Beispie-le dafür, da Unternehmen einen grossenAufwand betreiben, um solche Transfers zuverschleiern.

Im August 2005 schloss der weltweitzweitgrösste Stahlkonzern Mittal Steel mitder Übergangsregierung von Liberia ein Ab-kommen über die Ausbeutung der liberiani-

schen Eisenerzvorkommen. Dieses Abkom-men gab Mittal die Möglichkeit, zukünftigeProfite aus dem dortigen Erzabbau konzern-intern so zu verschieben, dass die Einnah-men Liberias stark geschmälert wordenwären.

Mittal Steel Liberia Limited, die Firma,die den Erzabbau in Liberia vorantreibenwird, ist Teil eines ausgedehnten Firmenge-flechts. Die Mittal Steel (Liberia) HoldingLimited ist in der Steueroase Zypern ange-siedelt und gehört der Mittal Steel HoldingsAG in Zug, die wiederum im Besitz vonMittal Steel in Luxemburg ist.

Mittal geniesst dem Abkommen nachfünf Jahre völlige Steuerfreiheit. Danach aberhilft die Konstruktion mit den Steueroasenmittels Transfer Pricing, Steuern zu sparen.Nachdem die englische Nicht-Regierungs-organisation Global Witness dieses Abkom-men öffentlich gemacht hat, versprach dieinzwischen eingesetzte reguläre RegierungLiberias, mit Mittal neu zu verhandeln.

Ein aktuelles Beispiel betrifft die Holz-handelsfirma Danzer, die in Baar angesie-delt ist. Nach Recherchen von Greenpeacehat Danzer mit Hilfe der ebenfalls in Baarregistrierten Handelstochter Interholco dieRegierungen der Demokratischen RepublikKongo (DRK) und der Republik Kongo von2000 bis 2006 um mindestens 12,5 Millio-nen Franken Steuereinnahmen gebracht.Dies entspricht über 80 Prozent der Investi-tionen der DRK in die öffentliche Gesund-heitsversorgung (2000).

EIN ELEFANT IM WOHNZIMMER__23

,0// Programme für nachhaltige

Page 24: Ein Elefant im Wohnzimmer_04_2008

Es waren einmal zwei Länder... Beide habenweniger als 8 Millionen Einwohner, beideliegen in Europa, sie sind aber keine EU-Mit-glieder. Und beide arbeiten in der Europäi-schen Freihandelsassoziation (EFTA) zusam-men. Das eine Land ist ein gebirgigesBinnenland, das andere hat eine der längstenund wildesten Küsten Europas. Doch istdies nicht der einzige Unterschied zwischenNorwegen und der Schweiz. NorwegensEntwicklungshilfe geht schon lange über dasUno-Ziel von 0,7 Prozent des Bruttoinland-produktes hinaus, und das selbst gesteckteZiel von 1 Prozent ist fast erreicht. In derreicheren Schweiz wird dagegen immer nochdarüber gefeilscht, ob bis 2015 eine Steige-rung auf 0,5 Prozent angepeilt werden soll.Norwegen ist sehr aktiv in der internationalenPolitik. Welcher bahnbrechende Uno-Bericht trägt etwa den Namen eines früherenBundesrates? Dagegen hat der «Brundt-land-Bericht», benannt nach der früherennorwegischen Ministerpräsidentin GroHarlem Brundtland, den Begriff der nachhal-tigen Entwicklung geprägt und die Scho-nung der natürlichen Ressourcen bei nach-holender Entwicklung auf die internationaleAgenda gesetzt.

Norwegens Entwicklungspolitik ist nichtnur finanziell grosszügig, sondern auch konzeptionell bahnbrechend. Seit einigen Jah-ren führt das Land den entwicklungspolitischmotivierten Kampf gegen Steueroasen an.Das norwegische Entwicklungsministeriumberät Entwicklungsländer, wie sie in Ver-handlungen mit Rohstoffkonzernen mehr fürihr Land herausholen können. Es hat EvaJoly, die französische Untersuchungsrichterin

mit norwegischen Wurzeln, zur Beraterin fürKorruption berufen. Joly machte sich mitden Klagen gegen den Ölmulti Elf Aquitaineeinen Namen und setzte damit westliche Kon-zerne als korrumpierende Akteure ins Lichtder Öffentlichkeit. «Wir haben die Korrup-tionsdebatte noch nicht beendet», sagt EvaJoly, «es ist wichtig, dass wir nun unsereAufmerksamkeit auf die Steueroasen legen.Ich bin der Meinung, dass diese heutedas grösste Problem der Welt darstellen.»

Norwegen ist Mitglied und treibende Kraftder Leading Group on Solidarity Levies, einer Gruppe von Ländern, die sich für neu-artige internationale Finanzierungsinstrumentefür Entwicklung einsetzen. Zudem hat dasLand eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen,welche Massnahmen zur Identifizierungund Eindämmung von schmutzigen Kapital-strömen erarbeitet. «Es gibt einen ekla-tanten Mangel an Transparenz in der interna-tionalen Finanz- und Wirtschaftswelt. Dieserleichtert den Abfluss von Schwarzgeld, wel-cher den Entwicklungsländern enormeGeldsummen entzieht», sagt der norwegischeEntwicklungsminister Erik Solheim.

Die Schweiz dagegen sonnt sich zwarselbst in ihrer «humanitären Tradition»,durch ihre Blockierung der internationalen Zu-sammenarbeit bei allen Steuerthemen ma-növriert sie sich aber zunehmend ins Abseits.Verweigerung ist Programm, der Satz «dasBankgeheimnis ist nicht verhandelbar»gehört zum Standardrepertoire jedes schwei-zerischen Finanzministers. Die Verteidigungvon kurzfristigen Interessen des Finanz-platzes führt die Schweiz weltpolitisch ineine selbstbezogene Isolation.

24

Landwirtschaft für 1 Milliarde Mensche

+22,4 = 189 MIA.$

Eine Geschichte von zwei Ländern

//*jährlicher Anteil eines 10-jährigen Programms

Page 25: Ein Elefant im Wohnzimmer_04_2008

EIN ELEFANT IM WOHNZIMMER__25

en* +22,4// Bekämpfung der Deserti-

Vom 29. November bis zum 2. Dezember 2008findet in Doha (Katar) eine grosse Uno-Konfe-renz über die Entwicklungsfinanzierung statt.Schon vor sieben Jahren wurde in der nord-mexikanischen Stadt Monterrey eine Konfe-renz abgehalten, um die Finanzierung derUno-Entwicklungsziele zu diskutieren. Mon-terrey wurde so zu einem Schlüsselbegriff derEntwicklungsfinanzierung. Doch der Konsensvon Monterrey (Monterrey Consensus) ist nurein schaler Abklatsch der im Vorfeld präsen-tierten Vorschläge.

Der frühere mexikanische Präsident Ernes-to Zedillo hatte eine Expertengruppe gelei-tet, der unter anderem die ehemaligen Fi-nanzminister von Frankreich, Mozambique,Indien und den USA angehörten. Der Be-richt dieser hochkarätigen Gruppe für dieMonterrey-Konferenz (Zedillo-Bericht) kon-statierte, dass «die Regulierung der inter-nationalen Wirtschaft nicht mit der wirt-schaftlichen Verflechtung Schritt gehalten

hat». Es reiche deshalb nicht aus, isolierteinzelne Elemente zu reformieren. Der Be-richt schlug die Schaffung einer internatio-nalen Steuerorganisation (International TaxOrganization) vor, welche die Steuerkon-kurrenz begrenzen und ein internationalesAbkommen über die gleichmässige Besteu-erung von transnationalen Konzernen erar-beiten sollte. Darüber hinaus wurde vorge-schlagen, an der Konferenz über die Mög-lichkeiten von internationalen Steuern zudiskutieren, um die «internationalen Ge-meinschaftsgüter» wie Frieden, die Erhal-tung der Biodiversität oder ein stabiles Kli-masystem zu finanzieren.

Die Steuerthematik gehört für dieSchreiber des Zedillo-Berichts zum ThemaMobilisierung von einheimischen Ressour-cen. Die Marktwirtschaft, so die Argumen-tation, habe negative Auswirkungen, dievom Staat korrigiert werden müssen. FürEntwicklungsländer sei das unter ande-rem die Integration der Ärmsten in die

STEUERN AUF DER INTERNATIONALEN AGENDA:

Einen Schritt vor,zwei zurück

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Wirtschaft. Der Staat müsse in der Lagesein, die Bildung, Gesundheitsversor-gung, Ernährungssicherheit und die länd-liche Wirtschaft zu finanzieren. Deshalbsei für das Funktionieren einer Marktwirt-schaft unerlässlich, dass der Staat in In-dustrie- wie Entwicklungsländern genugSteuern für die Finanzierung dieser öffent-lichen Dienste einnehme. Die Entwick-lungshilfe könne die Steuereinnahmen er-gänzen, aber nicht ersetzen. Der Berichtgeht auch auf die ungerechte Verteilungder Belastung durch Mehrwertsteuern ein.

Damit die Entwicklungsländer in dieLage versetzt werden, die nötigen Steuer-einnahmen zu erhalten, brauchen sie in-ternationale Unterstützung. Die vorgeschla-gene internationale Steuerorganisationkönnte den Entwicklungsländern helfen,ein nachhaltiges Steuersystem aufzubau-en und die Steuerflucht zu bekämpfen.

Der Monterrey-Konsens:Weichspülen der VorschlägeSowohl die systemische Analyse als

auch die einzelnen Forderungen des Zedil-lo-Berichtes gingen den Industrieländern,allen voran den USA und der Schweiz, vielzu weit. Die systemische Analyse des Ze-dillo-Berichts wurde für das Konsens-dokument in einzelne Aspekte zerlegt, wodurch entscheidende Zusammenhängeverloren gingen. Für den Zedillo-Berichtsind ausreichende Steuereinnahmen fürdie Entwicklungsfinanzierung unerläss-lich. Ein starker Staat muss die Defizite derMarktwirtschaft beheben. In der langenPrioritätenliste des Monterrey-Konsenses

hingegen wird nicht klar, womit zu begin-nen ist. Ebenso fehlt jeder Hinweis aufdie Steuerflucht und auf eine internatio-nale Steuerorganisation. Stattdessen soll die internationale Zusammenarbeit durchdie verstärkte Kooperation der nationalenSteuerbehörden verbessert werden. Dassdie Steuerthematik im Monterrey-Konsensüberhaupt auftaucht, ist allerdings bereitsals Erfolg zu werten und lässt die Tür fürweitergehende Massnahmen offen.

Der Entwurf des Konferenzdokumentsvon Doha geht einen Schritt in die richti-ge Richtung. Ein systematischer Ansatz istwieder ersichtlich. Vor dem Hintergrundder gegenwärtigen Weltfinanzkrise, vonder auch die Entwicklungsländer schwergetroffen sind, wird eine grosse interna-tionale Konferenz zur Diskussion der in-ternationalen Finanz- und Währungs-architektur sowie der Regulierung der Weltwirtschaft vorgeschlagen. Unter demStichwort Mobilisierung einheimischerRessourcen wird die Notwendigkeit er-wähnt, die Basis der Besteuerung zu ver-grössern und die Steuereinnahmen zusteigern. Auch die internationale Koope-ration soll verstärkt werden. Dazu soll dasUno-Steuerkomitee (Committee of Expertson International Cooperation in Tax Mat-ters) zu einem intergouvernementalenOrgan aufgewertet werden. Das könnte einerster Grundstein für die Bildung einerinternationalen Steuerorganisation sein.

Weder im Monterrey-Konsens noch imEntwurf für die Doha-Verhandlungen istdie Besteuerung transnationaler Unterneh-men thematisiert. Dieser Punkt darf aber

26

fikation landwirtschaftlicher Flächen

+56,0= 245 MIA.$

//*jährlicher Anteil eines 10-jährigen Programms

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EIN ELEFANT IM WOHNZIMMER__27

weltweit* +56,0// //=Total

nicht ausgeklammert werden, wenn manernsthaft über eine Erhöhung der Steuer-einnahmen in Entwicklungsländern dis-kutieren will. Fortschritte im Bereich derdirekten Besteuerung von Reichen etwa,bringen nicht genug, wenn die Steuerein-nahmen durch Steuerkonkurrenz und dieSteuertricks der Konzerne weiter sinken.Ohne internationale Unterstützung wer-den es einzelne Länder schwer haben, vonRohstoffkonzernen beispielsweise höhereSteuern einzufordern und der Abwärtsspi-rale der Steuerkonkurrenz zu widerstehen.

Es wird sich zeigen, ob an der Doha-Kon-ferenz konkrete Schritte für eine nachhalti-ge Entwicklungsfinanzierung mittels höhe-rer Steuereinnahmen in den Entwicklungs-ländern unternommen werden. Die USA,aber auch andere Industrieländer wie Gross-britannien und die Schweiz, werden dieVorschläge blockieren. Die Erklärung vonBern hofft, dass die in dieser Frage pro-gressiven Länder wie Deutschland, Frank-reich und Norwegen gemeinsam mit denEntwicklungsländern wichtige Fortschrittedurchsetzen können.

Steueroase Bahamas Keys

tone

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28

Die Industrieländer der OECD (Organisation forEconomic Cooperation and Development) versu-chen seit Jahren, einen besseren Informations-austausch in Steuerfragen durchzusetzen. DasEuropäische Parlament will die Doha-Konferenznutzen, um noch weiterzugehen, und Deutsch-land hat eine neue Initiative gegen Steueroasenangekündigt. Ein Land steht mit seiner Haltungquer im Weg: die Schweiz.

Seit die OECD im Jahr 1998 einen Berichtüber schädliche Steuerpraktiken veröffent-licht hat, versucht die Organisation, denAustausch von steuerlich relevanten Infor-mationen zu verbessern. Dazu arbeitet sieim Globalen Steuerforum (Global Forum onTaxation) mit Steueroasen und Ländern zu-sammen, die nicht der OECD angehören.Die OECD fordert die Umsetzung folgender«Schlüsselprinzipien für Transparenz undInformationsaustausch für Steuerzwecke»in allen Ländern:

• Schaffung eines Informationsaustausch-mechanismus für Anfragen eines anderenLandes.

• Informationsaustausch zur Umsetzungder nationalen Steuergesetze (des ersu-chenden Staates) in administrativen undstrafrechtlichen Verfahren.

• Keine Beschränkung des Informations-austauschs wegen fehlender doppelterStrafbarkeit oder wegen der eigenen Steu-ergesetze.

• Dabei sollen Beschränkungen und Sicher-heitsklauseln respektiert werden.

• Die ausgetauschten Informationen sindstrikt vertraulich.

• Die Behörden müssen über verlässliche In-formationen verfügen (speziell über Bank-kunden, wirtschaftlich Berechtigte undderen Identität sowie Bilanzen), und siemüssen in der Lage sein, solche Informatio-nen einzufordern und weiterzugeben, umeiner bestimmten Anfrage zu entsprechen.

245 Mia. $ // // Imp

= 245 MIA.$

In Steuerfragen ist dieSchweiz ein Bremsklotz

// Eigene Berechnungen auf der Basisvon Raymond W. Baker, Capitalism’sAchilles Heel, 2005, S.259, sowie diverserUN-Publikationen //

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EIN ELEFANT IM WOHNZIMMER__29

fungen und Präventivmedizin für 500

Der dritte Punkt in dieser Liste betrifftdie Schweiz direkt. Die Schweiz gibt,wegen ihrer Unterscheidung zwischen ad-ministrativ verfolgter Steuerhinterziehungund strafrechtlich relevantem Steuerbetrugin ihren eigenen Steuergesetzen, nur beiSteuerbetrug Informationen weiter. Siewendet das Prinzip der doppelten Straf-barkeit strikt an. Weil zudem die Schwellefür Steuerbetrug sehr hoch angesetzt ist(eine bewusste Urkundenfälschung mussbewiesen werden), gibt sie anderen Län-dern kaum Informationen heraus, ganz zuschweigen von allen Informationen, die zurUmsetzung der eigenen Steuergesetze not-wendig sind. Schliesslich zielt auch derletzte Punkt auf die Schweiz. Weil bei Steu-erhinterziehung das Bankgeheimnis nichtaufgehoben werden kann, haben die Behör-den gar keinen Zugriff auf die Informatio-nen, die von anderen Ländern gewünschtwerden.

Die Schweiz hatte bereits den Berichtvon 1998 nicht unterstützt und übt seitherpassiven Widerstand. Hinter vorgehaltenerHand wird in der OECD die Schweiz als dasgrösste Hindernis für Fortschritte im Infor-mationsaustausch genannt. Zahlreiche Off-shore-Finanzzentren haben nämlich mitt-lerweile auf Druck der OECD ihre eigene Gesetzgebung und Bankenaufsicht (etwas)verbessert und bilaterale Abkommen überden Informationsaustausch abgeschlossen.Nicht zu Unrecht werfen sie der OECD vor,gegenüber einzelnen ihrer Mitgliedsländer– vor allem der Schweiz – einen deutlichtieferen Standard anzuwenden.

Regelmässig dokumentiert die OECDeinerseits die erreichten Fortschritte undidentifiziert anderseits jene Länder, welchezusätzliche Schritte einleiten müssen. Esverwundert nicht, dass die Schweiz zuLetzteren gehört. Namentlich bemängeltdie OECD, dass die Schweiz bei der Amts-und Rechtshilfe grundsätzlich das Prinzipder doppelten Strafbarkeit anwendet. Damitbefindet sie sich, zusammen mit Luxemburgund Österreich, im illustren Kreis von dubio-sen Offshore-Finanzzentren wie Andorra,den Cook-Inseln, Samoa, San Marino, SantaLucia oder Saint Vincent und Grenada.

Auch in Doha wird gemauertDie Lösung der Steuerproblematik in

Entwicklungsländern liegt – so der Bundes-rat – in der Hand der Länder selbst. Dieswird in seiner Antwort auf eine Interpel-lation des SP-Nationalrats Hans-Jürg Fehr(08.3279) von Ende August 2008 klar. DerBundesrat sieht zwar, dass manche Ent-wicklungsländer Probleme haben, Perso-nen und Unternehmen – auch transnationa-le – richtig zu besteuern. Aber, so fährt erfort: «Erschwert wird ihnen dies haupt-sächlich durch folgende Faktoren: Komple-xität des nationalen Steuersystems, admi-nistrative Schwächen, makroökonomischeInstabilität, rechtliche Unsicherheit undKorruption. Damit die Entwicklungsländertransnationale Unternehmen und Personenbesser besteuern können, müssen die be-troffenen Länder in erster Linie selber Kor-rekturmassnahmen zur Überwindung dergenannten Schwierigkeiten ergreifen.» Dass

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die Schweiz mit ihrer Rechts- und Amtshil-fepraxis und der Unterscheidung zwischenSteuerhinterziehung und Steuerbetrug Bei-hilfe zur Steuerflucht leistet, wird ver-schwiegen. Zugeständnisse schliesst derBundesrat aus, denn er ist «der Meinung,dass die Steuersouveränität jedes Landesunantastbar ist».

Ganz anders klingt es im EuropäischenParlament, das am 23. September einen Be-richt zur Doha-Konferenz verfasst hat. DasParlament fordert die Europäische Kommis-sion auf, sich für einen neuen Internationa-len Rechnungslegungsstandard einzusetzen,der die Unternehmen verpflichtet, von allenTochtergesellschaften Zweck, Personalbe-stand, Umsatz, Gewinn und Steuerzahlun-gen offenzulegen (country-by-country repor-ting). Damit würde das Transfer Pricing starkerschwert. Ebenso wird die Kommissionaufgefordert, Massnahmen gegen Kapital-flucht zu ergreifen, damit Steueroasen (auchdiejenigen in der EU) geschlossen werdenkönnen. Das Europäische Parlament fordertdie Kommission und die Mitgliedstaatenauf, sich für den automatischen Austauschvon steuerrelevanten Daten einzusetzen,damit die Steuerbehörden Informationenüber Vermögenswerte im Ausland erhalten,ohne für jeden einzelnen Fall eine kostspie-lige Anfrage machen zu müssen. Ebenso willdas Parlament den Verhaltenskodex gegenSteuerhinterziehung des Uno-Wirtschafts-und Sozialrates (UN ECOSOC) der Doha-Schlusserklärung hinzufügen. Schliesslichverlangt es die Aufwertung des Uno-Steuer-komitees (Committee of Experts on Interna-tional Cooperation in Tax Matters).

Eine neue internationale Vereinbarung?Die deutsche Entwicklungsministerin

Heidemarie Wieczorek-Zeul hat im Sep-tember 2008 eine internationale Steuerver-einbarung (International Tax Compact) vor-geschlagen. Ziel ist es, ein internationalesForum zu schaffen, um die Akzeptanz desSteuerthemas in der Entwicklungsdiskus-sion zu erhöhen und den Boden für eine gemeinsame Nord-Süd-Agenda vorzube-reiten. Folgende Feststellungen dienen alsAusgangspunkt:

• Die Entwicklungsländer brauchen wirk-same und gerechte Steuersysteme, die dieSteuerhinterziehung verhindern.

• Die Zollkontrollen müssen verbessertwerden, um die Kapitalflucht durchFalschfakturierung von Exporten undImporten zu stoppen.

• Die Geberländer müssen mehr Mittel fürMassnahmen in der Zoll- und Steuerver-waltung zur Verfügung stellen.

• Alle Uno-Mitgliedsländer müssen sichverpflichten, gegen die Steuerhinterzie-hung vorzugehen.

Auch wenn diese Vereinbarung nichtverpflichtend ist, so enthält sie dennochkonkrete Elemente, um die Diskussion überSteuern und Entwicklung auch nach derDoha-Konferenz voranzubringen. Wie langewird die Schweiz da abseits stehen?

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Millionen Kinder +12,5// Ausbildun

+12,5 = 12,5 MIA.$

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ng, Ausrüstung und Löhne von 3 Millio-

Behauptung: Korruption in den Entwicklungs-ländern ist ein viel grösseres Problem alsSteuerflucht.Entgegnung: Tatsächlich ist Korruptionschädlich, und es ist gut, dass dieses Themaseit einigen Jahren mehr Aufmerksamkeiterhält. Allerdings dürfen nicht alle Proble-me der Entwicklungsländer auf Korruptionreduziert werden. Die Gleichung, dass jeärmer ein Land ist, desto korrupter ist es,stimmt nicht. So war beispielsweise Tansa-nia unter Präsident Nyerere ein sehr armesLand, aber Korruption war nicht weitver-breitet. Umgekehrt ist Saudi-Arabien sehrreich, aber äusserst korrupt. Die Korrup-tionsdiskussion krankt daran, dass derFokus einseitig auf den Korrumpierten inden Entwicklungsländern liegt. Die Kor-rumpierenden in den Industrieländern unddie Korruptionsinfrastruktur dürfen nichtausser Acht gelassen werden. Es ist nochgar nicht so lange her, dass Firmen in den Industrieländern – darunter auch die

Schweiz – ihre «Ausgaben» für Korruptionvon den Steuern abziehen konnten. Die In-frastruktur der Korruption – Schein- undTarnfirmen in Steueroasen, Offshore-Kon-ten und verdeckte Mittelsmänner – ist iden-tisch mit den Hilfsmitteln, die für Steuer-flucht gebraucht werden. Mehr Transpa-renz, Regeln für Steueroasen und derInformationsaustausch zwischen Behördenwürden nicht nur bei der Bekämpfung derSteuerhinterziehung helfen, sondern auchdie Korruption und Verbrechen erschweren.

Behauptung: Die Kapitalflucht aus Entwick-lungsländern geschieht nicht in erster Linie, umSteuern zu vermeiden, sondern wegen Rechts-unsicherheit und wirtschaftlicher Instabilität.Die Entwicklungsländer müssen also zuerstihre hausgemachten Probleme lösen.Entgegnung: Zweifellos können die Ent-wicklungsländer sehr viel mehr machen,um ihr Steuerwesen effizienter zu gestaltenund die Steuerflucht einzudämmen. Aller-

Argumentarium

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dings fehlt ihnen dazu häufig das Geld. Na-tionale Massnahmen und der Kampf gegenSteuerflucht sind nicht ein Entweder-oder,sondern ein Sowohl-als-auch. Nur wenndie Abflusskanäle gestopft und die Steuer-fluchtverstecke ausgehoben werden, wirdes den Entwicklungsländern gelingen, ihreSteuereinnahmen dauerhaft zu steigern.Die Schweiz kann ihre Verantwortung nichtauf andere abschieben. Ihre hausgemachteUnterscheidung zwischen Steuerhinterzie-hung und Steuerbetrug ist für viele Länderein grosses Problem.

Behauptung: Die Schweiz hat in den letztenJahren grosse Anstrengungen für einen sau-beren Finanzplatz unternommen.

Entgegnung: Die Schweiz nimmt den Kampfgegen Geldwäsche und Diktatorengelderernst und bemüht sich stärker als andere Finanzplätze um die Rückführung von sol-chen Geldern. Solange sie aber Steuer-fluchtgelder anzieht und schützt, bleibt derKampf gegen kriminelle Gelder Stückwerk.Diese Erfahrung machte Bernard Bertossa,der als Staatsanwalt von Genf Wirtschafts-delikte und Geldwäsche konsequent be-kämpfte: «Schwarzes Geld aus Verbrechenund graues Geld aus Steuerhinterziehung(lassen sich) auf die Dauer nicht ausein-anderhalten. Stets sind Verschleierungenund Verheimlichung im Spiel. Es wird zudenselben okkulten Methoden gegriffen.Oft werden auch dieselben Mittelsmänner

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nen Angestellten im Gesundheitswesen +3

+31,6 = 44,1 MIA.$

Steueroase LondonEngland

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eingeschaltet. So entsteht ein Klima derMogelei und der Tarnung, das die Geldwä-sche sehr begünstigt. Zudem ergibt sich füruns aus dem Umstand, dass die Steuerhin-terziehung rein strafrechtlich betrachtetnicht zu beanstanden ist, ein sehr ernsthaf-tes Problem. Denn Geldwäscherei ist nurdann strafbar, wenn der Geldwäscher wus-ste oder annehmen musste, dass er es mitMitteln kriminellen Ursprungs zu tun hatte.Aber nur in Ausnahmefällen lässt sich die-ser Nachweis erbringen. Und kann der Be-weis erbracht werden, dass der Intermediäranrüchige Geschäfte bar jeder akzeptablenwirtschaftlichen Rechtfertigung begünstig-te, so bekommt man meist zu hören: ‹Ichglaubte, es mit Steuerfluchtgeldern zu tunzu haben.› Die subjektive Seite des Verge-hens ist somit schwerlich nachweisbar.»

Behauptung: Gerade in der gegenwärtig an-gespannten Situation der Banken- und Fi-nanzkrise darf die Schweiz ihr blühendes undlukratives Private-Banking-Geschäft nichtgefährden. Entgegnung: Derjenige Teil des SchweizerBankgeschäftes, der auf der Beihilfe zurSteuerhinterziehung beruht, ist so oder sogefährdet, weil die absolute Mehrheit allerLänder weltweit Steuerhinterziehung nichtals Kavaliersdelikt betrachtet. Die immerwiederkehrenden Skandale schaden demAnsehen der Schweiz.

Die Interessen des Finanzplatzes sindzudem nicht mehr homogen. Für viele Ban-ken sind die institutionellen Kunden (z.B.ausländische Pensionsfonds) ebenso wich-tig wie die reiche Kundschaft des Private

Banking. Vor allem die Grossbanken habenin den letzten Jahren das «Onshore» Ge-schäft, das heisst die Vermögensverwaltungim Wohnsitzland der Kunden ausgebaut.Sie richten sich damit stärker nach derRechtsordnung dieser Länder aus. Die ehrli-che deutsche Kundschaft ist wahrschein-lich nicht sehr erbaut darüber, wenn ihreBank mithilft, Deutschland um Steuerein-nahmen zu bringen. Ein Finanzplatz, des-sen Geschäftsmodell zunehmend als illegi-tim angesehen wird, hat keine Zukunft. DieSchweiz sollte gerade die gegenwärtigenUmbrüche dazu nutzen, die kurzsichtigeBeihilfe zur Steuerhinterziehung im PrivateBanking aufzugeben und eine Strategie füreinen nachhaltigen Finanzplatz entwickeln.

Behauptung: Es nützt nichts, wenn dieSchweiz handelt. Dann machen eben anderediese Geschäfte.Entgegnung: Für einmal kommt der Schweiztatsächlich eine entscheidende Bedeutungzu. Die Schweiz ist der weitaus grösste Off-shore-Private-Banking-Finanzplatz. Zudemspielt die Schweiz im Rahmen der OECD seitJahren eine destruktive Bremserrolle. Auchdie EU-internen Gegner eines erweitertenInformationsaustausches in Steuersachen(Belgien, Luxemburg und Österreich) ver-weisen immer wieder auf die Schweiz, umselber keine weiteren Zugeständnisse ma-chen zu müssen. Bereits heute haben einigeder klassischen Steueroasen dem Informa-tionsaustausch zugestimmt. Die Schweizist das wichtigste Hindernis im Bemühenum vertiefte internationale Kooperation ge-gen Steuerhinterziehung.

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31,6//Eine Million neue Spitalplätze

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Steuern können einen entscheidenden Bei-trag zur Entwicklungsfinanzierung und Ar-mutsbekämpfung leisten. Entwicklungslän-der nehmen aber momentan zu wenig Steu-ern ein, um einen solchen Prozess in Gangzu setzen. Nebst der informellen Wirtschaftund einem schwachen Steuersystem fehlenSteuereinnahmen vor allem wegen Steuer-flucht, der Verschiebung von Unterneh-mensgewinnen und einer ungesunden Steu-erkonkurrenz.

Die EvB ist der Ansicht, dass in diesenBereichen grosser Handlungsbedarf besteht.Sie strebt nach mehr Kooperation auf inter-nationaler Ebene, einem umfassenden Aus-tausch von Informationen, mehr Transpa-renz und der Abschaffung von Steueroasen-Sonderregelungen.

Damit das Potenzial von Steuern zurEntwicklungsfinanzierung zur Geltung kom-men kann, sind folgende Massnahmen er-forderlich:

Forderungenan internationale Organisationen• Ausarbeitung eines Uno-Verhaltensko-

dex über internationale Kooperation zurBekämpfung der Steuerhinterziehung unddie Aufwertung des Uno-Steuerkomitees(Committee of Experts on InternationalCooperation in Tax Matters) zu einemintergouvernementalen Organ mit ausrei-chender Finanzierung und Kompetenz.

• Verbot aller juristischen Konstruktionen,die Steueroasen entwickelt haben unddie vor allem der Steuervermeidung die-nen, wie Briefkastenfirmen, spezialisier-te Stiftungen und Trusts. Volle Offenle-gung der wirtschaftlichen Berechtigtenvon allen juristischen Personen.

• Ausarbeitung und Beschluss eines neueninternationalen Rechnungslegungsstan-dards, der die Unternehmen verpflichtet,von allen Tochtergesellschaften Zweck,Personalbestand, Umsatz, Gewinn undSteuerzahlungen offenzulegen (country-

ForderungenDER EVB UND DES INTERNATIONALEN

NETZWERKS STEUERGERECHTIGKEIT

+45,0// Tests und 3-fach-Therapie f

+45,0 = 89,1 MIA.$

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by-country reporting). Damit wird dasTransfer Pricing bekämpft.

• Einrichtung einer internationalen Steuer-behörde, welche die internationale Steu-erkonkurrenz beschränkt und eine inter-nationale Besteuerung von multinationa-len Unternehmen einführt.

Die internationale Gemeinschaft und dieeinzelnen Geberländer sollen Entwick-lungsländer mit folgenden Massnahmenbeim Aufbau eines effektiven Steuerwesensunterstützen:

• Training und ausreichende Entlöhnungvon Steuerbehörden, um die Korruptionund die Gefahr der Abwerbung zu ver-ringern.

• Zeitgemässe Computerinfrastruktur undlokal angepasste Buchführungsprinzipien.

• Unterstützung bei der Einführung vonprogressiven direkten Steuern.

• Ausbildung von Personal, das Steuerhin-terziehung effektiv bekämpfen kann.

• Weiterbildung von Steuerexpertinnen und-experten für Verhandlungen mit grossenKonzernen und über Doppelbesteuerungs-abkommen.

• Einbezug der Zivilgesellschaft in diesteuerpolitische Diskussion.

Schweiz• Die Aufhebung der Unterscheidung zwi-

schen Steuerhinterziehung und Steuer-betrug ist überfällig. Die Schweiz sollauch bei Steuerhinterziehung Rechts- undAmtshilfe leisten, das heisst ausländi-

schen Steuerbehörden die nötigen Infor-mationen zum Vollzug ihrer Steuergeset-ze zur Verfügung stellen.

• Als erste Sofortmassnahme soll – nachdem Prinzip der Gleichbehandlung – diegegenüber den USA geltende, sehr weiteInterpretation von Steuerbetrug als gene-relle Praxis in der Rechts- und Amtshilfefür alle Staaten eingeführt werden. Diesist ganz besonders für Entwicklungs- undSchwellenländer wichtig.

• Die Schweiz muss ihre Blockadehaltunggegenüber der EU, der OECD und im Rah-men der Uno aufgeben und in allen rele-vanten Gremien aktiv mit anderen Län-dern bei der Bekämpfung der Steuerhin-terziehung kooperieren.

UnternehmenUnternehmen, die ihre Unternehmensver-antwortung ernst nehmen, verzichten aufaggressive Steuervermeidung:

• Verzicht auf verschachtelte Strukturenvon Tochtergesellschaften in Steueroasen.

• Vermeidung von Transfer Pricing: DieUnternehmensorganisationen bilden diereale Geschäftstätigkeit ab, und die Steu-erzahlungen entsprechen der Wertschöp-fung in den einzelnen Ländern.

• Befolgung von Buchstaben und Geist derSteuergesetze: keine Ausnützung von ju-ristischen Grauzonen zur Steuervermei-dung.

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ür alle 30 Millionen HIV-Infiszierten

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Was man mit 245 Milliarden Dollar – die jährlichen Verluste derEntwicklungsländer durch Steueroasen – so alles finanzieren könnte:(jährliche Ausgaben in Milliarden US-Dollar)

Impfungen und Präventivmedizin für 500 Millionen Kinder +12,5

Ausbildung, Ausrüstung und Löhne von 3 Millionen Angestelltenim Gesundheitswesen +31,6

Eine Million neue Spitalplätze +45,0

Tests und 3-fach-Therapie für alle 30 Millionen HIV-Infisziertenin Entwicklungsländern (2007) +12,0

Eine Million neue Klassenzimmer +6,9

Ausbildung und Löhne von einer Million Lehrerinnen und Lehrern +3,3

Umfassende Familienplanungsdienste* +10,5

Sauberes Wasser für 1,75 Milliarden Menschen* +10,0

Abwasserversorgung für 1 Milliarde Menschen in städtischen Slums* +13,8

Gemeinschaftlich gebaute Häuser für 1 Milliarde Menschen* +21,0

Programme für nachhaltige Landwirtschaft für 1 Milliarde Menschen* +22,4

Bekämpfung der Desertifikation landwirtschaftlicher Flächen weltweit* +56,0

// Eigene Berechnungen auf der Basis von Raymond W. Baker, Capitalism’sAchilles Heel, 2005, S.259, sowie diverser UN-Publikationen //

//=Total 245 Mia.$