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Archiv und Wirtschaft · 43. Jahrgang · 2010 · Heft 1 11 Aufsätze Entstehung, Entwicklung und Bedeutung der Lausitzer und mitteldeutschen Braunkohlenindustrie im Spiegel ihrer Überlieferung im Bergarchiv Freiberg Clemens Heitmann unter Mitarbeit von Matthias Fiedler und Sebastian Müller 1 Im mitteldeutschen Braunkohlenrevier im Groß- raum Leipzig und im Lausitzer Braunkohlenrevier zwischen Berlin und Dresden lagen die Zentren der Braunkohlenförderung und -verarbeitung so- wie der Energieproduktion der DDR. (BAF Bestand 40200-1 Nr. 2882)

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Archiv und Wirtschaft · 43. Jahrgang · 2010 · Heft 111

Aufsätze

Entstehung, Entwicklung und Bedeutung der Lausitzer und mitteldeutschen Braunkohlenindustrie im Spiegel ihrer Überlieferung im Bergarchiv Freiberg

Clemens Heitmann unter Mitarbeit von Matthias Fiedler und Sebastian Müller1

Im mitteldeutschen Braunkohlenrevier im Groß-

raum Leipzig und im Lausitzer Braunkohlenrevier

zwischen Berlin und Dresden lagen die Zentren

der Braunkohlenförderung und -verarbeitung so-

wie der Energieproduktion der DDR. (BAF Bestand

40200-1 Nr. 2882)

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1. Bedeutung des Lausitzer und des mittel-

deutschen Braunkohlenreviers sowie der

Braun kohlenindustrie für Ostdeutschland

Die wirtschaftliche und später auch die industriel-le Entwicklung Sachsens sind seit jeher vom Bergbaugeprägt, welcher hier eine lange Tradition hat. Warenes im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit vorallem der Bergbau auf Edel- (Silber) und Buntmetal-le (Blei, Kupfer, Zinn und Zink), so gewannen seitder zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Stein-kohlen- und später der Braunkohlenbergbau anBedeutung. Im bipolaren Zeitalter war es dann derUranbergbau der sowjetisch-deutschen Wismut AG(SDAG Wismut), der Men schen prägte und Land-schaften überformte; seine Hinterlassenschaften wieauch die des Steinkohlenbergbaus sind topogra-phisch wie sozial bestimmend und werden nochkommende Generationen beschäftigen. Das wohlspektakulärste und augenfälligste Beispiel anthropo-gener Berg bau(folge)landschaften aber bieten diebeiden Braun kohlenreviere, welche sich zumindestteilweise auf das Gebiet des heutigen FreistaatesSachsen erstrecken: Das mitteldeutsche2 und dasLausitzer Braunkohlenrevier.3

Vor der Industrialisierung der beiden Regionenwurde Braunkohle aus zahlreichen kleinen lokalenGruben gefördert und als häusliches Brennmaterialoder als landwirtschaftlicher Dünger genutzt. Immitteldeutschen Raum begann die Förderung inkleinem Umfang bereits im 17. Jahrhundert in Ta -gebauen oder oberflächennahen untertägigenBergwerken. In der Lausitz wurde am Standort desspäteren Braunkohlenkombinats Lauchhammer1789 Braunkohle gefunden und ein erster Braun-kohlenschacht dort 1815 niedergebracht. DerBrennstoffbedarf der Spremberger Tuchfabrikenund Glashütten war dann in den 1860er Jahren das

auslösende Moment für die Gründung mehrererGrubenbetriebe in der Oberlausitz. Denn seitdemEnde der 1850er Jahre Braunkohle verschwelt undbrikettiert wurde,4 konnte sich die Lausitzer Braun-kohle auf dem deutschen Brennstoffmarkt gegendie Steinkohle aus Schlesien und aus dem Ruhrre-vier durchsetzen. Nach 1870 nahm die Braunkohle-gewinnung strukturbestimmende Ausmaße an;1882 wurde bei Domsdorf die Brikettfabrik Louiseeröffnet,5 1911 entstand bei Hirschfelde (Zittau)das erste deutsche Braunkohlegroßkraftwerk. Seitdieser Zeit übertraf die Förderung aus den offenenTagebauen diejenige der Braunkohlenbergwerke(Tiefbaugruben), da zunehmend Großgeräte fürdie umfangreichen Abraumbewegungen und dieKohleförderung eingesetzt wurden. Zur Vollendunggebracht wurde dieses Prinzip des technisch effi-zienten Grubenbetriebs 1924 mit der Errichtungder weltweit ersten Abraumförderbrücke in derGrube „Agnes“ im brandenburgischen Plessa. Dererste Großtagebau in Mitteldeutschland entstand1921 im Südraum von Leipzig (Tagebau Böhlen,1969 in Tagebau Zwenkau umbenannt). Damiteinher ging ein Ausbau der Verkehrsinfrastrukturfür den kostengünstigen Transport zwischen denGruben, Fabriken und Abnehmern, eine Zunahmeder Beschäftigten und der regionalen Bevölkerungsowie eine Wandlung der Siedlungsstrukturen. Orteverloren ihren dörflichen Charakter, wurdendevastiert oder es wurden völlig neue Siedlungenfür die Arbeiter der Tagebaue gegründet.

Bald wurde Braunkohle nicht mehr nur als Brenn -stoff für Industrie und Privathaushalte genutzt,sondern als Grundstoff für die industrielle Kohle-chemie. Im Zuge der nationalsozialistischen Autar-kiepolitik wurden Verfahren zur Treibstoffherstel-lung auf Braunkohlenbasis forciert und es entstan-den im mitteldeutschen Revier zwischen 1935 und

Montagestelle der F 32 im Juni 1954. Seit Ende der 1930er Jahre wurde südwestlich von Senftenberg der

Tagebau Skado betrieben. 1945 wurde die gerade erst errichtete Abraumförderbrücke sowie die übrige Tage-

bauausrüstung von der Sowjetunion als Reparationsleistung demontiert. Bis 1955 errichtete die DDR eine

neue Förderbrücke (Abbildung), die dann bis 1977 im Einsatz war. (BAF Bestand 40200-1 Nr. 0004)

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1942 die Braunkohlenverarbeitungswerke in Böhlenund Espenhain.

Nach Kriegszerstörung, Wiederaufbau undVerstaatlichung der Anlagen wurden ab 1968konzernähnliche Braunkohlenkombinate mit einerVielzahl großräumiger Tagebaue, Brikettfabriken,Kokereien, Schwelereien und Kraftwerken sowieden erforderlichen Ausrüstungsbetrieben gebildet.Im Südraum Leipzigs entstand z. B. das „Braunkoh-lenkombinat Espenhain“ mit über 50 000 Beschäf-tigten. Im Lausitzer Revier entstanden das Braun-kohlenkombinat Senftenberg, welches dort alleinsiebzehn Tagebaue betrieb6 und im Jahr 1989 etwa1/6 der Braunkohlenweltproduktion förderte, sowieab 1955 nördlich der Stadt Hoyerswerda mitten ineiner bis dahin weitgehend unbesiedelten Heide-landschaft das „Gaskombinat Schwarze Pumpe“.7

Durch diesen später einmal größten Braunkohlen-veredlungsbetrieb der Welt stieg die Zahl derEinwohner in dem vormals kleinen, heute zuSachsen gehörigen Ort Hoyerswerda innerhalbvon drei Jahrzehnten von weniger als 10 000 aufschließlich über 70 000 Menschen, für die hiereine – dem Anspruch nach – sozialistische Stadtmit industriell gefertigten Wohnungen in dermarkanten Großblock- und Plattenbauweise undden ergänzenden Funktionsbauten geschaffenwurde.

Im Jahr 1980 folgte ein weiterer Konzentrations-prozess und (fast) alle bis dahin bestehendenBraunkohlenkombinate wurden in den Kombina-ten Bitterfeld (Mitteldeutschland) und Senftenberg(Lausitz) zusammengeführt. Diese Struktur bliebdann bestehen, bis mit der DDR auch derenstaatswirtschaftliche Strukturen untergingen undin den Braunkohlenrevieren ein radikaler Umbrucheinsetzte. Zahlreiche Tagebaue und Brikettfabriken(sowie praktisch die gesamte mitteldeutscheKohlechemieindustrie) wurden stillgelegt, andereBetriebe wurden durch die Treuhandanstalt privati-siert und weitergeführt. So entstanden aus demeinstmals „volkseigenen“ BraunkohlenkombinatBitterfeld die „Vereinigte Mitteldeutsche Braunkoh-lenwerke AG“, aus dem BraunkohlenkombinatSenftenberg die „Lausitzer Braunkohle AG“ (LAU-BAG) und aus dem Gaskombinat Schwarze Pumpedie „Energiewerke Schwarze Pumpe AG“ (ESPAG).8

2. Die Überlieferung der Braunkohlen-

industrie im Bergarchiv Freiberg

Mit der Lausitzer und mitteldeutschen Braun-kohlenindustrie wurden auch deren Registraturenund Betriebsarchive abgewickelt und aufgelöst. Dadie gesamte Branche Teil der DDR-Staatswirtschaftwar, gehörte folglich auch deren Überlieferung instaatlichen Archivgewahrsam9. Die AbteilungBergarchiv Freiberg ist innerhalb des SächsischenStaatsarchivs zuständig für die Überlieferung dermittleren und unteren sächsischen Bergverwaltungsowie der sächsischen Bergbau- und Hüttenbetrie-be und der zugehörigen wirtschaftsleitenden Ein -

richtungen. Dies betrifft insbesondere Betriebe,deren Hauptgegenstand die Gewinnung von Roh -stoffen war, aber auch weitere damit eng verknüpf-te, der Bergverwaltung unterstehende Unterneh-men sowie deren Rechts- und Funktionsvorgänger.Unglücklicherweise wurden die Registraturen derDDR-Braunkohlenindustrie in den 1990er Jahrenin mehrere Teile zerrissen; privatisierte Unterneh-men erhielten mindestens die für die weitere Be -

Broschüre der Lausitzer Braunkohle AG. Der Tage-

bau Nochten im sorbischen Siedlungsgebiet der

Oberlausitz wurde ab 1960 angelegt. Der Betrieb ge-

hört zu den wenigen der einstmals 39 Braunkohle -

tagebaue der DDR-Staatswirtschaft, die heute von

der Firma Vattenfall Europe Mining fortgeführt wer-

den, und liefert den Brennstoff für das Kraftwerk

Boxberg sowie für die Brikettfabrik Schwarze Pum-

pe. (BAF Bestand 40200-1 Nr. 2882)

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triebsführung erforderlichen Unterlagen, Personal-unterlagen und Gehaltsnachweise wurden füröffentliche Stellen herausgelöst ebenso wie solchefür Aufgaben der Bergbausanierung. Lediglich dienicht benötigten Altunterlagen wurden unmittelbaran staatliche Archive abgegeben. Dieser Prozess derAuflösung und Abwicklung eines Staates und seinerStaatswirtschaft innerhalb weniger Jahre ist histo-risch ohne Beispiel und entsprechend verlief auchdie – angesichts der Dimension der Aufgabe sicher -lich nachrangige – Verwahrung und Verwaltung derÜberlieferung bis zur Abgabe an die (seinerzeitteilweise erst in Gründung befindlichen) Archive.Dem Bergarchiv Freiberg sind seit dem Jahr 2008große Mengen Unterlagen (geschätzt etwa 5 000lfm) der abgewickelten DDR-staatlichen Braunkoh-lenindustrie sowie auch der nachfolgenden Berg-bausanierungsunternehmen angeboten worden.Der oben beschriebene Prozess des Kollapses einerganzen Branche spiegelte sich in der (fehlenden)Struktur der Überlieferung, so dass über 1 000 lfmUnterlagen aktenweise gesichtet und bewertet wer -den mussten und davon schließlich ca. 1/5 über-nommen werden konnte.10 Anzumerken ist aller-dings, dass die Überlieferung keineswegs zusam-menhängend oder vollständig und der Prozess derÜberlieferungsbildung noch lange nicht abge-schlossen ist. Bereits zur DDR-Zeit waren Altunter-lagen stillgelegter Bergbaubetriebe an die zuständi-gen staatlichen Archive abgegeben worden, undentsprechend besteht dort auch heute eine Vielzahl

kleinerer Provenienz- oder Sammlungsbestände.11

Wenngleich im Bergarchiv Freiberg der Überliefe-rungsschwerpunkt der Braunkohlenindustriemengenmäßig bei den Betrieben und wirtschafts-leitenden Organisationseinheiten der DDR-Zen-tralverwaltungswirtschaft liegt, so bestehen dieentsprechenden Bestände doch mitnichten nur ausAkten mit der Laufzeit 1945-1990. Vielmehr setztdie Überlieferung mit Vorläufern in der Mitte des19. Jahrhunderts ein12 und läuft bis zur Gegenwart(die derzeit jüngste Unterlage betrifft die Sanierungder Braunkohleveredlung Espenhain/Böhlen undstammt aus dem Jahr 2006). Neben Akten sindzahlreiche Karten, Pläne und Risse, audiovisuelle,fotografische sowie auch elektronische Unterlagenüberliefert. Anhand dieser Überlieferung lässt sichein sehr dichtes Bild der Branche sowie auch ver -schiedener zeitgeschichtlicher Epochen, der Wirt-schafts- und Technikgeschichte und der Umwelt-und Siedlungsgeschichte der Region sowie auch desTransformationsprozesses der neuen Länder be -schreiben. Wie vielfältig diese Unterlagen sind, sollim Weiteren anhand einiger ausgewählter Themen-felder beschrieben werden.

3. Themen und Fallbeispiele

3.1 Verlorene Orte

Mit dem Übergang vom Tiefbau- zum Tagebau-verfahren im mitteldeutschen und Lausitzer Revier

Broschüre des bundeseigenen Bergbausanierungsunternehmens LMBV. Von 1937 bis zur Stilllegung im Jahr

1994 hat der ehemalige Großtagebau Espenhain im Südraum von Leipzig rund 40 km2 Fläche sowie 14 Orte

in Anspruch genommen, wobei fast 8 700 Einwohner umgesiedelt wurden. Seit dem 1. Januar 1994 ent -

stehen dort durch Flutung der Restlöcher der Markkleeberger sowie der Störmthaler See. (BAF Bestand

40200-1 Nr. 2882)

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ab der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wareine extensive Landschaftsinanspruchnahme ver -bunden, die schließlich nicht nur Ödland betraf,sondern auch landwirtschaftliche Flächen sowiebebautes Gebiet nicht verschonte. Wo Braunkohleunter der Erde lag, mussten Mensch und Vieh undbald sogar ganze Dörfer oder Städte weichen und esentstanden gewaltige Tagebaugruben. Für dasLausitzer Revier ist von 135 abgebaggerten Ortenmit annähernd 30 000 Betroffenen auszugehen, immitteldeutschen Revier geht man von 126 Siedlun-gen mit über 50 000 Betroffenen aus.13 Dies istkeinesfalls ein Phänomen der DDR-Geschichte,sondern begann bereits in der Zwischenkriegszeit,fand später in beiden deutschen Staaten statt undwird weiterhin verfolgt.14 Der administrative Pro -zess von der Erkundung eines Vorkommens überdie Planung des Abbaus bis schließlich hin zurEinleitung, Umsetzung und Nachbereitung der„Ortsverlegungen“ ist im Bergarchiv ausgiebigdokumentiert. Dazu gehören die Vermessung undKartierung der Abbauflächen, die Dokumentationder darauf befindlichen Siedlungen und die Inven-tarisierung aller Güter, die Verhandlungen mit

Eigentümern sowie deren Registrierung oder auchdie Umbettung der auf den örtlichen FriedhöfenBestatteten. Diese regelmäßig sehr aufwendigenund sorgsam dokumentierten Maßnahmen belegeneindrücklich, dass Devastierungen sowohl in derWeimarer Republik als auch in der DDR und derBundesrepublik keinesfalls unumstritten waren.Die so seinerzeit für die Vermögensfeststellungengefertigten Fotografien dokumentieren heuteverschwundene Siedlungen und Infrastruktur,gerodete Wälder, umgelegte Flüsse oder abgebag-gerte Bodenflächen. An die verlorenen Orte unddas Leben und die Gebräuche der Bewohnererinnern diverse Alben und Druckschriften, diewährend der zurückliegenden hundert Jahreentstanden sind – zumeist von den Betroffenenverfasst und finanziert von den Braunkohlenbetrie-ben. Solche „Ortschroniken“ sind heute einewichtige Quelle, denn die einst umgesiedeltenMenschen beginnen sich zu vernetzen, eine eigeneErinnerungskultur zu schaffen und Gedenkorteeinzurichten, wie z. B. kurzzeitig in der Ruine derKirche von Wachau südlich von Leipzig.

Montage der Abraumförderbrücke „Clara“ in der gleichnamigen Grube der „Eintracht Braunkohlenwerke

und Brikettfabriken AG“ bei Welzow im Jahr 1930. Nachdem 1924 in der Grube „Agnes“ im brandenburgi-

schen Plessa die weltweit erste Abraumförderbrücke errichtet worden war, entstanden im Lausitzer Braun-

kohlenrevier in rascher Folge derartige Tagebaugroßgeräte. (BAF Bestand 40200-3 Nr. S0597)

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3.2 Zwangsarbeit

Erwartungsgemäß finden sich auch in der Über -lieferung der Braunkohlenindustrie Unterlagenüber das System der NS-Wirtschaft, den Einsatzvon Arbeitssklaven sowie über deren Herkunft undLebenssituation. Über das NS-System hinaus wurdeder Einsatz von Zwangsarbeitern in den Braunkoh-legruben im 20. Jahrhundert nahezu durchgängigpraktiziert. Während des Ersten Weltkriegs muss-ten in Lausitzer Gruben kriegsgefangene Griechen,Russen und Franzosen die fehlenden Bergleuteersetzen und Kohle fördern, und auch der sozialis-tische deutsche Staat setzte bedenkenlos Zwangsar-beiter ein, um seine marode Staatswirtschaft amLeben zu erhalten. Insbesondere bei den Großbe-trieben der Bergbau-, Chemie- und Schwerindus-trie entstanden so genannte Haftarbeitslager, vondenen aus Gefangene des regulären Strafvollzugszur Zwangsarbeit dirigiert wurden. In den Bestän-den des Bergarchivs Freiberg finden sich Unterla-gen über die Arbeit, die Versorgung und die Unter-bringung der Gefangenen, Lohnunterlagen sowiePläne der Lager und Anweisungen der Volkspolizei.Absurderweise stellte letztere nicht nur die Bewa-cher der Gefangenen, sondern musste sogar selbstPersonal für die harte Arbeit in den Betrieben ab -ordnen15 – so ergibt sich in der Gesamtschau einBild vom dramatischen Scheitern der DDR-Staats-wirtschaft.

3.3 Technologische Entwicklung

Die Entwicklung der Braunkohlenindustrieinner halb der vergangenen hundert Jahre ist be -sonders eindrucksvoll abzulesen an der Art desAbbauverfahrens und der dabei eingesetzten Groß -geräte. Nach ersten, eher zufälligen Braunkohlefun-den wurde die Kohle dort gewonnen, wo das Flözoffen zu Tage austrat. Lag die Kohle zu tief unter derTagesoberfläche, so dass der Abbau mit so einfachentechnischen Mitteln wie Keilhaue, Schaufel undHandkarren nicht mehr zu bewältigen war, gingman zum klassischen Bergbau (Tief bau) über, deraber aufwendiger und mit hohen Abbauverlustenverbunden war.16 Effizienter ist die Förderung imTagebauverfahren, wobei schlicht das über derabzubauenden Kohle liegende Deckgebirge abge-baggert und aufgeschüttet wird – die Folge sind die

landschaftsbestimmenden Tagebaulöcher und -halden. Dazu aber mussten gewaltige MengenAbraum (Erde, Sand, Gestein usw.) gefördert undbewegt werden. 1885 unternahm man erste Versu-che, die Abraumgewinnung mittels Bagger zu me -chanisieren, und in der Folgezeit hielten Eimerket-tenbagger (ab 1889), Löffelbagger (ab 1904), Schau -felradbagger (ab 1916) sowie Absetzer (ab 1915)vermehrt Einzug in die deutschen Braunkohlenbe-triebe. Als Transportmittel für die Abraummassenvom Bagger zur Kippe dienten Eisenbahnen.

In der Kohlegewinnung dagegen setzte dieMechanisierung erst kurz vor Beginn des ErstenWeltkrieges ein, indem man für die Förderung Seil-oder Kettenbahnen benutzte. Als sich die Entfer-nung zwischen Tagebau und den Veredlungsanla-gen weiter vergrößerte, ging man auch in derKohleförderung zum Bahnbetrieb über. Nachdemerstmals im Jahr 1901 im Rheinischen Revier eineelektrische Abraumlokomotive fuhr, setzten sichelektrische Lokomotiven in der Zugförderung ab1908 auch im Lausitzer und mitteldeutschen Revierdurch und prägten dort das Bild der Tagebaubetrie-be und Landschaften.

Eine technologisch neue Epoche begann im Braun -kohlentagebau, als die Plessaer Kohlenwerke auf derGrube „Agnes“ im Oktober 1924 die weltweit erstefunktionsfähige Abraumförderbrücke in Betrieb nah -men. Von diesem Tagebaugroßgerät, das die Haupt-prozesse im Tagebau (Gewinnung, Förderung undVerkippung) in einem Gerät vereint, wur den bis 1945insgesamt zwanzig Anlagen dieser Art im Lausitzerund mitteldeutschen Revier in Dienst gestellt.

Nicht zuletzt durch den von den Nationalsozialis-ten forcierten Ausbau der Braunkohlenindustriewurden noch größere und leistungsfähigere Eimer-kettenbagger sowie Schaufelradbagger, Bandabsetzerund Abraumförderbrücken in Betrieb genommen.Diese Entwicklung erzwang auch eine Anpassungder Transportmittel, so dass man bei Neuaufschlüs-sen vermehrt die Zugförderung statt auf 900 mm-Schmalspur auf 1435mm-Normalspur auslegte.

Am Tag der Kapitulation des Deutschen Reichsbefanden sich auf dem Territorium der späterensowjetischen Besatzungszone (SBZ) insgesamt 69Braunkohlentagebaue, von denen der größte Teildas Ende des Krieges ohne wesentliche Kriegsschä-den überstanden hatte. Erhebliche Schwierigkeitenbereiteten der Braunkohlenindustrie in der SBZ der

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Mangel an Material und Ersatzteilen sowie die sow -jetischen Demontagen. Die Entnahmen von Aus-rüstungen, Anlagen und Material aus den Tagebau-en begannen bereits im Juli 1945, zogen sich bis1948 hin und betrafen insgesamt 39 Tagebaue. DerUmfang der Demontagen war sehr unterschiedlichund reichte von der Entnahme einzelner Tagebau-geräte bis hin zum Abtransport der gesamtenTagebauausrüstung, wodurch die Produktivität derBetriebe absank.17 Nach Beendigung der Demonta-gen in der SBZ standen den Braunkohlenwerkennoch 728 Tagebaugeräte zur Verfügung, die, vonwenigen Ausnahmen abgesehen, überaltert undwährend des Krieges stark verschlissen waren.Gleiches gilt grundsätzlich auch für das rollendeMaterial. Dieser Zustand der vorhandenen Maschi-nen und Anlagen, deren große Typenvielfalt sowieder Umstand, dass mehrere Hersteller von Tage-baugeräten, Lokomotiven und Wagen ihren Fir-mensitz auf dem Gebiet der späteren Bundesrepu-blik hatten, zwang schon Ende der 1940er Jahre zurAusarbeitung eines Typenprogramms für Tagebau-geräte und rollendes Material, doch erst ab 1954war der Schwermaschinenbau der DDR, der bis

dahin überwiegend Tagebautech-nik für die UdSSR gebaut hatte, inder Lage, auch für die DDR-Kohle nindustrie Tagebaugeräte zufertigen.

3.4 Betriebsalltag

Die Besonderheit der staatswirt-schaftlichen Großbetriebe in derDDR war, dass die Unternehmennicht nur horizontal und vertikalsämtliche Geschäftsfelder derBraunkohlenindustrie abdeckten,sondern darüber hinaus vielfältigeweitere, eigentlich branchenatypi-sche Tätigkeiten übernahmen, z.B. den Betrieb von Verkaufsein-richtungen, Wohnungsbau- undVersorgung, Produktion vonKonsumgütern, die Trägerschaftfür Gesundheits-, Betreuungs-,Ferien- und Bildungseinrichtun-gen, Energieforschung sowie denBetrieb umfangreicher Verkehrs-

netze. Daher sind in einem gewöhnlichen Archiv-bestand eines DDR-Kombinates regelmäßig z. B.Unterlagen über die Vergabe von Zimmern inFerienheimen an der Ostsee, die Verteilung vonMietwohnungen oder die Beschaffung von allerleiKonsumgütern bis hin zu PKWs überliefert.Ebenso sind immer Unterlagen über politische undmilitärische Ereignisse in den Betrieben enthalten.Damit sind nicht die Unterlagen aus der Prove-nienz der Staatspartei oder der Armee gemeint,sondern solche, die durch die reguläre Tätigkeit derWirtschaftsbetriebe entstanden sind. Typisch sindz. B. langatmige Berichte von Parteifunktionärenoder Alben mit in der Rückschau bedrückend an -mutenden Fotografien von Übungen der paramili-tärischen „Kampfgruppen der Arbeiterklasse“. Eineweitere eigene und ganz regelmäßig wiederkehren-de Quelle sind so genannte „Brigadebücher“, wel -che die Beschäftigten in zahlreichen betrieblichenOrganisationseinheiten geführt haben. Darin be -richten sie über Ereignisse in ihren Betrieben und„Brigaden“ (z. B. die Inbetriebnahme einer neuenAnlage), soziale Aktivitäten mit Kolleginnen undKollegen (Brigadeausflüge) sowie über politische,

Eine Gruppe junger Mosambiquaner im volkseigenen Braunkohlen-

werk Welzow im Jahr 1979. Nach der Unabhängigkeit Mosambiques

von der portugiesischen Kolonialmacht im Jahr 1975 entsandte Ost-

Berlin Entwicklungshelfer und plante, Mosambiquaner in DDR-Staats-

betrieben zu „klassenbewussten Arbeitern“ zu erziehen. So kamen

während der 1980er Jahre Tausende junger Afrikaner in die DDR, wo

sie u. a. in Betrieben der Braunkohlenindustrie arbeiteten. Eine Inte-

gration oder gar ein Verbleib der Menschen in der DDR war allerdings

nie geplant. Sie sollten nach wenigen Jahren in ihre Ursprungsländer

zurückkehren und waren in der DDR einer restriktiven Aufenthaltsrege-

lung unterworfen. (BAF Bestand 40200-1 Nr. 0849)

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private oder kulturelle Dinge im betrieblichen Kon -text. In der Gesamtschau entsteht so ein rechtvielgestaltiges Bild von der Arbeit und dem Lebender Beschäftigten in den DDR-Betrieben, das je -doch teilweise konstruiert oder gar verordnet er -scheint.

In jedem Fall sind durch diese Quellentypen dieWirtschaftsbestände der Archive in den neuenBundesländern ungemein „bunt“ und unterschei-den sich deutlich von der Wirtschaftsüberlieferungin den alten Bundesländern.

3.5 Fallbeispiel: Von der Grube Werminghoff

zum Industriemuseum

Möchte man die Entwicklung der Braunkohlen-industrie betrachten und über den Zeitraum,währenddessen diese Branche mehrere Regionennachhaltig geprägt hat, verfolgen, bietet es sich an,die Geschichte eines Betriebes zu betrachten. Aller -dings hat kaum ein Betrieb während des 20. Jahr-hunderts durchgängig existiert, viele der frühenGruben und angeschlossenen Werke sind beizeitenwieder aufgegeben oder fusioniert worden, späterfolgten nationalsozialistische „Arisierung“ oderstaatssozialistische Enteignung, Konzernbildung(volkseigene Kombinate) und schließlich Zerschla-gung der staatswirtschaftlichen Strukturen. Exem-

plarisch fürdiese wechsel-hafte Geschich-te mindestensin der erstenHälfte des 20.Jahrhundertssoll hier dasBraunkohlen-werk „GrubeWerminghoff“betrachtetwerden, dessenGeschichtebereits zweiJahre vor dereigentlichenBetriebsgrün-dung 1912begann, als die„Aktiengesell-

schaft Eintracht Braunkohlenwerke und Brikettfa-briken“18 (kurz Eintracht) erste Grundstückezwischen den Oberlausitzer Ortschaften Mauken-dorf, Groß Särchen und Buchwalde im heutigenLandkreis Bautzen erwarb. Bereits 1911 wurden indiesem Bereich erste Probebohrungen vorgenom-men, bei denen abbauwürdige Kohlevorkommenfestgestellt wur den. Es folgte die Rodung derbetreffenden Flächen und danach der Aufschlussder ersten Grube. Damit einher ging die Verlegungörtlicher Wasserläufe wie z. B. des Schwarzwasserssowie die Senkung des Grundwasserspiegels imAbbaugebiet mithilfe von Pumpstationen. Unweitdes Aufschlussgebietes wurde 1913 mit der Errich-tung einer ersten Arbeitersiedlung und einesBahnhofs begonnen. Auch erfolgte noch im selbenJahr der Anschluss der Werkbahn an die Staats-bahnlinie Hoyerswerda-Niesky. Im Jahr 1914 wurdeschließlich die Brikettfabrik Werminghoff errichtet,wel che dann im Juli 1918 die Produktion aufnahm.Beide, Arbeitersiedlung und Brikettfabrik, wurdenehrenhalber nach dem 1914 verstorbenen General-direktor der „Eintracht“, Joseph Werminghoff,benannt.

Da die umfangreichen Bauarbeiten mit nachheutigem Maßstab primitiven Arbeitsmittelnausgeführt wurden, dauerte der Grubenaufschlussfast fünf Jahre. Außerdem musste der Ort Buchwal-

Die Anlagen des Braunkohlenwerks „Grube Werminghoff“ (in der DDR bezeichnet als

volkseigener Betrieb „Glückauf Knappenrode“) in der Oberlausitz wurden 1947-1948 de-

montiert und sollten anschließend durch eine neue Förderbrücke ersetzt werden (Ab-

bildung). Stattdessen wurde jedoch 1949 eine Förderbrücke aus dem Tagebau Clara bei

Welzow umgesetzt, der Betrieb nach Auskohlung 1960 eingestellt und das Restloch ab

1967 geflutet (heute bekannt als „Silbersee“). (BAF Bestand 40200-1 Nr. 2884)

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de dem Tagebau weichen, was zeitraubende Ver-handlungen mit der ansässigen Bevölkerungerforderte, mit der die Eintracht zunächst denfinanziellen bzw. materiellen Ausgleich suchte undlediglich bei nicht zu erwartender EinigungZwangsenteignungen erwirkte.

Im August 1917 war der Aufschluss der GrubeWerminghoff abgeschlossen und die Kohleförde-rung wurde begonnen. Zunächst belief sich dieTagesproduktion, die noch weitgehend ohnetechnische Hilfsmittel erreicht werden musste, auf600 Tonnen. Zu dieser Zeit beschäftigte der Betriebinsgesamt etwa 670 Arbeiter, von denen lediglich160 deutscher Nationalität waren. Die übrigen 500waren kriegsgefangene Griechen, Russen undFranzosen sowie Zivilisten polnischer Nationalität.In den darauf folgenden Jahren wurde die Produk-tion stetig gesteigert, bis 1924 wurde die täglicheRohkohlenförderung auf 1 700 Tonnen erhöht unddie Belegschaft wuchs auf 900 Mitarbeiter an. Diestetige Produktionssteigerung ist auch auf diezunehmende Technisierung des Abbaues zurückzu-führen. So wurde im Jahr 1928 die erste Abraum-förderbrücke in der Grube Werminghoff errichtet –nur drei Jahre nach der Errichtung der weltweitersten Anlage überhaupt.

Im selben Zeitraum wurde der Komplex derBrikettfabrik Werminghoff durch die Anlagen IIund III erweitert und 1927 vollendet.

Bis zur Weltwirtschaftskrise 1929 vergrößerteder Tagebau seine Ausdehnung stark. Damiteinher ging wiederum eine Steigerung der Förder-leistung sowie der Brikettproduktion. Letztere lag zu Hoch zeiten 1928 bei 803 000 Tonnen imJahr. Die Welt wirtschaftskrise setzte diesem Auf -schwung jedoch vorerst ein Ende. Die Produktionmusste eingeschränkt werden, infolgedessenwaren die Anlagen unausgelastet. Dennochstagnierte der Betrieb keineswegs. Bereits Endeder 1920er Jahre wurde der nächste Grubenauf-schluss bei den Ortschaften Lohsa und Mortka,südöstlich von Werminghoff geplant. Ab 1932wurden die Pläne in die Tat umgesetzt und wur-de die Grube Ostfeld (anfangs Lohsa genannt)aufgeschlossen. Gleichzeitig stie gen die Beleg-schaftszahlen auf 1 300 Mann. Drei Jahre späterwurde westlich von Lohsa der Tagebau II aufge-schlossen, was die Devastierung des OrtsteilsNeulohsa zur Folge hatte. Wiederum wurden die

Grundstücke den Eigentümern abgekauft bzw.diese gegen Entschädigung enteignet.

Bis 1939 gehörte das Braunkohlenwerk GrubeWerminghoff zu der „Eintracht Braunkohlenwerkeund Brikettfabriken AG“, deren Hauptaktionäre dieBrüder Petschek waren. Im Zuge der nationalsozia-listischen „Arisierungspolitik“ wurde die Petschek-Gruppe19 1938 enteignet und zerschlagen und derBesitz anderen Gesellschaften eingeliedert, dieEintracht ging mit ihren Werken 1939 an die An -haltischen Kohlenwerke des Flick-Konzerns.

Für die Grube Werminghoff ergaben sich ausdem Eigentümerwechsel jedoch keine Veränderun-gen. In den 1930er Jahren gingen mit den zumTagebau I gehörigen Kohlefeldern südwestlich derOrtslage Werminghoff die ersten Kohleflöze zurNeige. Der Produktion tat dies keinen Abbruch. ImGegenteil erfuhr die Brikettfabrik Werminghoffwährend des Krieges dank steigender Brennstoff-nachfrage eine vollständige Auslastung. Die Brikett-erzeugung stieg von 616 000 Tonnen im Jahr 1933auf 967 000 Tonnen im Jahr 1944 an. Der ZweiteWeltkrieg wirkte sich dennoch negativ auf den Be -trieb aus, da die Produktion immer wieder we genLuftangriffen unterbrochen werden musste. Indieser Zeit wurden zahlreiche Zwangsarbeiter indem Betrieb beschäftigt, welche in Lagern im RaumWerminghoff-Lohsa untergebracht waren.

Nach dem Krieg wurde der Betrieb durch dieLandesverwaltung Sachsen enteignet (1945) undmusste zahlreiche sowjetische Demontagen hinneh-men (1947), was einen starken Produktionseinbruchzur Folge hatte – 1948 betrug die Brikettproduktionnur noch 41 700 Tonnen. Hinzu kam, dass derTagebau I 1945 vollständig ausgekohlt war. Diesmachte einen Neuaufschluss notwendig, welcher ab1950 mit dem Tagebau III östlich von Lohsa erfolg te.Im selben Zeitraum fanden umfangreiche Wie de -raufbaumaßnahmen an der Brikettfabrik Werming-hoff statt, wodurch 1949 wieder eine Leistung von177 000 Tonnen Briketts erreicht werden konnte.

Natürlich konnte im Arbeiter- und BauernstaatDDR der kapitalistische Unternehmer JosephWerminghoff nicht Namenspatron einer Ortschaftoder eines nun „volkseigenen“ Betriebes sein, wes -wegen im Jahr 1950 sowohl die Ortschaft wie auchder Betrieb umbenannt wurden.

Der nun „Volkseigene Betrieb BraunkohlenwerkGlückauf Knappenrode“ wuchs mit dem Bedeu-

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tungs zuwachs der Braunkohle für die DDR-Ener -gewirtschaft kontinuierlich, erschloss neue Tagebaueund wurde 1968/69 zum konzernähnlichen „Kombi-nat“ reorganisiert, welches die fünf Tagebaue Noch-ten, Bärwalde, Lohsa, Scado und Reichwalde sowiesieben Brikettfabriken betrieb und welche bis Mitteder 1980er Jahre jährlich über 4 Mio. Tonnen Bri -ketts produzierten (1975: 4,8 Mio. t).

Mit dem Zusammenbruch der DDR 1989 kamauch das Ende für diese Betriebe. Die BrikettfabrikKnappenrode wurde 1993 endgültig geschlossen,ihre Anlagen aber konnten als Museum erhaltenwerden.20

3.6 Wirtschaftlicher Transformationsprozess

und Bergbaufolgelandschaften seit

1989/90

Nach der Wiedervereinigung ergaben sich für dieBraunkohlenindustrie in den neuen Ländern voll -kommen veränderte Rahmenbedingungen. Diejährliche Produktion von rund 300 Mio. t Roh-braunkohle wurde auf weniger als 80 Mio. t redu-ziert und viele Tagebaue und Veredlungsbetriebewurden stillgelegt. Rechtsnachfolger der ehemalsvolkseigenen Braunkohlenindustrie wurde dieBundesrepublik Deutschland. Mit der Verwaltungund Verwertung dieser Industriebranche wurde dieTreuhandanstalt betraut, die zuerst die wirtschaft-lich lukrative Braunkohlengewinnung von der Last des Strukturwandels und Sanierungsbedarfstrennte. So entstanden durch Privatisierung derstaatswirtschaftlichen Kombinate im LausitzerRevier das Unternehmen LAUBAG21 und immitteldeutschen Revier die Vereinigte Mitteldeut-sche Braunkohlenwerke AG.22

Die Treuhandanstalt konnte aber nur solcheehemaligen DDR-Staatsbetriebe privatisieren, derenUnternehmenstätigkeit Investoren rentierlich er -schien oder die über Betriebsvermögen verfügten.Die nicht-privatisierbaren Braunkohlenbetriebesowie die Bergbaualtlasten in der Lausitz und inMitteldeutschland wurden der eigens gegründeten„Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbau-Verwal-tungsgesellschaft mbH“ (LMBV) übertragen,welche bis heute die ehemaligen Bergbauflächensaniert, die Wasserqualität der Tagebaurestseensicherstellt, die Böschungen der Gruben stabilisiert,Immobilien vermarktet und die Wirtschaft sowie

den Tourismus in den ehemaligen Bergbauregionenfördert.23 Mit erheblichen öffentlichen Mittelnwurden 32 (von insgesamt 39) Braunkohlentage-bauen renaturiert24 und es entstanden durch un -tereinander verbundene Seen einmalige Bergbaufol-gelandschaften. So besteht das „Leipziger Neuseen-land“ rund um Leipzig aus einer Vielzahl gefluteterehemaliger Tagebaue mit einer Wasserfläche vonkünftig zusammen ca. 120 km2 und entwickelt sichzunehmend zu einer der touristischen Hauptattrak-tionen der Region. Der Geiseltalsee südlich vonHalle inmitten der 175 km2 großen „Mitteldeut-schen Seenlandschaft“ wird der größte künstlicheSee Deutschlands und das „Lausitzer Seenland“zwischen Berlin und Dresden mit 21 künstlichenSeen und schiffbaren Kanälen einmal die größteanthropogene Wasserlandschaft Europas werden.25

4. Erschließungszustand und Benutzbarkeit

der Unterlagen der Braunkohlenindustrie

im Bergarchiv Freiberg

Im Bergarchiv Freiberg sind insbesondere dieEntstehung und Entwicklung der Braunkohlenbe-triebe, die Ausrüstung der Betriebe mit Maschinenund Anlagen und sogar deren Stilllegung, Ver -schrot tung oder heutige Nachnutzung sowie viel -fältige soziale, politische und kulturelle Aspektedieses Industriezweiges überliefert. Wenngleich dieZuständigkeit des Bergarchivs Freiberg sich nur aufdie Überlieferung der DDR-Braunkohlenindustrienebst ihrer Vorgänger erstreckt und somit wederdie bundeseigenen Bergbausanierungsunterneh-men26 noch die der privatwirtschaftlichen Konzer-ne erfasst, so sind hier doch große Mengen entspre-chender Unterlagen mit überliefert. Von den pri -vaten Unternehmen der Braunkohlenindustrie sinddies insbesondere Druckschriften aus den 1990erJahren, welche den ungemein dynamischen Struk-turwandel der Branche und seine Folgen für dieWirtschafts- und Sozialstruktur in den neuen Län -dern dokumentieren. Von der LMBV und ihrenFunktionsvorgängern sind umfangreiche Aktensowie Karten, Risse und Pläne über die Flächensa-nierung und -verwertung sowie über die Planung,Finanzierung und Gestaltung der beschriebenenBergbaufolgelandschaften überliefert. Mit diesenUnterlagen ist nicht nur ein wertvoller Teil derÜberlieferung der Lausitzer und mitteldeutschen

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Braunkohlenindustrie in archivischen Gewahrsamgelangt, sondern auch ein bestimmender Teil derÜberlieferung der regionalen Geschichte. Die Un -terlagen sind bereits zu großen Teilen im Archivsys-tem AUGIAS erschlossen und weitestgehendbenutzbar.

Anschrift: Dr. Clemens Heitmann,

Sächsisches Staatsarchiv – Bergarchiv Freiberg,

Schlossplatz 4, 09599 Freiberg,

E-Mail: [email protected]

Anmerkungen:1 Der Verfasser ist Archivar im Sächsischen Staatsarchiv

– Bergarchiv Freiberg; Matthias Fiedler und SebastianMüller haben kürzlich im Rahmen von berufs- bzw. stu-dienbegleitenden Praktika im Bergarchiv Freiberg Un-terlagen der Braunkohlenindustrie erschlossen. Beidensei an dieser Stelle für die Mitarbeit an diesem Beitragherzlich gedankt.

2 Das mitteldeutsche Braunkohlenrevier liegt im Groß-raum Leipzig und erstreckt sich über die Landesgrenzenach Sachsen-Anhalt in den Raum Zeitz, Halle und Bit-terfeld sowie nach Thüringen in das Gebiet von Meusel-witz und Altenburg. Darüber hinaus werden die nord-westlich davon gelegenen Lagerstätten bei Aschersle-ben-Nachterstedt (Sachsen-Anhalt) sowie das Helm-stedter Revier (Niedersachsen) dazugerechnet.

3 Das Lausitzer Braunkohlenrevier besteht aus Abbauge-bieten in der brandenburgischen Niederlausitz (umSenftenberg und Cottbus) sowie in der zu Brandenburg(um Spremberg) und Sachsen (um Hoyerswerda) ge-hörenden Oberlausitz. Ein weiterer – inzwischen still-gelegter – Teil lag zwischen Görlitz und Zittau und setz-te sich östlich der Neiße fort.

4 Rohbraunkohle ist aufgrund des hohen Wassergehaltshinsichtlich ihrer Transport- und Brenneigenschaftenwirtschaftlich ineffizient. Erst nachdem 1858 auf der„Grube Theodor“ in Ammendorf südlich von Halle ander Saale (1861 umbenannt in „Brikettfarbik von derHeydt“) eine von Carl Exter (1816-1870) ersonnenePresse zur Brikettierung von Braunkohle in Betrieb ge-nommen wurde, konnten durch Trocknung und Pres-sung Braunkohlenbriketts hergestellt und als Brennma-terial erfolgreich vermarktet werden.

5 Die Anlage gilt heute als die älteste erhalten gebliebe-ne Brikettfabrik Europas, von den zahlreichen Brikettfa-briken im Ruhrgebiet ist z. B. keine einzige Anlage er-halten geblieben. Internetauftritt: www.brikettfabrik-louise.de.

6 Davon sind heute noch die fünf Tagebaue Jänschwalde,Cottbus-Nord, Welzow, Nochten und Reichwalde in Be-trieb, die übrigen zwölf wurden nach 1990 stillgelegt.

7 Der Name „Schwarze Pumpe“ rührt vom Namen einesGasthofes her, in dessen Nähe Ende des 19. Jahrhun-derts die „Kolonie Schwarze Pumpe“ für Arbeiter derumliegenden Braunkohlengruben und sonstigen Indus-triebetrieben entstand. Seit 1998 gehört die Gemeinde

Schwarze Pumpe zur brandenburgischen Stadt Sprem-berg. Die enorme Bedeutung des späteren „Gaskom-binats Schwarze Pumpe“ und der beliefernden Braun-kohlenbetriebe ergibt sich aus der Struktur der DDR-Energieversorgung. Da der ostdeutsche Teilstaat überkeine eigenen Erdgasvorkommen verfügte und teureImporte anderer Energieträger (z. B. Öl) scheute, wur-de in zentralen Anlagen aus Braunkohle Kokereigas(„Stadtgas“) hergestellt – ein technisches Verfahren,das in Westeuropa seit den 1960er Jahren sukzessivedurch die Erdgasversorgung abgelöst wurde. In derDDR verlief die technische Entwicklung gegenläufig;die Zentralverwaltungswirtschaft setzte weiterhin aufdie Kohlevergasung und übertrug dem 1970 gegründe-ten „Gaskombinat Schwarze Pumpe“ die gesamteGasversorgungskette in der DDR einschließlich derForschung und Entwicklung.

8 1993 ging die ESPAG durch Verschmelzung in der LAU-BAG auf.

9 Siehe § 4 (2) Archivgesetz für den Freistaat Sachsenvom 17. Mai 1993: „Das Sächsische Staatsarchiv hatdie Aufgabe, das Archivgut […] der ehemaligen staatli-chen oder wirtschaftsleitenden Organe, der Kombina-te, Betriebe, Genossenschaften und Einrichtungen“ zuarchivieren.

10 Zusammengefasster Bestand 40200 Lausitzer und mit-teldeutsche Braunkohlenindustrie; der Bestand enthältu. a. 106 lfm Akten, 450 Stück Karten, Pläne und Risse,21 AVM-Objekte (Bewegtbildfilme) sowie große Men-gen bisher unerschlossenes fotografisches Material.

11 Im Bergarchiv Freiberg bestehen u. a. der Einheitsbe-stand (= Provenienzbestand) 40093 VVB BraunkohleLeipzig (1945 -1969) sowie die zusammengefassten Be-stände 40127 Braunkohlenwerke des Meuselwitz-Ro-sitzer Reviers (1858 -1951) und 40128 Braunkohlenwer-ke des Leipzig-Bornaer Reviers (1860 -1952). Danebengibt es große Bestände einzelner DDR-Betriebe, z. B.im Bergarchiv Freiberg die Bestände 40126 VEB Braun-kohlenwerk Regis und 40184 VEB BraunkohlenwerkDölitz (1945 -1959) oder im Staatsarchiv Leipzig der Be-stand 20681 VEB Braunkohlenveredlung Espenhain. Dadie Braunkohlenreviere deutlich über die Grenzen desheutigen Freistaates Sachsen hinausragen, waren nichtnur aufwendige Provenienzrecherchen zu den regelmä-ßig ungeordneten Altunterlagen, sondern auch umfang-reiche Bestandsabgrenzungen notwendig (z. B. Be-stand 40068 Bergbehörde Senftenberg, welche sowohlim Brandenburgischen Landeshauptarchiv wie auch imBergarchiv Freiberg überliefert ist). Grundsätzlich wurdehier nach dem Territorialitätsprinzip verfahren, d. h. dieUnterlagen wurden anteilig auf die für den Sprengel zu-ständigen staatlichen Archive Sachsens, Sachsen-An-halts und Brandenburgs aufgeteilt (bei den großräumi-gen Tagebaubetrieben, die ohne Rücksicht auf vormalsnicht bestehende Landesgrenzen angelegt wurden, hatdieses Prinzip allerdings seine Grenzen). Die fotografi-sche Überlieferung der Branche wird derzeit noch ge-sichtet mit dem Ziel einer entsprechenden Aufteilung.Zur Überlieferung der Braunkohlenindustrie im LandBrandenburg siehe Katrin Verch, Sicherung und Bewer-tung der Braunkohlenbestände, in: BrandenburgischeArchive 26/2009, hrsg. vom Brandenburgischen Lan-

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des hauptarchiv und dem Landesverband Brandenburgim VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archiva-re e. V., S. 15-19.

12 Bereits vor dem Untergang der DDR war – zumeist imZuge der Enteignungen der 1940er Jahre – die Überlie-ferung älterer (zumeist kleinerer) Grubenbetriebe in denBesitz der „volkseigenen“ Braunkohlenindustrie ge-langt und floss mit deren Registraturen dann in dasBergarchiv.

13 Die Devastierung für Bergbauzwecke ist weit überwie-gend, aber nicht ausschließlich ein Phänomen derBraunkohlenförderung. Auch für den Uranerzbergbauim Erzgebirge wurden Ortschaften als Haldenplätzeüberbaggert oder abgesiedelt. Die entsprechenden Un-terlagen finden sich ebenfalls teilweise im BergarchivFreiberg, Bestand 40077-2 Bergbehörde Karl-Marx-Stadt. Eine aktuelle Übersicht der devastierten Siedlun-gen in ganz Deutschland ist im Internet abrufbar unterwww.culmitzsch.de/culmitzsch_gleiche_ orte.htm [Zugriff am 23.12.2009].

14 Insgesamt sollen in Deutschland im 20. Jahrhundert(Gebietsstand heutige Bundesrepublik) allein wegen derBraunkohlenförderung über dreihundert Orte devastiertund mehr als 100 000 Menschen umgesiedelt wordensein. Bundesweit bekannt wurde jüngst der Fall der Ort-schaft Heuersdorf südlich von Leipzig. Ihre Bewohnerwurden nach langem hinhaltenden Widerstand ab 2007umgesiedelt und der Ort wurde durch die Mitteldeut-sche Braunkohlengesellschaft devastiert, um dem Tage-bau Schleenhain Platz zu machen. Dazu wurde die ausdem 13. Jahrhundert stammende romanische Emmaus-kirche mit großem technischen Aufwand in das nahe -gelegene Borna umgesetzt. Im Rheinischen Revier lau-fen derzeit Devastierungsmaßnahmen zugunsten desTagebaus Garzweiler der RWE Power AG.

15 Clemens Heitmann u. Marcus Sonntag, Einsatz in derProduktion. Soldaten und Strafgefangene als Stützender DDR-Staatswirtschaft, in: Deutschland Archiv.Zeitschrift für das vereinigte Deutschland 42 (2009),S. 451-458.

16 Trotzdem wurde der letzte untertägige Braunkohlen-bergbau bei Leipzig-Dölitz erst im Jahr 1959 eingestellt.

17 Es wurden mindestens 189 Tagebaugeräte inklusivesieben Abraumförderbrücken demontiert und in dieSowjetunion verbracht, so dass von den 1945 vorhan-denen 18 Abraumförderbrücken nur elf in der SBZ ver-blieben. Dadurch sank die Fördermenge an Rohbraun-kohle von 108,4 Mio. t 1946 auf 101,7 Mio. t im Jahr1947 und konnte erst 1949 mit einer Menge von 124,9Mio. t annähernd das Förderniveau des Vorkriegsjahres1938 (126,6 Mio. t) erreichen.

18 Die Eintracht Braunkohlenwerke und Brikettfabriken AGwurde am 1. Januar 1887 unter der Leitung JosephWerminghoffs durch Übernahme der 1881 im Berg-werk Gustav Ferdinand bei Bennfeld gegründeten Ge-werkschaft Eintracht I gegründet. Zu den ersten Erwer-bungen der Gesellschaft zählten die Gruben Louise beiDomsdorf und Henriette in Sallgast. 1892 erwarb dieEintracht Kohlefelder in der Umgebung von Welzow, wofolgend das Braunkohlenwerk Grube Clara I (kurz GrubeClara) entstand. Unter Werminghoff als Aufsichtsrats-vorsitzendem wurde der Hauptsitz der Gesellschaft

1905 von Berlin nach Welzow in das Lausitzer Braun-kohlenrevier verlegt. Danach wurden mit der Grube Cla-ra III bei Zeißholz 1909 und der Grube Werminghoff1912 die zwei letzten Betriebe der AG gegründet. Ne-ben den fünf Schwesterbetrieben umfasste die Ein-tracht zudem eine Zentralwerkstatt in Welzow. DieÜberlieferung ist Teil des zusammengefassten Bestan-des 40200 Lausitzer und mitteldeutsche Braunkohlen-industrie im Bergarchiv Freiberg.

19 Die Brüder Isidor (1854-1919), Julius (1856-1932) undIgnaz (1857-1934) aus der jüdischen Familie Petschekwaren erfolgreiche Unternehmer der Braunkohlenin-dustrie. Besonders die beiden jüngeren Brüder erwar-ben im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert in Nord-böhmen ein beträchtliches Vermögen. Nach dem Ers-ten Weltkrieg expandierte die Petschek-Gruppe nachDeutschland und erwarb die Aktienmajorität zahlrei-cher Aktiengesellschaften, u. a. der Eintracht AG. 1932befand sich über die Hälfte der BraunkohlenwerkeMitteldeutschlands und auch der Lausitz in ihrem Be-sitz. Im Zuge der nationalsozialistischen „Arisierungs-politik“ wurde die Petschek-Gruppe jedoch 1938 zer-schlagen und ihr Vermögen floss zum großen Teil indie reichseigene Holding Vereinigte Industrieunterneh-men AG (VIAG) ein.

20 Im Sächsischen Industriemuseum – EnergiefabrikKnappenrode werden heute die bestimmende Rolleder Braunkohlenindustrie für die Lausitz dargestellt unddie Anlagen präsentiert, welche das Werk bereits sei-nerzeit zu einem technischen Denkmal machten. Seit2005 gehört das Museum zur Europäischen Route derIndustriekultur, zu der u. a. die Zeche Zollverein in Es-sen, die Völklinger Hütte und das Besucherbergwerk inLichterfeld gehören. Die im letztgenannten TagebauKlettwitz-Nord zwischen Berlin und Dresden erhaltene„Abraumförderbrücke F60“ ist eine der größten be-weglichen Arbeitsmaschinen der Welt.

21 1994 wurde die LAUBAG von der Treuhandanstalt anein Konsortium aus deutschen Energieversorgern ver-äußert. Wegen wettbewerbsrechtlicher Auflagen kames im Jahr 2000 erneut zu Eigentümerwechseln, undseit 2002 firmiert die ehemalige LAUBAG als VattenfallMining AG.

22 Der größte Teil der 1990 entstandenen Vereinigte Mit-teldeutsche Braunkohlenwerke AG wurde 1994 an einbritisch-amerikanisches Firmenkonsortium sowie2009 wiederum an das ehemalige tschechische staat-liche Energieunternehmen CEZ verkauft und firmiertseitdem als Mitteldeutsche BraunkohlengesellschaftmbH (MIBRAG). Diese betreibt heute im LeipzigerSüdraum die beiden Großtagebaue VereinigtesSchleenhain und Profen sowie drei Kraftwerke und lie-fert den Brennstoff für mehrere Großkraftwerke immitteldeutschen Raum.

23 Die LMBV entstand 1995 durch Zusammenlegung derLausitzer Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LBV) so-wie der Mitteldeutschen Bergbau-Verwaltungsgesell-schaft (MBV) und befindet sich heute vollständig imEigentum des Bundes.

24 Dies waren ca. 224 Restlöcher sowie zahllose sanie-rungsbedürftige Betriebsflächen mit einer Fläche voninsgesamt 100 000 Hektar. In die der LMBV übertra-

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genen ehemaligen Braunkohlebergbauflächen in denLändern Sachsen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt undThüringen wurden bis zum Jahr 2008 etwa 8,5 Mrd.Euro investiert.

25 Internet: www.leipziger-neuseenland.de,www.mitteldeutsche-seenlandschaft.de,www.lausitzerseenland.de.

26 Neben der LMBV existieren noch die bundeseigeneWismut GmbH zur Sanierung der Uranbergbauanla-gen sowie die „Gesellschaft zur Verwahrung und Ver-wertung von stillgelegten Bergwerksbetrieben mbH“(GVV) zur Stilllegung und Sanierung unwirtschaftlicherBetriebe des Kali-, Erz- und Spatbergbaus in Sachsen,Sachsen-Anhalt und Thüringen.