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Studienabschlussarbeiten Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften Barth, Sophia: Maria Almas-Dietrich Bachelorarbeit, Sommersemester 2014 Gutachter: Fuhrmeister, Christian Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften Institut für Kunstgeschichte Kunstgeschichte Ludwig-Maximilians-Universität München https://doi.org/10.5282/ubm/epub.41206

Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften · 2020. 11. 5. · Informationen zu Almas-Dietrichs Ankäufen für die Linzer Sammlung zu entnehmen. Einen fundierten Überblick

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  • StudienabschlussarbeitenFakultät für Geschichts- und

    Kunstwissenschaften

    Barth, Sophia:

    Maria Almas-Dietrich

    Bachelorarbeit, Sommersemester 2014

    Gutachter: Fuhrmeister, Christian

    Fakultät für Geschichts- und KunstwissenschaftenInstitut für KunstgeschichteKunstgeschichte

    Ludwig-Maximilians-Universität München

    https://doi.org/10.5282/ubm/epub.41206

  • Inhaltsverzeichnis

    1. Einleitung S. 1

    2. Forschungsstand S. 2-4

    3. Kaiserreich/Weimarer Republik S. 5-8

    4. Nationalsozialismus S. 9-20

    5. Nachkriegszeit S. 21-24

    6. Fazit S. 25-29

    7. Literaturverzeichnis S. 30-34

    8. Archivalienverzeichnis S. 34-36

    9. Abbildungsverzeichnis S. 36-40

  • 1

    1. Einleitung

    Die 1892 als Metzgertochter geborene Maria Almas-Dietrich starb 1971 als allseits

    anerkannte „Grande Dame des Münchner Kunsthandels“, wie es in ihrem Nachruf 1

    heißt. Dort wird sie allerdings auch mit dem vieldeutigen Begriff „elastisch“

    charakterisiert, und man kann sich fragen, ob damit lediglich auf die große

    Anpassungsfähigkeit angespielt wird, die für einen solchen Aufstieg aus eher

    bescheidenen Verhältnissen zu prominenter sozialer Stellung notwendig ist. Die

    vorliegende Arbeit hat das Ziel, die Vita dieser Frau möglichst detailliert zu

    rekonstruieren.

    Bei der Recherche zum Thema fällt jedoch auf, dass Almas-Dietrich trotz ihrer

    bedeutenden Rolle im NS-Kunsthandel, v.a. für den Aufbau von Hitlers

    Kunstsammlung in Linz, in der einschlägigen Sekundärliteratur wie eine Statistin

    behandelt wird, für die nur spärliche und zudem teils widersprüchliche Informationen

    vorliegen. Im Kapitel Forschungsstand (S. 2-4) wird diese Problematik genauer

    erörtert; zudem werden die Relevanz der Archivaliensowie der kritische Blick darauf

    hervorgehoben und eine Zusammenschau des für diese Arbeit ausgewerteten Materials

    gegeben.

    Die Lebensspanne von Almas-Dietrich ist gekennzeichnet von gewaltigen politischen

    und gesellschaftlichen Umbrüchen, die Millionen ihrer Zeitgenossen zum Verhängnis

    wurden, nicht jedoch ihr. In der starren Ordnung der Kaiserzeit beginnend führt ihr

    Weg anscheinend bruchlos durch die Katastrophe des 1. Weltkriegs und durch das

    Chaos der krisengeschüttelten Weimarer Republik in die Diktatur des NS-Regimes,

    setzt sich selbst nach dessen Niederlage im 2. Weltkrieg im von den Alliierten

    kontrollierten Nachkriegsdeutschland fort, um schließlich mit dem Status der „Grande

    Dame“ zu enden. In drei Kapiteln, die die Zeitabschnitte vor (S. 5-8), während (S. 9-

    20) und nach (S. 21-24) der NS-Herrschaft umfassen, wird diese Karriere

    nachgezeichnet.

    Die dabei gewonnenen Einsichten erlauben im Fazit (S. 25-29), diese erstaunliche

    Erfolgskontinuität als Zusammenspiel von Zeitumständen und der nunmehr

    konkretisierten „Elastizität“ der Maria Almas-Dietrich zu erklären.

    Anzumerken ist, dass eine Darstellung ihrer Geschäftstätigkeit im Detail angesichts

    des beschränkten Umfangs einer Bachelorarbeit nicht möglich ist.

    1 r.m.-m., Sie war die Grande Dame des Kunsthandels, in: Münchner Merkur, Nr. 264, 16.11.1971 aus: StadtAM, Personen, 84/27, Dietrich-Almas Maria.

  • 2

    2. Forschungsstand

    Das 1991 erschienene Buch „Kunstraub und Kunstschutz. Eine Dokumentation“ des

    deutschen Rechtsanwalts Günther Haase ist die erste Publikation, die sich intensiver

    mit Almas-Dietrich befasst. Für die Bachelorarbeit wurde die zweite, auf zwei Bände

    erweiterte Auflage aus dem Jahr 2008 verwendet.2 Band 1 dokumentiert ausführlich

    die NS-Kunstpolitik und deren Folgen, Band 2 listet eine große Zahl von

    Originaldokumenten hierzu auf. Haases Arbeit bildet eine solide Basis für die

    Beschäftigung mit dem NS-Kunsthandel im Allgemeinen und Almas-Dietrich im

    Speziellen.

    Die nächste Erwähnung von Almas-Dietrich findet sich in dem Buch „Der Raub der

    Europa. Das Schicksal europäischer Kunstwerke im Dritten Reich“ (1994) der

    Amerikanerin Lynn H. Nicholas, das hauptsächlich Informationen zu Almas-Dietrichs

    Aufstieg im NS-Kunsthandel bietet. Die Autorin stützt sich weitgehend auf

    Originaldokumente aus der NS- und Nachkriegszeit aus den National Archives in

    Washington.3 Abgesehen von einer kurzen Anmerkung in „Kunstraub und

    Sammelwahn. Kunst und Politik im Dritten Reich“ (1999; US-Ausgabe 1996), einem

    Buch des amerikanischen Historikers Jonathan Petropoulos,4 lieferte die

    Literaturrecherche nach Almas-Dietrich im 20. Jahrhundert keine weiteren Funde. Im

    Jahr 2000 publizierte Petropoulos schließlich „The Faustian Bargain. The Art World

    in Nazi Germany“, worin Almas-Dietrich mehrmals im Zusammenhang mit anderen

    NS-Kunstakteuren, vor allem deren Nachkriegsaktivitäten erwähnt wird.5

    2005 legte der Historiker Hanns Christian Löhr das Buch „Das Braune Haus der

    Kunst. Hitler und der ‚Sonderauftrag Linz‘“ vor.6 In Rezensionen wurde ihm ein

    unkritischer Umgang mit nicht verlässlichen Quellen vorgehalten, der zu zahlreichen

    Fehlern geführt habe.7 Insbesondere finden sich hier zu Almas-Dietrich sonst nirgends

    angeführte, zweifelhafte – weil nicht belegte – Details.

    Horst Keßlers Monografie „Karl Haberstock. Umstrittener Kunsthändler und Mäzen“

    (2008)8 befasst sich zwar hauptsächlich mit Haberstock als einflussreichem Funktionär

    der „Verwertungskommission“ und Haupteinkäufer in Frankreich für das

    2Haase 2008.

    3 Nicholas 1995. 4 Petropoulos 1999. 5 Petropoulos 2000. 6 Löhr 2005. 7 http://www.perlentaucher.de/buch/hanns-c-loehr/das-braune-haus-der-kunst.html. 8 Keßler 2008.

  • 3

    „Führermuseum“, hebt aber mehrmals die Konkurrenz von Haberstock und Almas-

    Dietrich hervor und macht deren zentrale Rolle im NS-Kunsthandel deutlich.9

    2010 folgte die Monografie „Sonderbeauftragter des Führers. Der Kunsthistoriker

    und Museumsmann Hermann Voss (1884-1969)“ der Kunsthistorikerin Kathrin Iselt.10

    Voss’ Biografie, insbesondere seine Tätigkeit als Direktor der Staatlichen

    Kunstsammlungen Dresden und als Sonderbeauftragter für Linz, wird detailliert

    geschildert und größtenteils durch Archivalien belegt. Diesem Buch sind v.a. genauere

    Informationen zu Almas-Dietrichs Ankäufen für die Linzer Sammlung zu entnehmen.

    Einen fundierten Überblick zu Almas-Dietrichs Biografie und Geschäften erhält man

    in Birgit Schwarz’ Buch „Geniewahn: Hitler und die Kunst“ (2011).11 Schwarz

    erörtert darin hauptsächlich die Übertragung von Hitlers Ideologie des Genie-

    gedankens auf die Kunst und streift dabei Almas-Dietrich v.a. wegen ihrer zahlreichen

    Bild-Verkäufe an Hitler. In Hinsicht auf Almas-Dietrichs Förderer und Freund

    Heinrich Hoffmann gibt Heike Görtemakers Monografie „Eva Braun. Leben mit

    Hitler“ (2011) einen guten Einblick.12

    Bezüglich Detailliertheit und Quellenwert sind besonders die Publikationen von

    Haase, Schwarz und Nicholas hervorzuheben, auf die sich diese Bachelorarbeit neben

    den Archivalien vornehmlich stützt. Bei allen Autoren stößt man aber mehr oder

    weniger häufig auf ungenaue, nicht belegte oder gar nachweislich unzutreffende

    Angaben. Die Uniformität der Darstellung und wiederholte Fehler selbst bei

    biografischen Kerndaten deuten darauf hin, dass einige Autoren die bereits vorhandene

    Sekundärliteratur zu Almas-Dietrich nicht nur unvollständig ausgewertet haben,

    sodass ihnen Widersprüche gar nicht auffallen konnten, sondern auch auf eigene,

    intensive Archivarbeit, die sie davor bewahrt hätte, verzichtet haben, womöglich, weil

    Almas-Dietrich nicht im Fokus ihrer Arbeit stand.

    Die Recherche nach Originaldokumenten zu Almas-Dietrich im Rahmen dieser

    Bachelorarbeit stellte sich tatsächlich als aufwändig heraus. Die Angabe des

    Bundesamtes für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen, es gäbe keine

    Unterlagen zu ihrer Galerie im Staatsarchiv München, dem Bayerischen

    Hauptstaatsarchiv München und dem Wirtschaftsarchiv München,13 bestätigte sich

    aber nicht. Im Staatsarchiv befindet sich ein Akt, der auf eine Devisenprüfung der

    9 Keßler 2008, S. 23-24. 10 Iselt 2010. 11 Schwarz 2011. 12 Görtemaker 2011. 13http://80.245.147.94/003_menue_links/e0_ov/d0_provenienz/b0_dokumentationen/druck/Druck_Kunstwerk.php?id_kunstwerk=335.

  • 4

    Galerie im Mai 1939 verweist.14 Im Wirtschaftsarchiv liegen drei Einzelfälle der

    Industrie- und Handelskammer zu München15 sowie drei – wenn auch kleine –

    Korrespondenzen mit der Kunsthandlung Böhler. Ferner konnten im Stadtarchiv

    München mehrere Zeitungsausschnitte16 zur „Almas“-Galerie Maria Dietrich, ihre

    Einwohnermeldekarte17, ein Geburten18- und Heiratsregisterauszug19 sowie ihre

    Gewerbekarte20 eingesehen werden.

    Als besonders ergiebige Quelle erwies sich die Datenbank „Fold3 – Holocaust

    Collection“, die in Zusammenarbeit mit den National Archives und dem United States

    Holocaust Memorial Museum über zwei Millionen Dokumente online zur Verfügung

    stellt.21 Für die Bachelorarbeit wurden mehrere OSS-Reports22 (Linz-23, Haberstock-24,

    Hoffmann-25 und Buchner-Report26) und die Befragung von Almas-Dietrich aus der

    Serie der Restitution Research Records27 verwendet. Außerdem wurden Materialien

    der Bundesarchive Berlin und Koblenz sowie die im Zentralinstitut für

    Kunstgeschichte archivierten Zeitschriften „Kunst dem Volk“ und „Weltkunst“

    gesichtet.

    Wie bereits bei der Sekundärliteratur ist ein kritischer Blick auch bei den Archivalien

    unerlässlich, besonders bei denen mit NS-Bezug. Mit Verschleierung, Vertuschung

    und subjektiver Verzerrung der Fakten aus verschiedensten Motiven aber auch

    Schreibfehlern und Erinnerungstäuschungen muss hier gerechnet werden.

    14 StAM, OFD 2292, Devisennachschau bei Maria Almas-Diamant, Kunst- und Antiquitätenhandlung, 30. Mai 1939. 15 BWA, K1/XX 64 b, Akt 1, Fall 29; BWA, K1/XV A 10 c, Akt 267, Fall 59; BWA, K1/XV A 10 c, Akt 264, Fall 33. 16 StadtAM, Personen, 84/27, Dietrich-Almas Maria. 17 StadtAM, EWK 65 D 834, Dietrich Maria. 18 StadtAM, Standesamt München I 1892/5447, Dietrich Maria. 19 StadtAM, Standesamt München IV 1921/2003, Dietrich Maria. 20 StadtAM, Gewerbekarte, Dietrich Maria. 21 http://www.zikg.eu/bibliothek/aktuelles/fold3. 22 OSS = Office of Strategic Services. 23 NARA, RG 239, M1782, Consolidated Interrogation Report (CIR) No. 4, Linz. Hitler’s Museum and Library, 15. Dezember 1945. 24 NARA, RG 239, M1944, Detailed Interrogation Report (DIR) No. 13, Karl Haberstock, 15. September 1945. 25 NARA, RG 239, M1944, Detailed Interrogation Report (DIR) No. 1, Heinrich Hoffmann, 01. Juli 1945. 26 NARA, RG 239, M1944, Detailed Interrogation Report (DIR) No. 2, Ernst Buchner, 31. Juli 1945. 27 NARA, RG 260, M1946, Restitution Research Records (RRR), Dietrich, Maria Almas: Interrogation, 1945/46.

  • 5

    3. Kaiserreich/Weimarer Republik

    Maria Dietrich wurde am 28.06.1892 als Tochter eines Metzgers in der Sternstraße im

    Münchner Stadtteil Lehel geboren.28 Einige Autoren geben an, sie sei die uneheliche

    Tochter eines Juden gewesen.29 Diese These ist falsch, denn laut ihrem

    Geburtenregisterauszug war ihr Vater Heinrich Anton Georg Dietrich protestantisch.

    Seine Ehefrau Maria Dietrich, geborene Krach, war katholisch30 und ließ ihre Tochter

    ebenfalls katholisch taufen.31 Vermutlich hatte Maria zumindest einen neun Jahre

    älteren Bruder Sebastian, der ebenfalls Metzgermeister war. Dies kann man ihrem

    Heiratsregisterauszug von 1921 entnehmen, in dem er als Zeuge angeführt wird und

    denselben Wohnsitz wie sie angibt (Schellingstr.96).32

    Für ihre Kindheit und frühe Jugend klafft eine biografische Lücke, weil dieser

    Zeitabschnitt in den späteren Befragungen durch die Nationalsozialisten bzw. die

    Amerikaner wohl für irrelevant gehalten wurde. Da sie niemals angab, eine höhere

    Schule oder gar die Universität besucht zu haben, kann man davon ausgehen, dass sie

    mit 14 Jahren die Volksschule beendete. Vermutlich half sie spätestens ab diesem

    Zeitpunkt in der väterlichen Metzgerei mit, da sie später angab, während des 1.

    Weltkriegs habe sie die Metzgerei geführt, sei für Einkauf, Verarbeitung und Verkauf

    zuständig gewesen.33 Unvorbereitet wäre ihr dies sicher nicht möglich gewesen. Für

    diesen Betrieb existieren laut Auskunft der zuständigen Handwerkskammer für

    München und Oberbayern keine Unterlagen mehr.

    Als 17-Jährige lernte sie während des Faschings den zwanzig Jahre älteren Arthur

    Reinheimer kennen, einen amerikanischen Juden deutscher Abstammung, Tabak-

    händler von Beruf und Hauptaktionär des Münchner Hotels Excelsior. Am 27.10.1910

    brachte sie seine uneheliche Tochter Wilhelmine (Mimi) zur Welt. 34 Reinheimer zog

    zwar einige Zeit später zurück nach Frankfurt am Main, von wo seine Familie

    stammte, doch nach Aussage Dietrichs blieb ihr Verhältnis bis zu seinem Tod 1938

    freundschaftlich; er akzeptierte die Vaterschaft vor dem Vormundschaftsgericht

    München35 und kam seinen gesetzlichen Verpflichtungen nach. 1921 machte er ihr

    28StadtAM, Standesamt München I 1982/5447, Dietrich Maria.

    29 vgl. Haase 2008, S. 133; Schwarz 2011, S. 149. 30 StadtAM, Standesamt München I 1892/5447, Dietrich Maria. 31 BArch Berlin-Lichterfelde, (ehem. BDC), PK, VBS 1, Personalakte NSDAP, Almas-Diamant Maria. 32 StadtAM, Standesamt München IV 1921/2003, Dietrich Maria. 33 RRR, Dietrich, Maria Almas: Interrogation, 1945/46, Page 48. 34 BArch Berlin-Lichterfelde, (ehem. BDC), PK, VBS 1, Personalakte NSDAP, Almas-Diamant Maria. 35 RRR, Dietrich, Maria Almas: Interrogation, 1945/46, Page 23.

  • 6

    einen Heiratsantrag, den sie aber ablehnte, da sie zu diesem Zeitpunkt bereits eine

    Liebesbeziehung mit Ali Almas hatte.36

    Ali Almas, ein am 01.05.1883 in Jalta auf der Krim geborener Türke jüdischen

    Glaubens, war ein Freund Reinheimers und ebenfalls Tabakhändler.37 Informationen

    zu seiner Person sind spärlich und weichen bereits bei seinem Namen und Beruf

    voneinander ab. So wird er in verschiedenen Quellen als Ali Almas-Diamant38

    bezeichnet. Ausgehend von einem Schreiben der Industrie- und Handelskammer

    München aus dem Jahr 1933, in dem er als Elias (Ali Almas) Diamant39 angeführt

    wird, ist anzunehmen, dass er seinen türkischen Namen Ali Almas in Elias Diamant

    eindeutschte, da Diamant die deutsche Übersetzung des türkischen Wortes

    Almas/Elmas ist. Neben seiner Tätigkeit als Tabakhändler soll er zudem als

    Kunsthändler, Teppichexperte, Schriftsteller40 und Maler41 gearbeitet haben.

    Anscheinend betätigte sich Maria Dietrich bereits ab 1917 im Kunst- und Antiquitäten-

    bzw. Orientteppich-Handel42 in einem von Ali Almas geführten Geschäft in der

    Gabelsbergerstr. 3. 43 Zumindest anfänglich hat sie dort unter seiner Anleitung

    Teppiche repariert44, die ein Hauptzweig des Geschäfts waren.45 Am 13.12.21 meldete

    sie unter derselben Adresse erstmals ein eigenes Gewerbe als Händlerin mit Teppichen

    und Antiquitäten an.46

    Kurz danach, am 21.12.21, heirateten Ali Almas und Maria Dietrich.47 Angaben, sie

    habe seitdem den Doppelnamen Almas-Dietrich getragen48, sind unzutreffend.

    Ausgehend von den Archivalien hieß sie während ihrer Ehe Maria Diamant.49 Durch

    die Eheschließung war sie nach türkischem Gesetz dazu verpflichtet, die türkische

    Staatsbürgerschaft und den jüdischen Glauben ihres Mannes anzunehmen.50

    36 RRR, Dietrich, Maria Almas: Interrogation, 1945/46, Page 48. 37 BWA, K1/XX 64 b, Akt 1, Fall 29. 38http://www.badv.bund.de/DE/OffeneVermoegensfragen/Provenienzrecherche/Provenienzen/Daten/9000_9999/9217.html. 39 BWA, K1/XX 64 b, Akt 1, Fall 29. 40 RRR, Dietrich, Maria Almas: Interrogation, 1945/46, Page 48. 41http://www.badv.bund.de/DE/OffeneVermoegensfragen/Provenienzrecherche/Provenienzen/Daten/9000_9999/9217.html. 42 Anonym, Jubiläum im Hause Almas München, in: Weltkunst, Nr. 13, 01.07.1962, S. 13. 43 BWA, K1/XX 64 b, Akt 1, Fall 29. 44 RRR, Dietrich, Maria Almas: Interrogation, 1945/46, Page 48. 45 sm., Frau Maria Dietrich-Almas 70 Jahre alt, Export-Club, Nr. 3, 1962 aus: StadtAM, Personen, 84/27, Dietrich-Almas Maria. 46 StadtAM, Gewerbekarte, Dietrich Maria. 47 StadtAM, Standesamt München IV 1921/2003, Dietrich Maria. 48 Schwarz 2011, S. 150. 49 BWA, K1/XV A 10 c, Akt 264, Fall 33. 50 RRR, Dietrich, Maria Almas: Interrogation, 1945/46, Page 23.

  • 7

    In den Folgejahren erweiterte sie ihr Geschäftsspektrum und spezialisierte sich auf

    Maler der Münchner Schule wie etwa Spitzweg, Defregger und Kaulbach.51 Nach

    ihren Angaben war sie geschäftlich erfolgreich, eine wohlsituierte Frau, die in einer

    gemieteten Villa lebte und ein teures Auto der Oberklasse, einen Horch Achtzylinder,

    fuhr.52

    Parallel dazu scheint sie sich zunehmend von Ali Almas emanzipiert zu haben. Im

    Protokoll einer Befragung von 1946 wird angegeben, dass sich das Paar bereits 1924

    geschäftlich und privat trennte.53 Sie selbst erklärte aber 1945, ihre Beziehung zu

    Almas habe bis 1926 bestanden.54 Diese Version scheint plausibler, denn erst am

    06.12.1926 verlegte sie ihren Kunst- und Antiquitätenhandel von der

    Gabelsbergerstraße in die Ottostraße 1b.55 Die von ihr direkt nach der Trennung

    angestrebte Scheidung scheiterte an Differenzen zwischen deutschem und türkischem

    Recht56 und sollte erst etliche Jahre später zustande kommen. Informationen über Ali

    Almas’ Verbleib und Tätigkeit nach der Trennung liefert ein Schriftwechsel der

    Industrie- und Handelskammer München (IHK München) mit dem Verband des

    Deutschen Kunst- und Antiquitätenhandels e.V. und der Polizeidirektion München

    1933. Anlässlich einer Prüfung seines Aufenthalts und Geschäftsgebarens wird

    erwähnt, dass er zu diesem Zeitpunkt weiterhin die Kunsthandlung in der

    Gabelsbergerstr. 3 führte. Der Verband des Deutschen Kunst- und Antiquitätenhandels

    e.V. teilt zudem mit, dass Almas kein Mitglied sei, sein Geschäft folglich wenig

    Bedeutung habe und er hauptsächlich in Paris arbeite.57

    Wenn man die Zeitumstände berücksichtigt, lässt sich dieses dürre Faktengerüst der

    ersten vier Lebensjahrzehnte von Maria Almas-Dietrich durch einige Überlegungen

    ergänzen. So war das Lehel zum Zeitpunkt ihrer Geburt durchaus nicht mehr ein

    Arme-Leute-Viertel, hatte vielmehr ab Mitte des 19. Jahrhunderts durch städtebau-

    liche Maßnahmen unter Maximilian II. und Bevölkerungszuwachs eine Aufwertung

    zum beliebten Wohngebiet erfahren.58 Von der rasanten Urbanisierung im Gefolge der

    Industrialisierung profitierten insbesondere Lebensmittelbetriebe, also auch

    51 Anonym, Jubiläum im Hause Almas München, in: Weltkunst, Nr. 13, 01.07.1962, S. 13. 52 RRR, Dietrich, Maria Almas: Interrogation, 1945/46, Page 24. 53 RRR, Dietrich, Maria Almas: Interrogation, 1945/46, Page 48. 54 RRR, Dietrich, Maria Almas: Interrogation, 1945/46, Page 23. 55 StadtAM, Gewerbekarte, Dietrich Maria. 56 RRR, Dietrich, Maria Almas: Interrogation, 1945/46, Page 50. 57 BWA, K1/XX 64 b, Akt 1, Fall 29. 58 http://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen/muenchner-stadtteile-das-lehel-die-alte-dame-1.1093565.

  • 8

    Metzgereien,59 da immer mehr Menschen in den Ballungszentren versorgt werden

    mussten. Wahrscheinlich verbrachte sie also ihre Kindheit und Jugend materiell

    gesichert im kleinbürgerlichen Milieu. Dass sie als Minderjährige mit einem 20 Jahre

    älteren Mann sexuellen Kontakt hatte, und zwar offenbar bereits nach sehr kurzer

    Bekanntschaft wie der Geburtstermin beweist, widersprach der geltenden Moral

    diametral. Eine uneheliche Geburt führte dementsprechend normalerweise zu sozialer

    Ächtung. Auch das 1900 in Kraft getretene Bürgerliche Gesetzbuch unterstellte einer

    unehelichen Mutter Unmoral und diskriminierte in allen betreffenden Paragraphen

    sowohl die Frau als auch das Kind.60 Die Leitung der Metzgerei ab 1914 weist darauf

    hin, dass zumindest ihre Familie in dieser Lage weiter zu ihr stand. Unklar ist, was

    ihren Vater an der Führung seines Geschäfts hinderte, da er aufgrund höheren Alters

    vermutlich nicht eingezogen wurde; beim Bruder allerdings war dies wahrscheinlich

    der Fall. In Kriegszeiten bedeutete die Leitung einer Metzgerei angesichts von

    Lebensmittelknappheit, Schwarzmarkt und Rationierung eine Machtposition. Diese

    Rolle war also geeignet, ihre Stigmatisierung als ledige Mutter mehr als zu

    kompensieren und ihr Selbstbewusstsein so zu stärken, dass sie erneut eine Beziehung

    zu einem für damalige Verhältnisse unkonventionellen Mann aufnehmen konnte, der

    ihr den Branchenwechsel ermöglichte. Die Bandbreite der ihm zugeschriebenen

    Betätigungen weist auf einen sehr vielseitigen Mann, von dem eine Frau mit

    Volksschulabschluss sicherlich mehr als nur Teppichknüpfen lernen konnte. Ihre nun

    rasch aufeinander folgenden Schritte von der Hilfskraft 1917 zur eigenständigen

    Kunsthändlerin 1926 lassen Lernfähigkeit, Zielstrebigkeit und enormen Ehrgeiz

    erkennen. Später wurde von ihr gesagt, sie sei in dieser Hinsicht „fünf Männern

    ebenbürtig“61 gewesen. Diese Eigenschaften können andererseits durchaus zu

    Kollisionen mit dem türkisch-jüdischen Ehemann geführt haben, da in diesen beiden

    Kulturkreisen traditionell Frauen eher eine dem Mann untergeordnete Rolle im

    häuslichen Bereich zugewiesen wird. Die Trennung bereits nach wenigen Jahren

    deutet jedenfalls auf gravierende Differenzen. Spätestens ab 1926 entspricht sie als

    beruflich selbstständige, finanziell erfolgreiche, autofahrende Frau mit einer recht

    freien Einstellung zur Sexualität dem Typus der emanzipierten „Neuen Frau“62.

    59 Fesser 2000, S. 17. 60 http://library.fes.de/gmh/main/pdf-files/gmh/1967/1967-11-a-652.pdf. 61 Nicholas 1995, S. 47. 62 http://www.dhm.de/lemo/html/weimar/alltag/frau/.

  • 9

    4. Nationalsozialismus

    Die „Goldenen Zwanziger Jahre“ zwischen 1924 und 1929 endeten abrupt mit der

    Weltwirtschaftskrise. Es folgte eine Zeit der Massenarbeitslosigkeit und politischen

    Wirren, die schließlich die Nationalsozialisten an die Macht brachten. Die Ernennung

    Hitlers zum Reichskanzler am 30.01.1933 verhieß für Almas-Dietrich in jeder

    Hinsicht nichts Gutes. Eine emanzipierte Frau jüdischen Glaubens und türkischer

    Nationalität mit einer „halbjüdischen“ Tochter konnte sich keine großen Chancen

    ausrechnen unter dem Regime eines Mannes, der die Emanzipation der Frau für eine

    „Erfindung des jüdischen Intellekts“63 hielt, das Ideal der Frau in einem ganz auf den

    häuslichen und sozialen Bereich beschränkten „Muttertum“64 sah und eine rassistisch-

    antisemitische Ideologie vertrat.

    Unmittelbar nach der Machtübernahme begannen „wilde Aktionen“ der national-

    sozialistischen Parteibasis, die diese Ideologie durch brutale Übergriffe auf jüdische

    Geschäfte, Ärzte und Rechtsanwälte in die Tat umsetzten.65 Almas-Dietrich gibt an,

    auch ihr Geschäft sei mit dem Judenzeichen gebrandmarkt und bis Ende März 1933

    boykottiert worden; erst die Intervention des türkischen Konsuls habe dies beendet.66

    Letzteres legt jedoch einen anderen Ablauf nahe: da die Auslandspresse auf die

    „wilden Aktionen“ mit heftiger Kritik reagierte, beschloss die NS-Parteileitung, diesen

    „Gräuelnachrichten“ entgegenzuwirken und den „Volkszorn“ durch einen

    reichsweiten Boykott jüdischer Geschäfte ab 01.04. in geordnete Bahnen zu lenken.67

    In Punkt 2 des offiziellen Boykottaufrufs wurde ausdrücklich der Boykott auf

    „deutsche Juden“68 beschränkt, was dem türkischen Konsul eine Handhabe gab, bei

    den Behörden zu intervenieren. Wie er auf die Marodeure der ersten Monate hätte

    Einfluss nehmen können, ist dagegen unklar. Es ist also plausibler, dass Almas-

    Dietrich zwar kurzzeitig vom offiziellen „Geschäftsboykott“ am 01.04. betroffen war,

    nicht aber von den vorangegangenen Ausschreitungen.

    Wahrscheinlich trugen diese aber wesentlich dazu bei, dass sie bereits am 28.02.1933

    den Austritt aus der israelitischen Religionsgemeinschaft vor dem Amtsgericht

    München IV erklärte und fortan als freireligiös galt.69 Absolute Sicherheit bot dieser

    Schritt aber nicht, da sich die Nationalsozialisten aufgrund der verheerenden

    63 http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/pdf/deu/GERMAN67.pdf. 64 Görtemaker 2011, S. 72-73. 65 http://www.hagalil.com/deutschland/ost/judentum/nsverfolgung.html. 66 RRR, Dietrich, Maria Almas: Interrogation, 1945/46, Page 23. 67 http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/antisemitismus/. 68 http://www.digam.net/expo/ns-revolution-1933/judenboykott-1933/bilder/33-04-01.jpg. 69 BArch Berlin-Lichterfelde, (ehem. BDC), PK, VBS 1, Personalakte NSDAP, Almas-Diamant Maria.

  • 10

    Außenwirkung ihrer Straßenaktionen nun auf legislative Maßnahmen besannen. Am

    22.09.1933 wurde das „Reichskulturkammergesetz“ erlassen, das alle Kunsthändler

    zur Mitgliedschaft in der Reichskammer der bildenden Künste (RdbK) verpflichtete.

    Am 01.11.1933 folgte die „Erste Verordnung zur Durchführung des Reichskultur-

    kammergesetzes“70, deren Paragraph 10 den Ausschluss aus der RdbK ermöglichte,

    wenn „die in Frage kommende Person die für die Ausübung ihrer Tätigkeit

    erforderliche Zuverlässigkeit und Eignung nicht besitzt“71. Diese offene Formu-

    lierung wurde in den folgenden Jahren missbraucht, um jüdische oder anderweitig

    missliebige Kunsthändler „legal“ aus der Branche zu verdrängen.72 Almas-Dietrich

    konnte zwar weiterhin ihrer Tätigkeit nachgehen, doch muss dieser Willkürparagraph

    angesichts ihrer für Nationalsozialisten anrüchigen Familienkonstellation wie ein

    Damoklesschwert über ihr gehangen haben. Wirtschaftlich kann es ihr aber nicht allzu

    schlecht gegangen sein, denn sie kaufte 1934 ein Grundstück im vornehmen Münchner

    Stadtteil Bogenhausen für den Bau einer eigenen Villa.73 Ab 15.11.1935 war sie dort

    in der Gustav-Freytag-Str.5 gemeldet.74

    Das Jahr 1934 hielt zudem ein für ihre zukünftige Karriere bedeutendes Ereignis

    bereit. Sie lernte den Fotografen Heinrich Hoffmann kennen. Angeblich kam er bei

    einem Streifzug durch Münchner Kunsthandlungen zufällig auch in ihre.75 Hoffmann

    war ein angesehener Presse- und Porträtfotograf, der in München das Atelier

    „Photohaus Hoffmann“ leitete. Von einer amerikanischen Bildagentur beauftragt traf

    er Hitler angeblich erstmals 1922. Görtemaker geht davon aus, dass Hoffmann seitdem

    mit Hitler befreundet war, also lange bevor seine Fotografien zu Propagandazwecken

    für die NSDAP eingesetzt wurden. Die enge Zusammenarbeit mit der Partei bei der

    Inszenierung Hitlers führte dazu, dass sein in „NSDAP-Photohaus Hoffmann“

    umbenanntes Unternehmen expandierte. Mit den Jahren entwickelte sich zwischen

    dem Fotografen und Hitler eine so enge Beziehung, dass Hitler sich bei Hoffmanns

    Familie „wie zu Hause“76 fühlte und seinen Leibfotografen in Kunstfragen trotz dessen

    Unkenntnis zurate zog.77 Beide hatten den gleichen Kunstgeschmack mit einer

    Vorliebe für Gemälde des 19. Jh. mit Historien- und Genredarstellungen. Diese

    Gemeinsamkeit scheint die Voraussetzung für die zukünftige Zusammenarbeit und

    70 Kat. Ausst. Gute Geschäfte 2011, S. 120. 71 http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1933&page=923&size=45. 72 Enderlein 2006, S. 75. 73 RRR, Dietrich, Maria Almas: Interrogation, 1945/46, Page 50. 74 StadtAM, EWK 65 D 834, Dietrich Maria. 75 RRR, Dietrich, Maria Almas: Interrogation, 1945/46, Page 24. 76 Görtemaker 2011, S. 14-24. 77 Ebd., S. 175.

  • 11

    Freundschaft mit Almas-Dietrich zu sein, die sich ebenfalls auf die deutsche Malerei

    des 19. Jh. spezialisiert hatte.78 Hoffmann betonte später, sein Verhältnis zu Hitler sei

    rein freundschaftlicher Natur gewesen. Er sei weder in offizieller Position am Aufbau

    der Linzer Sammlung beteiligt gewesen noch habe er Bilder für Hitler gekauft. Er

    beschrieb seine Rolle als „desinterested middleman“, der Hitler lediglich Gemälde

    empfahl.79

    Die erste Begegnung mit Hoffmann war möglicherweise nicht ganz so zufällig, wie es

    Almas-Dietrich darstellte. Eva Braun arbeitete seit 1929 in Hoffmanns Atelier, wo sie

    im selben Jahr Hitler kennenlernte.80 Die spätere Geliebte Hitlers war andererseits mit

    Almas-Dietrichs Tochter Mimi befreundet.81 Denkbar ist also auch, dass Hoffmann

    durch Mimi auf Almas-Dietrich aufmerksam wurde oder sie den Kontakt zu ihm sogar

    gezielt über ihre Tochter herbeiführte.

    Laut Almas-Dietrich kam ihr erster Kontakt zu und Verkauf an Hitler 1936 über

    Hoffmann zustande. Eines nachts habe er sie angerufen und darum gebeten, mit einer

    Auswahl von Bildern in seine Privatwohnung zu kommen. Neben Hoffmann habe sie

    dort Hitler erwartet, um die Werke zu besichtigen und schließlich auch einige zu

    kaufen.82 Belegt ist, dass sie ihm in diesem Jahr u.a. das Gemälde „Toteninsel“ (1883)

    von Böcklin für 85.000 RM verkaufte.83 Die „Toteninsel“, ein Hauptwerk der

    deutschen Malerei des 19. Jh., war eines der Lieblingsbilder Hitlers und für das

    Reichskanzlerpalais bestimmt.84 Dieser Verkauf war aber tatsächlich nicht der erste an

    den Reichskanzler, denn bereits am 18.10.1935 erwarb sie für ihn das Porträt „Kaiser

    Wilhelm und Kaiser Friedrich“ (ca. 1888) von Franz v. Lenbach, das in Hitlers

    Arbeitszimmer hängen sollte.85 Almas-Dietrichs Darstellung des Erstkontaktes 1936

    ist folglich unzutreffend, wurde aber von mehreren Autoren der Sekundärliteratur

    übernommen.86 Im selben Jahr stellte Almas-Dietrich beim Münchner Stadtrat einen

    Antrag auf Wiedereinbürgerung, der aber von Oberbürgermeister Fiehler, einem Alt-

    Parteigenossen, aus „verständlichen Gründen“87 am 31.10.1936 abgelehnt wurde.

    78 CIR No. 4, Linz. Hitler’s Museum and Library, 15. Dezember 1945, Page 55. 79 DIR No. 1, Heinrich Hoffmann, 01. Juli 1945, Page 5-6. 80 Görtemaker 2011, S. 18-19. 81 RRR, Dietrich, Maria Almas: Interrogation, 1945/46, Page 53-54. 82 Ebd., Page 52. 83 Schwarz 2011, S. 152. 84 Ebd., S. 262. 85 Ebd., S. 151. 86 vgl. Görtemaker 2011, S. 176; Nicholas 1995, S. 47. 87 Zitat der Gauleitung München-Oberbayern 1939 zur Gesamtbeurteilung der Person Maria Almas-Diamant. Wahrscheinlich handelt es sich bei den „verständlichen Gründen“ um ihre Ehe mit einem Juden und ihre „halbjüdische“ Tochter; BArch Berlin-Lichterfelde, (ehem. BDC), PK, VBS 1, Personalakte NSDAP, Almas-Diamant Maria.

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    Auch ihre Beschwerde gegen diesen Bescheid an die Bayerische Regierung wurde am

    19.04.1937 verworfen.88

    Mehr Erfolg hatte sie mit ihrer schon seit Jahren schwebenden Scheidungs-

    angelegenheit. Am 30.01.1937 wurde wenigstens von deutscher Seite ihrem Antrag

    stattgegeben.89 Ob ihr Kontakt zu Hitler dabei eine Rolle spielte, muss offen bleiben.

    Allerdings spricht der deutliche Anstieg ihrer Ankäufe für Hitler, der sich z.B. anhand

    der Einlieferung eines großen Gemäldekonvoluts in der Reichskanzlei Ende 1937

    belegen lässt90, dafür, dass sich der Kontakt intensiviert hatte. Es ist schwer vorstellbar,

    dass Hitler eine Frau in seiner Umgebung geduldet hätte, der man aufgrund der

    Nürnberger Gesetze von 1935 „Rassenschande“ durch die Ehe mit einem Juden

    vorwerfen konnte.91 Wie nahe Almas-Dietrich Hitler kam, zeigt ein Foto anlässlich der

    Hochzeit von Marianne Schönmann im August 1937, auf dem sie neben ihm zu sehen

    ist (Abb. 1).92 Marianne Schönmann war als Freundin von Hoffmanns Ehefrau mit

    Hitler schon länger bekannt und Teil des „Berghof-Kreises“.93

    1937 erzielte Almas-Dietrich bei einem Umsatz von 309.561 RM einen Gewinn in

    Höhe von 47.531 RM, was einer Gewinnmarge von gut 15% entspricht. 1938 kam es

    zu einem sprunghaften Anstieg: der Umsatz kletterte auf 2.514.920 RM, der Gewinn

    auf 447.270 RM, die Gewinnmarge auf 18%.94 Diese Einkommensexplosion

    verdankte sie in erster Linie Hitlers in diesem Jahr gestartetem Großprojekt der

    Umgestaltung von Linz. Nach der Annexion Österreichs am 12.03.1938 begann Hitler

    offiziell mit der Planung einer „neuen Stadt“ Linz. Die Entscheidung für diesen

    Standort war keinesfalls willkürlich. Hitler hatte zu Linz eine emotionale Beziehung,

    da er dort mit seiner geliebten Mutter ab 1905 gelebt hatte und zur Schule gegangen

    war.95 Nach dem „Anschluss“ ernannte er Linz sogar zu seiner „Patenstadt“, die seiner

    besonderen Obhut unterstellt war96 und die er auf Kosten von Wien politisch und

    kulturell aufwerten wollte.97 Wien war ihm ein Dorn im Auge: dort war er als junger

    Mann zweimal an der Akademie der bildenden Künste abgelehnt worden98, und auch

    88 StadtAM, EWK 65 D 834, Dietrich Maria. 89 StadtAM, Standesamt München IV 1921/2003, Dietrich Maria. 90 Schwarz 2011, S. 215. 91 http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/antisemitismus/nuernberg/. 92 Görtemaker 2011, S. 175. 93 Ebd., S. 170. 94 StAM, OFD 2292, Devisennachschau bei Maria Almas-Diamant, Kunst- und Antiquitätenhandlung, 30. Mai 1939. 95 Löhr 2013, S. 8. 96 Ebd., S. 24. 97 CIR No. 4, Linz. Hitler’s Museum and Library, 15. Dezember 1945, Page 12. 98 Petropoulos 1999, S. 115.

  • 13

    jetzt widersetzten sich die Direktoren der Wiener Kultureinrichtungen seinem Willen.

    Sie weigerten sich nämlich, das am 31.05.1938 erlassene „Gesetz über (die)

    Einziehung entarteter Kunst“99 anzuwenden, da ihnen damit das Entscheidungsrecht

    über die beschlagnahmten Kunstwerke in Österreich entzogen worden und auf „den

    Führer und Reichskanzler“ übergegangen wäre. Formal waren sie im Recht, da das

    Gesetz ausdrücklich das Land Österreich ausnahm.100 Hitlers Pläne sahen nicht nur

    vor, aus der 55.000 Einwohner zählenden Stadt durch Bevölkerungszuwachs um das

    fünf- bis sechsfache eine Metropole zu machen101, sie sollte auch das Kulturzentrum

    des Reichs werden.102

    Dafür wurde eine Reihe von kulturellen Einrichtungen von Hitlers Lieblings-

    architekten Albert Speer konzipiert, deren Zentrum das „Führermuseum“ am Opern-

    platz werden sollte.103 Das Museum sollte öffentlich zugänglich sein und sich in seiner

    Qualität mit den Museen in Frankfurt oder Köln messen können.104 Als Basis sollte

    Hitlers Privatsammlung, bestehend aus Gemälden seiner Münchner und Berliner

    Wohnungen, dienen.105 Bei diesen Bildern handelte es sich vornehmlich um Werke

    Alter Meister und deutscher Maler des 19.Jh., die Hitler größtenteils von Almas-

    Dietrich und Haberstock gekauft hatte.106 Für den Aufbau der Sammlung initiierte

    Hitler den sog. „Sonderauftrag Linz“, als dessen erster Sonderbeauftragter Hans Posse

    ernannt wurde und dessen Leiter er selbst war.107 Posse war dafür verantwortlich,

    einerseits hundert Gemälde aus der Privatsammlung für das geplante Museum

    auszusuchen und andererseits weitere Kunstwerke zu erwerben, die in den folgenden

    Jahren auf das „Führermuseum“ und andere Museen des Reichs verteilt werden

    sollten.108 Da die Beschaffung einer solchen Menge von Kunstwerken für ihn alleine

    nicht machbar gewesen wäre, wurden zusätzlich Kunsthändler und –agenten

    engagiert. Die von ihnen erworbenen oder beschlagnahmten Werke sollten im Depot

    des Führerbaus in München zwischengelagert werden.109 Letzteres erschwerte den

    Erwerb von Kunst in Österreich erheblich, da seit 1918 die Ausfuhr von Kunst aus

    Österreich generell verboten war und im Einzelfall einer Genehmigung der

    99 Kat. Ausst. Gute Geschäfte 2011, S. 120. 100 Petropoulos 1999, S. 113. 101 CIR No. 4, Linz. Hitler’s Museum and Library, 15. Dezember 1945, Page 12. 102 Iselt 2010, S. 162. 103 Iselt 2010, S. 162. 104 CIR No. 4, Linz. Hitler’s Museum and Library, 15. Dezember 1945, Page 13. 105 Schwarz 2011, S. 245. 106 Iselt 2010, S. 163. 107 Koldehoff 2009, S. 124. 108 Kat. Ausst. Gute Geschäfte 2011, S. 176-178. 109 Haase 2002, S. 47.

  • 14

    Denkmalbehörde bedurfte. Dass Almas-Dietrich von Anfang an Neuerwerbungen für

    den Sonderauftrag tätigte110, belegen zwei Schriftstücke, die sie der Wiener

    Denkmalbehörde am 11.06.1938 vorlegte. Darin hieß es, dass „sie im Auftrag des

    Führers reise und die von ihr ausgeführten Bilder für ihn bestimmt seien“, ferner „sie

    berechtigt sei, Kunstwerke aus jüdischem Besitz zu kaufen und ohne denkmal-

    behördliche Genehmigung auszuführen“. Indem Hitler seine Händler mit solchen

    Legitimationen ausstattete, konnte zumindest in einem Teilbereich das öster-

    reichische Gesetz unterlaufen werden. Nur kurze Zeit danach, am 18.06.1938, erließ

    Hitler den „Führervorbehalt“, der sein Erstzugriffsrecht auf beschlagnahmte Bilder in

    Österreich legitimierte.111

    Bei der Auswahl der am Sonderauftrag Linz beteiligten Kunsthändler scheint Hitler

    nicht auf deren Parteizugehörigkeit bestanden zu haben. Überliefert ist sogar seine

    Bemerkung „ein unabhängiger Geist ist dafür nur förderlich“112. Personen, die in die

    Nähe Hitlers kommen konnten, wurden aber mit Sicherheit überprüft; insbesondere

    solche, die ihn – wie Almas-Dietrich anlässlich einer Gemäldepräsentation – direkt in

    der Reichskanzlei aufsuchen konnten113. Möglicherweise ist eine Befragung von

    Almas-Dietrich durch die Gestapo 1938 in diesem Zusammenhang zu sehen. Eine

    andere Erklärung findet sich jedenfalls nicht. Sie selbst gab später an, sie sei bei

    diesem Verhör durch ihre türkische Staatsbürgerschaft geschützt gewesen. Nach

    deutschem Recht war sie zwar seit 1937 von Ali Almas geschieden, die türkischen

    Behörden bewilligten die Scheidung jedoch erst Dezember 1938.114 Da sie damit die

    türkische Staatsbürgerschaft verlor und ihr Gesuch auf Wiedereinbürgerung bereits

    1937 abgelehnt worden war, galt sie ab Ende 1938 als staatenlos.115

    Die endgültige Scheidung von Ali Almas hatte für Almas-Dietrich weitere

    Konsequenzen.116 Ausgehend von einer Mitteilung des Polizeipräsidiums München

    vom 17.03.1939 gab das Amtsgericht München Registergericht am 22.03.1939 die

    Information an die IHK München weiter, dass sie ihren Mädchennamen Dietrich

    wieder angenommen habe und nicht mehr berechtigt sei, die türkische Übersetzung

    ihres früheren Namens „Diamant“ (Almas) zu tragen. Anlass für diesen Vorgang war

    110 Einige Autoren gehen davon aus, dass sie erst ab 1943 für den Sonderauftrag arbeitete, vgl. Kat. Ausst. Gute Geschäfte 2010, S. 179. 111 Schwarz 2011, S. 238. 112 Haase 2002, S. 52. 113 Nicholas 1995, S. 45. 114 RRR, Dietrich, Maria Almas: Interrogation, 1945/46, Page 50. 115 BArch Berlin-Lichterfelde, (ehem. BDC), PK, VBS 1, Personalakte NSDAP, Almas-Diamant Maria. 116 Der Inhalt des folgenden Absatzes stützt sich auf BWA, K1/XV A 10 c, Akt 264, Fall 33.

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    Almas-Dietrichs Antrag bei der IHK München auf Änderung des bisherigen

    Firmennamens „Maria Diamant (Almas)“ in „Almas“ Galerie, Maria Dietrich. Die

    IHK München wandte sich in dieser Sache zudem sowohl an Adolf Weinmüller, den

    Vorsitzenden des „Bundes deutscher Kunst- und Antiquitätenhändler e.V.“117 als auch

    direkt an die RdbK mit der Frage, ob gegen die Bezeichnungen „Galerie“ und v.a. „den

    jüdischen Charakter des Namens Almas“ Einwände bestünden. In den Unterlagen sind

    Informationen über ihre Kunst- und Antiquitätenhandlung in der Ottostr. 1b enthalten.

    In dem Geschäft arbeiteten demnach Almas-Dietrich, ihre Tochter Mimi und ein

    kaufmännischer Angestellter auf einer Gesamtfläche von ca. 60 qm, die sich auf drei

    Räume verteilten. Außerdem nutzte sie zwei Räume im Führerbau für eine ständige

    Kunstausstellung, die Hitler von Zeit zu Zeit besuchte. Dieser Sachverhalt verweist

    auf ihre wichtige Rolle bei der Beschaffung von geeigneten Kunstwerken für das

    „Führermuseum“ und andere NS-Bauten. Als Ergebnis ihrer Erkundigungen teilte die

    IHK München am 19.06.1939 der RdbK mit, dass das Registergericht den

    Namenszusatz „Almas“ für die Kunsthandlung ablehne, weil sie auch nicht berechtigt

    sei, die türkische Übersetzung von Diamant darin aufzuführen. Almas-Dietrich

    erwiderte daraufhin, dass das Wort „Almas“ für sie lebensnotwendig sei, da ihr

    Kundenkreis und die Fachwelt sie nur unter diesem Namen kenne und dessen

    Streichung zum Ruin ihrer Firma führen würde. Sie fügte hinzu, dass sie selbst rein

    arischer Abstammung sei, schon seit 12 Jahren von Ali Almas getrennt lebe und nur

    wenige Kunden von der Ehe mit ihm gewusst hätten. Folglich sei Almas nicht als

    jüdischer Nachname, sondern als ihr Geschäftsname bekannt. Die Bedenken aus

    judenrechtlicher Sicht, derartige Unternehmen und Namen müssten „aus der

    Erinnerung des deutschen Volkes verschwinden“, seien in ihrem Fall also

    unberechtigt. Daneben wies sie darauf hin, dass sie auf die Unterstützung setzen

    könne, „welche ihr vom Führer ständig und dauernd zuteil werde“. Am 10.08.1939

    entschied die IHK München daraufhin, dass Diamant als „offensichtlich jüdischer

    Name“ nicht mehr als Firmenname genutzt werden dürfe, aber gegen „Almas“ nichts

    einzuwenden sei, da dieser Name in Deutschland nicht zwangsläufig als Judenname

    aufgefasst werde. Aufgrund der ständigen Gemäldeausstellung im Führerbau dürfe der

    Zusatz „Galerie“ auch verwendet werden.118

    117 Zum Bund deutscher Kunst- und Antiquitätenhändler e.V., vgl. Hopp 2012, S. 37-48. 118 BWA, K1/XV A 10 c, Akt 264, Fall 33.

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    Wahrscheinlich ist auch eine Anfrage der Reichskulturkammer bei der Gauleitung

    München-Oberbayern vom 02.05.1939119 durch Almas-Dietrichs Antrag auf

    Änderung des Firmennamens ausgelöst worden. Man interessierte sich für ihre

    „politische Zuverlässigkeit und sonstigen charakterlichen Eigenschaften“. Die

    Gauleitung antwortete darauf am 14.06.1939, dass sie zwar kein Mitglied der NSDAP

    oder anderer Parteiorganisationen sei, aber „aus ihrem ganzen sonstigen Verhalten

    vielmehr zu schließen ist, dass sie mindestens vom Zeitpunkt der Machtergreifung ab

    auf nationalsozialistischem Boden steht“. Sie habe der Nationalsozialistischen

    Volkswohlfahrt (NSV) 20.000 RM gespendet, sei also „sehr gebefreudig“. Ferner wird

    auf ihre „enge Freundschaft mit der Frau von Generalfeldmarschall Göring und der

    Familie des Gauleiters und Staatsministers Adolf Wagner sowie des

    Bildberichterstatters Hoffmann“ hingewiesen. Aus diesen Angaben kann man

    zumindest für den Zeitraum bis Mitte 1939 nicht schließen, dass Almas-Dietrich eine

    fanatische Nationalsozialistin und Mitglied der NSDAP und SS gewesen sei, wie es

    Löhr ohne Angabe von Belegen tut120. Auch für die Zeit nach 1939 finden sich keine

    diesbezüglichen Belege. Almas-Dietrich bestritt in den Nachkriegsbefragungen

    jegliche Mitgliedschaft in NS-Organisationen.121 Letztendlich kann diese Frage nicht

    sicher beantwortet werden, da Almas-Dietrichs Aussagen in diesem Report nicht

    zwangsläufig wahrheitsgetreu sein müssen. Von der NSDAP-Gauleitung wurde sie

    aber durchaus wohlmeinend eingeschätzt. Dies mag eine Rolle dabei gespielt haben,

    dass einem anscheinend erneut von ihr gestellten Wiedereinbürgerungsantrag am

    15.01.1940 stattgegeben wurde.122

    Ende 1939123 verlegte Almas-Dietrich ihre Galerie in das repräsentative Cramer-Klett-

    Palais Ottostr. 9, das ihr zwölf großzügig geschnittene Räume bot124 und der

    zunehmenden Bedeutung der Galerie im NS-Kunsthandel sicher eher entsprach als die

    beengten Räumlichkeiten in der Ottostr. 1b. Ab 1940 war es ihr nämlich möglich, im

    besetzten Frankreich direkt tätig zu werden.125 Wie Karl Haberstock verfügte sie über

    eine große Anzahl von Kontaktmännern in Paris, die ihr von Verkaufswünschen

    119 Die Zitate dieses Absatzes stammen aus BArch Berlin-Lichterfelde, (ehem. BDC), PK, VBS 1, Personalakte NSDAP, Almas-Diamant Maria. 120 Löhr 2005, S. 127. 121 RRR, Dietrich, Maria Almas: Interrogation, 1945/46, Page 54. 122 StadtAM, Gewerbekarte, Dietrich Maria. 123 Kein eindeutiges Umzugs-Datum bekannt. Einschätzung aus den Anzeigen in der Zeitschrift „Kunst dem Volk“. 124 sm., Frau Maria Dietrich-Almas 70 Jahre alt, in: Export-Club, Nr. 3, 1962, aus: StadtAM, Personen, 84/27, Dietrich-Almas Maria. 125 Hopp 2012, S. 216.

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    berichteten.126 Neben ihrem Chefeinkäufer, dem deutschen Händler Victor Mandl127,

    kooperierte sie u.a. mit den französischen Kunsthändlern Paul Callieux, Etienne

    Donath, Edouard Larcade128 und Yves Perdoux.129 Ein weiterer Agent war Bruno

    Lohse, ein deutscher Kunsthändler, der bis Kriegsende für die Erweiterung der

    Privatsammlung Hermann Görings verantwortlich und ab 1941 dem „Einsatzstab

    Reichsleiter Rosenberg“ (ERR) als stellvertretender Direktor zugeordnet war.130 Diese

    Organisation gehörte zur Hauptabteilung III des Außenpolitischen Amtes der NSDAP

    und hatte unter Führung des Reichsleiters Alfred Rosenberg die Aufgabe, Kunst aus

    besetzten Gebieten zu beschlagnahmen. Besonders aktiv war der ERR in Frankreich,

    wo er an mehr als 50 Orten Kulturgüter konfiszierte. Die entsprechende Anordnung

    Hitlers an den Militärbefehlshaber von Paris vom 30.06.1940 besagte, „neben den im

    französischen Staatsbesitz befindlichen Kunstschätzen auch die in privatem,

    vornehmlich jüdischem Besitz befindlichen Kunst- und Altertumswerte vor

    Verschleppungen bzw. gegen Verbergung einstweilen in Verwahrung der

    Besatzungsmacht sicherzustellen.“131 Almas-Dietrich kann aufgrund fehlender

    Verkaufsunterlagen132 nur ein Geschäft mit dem ERR nachgewiesen werden. Sie

    tauschte dabei zwei kleinformatige portugiesische Bilder des 15. Jh. gegen das

    Gemälde „Sicht auf Honfleur“ von Pissarro aus der Sammlung von Frau Heilbronn.

    Nach dem Krieg gab sie an, nicht gewusst zu haben, dass der ERR ausschließlich mit

    beschlagnahmtem Kulturgut gehandelt hatte.133 Insgesamt soll sie in Frankreich

    zwischen 1940 und 1944 320 Kunstwerke von 109 Händlern gekauft haben.134

    Im Gegensatz zu den anderen Kunsthändlern hatte Almas-Dietrich das Privileg, direkt

    an Hitler bzw. Martin Bormann, den Chef der Parteikanzlei, verkaufen zu dürfen, ohne

    das Einverständnis von Posse und später Voss einzuholen.135 Die Bezahlung wurde

    daher meist nicht vom Sonderauftrag abgewickelt, sondern direkt von Hans Heinrich

    Lammers, dem Chef der Reichskanzlei, beglichen.136 Neben dem großen Netzwerk in

    Frankreich besaß Almas-Dietrich gute Kontakte zu Münchner Kunsthändlern, wie z.B.

    126 Haase 2008, S. 134. 127 NARA, RG 260, M1946, Restitution Research Records (RRR), Statements of Art Dealers, 1945-50, Page 167. 128 Iselt 2010, S. 288. 129 Haase 2008, S. 134. 130 Koldehoff 2009, S. 91. 131 Haase 2002, S. 80-85. 132 Görtemaker 2011, S. 176. 133 Haase 2008, S. 134. 134 CIR No. 4, Linz. Hitler’s Museum and Library, 15. Dezember 1945, Page 188-190. 135 Nicholas 1995, S. 213. 136 Görtemaker 2011, S. 176.

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    der Galerie Eysser und Maria Gillhausen137, die für sie als Lieferanten arbeiteten.

    Außerdem nutzte sie die Bestände des Münchener Kunsthändlers Julius Böhler, der

    Galerie Heinemann und des Berliner Auktionshauses Hans W. Lange, die alle selbst

    an den Sonderauftrag lieferten, sich aber nicht mit ihr messen konnten.138 Ihr

    wahrscheinlich größter Konkurrent war Karl Haberstock, der gut mit Hans Posse

    befreundet war und ihm schon vor 1938 viele Gemälde deutscher Maler des 19. Jh.

    verkauft hatte.139 In seiner Funktion als Sonderbeauftragter, die er Haberstocks

    Fürsprache bei Hitler zu verdanken hatte, erwarb Posse 169 Werke von ihm.140 An

    Almas-Dietrich war ihm dagegen anscheinend nicht viel gelegen. Zum einen missfiel

    es ihm, dass sie ohne seine Genehmigung Kunst an Hitler verkaufen durfte.141 Zum

    anderen galt Dietrich im Kreis ihrer Kollegen als unqualifiziert; Haberstock erwähnte,

    dass er sich im Gegensatz zu ihr durch Qualität auszeichne und sie auf Quantität

    setze.142

    Selbst wenn man als Motiv für diese Aussage berufliche Rivalität annimmt, enthält sie

    doch den wahren Kern, dass Almas-Dietrichs Kunstkenntnisse bruchstückhaft waren.

    Viele ihrer Einlieferungen stellten sich als Fälschungen heraus. 143 In ihrer Buchhaltung

    tauchte oft der Vermerk „herabgesetzt weil falsch“ auf.144 1942 teilte Bormann ihr mit,

    dass Hitler ein von ihr vermitteltes Aquarell des Wiener Malers Rudolf von Alt145 als

    „unverschämte Fälschung“ bezeichnet habe.146 Am 01.05.1942 verpflichtete Bormann

    sie zu einer genaueren Prüfung ihrer Gemälde, da ein ihm zugesandtes Bild eine

    Fälschung sei. Einen Monat später schickte Posse ein angebliches Gemälde von

    Boucher an sie zurück, weil es sich ebenfalls um ein Duplikat handelte.147 Dr. Ernst

    Buchner, der Direktor des Bayerischen Staatsmuseums, berichtete, er habe sie einmal

    „aus seinem Büro geworfen“, als sie ihm zu viele gefälschte und zweitklassige Bilder

    brachte.148 Wahrscheinlich verbreitete Buchner diese Geschichte, weil er sich

    einerseits vor den alliierten Befragern von ihr distanzieren und andererseits seine

    Überlegenheit demonstrieren wollte. Tatsächlich scheint er ein gutes Verhältnis zu ihr

    137http://www.badv.bund.de/DE/OffeneVermoegensfragen/Provenienzrecherche/Provenienzen/Daten/9000_9999/9217.html. 138 Löhr 2005, S. 128. 139 CIR No. 4, Linz. Hitler’s Museum and Library, 15. Dezember 1945, Page 28. 140 Koldehoff 2009, S. 123. 141 Haase 2008, S. 125. 142 Keßler 2008, S. 35. 143 Nicholas 1995, S. 48. 144 CIR No. 4, Linz. Hitler’s Museum and Library, 15. Dezember 1945, Page 62. 145 Hitler bezeichnete sich selbst als Spezialist für den Maler, vgl. Schwarz 2011, S. 237. 146 BArch B 323/159, Bormann an Maria Dietrich, 11.05.1942. 147 Haase 2008, S. 135. 148 DIR No. 2, Ernst Buchner, 31. Juli 1945, Page 10.

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    gehabt zu haben, da er sich oft in Kunstfragen von ihr konsultieren ließ. Almas-

    Dietrich revanchierte sich dafür, indem sie seiner Institution 1941 ein Gemälde des

    schottischen Malers John Lewis Brown „as an expression of thanks for art historical

    information“ schenkte.149

    Trotz ihrer Fehlkäufe blieb Almas-Dietrich gut im Geschäft und erzielte 1941 ein

    Einkommen von 570.000 RM. Im Vergleich zu anderen Kunsthändlern forderte sie

    extrem hohe Provisionen, meist bis zu 50%. Im Linz-Report sind außerdem 38 Fälle

    mit 100% und 6 mit über 300% angegeben.150 Im März 1943 sollte sich ihre berufliche

    Position stärken, denn nachdem Posse an Krebs gestorben war, wurde Hermann Voss

    von Hitler zu dessen Nachfolger ernannt.151 Im Gegensatz zu Posse stand Voss dem

    Geschäftsgebaren Haberstocks kritisch gegenüber152 und kaufte von ihm keine Bilder

    mehr.153 Stattdessen favorisierte er fortan Almas-Dietrich. Ihre Verkäufe an Voss für

    den Sonderauftrag weisen hohe Gewinnspannen auf, wie man den Belegen des BArch

    Koblenz entnehmen kann. Beispielsweise kaufte sie am 29.03.1943 bei Hans W.

    Lange ein Gemälde von Stuck für 19.000 RM und verkaufte es im selben Monat für

    24.000 RM an Linz.154

    Vor dieser für sie positiven Entwicklung sah sich Almas-Dietrich im Februar 1943

    allerdings mit einer anscheinend bedrohlichen Befragung durch die Gestapo in

    München konfrontiert: „…after sharp grilling of more than four hours her friend

    Hoffmann came to her rescue“. 155 Über Anlass und Inhalt dieses Verhörs ist nichts

    bekannt. Möglicherweise spielte aber Almas-Dietrichs „halbjüdische“ Tochter Mimi

    dabei eine Rolle. Sie hatte beantragt, ihren arischen Verlobten, den Juristen Detmar

    tho Rahde, heiraten zu dürfen. Trotz der Fürsprache von Eva Braun, die ungeachtet

    eines Kontaktverbots weiter über ihre Schwester Grete mit Mimi in Verbindung

    stand156, wurde dieser Antrag von Bormann im Dezember 1942 abgelehnt.157 Mimi, die

    von ihrer Mutter sonst im Hintergrund gehalten wurde, bei Anwesenheit wichtiger

    Kunden in der Galerie sich sogar zurückziehen musste,158 könnte dadurch die

    Aufmerksamkeit der Nationalsozialisten erregt haben. In Anbetracht der seit Oktober

    149 Petropoulos 2000, S. 38. 150 CIR No. 4, Linz. Hitler’s Museum and Library, 15. Dezember 1945, Page 60. 151 Iselt 2010, S. 163. 152 Haase 2008, S. 122. 153 Koldehoff 2009, S. 123. 154 BArch B323/583, Al-Di 0574, Almas an Voss, 03.1943. 155 RRR, Dietrich, Maria Almas: Interrogation, 1945/46, Page 51. 156 Ebd., Page 54. 157 Ebd., Page 50-51. 158 Ebd., Page 54.

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    1941 laufenden Deportation von deutschen Juden im Rahmen der „Endlösung“159 war

    dies lebensgefährlich. Denkbar ist auch, dass Almas-Dietrichs Einlieferung von

    Fälschungen einige Spitzenfunktionäre verärgert hatte, und man sie durch

    Einschüchterung zu einem sorgfältigeren Vorgehen veranlassen wollte.

    Das folgende Jahr sollte schwere Rückschläge für sie bringen. In der Nacht des

    20.04.1944 wurde Almas-Dietrichs Galerie durch Bomben der alliierten Luftwaffe

    komplett zerstört.160 Anscheinend führte sie danach die Geschäfte von ihrer Privat-

    wohnung aus weiter161, zumindest bis drei Monate später auch dieses Haus in der

    Gustav-Freytag-Str. 5 schwer getroffen wurde.162 Sie hatte zwar bereits vorher Teile

    ihres Galeriebestands und die komplette Wohnungseinrichtung in 12 Ausweichlager

    gebracht,163 doch durch den Verlust vieler ihrer Kunstwerke und das nahende Ende des

    Sonderauftrags Linz schrumpfte ihr Einkommen 1944 auf 216.000 RM. Im Endeffekt

    machte sie durch ihre Geschäfte mit dem Sonderauftrag von 1940 bis zu diesem Jahr

    einen Gewinn von 616.470 RM. 164 Die Gesamtzahl der von ihr für Linz gelieferten

    Bilder differiert je nach Quelle stark. Nach Meinung des amerikanischen

    Kunstschutzoffiziers Lane S. Faison im Jahr 1945 vermittelte Almas-Dietrich 270

    Bilder.165 Löhr kam bei seinen Nachforschungen im Münchner Collecting Point aber

    zu einer wesentlich größeren Zahl, nämlich auf insgesamt 930 Kunstwerke.166

    Über ihre Geschäftstätigkeit 1945 ist nichts bekannt. Es ist wahrscheinlich, dass sie in

    der chaotischen Endphase des 2. Weltkriegs zum Erliegen kam. Ebenso wenig weiß

    man über Almas-Dietrichs Aufenthaltsort in dieser Zeit; möglicherweise hat sie sich

    aus dem weitgehend zerstörten München in die nahegelegene Kleinstadt Grafing

    zurückgezogen167. Sie selbst gab an, ab Anfang 1945 für ein dreiviertel Jahr „leidend

    und meist bettlägerig“ gewesen zu sein. Außerdem wurde ihr Wagen Anfang 1945

    beschlagnahmt und ihrer Tochter „wegen Arbeitseinsatzes nachgespürt“. 168 Diese

    Formulierung legt nahe, dass sich Mimi in den letzten Kriegsmonaten versteckt hielt.

    159 https://www.dhm.de/lemo/html/wk2/holocaust/. 160 RRR, Dietrich, Maria Almas: Interrogation, 1945/46, Page 24. 161 StadtAM, Gewerbekarte, Dietrich Maria. 162 sm., Frau Maria Dietrich-Almas 70 Jahre alt, in: Export-Club, Nr. 3, 1962, aus: StadtAM, Personen, 84/27, Dietrich-Almas Maria. 163 RRR, Dietrich, Maria Almas: Interrogation, 1945/46, Page 24. 164 CIR No. 4, Linz. Hitler’s Museum and Library, 15. Dezember 1945, Page 60. 165 Ebd. 166 Löhr 2005, S. 127. 167 http://www.lostart.de/Content/051_ProvenienzRaubkunst/DE/Beteiligte/A/Almas-Dietrich,%20Maria.html?nn=5150&cms_lv2=5338&cms_lv3=25666. 168 RRR, Dietrich, Maria Almas: Interrogation, 1945/46, Page 23-24.

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    5. Nachkriegszeit

    Bereits 1942 traf die US-Regierung mit der Gründung des OSS Vorkehrungen für die

    Nachkriegszeit. Aufgabe des OSS war, versteckte Transaktionen von Vermögens-

    werten durch die Nationalsozialisten zu erfassen und deren Verwendung zur

    Finanzierung von Untergrundaktivitäten nach Kriegsende zu verhindern. Die enge

    Zusammenarbeit des OSS mit der 1943 gegründeten Roberts Commission169 führte

    1944 zur Etablierung der Art Looting Investigation Unit (ALIU), die den Auftrag

    erhielt, „to collect and disseminate information on the looting, confiscation and

    transfer by the enemy of art properties in Europe“. Insbesondere erstellte ALIU Listen

    von potentiell am Kunstraub beteiligten Personen. Unmittelbar nach Kriegsende

    begannen die Amerikaner in mehreren Zentren mit deren Befragung und richteten

    Sammelstellen für auf Raubkunst verdächtige Kunstwerke, die Central Collecting

    Points, ein.170

    Almas-Dietrichs erste Befragung fand am 18.08.1945 in Velden statt.171 Möglicher-

    weise stand sie danach unter Hausarrest in Grafing.172 Im Rahmen der Nach-

    forschungen zu Linz folgten mehrere Vernehmungen in München im Oktober und

    November.173 Als sich in diesen Befragungen ihre Rolle als einer der Hauptlieferanten

    abzeichnete, intensivierten die Amerikaner die Nachforschungen. Zwischen 28.01.

    und 20.02.1946 wurden Almas-Dietrich und ihre inzwischen verheiratete Tochter fast

    täglich befragt und die meisten ihrer Lager inspiziert.174 Um eine Kontrolle zur

    Bestandsaufnahme dieser Ausweichlager hatten sich Almas-Dietrich und ihre Tochter

    unter Einschaltung eines Rechtsanwalts bereits 1945 vergeblich bei der

    Militärregierung, Section Fine Art, bemüht, nachdem ihnen zu Ohren gekommen war,

    dass zumindest eines bei Prien im Juni 1945 geplündert worden war.175 Die

    Befragungen der beiden Frauen mündeten in die Empfehlung, Almas-Dietrich für

    einen unbestimmten Zeitraum die Lizenz der Amerikanischen Militärregierung, die

    Kunsthändler zwischen 1945 und 1949 benötigten176, nicht zu erteilen. Als

    Begründung wurde angeführt, „a person who profited for years from her close

    169 Roberts Commission = the American Commission for the Protection and Salvage of Artistic and Historic Monuments in War Areas. 170 http://www.archives.gov/research/microfilm/m1944.pdf. 171 CIR No. 4, Linz. Hitler’s Museum and Library, 15. Dezember 1945, Page 10. 172 http://www.lostart.de/Content/051_ProvenienzRaubkunst/DE/Beteiligte/A/Almas-Dietrich,%20Maria.html?nn=5150&cms_lv2=5338&cms_lv3=25666. 173 CIR No. 4, Linz. Hitler’s Museum and Library, 15. Dezember 1945, Page 10. 174 RRR, Dietrich, Maria Almas: Interrogation, 1945/46, Page 47. 175 Ebd., Page 25. 176 Petropoulos 2000, S. 110.

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    connection with Hitler should not be allowed to operate for some time to come“. Die

    in den diversen Lagern befindlichen, im Ausland erworbenen Kunstgegenstände

    sollten in den Münchner Collecting Point gebracht und auf ihre Provenienz hin

    untersucht werden. Da man die Tochter nicht für die Handlungen ihrer Mutter

    bestrafen wollte, gestand man Mimi tho Rahde im Fall eines Antrags eine Lizenz zu,

    allerdings eingeschränkt auf den Handel mit Kleinkunst, Möbeln und Teppichen.

    Außerdem sollte sichergestellt werden, dass Almas-Dietrich nicht mit Hilfe ihrer

    Tochter weiter im Kunsthandel tätig werden konnte.177

    Wie letztere Empfehlung umgesetzt werden sollte, wurde nicht gesagt. Es ist auch

    nicht anzunehmen, dass sie jemals realisiert wurde. Jedenfalls gibt es keinen Hinweis

    darauf, dass amerikanische oder deutsche Stellen Almas-Dietrich in der Folgezeit

    größere Aufmerksamkeit schenkten. Da die Ablehnung einer Lizenzerteilung

    ausdrücklich mit ihrem Status als Nutznießerin des NS-Regimes begründet worden

    war, hätte sie eigentlich als „Belastete“ einem Entnazifizierungsverfahren unterzogen

    werden müssen. Ob dies der Fall war, ist unbekannt. Die auf der Potsdamer Konferenz

    beschlossene Entnazifizierung wurde in der amerikanischen Besatzungszone zwar

    zunächst streng gehandhabt, aber bereits am 05.03.1946 wurde die Durchführung mit

    dem „Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“ auf die

    deutschen Behörden und die von ihnen einzurichtenden Spruchkammern übertragen.

    Im Zuge des Kalten Krieges stellten die Amerikaner 1948 die Überwachung des

    Entnazifizierungsprogramms in ihrer Besatzungszone ganz ein.178 Aufgrund ihrer

    NSDAP-Mitgliedschaft und ihres Verhaltens im Dritten Reich stärker kompromittierte

    Kunsthändler wie Lohse, Haberstock und Hofer wurden zwar konsequenter zur

    Rechenschaft gezogen, teilten sich sogar zeitweise dieselbe Zelle,179 wurden dadurch

    aber nicht effektiv daran gehindert, spätestens ab Anfang der 1950er ihre Geschäfte

    wieder aufzubauen.180 München knüpfte dadurch in der Nachkriegszeit an seine Rolle

    als Zentrum des Kunsthandels im Dritten Reich an.181

    Almas-Dietrich und die o.g. Kunsthändler bildeten ein neues Netzwerk und zumindest

    einige von ihnen verkauften Kunst, deren Provenienz höchstwahrscheinlich

    fragwürdig war.182 Der Raubkunst-Experte Marc Masurovsky geht davon aus, dass

    177 RRR, Dietrich, Maria Almas: Interrogation, 1945/46, Page 59. 178 http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel_46003. 179 Petropoulos 2000, S. 94. 180 Petropoulos 2000, S. 110. 181 Petropoulos 1999, S. 235. 182 http://www.zeit.de/kultur/kunst/2013-11/Gurlitt-Interview-Historiker-Petropoulos.

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    „certain individuals used what they stole as their pension“.183 Bruno Lohse kann hierfür

    als Paradebeispiel gelten. Da er nicht mehr als Kunsthändler arbeiten durfte, verhalf

    er ab den 1950ern wohlhabenden Deutschen als „Kunstberater“ zum Aufbau ihrer

    Sammlungen.184 Die in seinem Besitz befindliche Raubkunst versteckte er in einem

    Schließfach in der Schweiz, das erst zwei Monate nach seinem Tod 2007 durch die

    Züricher Staatsanwaltschaft geöffnet wurde. Man kann davon ausgehen, dass sich in

    der Schweiz nach dem Krieg noch wesentlich mehr Werke befanden, denn von den

    1950ern bis in die 1970er war es nicht außergewöhnlich, dass europäische und

    amerikanische Kuratoren Kunst aus schweizerischen Schließfächern erwarben, ohne

    sich nach der Provenienz zu erkundigen.185

    Wie Lohse etablierte sich auch Almas-Dietrich erneut herausragend in der Münchner

    Kunstszene. Als gute Bekannte von ihm und Hoffmann gehörte sie dem neuen

    Netzwerk aus alten Kollegen an186 und pflegte, wie eine Fotografie von Hoffmann

    1950 zeigt, nach dem Krieg weiterhin die Kontakte (Abb. 2). Ebenfalls 1950, ein Jahr

    nachdem die Lizenzpflicht aufgehoben worden war, wurde ihre neue Galerie im Haus

    Wittelsbacherplatz 6, Eingang Briennerstraße, eröffnet: „Mit neuem Mut und neuer

    Energie begann dann ihre Tochter Frau Tho Rahde, die Firma wieder aufzubauen, und

    die Jubilarin unterstützte sie mit Rat und Tat“. 187 Diese Formulierung legt nahe, dass

    die neue Galerie von beiden Frauen gemeinschaftlich geführt wurde. In den

    repräsentativen Räumlichkeiten verkauften sie nun vorrangig Kleinkunst des 18. Jh.,

    aber auch Möbel und Gemälde.188 Später warben sie hauptsächlich mit Antiken

    Einrichtungen des 18. Jh. (Abb. 3).189 Als 1956 die erste Deutsche Kunst- und

    Antiqutitätenmesse (DKAM) von Konrad Bernheimer im Haus der Kunst veranstaltet

    wurde, hatte Frau Dietrich erneut einen so guten Ruf, dass sie dort einen prominenten

    Standplatz erhielt.190 Auch zwei Jahre später wurde ihr Messestand (Abb. 4) unter 70

    anderen Ausstellern für eine Abbildung in der Weltkunst „Zum Abschluss der III.

    Deutschen Kunst- und Antiquitätenmesse“ ausgewählt und ein Foto von Mimi tho

    183 Petropoulos 2000, S. 279. 184 http://cr8tiveshft.com/looted-art/. 185 http://www.zeit.de/kultur/kunst/2013-11/Gurlitt-Interview-Historiker-Petropoulos. 186 Ebd. 187 sm., Frau Maria Dietrich-Almas 70 Jahre alt, in: Export-Club, Nr. 3, 1962, aus: StadtAM, Personen, 84/27, Dietrich-Almas Maria. 188 Anonym, Galerie Almas München in neuem Gewande, in: Weltkunst, Nr. 14, 15.07.1958, S. 8. 189 Anzeige Galerie Almas Maria Dietrich Mimi tho Rahde, in: Alte und Moderne Kunst, Nr. 77, 1964, aus: http://mak01.intranda.com/viewer/image/1368451208783_0001/60/. 190 C. Herchenröder, Artikel „Sammellust und neuer Wohlstand“, 05.05.06 aus: http://www.handelsblatt.com/panorama/kultur-literatur/60-jahre-kunsthandel-sammellust-und-neuer-wohlstand/2649772.html.

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    Rahde im Gespräch mit Staatsminister Dr. Ankermüller publiziert (Abb. 5).191 Wie ein

    weiterer Artikel aus der Weltkunst im selben Jahr 1958 berichtet, gestaltete Mimi tho

    Radhe die Galerie anlässlich der 800-Jahr-Feier Münchens um (Abb. 6). Interessant in

    diesem Artikel ist eine Bemerkung, die Kunstobjekte der Galerie wiesen „ausnahmslos

    eine stichhaltige Provenienz“ auf.192 In Anbetracht der Aussage Petropoulos’,

    Kunstsammler und Kuratoren hätten bis in die 1970er kein Interesse an der Provenienz

    von Werken gehabt193, ist diese Erwähnung außergewöhnlich und riecht förmlich nach

    Rechtfertigung. Höchstwahrscheinlich war Almas-Dietrich sehr daran gelegen, der

    Öffentlichkeit einen seriösen und fachkundigen Eindruck zu vermitteln. Ihre

    Vergangenheit wurde nicht publik, sie führte eine „international bekannte und

    angesehene Galerie“.194 Dafür präsentierte sie sich wie auch Haberstock195 als

    Mäzenin, die den Münchner Museen zu besonderen Anlässen Kunst stiftete;

    beispielsweise erhielt das Bayerische Nationalmuseum zu ihrem 75. Geburtstag eine

    Meißner Wackelpagode (ca. 1770). Zu ihrem 70. Geburtstag wurde sie von Prof.

    Conrad Hommel porträtiert (Abb. 7);196 er war ein erfolgreicher Maler in der NS-Zeit,

    der u.a. Porträts von Hitler und Göring anfertigte und 1937 Jurymitglied der Großen

    Deutschen Kunstausstellung war.197 Almas-Dietrichs Bild wurde in Zeitungen

    veröffentlicht, ohne Hommels Vergangenheit zu erwähnen. Vergangenheits-

    bewältigung war im Deutschland des Wirtschaftswunders offensichtlich kein Thema.

    Noch 1971 wurde in ihrem Nachruf ihre Tätigkeit für das NS-Regime schamhaft

    verharmlost: „Das offizielle Deutschland von damals schien sie als eine Art

    Hoflieferantin zu betrachten“.198 Von kritischen Fragen verschont starb Maria Almas-

    Dietrich am 11.11.1971 in Dachau199, bekannt als „Grande Dame und Seniorin des

    Münchner Kunsthandels“.200 Zu ihrem Gedenken hing bis Anfang der 2000er eine

    Messing-Gedenktafel am Gebäude der ehemaligen Galerie.201

    191 Anonym, Zum Abschluss der III. Deutschen Kunst- und Antiquitätenmesse, in: Weltkunst, Nr. 22, 15.11.1958, S. 5-8. 192 Anonym, Galerie Almas München in neuem Gewande, in: Weltkunst, Nr. 14, 15.07.1958, S. 8. 193 http://www.zeit.de/kultur/kunst/2013-11/Gurlitt-Interview-Historiker-Petropoulos. 194 Anonym, Jubiläum im Hause Almas München, in: Weltkunst, Nr. 13, 01.07.1962, S. 13. 195 Zu Haberstocks Rolle als Mäzen, vgl. Keßler 2008. 196 sm., Frau Maria Dietrich-Almas 70 Jahre alt, in: Export-Club, Nr. 3, 1962 aus: StadtAM, Personen, 84/27, Dietrich-Almas Maria. 197 Ronge 2010, S. 35. 198 r.m.-m., Sie war die Grande Dame des Kunsthandels, in: Münchner Merkur, Nr. 264, 16.11.1971 aus: StadtAM, Personen, 84/27, Dietrich-Almas Maria. 199 Standesamt Dachau 1971/357, Dietrich Maria. 200 r.m.-m., Sie war die Grande Dame des Kunsthandels, in: Münchner Merkur, Nr. 264, 16.11.1971 aus: StadtAM, Personen, 84/27, Dietrich-Almas Maria. 201 http://cr8tiveshft.com/looted-art/.

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    6. Fazit

    Wenn man aus heutiger Sicht den Blick auf Almas-Dietrichs Biographie richtet,

    insbesondere auf ihre Karriere im Dritten Reich, ist man versucht, harte Urteile zu

    fällen. Stellt man sich allerdings vor, all das am eigenen Leib zu erfahren, was einem

    Menschen, der 1892 zur Welt kam, in den folgenden Jahrzehnten bevorstand, fällt das

    Urteilen nicht mehr so leicht. Die bereits von Brecht den Nachgeborenen empfohlene

    Nachsicht wird sich in diesem Fazit dergestalt bemerkbar machen, dass eine eindeutige

    Festlegung bei der Interpretation von Motivationen und Persönlichkeitszügen nicht

    erzwungen wird.

    Das in ihrem Nachruf hervorgehobene Attribut „elastisch“, laut Duden beim

    Menschen gleichbedeutend mit flexibel bzw. anpassungsfähig, kennzeichnete sicher

    nicht nur sie, sondern fast alle Überlebenden dieses Zeitabschnitts voller existentieller

    Abgründe. Versteht man darunter lediglich die überlebensnotwendige Fähigkeit aller

    Lebewesen, sich wechselnden Umweltbedingungen anzupassen, ist der Begriff auf das

    Individuum bezogen wenig aussagekräftig. Erst die Analyse der einzelnen

    Eigenschaften, die in ihrer Summe zur Anpassung befähigen, ergibt ein individuelles

    Bild. Hinzu kommt eine sehr unterschiedliche Bereitschaft zur Flexibilität, die von

    jenen, die sich gar nicht oder nur widerwillig adaptieren, bis hin zu jenen reicht, die

    sich aus Nützlichkeitserwägungen schnell und bedenkenlos der jeweiligen Lage

    anpassen. Letztere werden laut Duden als Opportunisten bezeichnet. Doch selbst diese

    stärkste Ausprägung der Anpassungsfähigkeit schützt nicht davor, vom Blitz

    erschlagen oder von einer Bombe zerfetzt zu werden. Glück muss man auch haben. In

    diesem Sinn werden im Folgenden die Charaktermerkmale und glücklichen Umstände

    skizziert, die Almas-Dietrich ihre erfolgreiche Anpassung in sehr verschiedenen

    politischen Systemen ermöglichten.

    Von Menschen, die sie persönlich kannten, sind nur spärliche Äußerungen zu ihren

    Eigenschaften überliefert. Noch am prägnantesten sind die Einschätzungen der

    amerikanischen Befrager. Sie beschreiben sie als „eine ziemlich ermüdende,

    neurotische Person, deren Stimmung beständig zwischen Depression und

    Überschwänglichkeit schwankt“. Ohne nachdrückliche Führung neige sie zu

    Abschweifungen, beginne bereits bei der geringsten Provokation, zu weinen und sich

    voller Selbstmitleid in endlosen Variationen darüber zu beklagen, wie grausam das

    Schicksal sie behandelt habe. Auf ein wenig Zuspruch hin ändere sich ihre Stimmung

    augenblicklich und sie prahle dann mit ihren geschäftlichen Erfolgen. Die

    hervorstechendste Triebkraft ihres Charakters sei Ehrgeiz, dem eine außerordentliche

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    Arbeitsfähigkeit zur Seite stehe. Fast alle zu ihrer Person Befragten hätten ihre

    unerschöpfliche Energie betont. Als Geschäftsfrau habe sie den Ruf der Zuver-

    lässigkeit genossen. Ihre größte Stärke sei das Verkaufen. Sie habe nur geringe Finanz-

    und noch geringere Kunstkenntnisse.202 Sie sei eine schlichte Geschäftsfrau, im

    Umgang gesellig und nötigenfalls vulgär.203

    Durch affektlabiles Verhalten, endlose, selbstmitleidige Schicksalsanklagen unter

    Tränenausbrüchen und Weitschweifigkeit ermüdete Almas-Dietrich ihre Vernehmer

    anscheinend so sehr, dass sie bei wirklich kritischen Punkten nicht intensiv

    nachforschten. So akzeptierte man ihre Angabe, die Beziehung zu Hitler sei rein

    geschäftlich gewesen, nur zu Hoffmann sowie zu Eva Braun und deren Schwester habe

    ein freundschaftliches Verhältnis bestanden. Dass sie sich zumindest bei einer

    Gelegenheit auf die ständige Unterstützung Hitlers berufen hatte und ihr von der

    Gauleitung München eine enge Freundschaft mit Görings Ehefrau und der Familie des

    Gauleiters Wagner attestiert worden war, blieb unentdeckt. Almas-Dietrichs

    enervierendes Auftreten könnte also als bewusst eingesetztes Ablenkungsmanöver

    interpretiert werden und ließe auf strategisches Denken und ausgeprägte manipulative

    Fähigkeiten schließen. In diesem Fall hätte sie sich aber sicher nicht dazu verleiten

    lassen, mit ihren geschäftlichen Erfolgen zu prahlen, was im Endeffekt zur

    Verweigerung einer Lizenz führte. Dieser unwillkürliche Fehler deutet darauf hin, dass

    sie eher intuitiv in bedrängter Situation die Rolle der schwachen, zur Hysterie

    neigenden Frau einnahm, was erfahrungsgemäß den sich überlegen fühlenden Mann

    milde stimmt.

    Der im Report erwähnte Ehrgeiz gepaart mit Arbeitsfähigkeit und Energie mani-

    festiert sich durchgängig in Almas-Dietrichs Lebenslauf. Versteht man unter Ehrgeiz

    den unbedingten Willen zum sozialen Aufstieg, lässt sich bereits die Beziehung der

    17-Jährigen zum wohlhabenden Amerikaner Reinheimer in diesem Sinn inter-

    pretieren. Da sie nicht aus einem verwahrlosten Milieu stammte, waren ihr die rigiden

    Moralvorstellungen der Kaiserzeit mit Sicherheit vertraut. Wenn sie sich trotz des

    Risikos der sozialen Ächtung darüber hinwegsetzte, erscheint sexuelle Umtriebigkeit,

    für die sich in ihrem späteren Leben kein Anhalt findet, als zu schwaches Motiv.

    Ausschlaggebend könnte eher die Hoffnung gewesen sein, von der Gehilfin in der

    Metzgerei zur Frau eines reichen Mannes aufzusteigen. Sicherlich war ihr auch

    bewusst, dass sie die Führung der väterlichen Metzgerei, die unermüdlichen

    202 RRR, Dietrich, Maria Almas: Interrogation, 1945/46, Page 49. 203 RRR, Dietrich, Maria Almas: Interrogation, 1945/46, Page 52.

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    Arbeitseinsatz erforderte, allein der Ausnahmesituation des Krieges zu verdanken

    hatte. Mit Ali Almas lernte sie gegen Kriegsende prompt einen Mann kennen, der ihr

    den beruflichen Umstieg ermöglichte. Der Status der Gehilfin im Geschäft des

    Ehemanns befriedigte sie aber nicht, sodass sie sich bereits nach wenigen Jahren von

    ihm trennte und als „Neue Frau“ ihre eigene Kunsthandlung eröffnete. Hoffmann, der

    ihren größten Karrieresprung einleitete, lernte sie womöglich auch nicht ganz zufällig

    kennen; zumindest könnte sie die Kontakte ihrer Tochter zu Eva Braun genutzt haben,

    um ihn auf sich aufmerksam zu machen. Als der Zugang zu Hitler erst einmal gebahnt

    war, gab sie sich alle Mühe, diese Position durch enormen Arbeitseinsatz immer weiter

    auszubauen. So wird berichtet, dass sie nach einer Gemäldepräsentation in der

    Reichskanzlei per Flugzeug nach München eilte, um Hitler nach dessen Ankunft mit

    seinem Privatzug sofort wieder weitere Bilder im Führerbau präsentieren zu können.204

    Als während Posses Amtszeit Haberstock zeitweilig der Haupthändler Hitlers war,

    habe sie bei ihren Verkäufen sogar „weniger an einen Verdienst gedacht (…) als an

    die Befriedigung ihres krankhaften Ehrgeizes durch die Rückeroberung ihrer alten

    Position“.205 Selbst die ihr in der NS-Zeit vorenthaltene öffentliche Anerkennung als

    „Grande Dame des Kunsthandels“ erkämpfte sie sich in der Nachkriegszeit, ob durch

    ihre „frauliche Vitalität“206, geschicktes Mäzenatentum oder Ausnutzung der alten

    Netzwerke sei dahingestellt.

    Finanziell wurde ihre Tätigkeit für Hitler und andere NS-Größen allerdings fürstlich

    belohnt. Ihre privilegierte Stellung, die ihr nicht nur den Verkauf enorm vieler Bilder,

    sondern auch außerordentlich hohe Provisionen ermöglichte, bescherte ihr z.B. 1941

    ein Jahreseinkommen von 570.000 RM. Zu dieser Zeit verdiente ein Arbeiter

    durchschnittlich 1.500 RM, ein General der Wehrmacht 20.000 RM pro Jahr207 und

    selbst dem Reichskanzler standen insgesamt nur 48.000 RM pro Jahr zu. Hitler musste

    trotzdem nicht auf Almas-Dietrich neidisch sein, da er für die Bildrechte seines

    Konterfeis auf Briefmarken und durch die Tantiemen für „Mein Kampf“ hohe

    zweistellige Millionenbeträge kassierte und sich zudem das Steuerzahlen ersparte.208

    Nun kann man einem Händler sein Profitstreben schlecht vorwerfen; verblüffend ist

    allerdings die Unverfrorenheit, mit der Almas-Dietrich trotz ihrer sehr angreifbaren

    204 Nicholas 1995, S.47. 205 RRR, Statements of Art Dealers: Interrogation, 1945-50, Page 167-168. 206 sm., Frau Maria Dietrich-Almas 70 Jahre alt, in: Export-Club, Nr. 3, 1962 aus: StadtAM, Personen, 84/27, Dietrich-Almas Maria.207 http://www.lexikon-der-wehrmacht.de/Soldat/Besoldung.html.208 http://www.welt.de/kultur/history/article13703272/Hitler-zahlte-keine-Steuern-und-war-Multimillionaer.html.

  • 28

    familiären Situation agierte. Überhöhte Provisionen und häufige Ankäufe von

    Fälschungen beendeten jedenfalls nicht ihre Geschäftsbeziehung zu Hitler. Mit ihr

    hatte er eine Händlerin, die zwar wenig Fachkenntnisse, aber ein gutes Gespür für

    seinen Geschmack besaß.209 Wenn er von ihr vorgelegte Bilder als Fälschungen

    monierte, konnte er sich als der Kunstkenner profilieren, als den er sich selbst sah.210

    Auch wenn er sich manchmal über sie ärgerte, unterstellte er ihr sicherlich keine

    Betrugsabsichten, denn das hätte im NS-Regime, in dem bei kleinsten Vergehen die

    Todesstrafe drohte211, gravierende Folgen gehabt. Womöglich festigte auch die

    gemeinsame kleinbürgerliche Herkunft das Geschäftsverhältnis. Almas-Dietrichs

    ungeschliffene Manieren waren ihm, der selbst erst in den 20er Jahren von einigen

    Gesellschaftsdamen „salonfähig“ gemacht werden musste212, sicher nicht fremd. Ihr

    weit verzweigtes Zulieferernetz garantierte zudem nicht versiegenden Nachschub für

    sein Lieblingsprojekt. Dass die dafür von ihr geforderten überdurchschnittlichen

    Provisionen akzeptiert wurden, ist ungewöhnlich. Offenbar wurde ihre kompro-

    mittierende Familiensituation von den Nationalsozialisten, die in dieser Hinsicht sonst

    nicht zurückhaltend waren, nicht benutzt, um ihre Preise zu drücken. Möglicherweise

    waren ihnen die Preise egal; Götz Aly weist nach, dass durch finanztechnische Tricks

    im Devisenhandel der Kunstkauf im besetzten Ausland letztlich aus der Staatskasse

    der jeweiligen Länder finanziert wurde.213 Eine andere Erklärung könnte sein, dass

    Almas-Dietrichs Verbindungen zur NS-Elite tiefer reichten als von ihr dargestellt.

    Dafür spricht, dass sie Eva Braun mit Unterwäsche aus Paris versorgte214 und

    zumindest in einem Fall über Insiderwissen verfügte: Voss gab später zu Protokoll,

    bereits vor seiner Ernennung zum Sonderbeauftragten habe Almas-Dietrich bei einem

    Essen „geheimnisvoll darauf angespielt, dass ich bald eine viel bessere Stellung als

    meine gegenwärtige haben werde“. 215

    Die Beziehung zu NS-Größen herzustellen und durch Gefälligkeiten zu pflegen,

    gelang ihr gut. Neben Kontaktfreudigkeit und Umgänglichkeit bewies sie dabei ein

    gutes Gespür für Menschen, die ihr nützlich sein konnten. Abgesehen von der

    Hauptperson Hoffmann gilt dies bereits für Ali Almas. Weltanschauliche Über-

    zeugungen oder religiöse Bindungen scheinen sie dabei nie behindert zu haben, waren

    209 CIR No. 4, Linz. Hitler’s Museum and Library, 15. Dezember 1945, Page 55. 210 Ronge 2010, S. 20. 211 Ebd., S. 19. 212 Schad 2009, S. 43. 213 http://www.zeit.de/2013/48/nazi-kunstkauf-devisenhandel. 214 RRR, Dietrich, Maria Almas: Interrogation, 1945/46, Page 54. 215 CIR No. 4, Linz. Hitler’s Museum and Library, 15. Dezember 1945, Page 61.

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    also nicht in ihr gefestigt. Ihre Religionswechsel je nach Situation und die offenbar

    überzeugende Darstellung, von Anfang an „auf nationalsozialistischem Boden“

    gestanden zu haben, belegen, dass sie zu opportunistischem Verhalten fähig war.

    Wenigstens für die NS-Zeit sollte man aber nicht zu hart urteilen. Auch wenn sie die

    Bedrohung ihrer Person nach dem Krieg sicherlich überbetonte, war zumindest ihre

    Tochter andauernd in einer sehr unsicheren Lage. Als „jüdischer Mischling 1. Grades“

    genoss sie zwar eine gegenüber „Volljuden“ bevorzugte Behandlung, jedoch drängten

    radikale Antisemiten innerhalb der NSDAP zunehmend darauf, dies zu ändern, was

    aber nicht geschah.216 Insgesamt bewährte sich Almas-Dietrichs konsequentes

    Bemühen um Nähe zu NS-Größen als Schutz vor dem Regime sehr gut.

    In jedem Lebensabschnitt musste sie jedoch auch Glück haben. Die ihr durch den 1.

    Weltkrieg zugefallene Position als Leiterin einer Metzgerei kompensierte ihren

    jugendlichen Fehltritt. Die Beziehung zu Ali Almas eröffnete ihr eine neue berufliche

    Perspektive. Die geglückte enge Verbindung zu Hoffmann ermöglichte ihren Erfolg

    im Dritten Reich. Ihr daraus resultierender Makel wiederum wurde für die Amerikaner

    durch den Makel, den das NS-Regime bei ihr gesehen hatte, abgemildert und spielte

    im die Vergangenheit verdrängenden Nachkriegsdeutschland keine Rolle.

    Auf ihrem Zenit als „Grande Dame des Kunsthandels“ genoss sie nicht nur materiellen

    Erfolg, sondern auch gesellschaftliche Wertschätzung. Maria Almas-Dietrich konnte

    ihren Ehrgeiz also befriedigen. Dazu verhalfen ihr unermüdliche Arbeitsbereitschaft,

    Wagemut bis zur Unverfrorenheit, ein gutes Gespür für vorteilhafte persönliche

    Beziehungen, Kontaktfreudigkeit und die Bereitschaft zu opportunistischem

    Verhalten. Die hinzukommenden glücklichen Umstände sorgten dafür, dass diese

    Eigenschaften auch erfolgreich zur Wirkung gelangen konnten. Alles in allem könnte

    ihr Leitmotiv lauten: „Nicht nur überleben, sondern Wohlleben“.

    216 Löw 2012, S. 502.

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