108
Winter 2011 / 2012 Heimatdesign Weitermachen Sisterkingkong Spoonfork halloessen Frida Gold 2-3 Straßen Mode Neon Elektrisch Frank Leder Trinkhallen Schickeria Anna Sommerer

HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Junges Design aus dem Ruhrgebiet

Citation preview

Page 1: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Winter 2011 / 2012

Heimatdesign

WeitermachenSisterkingkong

SpoonforkhalloessenFrida Gold

2-3 Straßen

ModeNeon Elektrisch

Frank LederTrinkhallen Schickeria

Anna Sommerer

Page 2: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9
Page 3: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

1

Bleibt uns was anderes übrig? Wir machen weiter. Alles macht weiter. Haben Blumfeld mal gesungen. Gutes Heft-Motto, dachten wir. Passt auf diejenigen, die wir in dieser Ausgabe vorstellen. Menschen, die weiter-machen; die etwas bewegen. Mit Herzblut und, ja, Leidenschaft. Trotz-alledem und mit Ausrufezeichen. Das Essener Designkollektiv „halloessen“ – Jennifer Heimann, Holm Giessler und Kai Eckoldt, die Erfinder der textilen Schublade, bei denen die kreative Unbeschwertheit auch nach Feierabend nicht aufhört. Herr Giesebrecht von der Niederadener Baumschule in Lünen, der mit traditionellen Apfelsorten eine Alternative zum überzüchteten Super-marktapfel bietet. Der Verein „Borsig11“, der in Dortmund das Kultur-hauptstadtprojekt „2-3 Straßen“ weiterführt. Nach dessen Ende bleiben nicht nur 3000 Seiten Text, sondern auch Menschen, die sich organisiert haben und aktive wie kreative „Machbarschaftshilfe“ betreiben. „Frida Gold“, die Glamourpopper aus Hattingen, die noch vor zwei Jahren bei einer Schaufenster-Tour bei Heimatdesign im Shop gespielt haben und jetzt die großen Hallen füllen. „Wovon sollen wir träumen?“ Genau davon. Frank Herzberg vom Modelabel „Neon Elektrisch“, der in seinem sympathisch-vintageverrümpelten Laden im Essener Südvier-tel nicht nur das Szenevolk anzieht, sondern auch Künstler wie Helge Schneider, Beth Ditto und Pete Doherty. „Sisterkingkong“, die Band aus der Dortmunder Nordstadt. Camus wäre ein Fan, wenn er das Musikvi-deo gesehen hätte, in dem die Band sisyphosartig eine Halde erklimmt; allen Schwierigkeiten zum Trotz. Das Online-Magazin „Spoonfork“ aus Duisburg, das einen Neustart wagt. Das Essener Label „BineMusic“, das elektronische Musik in äußerst ansprechende Cover-Kunst verpackt. Auch wir, Heimatdesign, machen weiter. Mit dieser Ausgabe des Magazins, mit teils neuen Autoren und einem neuen Grafik- und Designteam. Eine Person fehlt. Leider. Stephanie-Julia Wagner hat Hei-matdesign in Richtung Düsseldorf und Köln verlassen – für einen neuen Lebensabschnitt. Wir winken und wünschen alles Gute! Was es sonst Neues bei Heimatdesign gibt, und welche Pro-jekte in Zukunft geplant sind, kann man diesmal auf einer eigenen Seite nachlesen – dem „Stand der Dinge“. Also dann: Weiter im Text! Und viel Spaß bei der Lektüre!

Volker K. Belghaus, Chefredakteur

Weitermachen!

Editorial

Page 4: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

2

BOCHUM | BERLIN | NEw YORk www.JAN-KATH.com

From russia with Love

Unbenannt-2 3 17.11.11 16:21

BOCHUM | BERLIN | NEw YORk www.JAN-KATH.com

From russia with Love

Unbenannt-2 2 17.11.11 16:21

Page 5: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

3

BOCHUM | BERLIN | NEw YORk www.JAN-KATH.com

From russia with Love

Unbenannt-2 3 17.11.11 16:21

BOCHUM | BERLIN | NEw YORk www.JAN-KATH.com

From russia with Love

Unbenannt-2 2 17.11.11 16:21

Page 6: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Heimatkunde

10 Neues aus der Heimat

14 Da schau her

Heimatobjekt

16 Garten Eden Super Markt Apfel ist nicht gleich Apfel

20 Denn sie wissen was sie tun Interiourdesign von halloessen

24 Im Wunderland Porzellanobjekte von Jorine Oosterhoff

26 Hacken, Hauen und Düllen Buddeln mit Tradition

Heimatbild

32 Die abstrakte Disziplin BineMusic – Cover-Kunst für elektronische Musik

34 Jobs aus der Heimat MedienKunstVerein (HMKV)

36 Leinen los und frischer Wind Das Onlinemagazin Spoonfork wagt den Neustart

39 Designer illustrieren Heimat Moxie Network, Roman Klonek, Bene Bavarese, Lisa Schweizer

Heimatkultur

44 Weitermachen oder Liegenlassen Gute Frage. Ein Essay

1 Editorial 4 Inhalt 6 Workcloud 102 Impressum

Prax

is fü

r Kar

diol

ogie

+ S

portm

ediz

in I

Dr.

med

. Lod

de +

Dr.

med

. Bru

nke

I Pra

xisk

linik

, Leo

pold

straß

e 10

, Dor

tmun

d I F

on 0

231.

5678

43-0

I k@

rdio

loge

n.de

I w

ww

.kar

diol

ogie

-dor

tmun

d.de

4DHIGHEND

ECHO NEUE

DIMENSION

DER

HERZDIAGNOSTIK

VOLUMEN

LEISTUNG

MUSKELMASSE

Annonce_Lodde 11_11 .indd 1 14.11.2011 20:16:52 Uhr

Design Gipfel Bochum

Braucht das Ruhrgebiet noch einen Designmarkt? Aber klar – vor allem, wenn er so mit soviel Herzblut organisiert wird wie der „Design Gipfel“ und zudem in einer ungewöhnlichen wie interessanten Location stattfindet. Im Herbst 2011 war der „Design Gipfel“ zum ersten Mal in der Bochumer „Rotunde“, dem alten Katholikentagsbahnhof zwischen Bermuda-dreieck und Schauspielhaus, zu finden. Unter einem glitzernden Mirrorball erwartete den Besucher auf 650 qm in familiärer Atmosphäre ein Mix aus Mode, Accessoires, T-Shirts, Schmuck, Produktdesign, Grafik und Illustration. Gegründet und konzipiert wurde der „Design Gipfel“ von den Designerinnen Katherina Lindenblatt und Anna Anastasova aus Münster. Der Erkenntnis, dass es in ihrer unmittelbaren Nähe keine entsprechenden Märkte oder ähnliche Plattformen für junge Designer gab, folgte die eigene Konzeption des „Design Gipfels“, der im November 2010 dann erstmals und höchst erfolgreich in Münster über die Bühne ging. 2011 fanden weitere „Design Gipfel“ in Osnabrück und Bochum statt. Letzterer kam bei Kunden und Händlern dermaßen gut an, dass für 2012 weitere Termine geplant sind – an zwei Wochenenden, jeweils im Frühjahr und im November.

> design-gipfel.de

Warum Dortmund

Die Frage stellten sich die Designer von „gestaltend - Kommunikationsdesign“. Ursprünglich „nur“ als Kalender mit Perspektiven und Momentaufnahmen der Designer gedacht, ist daraus längst ein Projekt mit vielen Möglichkeiten und Motiven geworden. Ab November 2011 gibt es in einem Online-shop neben dem Kalender auch Shirts, Poster und Leinwände zu dem Thema.

> warum-dortmund.de> gestaltend.de

Clownfisch: Utopia

Clownfisch ist ein Magazin. Clownfisch ist ein Kul-turnetzwerk. Clownfisch ist Wuppertal. Clownfisch sind Beate Barbara Blaschczok und Christian Hampe. Clownfisch sind viele andere. „Clownfisch ist eine leere Lagerhalle; und alles, was dann entsteht, ist ebenfalls Clownfisch.“ sagt Blaschczok in einem Vi-deo, dass auf ihrer Webseite zu sehen ist. Am Anfang war die Idee eines Magazins – einmal jährlich wird ein Thema in die Öffentlichkeit gestellt und auf das Feedback kreativer Menschen gewartet, die sich als Autoren bewerben können. Diese Autoren aller Gen-res sollen sich im Magazin in ihrer „Sprache“ äußern – ob durch Bilder, Texte, Töne oder Bewegung. Das fertige Clownfisch-Statementmagazin liegt dann als „gedruckte Ausstellung“ in Cafés, Galerien, Museen, Clubs und Plattenläden aus. Aber Clownfish ist mehr – drumherum gibt es Veranstal-tungen wie Ausstellungen, Konzerte und Performan-ces zum Thema. Bisher waren das „#1 America“, und die großen Begrifflichkeiten „#2 Zerstörung“ und „#3 Schöpfung“; was soll danach anderes kommen als „#4 Utopia“? Ein Themenkomplex, für den das Medium Magazin scheinbar zu klein geworden ist. Die Macher sind konsequent und bauen mit „Utopiastadt“ eine neue Welt, ein Experimentierlabor, außerhalb der gedruckten Form. Ein konkreter Ort, an dem „kon-krete Utopien“ (Ernst Bloch) entstehen, erarbeitet, verfasst und erprobt werden können. Ein interdiszi-plinäres Kollektiv aus Organisationen und Projekten, Künstlern, Soziologen, Kulturschaffenden, Musikern soll „Utopiastadt“ mit Leben füllen. Mittelpunkt der „Utopiastadt“ ist der ehe-malige Mirker Bahnhof in Wuppertal; langfristig soll hier ein Kultur- und Kreativquartier entstehen, das neben einer Freelancer-Agentur mit Coworking-Areas auch Büroräume und Ateliers anbieten wird. Zudem sind Vorträge, Workshops und freie Bildungsangebote geplant. Für Blaschczok und Hampe ist „Utopiastadt“ ein langfristiges Projekt, das wachsen muss. Deshalb sind sie immer auf der Suche nach Investoren und Partnern, die das Projekt unterstützen und fördern. Keine Atempause, Kultur wird gemacht – denn leere Lagerhallen gibt es, nicht nur in Wuppertal, genug.

> clownfisch.eu

12 13Heimatkunde

ff. Das fortlaufend folgende Magazin

Ein Magazin ist ein Kunstprojekt ist ein Magazin. Das gilt für das „ff. Magazin“ seit der ersten Ausgabe im Jahr 2006 mit dem Thema „Pathos“. Das Magazin ist Ergebnis einer Semesterarbeit im Fachbereich Kommunikationsdesign an der Bergischen Universität Wuppertal. Thema war eigentlich, eine Kampagne für die Uni Wuppertal zu entwickeln; für die damaligen Studenten Julia Meer und Sebastian Glück war aber schnell klar, dass man erstmal „Liebe für die Stadt wecken“ sollte. Eine glatte Werbebroschüre kam da natürlich nicht in Frage. Die beiden Designer, die mitt-lerweile das Grafikbüro „meer | glück“ in Wuppertal betreiben, sprengten Grenzen und konzipierten ein Magazin im Zeitungsformat auf farbigem Papier. Jede Ausgabe ist monothematisch (2006: „Pathos“, 2008: „Geschmack“), gerne mal angenehm textlastig und wird ergänzt durch Fotos und Illustrati-onen, wie z.B. von Wolf Erlbruch. Auf Farbe wird, bis auf das Papier, verzichtet. Die Texte beleuchten das Thema aus den verschiedensten Perspektiven und stammen von Autoren unterschiedlichster Diszipline – Designer, Kunstwissenschaftler, Journalisten, Künstler. Die Ästhetik steht immer im Vordergrund, auch bei der Form des Magazins selbst. Die Papier-größe macht das „ff. Magazin“ ganz bewusst zu einem „sperrigen und geräuschvollen, gleichzeitig aber zarten Objekt“. Das dritte „ff. Magazin“ soll im Frühjahr 2012 erscheinen – 32 blaue Seiten im Tageszeitungsformat und in einer Auflage von 5000 Exemplaren. Thema wird dann „Erinnerung“ sein, und wie bereits bei der Ausgabe „Geschmack“ (2008), möchten Julia Meer und Sebastian Glück das Magazin in einer Ausstel-lung präsentieren, um dem Projekt die notwendige Öffentlichkeit zu verschaffen. Geplant sind begleiten-de Performances, Führungen und Lesungen.

> fortlaufendfolgende.de

KaschKasch

So kann man seine Möbel auch nennen: „Anna-Lena“, „Flachmann“ oder „Pinokkio“. Das passt zur Experi-mentierfreudigkeit von Florian Kallus und Sebastian Schneider. Die beiden Designer sind gelernte Tischler, haben sich beim gemeinsamen Studium an der „Akademie für Gestaltung“ in Münster kennengelernt und 2011 in Köln das Möbel-Label „kaschkasch“ gegründet. Ihre Möbel und Lichtobjekte zeugen von Mut zur Farbe, raffinierten Details und der Liebe zur Hand-werkskunst. Die Beine der Bank-Tisch-Kombination „Pinokkio“ verjüngen sich nach unten, erinnern an die Möbelmode der 50er Jahre und zitieren gleichzeitig rustikale Bauernmöbel. Ansonsten – gepflegter Mini-malismus. Die Deckenlampe „Flachmann“ verzichtet auf alles Überflüssige und besteht aus einem Kabel, einer Glühbirne und einer runden, beschichteten Metallscheibe, die als Reflektionsfläche dient. „Anna-Lena“, die Garderobe aus drei beschichteten, raffiniert miteinander verbunden Metall-Stäben, kann ohne große Montage einfach an die Wand gelehnt oder in die Ecke gestellt werden. „Tamp & Lable“ ist ein Schreibtisch mit integrierter Arbeitslampe, die scheinbar starr mit der Unterkonstruktion aus Holz verbunden, sich aber schwenken lässt und mit einem rot umhüllten Textil-kabel ausgestattet ist. Ihrem Beistelltisch „Pina side table“ haben Kallus und Schneider, genau wie derLampe „Pina table lamp“, identische Standfüße ver-passt, an deren Entwicklung und Konstruktion sie zwar länger getüftelt haben, an der aber die Möglich-keiten des Handwerks deutlich werden. „kaschkasch cologne“ versteht sich als Designbüro, das neben der Möbelkollektion auch Dienstleistungen wie den Entwurf und die Einrichtung von Geschäften und Clubs anbietet. Im Frühjahr 2012 ist „kaschkasch“ auf der Mailänder Möbelmesse und wahrscheinlich im Umfeld der Kölner „Passagen“ und der „Designers Fair“ zu sehen. Eine Frage bleibt aber noch: Warum heißt die Garderobe eigentlich „Anna-Lena“? Ganz einfach: „Weil sie anna Wand lehnt.“

> kaschkasch.de

Brot & Tradition – Alles außer Altbacken

Brotbackautomaten sind nicht gerade sexy – und das gebackene Endprodukt meist auch nicht. Wenn schon selbermachen, dann richtig. Schließlich zählen 300 verschiedene Sorten zur deutschen Brot- und Esskul-tur. Die Diplomarbeit „Brot & Tradition – Alles außer Altbacken“ von Nina Thöming entstand am Lehrstuhl für Innovation und Gestaltung der Essener Folkwang Universität der Künste und verbindet Tradition und Moderne mit Liebe zum Material. Traditionelle, kera-mische Brotbackformen und Brottöpfe wurden von ihr regelrecht entstaubt und zeitgemäß interpretiert. Neben den schön-schlichten Keramikfor-men mit Holzdeckel gehört auch ein Brotstempel zum Set; ein Holzstab, mit dem man sein selbstgebacke-nes Brot gestalten und beschriften kann. Eine schick illustrierte Broschüre ergänzt das Ganze mit Tipps, Anekdoten, Geschichten und regionaltypischen Re-zepten – so liest man über den Kölner „Halve Hahn“ oder über das „Heimwehbrot – mit Tränen gesalzen“. Thömings Diplomarbeit wurde 2011 von Prof. Anke Bernotat (Folkwang Universität der Künste, Essen) und Dipl. Des. Sönke Hoof (Formfjord Berlin) betreut und beim anerkannten „Lucky Strike Junior Design Award“ mit einer der 27 Anerkennungen für eine Dip-lom-Abschlussarbeit ausgezeichnet. Wir gratulieren!

> gestaltungundinnovation.de> raymondloewyfoundation.com

C-H-Y-V

Das junge Berliner Label C-H-Y-V verbindet in seiner ersten Kollektion urbanes Material mit Motiven aus der Natur. Die in Eigenherstellung gefertigten Modelle mit handgedruckten Prints, die aus Motiven wie z.B. Ornamenten von natürlichen Holzmaserungen oder rauen Sprayspuren aus dem urbanen Raum bestehen, liefern den heutigen Stadtmenschen ein sportiv-schickes Accessoire. Die Macher dahinter sind alte Bekannte aus dem Ruhrgebiet. Ivonne Wadewitz, Herrenschneiderin und jetzt Studentin an der Kunst-hochschule Weißensee in Berlin und Christopher Sens, der an der Uni Duisburg-Essen studierte.

> c-h-y-v.com

10 11Heimatkunde

Text Amelie HauptstockBild Spoonfork

Wenn man gewöhnliche Dinge miteinander kombiniert, dann können sie zu etwas Ungewöhnlichem und

Besonderem werden. Eine Gabel und ein Löffel ergeben nicht nur ein ungewohntes Essbesteck, sondern imFalle von Spoonfork eine Neubelebung des Formats

„Onlinemagazin“.

Wissenschaftliche Artikel werden sehr gerne mit einem Zitat begonnen. Es scheint, als ob man die Relevanz des Eigenen durch bereits bestehende, verifi zierte Worte erzeugen möchte. Doch was macht man eigentlich, wenn es nichts Anderes gibt, auf das man sich beziehen kann? Wenn man das, was zitiert wird, selber herstellt? Angefangen haben Katja Neumann und Bashar Farhat ebenfalls mit etwas Ungewöhnlichem. Dabei

erschien die Idee doch eigentlich sehr naheliegend. Ein Online-Magazin, in dem junges Design im Mittelpunkt steht, textlich und graphisch aufbereitet, kombiniert mit Absurditäten des Alltags (wie dem „Glutamator“) und musikalischen und literarischen Schätzen. Das war damals etwas Neues.

Die Idee wurde in die Tat umgesetzt: Spoonfork ging im August 2005 online. Das Lesegefühl eines Printma-gazins wurde durch den Aufbau und die Darstellung als Buch imitiert. Auf einem Tisch liegend ließen sich unterschiedliche Rubriken mit jeweils eigener Gestal-tung und mit weiterführenden Verlinkungen durch-blättern. Für die variationsreichen Themen steuerten befreundete Kreative Ausgabe um Ausgabe weitere Beiträge bei; wie bei einem echten Sammelband. Eigentlich wollten Spoonfork nur die Lücke füllen, die sie selbst entdeckt hatten. Und waren deshalb umso überraschter, als sich nach kurzer Zeit eine Stammleserschaft von etwa achttausend LeserIn-nen gebildet hatte und sich fast unmittelbar nach Erscheinen der ersten Ausgaben auch noch Preise (Lead Award Bronze 2007, Junge Kreative Ruhr 2009) und Nominierungen (Grimme-Online-Award 2006 und 2007, Designpreis der Bundesrepublik Deutschland 2008) dazu gesellten. Mit dem Erfolg, so könnte man meinen, kam weiterer Erfolg; internationale Interes-senten, der Umzug in Hochglanz-Umfelder. Nein, es blieb Duisburg, es blieb bodenständig und vor allem: unkommerziell. Warum auch nicht? „Eigentlich war der Erfolg ein Schock. Wir hatten damit nicht gerech-net!“ Und warum sollte man dann umziehen in bereits dicht besiedelte Designzentren wie Berlin, New York, Tokyo? „Wir können hier sehr gut arbeiten. Wir haben ein ruhiges Büro, alles, was wir brauchen, ist da.“ sagen die freie Journalistin und der Webdesigner. Eine bewusste Entscheidung für den Standort. Und tatsächlich: der Blick in den kleinen Garten, das gemütliche Sofa im Büro der 2008 zum Magazin gegründeten Agentur Spoonfork – es fällt leicht, sich vorzustellen, dass von hier aus etwas Gutes in die

Internetwelt geschickt wird. Es passt. Duisburg ist in diesem Sinne nicht die konventionelle Standort-Wahl. Duisburg ist unkonventionell, innovativ, schräg. Das schreibt man auch nicht alle Tage. Bei Beziehungen ist es das sprichwörtlich „verfl ixte siebte Jahr“, vielleicht kam es dem Spoon-fork-Duo auch schon so lange vor: Nach fünfeinhalb Jahren entschieden sich die beiden, das Magazin vorerst ruhen zu lassen. Die Luft war erst mal raus. „Wenn man nur noch an die Deadline denkt und dar-über den Spaß verliert, dann weiß man, jetzt ist erst mal genug.“ Der eigene Anspruch war ja auch, immer etwas Neues zu machen, immer vorne zu sein, weiter nach vorne zu gehen mit den Beiträgen, den Dar-stellungen, den Flashanimationen. Doch die einstige Lücke war mittlerweile ausreichend gefüllt, Spoonfork war noch immer ein hervorragendes Magazin, aber daran hatte man sich schon gewöhnt. Vor allem sie selbst. Spoonfork hatte sich im Laufe der achtund-dreißig Ausgaben etabliert und war dadurch mit be-stimmten Erwartungen sowohl von Seiten der Leser-schaft, aber auch von Seiten der Urheber verbunden. Diese Erwartungen wollten nicht mehr erfüllt werden. Das letzte Kapitel war erreicht, mit einem Best-of ver-abschiedete sich das Magazin mit Ausgabe 39 in eine Pause. Dann wurden die virtuellen Seiten zugeklappt. Doch die grundsätzliche Idee der Beibehal-tung eines Online-Magazins, und wenn auch nur zur kreativen Aufbereitung persönlicher Interessen, ver-schwand nicht. Sie kreiste weiterhin über den Spoon-fork-Köpfen. Dazu gesellten sich formal-existentielle Fragen: Was jetzt? Neustart oder Relaunch, wie man so schön sagt? Etwas ganz Neues? Oder weiterma-chen wie bisher? Oder doch aufhören? In seinem

> spoonfork.de

Leinen losund frischerWind

36 37Heimatbild

Ursprung war die Weiterführung des vorhandenen Magazin-Formats gar nicht angedacht, sondern die Entstehung eines anderen, eigenständigen Projektes. Wie so oft war es das Naheliegende, das temporär hinter Konfusitäten versteckte Offensicht-liche: Warum einen neuen Namen suchen für etwas, das bereits existiert? Doch handelt es sich noch um das alte, bestehende, gut funktionierende Magazin Spoonfork, auch wenn es ganz anders aufgebaut, an-ders befüllt, vielleicht sogar kommerziell vermarktet wird? Ähnlich wie beim Schiff des Theseus, von dem, nacheinander, Stück für Stück, jede einzelne Planke ersetzt wird, bis das ursprüngliche Schiff vollständig erneuert wurde. Ist es noch dasselbe Schiff, nur weil es denselben Namen trägt? Oder ist es genau deshalb ein neues Werk, das nur noch den alten Namen trägt? Auch hier fällt die Entscheidung für das Naheliegende: Spoonfork steht ja gerade für thema-tische Ungewöhnlichkeiten, für den feinen Sinn für Kitsch und Absurdes, für Qualität von Dargestelltem und Darstellendem und vor allem für Überraschun-gen. Spoonfork steht für Veränderung, sei sie auch so radikal wie zum Beispiel die Auflösung des Im-Magazin-Blätterns, die Zerschlagung des virtuellen Buches, die metaphorische Befreiung vom Einband bei gleichzeitiger Beibehaltung des Namens. Spoon-fork Relaunch ist die Verknüpfung von bekannten Kategorien (Musik, Design, Mode, Fein Ausgedacht), ausgewählten Themen, Wort- und Bildwitzigkeiten mit einer Anpassung des Aufbaus an die technikverwöhn-ten Lesegewohnheiten. So folgt das Magazin nun blogähnlichen Strukturen, es erscheint keine Gesamt-ausgabe, sondern einzelne Beiträge werden nach Aktualität sortiert, erscheinen in schnellerem Rhyth-

mus und umfassen neben bewährten Rubriken wie der mp3-Playlist, der Bücherecke, illustrationswürdi-gen Neuigkeiten aus der jungen Designwelt und auf-bereiteten Besonderheiten des Internetfundus auch Kommentare tagesaktueller Geschehnisse. Es gibt nun kein statisch-graphisches Buch als Hintergrund für die einzelnen Rubriken, sondern eine Art fließen-des System. Ein Inhaltsverzeichnis ermöglicht eine Gesamtansicht der veröffentlichten Beiträge, in der Normalansicht wird der aktuellste Beitrag im Fenster angezeigt. Kein virtuelles Blättern mehr, sondern ein intuitives Schieben und Ziehen. Weg von der virtuel-len Buchführung, hin zu Webseiten, die nacheinander oder zeitgleich auf dem Bildschirm auftauchen kön-nen. Alles wird in kompakten Häppchen serviert. Die Gleichzeitigkeit der Darstellung und die Möglichkeit des Wechsels von einem Beitrag zu vielen ist das, was konzeptionell das Onlinemagazin von dem haptischen Printmagazin unterscheidet. Zudem wird die thematische Dynamik damit ikonisch abge-bildet in der formalen Aufbereitung der Seiten. Spoon-fork wird erwachsen durch Modernisierung. Schon wieder zwei Gegensätzlichkeiten miteinander vereint. Und noch eine Neuerung gibt es: Das Magazin wird kommerzialisiert. Ausgewählte Unternehmen können in Zwischenseiten werben und damit die kreative Gemeinschaftsarbeit an dem Magazin mitfinanzieren. Auf dass das neue Schiff Spoonfork auch nach wei-teren Plankenerneuerungen auf den vorderen Wogen des Internets entlangfährt.

Von Bayern ins Ruhrgebiet: Seit nunmehr fünf Jahren lebt und arbeitet der Fotograf Bene Bavarese in Dort-mund. Zur Fotografie als Kunstform kam der 28-Jäh-rige vor etwa zehn Jahren. In seinen Bildern zeigt sich unverkennbar seine Vorliebe für analoge Fotografie und Film: Staub, Kratzer, Farbfehler sind Teil der Foto-grafien und vermitteln eine raue Echtheit in Zeiten der glatt polierten und bearbeiteten Digitalfotografie. In Dortmund ist Bene Bavarese „angekommen“, wie man so schön sagt. Und dies bestätigt er mit einem sehr persönlichen Bild: Es zeigt eine Ecke seines Zim-mers als Montage aus mehreren Analogfotografien. Zu sehen sind die persönlichen Dinge, die man immer mitnimmt, egal wohin man geht. Und von denen man sich niemals trennen würde: Musik, Plakate, Bücher, Erinnerungen und – nicht zu vergessen – eine Kame-ra. Denn, so sagt Bene Bavarese: „Eine anständige Höhle sollte man sich als Erstes schaffen, wenn man angekommen ist.“

Von Chorzow in Polen nach Düsseldorf: Der Künstler Roman Klonek kam bereits im zarten Alter von drei-einhalb Jahren nach Deutschland. Dennoch ist die Erinnerung an seine ursprüngliche Heimat durchaus lebendig. Die Familie hatte in Polen keinen Fernseher, Romans Vater jedoch war begeisterter Super-8-Filmer und besaß zudem eine beachtliche Sammlung an rus-sischen und polnischen Zeichentrickfilmen. In Kombi-nation ergab dies ein ganz besonderes Familien-Unter-haltungs-Programm. Obwohl Roman Klonek seit 1973 in Deutschland lebt, reist der studierte Grafikdesigner noch immer gern in den Osten Europas, wo ihn häufig das Gefühl von „vertrauter Fremdheit“ überkommt. So-gar in seiner Kunst spiegelt sich dieser Einfluss wider. „Seit 13 Jahren mache ich jetzt Holzdrucke und habe manchmal das Gefühl, dass meine Begeisterung für diesen Charme des ‚analog–fehlerhaften‘, der mit dem Holzdruck einhergeht, eventuell sogar ein bisschen von diesen alten polnischen und russischen Super-8-Filmen herrührt.“

Von Düsseldorf in die endlosen Weiten des Netzes: 2009 gründeten vier Absolventen der FH Düsseldorf das Kreativen-Netzwerk Moxie Network. Erste Auf-merksamkeit erregte das Team mit handgemachten Papierskulpturen, die auf den Plakaten für die Tonhal-le Düsseldorf zu sehen waren. Es folgten Arbeiten für das Schumannfest, das Magazin Sneakers oder die Große Kunstausstellung NRW. Die Heimat von Moxie ist das Netz – und das durchaus im doppelten Sinn. „Als Agentur, Gestaltungsbüro oder Moxie Network haben wir das Netz von Anfang an Schablone für un-sere Arbeitsweise verstanden, in der das ‚Was‘ immer eine größere Rolle als das ‚Wo‘ spielt.“ Das „Was“ sind in diesem Fall fiktive Flaggen für virtuelle Inter-net-Ländereien, das „Wo“ ist überall und nirgendwo. „Tatsächlich stellen wir uns ganz gerne vor, dass wir eher nirgendwo zu Hause, aber dafür fast überall beheimatet sind.“

Von Dortmund nach Berlin: Die freie Illustratorin und Art Direktorin Lisa Schweizer lebt seit 2006 in der Hauptstadt und bezaubert von dort aus die Welt mit ihrer großen Bandbreite an verschiedenen Zeichen- und Grafikstilen. Von Bleistiftarbeiten über Aquarelle und Collagen bis hin zu Mischtechniken arbeitet Lisa Schweizer vor allem im Editorial Bereich für Kunden wie Brand Eins, Die Zeit und Dummy, aber auch für Diesel oder die Bayerische Staatsoper. Dabei beginnt sie mit ihrer Arbeit immer grundsätzlich auf dem Papier und überträgt ihre Zeichnungen erst später auf den Rechner. In Berlin fühlt sich Lisa Schweizer wohl. Und inzwischen auch heimisch, denn, so erklärt die 33-jährige Illustratorin: „Heimat ist für mich kein konkreter Ort, sondern entsteht unter anderem durch die Menschen und Dinge, die mich umgeben.“

42 Bene Bavarese> benebavarese.tumblr.com

41 Roman Klonek> klonek.de

40 Moxie Network> moxienetwork.de

43 Lisa Schweizer > lisaschweizer.de

Designer illustrieren Heimat

Text Katja Neumann

38 39Heimatbild

Ursprung war die Weiterführung des vorhandenen Magazin-Formats gar nicht angedacht, sondern die Entstehung eines anderen, eigenständigen Projektes. Wie so oft war es das Naheliegende, das temporär hinter Konfusitäten versteckte Offensicht-liche: Warum einen neuen Namen suchen für etwas, das bereits existiert? Doch handelt es sich noch um das alte, bestehende, gut funktionierende Magazin Spoonfork, auch wenn es ganz anders aufgebaut, an-ders befüllt, vielleicht sogar kommerziell vermarktet wird? Ähnlich wie beim Schiff des Theseus, von dem, nacheinander, Stück für Stück, jede einzelne Planke ersetzt wird, bis das ursprüngliche Schiff vollständig erneuert wurde. Ist es noch dasselbe Schiff, nur weil es denselben Namen trägt? Oder ist es genau deshalb ein neues Werk, das nur noch den alten Namen trägt? Auch hier fällt die Entscheidung für das Naheliegende: Spoonfork steht ja gerade für thema-tische Ungewöhnlichkeiten, für den feinen Sinn für Kitsch und Absurdes, für Qualität von Dargestelltem und Darstellendem und vor allem für Überraschun-gen. Spoonfork steht für Veränderung, sei sie auch so radikal wie zum Beispiel die Auflösung des Im-Magazin-Blätterns, die Zerschlagung des virtuellen Buches, die metaphorische Befreiung vom Einband bei gleichzeitiger Beibehaltung des Namens. Spoon-fork Relaunch ist die Verknüpfung von bekannten Kategorien (Musik, Design, Mode, Fein Ausgedacht), ausgewählten Themen, Wort- und Bildwitzigkeiten mit einer Anpassung des Aufbaus an die technikverwöhn-ten Lesegewohnheiten. So folgt das Magazin nun blogähnlichen Strukturen, es erscheint keine Gesamt-ausgabe, sondern einzelne Beiträge werden nach Aktualität sortiert, erscheinen in schnellerem Rhyth-

mus und umfassen neben bewährten Rubriken wie der mp3-Playlist, der Bücherecke, illustrationswürdi-gen Neuigkeiten aus der jungen Designwelt und auf-bereiteten Besonderheiten des Internetfundus auch Kommentare tagesaktueller Geschehnisse. Es gibt nun kein statisch-graphisches Buch als Hintergrund für die einzelnen Rubriken, sondern eine Art fließen-des System. Ein Inhaltsverzeichnis ermöglicht eine Gesamtansicht der veröffentlichten Beiträge, in der Normalansicht wird der aktuellste Beitrag im Fenster angezeigt. Kein virtuelles Blättern mehr, sondern ein intuitives Schieben und Ziehen. Weg von der virtuel-len Buchführung, hin zu Webseiten, die nacheinander oder zeitgleich auf dem Bildschirm auftauchen kön-nen. Alles wird in kompakten Häppchen serviert. Die Gleichzeitigkeit der Darstellung und die Möglichkeit des Wechsels von einem Beitrag zu vielen ist das, was konzeptionell das Onlinemagazin von dem haptischen Printmagazin unterscheidet. Zudem wird die thematische Dynamik damit ikonisch abge-bildet in der formalen Aufbereitung der Seiten. Spoon-fork wird erwachsen durch Modernisierung. Schon wieder zwei Gegensätzlichkeiten miteinander vereint. Und noch eine Neuerung gibt es: Das Magazin wird kommerzialisiert. Ausgewählte Unternehmen können in Zwischenseiten werben und damit die kreative Gemeinschaftsarbeit an dem Magazin mitfinanzieren. Auf dass das neue Schiff Spoonfork auch nach wei-teren Plankenerneuerungen auf den vorderen Wogen des Internets entlangfährt.

Von Bayern ins Ruhrgebiet: Seit nunmehr fünf Jahren lebt und arbeitet der Fotograf Bene Bavarese in Dort-mund. Zur Fotografie als Kunstform kam der 28-Jäh-rige vor etwa zehn Jahren. In seinen Bildern zeigt sich unverkennbar seine Vorliebe für analoge Fotografie und Film: Staub, Kratzer, Farbfehler sind Teil der Foto-grafien und vermitteln eine raue Echtheit in Zeiten der glatt polierten und bearbeiteten Digitalfotografie. In Dortmund ist Bene Bavarese „angekommen“, wie man so schön sagt. Und dies bestätigt er mit einem sehr persönlichen Bild: Es zeigt eine Ecke seines Zim-mers als Montage aus mehreren Analogfotografien. Zu sehen sind die persönlichen Dinge, die man immer mitnimmt, egal wohin man geht. Und von denen man sich niemals trennen würde: Musik, Plakate, Bücher, Erinnerungen und – nicht zu vergessen – eine Kame-ra. Denn, so sagt Bene Bavarese: „Eine anständige Höhle sollte man sich als Erstes schaffen, wenn man angekommen ist.“

Von Chorzow in Polen nach Düsseldorf: Der Künstler Roman Klonek kam bereits im zarten Alter von drei-einhalb Jahren nach Deutschland. Dennoch ist die Erinnerung an seine ursprüngliche Heimat durchaus lebendig. Die Familie hatte in Polen keinen Fernseher, Romans Vater jedoch war begeisterter Super-8-Filmer und besaß zudem eine beachtliche Sammlung an rus-sischen und polnischen Zeichentrickfilmen. In Kombi-nation ergab dies ein ganz besonderes Familien-Unter-haltungs-Programm. Obwohl Roman Klonek seit 1973 in Deutschland lebt, reist der studierte Grafikdesigner noch immer gern in den Osten Europas, wo ihn häufig das Gefühl von „vertrauter Fremdheit“ überkommt. So-gar in seiner Kunst spiegelt sich dieser Einfluss wider. „Seit 13 Jahren mache ich jetzt Holzdrucke und habe manchmal das Gefühl, dass meine Begeisterung für diesen Charme des ‚analog–fehlerhaften‘, der mit dem Holzdruck einhergeht, eventuell sogar ein bisschen von diesen alten polnischen und russischen Super-8-Filmen herrührt.“

Von Düsseldorf in die endlosen Weiten des Netzes: 2009 gründeten vier Absolventen der FH Düsseldorf das Kreativen-Netzwerk Moxie Network. Erste Auf-merksamkeit erregte das Team mit handgemachten Papierskulpturen, die auf den Plakaten für die Tonhal-le Düsseldorf zu sehen waren. Es folgten Arbeiten für das Schumannfest, das Magazin Sneakers oder die Große Kunstausstellung NRW. Die Heimat von Moxie ist das Netz – und das durchaus im doppelten Sinn. „Als Agentur, Gestaltungsbüro oder Moxie Network haben wir das Netz von Anfang an Schablone für un-sere Arbeitsweise verstanden, in der das ‚Was‘ immer eine größere Rolle als das ‚Wo‘ spielt.“ Das „Was“ sind in diesem Fall fiktive Flaggen für virtuelle Inter-net-Ländereien, das „Wo“ ist überall und nirgendwo. „Tatsächlich stellen wir uns ganz gerne vor, dass wir eher nirgendwo zu Hause, aber dafür fast überall beheimatet sind.“

Von Dortmund nach Berlin: Die freie Illustratorin und Art Direktorin Lisa Schweizer lebt seit 2006 in der Hauptstadt und bezaubert von dort aus die Welt mit ihrer großen Bandbreite an verschiedenen Zeichen- und Grafikstilen. Von Bleistiftarbeiten über Aquarelle und Collagen bis hin zu Mischtechniken arbeitet Lisa Schweizer vor allem im Editorial Bereich für Kunden wie Brand Eins, Die Zeit und Dummy, aber auch für Diesel oder die Bayerische Staatsoper. Dabei beginnt sie mit ihrer Arbeit immer grundsätzlich auf dem Papier und überträgt ihre Zeichnungen erst später auf den Rechner. In Berlin fühlt sich Lisa Schweizer wohl. Und inzwischen auch heimisch, denn, so erklärt die 33-jährige Illustratorin: „Heimat ist für mich kein konkreter Ort, sondern entsteht unter anderem durch die Menschen und Dinge, die mich umgeben.“

42 Bene Bavarese> benebavarese.tumblr.com

41 Roman Klonek> klonek.de

40 Moxie Network> moxienetwork.de

43 Lisa Schweizer > lisaschweizer.de

Designer illustrieren Heimat

Text Katja Neumann

38 39Heimatbild

Mit Zeit und Muße Objekte entwickeln können, ohne den Vorstellungen von Auftraggebern entsprechen zu müssen, ja ohne vielleicht am Anfang genau zu wis-sen, welches Material am Ende verwendet wird. Sich das Produkt beim Herstellen des Prototypen einfach mal sein Material suchen lassen. Dinge drei Wochen in der Schublade verstauen und erst danach wieder einen Blick drauf werfen. Formen zulassen und verwerfen. Im Rahmen von halloessen setzen sie mit einer höchst-möglichen Freiheit Ideen um und bewegen sich damit im Bereich des Autorendesigns. Diese Arbeitsweise setzt bei ihnen kreative Energie frei. Energie, die sie in ihre Ideen und Produkte stecken und die sich nach eigener Aussage, wiederum positiv auf ihre kunden-orientierten Arbeiten auswirkt. Bisher umfasst die halloessen-Kollektion sechs Entwürfe, die von den unterschiedlichen Arbeitsschwerpunkten der drei Köpfe dahinter geprägt sind. Jenny konnte in ihrer bisherigen freiberuflichen Laufbahn u. a. für Reisenthel, Kettler und 360 Grad ihre Affinität zu Farben und Materialien ausspielen, während das Steckenpferd von Holm, der für Flöz Industrie Design arbeitet, Technik und Konstruktion sind. Ergänzt werden diese beiden Pole von Ansätzen, die Kai aus seiner Auseinandersetzung mit der Diszi-plin Experience Design mitbringt, der er als wissen-schaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Ergonomie, Mensch-Produkt-Interaktion und Nutzererleben an der Folkwang Universität auch hauptberuflich nachgeht. Einige ihrer Produkte sind Gemeinschaftsarbeiten von

Jenny und Holm wie die bereits erwähnte Schublade poki. Den Teppich eifel, der sich aus mehreren Filz-bahnen und -ringen zusammensetzt, entwarfen Jenny und Kai. Die so entstehende abstrakte, farblich zwi-schen grau und schwarz changierende, Filz-Collage verweist auf eine Landschaft, einen Vulkan, einen Berg, ein kleines Haus oder auf etwas, was der Betrachter sonst darin sehen mag. Die Nachttischlampe coco im klassischen Design der 50er Jahre ist eine Remi-niszenz an das kleine Schwarze und drückt Jennys Vorliebe für Mode aus. Und mit beam hat Holm eine Lampe konstruiert, die vom Licht getragen zu sein scheint, wenn sie leuchtet. Auch wenn die bisherige Resonanz auf die kleine Produktpalette von halloessen durchweg po-sitiv ist und es reichlich Anfragen gibt, wollen Holm, Jenny und Kai die finanzielle Verantwortung nicht auf sich nehmen und in Eigenregie produzieren. Noch nicht. Lieber treffen sie sich, um den nächsten Ent-wurf anzugehen. Einer, der die Stärken von allen drei vereint und den halloessen vielleicht ja schon auf der Möbelmesse in Köln präsentiert. Denn: „Weitermachen ist unser Motto.“

5

6

22Heimatobjekt

Schon lange fühlen sie sich freundschaftlich ver-bunden. Jennifer Heimann, Holm Giessler und Kai Eckoldt, deren Wege sich während ihres Industrie-designstudiums an der Essener Universität kreuzten. Seit über einem Jahr verbindet die Drei neben ihrer Freundschaft das gemeinsame Projekt halloessen. Ursprünglich hatten sich Jenny und Holm vorgenom-men, zusammen ein Polstermöbel zu entwickeln. Aus dem ist dann poki geworden, ein Aufbewahrungs-möbel aus Holz mit textiler Schublade. Und weil es bei dem nicht blieb, sondern weitere Objekte entstan-den, die es galt bei einer der größten schwedischen Möbelmessen, der Greenhouse in Stockholm, zu zeigen, musste innerhalb kurzer Zeit ein Labelname gefunden werden, unter dem man sich dort zu präsentieren gedachte. Eine lokale Verortung sollte

> hallo-essen.com

Text Ivonne WoltersdorfFotos halloessenDenn

sie wissen was sie tun

Im Mittelpunkt steht die Idee: halloessen zeigt, was das Ruhrgebiet heute ans Licht bringt: Designprofis,die aus Liebe zum Fach auch nach Feierabend mit

kreativer Unbeschwertheit weitermachen.

er vermitteln, das Schnörkellose und Direkte des Ruhrgebiets transportieren und zudem selbstbewusst den Designstandort Essen vertreten. So gesellten die drei Industriedesigner dem Namen ihrer liebgewonne-nen Wahlheimat ein offensives und informelles „Hallo“ hinzu. Inspirieren ließen sie sich außerdem von ruhr-gebietstypischen Hallo-Bedeutungen. So wird als „Hallo“ die einzige natürliche Erhebung im Essener Norden bezeichnet, weswegen es hier auch eine Hallo-Straße gibt. Und, als es hier noch dampfte und rauchte, soll es fliegende Geträn-keverkäufer gegeben haben, die die Bergarbeiter, bevor diese unter Tage fuhren, am Werkszaun mit Bier versorgten. Weil die Kumpel ihren mobilen Wirt mit Hallo ran riefen, etablierte sich der Name „Hallo-Bar“.

1 dans2 mue3 eifel4 coco5 & 6 poki

1

2

3

4

20Heimatobjekt 21

„Form Follows Function“ ist die traditionelle Maxime unter Designern – wenn dann aber die Form der Funktion folgt, kann das schnell langweilig und gleichförmig werden, man denke nur an genormte, stapelbare und somit furchtbar praktische Geschirrteile. Bei Jorine Oosterhoffs Arbeiten kann hingegen: „Form Follows Fantasy“ gelten. Ihr Tee-Service „Tea Time“ ist ihre Abschlussarbeit an der „ArtEZ“, der Kunst- und Designhochschule in Arnheim, aus dem Jahr 2005. Oosterhoff wird 1981 in Den Haag geboren und ist seit ihrer Kindheit fasziniert von surrealistischen und fantastischen Geschichten und Märchen. Werkstoffe wie Porzellan und Keramik entdeckt sie während ihres Design-Studiums – perfekte Materialien, um ihre Ideen umzusetzen. Mit ihrem Studio „Jorine“, das sie 2005 in Arnheim gründet, hat sie sich auf Objekte aus Porzellan, speziell auf Geschirr, spezialisiert. Was sie aber nicht davon abhält, auch mit anderen Materialien zu arbeiten. Ihre Entwürfe erzählen Geschichten, so wie „Tea Time“ – die Tassen, Schalen und Servierplatten zeigen Charakter durch die verschiedenen Deckelformen und die kleinen Füße aus Porzellan, die unter jedem Objekt zu finden sind. Ein Becher mit gewölbtem Deckel sieht aus, als trüge er einen eiförmigen Hut; eine Schale macht den Eindruck, als würde sie leicht windschief über den Kaffeetisch taumeln. Oosterhoff kreiert surreale Momente, die an Phantasiewelten wie „Alice im Wunderland“ erinnern. Die einzelnen Stücke von „Tea Time“ sind handgemacht und in schlichtem Weiß gehalten – die Innenseiten sind glasiert, das Äußere hingegen matt. Auf Farbe hat Oosterhoff bewusst verzichtet, die kommt von allein. Durch die Befüllung mit Obst, Keksen oder Cupcakes – „Tea Time“ hätte auch in Sofia Coppolas filmischer Ausstattungsorgie „Marie Antoniette“ einen Platz gefunden. In dieselbe Richtung geht „Cafe Pom-pose“, ein Tassenset, bestehend aus einer Cappucino-, Espresso- und Ristrettotasse (einer sehr konzentrier-ten Art von Espresso). Auch diese drei haben Porzellanfüße, die sich teilweise zu einem Henkel verlängern. Für Jorine Oosterhoff ist „Cafe Pompose“ eine Familie: Die Capuccinotasse ist eine dicke, gemütliche Frau, die Espressotasse ein vornehmer Gentleman mit großem Ego und die kleine Ristrettotasse ihr kleines Kind. Nicht weniger phantasievoll, und gleichzeitig ein wenig hinterhältig, sind ihre „Snout Cups“, die anfangs wie normale Becher aussehen, sich aber beim Trinken als Tierschnauzen entpuppen. Im Sortiment sind Schwein, Hund, Katze, Bär, Affe, Kuh und Hase. Die Becher entstanden gemeinsam mit dem befreun-deten Designstudio „buroJet/Egbert-Jan Lam“, mit dem Jorine Oosterhoff regelmäßig für größere Projekte zusammenarbeitet. Eins haben Oosterhoffs Arbeiten gemeinsam: Die Liebe zum Material und zum Detail. Fast spiele-risch geht sie mit dem Werkstoff um, faltet ihn scheinbar wie Papier („Bottoms up!“), wirft ihn in Falten („Icing on the cake“), oder gestaltet ihr ineinanderstapelbares Becherset „Yoska cups“ nach dem Prinzip der traditi-onellen, russischen Matrjoschka-Puppen. Und dann gibt es noch das Frühstücksgeschirr „White Rabbits“; ein Name, der offiziell auf einen englischen Aberglauben – das man am ersten Tag des Monats beim Erwachen „White Rabbits“ rufen soll und so den ganzen Monat Glück hat – anspielt, aber natürlich einen ganz anderen Weg weist. In die Welt hinter den Spiegeln, in Oosterhoffs Phantasie. Jorine im Wunderland.

Text Volker K. BelghausFotos Jorine

Blick über den Tellerrand:Die niederländische Designerin

Jorine Oosterhoff machtKaffeetassen Beine.

> jorineoosterhoff.nl

Erhältlich im Heimatdesign Shop.

Im Wunderland

24 25Heimatobjekt

42

46 47Heimatkultur

4 Albert Camus: Der Mythos

des Sisyphos, 1942.

5 Vom Autor frei erfunden!

6 vgl. http://de.wikipedia.org/

wiki/Survival, 29.10.2011.

Positiv interpretiert könnte dieses Komplexe aber auch ein ungeschriebenes Gewebe sein, eine mehrdimensionale Karte. Der, der weitermacht, entdeckt darin Wege, Plätze und Ebenen. Als Mantra innerhalb des Gewebes ist weitermachen das Instrument der Navigation, die im Voranschreiten gleichzeitig nicht nur steu-ert, sondern auch produziert. Nicht der Weg ist das Ziel, sondern der Weg ist die Produktion, die Produktion von Sinn in diesen hochkomplexen asymmetrischen Systemen. Wir sagen: Weitermachen! Der Gebrauch des Wortes weitermachen ist jedoch noch selten. Noch! Bei der üblichen Suche fi nden wir 3.800.000 Ergebnisse zu weitermachen, 8.970.000 Ergebnisse zu aufhören. Geht man tief an das Eingemachte des Wortes weitermachen, so fi ndet man in ihm etwas Grundlegendes und Ursprüngliches. Es fi ndet sich das, was Kul-tur oder kulturelle Arbeit ausmacht: Feuer machen, ein Haus, eine Urhütte bauen. Machen leitet sich ab aus dem Indogermanischen / Europäischen mag für Kneten oder vermutlich weiterführend aus der Tätigkeit „Verschmieren der Hauswände mit Lehm“ 2. Hätten wir das gedacht? Wohl eher nicht. Dies alles verrät uns eine echtes Buch, wohl das klügste Buch der Welt, kurz: der KLUGE, das „Etymologi-sche Wörterbuch der deutschen Sprache“ von Friedrich Kluge und Elmar Seebold. Das klügste Buch der Welt 3 stellt sich übrigens als ein veritables Geschenk her-aus. Schnell wird es zum begehrten Darf-ich-es-auch-einmal-haben. Versprochen. Doch genug des Schwadronierens über ideale Geschenke. Liegenlassen. Weiter-machen. Wenn wir etwas machen oder gar weitermachen, verschmieren wir also eine Hauswand, immer wieder, immer wieder anders, aber eben immer wieder. Mit dem Alten und dem Neuen bilden sich Schlieren, das Alte löst sich an und geht mit dem neuen Lehm eine Verbindung ein, um der nächsten Zeit zu wider-stehen. Widerstand gegen Sonne, um dabei ein wenig Farbe zu verlieren, Wider-stand gegen den Regen, um dabei etwas an Volumen zu verlieren, bis alles wieder trocknet und wieder verschmiert wird. Machen könnte also auch schmieren sein. Die Fähigkeit weiterzumachen, macht uns widerstandsfähig, beson-ders in jenen genannten Zeiten und Welten. Komplexe und schlimme Welt und überhaupt! In diesen Zeiten also macht uns das Wort nicht nur steuerungsstabil, sondern auch widerstandsfähig. Und vielleicht auch glücklich? Und hier kommt er, der Pontifex Maximus des Weitermachens und die wohl bekannteste aller Weiter-machfi guren: Sisyphos. Der Held der fast ohne Unterlass einen Felsen immer und immer wieder den Berg hinaufrollt. Albert Camus – Literatur-Nobelpreisträger von

1957 – beschreibt Sisyphos als einen glücklichen Menschen, der seinen Existenz-grund immer wieder und neuerlich im Rollen des Steines auf den Berg sieht.4 Wie sieht dieser Sisyphos heute aus, welche Kleidung trägt er? Wo wohnt er? Neben der Navigation in den neuen Räumen des Empire schmieren wir nur noch selten richtig, vielmehr haben wir Anforderungen, Ideen, Ideale und Ängste. Peak Oil und die Chemische Bauindustrie isolieren die Häuser und nennen es energetische Sanierung. Lüften ist das neue Schmieren und Schimmel die Erosion von Innen. Im Ergebnis eine geglättetkubische Ästhetik. Ist das Weitermachen? Gehört das verbreitete Tragen von Outdoor-Klima-Funktions-Outfi ts zum Weitermachen, zur Widerstandsfähigkeit? Sind Menschen, die Outdoor-Kleidung tragen, gesünder und glücklicher? Man wünscht sich eine gefälschte Statistik als Leistungsver-sprechen der besonderen High-Tech- oder Funktionsware: „ACHTUNG: Schon im ersten Jahr des Tragens 50% weniger Erkältungen. Steigerung Ihrer Wider-standskraft durch homöopathische Nanopartikel in unseren Klimageweben beim direkten Tragen auf der Haut. Hält ein Leben lang. Versprochen.“ 5 Outdoor-Mode ist antiweitermachen. Oder? Doch nun schnell zum Ende! Anhänger des Survivalismus werden „preppers“ genannt, zu deutsch: die, die sich (auf eine Katastrophe) vorbereiten.6 Zugegeben hört sich das ein wenig nach „Der mit dem Wolf tanzt“ an. Doch Rituale gehören anders als ener-getische Sanierungen zu dem, was wir Kultur nennen. CUT! War Dustin Hoffman in Die Reifeprüfung widerstandsfähig? Er kann hier zwar nicht als Prepper gezählt werden, entspricht zumindest modisch aber dem Prepstyle. Es kann kein Zufall sein, dass auch dieser Stil, in Zeiten einer immer komplexer werdenden Welt (hört sich doch gar nicht so schlecht an, oder?) eine Renaissance erlebt. Ein Ge-schmacksprogramm, welches die Jungen älter und die Älteren jünger macht, aber auch die Reichen ein wenig ärmer und die Ärmeren ein wenig reicher. Insofern könnte man den Stil heute auch Midstyle nennen. Bundfaltenhose trifft Röhre. Die Midstyler sind die Novizen des Weitermachens. Sie sagen: „Ich bin noch nicht fer-tig, ich lerne noch.“ Alle treffen sich zum Weitermachen und Präparieren in einer Klasse. Midstyle sagt, ich bin nicht, oder noch nicht vorbereitet. Ich muss noch die Brille putzen, die schmale Krawatte binden oder den Mantel zum Trocknen aufhängen. Vereinzelt hat man schon Menschen gesehen, deren Handinnenseiten gelb-ockerfarbig eingefärbt waren. Vom Weitermachen. Wir müssen uns den Weitermacher als einen glücklichen Menschen vorstellen.

1 vgl. hierzu: Michael Hardt,

Antonio Negri: Empire. Die

neue Weltordnung. Frankfurt

am Main: Campus 2002.

2 Friedrich Kluge u. Elmar

Seebold (Hg.): KLUGE

Etymologisches Wörterbuch

der deutschen Sprache, Berlin !

1995, Seite 530.

3 Friedrich Kluge u. Elmar

Seebold (Hg.): KLUGE

Etymologisches Wörterbuch

der deutschen Sprache,

Berlin ! 1995.

44 45Heimatkultur 44Heimatkultur

weiter –––––––––––––––––––––

Performative Verbalstrategienin asymmetrisch-populären Sinnsystemen

Text Martin KielBild David Latz

Wird weitergemacht? Einfach weitergemacht? Oder sollte man einfach weitermachen? Oder wird einfach weitergemacht, als sei nichts geschehen? Im Schatten des Wortes Krise, dem ständigen Ausrufen weiterer Krisen und dem möglichen Überwinden derselben oder einer anderen, erkämpft sich das Wort weitermachen fast unbemerkt – Trendforscher würden hier von schwachen Signalen sprechen – eine besondere Bedeutung und Stellung. Wie man gedenkt, mit der Situation umgehen zu wollen, ausgesprochen oder unausgesprochen ein Morgen oder ein Danach sich vorstellt. Träte das Wort in einer Castingshow auf, würde man seine Per-formance bewerten; Linguisten, also Sprachwissenschaftler, sprechen von Performanz. Ein Wort ändert die Welt und / oder die Umwelt. In die Diskurse der Krise eingewoben, überwindet weitermachen die Management-Dialektik aus 2010: „Die Krise ist auch Chance“ – jenes modisch postmoderne Einerseits-Andererseits, welches schon ziemlich bald Brechreiz auslösen konnte. Weitermachen stellt uns etwas Handfestes und gleichzeitig Zau-berformelhaftes an die Seite. Weitermachen ist Sinnstiftung in einer Welt, die sich nur noch in Anfangssätzen wie: „In einer immer komplexer werden Welt …“ oder „In einer immer schneller werden Welt …“ oder „In einer immer bedrohlicher werdenden Welt …“ gefällt, einrichtet oder für das entschuldigt, was gerade nicht geht. Die Sätze selbst sind POP. Man stellt sie sich vor auf riesigen Leinwänden. Als POP ART à la Warhol oder Lichtenstein und bitte aus dem PhotoBooth eines Mac. Vorstellbar ist das ganze aber auch als XXL-Neu-Biedermeier, als Monumentalgemälde eines Neo Rauch. Übergroße Personengruppen vor einer grünen Landschaft mit Text, möglichst jedoch in roten Kostümen und Masken eines Guy Fawkes (1570 - 1606) – ein bisschen Protest darf schon sein. Es sind die Menükarten der Welteinschätzung, Ouvertüren einer global-komplexen Universaldiplomatie, Friedenspfeifen an den Lagerfeuern des Empire1 der neuen Weltordnung. Auf das Thema Komplex kann man sich selbst bei den Vereinten Nationen in New York oder bei der Volksbank um die Ecke einigen und eine Sondierung, eine Untersuchung oder eine Abstimmung beginnen lassen.

machenoder liegen lassen

und Flachrandschaufeln, Aufbug-, Anfurch- und Wasserfurchenschau-feln, Lebensmittel-, Ballast-, Sand-, Kohlen- und Betonschaufeln, Zen-tralheizungsschaufeln, Autoschau-feln. Beile, Äxte, Sensen, Sicheln sowie diverse Düllgeräte, Schuffeln, Grubber, Krümmer, Rechen, Schar-lüfter, Bügeljäter, Rübenhacken, Kleinhacken mit Breit- und Herz-blatt, Dunghacken, Gartenkreiel, Spitzkratzen, Stopfspitzhacken, Häulein und Wiedekopfhacken mit Oval- oder Breitblatt runden das Angebot ab. „Am Ende des Tages – da muss man sich nichts vormachen – machen wir ein Produkt, das eine Basisfunk-tion erfüllt. Ein Spaten ist eben kein High-End-, kein High-Tech-Produkt. Da kann ich beim Nachbarn in der Regel nicht mit Klotzen. Anders als beispielsweise mit einem exklusiven Gartenmöbel.“ Aber was ist mit der exklusiven BlackLine-Serie? Ein handpoliertes Blatt in mattschwarz-beschichte-

tem Eschenholz-Stiel erfüllt doch keine zusätzliche Funktion, außer eben Designelement zu sein? „Ich bin branchenfremd, habe früher viel mit Architekten, viel mit Design zu tun gehabt. Als ich nach Herdecke gekommen bin, habe ich mir natürlich unser Angebot ange-sehen und überlegt: Was können wir besonders gut? Und was kön-nen wir zusätzlich noch machen?“ Und da haben Sie ein stylishes Designprodukt entwickelt. „Ja, das ist eine der Neuentwick-lungen der letzten Jahre, die einen ganz bestimmten Kundenkreis bedient. Eher junge Leute, die eine bestimmte Funktion erwarten, die aber auch erwarten, dass das Gerät gut aussieht. Wenn die mit ihren Kumpels am Wochenende durch die Garage laufen, um Bier zu holen, wollen sie, dass das alles auch schick und wertig ausschaut. Wir haben BlackLine schnell zu einer Produktfamilie ausgebaut.

Gab es denn in den letzten Jahren keine technischen Innovationen? „Doch, doch. Eine wesentliche technische Verbesserung ist unser Hickory-Stiel. Das Blatt des Ideal-Spatens ist das beste, was es gibt auf dem Markt. Das können Sie mit 120 kg, tendenziell sogar mehr, belasten. Eine Schwachstelle war stets der Stiel aus Eschenholz, das bereits bei deutlich geríngerer Be-lastung bricht. Wir haben also Ver-suche mit Hickory unternommen. Und tatsächlich, dieses Holz bricht erst bei rund 120 kg Belastung – es geht so eine perfekte Symbiose mit dem Blatt ein.“

Horsts Ideal-Spaten ist Namens-geber des Unternehmens, dessen Anhängsel aus der Fusion mit dem Wittener Unternehmen A. Bredt & Co. rührt. Direkt zu Beginn unse-res Gesprächs erklärt mir Eckhard Brosch die Vorteile des Premium-Handgerätes. Er sprüht vor Leiden-schaft für sein Produkt, redet sich geradezu in Rage: „Das Besondere an unserem Dop-pelfeder-Spaten Ideal ist das ko-nisch gewalzte Blatt. Das ist an der Schulter breiter als an der Schnei-de, schärft sich so bei Gebrauch von selbst. Wir geben 10 Jahre Garantie auf Blatt und Feder, die aus einem Stück Spezialstahl be-stehen. Und damit das Gerät auch solange hält, vernieten wir den doppelt dampfgebogenen Stiel aus ausgesuchtem Eschenholz gleich zweifach mit dem Spatenblatt. Der Stiel füllt darüberhinaus das Häuschen im Spatenblatt komplett bis zum Ende aus. Da kann bei nor-malem Gebrauch eigentlich nichts mehr brechen. Die Produktion

hier am Standort ist natürlich sehr aufwendig. Im Grunde sind wir eine Manufaktur geblieben. Die Walze für unser Top-Modell beispielsweise ist über achtzig Jahre alt. Obgleich wir die Prozesse in den letzten Dekaden optimiert haben, erfolgen viele der Arbeitsschritte bis heute in Handarbeit. So macht das weltweit kein anderer Hersteller. Und das hat natürlich auch seinen Preis. Allein mit unseren Spaten könnten wir un-sere Marktführerschaft nicht halten. Deshalb haben wir unser Portfolio systematisch um weitere Produkt-linien erweitert.“ Sie meinen die Löwe- und Britta-Spaten? „Ja, genau. Wir haben heute fünf verschiedene Qualitäten, die wir in Deutschland produzieren. Aber der Markt, die Kunden, verlangen nach mehr. Sie wollen ein immer breiteres und tieferes Sortiment. Seit einigen Jahren runden wir unser Portfolio mit Importware ab. Das sind die sogenannten Preisein-

stiegsmodelle, die wir in China oder Osteuropa einkaufen. Wenn Sie sich den Katalog ansehen (Anmerkung: Die Ausgabe 2010 umfasst 130 Sei-ten.), werden sie erkennen, dass wir das einzelne Produkt weiter ausdif-ferenzieren. Wir berücksichtigen die regionalen Vorlieben mit unter-schiedlichen Formen und Stielen.“ Weit mehr als 3.000 verschiedene Handgeräte finden sich im aktuellen Katalog; zuvorderst die Spaten in unterschiedlichen Formen. Nach Regionen unterschieden in Bremer, Geestemünder, Kieler, Flensbur-ger, Spieker, Auricher, Vierländer, Dollendorfer und Holsteiner Form, nach Nutzung unterschieden in Sand-, Marsch- und Torfspaten, Drainier-, Bau- und Rodespaten. Schaufeln, die mit 1,4 Millionen verkaufter Einheiten im Jahr neben den Spaten das Kerngeschäft der Herdecker sind und teils ebenfalls am Firmensitz produziert werden, gibt es in ähnlich vielen Varianten: Spatenschaufeln, Graben- und Kabel grabenschaufeln, Rand-

> idealspaten.de

Die rund 70 Mitarbeiter produzieren am Standort Herdecke in der Spitze bis zu

9.000 Schaufeln pro Tag.

Der Stahl für die Schaufeln und Spaten stammt ausschließlich aus Deutschland. Hersteller sind

ArcelorMittal, Salzgitter und ThyssenKrupp.

Der 40jährige Diplom-Betriebswirt Eckard Brosch

ist seit rund 4 Jahren Geschäftsführer der Idealspaten-Bredt GmbH & Co. KG.

Die Basis-Gartenausstattung, die wesentlichen Geräte, bieten wir heu te auch mit mattschwarzem Stiel und in handpoliertem Stahl an.“

Eckhard Brosch nutzt natürlich auch privat Spaten aus dem Firmen-Sortiment; wenn auch zuletzt aus traurigem Anlass – da musste er den Hasen seiner Tochter beerdigen.

28 29Heimatobjekt

Hacken, Hauen und Düllen

Im Spätsommer ist es endlich so-weit: Mein Name taucht im Grund-buchregister der Stadt Witten auf. Nun ist das kleine Siedlungshaus, das ich im Juni im Internet entdeckt habe, meins. Das Haus selbst ist kleinräumig und verwohnt, gemein-sam mit dem jungen Architekten Konrad Dölger aus Sprockhövel werde ich es in den kommenden Monaten umgestalten. Das eigent-lich Spannende an meinem Haus indes ist das umgebende große Gartengrundstück. Schon bei mei-ner ersten Besichtigung habe ich mich darin verliebt. Hinten rechts steht eine mächtige Magnolie, die Rasenfläche schmücken zwei Wal-nussbäume. Es gibt allerdings auch einige Ecken, die förmlich nach Umgestaltung schreien. Zum Glück braucht es dafür keinen Bauantrag. Die Tage Mitte September sind wunderschön, also lege ich los. Als erstes sollen die alten Johannisbeersträucher, die kaum noch tragen, weichen. Ich schnap-pe mir einen der beiden Spaten, die ich im Schuppen gefunden habe.

Text & Fotos Philipp Wente

Unser Autor und Fotograf Philipp Wentehat ein neues Haus mit großem Garten.

Und ein Problem beim Umgraben.Nach zwei kaputten Spaten entdeckt er

Grabewerkzeuge mit Tradition –Ideal-Spaten aus Herdecke an der Ruhr.

Bereits nach einigen Hieben bricht dessen Stiel unter lautem Krachen aus der Blatthalterung (Später lerne ich, dass dies an der minderwerti-gen Rohrdüllverbindung von Blatt und Stiel liegt.). Mist. Aber ich habe ja noch einen zweiten Spaten. Drei ausgegrabene Sträucher später entdecke ich links neben dem Stiel einen Riss im Spatenblatt. Dieser vergrößert sich von Minute zu Minute. An effizientes Arbeiten ist mit derartig beschädigtem Gerät nicht zu denken. Ich bitte meinen Nachbarn Horst um Hilfe (In meiner Siedlung heißt übrigens mindestens jeder Zweite Horst. Ruhrgebiet in echt.). Horst holt umgehend Ersatz aus seiner Garage. „Hier, nimm den. Den krisse nich kaputt.“ Weiter geht’s. Und tat-sächlich: Auch noch so dicke Wurzeln scheinen dem Werkzeug nichts anhaben zu können. Hieb für Hieb schlage ich den Spaten in die Erde. Das Teil funktionert so, wie es heißt: Ideal. Abends lobende Worte vom alten Gartenhasen Horst: „Junge, das wird was. Kommst ja

gut voran.“ Er lädt mich ein zum Feierabend-Bier in seine Laube, über der die BVB-Fahne weht. „Horst, sag mal, woher hast Du den Spaten eigentlich? Ich will mir auch so einen kaufen.“ „Baustoffe Klein. Die werden direkt umme Ecke her-gestellt, in Herdecke.“ Genau hier, umme Ecke, sitze ich nun. Mir gegenüber der Geschäftsführer der Idealspaten-Bredt GmbH & Co. KG, Eckhard Brosch. Der frisch modernisierte Sitzungsraum – am Kopf zwei schwarz-lackierte Virtrinen mit punktbeleuchtetem poliertem Spa-ten links und ebenso inszenierter roter Schaufel rechts – befindet sich in einem beeindruckenden alten Rotklinker-Bau. Seit 1899 werden in Herdecke an der Ruhr Schaufeln und Spaten produziert; die Blüte-zeit mit mehr als 500 Mitarbeitern erlebte das Unternehmen in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts. Die Fundamente für den deutschen Wiederaufbau wurden großteils mit Ideal-Spaten und -Schaufeln ge-graben.

26 27Heimatobjekt

> sdw.de> sdw-nrw.de

Streuobstwiese als Obstbaummuseum an der Altmengederstraße, Dortmund; eingerichtet von der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald:

stets identischer Form, Farbe, Größe und Geschmack den Nerv der Konsumenten und führen die Verbrau-cher erfolgreich in Versuchung. Diverse technische Kenntnisse bilden die Voraussetzung, Äpfel gezielt züchten und diese spä-ter sortenrein vermehren zu können. Die Veröffentli-chung der „Pomologia“ von Johann Hermann Knoop im Jahr 1760 gilt als Geburtsstunde der Obstbaum-kunde als eigenständige Wissenschaft. Pomologen beschäftigen sich mit der Bestimmung, Beschreibung und Klassifizierung von Obstsorten. Ihr goldenes Zeitalter erlebten Knoops Erben im 19. Jahrhundert, als etliche Gesellschaften, Institute und Vereine gegründet wurden. 1700 Birnen und noch mehr ver-schiedenartige Äpfel fasste allein der unermüdliche Ferdinand von Biedenfeld (1788-1862) in einem Handbuch zusammen. Einer unter vielen. Die meisten Neuzüchtungen jener Zeit beruhten dabei noch auf Zufallsfunden. Typisch für die Epoche waren Namen wie „Roter Trierer Weinapfel“ oder „Oberländer Himbeerapfel“. Sie stehen für das Interesse, spezifi-sche regionale Eigenheiten zu kultivieren, weswegen auch konkrete Anbauempfehlungen ausgesprochen wurden. Dass diese beachtet wurden, hatte den Ne-beneffekt, dass Generationen später der Obstbaum als Bild emotional mit Identität, Heimatverbunden-heit und Treue aufgeladen werden konnte. In Europa nicht anders als in Übersee. „Private Buckaroo“, ein dünnes G.I.-Filmchen aus dem Jahr 1942, ist längst in Vergessenheit geraten, der Filmsong „Don‘t sit under the apple tree with anyone else but me“ allerdings, als Nummernrevue von den Andrew Sisters vorge-tragen, wurde zum Evergreen. Eine Erfolgsgarantie mit Obst als Aufhänger gab es freilich nicht. Ein 1943

in Deutschland verbreitetes patriotisches Sonett mit dem Titel „Ein Apfel von daheim“, als Autor wird ein Kriegsberichter Heinrich Knacker genannt, kam glücklicherweise nie im kollektiven Gedächtnis an. Einer einfacher zu handhabenden Klassi-fizierung wegen argumentierte auf Pomologenseite schon früh eine Fraktion für eine Reduzierung der Sortenzahl. Ihre Stunde kam im 20. Jahrhundert mit Beginn einer systematischeren Züchtung. Obstanbau hatte bislang in erster Linie der Selbstversorgung gedient, jetzt sollten, nach fordistischem Vorbild, Prinzipien industrieller Massenproduktion auch in der Landwirtschaft Anwendung finden. Eine Entwicklung, die in den 1920er Jahren begann und in mehreren Wellen vonstatten ging. Voraussetzung war die Züch-tung möglichst krankheitsresistenter Sorten, die sich für Monokulturen und Plantagen eigneten. Logistik und etwaige Weiterverarbeitung bei Wirtschaftsäp-feln bedingten dabei einen hohen Grad der Standar-disierung. Alte Sorten, die als Streuobst meist locker verteilt auf Dorfwiesen wuchsen, galten als Sand im Getriebe. Da die regionalen Märkte jedoch bestens funktionierten, haperte es lange bei der Umsetzung der weitreichenden Pläne. Erst Ende der 60er Jahre kam es zum Durchbruch. Im Kontext der Europäi-schen Wirtschaftsgemeinschaft wurde den Bauern eine so genannte „Rodenprämie“ zur Verminderung marktstörender Obstmengen gezahlt, wenn diese ihren Bestand an Streuobst abholzten und sich ver-pflichteten, keine entsprechenden Neupflanzungen vorzunehmen. Das Resultat liegt in jedem Supermarkt -regal, ein knappes Dutzend Sorten, überall die glei-chen. Das heißt aber nicht, dass dieses Sortiment für alle Zeiten festgeschrieben wäre.

Wie bei jedem Produkt wird permanent nach Verbes-serungen gesucht; wird daran gearbeitet, erfolgrei-ches zu optimieren. Ein echter Siegertyp ist Golden Delicios, 1870 in den Vereinigten Staaten gezüchtet und mittlerweile weltweit verbreitet. Von ihm stam-men Fuji, Elstar, Gala Royal und Jonagold ab. Und Pink Lady®. Rechnet man deren Marktanteile zusam-men, hat man eine satte Mehrheit im Obstregal und muss eine Verminderung der genetischen Bandbreite bei Äpfeln konstatieren. Auf diesbezüglich breiterer Basis steht ein aktuelles Projekt der Züchtungsiniti-ative Niederelbe. Grundlage sind hier fünfzig Sorten, die in möglichst vielen Kreuzungen ausgetestet wer-den. Am Ende des auf Jahre angelegten Selektions-prozesses hofft man, den neuen Superapfel gefunden zu haben. „Es wird überall geforscht“, meint Herr Giesebrecht von der Niederadener Baumschule in Lünen. „In Europa, Asien, Amerika, wo immer Sie wollen. Jeder wünscht sich einen Apfel, der einerseits an die Gegend angepasst ist, andererseits aber so gut ist, dass er sich allgemein durchsetzt. Ob das gelingt, hängt in erster Linie davon ab, wie der Apfel aussieht. Ob er dem Klischee entspricht, das der Kunde hat. Passt es nicht, bleibt er liegen.“ Baumschulen bilden einen Teilaspekt der Pomologie. Die ersten ihrer Art wurden hierzulande im frühen 18. Jahrhundert gegründet, noch bevor Knoop sein bahnbrechendes Buch veröffentlichte. In Baumschulen wird weder gezüchtet noch geforscht, sondern Bekanntes vermehrt, Sorte für Sorte, in ga-rantierter Qualität. Bei Äpfeln beispielsweise verhält es sich nämlich nicht so, dass aus einem Braeburn-Kern automatisch ein Braeburn-Baum wird.

Aus jedem Samen entsteht etwas Zufälliges. Eine gezielte Vermehrung ist nur durch Pfropfen oder Ver-edeln mittels Knospen oder Reisern möglich, wobei die Unterlage wesentliche Eigenschaften des Baumes bestimmt. „Aber eine schlechte Sorte bleibt schlecht, egal, auf welche Unterlage man sie setzt“, sagt Herr Giesebrecht. „Wer einen Baum pflanzen möchte, sollte außerdem auf den Standort achten – den vor-handenen Platz, die Bodenqualität, die klimatischen Bedingungen. Wir bieten Obstsorten an, bei denen wir sicher sind, dass sie in der Region gut wachsen. Und schmecken. Im Supermarkt findet man ausschließlich Massenprodukte. Selbstversorger und Gartenbesitzer interessieren sich dagegen meist für individuelle Ei-genschaften und investieren gern etwas mehr Zeit in die Pflege. Dafür können sie später aber auch einen ganz besonderen Apfel ernten.“ Herr Giesebrecht mag vor allem die Gold-parmäne und den Berlepsch.

18 19Heimatobjekt

Garten Eden Super Markt

„Wenn uns kein besserer Name einfällt“, soll Steve Jobs gesagt haben, „nennen wir die Firma einfach Apple.“ Da waren die Tage, in denen er, um einiger-maßen über die Runden zu kommen, als Apfelpflü-cker einer Hippiekommune gearbeitet hatte, noch nicht lang vorbei. Steve Wozniak muss zugestimmt haben. Eine gute, vielleicht war es die bestmögliche Entscheidung. Denn mit jedem erworbenen Apfel trägt die Kundschaft nicht nur ein Stück Obst, son-dern ein facettenreiches und niemals aus der Mode gekommenes Sinnbild ihrer Kulturgeschichte nach Hause. Mit Adam und Eva unterm Baum der Er-kenntnis fing es an. Paris fällte sein Urteil, indem er Aphrodite als schönster Göttin einen Apfel über-reichte. Nur mit List und drei goldenen Äpfeln, welche er von Aphrodite erhielt, gelang es Meilanion, die bärenstarke Atalane zu besiegen. Im Heiligen Römi-schen Reich Deutscher Nation war der Reichsapfel Insignie von Kaisern und Königen. Per Armbrust

Text MartiniIllustration Lisa Schweizer

don’t sit under the apple treewith anyone else but me.

> giesebrecht.com/baumschulen> pomologen-verein.de

musste Wilhelm Tell einen Apfel vom Haupt seines Sohnes schießen. The big apple; seit den 1920er Jahren ein Synonym für New York. Ein Apfel ziert das Label jeder Beatles-LP. Macintosh, das sei am Rande auch noch erwähnt, ist der Name einer kanadischen Apfelsorte. Apple ist längst mehr als eine Marke, Apple ist Kult. Dabei spielt das technische Innenleben der Apparate, die Hipsterherzen höher schlagen lässt, eine untergeordnete Rolle. Und bitte kein Wort über teils skandalöse Produktionsbedingungen. Was die Geräte mit dem angebissenen Apfel als Logo erfolg-reicher macht als jedes Konkurrenzprodukt, ist ihr zielgruppengerechtes, überzeugendes Design. Wer will, kann den angebissenen Apfel, siehe Adam und Eva, sogar als selbstironisches Zeichen verlorener Unschuld betrachten. Die in Kauf genommene Vertreibung aus dem Paradies. Das Überführen von Hippie-Idealen in die freie Wirtschaft. Und es passt, dass es sich bei nahezu allen Äpfeln, die auf dem Obstmarkt eine Rolle spielen, nicht um ursprüngliche Natur-, sondern ebenfalls um ausgetüf-telte Designprodukte handelt. Eine unverwechselbare Präsentation inbegriffen. Aktueller Höhepunkt der Entwicklung: Pink Lady®, erkennbar am Aufkleber mit dem rosa Herzen. Pink Lady®-Auftritte im Internet be-weisen, dass Prinzessin Lillifee ansatzlos den Sprung in die Adoleszenz geschafft hat. Flankiert von ein-nehmenden Club- und Marketingkampagnen fand die neue, markenrechtlich geschützte Apfelsorte schnell ihren Platz in den umkämpften Auslagen. Der Baum selbst gilt zwar als anfällig für Schorf, Mehltau, Krebs und Feuerbrand – ohne Pestizide geht nicht viel – die Früchte aber entsprechen dem Idealbild, treffen in

16 17Heimatobjekt

DieabstrakteDisziplin

Text MartiniBild BineMusic

Sabine Wüste, obwohl für den Namen quasi Pate stehend, waltet lieber im Hintergrund. Jens Rößger, ihr Partner, betreibt das Essener Label. Seit 2003. Als ers-te Veröffentlichung auf BineMusic erschien „Feld“ von Byetone. Byetone, bürgerlich Olaf Bender, ist Chef bei raster-noton, Chemnitz. „Wie bei raster-noton gearbei-tet wird, das hat mich anfangs durchaus beeinflusst“, erklärt Rößger. „Mit BineMusic haben wir aber etwas ganz Eigenständiges entwickelt.“ Behutsam entwi-ckelt, sollte unbedingt hinzugefügt werden. „1549“ von Lars Leonhard, ganz aktuell, trägt die Katalognummer 026. Ähnlich überschaubar wie die Summe der Ver-öffentlichungen ist die Anzahl der in Erscheinung ge-tretenen Musiker. Namhaft ist das Personal durchaus, Benjamin Brunn, Scanner oder Move D gehören zum engeren Kreis. „Wir schauen genau hin, wer zu uns passt. Wir streben langfristige Kooperationen an. Mit wenigen, dafür aber außergewöhnlichen Künstlern.“ Musikalisch wird ein Spektrum abgedeckt, das von Ambient über Lounge bis in die Nähe zum Dancefloor reicht. Reduziert, manchmal ganz auf Beats verzichtend, mit einer nicht zu überhörenden Vorliebe für Dubelemente. Ein musikalisches Segment mit eigenen Anforderungen an die Covergestaltung. Ein Blick, und das Label sollte zu identifizieren sein. Ein scharfes Profil vorausgesetzt, ist es für die Verortung taugli-cher als Namen oft sehr vielseitiger Künstler, die auf etlichen Feldern tätig sind. Schlichte aber effektive Möglichkeit ist das 12”-Lochcover. Anspruchsvoller und hochwertiger, auch das ein Statement, ist ein wiedererkennbares grafisches Konzept, welches über die Basisinfos hinausgehend wesentliche Aussagen der Musik zu transportieren versteht.

Es gibt ein Leben nach der Party. Es gibt keinen Grund, dieses Leben weniger wertzuschätzen, als eine perfekte Clubnacht. Chillen vollendet. Kein

Gesetz der Welt verlangt, dass Ambient belanglos zu sein hat. Im Sound von BineMusic kannst du dich einrichten. Mit dem guten Gefühl, dass entkernt nicht

gleichbedeutend mit sinnentleert sein muss.

Zunächst sorgte Benjamin Brunn für die Gestaltung bei BineMusic. Er benutzte Fotografien urbaner Archi-tektur – leere Flächen, klare Linien, außergewöhnliche Perspektiven, Fluchtpunkte. Mit der „Various Artists“-Compilation folgte im vergangenen Jahr der Wechsel zu Ralph Steinbrüchel. „Ralph ist, genau wie Benja-min, Musiker, der bei uns veröffentlicht“, sagt Rößger. „Das Design bleibt minimalistisch, ist aber noch radikaler geworden. Von den naturalistischen Fotos hin zu abstrakten Strukturen. Denen liegt ein strenges Zahlen-Buchstaben-System zu Grunde, das Ralph entwickelt und uns sofort überzeugt hat. Von Release zu Release ändern sich diese Figuren und auch die Farbe. Die kann jeder Künstler aus der Pantone- Palette wählen.“ Lars Leonhard nahm ein sattes Gelb. Der Düsseldorfer Musiker, einst Mitglied der Band Chaos Digital, sorgte bei der Expo 2005 in Japan für die Beschallung des deutschen Pavillons. „1549“ ist sein erstes Soloalbum. Ein atmosphärisch dichtes, span-nendes und vor allem betont ruhiges Werk. Der Titel bezieht sich auf die Flugnummer jenes Airbus A320, der im Jahr 2009 in einer Höhe von knapp tausend Metern mit Kanadagänsen kollidierte und im Hudson notwassern musste. Alle Passagiere überlebten den Crash. Für das Cover hätte man spektakuläre Bilder finden können, doch das ist nicht der Stil der Essener. „Auf plakatives Bildmaterial oder eindeutige Sound-schnipsel haben wir bewusst verzichtet“, erklärt Rößger. „Das wäre zu billig gewesen.“

> binemusic.de32 33Heimatbild

sagt Frauke Hoffschulte, die Geschäftsführende Leiterin. „Das betrifft vor allem den Bereich der Do-kumentation, wo es unsererseits bezüglich des `Was´ und `Wie´ meist sehr klare Vorstellungen gibt.“ Ein Partner, mit dem der HMKV regelmäßig (und auch bei „The Oil Show“) zusammenarbeitet, ist das Designbüro labor b. Man kennt sich seit Jahren, wurde gemeinsam größer, eine Zeitlang sogar Tür an Tür, im Musik- und Kulturzentrum an der Dortmun-der Güntherstraße. Doch auch andere Agenturen wie „Radau-Gestaltung“ bekommen ihre Chance, zudem können Studenten der FH Auftragnehmer sein: „Die ersten Kontakte ergeben sich meist im Rahmen von irgendwelchen Aushilfsarbeiten als Nebenjob im Studium. Man lernt die Leute kennen und erfährt, dass sie viel mehr drauf haben; auf einem bestimmten Gebiet Experten sind. Wir greifen da inzwischen nicht nur auf einen Pool von Spezialisten zurück, unser ganzes Organisationsteam besteht aus Absolventen der FH“, sagt Frauke Hoffschulte. Und, dass man die Kreativwirtschaft als Wirtschaftsfaktor nicht unter-schätzen sollte. Allein der HMKV habe seit 2010, seit seinem Umzug ins Dortmunder U, mehrere tausend Aufträge vergeben. An Kreative, an Dienstleister, an Handwerker.

Jobs aus der Heimat

Text MartiniBild HMKV

> hmkv.de

Von wegen. Von dem eben nicht. „Wir haben da einen ganz dezidierten Focus. Wir arbeiten ausschließlich mit Leuten aus der Region“, erklärt Dr. Inke Arns, Künstlerische Leiterin des HMKV. „Es gibt exzellente Absolventen der FH Dortmund, die noch nicht weg sind. Es ist wichtig, sie darin zu unterstützen, zu blei-ben. Ich würde nie auf die Idee kommen, einen De-signer aus Berlin zu beauftragen, selbst dann nicht, wenn er hier studiert hat. Ich belohne doch nicht auch noch den Weggang.“ Der HMKV wurde 1996 von der Kunsthisto-rikerin Iris Dressler und dem Künstler Hans D. Christ gegründet. Fünfzehn Jahre später gilt es unverändert, anspruchsvoller zeitgenössischer Kunst, welche aus der kritischen Auseinandersetzung mit Medien und Technologie resultiert, einen adäquaten Raum zu geben. Ein Ansatz, mit dem der HMKV in der deut-schen Kunstlandschaft nach wie vor ein Alleinstel-lungsmerkmal besitzt; international fi nden seine teils unvergesslichen, oft preisgekrönten Konzeptionen der Produktion, Präsentation und Vermittlung auf besagtem Terrain große Beachtung. „Reservate der Sehnsucht” (1998), „Anna Kournikova Deleted By Memeright Trusted System. Kunst im Zeitalter des Geistigen Eigentums“ (2008), „Arctic Perspective“ (Beste Ausstellung 2010, laut Artforum). Eine erschre-ckende, höchst politische Beschreibung der Welt als Junkie wird momentan, bis zum Februar 2012, gezeigt: „The Oil Show“. Inke Arns hat die ersten Jahre des HMKV von Berlin aus verfolgt. 2005, Iris Dressler und Hans D. Christ waren zum Württembergischen Kunstverein gewechselt, übernahm sie die Künstlerische Leitung. Arns kennt beide Standorte mit den jeweiligen Vor- und Nachteilen. „Ich habe das Gefühl, ich bin hier näher am Leben dran“, sagt sie. „Die Szene in Berlin ist eine Blase. Da kommen 50 bis 100 Leute zu jedem Pups, den du machst. In Dortmund musst du dagegen immer wieder aufs Neue beweisen, dass das, was du anbietest, eine Relevanz besitzt. Im Ruhrgebiet kannst du etwas bewirken. Mit einem `Kunst um der Kunst willen´ wirst du allerdings gnadenlos untergehen.“ Das macht die Arbeit spannend, nicht nur auf der Ebene der Konzeption, denn viel hängt später von der Art der Vermittlung ab. Im HMKV wird der Kooperation mit Agenturen und Designern ein ent-sprechend hoher Stellenwert beigemessen. Da die zu transportierenden Themen oft am Rande oder außer-halb dessen liegen, womit Grafi ker oder Designer üblicherweise ihr Geld verdienen, dürfen sich diese mal austoben. „Das heißt aber nicht, dass wir die Supereasyauftraggeber sind. Wir sind anspruchsvoll“,

Wir sind dann mal weg. Leider. Denn nach Beendigungdes Studiums zieht es viele Kreative und Designer weg

aus dem Ruhrgebiet; in Städte wie Düsseldorf, Köln,Hamburg oder Berlin. Nicht nur deren Urbanität und

kreative Szenen locken, sondern auch die Aussicht auflukrative Aufträge. Trotzalledem gibt es auch im Ruhr-gebiet mutige Auftraggeber, und irgendwann hat man

ihn dann, den Job aus der Heimat; diesmal vom

Hartware MedienKunstVerein (HMKV)

34 35Heimatbild

01 Garderobenständer „Anna-Lena“ von KASCHKASCH in verschiedenen Farben.> kaschkasch.com10 Euro 02 Lichtobjekt „Beute“von HERRWOLKE, in verschiedenen Größen.> herrwolke.blogspot.comab 280 Euro

03 Lichtobjekt „Lampa“ von FRAUPAWLIK, verschiedene Teekannen.> fraupawlik.blogspot.comab 170 Euro

04 Tisch-/ Bankkombi-nation „Pinokkio“von KASCHKASCH.> kaschkasch.comTisch 1.550 EuroBank 770 Euro

05 Leuchte „Shiny Tara“von ELLIPS DESIGN, in verschiedenen Farben und Größen.> ellipsshop.deab 32 Euro

06 Hängeleuchte „Ghost“von INTERROR.BE in zwei Größen und Farben.> interror.beab 180 Euro

07 Hocker „Super Sputnik“ von SISMAN, in verschiedenen Farben und zwei Größen.> sisman.deab 188 Euro

Alle Artikel sind auch bei Heimatdesign erhältlich!

Inhalt

Page 7: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Heimatkleid

50 Frank Leder Ein Jahr in Galizien

58 Neon Elektrisch Stilgeschichte, remixed

66 Trinkhallen Schickeria Mädchen-Hinterhof-Vintage-Schick

74 Anna Sommerer Apfelaccessoires und Prokrastinationsbeutel

Heimatlust

82 Besser als Bier, Bar, Band Nordstadtmusik von Sisterkingkong

86 Zeig mir, wie du berühmt wurdest Frida Gold, Glamour aus Hattingen

Heimatgedanke

90 Ende und Anfang Es geht weiter: „2-3 Straßen TEXT“ und „Borsig11“

96 Indie-Heimatkunde Von wegen Folkloreliteratur – das „Ruhrgebietsbuch“

98 Heimatdesign – Stand der Dinge Was war, was ist, was kommt

100 Geschmackssachen Kolumne Unterwegs in Männer- Wohnungen

„Der Ausgangspunkt jeder Kollektion ist das Inter-esse am Menschen und dessen Beziehung zu seiner Umgebung und Arbeitswelt“, erklärt der Designer. „Das unvoreingenommene Annehmen und intellektu-elle Verarbeiten dieser Bezüge, das letztendliche Aus-leuchten und die Umsetzung in Bekleidung und Bilder geben die Parameter vor.“ Paradigmen und Vorein-genommenheit will Frank Leder nicht zulassen. Sie würden den Anspruch einer komplett eigenen Bild- und Formensprache, die die Kleidung unterstützt, ohne sie einzuzwängen, verwässern. Bündelung, Zu-spitzung und Humor sind hingegen erlaubt – sofern der Mensch dabei nicht aus den Augen verloren wird. Frank Leders aktuelle Kollektion widmet sich der historischen Landschaft Galiziens und ist maß-geblich von den Erzählungen des Schriftstellers Josef Roth inspiriert. „Die Beschäftigung mit einem Land-

strich, der nur noch in Erzählungen und alten Bildern existiert, und das Zusammenleben unterschiedlichs-ter Menschen in diesem Raum hatten mein Interesse geweckt. Während ‚Galizien No. 1‘ den Landstrich und die Lebensumstände der dort ansässigen Menschen vorstellt, wird sich ‚Galizien No. 2‘ im Frühjahr / Som-mer 2012 mit der Auswanderung eines großen Teils der galizischen Bevölkerung beschäftigen.“ Das Lookbook zur aktuellen Kollektion präsentiert sich so reduziert – ein Model, ein Setting, zwischendrin historische Postkarten – wie aus-drucksstark. Ganz bewusst hat Frank Leder darauf verzichtet, Galizien mit vorgefundenen realen Hinter-gründen nachzustellen. „Das wäre einem Ort, der nicht mehr existiert, nur unzureichend gerecht ge-worden“, findet er. „Die Entscheidung fiel auf ein Setting, das wie eine Bühne funktioniert. Darauf mimt

> leder-inagaki.com 53

ein Schauspieler, dessen angeklebten Bart wir deut-lich zu erkennen geben, in einer Art Hütte verschie-dene Charaktere aus Galizien.“ So schlüssig und durchdacht die Kollek-tionen und deren Präsentation auch wirken – ein klares Bild von den Menschen, die seine Mode tragen (sollen), hat Frank Leder nicht im Kopf. Jeder, der Interesse an seiner Art der Gestaltung hat, kann Teil dieser Geschichten werden und diese fortschreiben. Mit dem Ansatz, ein Kleidungsstück neben der reinen Funktion mit einer Geschichte und einem Ursprung aufzuladen, will der Wahlberliner der Banalität der Wegwerfgesell schaft ein Stück Wärme entgegen set-zen. Denn auch wenn eine Hose letztlich immer eine Hose bleibt: Wenn sich der Träger in den Prozess mit einbringt, dann funktioniert Mode als Verstärker der schon vorhandenen Persönlichkeit.

Dass Frank Leder zum großen Teil in Japan verkauft, wo auch bereits eine Kollektion in Zusammenarbeit mit Comme des Garcons auf den Markt gebracht wurde, liegt übrigens nicht etwa daran, dass Deutsch-land nicht bereit für seine Mode ist. „Der japanische Kunde ist sehr mündig und fordernd, was Qualität, Professionalität, Stärke und Originalität angeht. Die-ser Markt nimmt den Großteil meiner Kapazität und Aufmerksamkeit in Anspruch.“ Hinzu kommt Frank Leders eher unkonventionelles Vertriebskonzept: Im Gegensatz zu anderen Designern präsentiert er seine Kollektionen weder auf Messen noch auf den Mode-wochen, sondern setzt auf sehr persönlichen Kontakt zu den Geschäften, die seine Kleidung verkaufen. „Ich lasse mich lieber entdecken als dass ich suche. Trotz-dem versuche ich, jeder Anfrage gerecht zu werden.“

54Heimatkleid 55

Frank Leder

Text Alexandra BrandtFotos Gregor Hohenberg

Die Mode des in Berlin ansässigen Frank Lederzeichnet sich durch den Mut zu starken Ideen, starken Symboliken und starken Bildern aus. Dabei entstehen

Männerwelten, in denen Naturburschen, Metzger und Knastbrüder ebenso vorkommen wie Verbindungs-studenten und Uniformierte – und die zuweilen explizit

deutsche Bezüge aufweisen. Was auf den ersten Blick befremdlich wirken mag, zeugt bei näherer

Beschäftigung von der Ausarbeitung einersehr eigenständigen Position.

Heimatkleid 50Heimatkleid Heimatkleid 56Heimatkleid

Ein von außen unscheinbarer Laden in der Rellinghauser Str. 121 in Essen. „Oldschool“ steht auf dem Schild. Dann betritt man die Welt von Frank Herzberg. An der Wand die selbstgeschneiderte Tapete, punktu-ell verziert mit Kakerlaken und Insekten aus Gummi; der Boden sanft bestäubt mit einer Schicht aus Straßenleben. In Regalen an der Wand stehen braune Lederpumps, die an die goldenen Zwanziger erinnern, an Kleiderständern am Rand hängen mit aktuellen Schnitten und Materia-lien kombinierte ausgediente Metalband-Shirts, neben und gegenüber von neuen Einzelstücken und dekorierenden Plastikrobotern. Geschichte an Geschichten. In dieser Polarität entsteht das Eigene, das Darüber-hinaus – Neon Elektrisch. Was auf den ersten Blick nach einem wilden Mix aussieht, folgt doch einer gewissen inneliegenden Harmonie: „Kein (erkennbarer) Stil ist auch ein Stil. Und diese Fertigkeit muss man erst einmal haben“, bemerkt Frank Herzberg. Kein Stil ist die Inszenierung von etwas, das nur da zu sein scheint. Ein Spiel mit Erwartungen. Und mit (Mode-)Rollen. Durch dieses Spiel fällt das Zuordnen von Frank Herzbergs Mode in eine feste Kategorie schwer, wodurch seine Mode eine Rettung wird vor den Einheitsansichten der Fußgängerzonen. Vor der Langeweiledes Alltäglichen. Denn oberstes Gebot für Frank Herzberg ist: Mode muss Spaß machen. Und Mode muss authentisch sein und aus eben dieser Überzeugung getragen werden. Ansonsten funktioniert die Mixtur der Stile nicht. Deshalb sieht man auf den Fotos an der Wand auch Kun-dinnen mit ihren erworbenen Unikaten, beispielsweise einem engan-liegenden Kleid, das zur einen Hälfte aus einem alten bedruckten Shirt mit einem riesigen Wolfskopf besteht und zur anderen Hälfte aus einem asymmetrisch hinzugefügten Jerseystoff in Knallfarbe. Daneben: Kunden, deren Hemd vorne mit Reißverschluss versehen ist. Zippt man diesen auf, kommt ein kontraststarkes Muster zum Vorschein. Eine Art Kontrast-winkel zum Aufklappen. Versteckte und versteckbare Auffälligkeit. Wie-der das Spiel mit den Erwartungen. Für eine Shooting-Serie mit Hooligans wurden echte Hooligans im Business-Outfi t fotografi ert. Auch der Essener Club-Betreiber Kai Shanghai trägt das typische Reißverschlussklappen-Design, und in Helge Schneiders Bühnengarderobe kann man eine Neon Elektrisch-Lederjacke fi nden. Typen statt Stereotypen. Es wundert deshalb wohl nicht, dass auch MGMT, Pete Doherty und Beth Ditto (im Video zu „Heavy Cross“) Geschmack an dem Label gefunden haben. Menschen mit Geschichten. Geschichten, denen Frank Herzberg mit offenem Denken zuhört und aus ihnen lernt. Nicht aufhören neugierig zu sein. Weitermachen, sich beständig weiterentwickeln. „Wenn man den Anschluss nicht verliert, dann bekommt man auch keine Kopfschmerzen.“ Alles ist schon einmal dagewesen. Aber auch alles ist möglich. Genau darin besteht die Chance. Ein Remix, ein New Rave, ein neuer Tanz, ein neues Beben und Zittern. Dabei spielt es keine Rolle, woher man kommt, welchen Beruf man hat oder welchen Freundeskreis. Denn Mode fragt nicht nach Herkunft; sie fragt danach, wer du heute, jetzt, hier, sein möchtest. Wenn man das noch nicht weiß, dann nimmt sich Moderegisseur Frank Zeit für deine Geschichte und nimmt dich ein Stückchen mit in seine Welt von Neon Elektrisch.

60 61Heimatkleid 62 63Heimatkleid

Frank Herzberg Neon Elektrisch

> neon-elektrisch.de

Text Amelie HauptstockFotos Philipp Wente

„Geh deinen Weg und lass die Leute reden“ – irgendwie könnte kein Spruch treffender sein für das, was bei Neon Elektrisch

miteinander verbunden wird. Mode ist heutzutage grenzenlos und es wird immer schwieriger sich abzuheben. Aber es braucht auch den Mut,

sich abheben zu wollen. Für diese Menschen kombiniert derModedesigner Frank Herzberg bereits Getragenes mit zeitgemäßen

Schnitten und neuen Stoffen zu einer Stilcollage.Elektrisch-Eklektische Unabhängigkeit.

58 59Heimatkleid

ÖFFNUNGSZEITEN-CLUB: SA UND JE NACH EVENT: 23H - 6H | ÖFFNUNGSZEITEN-RESTAURANT: DI - SO: 18H - 23H

WWW.U-VIEW.ME TEL: 0231 880860-0 | DORTMUNDER U | 7. OG | LEONIE-REYGERS-TERRASSE | DORTMUND

BIGSIZECLUBRESTAURANTUNDEVENTLOCATIONÜBER DEN DÄCHERN VON DORTMUND

Vom Candlelight Dinner für zwei, über eine unvergessliche Clubnacht, bis zur Firmenveranstaltung mit 800 Personen (in Kombination mit dem RUBY). Wir sind immer für Sie da!

Anfragen für Firmenevents: [email protected]: www.u-view.me

anz view 230x297 dez11.indd 1 05.12.11 15:42

Heimatkleid 64

Server geflossen, wo sie sich nach und nach zu einem großen Text verdichteten. Das Ergebnis ist seit Frühjahr in Buchform erhältlich – 3000 Seiten, ohne Absätze, auf Dünndruckpapier. „2-3 Straßen TEXT“ ist der schlichte Titel des Wälzers, der gemeinsam mit einem, weitaus dünneren, Making Of-Band in einem Schuber aus rusti-kaler, brauner Pappe steckt. „Wir sind zu sechst, und es ist wohl der erste Eintrag überhaupt, und wir haben der Welt folgendes zu sagen:“ steht es auf der ersten Seite und dem Umschlag. In der Tat: Sie haben viel zu sagen, auch wenn es im Buch bewusst nicht kenntlich gemacht wurde, wann oder von wem die Textpassa-gen verfasst wurden. Der Text fließt chronologisch, der Leser kann aber durch Hinweise im Text, wie auf die Loveparade-Katastrophe, einen zeitlichen Zusammenhang herstellen. Banales trifft auf Poesie, Tagebucharti-ges auf Politisches auf Alltägliches, die Sprachen und die Schreibstile wechseln abrupt. Im schmalen Making of-Band finden sich fotografische Eindrücke des Jahres, dazu vertiefende Texte und Essays wie das Original-konzept von Jochen Gerz oder der Text „Schenk mir einen Satz“, in dem die Teilnehmerin und Satzsammlerin Isabelle Reiff davon berichtet, wie sie mit ihrem Laptop durch die Dortmunder Nachbarschaft streifte, bis hi-nein in türkische Teestuben, immer auf der Suche nach Menschen und deren persönlichem Text. Und da man den Wälzer eher schlecht in der Straßenbahn lesen kann, arbeiten die Organisatoren um Jochen Gerz an einer iPad-Version des Textes; wenn auch mit anfänglichen Startschwierigkeiten: Unter dem Ansturm der Millionen

von Buchstaben brach die Technik zusammen. „Klar haben uns die bisherigen Bewohner erstmal kritisch angeschaut, als wir hier angefangen ha-ben“ sagt Volker Pohlüke. Auf einmal kamen Touristen, die in Besucherschulen durchs Viertel geführt wurden, verbunden mit großer Medienaufmerksamkeit. „Die Leute fühlten sich wie Subjekte im Zoo“ ergänzt Guido Meinke, „aber das hat sich nach und nach gegeben, als die merkten, dass wir es ernst meinen.“ Die beiden haben 2010 aktiv den Dortmunder Teil von „2-3 Straßen“ mitgestaltet – und ma-chen weiter. Geschrieben wird nicht mehr, 3000 Seiten sind nun wirklich genug, stattdessen wurde mit „Machbarschaft Borsig11 e.V.“ ein Verein gegründet, der die Bevölkerung mit einbindet. „Bor-sig11“ will ein „Labor, ein Inkubationszentrum für kulturelle, soziale und ökonomische Praktiken, das die Gegebenheiten vor Ort aufnimmt“ sein; das „Experiment mit der Wirklichkeit“ soll weitergehen. Alles bündelt sich in Büroräumen direkt am Borsigplatz, die von „Evonik“ zur Verfügung gestellt wer-den und auch so aussehen – Zweckmobiliar eben. Dafür sind die Räume mietfrei – als Gegenleistung hilft „Borsig11“, leerstehende und günstige Wohnungen im Viertel an Studenten zu vermitteln. Dabei ist ausdrücklich gewünscht, dass die neuen Mieter aktiv bei den Projekten des Vereins mithelfen.Angeschoben wurde seit der Vereinsgründung im August 2011 schon einiges: Es gibt eine Fahr-radwerkstatt, die Kindern und Erwachsenen bei Reparaturen hilft, Einkaufsgemeinschaften, einen Coworking-Space und eine angenehm wilde „Weltbibliothek“, in der man Bücher zwar nicht leihen, aber spenden und tauschen kann. Hier steht Max Frisch neben Disneys lustigen Taschenbüchern, auf vielen Buchrücken findet man arabische Schriftzeichen. Mit der „Galerie im Treppenhaus“ haben

Volker Pohlüke und Anna Wiesinger Farbe in triste Flure gebracht. Während „2-3 Straßen“ haben sie die Nachbarn im Oesterholz-Karree nach deren Lieblingsfarben gefragt. Nach den Antworten wurden quadratische Farbtafeln gefertigt, die nun in den Treppenhäusern vor den entsprechenden Wohnungs-türen hängen. Zudem wurde mit „Borsig out of the Box“, kurz „B-Box“, ein kubisches Sitz- und Stapel-element aus Wellpappe entwickelt, das nicht nur bei Messen oder Großveranstaltungen zum Einsatz kommen kann, sondern auch zu Hause. Mit der „B-Box“ lassen sich ganze Bücherregale errichten, jedes Element (Kantenlänge: 45 cm) ist jeweils nur 3 kg leicht, trägt aber eine Last von bis zu 1300 kg. Die Erlöse aus dem Verkauf fließen natürlich wieder in die „Borsig11“-Aktivitäten. Und – man trägt wieder Schnurrbart am Borsigplatz, und zwar als T-Shirt-Aufdruck. Designer Mathias Lempart hat das Label „Matistache“ 2010 in Dortmund gegründet und vom Borsigplatz in die weite Welt getragen. Im Januar 2011 stellte er seine Debütkollektion auf der Berliner Fashion Week vor; mittlerweile gibt es nicht nur T-Shirts, sondern auch Röcke, Tanktops und Unterwäsche, die auch europaweit in ausge-wählten Boutiquen zu finden sind.

Sicher, manche dieser Ideen, wie die Treppenhaus-Galerie, wirken eher putzig. Sie funktionieren aber, wenn auch auf kleiner Ebene. Die Nachbarn fühlen sich eingebunden in dieses partizipative Projekt. Selbst Kinder können mitmachen, und wenn sie nur erfolgreich den angelegten Mietergarten vor randalierenden Idioten be-schützen. Man spürt diese Begeisterung auch bei den Machern Pohlüke und Meinke, die schon viel weiterden-ken; daran, wie nicht nur Studenten, sondern auch Sozial-Unternehmen an den Borsigplatz gelockt werden können, oder wie man Zeit-Konten entwickeln kann, auf denen die Zeit, die eine Person aufbringt, um z.B. die alte Dame von nebenan zu besuchen oder für sie einzukaufen, angespart und später in eigene Betreuungszeit umgetauscht werden kann. Das ist aber noch Zukunftsmusik, aber man merkt: Eigentlich ist diese Geschich-te doch noch nicht zu Ende geschrieben, auch wenn Guido Meinke energisch betont: „2010 waren wir Kunst, jetzt nicht mehr!“ Vielleicht kann das Buch „2-3 Straßen TEXT“ als ein 3000 Seiten langer Prolog verstanden werden; vor dem, was da noch kommt.

„2-3 Straßen TEXT“Eine Ausstellung in Städten des Ruhrgebiets

von Jochen Gerz. Text- und Making of-Band, 3000 Seiten,

2 Bände im Schuber, Dumont Verlag, 86.- Euro

Erhältlich über www.2-3strassen.com

95Heimatgedanke 94

»Der perfekte Augenblick«

21  / 01—09 /  04  / 2012

Museum Ostwall im Dortmunder UEINE AUsstEllUNg IN KOOpErAtION MIt DEr AlBErtINA, WIEN.

www.museumostwall.dortmund.de

Alex KAtz

Alex

Kat

z, B

ig R

ed S

mile

© V

G B

ild-K

unst

, Bon

n 20

11

Ges

taltu

ng: l

abor

 b d

esig

nbür

o

Katz_Anzeige_Heimatdesign_02RZ.indd 1 07.12.11 16:03

Indie – Heimatkunde

224 Seiten gemischte Gefühle – das „Ruhrgebietsbuch“ von

Markus Weckesser und Jörg Sundermeier wagt einen anderen Blick auf die Region.

„Ruhrgebietsbuch“ Markus Weckesser & Jörg Sundermeier (Hrsg.)

Verbrecher-Verlag, 2011224 Seiten, 12 Euro

höhe, wo die Kneipen entweder zumachen oder zur Sky Sportsbar werden. Man kann die Gegenwart nicht verstehen, ohne sich die Vergangenheit zu vergegenwärtigen – das haben auch die Herausgeber begriffen. So findet sich ein Fragment von Egon Neuhaus autobiografi-schem Roman „Spinnewipp“, der realistisch über den Neuanfang im Revier nach dem zweiten Weltkrieg schreibt: „Im Paradies“. Das in diesem Fall ein übrigge-bliebener Bunker ist. Man blickt auch kulturell zurück, z.B. auf Helmut Meyer, laut Überschrift „Oberrealist, kackfrech“, ab 1971 Kulturdezernent von Mülheim an der Ruhr und Mitinitiator des Theaters an der Ruhr. Sein Ziel war, die Kultur für alle zugänglich zu machen, er forderte aber gleichzeitig auch die Bereitschaft, sich „auf neue Bilder, komplexe Texte und fremde Erlebnis-se einzulassen (…). Öffnung ist daher alles andere als Popularisierung.“ Wie hätte wohl eine Kulturhauptstadt Ruhr.1978 unter seiner Mitwirkung ausgesehen? Christoph Ribbat blickt ironisch nach Berlin-Moabit, in die dortige Bochumer, Essener und Dortmunder Straße, wo er Luxus-Wohnungen wie die „SpreeVilla Westfalia“ vorfindet, die wahrschein-lich deshalb so heißt „weil exakt null Personen eine Wohnung in der SpreeVilla Ruhrgebiet kaufen würden.“ Bewährt komisch: Alexander Kluges „Gespräch“ mit Helge Schneider als arbeitsloser Stahlarbeiter über Karl Marx. Oder so. Viel zu kurz, aber gut ist Enno Stahls böse Triade über das Ruhrgebiet und dessen Selbstverständnis; Stahl beschreibt das Ruhrgebiet aus niederrheinischer Kindheitssicht als gigantische „City of Light“, um sich dann über „diese SPD-Archi-tektur“, den „Kleingeistmatsch“ und die „(anti-)kultu-relle Blödigkeit“ mal so richtig auszukotzen.

> verbrecherverlag.de

Text + Foto Volker K. Belghaus

Geht’s noch? Noch ein Buch über das Ruhrgebiet!? Hat da einer den Schuss nicht gehört? Oder die sich biegenden Büchertische im Jahr 2010 erfolgreich verdrängt; inklusive dem gefühlt zehntausendsten Pommesbudenführer oder dicken Textschwarten, in denen Funktionäre und Politiker die „Metropole Ruhr“ beschwören? Braucht man noch ein „Ruhrgebiets-buch“ wie dieses, oder ist das nicht völlig überflüssig? Thematisch vielleicht, inhaltlich auf keinen Fall. Der optisch angenehm unauffällige Band, den Markus Weckesser und Jörg Sundermeier im Berliner „Verbrecher-Verlag“ herausgebracht haben, bildet den Gegenpol zur üblichen, bunten Touri- und Folklorelite-ratur. Direkt im ersten Beitrag enttarnt Oliver M. Piecha den Metropolenbegriff als visionären Schnee von Ges-tern – und zitiert den Journalisten und Schrift steller Alfons Paquet, der bereits 1930 begeistert von dem „Riesengebiet städtischen Werdens“, dem „einzigen Zusammenhang“; der „StädteStadt“ fantasierte. Irony is over und die Kulturhauptstadt sowie-so, das Metropolendorf ist wieder ganz bei sich, ver-schrottet die letzten Visionen und die Stahlkonstruktio-nen, die mal Museum werden sollten, wie in Duisburg, gleich mit. Pfusch am Bau. Dann doch lieber zurück in den Alltag wie André Boße und Marc-Stefan Andres, die sich an Samstagen in die Regional expresse gesetzt und mitgeschrieben haben. Fußballgespräche, Schü-lergespräche über Philosophie (neuestes Schimpfwort „Du Hegel!“), Flaschensammlermonologe zwischen Duisburg und Dortmund. Oder der Text vom traurigen Wolfgang Welt, der in den 80er mal als der Popliterat des Ruhrpotts galt, und heute als Pförtner im Bochu-mer Schauspielhaus arbeitet: „Peter Handke würde sich nicht wohlfühlen“ im Bergarbeiterviertel Wilhelms-

96

Diese Ausgabe des Magazins steht unter dem Motto „Weitermachen!“ – das gilt auch für Heimatdesign selbst. Seit dem letzten Heft Ende 2010 hat sich einiges getan am Hohen Wall. Im Frühjahr 2011 wurde die Idee der „Ständigen Vertretung“ im Erdgeschoss auf das Gebäude skaliert. Die erste Etage wurde zum Coworking-Space ausgebaut; es stehen 25 mietbare (tages-, wochen- oder monatsweise) Arbeitsplätze zur Verfügung; ausgestattet mit einem Schreibtisch, Strom, schnellem W-LAN, Dru-cker, Kopierer, Scanner und Fax. Ein Konferenzraum, inklusive Technik, kann nach Bedarf hinzugebucht werden; für Begegnungen mit anderen Co-Workern der unterschiedlichsten Disziplinen ist der „Social Space“ zugänglich. Zudem können geschlossene Büroräume im Gebäude angemietet werden. Ziel des Coworking-Space ist der Austausch und das gegenseitige Profitieren der dort Arbeitenden, ob das kleine Unternehmen aus den Bereich der Kreativwirtschaft (und natürlich auch darüber hinaus) sind oder aber Institutionen wie der Hartware Medien-KunstVerein (HMKV), der mit seinen Büros eine Etage in der „Ständigen Vertretung“ bezogen hat. Für das Früh-jahr 2012 ist eine feste Seminar- und Workshopreihe unter dem Arbeitstitel „Bildung 2.0“ geplant. Im neu gestalteten Heimatdesign-Shop im Erdgeschoss kann man auch weiterhin schicke Sachen kaufen – Mode, Möbel, Lichtobjekte und Accessoires. Für Menschen, die nicht persönlich im Laden vorbeischau-en können, gibt es den frisch installierten Online-Shop. Direkt nebenan, im Ausstellungsraum, bietet Heimatde-sign jungen Designern, Fotografen, Illustratoren und Künstlern monatlich die Möglichkeit, sich und ihre Arbeiten vorzustellen. 2011 waren neben vielen Dortmunder Positionen beispielsweise der dänische Künstler„Scrmn“, das neue Möbel-Label „kaschkasch“ und der Bochumer Teppichdesigner Jan Kath zu Gast. Zudem ist im Februar der Magazin-Fanzine-Workshop „Zinefactory“ geplant. Dabei geht es um handge-machte Magazine – gemeinsam gestaltet, recherchiert und illustriert. Und vom 16. bis 22. Januar schlägt Heimat-design mit der „Designers Fair 2012“ wieder in Köln auf. Parallel zu den „Passagen“ zeigt die Indie-Möbelmesse im Design Quartier Ehrenfeld frische und innovative Designtrends. Ach ja: Heimatdesign ist museumsreif – das Heimatdesign-Magazin hat es bis ins jüdische Museum Berlin geschafft und ist dort in der Ausstellung „Heimatkunde“ zu sehen.

Was war, was ist, was kommt am Hohen Wall 15. Und darüber hinaus.

> heimatdesign.de> designersfair.de> staendigevertretungdortmund.de

Heimatdesign:Stand der Dinge

Bild Heimatdesign

98 99

Foto: Tinvo / photocase

It started with a KIS

www.kis.dortmund.de

kulturinfoshop in der SparkasseKatharinenstraße 1 · 44137 DortmundTelefon (0231) 50 27 710 · Fax (0231) 50 27 740E-Mail [email protected]–Samstag 10:00–18:00 Uhr

InfosTicketsKIS

68 69

Manchmal weiß sie gleich, was sie mit einer Klamotte aus dem Second-Hand-Laden anfangen kann, manch-mal liegen die Sachen monatelang in ihrem Atelier, bis ihr die passende Idee dazu kommt. Mit einem Shirt aus ihrer 2010er Kollektion April, April lässt sich auf humorige Weise die Sehkraft der Mitmenschen testen und gleichzeitig Werbung in eigener Sache machen. Ja, die Lena ist schlau und nimmt außer dem alles an die Kette, was nicht niet- und nagelfest ist. Schallplatten, Bügeleisen, Pferde und Wolken: zum um-den-Hals hängen. Papierschiffchen-Print und Bar-bie-Schuh-Ohrringe huldigen das Kind in uns. Die Mi-schung ist ein wenig schräg, irgendwie retro, manch-mal 80er und trotzdem charmant. Lena lacht viel, und das sieht man ihren Entwürfen an. Auch wenn sie sich auf Fotos gern versteckt, so ist ihr Augenzwinkern in den Kollektionen nicht zu übersehen. Und wieso eigentlich Trinkhallen Schickeria? So genau festlegen mag sich das echte Kölner Mädel da nicht, aber der Name trifft doch ziemlich genau ihre Art zu Arbeiten. So steht die Trinkhalle für das Einfache, für die Basis ihres Entwurfes (Papas Hemd, das alte Bettlaken, die Teddybär-Brille) und die Schi-ckeria für das, was sie daraus macht. Etwas Besse-res, Elegantes und Besonderes eben. Lenas Werdegang ist stringent und zielge-richtet: Textiltechnikschule in Offenbach, Praktikum bei Achim Lippoth (kid‘s wear magazine), Praktikum bei einem Modelabel, dann Studium Modedesign in Köln. In dieser Zeit hat sie auch angefangen, unter ihrem Label Trinkhallen Schickeria ganz nebenbei Klamotten zu nähen. Gerade hat sie in Köln-Kalk ihren ersten eigenen Shop eröffnet. Und wie geht’s weiter? Im Moment ist Lena ganz zufrieden, wie es um ihr Label steht. Eine Schneiderin einstellen zu können und jemanden, der sie in ihrer Chaos-Organi-sation unterstützt sind Ziele, die sie gern bald errei-chen würde. Denn bisher näht sie alles nur mit Hilfe einer einzigen Assistentin selbst. Herzblut und Energie investiert Lena nicht nur in ihr eigenes Label, sie organisiert mit einer Freundin auch den Super Markt, den größten Kölner Design-Markt. Ihre Kleidung findet man im neuen Ladenlokal und im Online-Shop, und auch in verschie-denen Läden in Köln, Berlin, Hamburg, Leipzig und Hagen. Und dann gibt es noch den Vintage-Online-Shop can you keep a secret? – aber keine Angst, das Angebot aus Kleidung, Schuhen und Accessoires gibt es auch im realen Leben in Kölner Geschäften wie Goldig und Paradies Apfel.

70Heimatkleid 71

… und besonders Letzteres macht sie gut. Lena Schröder kann fast alles und ihre Klamotten sind nicht nur schön, sondern auch lustig, selbstbewusst und manch-mal ein bisschen übermütig. Die Brille zu klein, der Kragen zu groß – Lena geht gern ins Extrem. Es ist eigentlich immer ein altes Wäschestück, das Lena Schröder als Grundlage und Inspirationsquelle für ihre Entwürfe verwendet – daraus entwickelt sie dann ihre eigenen Kreationen. Aus Altem macht sie Neues und aus Fröschen Prinzen. Für ihre aktuelle Kollektion (2011) I wanna be a yuppie sind Business-Hemden und Jacketts Basis der Entwürfe gewesen. Durch Spitze und Schleife tragbar gemacht für die urbane Frau. Aus dem Hemd wird so ein Kleid. Lässig-eleganter Mädchen-Hinterhof-Vintage-Schick. Entworfen hat sie alles an der Schneiderpuppe; drapiert und gebastelt bis es passte. Zehn Entwürfe umfasst die diesjährige Kollektion. Jedes Teil ist ein Unikat, weil das Ausgangsstück ja immer ein anderes ist.

> trinkhallen-schickeria.de> canyoukeepasecret.de

Lena Schröder / Trinkhallen Schickeria

Ich verstecke mich gerne auf Fotos. Ich liebe schlafen über alles und Süßigkeiten.

Ich mag schöne Sachen machen…

Text Ulrike HiltawskyFotos Tillman Betz

Fotoassistenz Joel StückradStyling Christina NeussModels Firu und Valeria

67

Wie Obstkisten auch nach ihrer Diensterfüllung fruchtig weiterleben,das demonstriert Anna Sommerer mit ihren Apfelketten-Kreationen.

Wie man sich statt vor das leere Blatt zu setzen lieber mal ansAufräumen macht und das Tagespensum trotzdem schafft, das zeigt

sie ganz nebenbei in ihrer Abschlussarbeit über Prokrastination.

Text Amelie HauptstockFotos Anna Kopylkow, Anna Sommerer

> annasommerer.de74Heimatkleid 75

So jung hatte ich sie mir gar nicht vorgestellt. Aber ich weiß gar nicht, was ich erwartet hatte von einer Pro-duktdesignerin, die ihre Abschlussarbeit über Prokrastination abgeschlossen hat, also über ein Thema, das gerade eben ein (termingerechtes) Abschließen ausschließt. Aufschieben, das scheint eine Trend-Begrifflichkeit unserer Zeit zu sein, dazu noch ein selbster-wähltes Charakteristikum der kreativen Branche. Die Idee hinter dem Projekt: Mit zeitbegrenzt vorgegebenen Aufgabenhäppchen und einem Augenzwinkern der permanenten Aufschiebung entkommen oder sie eben ganz bewusst zulassen und die entstandene gute Laune genießen. Ich finde das eine sehr schöne Vorstel-lung. Wenn man schon kreativ mit den eigenen Schaffensprozessen umgeht, warum nicht mal zwei Würfel entscheiden lassen, ob man die nächsten 25 Minuten arbeitet oder stattdessen spazieren geht? Oder der Ent-scheidung der Münze folgen, die einen zum Spülen verdonnert und danach erst zur Projektarbeit? Man kann auch ein kleines Aktions-Holzstäbchen aus dem Jutebeutel ziehen und packt sich, der Vorgabe auf dem Holz folgend, die Lieblingsmusik auf die Ohren. Das alles wird für die „Prokrastinationskönige und -königinnen“ einzeln oder als Pro-Paket angeboten, so dass die Betroffenen oder die Vorbeugenden ihre private Prokrasti-nations-Möglichkeit im Regal haben können.

76Heimatkleid 77

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

CREATIVE STAGE ist ein Format der Wirtschaftsförderung Bochum, der Essener Wirtschaftsförderungsgesellschaft mbH, der Wirtschaftsförderung Dortmund / Kulturbüro Dortmund, der Gesellschaft für Wirtschaftsförderung Duisburg mbH sowie der Wirtschaftsförderung metropoleruhr GmbH.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

EinE BühnE für diE AktEurE dEr krEAtivwirtschAft dEr MEtropolE ruhr / 2012. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20.03.2012 DoRTmunD / 09.05.2012 DuISBuRG / 03.07.2012 BoCHum / 19.09.2012 ESSEn

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Kontakt: [email protected]. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Mehr Infos unter:www.creativestageruhr.de. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Foto: Daniel Gasenzer

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Konzept/Umsetzung:. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

In Kooperation mit:

Angefangen hat die Produktdesignerin Anna Sommerer während des Studiums mit kleinen Broschen aus alten Obst- und Gemüsekisten. Ein Freund hatte ihr gesagt, dass in dem Bioladen, in dem er arbeitet, jeden Tag ein großer Haufen davon weggeworfen wird. Anna nutzte die Gelegenheit und bastelte in den Werkräumen an ihrer Uni in Krefeld erste Apfelbroschen für Freundinnen. Dann Ketten. Dann kamen erste Läden auf den Ge-schmack. Die Ketten bestehen aus zwei aneinander geleimten Orangenkistenäpfeln, die durch eine schwarze Ringkette oder einem robusten Schuhlederband tragbar gemacht werden. Es gibt bedruckte und unbedruckte Äpfel und Apfelkitschen – je nachdem, welches Material gerade abgeworfen wurde. Farbenfroh oder dezent, etwa keksgroß und, weil aus wiederverwerteten Kisten, auch nur als Einzelstück vorhanden. Irgendwie ist der Apfel sympathisch, denke ich. Das kann aber auch an der Frau liegen, die vor mir sitzt und einfach erzählt, wie sie bei den Pfadfi ndern früh gelernt hat, eigenverantwortlich Projekte durchzuführen und auch Verantwortung für andere zu übernehmen. Wie man es schafft, aus Eis Skulpturen entstehen zu lassen und in Finnland zu arbeiten. Oder wie ein Missverständnis dazu führte, dass sie in Buenos Aires doch keinen Praktikumsplatz sicher hatte, was sie aber erst nach ihrer Ankunft erfuhr. Und wenn man diesen ganzen Fluss an Erlebnissen so aufnimmt, dann kann man sich in keiner Minutevorstellen, dass Anna Sommerer ihr eigenes Aufschiebe-Paket selbst gebrauchen kann. Ach, sagt sie da, ich drücke mich gerade auch vor der Planung der Produktion der Prokrastinations-Beutel. Na, denke ich, das wird wohl nicht lange dauern, bis auch dieses Projekt angegangen wird. Erfolgreich, denke ich dann noch. Dann fällt mir ein, dass es in meiner Spüle gerade ein Großtreffen der kochbenutzten Gegenstände gibt und dass mein Schrank noch auf seinen zweiten (krummen) Vorhang wartet, um die kreative Wirtschaft dahinter zu verbergen.Ich sollte mir ein Würfelpaket vorbestellen. Ich bin mir sicher, dass sich mein Verhalten langfristig mit der Auf-gabenzuweisung durch eine Münze oder Holzstäbchen nicht ändern wird. Aber es verändert die Perspektive auf die ausstehenden Anliegen von einem großen Berg hin zu kleinen bewältigbaren Häufchen. Solange ich den Aktions-Beutel noch nicht bei mir habe, arbeite ich erst mal so weiter wie bisher. Zum Glück ist genug Zeit zum Spülen heute. Oder lieber morgen. Eilt ja nicht.

78Heimatkleid 78

Thekenband ist so ein Begriff, der sich sofort aufdrängt. Sisterking-kong heißt die Band, im Sissiking-kong haben sich die Mitglieder kennengelernt. Dirk Geisler, Song-schreiber der Gruppe, ist sogar Chef des coolen Ladens nördlich des Dortmunder Hauptbahnhofs. Er ist es aber auch, der von die-sem Aspekt gerne ablenkt, denn das würde das Projekt zu sehr auf seine Person fokussieren, sagt er. Doch beleuchtet man die Bandge-schichte um ihn, Sebastian Gröne, Julia Reschucha, Simon Schneider und Peter Schoppa, so wird schon deutlich, dass die Kneipe an der Landwehrstraße das gravitätische Zentrum ist, um das die Band kreist. Doch diese Kreise werden derzeit weiter und weiter. Es gibt Stimmen, die behaupten, Sister-kingkong sei im Moment eine der coolsten Bands des Ruhrgebiets. Dem ist kaum zu wider-sprechen, spätestens seit dem letzten Video. Zum Song „Beast Burn Please Burn“ hat die Bande für Gestaltung für eine spektaku-läre visuelle Umsetzung gesorgt. Darin sehen die Betrachter die vier Herren der Band (Julia kam erst kürzlich dazu) in Lederschu-hen und Casual Chic gekleidet

des Weges kommen und mit entschlossener, doch noch leicht zweifelnder Mine einen Anstieg angehen. Erst auf unbefestigtem Wege, dann hinein in den Wald, über Baumwurzeln, entlang an Ästen sich ziehend, stehen blei-bend, mit Schweiß auf der Stirn nach oben schauend. Eine Tortur, eine Zumutung, Anstrengung. Die Musik zieht an, wird lauter und schneller, die Mühen des Kraxelns extremer, auf allen vieren geht es die abrutschende Halde hinauf, durch den dunklen Boden aus Schlacke und vereinzelter Vege-tation. Zum Schluss ist es reiner Kampf und Krampf, Schweiß fließt in Strömen, die Kleiderordnung ist dahin, die Schuhe ruiniert, das Quartett strebt aber weiter dem vermeintlichen Gipfel zu. Dann sind die Jungs oben, was sie dort erwartet: wir wissen es nicht, er-fahren es nicht. Ein wunderschö-ner Song mit der richtigen Dosis Pathos, ebenso einfach wie ele-gant umgesetzt. Ein kleiner Film vom, ja, „Weitermachen“, vom Durchhalten, auch von Arbeit und einer lockeren, unverkrampften Art von Teamgeist. 3 Minuten und 26 Sekunden, die dem Bandpro-jekt grandios zu Gesicht stehen.

> sisterkingkong.de

Sie gelten schon als die coole neue Band imRuhr gebiet. Sisterkingkong kommen aus dem Umfelddes Dortmunder Sissikingkong. Doch eine schlichte

Band zur Bar sind sie nicht, wie allerspätestensihr cooles Video „Beast Burn Please Burn“, realisiertvon der Bande für Gestaltung, beweist. Im Frühjahr

kommt die Platte. Ein Porträt.

Besserals Bier, Bar, Band

Text Tom ThelenFotos Bande – Für Gestaltung! (Screenshots aus dem Video „Burn Beast Please Burn“)

8382Heimatlust

„Das war ziemlich steil da und ich hatte richtig Höhenangst“, be-richtet Dirk Geisler von den Dreh-arbeiten auf der Halde in Hom-bruch. Nach langer Diskussion (eines der Kennzeichen der Band) hatte sich das Drehbuch durch-gesetzt, das den Kampf gegen den eigenen Schweinehund, den ja auch der Text des Songs meint, auf diese frappierende Art visua-lisiert. Und der Clip zeigt erneut eine Band in Bewegung. Schon im ersten Video von Sisterking-kong, „The Glory Is Lost“, sind sie unterwegs. Eine interessant gefilmte Fahrradtour, lässig unan-gestrengt, unglamourös, und auf eine so bemerkenswert unpräten-tiöse Art cool. Von jener spezi-fischen Coolness, die nicht auf Dresscodes, Marken, Distinktion beruht, sondern etwas undefiniert zwischen Flaschenbier, Angrillen, Fußballgucken und viel-zu-spät-ins Bett-gehen entsteht. Womit wir wieder in der Kneipe wären. Hier hat alles angefangen, hier im Keller neben der Kühl-anlage wurde ihre Musik geboren. Geisler hatte irgendwann Ende

der Nuller Jahre nach einer Pause wieder begonnen Musik zu ma-chen: Erst im Sissi-Keller, dann im unweit gelegenen Proberaum. Die anderen kamen hinzu: Simon Schneider (Bass), geboren 1984, spielte bei Eat More Plastic, spielt auch noch bei Ritalin Ray (kürz-lich als Demo des Monats in der Vision), Sebastian Gröne (Schlag-zeug), Jahrgang 1978, Ex-Kasino und Peter Schoppa (Gitarre), aus 1971, spielte schon bei Les Jacks, Air6, American Lead Guitar. Ein dreiviertel Jahr lang zog sich die Namensfindung der Formation. Viel wurde offenbar darüber dis-kutiert, letztlich schlug Sebastian Sisterkingkong vor, was nach Ab-stimmung mit einfacher Mehrheit angenommen wurde. Mit dem Song „Sister Kingkong“ von Udo Lindenberg hat das also nicht viel zu tun, auch wenn sich niemand gemüßigt fühlt, sich davon zu di-stanzieren. Die Truppe hatte dann bei der 10-Jahre Ekamina-Party im August 2010 einen ersten bedeu-tenden Auftritt, natürlich im Sissi-kingkong. Wo sonst? Es lief glän-zend. Der Auftritt, das Live-Erlebnis

stehe immer noch im Mittelpunkt ihres Interesses, erzählt Geisler. Er schreibt die Songs, stellt sie im Proberaum vor, gemeinsam mit den anderen Bandmitgliedern werden sie dann entwickelt – „Nach sechs bis siebenmal spielen, wissen wir dann, ob das was für uns ist“. Musikalisch hat sie der Journalistenkollege Jens Kobler mal relativ unwidersprochen der „spezifisch westfälischen Variante anglophilen Indierocks“ zuge-rechnet. Vergleiche, die immer wieder genannt werden sind auch Pavement, Yo La Tengo, The Shins, aber auch Lou Reed und sogar Dylan. Doch darüber macht sich die Band keinen großen Kopf, aus den nicht homogenen Platten-sammlungen ihrer Mitglieder ziehen sie eher Stärke als Zwist, eine allein schon durch das unter-schiedliche Alter ihrer Mitglieder nicht kongruierbare Musiksozia-lisation amalgieren sie zu eigener musikalischer Substanz. Als noch junge Band entdecken sie derzeit gerade ihre Stärken, vor allem die Stärken ihrer Songs. Die funktio-nieren in leisen akustischen Ver-

sionen auch, das war eine dieser Entdeckungen, die sie bei einem Auftritt gemacht haben. Irgend-wann im Frühjahr 2012 wird bei ihrem neuen Label VierSieben Records (natürlich aus Dortmund) ihr Album „She Sees Wolves“ erscheinen, das sie in Troisdorf im Studio aufgenommen haben. „Da haben wir uns noch einmal neu gefunden, der Lernprozess der Band hat sich beschleunigt“, findet Dirk Geisler. Ob sie damit zu Stars werden, zumindest regional, das treibt die Band nicht wirklich um. Erst einmal wird die Platte produ-ziert, inwieweit man damit Geld verdienen kann, sie vermarkten kann, das wartet man ab. Alle gehen zumeist kreativen Brot-berufen nach, Simon studiert als einziger noch. „Wir wollen gute Konzerte spielen, haben Bock live aufzutreten“, das ist die Devise. Damit haben sie sich zumindest lokal schon einen sehr hartnäckigen Fanclub erspielt, der für ein viel Mut machendes Feedback sorgt. Ein Konzert in der Pauluskirche sahen kürzlich

gut 350 Leute. Und darin fän-den sie natürlich den Grund zum Weitermachen, der sie antreibe neue Songs zu schreiben. Die Bar, das Sissikingkong, die sorgt für das Umfeld, für kurze Wege, für schnelle Hilfe, für das nicht virtuelle Netzwerk. „Das ist gut hier für Musiker“, erzählt Julia, „jeder kennt jeden, da entwickelt sich schnell was über Bekannt-schaften“. Dennoch ist Sister-kingkong weit mehr als die Band zur Bar. Die Basis der Kreativität der „Schwestern“ ist nicht der Tresen, auf dem die Flaschen Bier stehen. Die Theke reicht viel-leicht als verbindendes Element beim Kicken auf dem Bolzplatz. Um Musik gemeinsam zu ma-chen, gute Musik zumal, braucht es mehr. Sisterkingkong spielen schon lange nicht mehr auf dem Bolzplatz.

> bandefuergestaltung.de84 85Heimatlust

Modeltätigkeit wieder. Da war sie für H&M genauso zu sehen wie für das ungleich coolere Label „schwarzwaldkirsch“. Was da als nächstes kommt, steht in den Sternen, über etwaige Angebote schweigt Süggeler sich aus.

Ich treffe Andi und Alina vor einem Tour-Auftritt im Düsseldorfer Stahlwerk. Zwei lässige, ja irgendwie Popstars, stylish gekleidet, Alina mit Ray-Ban-Son-nenbrille und hohen Schuhen. „Die Jacke ist Vintage, vom Flohmarkt“ erklärt sie und wedelt mit den Pu-scheln. Eine eindrucksvolle Erscheinung – Glamour am Mittag zwischen Tourbus und Soundcheck. Ob die Herren in der Band Druck verspüren, wenn die Frontfrau modisch so extravagant vorausgeht wie Alina? „Klar strengen wir uns da auch mehr an“, sagt Andi, „die Latte wird da ja hoch gehängt. Doch letzt-lich sind wir eben eine Band und wollen uns auf der Bühne wohlfühlen“. Alina weiß auch zwischen dem roten Teppich und dem täglichen Zwei-Stunden-Gig zu unterscheiden: „Da braucht es auch Pragmatis-mus, wir spielen schließlich 25 Auftritte auf der Tour hintereinander, da kann man nicht großartig over-dressed auftreten.“

Der Tourauftakt am Vortag in der Frankfur-ter Batschkapp ist offenbar gelungen, die beiden strahlen, wenn sie davon erzählen. „Seht ihr, wie wunderschön ihr ausseht?“ hat die Band unter ein Foto, das die Fans von der Bühne aus zeigt, bei Facebook geschrieben. Das ist eine besondere An-sprache, die, wie man im Gespräch merkt, ziemlich ernst gemeint ist. „Es war mein größter Fehler, dass ich zu spät angefan-gen habe, mich in Ordnung zu fi nden“, sagt Alina ganz offen. Um diesen Fehler zu ver-meiden, wollen sie ihrem Publikum helfen. „Auf Augenhöhe, wir wollen nicht erziehen“. Und das gelinge, meint Alina, und erzählt quasi als Beweis – und auch ernsthaft erstaunt – dass auch Frauen Kontakt zu ihr aufnehmen würden, die älter sind als sie und sie trotzdem für ihre Botschaft und ihren Stil loben. Mit der Band zusammen sollen die Fans über sich hinauswachsen. Transportiert soll diese freundschaftliche Selbstbewusstseins-Message werden mit Entertainment für alle Sinne. Mode, Visuals, Sounds stimmig verpackt.

Stetig wachsen wollen sie, sich ein Stammpublikum erspielen, in immer größeren Clubs und Hallen auf-treten und auch „richtig dick auftragen“. Als „echte Band“ wollen sie groß werden, darauf legen sie Wert. Sie verstehen sich auch als „Band aus dem Ruhr-gebiet“, hier fänden sie immer noch „Geborgenheit, Familie und die Freiheit, zu tun was wir wollen“. Was sie nicht wollen, ist der Status eines Shooting Stars. „Shooting Star“ sagen sie, meinen aber vermutlich eher „Retorten Band“. Wann sie denn nun genau gemerkt hätten, dass sie jetzt Popstars sind, will ich wissen. „Als wir vorgestern in den Nightliner gestie-gen sind“, witzeln sie in Anspielung auf den großen Tourbus. Doch es seien eben nur wenige Momente, in denen man das merke, dass etwas geschieht, be-haupten sie. Wenn Frida Gold ins Ruhrgebiet kom-men, ist das aber für sie nicht nur angenehm. „Kon-zerte zu Hause zu spielen ist schwierig. Da kommen eben nicht nur Fans, die die Musik lieben, sondern auch Freunde, Familie, Bekannte. Und da will man es besonders gut machen“, konkretisieren sie das Unbe-hagen, das aber doch nur ein leichtes ist.

An das Schaufenster-Konzert können sich die Musiker noch gut erinnern. Auch im Heimatdesign-Shop in Dortmund spielten sie einst ein derartiges Konzert. „Vielleicht machen wir das ja mal wieder“. Als ich vor dem Interview mit Andi und Alina dem Gesprächs-technisch verhinderten Gitar-risten Julian Cassel treffe, der uns aber im Catering Bereich höfl ich einen Kaffee einschenkt, und ihm vom kurzen Leid des Liedermachers Carsten Marc Pfeffer erzäh-le, ist der Musiker deutlich überrascht. „Das wusste ich gar nicht, das tut mir leid“, sagt er. Sie wollen auf sehr nette Art nach oben. Denn sie haben was zu sagen.

> fridagold.com

unter die zehn schönsten Frauen der Welt. Die Band produziert gut platzierte Charthits („Zeig mir wie du tanzt“ (beste Chart-Plat-zierung: 38), „Wovon wir träumen“ (19) oder „Unsere Liebe ist aus Gold“ (32)), die Tour ist glänzend verkauft, Frida Gold gilt als Phänomen und hat auch noch mit Warner eine mächtige Plattenfi rma im Rücken. Und da ist noch der ständige Vergleich mit Kylie Minogue. Der drängte sich bei der versam-melten Presse eben nicht allein deshalb auf, weil Frida Gold als Vorgruppe der Australie-rin agieren durften. Da ist auch etwas, was gerne als Bühnenpräsenz beschrieben wird.

Natürlich war das Bochumer Schaufenster nicht der Beginn ihrer Karriere. Schon in Hattingen, als Schüler, haben Alina und Gitarrist Julian Cassel zusammen Musik gemacht und nicht unerfolgreich an Wett-bewerben teilgenommen. 2007 gründeten sie Frida und spielten fortan jenen tanzbaren Disco-Pop, der schnell ihr Markenzeichen werden sollte. „Damit waren wir damals Außenseiter, beim Emergenza-Festival etwa spielten wir als die einzige Pop-Band“, erinnert sich die Sängerin. 2008 lernte Süggeler, die inzwischen ein ganz klassisches Querfl öten-Studium an der renommierten Folkwang-Universität in Essen geschmissen hatte, Andreas „Andi“ Weizel kennen. Mit ihm zusammen schrieb sie nun Songs, die Band erreichte eine neue Stufe. „Da haben wir gemerkt und gefühlt, dass wir das so richtig machen wollen“, sagen die beiden.

Und doch ist jenes Schaufenster des Klamottenladens noch einmal wichtig: Es gehört zum Modeladen Jungle von Nastasja Vonderstein. Hier half Alina gut zwei Jahre lang ihrer Freundin, beriet, suchte Mode aus, schaute sich Kollektionen von Desig-nern an. Hier entwickelte sie ihren Style weiter, der sie im deutschen Pop von Heute vermutlich zu einer Ausnahmefi gur macht. Ähnlich modeaffi n und extravagant ist viel-leicht noch Mieze Katz von Mia, dann hört es aber schon auf und eine gewisse Bieder-keit gewinnt die Oberhand. Ihre Affi nität zur Mode spiegelt sich daneben auch in ihrer

Sommer 2009. Bochum Total. Carsten Marc Pfeffer, junger Punk-Veteran, jetzt Liedermacher, beginnt sein Solokonzert im Zacher in der Brüderstraße. Doch plötzlich von draußen ein Beat; ein Menschenaufl auf ist zu sehen. Pfeffer, der Lokalheld, ist irritiert, sein Publikum läuft ihm weg, hinaus. Denn ein Haus wei-ter, da spielt eine Band im Schaufenster. Hinter Glas. Die Boxen stehen draußen, die ersten tanzen schon vor der Scheibe, der Pulk wächst schnell an. Das ist Pop, im Schaufenster des Jungle-Modeladens tanzt die schöne Alina Süggeler aus Hattingen. Frida Gold, so heißt die Band, ist auf dem Weg nach oben. So viel ist da klar.

2011 ist die Band schon ein gutes Stück auf der Karriereleiter geklettert, Alina Süggeler ist mittlerweile bekannt aus Film und Fern-sehen. Erst war da MTV, ein mittlerer Hit, sie sangen mit „Wovon sollen wir träumen?“ den offi ziellen Song der Frauen-Fußball-WM, die 26-jährige Alina wurde von der Zeitschrift Prinz zu den 10 wichtigsten Ruh-ries gezählt; sie wurde zudem in die Jury des Eurovision Song Contests 2011 berufen und das Frauenmagazin Grazia kürte sie gar

88 89Heimatlust

Zeig mir, wie du be-rühmt wur-dest

Text Tom ThelenFotosTillmann Betz

Frida Gold aus Hattingen erobern derzeit die Popwelt. Als Außenseiter in der von Punk und HipHop

dominierten Ruhrgebietswelt gestartet, ist die Bandum die schöne Frontfrau Alina Süggeler jetzt schwerangesagt. Das Phänomen im Gespräch und Porträt.

Heimatlust 86 87

92 93

Nachhaltigkeit und Kulturhauptstadt? Ja, da war mal was. Anfangs waren Projekte wie „Land for free“ ge-plant, in dessen Rahmen Kreative und Unternehmer auf ungenutztem Land an der Emscher angesiedelt wer-den sollten. Leider fand das ambitionierte Projekt, wie so viele, nicht den Weg in das offizielle Programm der Ruhr.2010. Und sonst? Einerseits betonierte Nachhaltigkeit in Form von Museen, andererseits einige Projekte, von denen man sich gewünscht hat, dass sie auch nach dem Kulturhauptstadtjahr weiterentwickelt werden können, und dass das Versprechen, Kultur und Alltag zu verbinden, gelingt. Also jene Menschen einzubinden, die sonst nicht ins Museum oder ins Theater gehen; jene, die Kultur als Elfenbeinturm wahrnehmen. Wenn überhaupt. Um das zu erreichen, kann man eine Autobahn sperren und mit Ruhrgebietsvolk füllen, was ja auch funktioniert und beeindruckende Bilder produziert hat. Es geht aber auch anders.

Dass Einbindung und Teilhabe zwischen Mensch und Kultur gelingen kann, zeigte ein weiteres, durchaus ambitioniertes Kulturhauptstadtprojekt: „2-3 Straßen“ des Konzeptkünstlers Holger Gerz. 78 Menschen sind Anfang 2010 ins Ruhrge-biet gezogen; eingeladen, um drei ganz normale Straßen in Duisburg, Mülheim an der Ruhr und Dortmund zu verändern. Sie sind Teil des sozialen Kunstwerks „2-3 Straßen“; ihre Aufgabe ist, dort zu leben und zu schreiben. Ein Jahr lang soll der Text der Straßen entstehen; nicht nur sie selbst sollen schreiben, sondern auch Nachbarn und Besucher. Am Ende sind 887 Menschen unterschiedlichster Her-kunft zu Autoren geworden, 10000 Beiträge sind von den Laptops direkt auf einen

Was übrig bleibt von einem Kulturhauptstadtprojekt:Rund 3000 Seiten Text und Vereine wie „Borsig11“,

der in Dortmund das Projekt „2-3 Straßen“weiterentwickelt.

Text Volker K. BelghausFoto Guido Meincke, Sabine Mattstedt, Sabitha Saul

> 2-3strassen.com > borsig11.de> matistache.de

Ende &91Heimatgedanke 90

Ich habe jemanden kennen gelernt. Nachdem wir die jüngste Zeit damit verbracht haben, bei der einen oder anderen Unternehmung nicht wirklich unauffällig um-einander herumzuschlawenzeln, ist es nun soweit: Er hat mich in seine Wohnung eingeladen, um mich galant zu bekochen. Das ist schön. Ich will aber nicht. Ich hab nämlich ein Trauma. Dieses Trauma schwächt sich trotz konfron-tationstherapeutischer Ansätze mit den Jahren nicht etwa ab, sondern potenziert sich von Männerwohnung zu Männerwohnung derart gewaltig, dass ich mittler-weile tatsächlich nicht mehr in der Lage bin, an das Gute im männlichen Einrichtungsuniversum zu glauben. Und das hat Gründe.

Leergutberge, ungeputzte Fenster, klebrige Badezimmerarmaturen, staubige Fußleisten, Wasserkocher mit Fettschicht, stinkende Wä-schetürme, Schimmelgedöns im Kühlschrank. Das sind KEINE Gründe. Ich kann in Punkto Schmuddel in der Tat eine Menge ab. Das sind Gründe: Kinderkleiderschränke in nachgebildeter Buche-Montur („Wieso klein? Da passt doch alles rein!“), Tittenkunst im Afrika-Style wie nur POCO sie verkaufen kann („Ich fand, die warmen Farben passen gut zur Bettwäsche?!“), zwei unterschiedliche Bett-bezüge auf einem Doppelbett („Die Pokemon-Bettwäsche fand ich echt witzig!“), Sofa im 80er Jahre Schockerdesign mit dicken Brandlöchern („Das hab ich aber von meinem Opa geerbt. Ja, der war Raucher. Wieso?“), wahre Verbrechen in Vitrinenform inklusi-ve leider sehr undezenter Beleuchtung der Rollenspiel-Zinnfigurensammlung („Ja, die hab ich alle selbst angemalt. Cool, oder?“), CDs und – wenn man Glück hat – sogar Bü-cher in Billys in unterschiedlichen Höhen und Farben nebeneinander („Och, is doch egal.“), Lampe neben anstatt über dem Küchentisch

Text Juliane Helmke

Geschmacks- sachen Männer legen Wert auf ihr Styling, ihr Auto und ihren

Elektrokrempel – und wohnen, als ob sie sich einmal zu oft mit ’nem Hammer gekämmt hätten.

(„Ich ess eh immer vorm Fernseher!“), angegilbte und reißbezweckte Poster von irgendwelchen demonstrativ coolen Bands („Wie … Bilderrahmen?!“), braun-grau-gepolsterte Lackstühle in schwarz am Birketisch („Die hab ich vom Sperrmüll! Voll gut erhalten, ne?!“) oder ein 90 Zentimeter Bettchen aus dem alten Jugendzimmer samt eines (!) Kopfkissens und einer (!) Decke („Wieso klein? Also ich pass da rein.“ – „Ja, aber nicht mit mir, du Bumsbirne!“). So. Merke: 1. Eine Männerwohnung hat nicht wie das alte Jugendzimmer auf pluralisierten Quad-ratmetern auszusehen. 2. Kunst von POCO ist keine Kunst. Nein, Kunst von IKEA auch nicht! 3. Witzigkeit kennt entgegen Herrn Kerkeling sehr wohl Grenzen und Bettbezüge dürfen genauso identisch sein wie ein Paar Socken. 4. Man muss nicht alles nehmen, nur weil man es vererbt bekommt. 5. Vitrinen sind der Teufel – egal was drin steht. 6. Zinnfiguren sind genauso anspre-chend wie Kuscheltiere auf Sofalehnen. 7. Regale dürfen sehr wohl identisch sein. Man baut sich ja auch nicht verschiedene Sitze mit verschiedenen Bezügen in die Karre, oder? 8. Vorm Fernseher essen ist äquiva-lent mit Heiratsantrag vor einer Dönerbude. Kommt nur ganz selten gut. 9. Bilderrahmen. Was ist daran so schwer zu verstehen? Schon mal im Museum gesehen, dass da jemand was mit Reißzwecken an die Wand gepappt hätte? 10. Ja, Sperrmüllfunde können was Fei-nes sein. Aber man muss auch nicht jeden Scheiß nach Hause schleppen. 11. Ein Bett ist dann ein gutes Bett, wenn die Frau auch reinpasst UND ein zweites Kopf-kissen und eine zweite Decke vorfindet. Gehe an dieser Stelle zurück zu Punkt 3.

Geschmäcker sind verschieden. Kein Ding. Also wenn du mich zum Essen zu dir nach Hause einlädst, dann bitte hab wenigstens einen. Denn

nur eins ist schlimmer als schlechter Geschmack: gar kein Geschmack!

100 101Heimgeleuchtet / Glosse

TICINO®

andere bauen räder, um die zeit zu besiegen.

wir, um sie zurückzuholen.TICINO 20D MENS’ / BLACK / 20-SPEED

Wir waren schon immer große Fans von handgefertigten Sporträdern aus den

50er und 60er Jahren. Aus dieser Bewunderung hat sich bei uns sportlicher

Ehrgeiz entwickelt. Kann man den Stil und die Handwerkskunst mit moderner

Technik und Mechanik paaren? Funktioniert Liebe zum Detail auch mit heutigen

Herstellungsprozessen? Die Antworten liefert unsere TICINO®-Serie, die hier mit

vielen technischen Feinheiten angeben könnte. Aber dafür ist auf so einer kleinen

Anzeige leider kein Platz. Schade.

ZweIraD eNgels 44137 Dortmund, lange str. 4 (ab 01.03.12 amalienstr. 3) www.zweirad-engels.de

Öffnungszeiten:Mo – Fr 10.00 – 18.30 sa 10.00 – 15.00www.electrabike.de

AZ_TICINO_ZWEIRAD ENGELS_230x148_RZ.indd 1 25.11.11 17:40

Page 8: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

6Workcloud

Alexandra BrandtAmelie HauptstockAnna KopylkowBen SchulzBene BavareseBruno BauchDavid LatzGregor HohenbergIvonne WoltersdorfJuliane HelmkeKatja NeumannLisa SchweizerMarc RöbbeckeMartin KielMartini / Wolfgang KienastMoxie NetworkPhilipp WenteReinhild KuhnRoman KlonekSabine MattstedtTillman BetzTom ThelenUlrike HiltawskyVolker K. Belghaus

Page 9: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Hauptförderer des HMKV:

creative.arte.tv

Medienpartner:

creative.arte.tv

Medienpartner:

PROGRAMM 2012 HMKV im Dortmunder U Leonie-Reygers-Terrasse D-44137 Dortmund

Dortmund Hbf oder U43 + U44 Westentor

Aktuelles Programm, Öffnungszeiten, Kontakt und weitere Informationen unter www.hmkv.de

Foto

: And

rea

Eich

ardt

G

esta

ltung

: ww

w.la

bor b

.de

bis 19. Februar 2012THE OIL SHOWKuratiert von Inke Arns (Dortmund)

28. Januar – 19. Februar 2012 KERSTIN ERGENZINGER: ROTES RAUSCHENEröffnung: Freitag, 27. Januar 2012Stipendium des Landes Nordrhein-Westfalen für Medienkünstlerinnen 2011

14. – 23. Februar 2012 THE WONDERFUL WORLD OF IRATIONAL.ORGauf dem Artefact Festival, STUK, Leuven, Belgien Kuratiert von Inke Arns (Dortmund)und Jacob Lillemose (Kopenhagen)

24. März – 17. Juni 2012SUZANNE TREISTER: HEXEN 2.0FRANCIS HUNGER: HISTORY HAS LEFT THE BUILDINGEröffnung: Freitag, 23. März 2012Kuratiert von Inke Arns (Dortmund)parallel zur 7. Berlin Biennale

24. März – 17. Juni 2012ARTUR ZMIJEWSKI: DEMOCRACIESim Rahmen von Polen in NRW 2012 Eröffnung: Freitag, 23. März 2012Kuratiert von Inke Arns (Dortmund)parallel zur 7. Berlin Biennale

14. Juli – November 2012 SOUNDS LIKE SILENCE (CAGE – 4’33’’ – STILLE / 1912 – 1952 – 2012)Eröffnung: Freitag, 13. Juli 2012Kuratiert von Inke Arns (Dortmund) und Dieter Daniels (Leipzig)parallel zur Documenta 13 in Kassel

HMKV_Prog2012_Heimatdesign_06_RZ.indd 1 01.12.11 17:58

Page 10: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

8

20 Folien 20 Sekunden

jetzt Projekt einreichen & dabei Sein! —

www.pechakucha-dortmund.de

mit freundlicher Unterstützung durch:

Page 11: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

9

20 Folien 20 Sekunden

jetzt Projekt einreichen & dabei Sein! —

www.pechakucha-dortmund.de

mit freundlicher Unterstützung durch:

Page 12: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

ff. Das fortlaufend folgende Magazin

Ein Magazin ist ein Kunstprojekt ist ein Magazin. Das gilt für das „ff. Magazin“ seit der ersten Ausgabe im Jahr 2006 mit dem Thema „Pathos“. Das Magazin ist Ergebnis einer Semesterarbeit im Fachbereich Kommunikationsdesign an der Bergischen Universität Wuppertal. Thema war eigentlich, eine Kampagne für die Uni Wuppertal zu entwickeln; für die damaligen Studenten Julia Meer und Sebastian Glück war aber schnell klar, dass man erstmal „Liebe für die Stadt wecken“ sollte. Eine glatte Werbebroschüre kam da natürlich nicht in Frage. Die beiden Designer, die mitt-lerweile das Grafikbüro „meer | glück“ in Wuppertal betreiben, sprengten Grenzen und konzipierten ein Magazin im Zeitungsformat auf farbigem Papier. Jede Ausgabe ist monothematisch (2006: „Pathos“, 2008: „Geschmack“), gerne mal angenehm textlastig und wird ergänzt durch Fotos und Illustrati-onen, wie z.B. von Wolf Erlbruch. Auf Farbe wird, bis auf das Papier, verzichtet. Die Texte beleuchten das Thema aus den verschiedensten Perspektiven und stammen von Autoren unterschiedlichster Diszipline – Designer, Kunstwissenschaftler, Journalisten, Künstler. Die Ästhetik steht immer im Vordergrund, auch bei der Form des Magazins selbst. Die Papier-größe macht das „ff. Magazin“ ganz bewusst zu einem „sperrigen und geräuschvollen, gleichzeitig aber zarten Objekt“. Das dritte „ff. Magazin“ soll im Frühjahr 2012 erscheinen – 32 blaue Seiten im Tageszeitungsformat und in einer Auflage von 5000 Exemplaren. Thema wird dann „Erinnerung“ sein, und wie bereits bei der Ausgabe „Geschmack“ (2008), möchten Julia Meer und Sebastian Glück das Magazin in einer Ausstel-lung präsentieren, um dem Projekt die notwendige Öffentlichkeit zu verschaffen. Geplant sind begleiten-de Performances, Führungen und Lesungen.

> fortlaufendfolgende.de

Brot & Tradition – Alles außer Altbacken

Brotbackautomaten sind nicht gerade sexy – und das gebackene Endprodukt meist auch nicht. Wenn schon selbermachen, dann richtig. Schließlich zählen 300 verschiedene Sorten zur deutschen Brot- und Esskul-tur. Die Diplomarbeit „Brot & Tradition – Alles außer Altbacken“ von Nina Thöming entstand am Lehrstuhl für Innovation und Gestaltung der Essener Folkwang Universität der Künste und verbindet Tradition und Moderne mit Liebe zum Material. Traditionelle, kera-mische Brotbackformen und Brottöpfe wurden von ihr regelrecht entstaubt und zeitgemäß interpretiert. Neben den schön-schlichten Keramikfor-men mit Holzdeckel gehört auch ein Brotstempel zum Set; ein Holzstab, mit dem man sein selbstgebacke-nes Brot gestalten und beschriften kann. Eine schick illustrierte Broschüre ergänzt das Ganze mit Tipps, Anekdoten, Geschichten und regionaltypischen Re-zepten – so liest man über den Kölner „Halve Hahn“ oder über das „Heimwehbrot – mit Tränen gesalzen“. Thömings Diplomarbeit wurde 2011 von Prof. Anke Bernotat (Folkwang Universität der Künste, Essen) und Dipl. Des. Sönke Hoof (Formfjord Berlin) betreut und beim anerkannten „Lucky Strike Junior Design Award“ mit einer der 27 Anerkennungen für eine Dip-lom-Abschlussarbeit ausgezeichnet. Wir gratulieren!

> gestaltungundinnovation.de> raymondloewyfoundation.com

10Heimatkunde

Page 13: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

KaschKasch

So kann man seine Möbel auch nennen: „Anna-Lena“, „Flachmann“ oder „Pinokkio“. Das passt zur Experi-mentierfreudigkeit von Florian Kallus und Sebastian Schneider. Die beiden Designer sind gelernte Tischler, haben sich beim gemeinsamen Studium an der „Akademie für Gestaltung“ in Münster kennengelernt und 2011 in Köln das Möbel-Label „kaschkasch“ gegründet. Ihre Möbel und Lichtobjekte zeugen von Mut zur Farbe, raffinierten Details und der Liebe zur Hand-werkskunst. Die Beine der Bank-Tisch-Kombination „Pinokkio“ verjüngen sich nach unten, erinnern an die Möbelmode der 50er Jahre und zitieren gleichzeitig rustikale Bauernmöbel. Ansonsten – gepflegter Mini-malismus. Die Deckenlampe „Flachmann“ verzichtet auf alles Überflüssige und besteht aus einem Kabel, einer Glühbirne und einer runden, beschichteten Metallscheibe, die als Reflektionsfläche dient. „Anna-Lena“, die Garderobe aus drei beschichteten, raffiniert miteinander verbunden Metall-Stäben, kann ohne große Montage einfach an die Wand gelehnt oder in die Ecke gestellt werden. „Tamp & Lable“ ist ein Schreibtisch mit integrierter Arbeitslampe, die scheinbar starr mit der Unterkonstruktion aus Holz verbunden, sich aber schwenken lässt und mit einem rot umhüllten Textil-kabel ausgestattet ist. Ihrem Beistelltisch „Pina side table“ haben Kallus und Schneider, genau wie derLampe „Pina table lamp“, identische Standfüße ver-passt, an deren Entwicklung und Konstruktion sie zwar länger getüftelt haben, an der aber die Möglich-keiten des Handwerks deutlich werden. „kaschkasch cologne“ versteht sich als Designbüro, das neben der Möbelkollektion auch Dienstleistungen wie den Entwurf und die Einrichtung von Geschäften und Clubs anbietet. Im Frühjahr 2012 ist „kaschkasch“ auf der Mailänder Möbelmesse und wahrscheinlich im Umfeld der Kölner „Passagen“ und der „Designers Fair“ zu sehen. Eine Frage bleibt aber noch: Warum heißt die Garderobe eigentlich „Anna-Lena“? Ganz einfach: „Weil sie anna Wand lehnt.“

> kaschkasch.de

C-H-Y-V

Das junge Berliner Label C-H-Y-V verbindet in seiner ersten Kollektion urbanes Material mit Motiven aus der Natur. Die in Eigenherstellung gefertigten Modelle mit handgedruckten Prints, die aus Motiven wie z.B. Ornamenten von natürlichen Holzmaserungen oder rauen Sprayspuren aus dem urbanen Raum bestehen, liefern den heutigen Stadtmenschen ein sportiv-schickes Accessoire. Die Macher dahinter sind alte Bekannte aus dem Ruhrgebiet. Ivonne Wadewitz, Herrenschneiderin und jetzt Studentin an der Kunst-hochschule Weißensee in Berlin und Christopher Sens, der an der Uni Duisburg-Essen studierte.

> c-h-y-v.com

11

Page 14: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Design Gipfel Bochum

Braucht das Ruhrgebiet noch einen Designmarkt? Aber klar – vor allem, wenn er so mit soviel Herzblut organisiert wird wie der „Design Gipfel“ und zudem in einer ungewöhnlichen wie interessanten Location stattfindet. Im Herbst 2011 war der „Design Gipfel“ zum ersten Mal in der Bochumer „Rotunde“, dem alten Katholikentagsbahnhof zwischen Bermuda-dreieck und Schauspielhaus, zu finden. Unter einem glitzernden Mirrorball erwartete den Besucher auf 650 qm in familiärer Atmosphäre ein Mix aus Mode, Accessoires, T-Shirts, Schmuck, Produktdesign, Grafik und Illustration. Gegründet und konzipiert wurde der „Design Gipfel“ von den Designerinnen Katherina Lindenblatt und Anna Anastasova aus Münster. Der Erkenntnis, dass es in ihrer unmittelbaren Nähe keine entsprechenden Märkte oder ähnliche Plattformen für junge Designer gab, folgte die eigene Konzeption des „Design Gipfels“, der im November 2010 dann erstmals und höchst erfolgreich in Münster über die Bühne ging. 2011 fanden weitere „Design Gipfel“ in Osnabrück und Bochum statt. Letzterer kam bei Kunden und Händlern dermaßen gut an, dass für 2012 weitere Termine geplant sind – an zwei Wochenenden, jeweils im Frühjahr und im November.

> design-gipfel.de

Warum Dortmund

Die Frage stellten sich die Designer von „gestaltend - Kommunikationsdesign“. Ursprünglich „nur“ als Kalender mit Perspektiven und Momentaufnahmen der Designer gedacht, ist daraus längst ein Projekt mit vielen Möglichkeiten und Motiven geworden. Ab November 2011 gibt es in einem Online-shop neben dem Kalender auch Shirts, Poster und Leinwände zu dem Thema.

> warum-dortmund.de> gestaltend.de

12Heimatkunde

Page 15: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Prax

is fü

r Kar

diol

ogie

+ S

portm

ediz

in I

Dr.

med

. Lod

de +

Dr.

med

. Bru

nke

I Pra

xisk

linik

, Leo

pold

straß

e 10

, Dor

tmun

d I F

on 0

231.

5678

43-0

I k@

rdio

loge

n.de

I w

ww

.kar

diol

ogie

-dor

tmun

d.de

4DHIGHEND

ECHO NEUE

DIMENSION

DER

HERZDIAGNOSTIK

VOLUMEN

LEISTUNG

MUSKELMASSE

Annonce_Lodde 11_11 .indd 1 14.11.2011 20:16:52 Uhr

Clownfisch: Utopia

Clownfisch ist ein Magazin. Clownfisch ist ein Kul-turnetzwerk. Clownfisch ist Wuppertal. Clownfisch sind Beate Barbara Blaschczok und Christian Hampe. Clownfisch sind viele andere. „Clownfisch ist eine leere Lagerhalle; und alles, was dann entsteht, ist ebenfalls Clownfisch.“ sagt Blaschczok in einem Vi-deo, dass auf ihrer Webseite zu sehen ist. Am Anfang war die Idee eines Magazins – einmal jährlich wird ein Thema in die Öffentlichkeit gestellt und auf das Feedback kreativer Menschen gewartet, die sich als Autoren bewerben können. Diese Autoren aller Gen-res sollen sich im Magazin in ihrer „Sprache“ äußern – ob durch Bilder, Texte, Töne oder Bewegung. Das fertige Clownfisch-Statementmagazin liegt dann als „gedruckte Ausstellung“ in Cafés, Galerien, Museen, Clubs und Plattenläden aus. Aber Clownfish ist mehr – drumherum gibt es Veranstal-tungen wie Ausstellungen, Konzerte und Performan-ces zum Thema. Bisher waren das „#1 America“, und die großen Begrifflichkeiten „#2 Zerstörung“ und „#3 Schöpfung“; was soll danach anderes kommen als „#4 Utopia“? Ein Themenkomplex, für den das Medium Magazin scheinbar zu klein geworden ist. Die Macher sind konsequent und bauen mit „Utopiastadt“ eine neue Welt, ein Experimentierlabor, außerhalb der gedruckten Form. Ein konkreter Ort, an dem „kon-krete Utopien“ (Ernst Bloch) entstehen, erarbeitet, verfasst und erprobt werden können. Ein interdiszi-plinäres Kollektiv aus Organisationen und Projekten, Künstlern, Soziologen, Kulturschaffenden, Musikern soll „Utopiastadt“ mit Leben füllen. Mittelpunkt der „Utopiastadt“ ist der ehe-malige Mirker Bahnhof in Wuppertal; langfristig soll hier ein Kultur- und Kreativquartier entstehen, das neben einer Freelancer-Agentur mit Coworking-Areas auch Büroräume und Ateliers anbieten wird. Zudem sind Vorträge, Workshops und freie Bildungsangebote geplant. Für Blaschczok und Hampe ist „Utopiastadt“ ein langfristiges Projekt, das wachsen muss. Deshalb sind sie immer auf der Suche nach Investoren und Partnern, die das Projekt unterstützen und fördern. Keine Atempause, Kultur wird gemacht – denn leere Lagerhallen gibt es, nicht nur in Wuppertal, genug.

> clownfisch.eu

13

Page 16: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9
Page 17: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

01 Garderobenständer „Anna-Lena“ von kAschkAsch in verschiedenen Farben.> kaschkasch.com310 Euro 02 Lichtobjekt „Beute“von hErrwoLkE, in verschiedenen Größen.> herrwolke.blogspot.comab 280 Euro

03 Lichtobjekt „Lampa“ von FrAupAwLik, verschiedene Teekannen.> fraupawlik.blogspot.comab 170 Euro

04 Tisch-/ Bankkombi-nation „pinokkio“von kAschkAsch.> kaschkasch.comTisch 1.550 EuroBank 770 Euro

05 Leuchte „shiny Tara“von ELLips DEsiGn, in verschiedenen Farben und Größen.> ellipsshop.deab 32 Euro

06 hängeleuchte „Ghost“von inTError.BE in zwei Größen und Farben.> interror.beab 180 Euro

07 hocker „super sputnik“ von sismAn, in verschiedenen Farben und zwei Größen.> sisman.deab 188 Euro

Alle Artikel sind auch bei Heimatdesign erhältlich!

Page 18: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

16Heimatobjekt

Page 19: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Garten Eden Super Markt

„Wenn uns kein besserer Name einfällt“, soll Steve Jobs gesagt haben, „nennen wir die Firma einfach Apple.“ Da waren die Tage, in denen er, um einiger-maßen über die Runden zu kommen, als Apfelpflü-cker einer Hippiekommune gearbeitet hatte, noch nicht lang vorbei. Steve Wozniak muss zugestimmt haben. Eine gute, vielleicht war es die bestmögliche Entscheidung. Denn mit jedem erworbenen Apfel trägt die Kundschaft nicht nur ein Stück Obst, son-dern ein facettenreiches und niemals aus der Mode gekommenes Sinnbild ihrer Kulturgeschichte nach Hause. Mit Adam und Eva unterm Baum der Er-kenntnis fing es an. Paris fällte sein Urteil, indem er Aphrodite als schönster Göttin einen Apfel über-reichte. Nur mit List und drei goldenen Äpfeln, welche er von Aphrodite erhielt, gelang es Meilanion, die bärenstarke Atalane zu besiegen. Im Heiligen Römi-schen Reich Deutscher Nation war der Reichsapfel Insignie von Kaisern und Königen. Per Armbrust

Text MartiniIllustration Lisa Schweizer

don’t sit under the apple treewith anyone else but me.

> giesebrecht.com/baumschulen> pomologen-verein.de

musste Wilhelm Tell einen Apfel vom Haupt seines Sohnes schießen. The big apple; seit den 1920er Jahren ein Synonym für New York. Ein Apfel ziert das Label jeder Beatles-LP. Macintosh, das sei am Rande auch noch erwähnt, ist der Name einer kanadischen Apfelsorte. Apple ist längst mehr als eine Marke, Apple ist Kult. Dabei spielt das technische Innenleben der Apparate, die Hipsterherzen höher schlagen lässt, eine untergeordnete Rolle. Und bitte kein Wort über teils skandalöse Produktionsbedingungen. Was die Geräte mit dem angebissenen Apfel als Logo erfolg-reicher macht als jedes Konkurrenzprodukt, ist ihr zielgruppengerechtes, überzeugendes Design. Wer will, kann den angebissenen Apfel, siehe Adam und Eva, sogar als selbstironisches Zeichen verlorener Unschuld betrachten. Die in Kauf genommene Vertreibung aus dem Paradies. Das Überführen von Hippie-Idealen in die freie Wirtschaft. Und es passt, dass es sich bei nahezu allen Äpfeln, die auf dem Obstmarkt eine Rolle spielen, nicht um ursprüngliche Natur-, sondern ebenfalls um ausgetüf-telte Designprodukte handelt. Eine unverwechselbare Präsentation inbegriffen. Aktueller Höhepunkt der Entwicklung: Pink Lady®, erkennbar am Aufkleber mit dem rosa Herzen. Pink Lady®-Auftritte im Internet be-weisen, dass Prinzessin Lillifee ansatzlos den Sprung in die Adoleszenz geschafft hat. Flankiert von ein-nehmenden Club- und Marketingkampagnen fand die neue, markenrechtlich geschützte Apfelsorte schnell ihren Platz in den umkämpften Auslagen. Der Baum selbst gilt zwar als anfällig für Schorf, Mehltau, Krebs und Feuerbrand – ohne Pestizide geht nicht viel – die Früchte aber entsprechen dem Idealbild, treffen in

17

Page 20: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

stets identischer Form, Farbe, Größe und Geschmack den Nerv der Konsumenten und führen die Verbrau-cher erfolgreich in Versuchung. Diverse technische Kenntnisse bilden die Voraussetzung, Äpfel gezielt züchten und diese spä-ter sortenrein vermehren zu können. Die Veröffentli-chung der „Pomologia“ von Johann Hermann Knoop im Jahr 1760 gilt als Geburtsstunde der Obstbaum-kunde als eigenständige Wissenschaft. Pomologen beschäftigen sich mit der Bestimmung, Beschreibung und Klassifizierung von Obstsorten. Ihr goldenes Zeitalter erlebten Knoops Erben im 19. Jahrhundert, als etliche Gesellschaften, Institute und Vereine gegründet wurden. 1700 Birnen und noch mehr ver-schiedenartige Äpfel fasste allein der unermüdliche Ferdinand von Biedenfeld (1788-1862) in einem Handbuch zusammen. Einer unter vielen. Die meisten Neuzüchtungen jener Zeit beruhten dabei noch auf Zufallsfunden. Typisch für die Epoche waren Namen wie „Roter Trierer Weinapfel“ oder „Oberländer Himbeerapfel“. Sie stehen für das Interesse, spezifi-sche regionale Eigenheiten zu kultivieren, weswegen auch konkrete Anbauempfehlungen ausgesprochen wurden. Dass diese beachtet wurden, hatte den Ne-beneffekt, dass Generationen später der Obstbaum als Bild emotional mit Identität, Heimatverbunden-heit und Treue aufgeladen werden konnte. In Europa nicht anders als in Übersee. „Private Buckaroo“, ein dünnes G.I.-Filmchen aus dem Jahr 1942, ist längst in Vergessenheit geraten, der Filmsong „Don‘t sit under the apple tree with anyone else but me“ allerdings, als Nummernrevue von den Andrew Sisters vorge-tragen, wurde zum Evergreen. Eine Erfolgsgarantie mit Obst als Aufhänger gab es freilich nicht. Ein 1943

in Deutschland verbreitetes patriotisches Sonett mit dem Titel „Ein Apfel von daheim“, als Autor wird ein Kriegsberichter Heinrich Knacker genannt, kam glücklicherweise nie im kollektiven Gedächtnis an. Einer einfacher zu handhabenden Klassi-fizierung wegen argumentierte auf Pomologenseite schon früh eine Fraktion für eine Reduzierung der Sortenzahl. Ihre Stunde kam im 20. Jahrhundert mit Beginn einer systematischeren Züchtung. Obstanbau hatte bislang in erster Linie der Selbstversorgung gedient, jetzt sollten, nach fordistischem Vorbild, Prinzipien industrieller Massenproduktion auch in der Landwirtschaft Anwendung finden. Eine Entwicklung, die in den 1920er Jahren begann und in mehreren Wellen vonstatten ging. Voraussetzung war die Züch-tung möglichst krankheitsresistenter Sorten, die sich für Monokulturen und Plantagen eigneten. Logistik und etwaige Weiterverarbeitung bei Wirtschaftsäp-feln bedingten dabei einen hohen Grad der Standar-disierung. Alte Sorten, die als Streuobst meist locker verteilt auf Dorfwiesen wuchsen, galten als Sand im Getriebe. Da die regionalen Märkte jedoch bestens funktionierten, haperte es lange bei der Umsetzung der weitreichenden Pläne. Erst Ende der 60er Jahre kam es zum Durchbruch. Im Kontext der Europäi-schen Wirtschaftsgemeinschaft wurde den Bauern eine so genannte „Rodenprämie“ zur Verminderung marktstörender Obstmengen gezahlt, wenn diese ihren Bestand an Streuobst abholzten und sich ver-pflichteten, keine entsprechenden Neupflanzungen vorzunehmen. Das Resultat liegt in jedem Supermarkt -regal, ein knappes Dutzend Sorten, überall die glei-chen. Das heißt aber nicht, dass dieses Sortiment für alle Zeiten festgeschrieben wäre.

18Heimatobjekt

Page 21: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

> sdw.de> sdw-nrw.de

Streuobstwiese als Obstbaummuseum an der Altmengederstraße, Dortmund; eingerichtet von der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald:

Wie bei jedem Produkt wird permanent nach Verbes-serungen gesucht; wird daran gearbeitet, erfolgrei-ches zu optimieren. Ein echter Siegertyp ist Golden Delicios, 1870 in den Vereinigten Staaten gezüchtet und mittlerweile weltweit verbreitet. Von ihm stam-men Fuji, Elstar, Gala Royal und Jonagold ab. Und Pink Lady®. Rechnet man deren Marktanteile zusam-men, hat man eine satte Mehrheit im Obstregal und muss eine Verminderung der genetischen Bandbreite bei Äpfeln konstatieren. Auf diesbezüglich breiterer Basis steht ein aktuelles Projekt der Züchtungsiniti-ative Niederelbe. Grundlage sind hier fünfzig Sorten, die in möglichst vielen Kreuzungen ausgetestet wer-den. Am Ende des auf Jahre angelegten Selektions-prozesses hofft man, den neuen Superapfel gefunden zu haben. „Es wird überall geforscht“, meint Herr Giesebrecht von der Niederadener Baumschule in Lünen. „In Europa, Asien, Amerika, wo immer Sie wollen. Jeder wünscht sich einen Apfel, der einerseits an die Gegend angepasst ist, andererseits aber so gut ist, dass er sich allgemein durchsetzt. Ob das gelingt, hängt in erster Linie davon ab, wie der Apfel aussieht. Ob er dem Klischee entspricht, das der Kunde hat. Passt es nicht, bleibt er liegen.“ Baumschulen bilden einen Teilaspekt der Pomologie. Die ersten ihrer Art wurden hierzulande im frühen 18. Jahrhundert gegründet, noch bevor Knoop sein bahnbrechendes Buch veröffentlichte. In Baumschulen wird weder gezüchtet noch geforscht, sondern Bekanntes vermehrt, Sorte für Sorte, in ga-rantierter Qualität. Bei Äpfeln beispielsweise verhält es sich nämlich nicht so, dass aus einem Braeburn-Kern automatisch ein Braeburn-Baum wird.

Aus jedem Samen entsteht etwas Zufälliges. Eine gezielte Vermehrung ist nur durch Pfropfen oder Ver-edeln mittels Knospen oder Reisern möglich, wobei die Unterlage wesentliche Eigenschaften des Baumes bestimmt. „Aber eine schlechte Sorte bleibt schlecht, egal, auf welche Unterlage man sie setzt“, sagt Herr Giesebrecht. „Wer einen Baum pflanzen möchte, sollte außerdem auf den Standort achten – den vor-handenen Platz, die Bodenqualität, die klimatischen Bedingungen. Wir bieten Obstsorten an, bei denen wir sicher sind, dass sie in der Region gut wachsen. Und schmecken. Im Supermarkt findet man ausschließlich Massenprodukte. Selbstversorger und Gartenbesitzer interessieren sich dagegen meist für individuelle Ei-genschaften und investieren gern etwas mehr Zeit in die Pflege. Dafür können sie später aber auch einen ganz besonderen Apfel ernten.“ Herr Giesebrecht mag vor allem die Gold-parmäne und den Berlepsch.

19

Page 22: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Schon lange fühlen sie sich freundschaftlich ver-bunden. Jennifer Heimann, Holm Giessler und Kai Eckoldt, deren Wege sich während ihres Industrie-designstudiums an der Essener Universität kreuzten. Seit über einem Jahr verbindet die Drei neben ihrer Freundschaft das gemeinsame Projekt halloessen. Ursprünglich hatten sich Jenny und Holm vorgenom-men, zusammen ein Polstermöbel zu entwickeln. Aus dem ist dann poki geworden, ein Aufbewahrungs-möbel aus Holz mit textiler Schublade. Und weil es bei dem nicht blieb, sondern weitere Objekte entstan-den, die es galt bei einer der größten schwedischen Möbelmessen, der Greenhouse in Stockholm, zu zeigen, musste innerhalb kurzer Zeit ein Labelname gefunden werden, unter dem man sich dort zu präsentieren gedachte. Eine lokale Verortung sollte

Text Ivonne WoltersdorfFotos halloessenDenn

sie wissen was sie tun

Im Mittelpunkt steht die Idee: halloessen zeigt, was das Ruhrgebiet heute ans Licht bringt: Designprofis,die aus Liebe zum Fach auch nach Feierabend mit

kreativer Unbeschwertheit weitermachen.

er vermitteln, das Schnörkellose und Direkte des Ruhrgebiets transportieren und zudem selbstbewusst den Designstandort Essen vertreten. So gesellten die drei Industriedesigner dem Namen ihrer liebgewonne-nen Wahlheimat ein offensives und informelles „Hallo“ hinzu. Inspirieren ließen sie sich außerdem von ruhr-gebietstypischen Hallo-Bedeutungen. So wird als „Hallo“ die einzige natürliche Erhebung im Essener Norden bezeichnet, weswegen es hier auch eine Hallo-Straße gibt. Und, als es hier noch dampfte und rauchte, soll es fliegende Geträn-keverkäufer gegeben haben, die die Bergarbeiter, bevor diese unter Tage fuhren, am Werkszaun mit Bier versorgten. Weil die Kumpel ihren mobilen Wirt mit Hallo ran riefen, etablierte sich der Name „Hallo-Bar“.

1

2

20Heimatobjekt

Page 23: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

> hallo-essen.com

1 dans2 mue3 eifel4 coco5 & 6 poki

3

4

21

Page 24: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Mit Zeit und Muße Objekte entwickeln können, ohne den Vorstellungen von Auftraggebern entsprechen zu müssen, ja ohne vielleicht am Anfang genau zu wis-sen, welches Material am Ende verwendet wird. Sich das Produkt beim Herstellen des Prototypen einfach mal sein Material suchen lassen. Dinge drei Wochen in der Schublade verstauen und erst danach wieder einen Blick drauf werfen. Formen zulassen und verwerfen. Im Rahmen von halloessen setzen sie mit einer höchst-möglichen Freiheit Ideen um und bewegen sich damit im Bereich des Autorendesigns. Diese Arbeitsweise setzt bei ihnen kreative Energie frei. Energie, die sie in ihre Ideen und Produkte stecken und die sich nach eigener Aussage, wiederum positiv auf ihre kunden-orientierten Arbeiten auswirkt. Bisher umfasst die halloessen-Kollektion sechs Entwürfe, die von den unterschiedlichen Arbeitsschwerpunkten der drei Köpfe dahinter geprägt sind. Jenny konnte in ihrer bisherigen freiberuflichen Laufbahn u. a. für Reisenthel, Kettler und 360 Grad ihre Affinität zu Farben und Materialien ausspielen, während das Steckenpferd von Holm, der für Flöz Industrie Design arbeitet, Technik und Konstruktion sind. Ergänzt werden diese beiden Pole von Ansätzen, die Kai aus seiner Auseinandersetzung mit der Diszi-plin Experience Design mitbringt, der er als wissen-schaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Ergonomie, Mensch-Produkt-Interaktion und Nutzererleben an der Folkwang Universität auch hauptberuflich nachgeht. Einige ihrer Produkte sind Gemeinschaftsarbeiten von

Jenny und Holm wie die bereits erwähnte Schublade poki. Den Teppich eifel, der sich aus mehreren Filz-bahnen und -ringen zusammensetzt, entwarfen Jenny und Kai. Die so entstehende abstrakte, farblich zwi-schen grau und schwarz changierende, Filz-Collage verweist auf eine Landschaft, einen Vulkan, einen Berg, ein kleines Haus oder auf etwas, was der Betrachter sonst darin sehen mag. Die Nachttischlampe coco im klassischen Design der 50er Jahre ist eine Remi-niszenz an das kleine Schwarze und drückt Jennys Vorliebe für Mode aus. Und mit beam hat Holm eine Lampe konstruiert, die vom Licht getragen zu sein scheint, wenn sie leuchtet. Auch wenn die bisherige Resonanz auf die kleine Produktpalette von halloessen durchweg po-sitiv ist und es reichlich Anfragen gibt, wollen Holm, Jenny und Kai die finanzielle Verantwortung nicht auf sich nehmen und in Eigenregie produzieren. Noch nicht. Lieber treffen sie sich, um den nächsten Ent-wurf anzugehen. Einer, der die Stärken von allen drei vereint und den halloessen vielleicht ja schon auf der Möbelmesse in Köln präsentiert. Denn: „Weitermachen ist unser Motto.“

5

6

22Heimatobjekt

Page 25: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9
Page 26: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Text Volker K. BelghausFotos Jorine

Blick über den Tellerrand:Die niederländische Designerin

Jorine Oosterhoff machtKaffeetassen Beine.

Im Wunderland

24Heimatobjekt

Page 27: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

„Form Follows Function“ ist die traditionelle Maxime unter Designern – wenn dann aber die Form der Funktion folgt, kann das schnell langweilig und gleichförmig werden, man denke nur an genormte, stapelbare und somit furchtbar praktische Geschirrteile. Bei Jorine Oosterhoffs Arbeiten kann hingegen: „Form Follows Fantasy“ gelten. Ihr Tee-Service „Tea Time“ ist ihre Abschlussarbeit an der „ArtEZ“, der Kunst- und Designhochschule in Arnheim, aus dem Jahr 2005. Oosterhoff wird 1981 in Den Haag geboren und ist seit ihrer Kindheit fasziniert von surrealistischen und fantastischen Geschichten und Märchen. Werkstoffe wie Porzellan und Keramik entdeckt sie während ihres Design-Studiums – perfekte Materialien, um ihre Ideen umzusetzen. Mit ihrem Studio „Jorine“, das sie 2005 in Arnheim gründet, hat sie sich auf Objekte aus Porzellan, speziell auf Geschirr, spezialisiert. Was sie aber nicht davon abhält, auch mit anderen Materialien zu arbeiten. Ihre Entwürfe erzählen Geschichten, so wie „Tea Time“ – die Tassen, Schalen und Servierplatten zeigen Charakter durch die verschiedenen Deckelformen und die kleinen Füße aus Porzellan, die unter jedem Objekt zu finden sind. Ein Becher mit gewölbtem Deckel sieht aus, als trüge er einen eiförmigen Hut; eine Schale macht den Eindruck, als würde sie leicht windschief über den Kaffeetisch taumeln. Oosterhoff kreiert surreale Momente, die an Phantasiewelten wie „Alice im Wunderland“ erinnern. Die einzelnen Stücke von „Tea Time“ sind handgemacht und in schlichtem Weiß gehalten – die Innenseiten sind glasiert, das Äußere hingegen matt. Auf Farbe hat Oosterhoff bewusst verzichtet, die kommt von allein. Durch die Befüllung mit Obst, Keksen oder Cupcakes – „Tea Time“ hätte auch in Sofia Coppolas filmischer Ausstattungsorgie „Marie Antoniette“ einen Platz gefunden. In dieselbe Richtung geht „Cafe Pom-pose“, ein Tassenset, bestehend aus einer Cappucino-, Espresso- und Ristrettotasse (einer sehr konzentrier-ten Art von Espresso). Auch diese drei haben Porzellanfüße, die sich teilweise zu einem Henkel verlängern. Für Jorine Oosterhoff ist „Cafe Pompose“ eine Familie: Die Capuccinotasse ist eine dicke, gemütliche Frau, die Espressotasse ein vornehmer Gentleman mit großem Ego und die kleine Ristrettotasse ihr kleines Kind. Nicht weniger phantasievoll, und gleichzeitig ein wenig hinterhältig, sind ihre „Snout Cups“, die anfangs wie normale Becher aussehen, sich aber beim Trinken als Tierschnauzen entpuppen. Im Sortiment sind Schwein, Hund, Katze, Bär, Affe, Kuh und Hase. Die Becher entstanden gemeinsam mit dem befreun-deten Designstudio „buroJet/Egbert-Jan Lam“, mit dem Jorine Oosterhoff regelmäßig für größere Projekte zusammenarbeitet. Eins haben Oosterhoffs Arbeiten gemeinsam: Die Liebe zum Material und zum Detail. Fast spiele-risch geht sie mit dem Werkstoff um, faltet ihn scheinbar wie Papier („Bottoms up!“), wirft ihn in Falten („Icing on the cake“), oder gestaltet ihr ineinanderstapelbares Becherset „Yoska cups“ nach dem Prinzip der traditi-onellen, russischen Matrjoschka-Puppen. Und dann gibt es noch das Frühstücksgeschirr „White Rabbits“; ein Name, der offiziell auf einen englischen Aberglauben – dass man am ersten Tag des Monats beim Erwachen „White Rabbits“ rufen soll und so den ganzen Monat Glück hat – anspielt, aber natürlich einen ganz anderen Weg weist. In die Welt hinter den Spiegeln, in Oosterhoffs Phantasie. Jorine im Wunderland.

> jorineoosterhoff.nl

Erhältlich im Heimatdesign Shop.

25

Page 28: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Hacken, Hauen und Düllen

Im Spätsommer ist es endlich so-weit: Mein Name taucht im Grund-buchregister der Stadt Witten auf. Nun ist das kleine Siedlungshaus, das ich im Juni im Internet entdeckt habe, meins. Das Haus selbst ist kleinräumig und verwohnt, gemein-sam mit dem jungen Architekten Konrad Dölger aus Sprockhövel werde ich es in den kommenden Monaten umgestalten. Das eigent-lich Spannende an meinem Haus indes ist das umgebende große Gartengrundstück. Schon bei mei-ner ersten Besichtigung habe ich mich darin verliebt. Hinten rechts steht eine mächtige Magnolie, die Rasenfläche schmücken zwei Wal-nussbäume. Es gibt allerdings auch einige Ecken, die förmlich nach Umgestaltung schreien. Zum Glück braucht es dafür keinen Bauantrag. Die Tage Mitte September sind wunderschön, also lege ich los. Als erstes sollen die alten Johannisbeersträucher, die kaum noch tragen, weichen. Ich schnap-pe mir einen der beiden Spaten, die ich im Schuppen gefunden habe.

Bereits nach einigen Hieben bricht dessen Stiel unter lautem Krachen aus der Blatthalterung (Später lerne ich, dass dies an der minderwerti-gen Rohrdüllverbindung von Blatt und Stiel liegt.). Mist. Aber ich habe ja noch einen zweiten Spaten. Drei ausgegrabene Sträucher später entdecke ich links neben dem Stiel einen Riss im Spatenblatt. Dieser vergrößert sich von Minute zu Minute. An effizientes Arbeiten ist mit derartig beschädigtem Gerät nicht zu denken. Ich bitte meinen Nachbarn Horst um Hilfe (In meiner Siedlung heißt übrigens mindestens jeder Zweite Horst. Ruhrgebiet in echt.). Horst holt umgehend Ersatz aus seiner Garage. „Hier, nimm den. Den krisse nich kaputt.“ Weiter geht’s. Und tat-sächlich: Auch noch so dicke Wurzeln scheinen dem Werkzeug nichts anhaben zu können. Hieb für Hieb schlage ich den Spaten in die Erde. Das Teil funktionert so, wie es heißt: Ideal. Abends lobende Worte vom alten Gartenhasen Horst: „Junge, das wird was. Kommst ja

gut voran.“ Er lädt mich ein zum Feierabend-Bier in seine Laube, über der die BVB-Fahne weht. „Horst, sag mal, woher hast Du den Spaten eigentlich? Ich will mir auch so einen kaufen.“ „Baustoffe Klein. Die werden direkt umme Ecke her-gestellt, in Herdecke.“ Genau hier, umme Ecke, sitze ich nun. Mir gegenüber der Geschäftsführer der Idealspaten-Bredt GmbH & Co. KG, Eckhard Brosch. Der frisch modernisierte Sitzungsraum – am Kopf zwei schwarz-lackierte Virtrinen mit punktbeleuchtetem poliertem Spa-ten links und ebenso inszenierter roter Schaufel rechts – befindet sich in einem beeindruckenden alten Rotklinker-Bau. Seit 1899 werden in Herdecke an der Ruhr Schaufeln und Spaten produziert; die Blüte-zeit mit mehr als 500 Mitarbeitern erlebte das Unternehmen in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts. Die Fundamente für den deutschen Wiederaufbau wurden großteils mit Ideal-Spaten und -Schaufeln ge-graben.

26Heimatobjekt

Page 29: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Text & Fotos Philipp Wente

Unser Autor und Fotograf Philipp Wentehat ein neues Haus mit großem Garten.

Und ein Problem beim Umgraben.Nach zwei kaputten Spaten entdeckt er

Grabewerkzeuge mit Tradition –Ideal-Spaten aus Herdecke an der Ruhr.

Page 30: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Horsts Ideal-Spaten ist Namens-geber des Unternehmens, dessen Anhängsel aus der Fusion mit dem Wittener Unternehmen A. Bredt & Co. rührt. Direkt zu Beginn unse-res Gesprächs erklärt mir Eckhard Brosch die Vorteile des Premium-Handgerätes. Er sprüht vor Leiden-schaft für sein Produkt, redet sich geradezu in Rage: „Das Besondere an unserem Dop-pelfeder-Spaten Ideal ist das ko-nisch gewalzte Blatt. Das ist an der Schulter breiter als an der Schnei-de, schärft sich so bei Gebrauch von selbst. Wir geben 10 Jahre Garantie auf Blatt und Feder, die aus einem Stück Spezialstahl be-stehen. Und damit das Gerät auch solange hält, vernieten wir den doppelt dampfgebogenen Stiel aus ausgesuchtem Eschenholz gleich zweifach mit dem Spatenblatt. Der Stiel füllt darüberhinaus das Häuschen im Spatenblatt komplett bis zum Ende aus. Da kann bei nor-malem Gebrauch eigentlich nichts mehr brechen. Die Produktion

hier am Standort ist natürlich sehr aufwendig. Im Grunde sind wir eine Manufaktur geblieben. Die Walze für unser Top-Modell beispielsweise ist über achtzig Jahre alt. Obgleich wir die Prozesse in den letzten Dekaden optimiert haben, erfolgen viele der Arbeitsschritte bis heute in Handarbeit. So macht das weltweit kein anderer Hersteller. Und das hat natürlich auch seinen Preis. Allein mit unseren Spaten könnten wir un-sere Marktführerschaft nicht halten. Deshalb haben wir unser Portfolio systematisch um weitere Produkt-linien erweitert.“ Sie meinen die Löwe- und Britta-Spaten? „Ja, genau. Wir haben heute fünf verschiedene Qualitäten, die wir in Deutschland produzieren. Aber der Markt, die Kunden, verlangen nach mehr. Sie wollen ein immer breiteres und tieferes Sortiment. Seit einigen Jahren runden wir unser Portfolio mit Importware ab. Das sind die sogenannten Preisein-

stiegsmodelle, die wir in China oder Osteuropa einkaufen. Wenn Sie sich den Katalog ansehen (Anmerkung: Die Ausgabe 2010 umfasst 130 Sei-ten.), werden sie erkennen, dass wir das einzelne Produkt weiter ausdif-ferenzieren. Wir berücksichtigen die regionalen Vorlieben mit unter-schiedlichen Formen und Stielen.“ Weit mehr als 3.000 verschiedene Handgeräte finden sich im aktuellen Katalog; zuvorderst die Spaten in unterschiedlichen Formen. Nach Regionen unterschieden in Bremer, Geestemünder, Kieler, Flensbur-ger, Spieker, Auricher, Vierländer, Dollendorfer und Holsteiner Form, nach Nutzung unterschieden in Sand-, Marsch- und Torfspaten, Drainier-, Bau- und Rodespaten. Schaufeln, die mit 1,4 Millionen verkaufter Einheiten im Jahr neben den Spaten das Kerngeschäft der Herdecker sind und teils ebenfalls am Firmensitz produziert werden, gibt es in ähnlich vielen Varianten: Spatenschaufeln, Graben- und Kabel grabenschaufeln, Rand-

Die rund 70 Mitarbeiter produzieren am Standort Herdecke in der Spitze bis zu

9.000 Schaufeln pro Tag.

28Heimatobjekt

Page 31: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

und Flachrandschaufeln, Aufbug-, Anfurch- und Wasserfurchenschau-feln, Lebensmittel-, Ballast-, Sand-, Kohlen- und Betonschaufeln, Zen-tralheizungsschaufeln, Autoschau-feln. Beile, Äxte, Sensen, Sicheln sowie diverse Düllgeräte, Schuffeln, Grubber, Krümmer, Rechen, Schar-lüfter, Bügeljäter, Rübenhacken, Kleinhacken mit Breit- und Herz-blatt, Dunghacken, Gartenkreiel, Spitzkratzen, Stopfspitzhacken, Häulein und Wiedekopfhacken mit Oval- oder Breitblatt runden das Angebot ab. „Am Ende des Tages – da muss man sich nichts vormachen – machen wir ein Produkt, das eine Basisfunk-tion erfüllt. Ein Spaten ist eben kein High-End-, kein High-Tech-Produkt. Da kann ich beim Nachbarn in der Regel nicht mit Klotzen. Anders als beispielsweise mit einem exklusiven Gartenmöbel.“ Aber was ist mit der exklusiven BlackLine-Serie? Ein handpoliertes Blatt in mattschwarz-beschichte-

tem Eschenholz-Stiel erfüllt doch keine zusätzliche Funktion, außer eben Designelement zu sein? „Ich bin branchenfremd, habe früher viel mit Architekten, viel mit Design zu tun gehabt. Als ich nach Herdecke gekommen bin, habe ich mir natürlich unser Angebot ange-sehen und überlegt: Was können wir besonders gut? Und was kön-nen wir zusätzlich noch machen?“ Und da haben Sie ein stylishes Designprodukt entwickelt. „Ja, das ist eine der Neuentwick-lungen der letzten Jahre, die einen ganz bestimmten Kundenkreis bedient. Eher junge Leute, die eine bestimmte Funktion erwarten, die aber auch erwarten, dass das Gerät gut aussieht. Wenn die mit ihren Kumpels am Wochenende durch die Garage laufen, um Bier zu holen, wollen sie, dass das alles auch schick und wertig ausschaut. Wir haben BlackLine schnell zu einer Produktfamilie ausgebaut.

Gab es denn in den letzten Jahren keine technischen Innovationen? „Doch, doch. Eine wesentliche technische Verbesserung ist unser Hickory-Stiel. Das Blatt des Ideal-Spatens ist das beste, was es gibt auf dem Markt. Das können Sie mit 120 kg, tendenziell sogar mehr, belasten. Eine Schwachstelle war stets der Stiel aus Eschenholz, das bereits bei deutlich geríngerer Be-lastung bricht. Wir haben also Ver-suche mit Hickory unternommen. Und tatsächlich, dieses Holz bricht erst bei rund 120 kg Belastung – es geht so eine perfekte Symbiose mit dem Blatt ein.“

> idealspaten.de

Der Stahl für die Schaufeln und Spaten stammt ausschließlich aus Deutschland. Hersteller sind

ArcelorMittal, Salzgitter und ThyssenKrupp.

Der 40jährige Diplom-Betriebswirt Eckard Brosch

ist seit rund 4 Jahren Geschäftsführer der Idealspaten-Bredt GmbH & Co. KG.

Die Basis-Gartenausstattung, die wesentlichen Geräte, bieten wir heu te auch mit mattschwarzem Stiel und in handpoliertem Stahl an.“

Eckhard Brosch nutzt natürlich auch privat Spaten aus dem Firmen-Sortiment; wenn auch zuletzt aus traurigem Anlass – da musste er den Hasen seiner Tochter beerdigen.

29

Page 32: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

28. Januar bis 1. April 2012Studio des Museums fürKunst und KulturgeschichteDortmund, Hansastraße 3

Christian Diehl

www.museendortmund.deDi, Mi, Fr, So 10–17 Uhr, Do 10–20 Uhr, Sa 12–17 Uhrw

ww

.lab

orb.

de

Fotografien

1m³

DQM_Anz_Heimatdesign_09RZ.indd 1 06.12.11 14:51

Magazin gratis

www.kulturwest.de oder Tel.: 0201 / 86206-33

ANTWORTEN MONATLICH.KUNST, BÜHNE, MUSIK, DESIGN, FILM, LITERATURDAS KULTURMAGAZIN DES WESTENS

WARHOL?

K.WEST_Warhol_A4_Layout 1 07.11.11 16:38 Seite 1

Page 33: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

28. Januar bis 1. April 2012Studio des Museums fürKunst und KulturgeschichteDortmund, Hansastraße 3

Christian Diehl

www.museendortmund.deDi, Mi, Fr, So 10–17 Uhr, Do 10–20 Uhr, Sa 12–17 Uhrw

ww

.lab

orb.

de

Fotografien

1m³

DQM_Anz_Heimatdesign_09RZ.indd 1 06.12.11 14:51

Magazin gratis

www.kulturwest.de oder Tel.: 0201 / 86206-33

ANTWORTEN MONATLICH.KUNST, BÜHNE, MUSIK, DESIGN, FILM, LITERATURDAS KULTURMAGAZIN DES WESTENS

WARHOL?

K.WEST_Warhol_A4_Layout 1 07.11.11 16:38 Seite 1

Huckarder Str. 10–12 . 44147 Dortmund

www.union-gewerbehof.de

Marc Suski Gestaltung, www.marcsuski.deFortmann.Rohleder Grafi k.Design, www.fortmann-rohleder.deRAUM X Agentur für kreative Medien, www.raum-x.deMark Ansorg Fotografi e + Film, www.markansorg.deDirk Schäfer - Schreibanstalt, www.schreibanstalt.de

RAUM X Agentur für kreative Medien

Marc Suski Gestaltung

Fortmann.Rohleder

Grafi k.Design

Mark Ansorg Fotografi e + Film

Schreibanstalt - Textkreation

Standpunkte darstellen, Images kreieren oder Botschaften gestalten – in Bild, Wort, Art und multimedial verleihen wir Kommunikation die nötige Schubkraft. Einfallsreich, kompetent und hochwirksam.

FRISCHE IDEEN GIBT’S HIER

Page 34: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

DieabstrakteDisziplin

Text MartiniBild BineMusic

Sabine Wüste, obwohl für den Namen quasi Pate stehend, waltet lieber im Hintergrund. Jens Rößger, ihr Partner, betreibt das Essener Label. Seit 2003. Als ers-te Veröffentlichung auf BineMusic erschien „Feld“ von Byetone. Byetone, bürgerlich Olaf Bender, ist Chef bei raster-noton, Chemnitz. „Wie bei raster-noton gearbei-tet wird, das hat mich anfangs durchaus beeinflusst“, erklärt Rößger. „Mit BineMusic haben wir aber etwas ganz Eigenständiges entwickelt.“ Behutsam entwi-ckelt, sollte unbedingt hinzugefügt werden. „1549“ von Lars Leonhard, ganz aktuell, trägt die Katalognummer 026. Ähnlich überschaubar wie die Summe der Ver-öffentlichungen ist die Anzahl der in Erscheinung ge-tretenen Musiker. Namhaft ist das Personal durchaus, Benjamin Brunn, Scanner oder Move D gehören zum engeren Kreis. „Wir schauen genau hin, wer zu uns passt. Wir streben langfristige Kooperationen an. Mit wenigen, dafür aber außergewöhnlichen Künstlern.“ Musikalisch wird ein Spektrum abgedeckt, das von Ambient über Lounge bis in die Nähe zum Dancefloor reicht. Reduziert, manchmal ganz auf Beats verzichtend, mit einer nicht zu überhörenden Vorliebe für Dubelemente. Ein musikalisches Segment mit eigenen Anforderungen an die Covergestaltung. Ein Blick, und das Label sollte zu identifizieren sein. Ein scharfes Profil vorausgesetzt, ist es für die Verortung taugli-cher als Namen oft sehr vielseitiger Künstler, die auf etlichen Feldern tätig sind. Schlichte aber effektive Möglichkeit ist das 12”-Lochcover. Anspruchsvoller und hochwertiger, auch das ein Statement, ist ein wiedererkennbares grafisches Konzept, welches über die Basisinfos hinausgehend wesentliche Aussagen der Musik zu transportieren versteht.

Es gibt ein Leben nach der Party. Es gibt keinen Grund, dieses Leben weniger wertzuschätzen, als eine perfekte Clubnacht. Chillen vollendet. Kein

Gesetz der Welt verlangt, dass Ambient belanglos zu sein hat. Im Sound von BineMusic kannst du dich einrichten. Mit dem guten Gefühl, dass entkernt nicht

gleichbedeutend mit sinnentleert sein muss.

Zunächst sorgte Benjamin Brunn für die Gestaltung bei BineMusic. Er benutzte Fotografien urbaner Archi-tektur – leere Flächen, klare Linien, außergewöhnliche Perspektiven, Fluchtpunkte. Mit der „Various Artists“-Compilation folgte im vergangenen Jahr der Wechsel zu Ralph Steinbrüchel. „Ralph ist, genau wie Benja-min, Musiker, der bei uns veröffentlicht“, sagt Rößger. „Das Design bleibt minimalistisch, ist aber noch radikaler geworden. Von den naturalistischen Fotos hin zu abstrakten Strukturen. Denen liegt ein strenges Zahlen-Buchstaben-System zu Grunde, das Ralph entwickelt und uns sofort überzeugt hat. Von Release zu Release ändern sich diese Figuren und auch die Farbe. Die kann jeder Künstler aus der Pantone- Palette wählen.“ Lars Leonhard nahm ein sattes Gelb. Der Düsseldorfer Musiker, einst Mitglied der Band Chaos Digital, sorgte bei der Expo 2005 in Japan für die Beschallung des deutschen Pavillons. „1549“ ist sein erstes Soloalbum. Ein atmosphärisch dichtes, span-nendes und vor allem betont ruhiges Werk. Der Titel bezieht sich auf die Flugnummer jenes Airbus A320, der im Jahr 2009 in einer Höhe von knapp tausend Metern mit Kanadagänsen kollidierte und im Hudson notwassern musste. Alle Passagiere überlebten den Crash. Für das Cover hätte man spektakuläre Bilder finden können, doch das ist nicht der Stil der Essener. „Auf plakatives Bildmaterial oder eindeutige Sound-schnipsel haben wir bewusst verzichtet“, erklärt Rößger. „Das wäre zu billig gewesen.“

32Heimatbild

Page 35: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

> binemusic.de 33

Page 36: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Jobs aus der Heimat

Text MartiniBild HMKV

Wir sind dann mal weg. Leider. Denn nach Beendigung des Studiums zieht es viele Kreative und Designer weg

aus dem Ruhrgebiet; in Städte wie Düsseldorf, Köln, Hamburg oder Berlin. Nicht nur deren Urbanität und

kreative Szenen locken, sondern auch die Aussicht auf lukrative Aufträge. Trotzalledem gibt es auch im Ruhr-gebiet mutige Auftraggeber, und irgendwann hat man

ihn dann, den Job aus der Heimat; diesmal vom

Hartware MedienKunstVerein (HMKV)

34Heimatbild

Page 37: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

sagt Frauke Hoffschulte, die Geschäftsführende Leiterin. „Das betrifft vor allem den Bereich der Do-kumentation, wo es unsererseits bezüglich des `Was´ und `Wie´ meist sehr klare Vorstellungen gibt.“ Ein Partner, mit dem der HMKV regelmäßig (und auch bei „The Oil Show“) zusammenarbeitet, ist das Designbüro labor b. Man kennt sich seit Jahren, wurde gemeinsam größer, eine Zeitlang sogar Tür an Tür, im Musik- und Kulturzentrum an der Dortmun-der Güntherstraße. Doch auch andere Agenturen wie „Radau-Gestaltung“ bekommen ihre Chance, zudem können Studenten der FH Auftragnehmer sein: „Die ersten Kontakte ergeben sich meist im Rahmen von irgendwelchen Aushilfsarbeiten als Nebenjob im Studium. Man lernt die Leute kennen und erfährt, dass sie viel mehr drauf haben; auf einem bestimmten Gebiet Experten sind. Wir greifen da inzwischen nicht nur auf einen Pool von Spezialisten zurück, unser ganzes Organisationsteam besteht aus Absolventen der FH“, sagt Frauke Hoffschulte. Und, dass man die Kreativwirtschaft als Wirtschaftsfaktor nicht unter-schätzen sollte. Allein der HMKV habe seit 2010, seit seinem Umzug ins Dortmunder U, mehrere tausend Aufträge vergeben. An Kreative, an Dienstleister, an Handwerker.

> hmkv.de

Von wegen. Von dem eben nicht. „Wir haben da einen ganz dezidierten Focus. Wir arbeiten ausschließlich mit Leuten aus der Region“, erklärt Dr. Inke Arns, Künstlerische Leiterin des HMKV. „Es gibt exzellente Absolventen der FH Dortmund, die noch nicht weg sind. Es ist wichtig, sie darin zu unterstützen, zu blei-ben. Ich würde nie auf die Idee kommen, einen De-signer aus Berlin zu beauftragen, selbst dann nicht, wenn er hier studiert hat. Ich belohne doch nicht auch noch den Weggang.“ Der HMKV wurde 1996 von der Kunsthisto-rikerin Iris Dressler und dem Künstler Hans D. Christ gegründet. Fünfzehn Jahre später gilt es unverändert, anspruchsvoller zeitgenössischer Kunst, welche aus der kritischen Auseinandersetzung mit Medien und Technologie resultiert, einen adäquaten Raum zu geben. Ein Ansatz, mit dem der HMKV in der deut-schen Kunstlandschaft nach wie vor ein Alleinstel-lungsmerkmal besitzt; international finden seine teils unvergesslichen, oft preisgekrönten Konzeptionen der Produktion, Präsentation und Vermittlung auf besagtem Terrain große Beachtung. „Reservate der Sehnsucht” (1998), „Anna Kournikova Deleted By Memeright Trusted System. Kunst im Zeitalter des Geistigen Eigentums“ (2008), „Arctic Perspective“ (Beste Ausstellung 2010, laut Artforum). Eine erschre-ckende, höchst politische Beschreibung der Welt als Junkie wird momentan, bis zum Februar 2012, gezeigt: „The Oil Show“. Inke Arns hat die ersten Jahre des HMKV von Berlin aus verfolgt. 2005, Iris Dressler und Hans D. Christ waren zum Württembergischen Kunstverein gewechselt, übernahm sie die Künstlerische Leitung. Arns kennt beide Standorte mit den jeweiligen Vor- und Nachteilen. „Ich habe das Gefühl, ich bin hier näher am Leben dran“, sagt sie. „Die Szene in Berlin ist eine Blase. Da kommen 50 bis 100 Leute zu jedem Pups, den du machst. In Dortmund musst du dagegen immer wieder aufs Neue beweisen, dass das, was du anbietest, eine Relevanz besitzt. Im Ruhrgebiet kannst du etwas bewirken. Mit einem `Kunst um der Kunst willen´ wirst du allerdings gnadenlos untergehen.“ Das macht die Arbeit spannend, nicht nur auf der Ebene der Konzeption, denn viel hängt später von der Art der Vermittlung ab. Im HMKV wird der Kooperation mit Agenturen und Designern ein ent-sprechend hoher Stellenwert beigemessen. Da die zu transportierenden Themen oft am Rande oder außer-halb dessen liegen, womit Grafiker oder Designer üblicherweise ihr Geld verdienen, dürfen sich diese mal austoben. „Das heißt aber nicht, dass wir die Supereasyauftraggeber sind. Wir sind anspruchsvoll“,

35

Page 38: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Text Amelie HauptstockBild Spoonfork

Wenn man gewöhnliche Dinge miteinander kombiniert, dann können sie zu etwas Ungewöhnlichem und

Besonderem werden. Eine Gabel und ein Löffel ergeben nicht nur ein ungewohntes Essbesteck, sondern im Falle von Spoonfork eine Neubelebung des Formats

„Onlinemagazin“.

Wissenschaftliche Artikel werden sehr gerne mit einem Zitat begonnen. Es scheint, als ob man die Relevanz des Eigenen durch bereits bestehende, verifizierte Worte erzeugen möchte. Doch was macht man eigentlich, wenn es nichts Anderes gibt, auf das man sich beziehen kann? Wenn man das, was zitiert wird, selber herstellt? Angefangen haben Katja Neumann und Bashar Farhat ebenfalls mit etwas Ungewöhnlichem. Dabei

erschien die Idee doch eigentlich sehr naheliegend. Ein Online-Magazin, in dem junges Design im Mittelpunkt steht, textlich und graphisch aufbereitet, kombiniert mit Absurditäten des Alltags (wie dem „Glutamator“) und musikalischen und literarischen Schätzen. Das war damals etwas Neues.

Leinen losund frischerWind

36Heimatbild

Page 39: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Die Idee wurde in die Tat umgesetzt: Spoonfork ging im August 2005 online. Das Lesegefühl eines Printma-gazins wurde durch den Aufbau und die Darstellung als Buch imitiert. Auf einem Tisch liegend ließen sich unterschiedliche Rubriken mit jeweils eigener Gestal-tung und mit weiterführenden Verlinkungen durch-blättern. Für die variationsreichen Themen steuerten befreundete Kreative Ausgabe um Ausgabe weitere Beiträge bei; wie bei einem echten Sammelband. Eigentlich wollten Spoonfork nur die Lücke füllen, die sie selbst entdeckt hatten. Und waren deshalb umso überraschter, als sich nach kurzer Zeit eine Stammleserschaft von etwa achttausend LeserIn-nen gebildet hatte und sich fast unmittelbar nach Erscheinen der ersten Ausgaben auch noch Preise (Lead Award Bronze 2007, Junge Kreative Ruhr 2009) und Nominierungen (Grimme-Online-Award 2006 und 2007, Designpreis der Bundesrepublik Deutschland 2008) dazu gesellten. Mit dem Erfolg, so könnte man meinen, kam weiterer Erfolg; internationale Interes-senten, der Umzug in Hochglanz-Umfelder. Nein, es blieb Duisburg, es blieb bodenständig und vor allem: unkommerziell. Warum auch nicht? „Eigentlich war der Erfolg ein Schock. Wir hatten damit nicht gerech-net!“ Und warum sollte man dann umziehen in bereits dicht besiedelte Designzentren wie Berlin, New York, Tokyo? „Wir können hier sehr gut arbeiten. Wir haben ein ruhiges Büro, alles, was wir brauchen, ist da.“ sagen die freie Journalistin und der Webdesigner. Eine bewusste Entscheidung für den Standort. Und tatsächlich: der Blick in den kleinen Garten, das gemütliche Sofa im Büro der 2008 zum Magazin gegründeten Agentur Spoonfork – es fällt leicht, sich vorzustellen, dass von hier aus etwas Gutes in die

Internetwelt geschickt wird. Es passt. Duisburg ist in diesem Sinne nicht die konventionelle Standort-Wahl. Duisburg ist unkonventionell, innovativ, schräg. Das schreibt man auch nicht alle Tage. Bei Beziehungen ist es das sprichwörtlich „verflixte siebte Jahr“, vielleicht kam es dem Spoon-fork-Duo auch schon so lange vor: Nach fünfeinhalb Jahren entschieden sich die beiden, das Magazin vorerst ruhen zu lassen. Die Luft war erst mal raus. „Wenn man nur noch an die Deadline denkt und dar-über den Spaß verliert, dann weiß man, jetzt ist erst mal genug.“ Der eigene Anspruch war ja auch, immer etwas Neues zu machen, immer vorne zu sein, weiter nach vorne zu gehen mit den Beiträgen, den Dar-stellungen, den Flashanimationen. Doch die einstige Lücke war mittlerweile ausreichend gefüllt, Spoonfork war noch immer ein hervorragendes Magazin, aber daran hatte man sich schon gewöhnt. Vor allem sie selbst. Spoonfork hatte sich im Laufe der achtund-dreißig Ausgaben etabliert und war dadurch mit be-stimmten Erwartungen sowohl von Seiten der Leser-schaft, aber auch von Seiten der Urheber verbunden. Diese Erwartungen wollten nicht mehr erfüllt werden. Das letzte Kapitel war erreicht, mit einem Best-of ver-abschiedete sich das Magazin mit Ausgabe 39 in eine Pause. Dann wurden die virtuellen Seiten zugeklappt. Doch die grundsätzliche Idee der Beibehal-tung eines Online-Magazins, und wenn auch nur zur kreativen Aufbereitung persönlicher Interessen, ver-schwand nicht. Sie kreiste weiterhin über den Spoon-fork-Köpfen. Dazu gesellten sich formal-existentielle Fragen: Was jetzt? Neustart oder Relaunch, wie man so schön sagt? Etwas ganz Neues? Oder weiterma-chen wie bisher? Oder doch aufhören? In seinem

> spoonfork.de 37

Page 40: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Ursprung war die Weiterführung des vorhandenen Magazin-Formats gar nicht angedacht, sondern die Entstehung eines anderen, eigenständigen Projektes. Wie so oft war es das Naheliegende, das temporär hinter Konfusitäten versteckte Offensicht-liche: Warum einen neuen Namen suchen für etwas, das bereits existiert? Doch handelt es sich noch um das alte, bestehende, gut funktionierende Magazin Spoonfork, auch wenn es ganz anders aufgebaut, an-ders befüllt, vielleicht sogar kommerziell vermarktet wird? Ähnlich wie beim Schiff des Theseus, von dem, nacheinander, Stück für Stück, jede einzelne Planke ersetzt wird, bis das ursprüngliche Schiff vollständig erneuert wurde. Ist es noch dasselbe Schiff, nur weil es denselben Namen trägt? Oder ist es genau deshalb ein neues Werk, das nur noch den alten Namen trägt? Auch hier fällt die Entscheidung für das Naheliegende: Spoonfork steht ja gerade für thema-tische Ungewöhnlichkeiten, für den feinen Sinn für Kitsch und Absurdes, für Qualität von Dargestelltem und Darstellendem und vor allem für Überraschun-gen. Spoonfork steht für Veränderung, sei sie auch so radikal wie zum Beispiel die Auflösung des Im-Magazin-Blätterns, die Zerschlagung des virtuellen Buches, die metaphorische Befreiung vom Einband bei gleichzeitiger Beibehaltung des Namens. Spoon-fork Relaunch ist die Verknüpfung von bekannten Kategorien (Musik, Design, Mode, Fein Ausgedacht), ausgewählten Themen, Wort- und Bildwitzigkeiten mit einer Anpassung des Aufbaus an die technikverwöhn-ten Lesegewohnheiten. So folgt das Magazin nun blogähnlichen Strukturen, es erscheint keine Gesamt-ausgabe, sondern einzelne Beiträge werden nach Aktualität sortiert, erscheinen in schnellerem Rhyth-

mus und umfassen neben bewährten Rubriken wie der mp3-Playlist, der Bücherecke, illustrationswürdi-gen Neuigkeiten aus der jungen Designwelt und auf-bereiteten Besonderheiten des Internetfundus auch Kommentare tagesaktueller Geschehnisse. Es gibt nun kein statisch-graphisches Buch als Hintergrund für die einzelnen Rubriken, sondern eine Art fließen-des System. Ein Inhaltsverzeichnis ermöglicht eine Gesamtansicht der veröffentlichten Beiträge, in der Normalansicht wird der aktuellste Beitrag im Fenster angezeigt. Kein virtuelles Blättern mehr, sondern ein intuitives Schieben und Ziehen. Weg von der virtuel-len Buchführung, hin zu Webseiten, die nacheinander oder zeitgleich auf dem Bildschirm auftauchen kön-nen. Alles wird in kompakten Häppchen serviert. Die Gleichzeitigkeit der Darstellung und die Möglichkeit des Wechsels von einem Beitrag zu vielen ist das, was konzeptionell das Onlinemagazin von dem haptischen Printmagazin unterscheidet. Zudem wird die thematische Dynamik damit ikonisch abge-bildet in der formalen Aufbereitung der Seiten. Spoon-fork wird erwachsen durch Modernisierung. Schon wieder zwei Gegensätzlichkeiten miteinander vereint. Und noch eine Neuerung gibt es: Das Magazin wird kommerzialisiert. Ausgewählte Unternehmen können in Zwischenseiten werben und damit die kreative Gemeinschaftsarbeit an dem Magazin mitfinanzieren. Auf dass das neue Schiff Spoonfork auch nach wei-teren Plankenerneuerungen auf den vorderen Wogen des Internets entlangfährt.

38Heimatbild

Page 41: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Von Bayern ins Ruhrgebiet: Seit nunmehr fünf Jahren lebt und arbeitet der Fotograf Bene Bavarese in Dort-mund. Zur Fotografie als Kunstform kam der 28-Jäh-rige vor etwa zehn Jahren. In seinen Bildern zeigt sich unverkennbar seine Vorliebe für analoge Fotografie und Film: Staub, Kratzer, Farbfehler sind Teil der Foto-grafien und vermitteln eine raue Echtheit in Zeiten der glatt polierten und bearbeiteten Digitalfotografie. In Dortmund ist Bene Bavarese „angekommen“, wie man so schön sagt. Und dies bestätigt er mit einem sehr persönlichen Bild: Es zeigt eine Ecke seines Zim-mers als Montage aus mehreren Analogfotografien. Zu sehen sind die persönlichen Dinge, die man immer mitnimmt, egal wohin man geht. Und von denen man sich niemals trennen würde: Musik, Plakate, Bücher, Erinnerungen und – nicht zu vergessen – eine Kame-ra. Denn, so sagt Bene Bavarese: „Eine anständige Höhle sollte man sich als Erstes schaffen, wenn man angekommen ist.“

Von Chorzow in Polen nach Düsseldorf: Der Künstler Roman Klonek kam bereits im zarten Alter von drei-einhalb Jahren nach Deutschland. Dennoch ist die Erinnerung an seine ursprüngliche Heimat durchaus lebendig. Die Familie hatte in Polen keinen Fernseher, Romans Vater jedoch war begeisterter Super-8-Filmer und besaß zudem eine beachtliche Sammlung an rus-sischen und polnischen Zeichentrickfilmen. In Kombi-nation ergab dies ein ganz besonderes Familien-Unter-haltungs-Programm. Obwohl Roman Klonek seit 1973 in Deutschland lebt, reist der studierte Grafikdesigner noch immer gern in den Osten Europas, wo ihn häufig das Gefühl von „vertrauter Fremdheit“ überkommt. So-gar in seiner Kunst spiegelt sich dieser Einfluss wider. „Seit 13 Jahren mache ich jetzt Holzdrucke und habe manchmal das Gefühl, dass meine Begeisterung für diesen Charme des ‚analog–fehlerhaften‘, der mit dem Holzdruck einhergeht, eventuell sogar ein bisschen von diesen alten polnischen und russischen Super-8-Filmen herrührt.“

Von Düsseldorf in die endlosen Weiten des Netzes: 2009 gründeten vier Absolventen der FH Düsseldorf das Kreativen-Netzwerk Moxie Network. Erste Auf-merksamkeit erregte das Team mit handgemachten Papierskulpturen, die auf den Plakaten für die Tonhal-le Düsseldorf zu sehen waren. Es folgten Arbeiten für das Schumannfest, das Magazin Sneakers oder die Große Kunstausstellung NRW. Die Heimat von Moxie ist das Netz – und das durchaus im doppelten Sinn. „Als Agentur, Gestaltungsbüro oder Moxie Network haben wir das Netz von Anfang an Schablone für un-sere Arbeitsweise verstanden, in der das ‚Was‘ immer eine größere Rolle als das ‚Wo‘ spielt.“ Das „Was“ sind in diesem Fall fiktive Flaggen für virtuelle Inter-net-Ländereien, das „Wo“ ist überall und nirgendwo. „Tatsächlich stellen wir uns ganz gerne vor, dass wir eher nirgendwo zu Hause, aber dafür fast überall beheimatet sind.“

Von Dortmund nach Berlin: Die freie Illustratorin und Art Direktorin Lisa Schweizer lebt seit 2006 in der Hauptstadt und bezaubert von dort aus die Welt mit ihrer großen Bandbreite an verschiedenen Zeichen- und Grafikstilen. Von Bleistiftarbeiten über Aquarelle und Collagen bis hin zu Mischtechniken arbeitet Lisa Schweizer vor allem im Editorial Bereich für Kunden wie Brand Eins, Die Zeit und Dummy, aber auch für Diesel oder die Bayerische Staatsoper. Dabei beginnt sie mit ihrer Arbeit immer grundsätzlich auf dem Papier und überträgt ihre Zeichnungen erst später auf den Rechner. In Berlin fühlt sich Lisa Schweizer wohl. Und inzwischen auch heimisch, denn, so erklärt die 33-jährige Illustratorin: „Heimat ist für mich kein konkreter Ort, sondern entsteht unter anderem durch die Menschen und Dinge, die mich umgeben.“

42 Bene Bavarese> benebavarese.tumblr.com

41 Roman Klonek> klonek.de

40 Moxie Network> moxienetwork.de

43 Lisa Schweizer > lisaschweizer.de

Designer illustrieren Heimat

Text Katja Neumann

4242

39

Page 42: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9
Page 43: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9
Page 44: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

42

Page 45: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9
Page 46: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

44Heimatkultur

weiter –––––––––––––––––––––

Text Martin KielBild David Latz

Page 47: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

45

weiter –––––––––––––––––––––

Performative Verbalstrategienin asymmetrisch-populären Sinnsystemen

Wird weitergemacht? Einfach weitergemacht? Oder sollte man einfach weitermachen? Oder wird einfach weitergemacht, als sei nichts geschehen? Im Schatten des Wortes Krise, dem ständigen Ausrufen weiterer Krisen und dem möglichen Überwinden derselben oder einer anderen, erkämpft sich das Wort weitermachen fast unbemerkt – Trendforscher würden hier von schwachen Signalen sprechen – eine besondere Bedeutung und Stellung. Wie man gedenkt, mit der Situation umgehen zu wollen, ausgesprochen oder unausgesprochen ein Morgen oder ein Danach sich vorstellt. Träte das Wort in einer Castingshow auf, würde man seine Per-formance bewerten; Linguisten, also Sprachwissenschaftler, sprechen von Performanz. Ein Wort ändert die Welt und / oder die Umwelt. In die Diskurse der Krise eingewoben, überwindet weitermachen die Management-Dialektik aus 2010: „Die Krise ist auch Chance“ – jenes modisch postmoderne Einerseits-Andererseits, welches schon ziem-lich bald Brechreiz auslösen konnte. Weitermachen stellt uns etwas Handfestes und gleichzeitig Zauberformel-haftes an die Seite. Weitermachen ist Sinnstiftung in einer Welt, die sich nur noch in Anfangssätzen wie: „In einer immer komplexer werdenden Welt …“ oder „In einer immer schneller werdenden Welt …“ oder „In einer immer bedrohlicher werdenden Welt …“ gefällt, einrichtet oder für das entschuldigt, was gerade nicht geht. Die Sätze selbst sind POP. Man stellt sie sich vor auf riesigen Leinwänden. Als POP ART à la Warhol oder Lichtenstein und bitte aus dem PhotoBooth eines Mac. Vorstellbar ist das ganze aber auch als XXL-Neu-Biedermeier, als Monumentalgemälde eines Neo Rauch. Übergroße Personengruppen vor einer grünen Landschaft mit Text, möglichst jedoch in roten Kostümen und Masken eines Guy Fawkes (1570 - 1606) – ein bisschen Protest darf schon sein. Es sind die Menükarten der Welteinschätzung, Ouvertüren einer global-komplexen Universaldiplomatie, Friedenspfeifen an den Lagerfeuern des Empire1 der neuen Weltordnung. Auf das Thema Komplex kann man sich selbst bei den Vereinten Nationen in New York oder bei der Volksbank um die Ecke einigen und eine Sondierung, eine Untersuchung oder eine Abstimmung beginnen lassen.

machenoder liegen lassen

Page 48: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

46Heimatkultur

Positiv interpretiert könnte dieses Komplexe aber auch ein ungeschriebenes Gewebe sein, eine mehrdimensionale Karte. Der, der weitermacht, entdeckt darin Wege, Plätze und Ebenen. Als Mantra innerhalb des Gewebes ist weitermachen das Instrument der Navigation, die im Voranschreiten gleichzeitig nicht nur steu-ert, sondern auch produziert. Nicht der Weg ist das Ziel, sondern der Weg ist die Produktion, die Produktion von Sinn in diesen hochkomplexen asymmetrischen Systemen. Wir sagen: Weitermachen! Der Gebrauch des Wortes weitermachen ist jedoch noch selten. Noch! Bei der üblichen Suche finden wir 3.800.000 Ergebnisse zu weitermachen, 8.970.000 Ergebnisse zu aufhören. Geht man tief an das Eingemachte des Wortes weitermachen, so findet man in ihm etwas Grundlegendes und Ursprüngliches. Es findet sich das, was Kul-tur oder kulturelle Arbeit ausmacht: Feuer machen, ein Haus, eine Urhütte bauen. Machen leitet sich ab aus dem Indogermanischen / Europäischen mag für Kneten oder vermutlich weiterführend aus der Tätigkeit „Verschmieren der Hauswände mit Lehm“ 2. Hätten wir das gedacht? Wohl eher nicht. Dies alles verrät uns eine echtes Buch, wohl das klügste Buch der Welt, kurz: der KLUGE, das „Etymologi-sche Wörterbuch der deutschen Sprache“ von Friedrich Kluge und Elmar Seebold. Das klügste Buch der Welt 3 stellt sich übrigens als ein veritables Geschenk her-aus. Schnell wird es zum begehrten Darf-ich-es-auch-einmal-haben. Versprochen. Doch genug des Schwadronierens über ideale Geschenke. Liegenlassen. Weiter-machen. Wenn wir etwas machen oder gar weitermachen, verschmieren wir also eine Hauswand, immer wieder, immer wieder anders, aber eben immer wieder. Mit dem Alten und dem Neuen bilden sich Schlieren, das Alte löst sich an und geht mit dem neuen Lehm eine Verbindung ein, um der nächsten Zeit zu wider-stehen. Widerstand gegen Sonne, um dabei ein wenig Farbe zu verlieren, Wider-stand gegen den Regen, um dabei etwas an Volumen zu verlieren, bis alles wieder trocknet und wieder verschmiert wird. Machen könnte also auch schmieren sein. Die Fähigkeit weiterzumachen, macht uns widerstandsfähig, beson-ders in jenen genannten Zeiten und Welten. Komplexe und schlimme Welt und überhaupt! In diesen Zeiten also macht uns das Wort nicht nur steuerungsstabil, sondern auch widerstandsfähig. Und vielleicht auch glücklich? Und hier kommt er, der Pontifex Maximus des Weitermachens und die wohl bekannteste aller Weiter-machfiguren: Sisyphos. Der Held der fast ohne Unterlass einen Felsen immer und immer wieder den Berg hinaufrollt. Albert Camus – Literatur-Nobelpreisträger von

1 vgl. hierzu: Michael Hardt,

Antonio Negri: Empire. Die

neue Weltordnung. Frankfurt

am Main: Campus 2002.

2 Friedrich Kluge u. Elmar

Seebold (Hg.): KLUGE

Etymologisches Wörterbuch

der deutschen Sprache, Berlin !

1995, Seite 530.

3 Friedrich Kluge u. Elmar

Seebold (Hg.): KLUGE

Etymologisches Wörterbuch

der deutschen Sprache,

Berlin ! 1995.

Page 49: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

47

4 Albert Camus: Der Mythos

des Sisyphos, 1942.

5 Vom Autor frei erfunden!

6 vgl. http://de.wikipedia.org/

wiki/Survival, 29.10.2011.

1957 – beschreibt Sisyphos als einen glücklichen Menschen, der seinen Existenz-grund immer wieder und neuerlich im Rollen des Steines auf den Berg sieht.4 Wie sieht dieser Sisyphos heute aus, welche Kleidung trägt er? Wo wohnt er? Neben der Navigation in den neuen Räumen des Empire schmieren wir nur noch selten richtig, vielmehr haben wir Anforderungen, Ideen, Ideale und Ängste. Peak Oil und die Chemische Bauindustrie isolieren die Häuser und nennen es energetische Sanierung. Lüften ist das neue Schmieren und Schimmel die Erosion von Innen. Im Ergebnis eine geglättetkubische Ästhetik. Ist das Weitermachen? Gehört das verbreitete Tragen von Outdoor-Klima-Funktions-Outfits zum Weitermachen, zur Widerstandsfähigkeit? Sind Menschen, die Outdoor-Kleidung tragen, gesünder und glücklicher? Man wünscht sich eine gefälschte Statistik als Leistungsver-sprechen der besonderen High-Tech- oder Funktionsware: „ACHTUNG: Schon im ersten Jahr des Tragens 50% weniger Erkältungen. Steigerung Ihrer Wider-standskraft durch homöopathische Nanopartikel in unseren Klimageweben beim direkten Tragen auf der Haut. Hält ein Leben lang. Versprochen.“ 5 Outdoor-Mode ist antiweitermachen. Oder? Doch nun schnell zum Ende! Anhänger des Survivalismus werden „preppers“ genannt, zu deutsch: die, die sich (auf eine Katastrophe) vorbereiten.6 Zugegeben hört sich das ein wenig nach „Der mit dem Wolf tanzt“ an. Doch Rituale gehören anders als ener-getische Sanierungen zu dem, was wir Kultur nennen. CUT! War Dustin Hoffman in Die Reifeprüfung widerstandsfähig? Er kann hier zwar nicht als Prepper gezählt werden, entspricht zumindest modisch aber dem Prepstyle. Es kann kein Zufall sein, dass auch dieser Stil, in Zeiten einer immer komplexer werdenden Welt (hört sich doch gar nicht so schlecht an, oder?) eine Renaissance erlebt. Ein Ge-schmacksprogramm, welches die Jungen älter und die Älteren jünger macht, aber auch die Reichen ein wenig ärmer und die Ärmeren ein wenig reicher. Insofern könnte man den Stil heute auch Midstyle nennen. Bundfaltenhose trifft Röhre. Die Midstyler sind die Novizen des Weitermachens. Sie sagen: „Ich bin noch nicht fer-tig, ich lerne noch.“ Alle treffen sich zum Weitermachen und Präparieren in einer Klasse. Midstyle sagt, ich bin nicht, oder noch nicht vorbereitet. Ich muss noch die Brille putzen, die schmale Krawatte binden oder den Mantel zum Trocknen aufhängen. Vereinzelt hat man schon Menschen gesehen, deren Handinnenseiten gelb-ockerfarbig eingefärbt waren. Vom Weitermachen. Wir müssen uns den Weitermacher als einen glücklichen Menschen vorstellen.

Page 50: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

48Heimatkultur

PASS

AG

ENI

NT

ER

IO

R

DE

SI

GN

W

EE

K

LN

. 1

6

22

J

AN

UA

RY

2

01

2

PASS

AG

EN .

Offi

ce

Sab

ine

Vo

gg

enre

iter

. C

olo

gn

e . w

ww

.vo

gg

enre

iter

.co

m

© F

otol

ia/G

ordo

n Bu

ssie

k

PASSAGEN_heimatdesign2012_230x297.indd 1 02.12.11 13:31

Page 51: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Neon Elektrisch 58

Anna Sommerer 74

Lena SchröderTrinkhallenschickeria

66

Heimatkleid

Frank Leder 50

Page 52: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Frank Leder

Text Alexandra BrandtFotos Gregor Hohenberg

Die Mode des in Berlin ansässigen Frank Lederzeichnet sich durch den Mut zu starken Ideen, starken Symboliken und starken Bildern aus. Dabei entstehen

Männerwelten, in denen Naturburschen, Metzger und Knastbrüder ebenso vorkommen wie Verbindungs-studenten und Uniformierte – und die zuweilen explizit

deutsche Bezüge aufweisen. Was auf den ersten Blick befremdlich wirken mag, zeugt bei näherer

Beschäftigung von der Ausarbeitung einersehr eigenständigen Position.

Heimatkleid 50Heimatkleid

Page 53: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9
Page 54: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9
Page 55: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

„Der Ausgangspunkt jeder Kollektion ist das Inter-esse am Menschen und dessen Beziehung zu seiner Umgebung und Arbeitswelt“, erklärt der Designer. „Das unvoreingenommene Annehmen und intellektu-elle Verarbeiten dieser Bezüge, das letztendliche Aus-leuchten und die Umsetzung in Bekleidung und Bilder geben die Parameter vor.“ Paradigmen und Vorein-genommenheit will Frank Leder nicht zulassen. Sie würden den Anspruch einer komplett eigenen Bild- und Formensprache, die die Kleidung unterstützt, ohne sie einzuzwängen, verwässern. Bündelung, Zu-spitzung und Humor sind hingegen erlaubt – sofern der Mensch dabei nicht aus den Augen verloren wird. Frank Leders aktuelle Kollektion widmet sich der historischen Landschaft Galiziens und ist maß-geblich von den Erzählungen des Schriftstellers Josef Roth inspiriert. „Die Beschäftigung mit einem Land-

strich, der nur noch in Erzählungen und alten Bildern existiert, und das Zusammenleben unterschiedlichs-ter Menschen in diesem Raum hatten mein Interesse geweckt. Während ‚Galizien No. 1‘ den Landstrich und die Lebensumstände der dort ansässigen Menschen vorstellt, wird sich ‚Galizien No. 2‘ im Frühjahr / Som-mer 2012 mit der Auswanderung eines großen Teils der galizischen Bevölkerung beschäftigen.“ Das Lookbook zur aktuellen Kollektion präsentiert sich so reduziert – ein Model, ein Setting, zwischendrin historische Postkarten – wie aus-drucksstark. Ganz bewusst hat Frank Leder darauf verzichtet, Galizien mit vorgefundenen realen Hinter-gründen nachzustellen. „Das wäre einem Ort, der nicht mehr existiert, nur unzureichend gerecht ge-worden“, findet er. „Die Entscheidung fiel auf ein Setting, das wie eine Bühne funktioniert. Darauf mimt

> leder-inagaki.com 53

Page 56: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

ein Schauspieler, dessen angeklebten Bart wir deut-lich zu erkennen geben, in einer Art Hütte verschie-dene Charaktere aus Galizien.“ So schlüssig und durchdacht die Kollek-tionen und deren Präsentation auch wirken – ein klares Bild von den Menschen, die seine Mode tragen (sollen), hat Frank Leder nicht im Kopf. Jeder, der Interesse an seiner Art der Gestaltung hat, kann Teil dieser Geschichten werden und diese fortschreiben. Mit dem Ansatz, ein Kleidungsstück neben der reinen Funktion mit einer Geschichte und einem Ursprung aufzuladen, will der Wahlberliner der Banalität der Wegwerfgesell schaft ein Stück Wärme entgegen set-zen. Denn auch wenn eine Hose letztlich immer eine Hose bleibt: Wenn sich der Träger in den Prozess mit einbringt, dann funktioniert Mode als Verstärker der schon vorhandenen Persönlichkeit.

Dass Frank Leder zum großen Teil in Japan verkauft, wo auch bereits eine Kollektion in Zusammenarbeit mit Comme des Garcons auf den Markt gebracht wurde, liegt übrigens nicht etwa daran, dass Deutsch-land nicht bereit für seine Mode ist. „Der japanische Kunde ist sehr mündig und fordernd, was Qualität, Professionalität, Stärke und Originalität angeht. Die-ser Markt nimmt den Großteil meiner Kapazität und Aufmerksamkeit in Anspruch.“ Hinzu kommt Frank Leders eher unkonventionelles Vertriebskonzept: Im Gegensatz zu anderen Designern präsentiert er seine Kollektionen weder auf Messen noch auf den Mode-wochen, sondern setzt auf sehr persönlichen Kontakt zu den Geschäften, die seine Kleidung verkaufen. „Ich lasse mich lieber entdecken als dass ich suche. Trotz-dem versuche ich, jeder Anfrage gerecht zu werden.“

54Heimatkleid

Page 57: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

55

Page 58: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Heimatkleid 56Heimatkleid

Page 59: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9
Page 60: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Frank Herzberg Neon Elektrisch

Text Amelie HauptstockFotos Philipp Wente

58Heimatkleid

Page 61: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Frank Herzberg Neon Elektrisch

> neon-elektrisch.de

„Geh deinen Weg und lass die Leute reden“ – irgendwie könnte kein Spruch treffender sein für das, was bei Neon Elektrisch

miteinander verbunden wird. Mode ist heutzutage grenzenlos und es wird immer schwieriger sich abzuheben. Aber es braucht auch den Mut,

sich abheben zu wollen. Für diese Menschen kombiniert derModedesigner Frank Herzberg bereits Getragenes mit zeitgemäßen

Schnitten und neuen Stoffen zu einer Stilcollage.Elektrisch-Eklektische Unabhängigkeit.

59

Page 62: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

60Heimatkleid

Page 63: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Ein von außen unscheinbarer Laden in der Rellinghauser Str. 121 in Essen. „Oldschool“ steht auf dem Schild. Dann betritt man die Welt von Frank Herzberg. An der Wand die selbstgeschneiderte Tapete, punktu-ell verziert mit Kakerlaken und Insekten aus Gummi; der Boden sanft bestäubt mit einer Schicht aus Straßenleben. In Regalen an der Wand stehen braune Lederpumps, die an die goldenen Zwanziger erinnern, an Kleiderständern am Rand hängen mit aktuellen Schnitten und Materia-lien kombinierte ausgediente Metalband-Shirts, neben und gegenüber von neuen Einzelstücken und dekorierenden Plastikrobotern. Geschichte an Geschichten. In dieser Polarität entsteht das Eigene, das Darüber-hinaus – Neon Elektrisch. Was auf den ersten Blick nach einem wilden Mix aussieht, folgt doch einer gewissen inneliegenden Harmonie: „Kein (erkennbarer) Stil ist auch ein Stil. Und diese Fertigkeit muss man erst einmal haben“, bemerkt Frank Herzberg. Kein Stil ist die Inszenierung von etwas, das nur da zu sein scheint. Ein Spiel mit Erwartungen. Und mit (Mode-)Rollen. Durch dieses Spiel fällt das Zuordnen von Frank Herzbergs Mode in eine feste Kategorie schwer, wodurch seine Mode eine Rettung wird vor den Einheitsansichten der Fußgängerzonen. Vor der Langeweile des Alltäglichen. Denn oberstes Gebot für Frank Herzberg ist: Mode muss Spaß machen. Und Mode muss authentisch sein und aus eben dieser Überzeugung getragen werden. Ansonsten funktioniert die Mixtur der Stile nicht. Deshalb sieht man auf den Fotos an der Wand auch Kun-dinnen mit ihren erworbenen Unikaten, beispielsweise einem engan-liegenden Kleid, das zur einen Hälfte aus einem alten bedruckten Shirt mit einem riesigen Wolfskopf besteht und zur anderen Hälfte aus einem asymmetrisch hinzugefügten Jerseystoff in Knallfarbe. Daneben: Kunden, deren Hemd vorne mit Reißverschluss versehen ist. Zippt man diesen auf, kommt ein kontraststarkes Muster zum Vorschein. Eine Art Kontrast-winkel zum Aufklappen. Versteckte und versteckbare Auffälligkeit. Wie-der das Spiel mit den Erwartungen. Für eine Shooting-Serie mit Hooligans wurden echte Hooligans im Business-Outfit fotografiert. Auch der Essener Club-Betreiber Kai Shanghai trägt das typische Reißverschlussklappen-Design, und in Helge Schneiders Bühnengarderobe kann man eine Neon Elektrisch-Lederjacke finden. Typen statt Stereotypen. Es wundert deshalb wohl nicht, dass auch MGMT, Pete Doherty und Beth Ditto (im Video zu „Heavy Cross“) Geschmack an dem Label gefunden haben. Menschen mit Geschichten. Geschichten, denen Frank Herzberg mit offenem Denken zuhört und aus ihnen lernt. Nicht aufhören neugierig zu sein. Weitermachen, sich beständig weiterentwickeln. „Wenn man den Anschluss nicht verliert, dann bekommt man auch keine Kopfschmerzen.“ Alles ist schon einmal dagewesen. Aber auch alles ist möglich. Genau darin besteht die Chance. Ein Remix, ein New Rave, ein neuer Tanz, ein neues Beben und Zittern. Dabei spielt es keine Rolle, woher man kommt, welchen Beruf man hat oder welchen Freundeskreis. Denn Mode fragt nicht nach Herkunft; sie fragt danach, wer du heute, jetzt, hier, sein möchtest. Wenn man das noch nicht weiß, dann nimmt sich Moderegisseur Frank Zeit für deine Geschichte und nimmt dich ein Stückchen mit in seine Welt von Neon Elektrisch.

61

Page 64: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

62Heimatkleid

Page 65: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

63

Page 66: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Heimatkleid 64

Page 67: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

ÖFFNUNGSZEITEN-CLUB: SA UND JE NACH EVENT: 23H - 6H | ÖFFNUNGSZEITEN-RESTAURANT: DI - SO: 18H - 23H

WWW.U-VIEW.ME TEL: 0231 880860-0 | DORTMUNDER U | 7. OG | LEONIE-REYGERS-TERRASSE | DORTMUND

BIGSIZECLUBRESTAURANTUNDEVENTLOCATIONÜBER DEN DÄCHERN VON DORTMUND

Vom Candlelight Dinner für zwei, über eine unvergessliche Clubnacht, bis zur Firmenveranstaltung mit 800 Personen (in Kombination mit dem RUBY). Wir sind immer für Sie da!

Anfragen für Firmenevents: [email protected]: www.u-view.me

anz view 230x297 dez11.indd 1 05.12.11 15:42

Page 68: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9
Page 69: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

… und besonders Letzteres macht sie gut. Lena Schröder kann fast alles und ihre Klamotten sind nicht nur schön, sondern auch lustig, selbstbewusst und manch-mal ein bisschen übermütig. Die Brille zu klein, der Kragen zu groß – Lena geht gern ins Extrem. Es ist eigentlich immer ein altes Wäschestück, das Lena Schröder als Grundlage und Inspirationsquelle für ihre Entwürfe verwendet – daraus entwickelt sie dann ihre eigenen Kreationen. Aus Altem macht sie Neues und aus Fröschen Prinzen. Für ihre aktuelle Kollektion (2011) I wanna be a yuppie sind Business-Hemden und Jacketts Basis der Entwürfe gewesen. Durch Spitze und Schleife tragbar gemacht für die urbane Frau. Aus dem Hemd wird so ein Kleid. Lässig-eleganter Mädchen-Hinterhof-Vintage-Schick. Entworfen hat sie alles an der Schneiderpuppe; drapiert und gebastelt bis es passte. Zehn Entwürfe umfasst die diesjährige Kollektion. Jedes Teil ist ein Unikat, weil das Ausgangsstück ja immer ein anderes ist.

> trinkhallen-schickeria.de> canyoukeepasecret.de

Lena Schröder / Trinkhallen Schickeria

Ich verstecke mich gerne auf Fotos. Ich liebe schlafen über alles und Süßigkeiten.

Ich mag schöne Sachen machen…

Text Ulrike HiltawskyFotos Tillman Betz

Fotoassistenz Joel StückradStyling Christina NeussModels Firu und Valeria

67

Page 70: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

68

Page 71: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

69

Page 72: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Manchmal weiß sie gleich, was sie mit einer Klamotte aus dem Second-Hand-Laden anfangen kann, manch-mal liegen die Sachen monatelang in ihrem Atelier, bis ihr die passende Idee dazu kommt. Mit einem Shirt aus ihrer 2010er Kollektion April, April lässt sich auf humorige Weise die Sehkraft der Mitmenschen testen und gleichzeitig Werbung in eigener Sache machen. Ja, die Lena ist schlau und nimmt außer dem alles an die Kette, was nicht niet- und nagelfest ist. Schallplatten, Bügeleisen, Pferde und Wolken: zum um-den-Hals hängen. Papierschiffchen-Print und Bar-bie-Schuh-Ohrringe huldigen das Kind in uns. Die Mi-schung ist ein wenig schräg, irgendwie retro, manch-mal 80er und trotzdem charmant. Lena lacht viel, und das sieht man ihren Entwürfen an. Auch wenn sie sich auf Fotos gern versteckt, so ist ihr Augenzwinkern in den Kollektionen nicht zu übersehen. Und wieso eigentlich Trinkhallen Schickeria? So genau festlegen mag sich das echte Kölner Mädel da nicht, aber der Name trifft doch ziemlich genau ihre Art zu Arbeiten. So steht die Trinkhalle für das Einfache, für die Basis ihres Entwurfes (Papas Hemd, das alte Bettlaken, die Teddybär-Brille) und die Schi-ckeria für das, was sie daraus macht. Etwas Besse-res, Elegantes und Besonderes eben. Lenas Werdegang ist stringent und zielge-richtet: Textiltechnikschule in Offenbach, Praktikum bei Achim Lippoth (kid‘s wear magazine), Praktikum bei einem Modelabel, dann Studium Modedesign in Köln. In dieser Zeit hat sie auch angefangen, unter ihrem Label Trinkhallen Schickeria ganz nebenbei Klamotten zu nähen. Gerade hat sie in Köln-Kalk ihren ersten eigenen Shop eröffnet. Und wie geht’s weiter? Im Moment ist Lena ganz zufrieden, wie es um ihr Label steht. Eine Schneiderin einstellen zu können und jemanden, der sie in ihrer Chaos-Organi-sation unterstützt sind Ziele, die sie gern bald errei-chen würde. Denn bisher näht sie alles nur mit Hilfe einer einzigen Assistentin selbst. Herzblut und Energie investiert Lena nicht nur in ihr eigenes Label, sie organisiert mit einer Freundin auch den Super Markt, den größten Kölner Design-Markt. Ihre Kleidung findet man im neuen Ladenlokal und im Online-Shop, und auch in verschie-denen Läden in Köln, Berlin, Hamburg, Leipzig und Hagen. Und dann gibt es noch den Vintage-Online-Shop can you keep a secret? – aber keine Angst, das Angebot aus Kleidung, Schuhen und Accessoires gibt es auch im realen Leben in Kölner Geschäften wie Goldig und Paradies Apfel.

70Heimatkleid

Page 73: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

71

Page 74: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9
Page 75: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9
Page 76: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Wie Obstkisten auch nach ihrer Diensterfüllung fruchtig weiterleben, das demonstriert Anna Sommerer mit ihren Apfelketten-Kreationen.

Wie man sich statt vor das leere Blatt zu setzen lieber mal ansAufräumen macht und das Tagespensum trotzdem schafft, das zeigt

sie ganz nebenbei in ihrer Abschlussarbeit über Prokrastination.

Text Amelie HauptstockFotos Anna Kopylkow, Anna Sommerer

74Heimatkleid

Page 77: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

> annasommerer.de 75

Page 78: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

76Heimatkleid

Page 79: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

So jung hatte ich sie mir gar nicht vorgestellt. Aber ich weiß gar nicht, was ich erwartet hatte von einer Pro-duktdesignerin, die ihre Abschlussarbeit über Prokrastination abgeschlossen hat, also über ein Thema, das gerade eben ein (termingerechtes) Abschließen ausschließt. Aufschieben, das scheint eine Trend-Begrifflichkeit unserer Zeit zu sein, dazu noch ein selbster-wähltes Charakteristikum der kreativen Branche. Die Idee hinter dem Projekt: Mit zeitbegrenzt vorgegebenen Aufgabenhäppchen und einem Augenzwinkern der permanenten Aufschiebung entkommen oder sie eben ganz bewusst zulassen und die entstandene gute Laune genießen. Ich finde das eine sehr schöne Vorstel-lung. Wenn man schon kreativ mit den eigenen Schaffensprozessen umgeht, warum nicht mal zwei Würfel entscheiden lassen, ob man die nächsten 25 Minuten arbeitet oder stattdessen spazieren geht? Oder der Ent-scheidung der Münze folgen, die einen zum Spülen verdonnert und danach erst zur Projektarbeit? Man kann auch ein kleines Aktions-Holzstäbchen aus dem Jutebeutel ziehen und packt sich, der Vorgabe auf dem Holz folgend, die Lieblingsmusik auf die Ohren. Das alles wird für die „Prokrastinationskönige und -königinnen“ einzeln oder als Pro-Paket angeboten, so dass die Betroffenen oder die Vorbeugenden ihre private Prokrasti-nations-Möglichkeit im Regal haben können.

77

Page 80: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Angefangen hat die Produktdesignerin Anna Sommerer während des Studiums mit kleinen Broschen aus alten Obst- und Gemüsekisten. Ein Freund hatte ihr gesagt, dass in dem Bioladen, in dem er arbeitet, jeden Tag ein großer Haufen davon weggeworfen wird. Anna nutzte die Gelegenheit und bastelte in den Werkräumen an ihrer Uni in Krefeld erste Apfelbroschen für Freundinnen. Dann Ketten. Dann kamen erste Läden auf den Ge-schmack. Die Ketten bestehen aus zwei aneinander geleimten Orangenkistenäpfeln, die durch eine schwarze Ringkette oder einem robusten Schuhlederband tragbar gemacht werden. Es gibt bedruckte und unbedruckte Äpfel und Apfelkitschen – je nachdem, welches Material gerade abgeworfen wurde. Farbenfroh oder dezent, etwa keksgroß und, weil aus wiederverwerteten Kisten, auch nur als Einzelstück vorhanden. Irgendwie ist der Apfel sympathisch, denke ich. Das kann aber auch an der Frau liegen, die vor mir sitzt und einfach erzählt, wie sie bei den Pfadfindern früh gelernt hat, eigenverantwortlich Projekte durchzuführen und auch Verantwortung für andere zu übernehmen. Wie man es schafft, aus Eis Skulpturen entstehen zu lassen und in Finnland zu arbeiten. Oder wie ein Missverständnis dazu führte, dass sie in Buenos Aires doch keinen Praktikumsplatz sicher hatte, was sie aber erst nach ihrer Ankunft erfuhr. Und wenn man diesen ganzen Fluss an Erlebnissen so aufnimmt, dann kann man sich in keiner Minute vorstellen, dass Anna Sommerer ihr eigenes Aufschiebe-Paket selbst gebrauchen kann. Ach, sagt sie da, ich drücke mich gerade auch vor der Planung der Produktion der Prokrastinations-Beutel. Na, denke ich, das wird wohl nicht lange dauern, bis auch dieses Projekt angegangen wird. Erfolgreich, denke ich dann noch. Dann fällt mir ein, dass es in meiner Spüle gerade ein Großtreffen der kochbenutzten Gegenstände gibt und dass mein Schrank noch auf seinen zweiten (krummen) Vorhang wartet, um die kreative Wirtschaft dahinter zu verbergen. Ich sollte mir ein Würfelpaket vorbestellen. Ich bin mir sicher, dass sich mein Verhalten langfristig mit der Auf-gabenzuweisung durch eine Münze oder Holzstäbchen nicht ändern wird. Aber es verändert die Perspektive auf die ausstehenden Anliegen von einem großen Berg hin zu kleinen bewältigbaren Häufchen. Solange ich den Aktions-Beutel noch nicht bei mir habe, arbeite ich erst mal so weiter wie bisher. Zum Glück ist genug Zeit zum Spülen heute. Oder lieber morgen. Eilt ja nicht.

78Heimatkleid 78

Page 81: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

CREATIVE STAGE ist ein Format der Wirtschaftsförderung Bochum, der Essener Wirtschaftsförderungsgesellschaft mbH, der Wirtschaftsförderung Dortmund / Kulturbüro Dortmund, der Gesellschaft für Wirtschaftsförderung Duisburg mbH sowie der Wirtschaftsförderung metropoleruhr GmbH.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

EinE BühnE für diE AktEurE dEr krEAtivwirtschAft dEr MEtropolE ruhr / 2012. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20.03.2012 DoRTmunD / 09.05.2012 DuISBuRG / 03.07.2012 BoCHum / 19.09.2012 ESSEn

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Kontakt: [email protected] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Mehr Infos unter:www.creativestageruhr.de. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Foto: Daniel Gasenzer

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Konzept/Umsetzung:. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

In Kooperation mit:

Page 82: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Heimatkleid

> annasommerer.de

> trinkhallen-schickeria.de

> leder-inagaki.com

> neon-elektrisch.de

Page 83: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9
Page 84: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Sie gelten schon als die coole neue Band imRuhr gebiet. Sisterkingkong kommen aus dem Umfelddes Dortmunder Sissikingkong. Doch eine schlichte

Band zur Bar sind sie nicht, wie allerspätestensihr cooles Video „Beast Burn Please Burn“, realisiertvon der Bande für Gestaltung, beweist. Im Frühjahr

kommt die Platte. Ein Porträt.

Text Tom ThelenFotos Bande – Für Gestaltung! (Screenshots aus dem Video „Burn Beast Please Burn“)

82Heimatlust

Page 85: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Thekenband ist so ein Begriff, der sich sofort aufdrängt. Sisterking-kong heißt die Band, im Sissiking-kong haben sich die Mitglieder kennengelernt. Dirk Geisler, Song-schreiber der Gruppe, ist sogar Chef des coolen Ladens nördlich des Dortmunder Hauptbahnhofs. Er ist es aber auch, der von die-sem Aspekt gerne ablenkt, denn das würde das Projekt zu sehr auf seine Person fokussieren, sagt er. Doch beleuchtet man die Bandge-schichte um ihn, Sebastian Gröne, Julia Reschucha, Simon Schneider und Peter Schoppa, so wird schon deutlich, dass die Kneipe an der Landwehrstraße das gravitätische Zentrum ist, um das die Band kreist. Doch diese Kreise werden derzeit weiter und weiter. Es gibt Stimmen, die behaupten, Sister-kingkong sei im Moment eine der coolsten Bands des Ruhrgebiets. Dem ist kaum zu wider-sprechen, spätestens seit dem letzten Video. Zum Song „Beast Burn Please Burn“ hat die Bande für Gestaltung für eine spektaku-läre visuelle Umsetzung gesorgt. Darin sehen die Betrachter die vier Herren der Band (Julia kam erst kürzlich dazu) in Lederschu-hen und Casual Chic gekleidet

des Weges kommen und mit entschlossener, doch noch leicht zweifelnder Mine einen Anstieg angehen. Erst auf unbefestigtem Wege, dann hinein in den Wald, über Baumwurzeln, entlang an Ästen sich ziehend, stehen blei-bend, mit Schweiß auf der Stirn nach oben schauend. Eine Tortur, eine Zumutung, Anstrengung. Die Musik zieht an, wird lauter und schneller, die Mühen des Kraxelns extremer, auf allen vieren geht es die abrutschende Halde hinauf, durch den dunklen Boden aus Schlacke und vereinzelter Vege-tation. Zum Schluss ist es reiner Kampf und Krampf, Schweiß fließt in Strömen, die Kleiderordnung ist dahin, die Schuhe ruiniert, das Quartett strebt aber weiter dem vermeintlichen Gipfel zu. Dann sind die Jungs oben, was sie dort erwartet: wir wissen es nicht, er-fahren es nicht. Ein wunderschö-ner Song mit der richtigen Dosis Pathos, ebenso einfach wie ele-gant umgesetzt. Ein kleiner Film vom, ja, „Weitermachen“, vom Durchhalten, auch von Arbeit und einer lockeren, unverkrampften Art von Teamgeist. 3 Minuten und 26 Sekunden, die dem Bandpro-jekt grandios zu Gesicht stehen.

> sisterkingkong.de

Besserals Bier, Bar, Band

83

Page 86: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

„Das war ziemlich steil da und ich hatte richtig Höhenangst“, be-richtet Dirk Geisler von den Dreh-arbeiten auf der Halde in Hom-bruch. Nach langer Diskussion (eines der Kennzeichen der Band) hatte sich das Drehbuch durch-gesetzt, das den Kampf gegen den eigenen Schweinehund, den ja auch der Text des Songs meint, auf diese frappierende Art visua-lisiert. Und der Clip zeigt erneut eine Band in Bewegung. Schon im ersten Video von Sisterking-kong, „The Glory Is Lost“, sind sie unterwegs. Eine interessant gefilmte Fahrradtour, lässig unan-gestrengt, unglamourös, und auf eine so bemerkenswert unpräten-tiöse Art cool. Von jener spezi-fischen Coolness, die nicht auf Dresscodes, Marken, Distinktion beruht, sondern etwas undefiniert zwischen Flaschenbier, Angrillen, Fußballgucken und viel-zu-spät-ins Bett-gehen entsteht. Womit wir wieder in der Kneipe wären. Hier hat alles angefangen, hier im Keller neben der Kühl-anlage wurde ihre Musik geboren. Geisler hatte irgendwann Ende

der Nuller Jahre nach einer Pause wieder begonnen Musik zu ma-chen: Erst im Sissi-Keller, dann im unweit gelegenen Proberaum. Die anderen kamen hinzu: Simon Schneider (Bass), geboren 1984, spielte bei Eat More Plastic, spielt auch noch bei Ritalin Ray (kürz-lich als Demo des Monats in der Vision), Sebastian Gröne (Schlag-zeug), Jahrgang 1978, Ex-Kasino und Peter Schoppa (Gitarre), aus 1971, spielte schon bei Les Jacks, Air6, American Lead Guitar. Ein dreiviertel Jahr lang zog sich die Namensfindung der Formation. Viel wurde offenbar darüber dis-kutiert, letztlich schlug Sebastian Sisterkingkong vor, was nach Ab-stimmung mit einfacher Mehrheit angenommen wurde. Mit dem Song „Sister Kingkong“ von Udo Lindenberg hat das also nicht viel zu tun, auch wenn sich niemand gemüßigt fühlt, sich davon zu di-stanzieren. Die Truppe hatte dann bei der 10-Jahre Ekamina-Party im August 2010 einen ersten bedeu-tenden Auftritt, natürlich im Sissi-kingkong. Wo sonst? Es lief glän-zend. Der Auftritt, das Live-Erlebnis

stehe immer noch im Mittelpunkt ihres Interesses, erzählt Geisler. Er schreibt die Songs, stellt sie im Proberaum vor, gemeinsam mit den anderen Bandmitgliedern werden sie dann entwickelt – „Nach sechs bis siebenmal spielen, wissen wir dann, ob das was für uns ist“. Musikalisch hat sie der Journalistenkollege Jens Kobler mal relativ unwidersprochen der „spezifisch westfälischen Variante anglophilen Indierocks“ zuge-rechnet. Vergleiche, die immer wieder genannt werden sind auch Pavement, Yo La Tengo, The Shins, aber auch Lou Reed und sogar Dylan. Doch darüber macht sich die Band keinen großen Kopf, aus den nicht homogenen Platten-sammlungen ihrer Mitglieder ziehen sie eher Stärke als Zwist, eine allein schon durch das unter-schiedliche Alter ihrer Mitglieder nicht kongruierbare Musiksozia-lisation amalgieren sie zu eigener musikalischer Substanz. Als noch junge Band entdecken sie derzeit gerade ihre Stärken, vor allem die Stärken ihrer Songs. Die funktio-nieren in leisen akustischen Ver-

84Heimatlust

Page 87: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

sionen auch, das war eine dieser Entdeckungen, die sie bei einem Auftritt gemacht haben. Irgend-wann im Frühjahr 2012 wird bei ihrem neuen Label VierSieben Records (natürlich aus Dortmund) ihr Album „She Sees Wolves“ erscheinen, das sie in Troisdorf im Studio aufgenommen haben. „Da haben wir uns noch einmal neu gefunden, der Lernprozess der Band hat sich beschleunigt“, findet Dirk Geisler. Ob sie damit zu Stars werden, zumindest regional, das treibt die Band nicht wirklich um. Erst einmal wird die Platte produ-ziert, inwieweit man damit Geld verdienen kann, sie vermarkten kann, das wartet man ab. Alle gehen zumeist kreativen Brot-berufen nach, Simon studiert als einziger noch. „Wir wollen gute Konzerte spielen, haben Bock live aufzutreten“, das ist die Devise. Damit haben sie sich zumindest lokal schon einen sehr hartnäckigen Fanclub erspielt, der für ein viel Mut machendes Feedback sorgt. Ein Konzert in der Pauluskirche sahen kürzlich

gut 350 Leute. Und darin fän-den sie natürlich den Grund zum Weitermachen, der sie antreibe neue Songs zu schreiben. Die Bar, das Sissikingkong, die sorgt für das Umfeld, für kurze Wege, für schnelle Hilfe, für das nicht virtuelle Netzwerk. „Das ist gut hier für Musiker“, erzählt Julia, „jeder kennt jeden, da entwickelt sich schnell was über Bekannt-schaften“. Dennoch ist Sister-kingkong weit mehr als die Band zur Bar. Die Basis der Kreativität der „Schwestern“ ist nicht der Tresen, auf dem die Flaschen Bier stehen. Die Theke reicht viel-leicht als verbindendes Element beim Kicken auf dem Bolzplatz. Um Musik gemeinsam zu ma-chen, gute Musik zumal, braucht es mehr. Sisterkingkong spielen schon lange nicht mehr auf dem Bolzplatz.

> bandefuergestaltung.de 85

Page 88: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Heimatlust 86

Page 89: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Zeig mir, wie du be-rühmt wur-dest

Text Tom ThelenFotosTillmann Betz

Frida Gold aus Hattingen erobern derzeit die Popwelt. Als Außenseiter in der von Punk und HipHop

dominierten Ruhrgebietswelt gestartet, ist die Band um die schöne Frontfrau Alina Süggeler jetzt schwer angesagt. Das Phänomen im Gespräch und Porträt.

87

Page 90: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

unter die zehn schönsten Frauen der Welt. Die Band produziert gut platzierte Charthits („Zeig mir wie du tanzt“ (beste Chart-Plat-zierung: 38), „Wovon wir träumen“ (19) oder „Unsere Liebe ist aus Gold“ (32)), die Tour ist glänzend verkauft, Frida Gold gilt als Phänomen und hat auch noch mit Warner eine mächtige Plattenfirma im Rücken. Und da ist noch der ständige Vergleich mit Kylie Minogue. Der drängte sich bei der versam-melten Presse eben nicht allein deshalb auf, weil Frida Gold als Vorgruppe der Australie-rin agieren durften. Da ist auch etwas, was gerne als Bühnenpräsenz beschrieben wird.

Natürlich war das Bochumer Schaufenster nicht der Beginn ihrer Karriere. Schon in Hattingen, als Schüler, haben Alina und Gitarrist Julian Cassel zusammen Musik gemacht und nicht unerfolgreich an Wett-bewerben teilgenommen. 2007 gründeten sie Frida und spielten fortan jenen tanzbaren Disco-Pop, der schnell ihr Markenzeichen werden sollte. „Damit waren wir damals Außenseiter, beim Emergenza-Festival etwa spielten wir als die einzige Pop-Band“, erinnert sich die Sängerin. 2008 lernte Süggeler, die inzwischen ein ganz klassisches Querflöten-Studium an der renommierten Folkwang-Universität in Essen geschmissen hatte, Andreas „Andi“ Weizel kennen. Mit ihm zusammen schrieb sie nun Songs, die Band erreichte eine neue Stufe. „Da haben wir gemerkt und gefühlt, dass wir das so richtig machen wollen“, sagen die beiden.

Und doch ist jenes Schaufenster des Klamottenladens noch einmal wichtig: Es gehört zum Modeladen Jungle von Nastasja Vonderstein. Hier half Alina gut zwei Jahre lang ihrer Freundin, beriet, suchte Mode aus, schaute sich Kollektionen von Desig-nern an. Hier entwickelte sie ihren Style weiter, der sie im deutschen Pop von Heute vermutlich zu einer Ausnahmefigur macht. Ähnlich modeaffin und extravagant ist viel-leicht noch Mieze Katz von Mia, dann hört es aber schon auf und eine gewisse Bieder-keit gewinnt die Oberhand. Ihre Affinität zur Mode spiegelt sich daneben auch in ihrer

Sommer 2009. Bochum Total. Carsten Marc Pfeffer, junger Punk-Veteran, jetzt Liedermacher, beginnt sein Solokonzert im Zacher in der Brüderstraße. Doch plötzlich von draußen ein Beat; ein Menschenauflauf ist zu sehen. Pfeffer, der Lokalheld, ist irritiert, sein Publikum läuft ihm weg, hinaus. Denn ein Haus wei-ter, da spielt eine Band im Schaufenster. Hinter Glas. Die Boxen stehen draußen, die ersten tanzen schon vor der Scheibe, der Pulk wächst schnell an. Das ist Pop, im Schaufenster des Jungle-Modeladens tanzt die schöne Alina Süggeler aus Hattingen. Frida Gold, so heißt die Band, ist auf dem Weg nach oben. So viel ist da klar.

2011 ist die Band schon ein gutes Stück auf der Karriereleiter geklettert, Alina Süggeler ist mittlerweile bekannt aus Film und Fern-sehen. Erst war da MTV, ein mittlerer Hit, sie sangen mit „Wovon sollen wir träumen?“ den offiziellen Song der Frauen-Fußball-WM, die 26-jährige Alina wurde von der Zeitschrift Prinz zu den 10 wichtigsten Ruh-ries gezählt; sie wurde zudem in die Jury des Eurovision Song Contests 2011 berufen und das Frauenmagazin Grazia kürte sie gar

88Heimatlust

Page 91: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Modeltätigkeit wieder. Da war sie für H&M genauso zu sehen wie für das ungleich coolere Label „schwarzwaldkirsch“. Was da als nächstes kommt, steht in den Sternen, über etwaige Angebote schweigt Süggeler sich aus.

Ich treffe Andi und Alina vor einem Tour-Auftritt im Düsseldorfer Stahlwerk. Zwei lässige, ja irgendwie Popstars, stylish gekleidet, Alina mit Ray-Ban-Son-nenbrille und hohen Schuhen. „Die Jacke ist Vintage, vom Flohmarkt“ erklärt sie und wedelt mit den Pu-scheln. Eine eindrucksvolle Erscheinung – Glamour am Mittag zwischen Tourbus und Soundcheck. Ob die Herren in der Band Druck verspüren, wenn die Frontfrau modisch so extravagant vorausgeht wie Alina? „Klar strengen wir uns da auch mehr an“, sagt Andi, „die Latte wird da ja hoch gehängt. Doch letzt-lich sind wir eben eine Band und wollen uns auf der Bühne wohlfühlen“. Alina weiß auch zwischen dem roten Teppich und dem täglichen Zwei-Stunden-Gig zu unterscheiden: „Da braucht es auch Pragmatis-mus, wir spielen schließlich 25 Auftritte auf der Tour hintereinander, da kann man nicht großartig over-dressed auftreten.“

Der Tourauftakt am Vortag in der Frankfur-ter Batschkapp ist offenbar gelungen, die beiden strahlen, wenn sie davon erzählen. „Seht ihr, wie wunderschön ihr ausseht?“ hat die Band unter ein Foto, das die Fans von der Bühne aus zeigt, bei Facebook geschrieben. Das ist eine besondere An-sprache, die, wie man im Gespräch merkt, ziemlich ernst gemeint ist. „Es war mein größter Fehler, dass ich zu spät angefan-gen habe, mich in Ordnung zu finden“, sagt Alina ganz offen. Um diesen Fehler zu ver-meiden, wollen sie ihrem Publikum helfen. „Auf Augenhöhe, wir wollen nicht erziehen“. Und das gelinge, meint Alina, und erzählt quasi als Beweis – und auch ernsthaft erstaunt – dass auch Frauen Kontakt zu ihr aufnehmen würden, die älter sind als sie und sie trotzdem für ihre Botschaft und ihren Stil loben. Mit der Band zusammen sollen die Fans über sich hinauswachsen. Transportiert soll diese freundschaftliche Selbstbewusstseins-Message werden mit Entertainment für alle Sinne. Mode, Visuals, Sounds stimmig verpackt.

Stetig wachsen wollen sie, sich ein Stammpublikum erspielen, in immer größeren Clubs und Hallen auf-treten und auch „richtig dick auftragen“. Als „echte Band“ wollen sie groß werden, darauf legen sie Wert. Sie verstehen sich auch als „Band aus dem Ruhr-gebiet“, hier fänden sie immer noch „Geborgenheit, Familie und die Freiheit, zu tun was wir wollen“. Was sie nicht wollen, ist der Status eines Shooting Stars. „Shooting Star“ sagen sie, meinen aber vermutlich eher „Retorten Band“. Wann sie denn nun genau gemerkt hätten, dass sie jetzt Popstars sind, will ich wissen. „Als wir vorgestern in den Nightliner gestie-gen sind“, witzeln sie in Anspielung auf den großen Tourbus. Doch es seien eben nur wenige Momente, in denen man das merke, dass etwas geschieht, be-haupten sie. Wenn Frida Gold ins Ruhrgebiet kom-men, ist das aber für sie nicht nur angenehm. „Kon-zerte zu Hause zu spielen ist schwierig. Da kommen eben nicht nur Fans, die die Musik lieben, sondern auch Freunde, Familie, Bekannte. Und da will man es besonders gut machen“, konkretisieren sie das Unbe-hagen, das aber doch nur ein leichtes ist.

An das Schaufenster-Konzert können sich die Musiker noch gut erinnern. Auch im Heimatdesign-Shop in Dortmund spielten sie einst ein derartiges Konzert. „Vielleicht machen wir das ja mal wieder“. Als ich vor dem Interview mit Andi und Alina dem Gesprächs-technisch verhinderten Gitar-risten Julian Cassel treffe, der uns aber im Catering Bereich höflich einen Kaffee einschenkt, und ihm vom kurzen Leid des Liedermachers Carsten Marc Pfeffer erzäh-le, ist der Musiker deutlich überrascht. „Das wusste ich gar nicht, das tut mir leid“, sagt er. Sie wollen auf sehr nette Art nach oben. Denn sie haben was zu sagen.

> fridagold.com 89

Page 92: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Was übrig bleibt von einem Kulturhauptstadtprojekt:Rund 3000 Seiten Text und Vereine wie „Borsig11“,

der in Dortmund das Projekt „2-3 Straßen“weiterentwickelt.

Ende &Heimatgedanke 90

Page 93: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Nachhaltigkeit und Kulturhauptstadt? Ja, da war mal was. Anfangs waren Projekte wie „Land for free“ ge-plant, in dessen Rahmen Kreative und Unternehmer auf ungenutztem Land an der Emscher angesiedelt wer-den sollten. Leider fand das ambitionierte Projekt, wie so viele, nicht den Weg in das offizielle Programm der Ruhr.2010. Und sonst? Einerseits betonierte Nachhaltigkeit in Form von Museen, andererseits einige Projekte, von denen man sich gewünscht hat, dass sie auch nach dem Kulturhauptstadtjahr weiterentwickelt werden können, und dass das Versprechen, Kultur und Alltag zu verbinden, gelingt. Also jene Menschen einzubinden, die sonst nicht ins Museum oder ins Theater gehen; jene, die Kultur als Elfenbeinturm wahrnehmen. Wenn überhaupt. Um das zu erreichen, kann man eine Autobahn sperren und mit Ruhrgebietsvolk füllen, was ja auch funktioniert und beeindruckende Bilder produziert hat. Es geht aber auch anders.

Dass Einbindung und Teilhabe zwischen Mensch und Kultur gelingen kann, zeigte ein weiteres, durchaus ambitioniertes Kulturhauptstadtprojekt: „2-3 Straßen“ des Konzeptkünstlers Holger Gerz. 78 Menschen sind Anfang 2010 ins Ruhrge-biet gezogen; eingeladen, um drei ganz normale Straßen in Duisburg, Mülheim an der Ruhr und Dortmund zu verändern. Sie sind Teil des sozialen Kunstwerks „2-3 Straßen“; ihre Aufgabe ist, dort zu leben und zu schreiben. Ein Jahr lang soll der Text der Straßen entstehen; nicht nur sie selbst sollen schreiben, sondern auch Nachbarn und Besucher. Am Ende sind 887 Menschen unterschiedlichster Her-kunft zu Autoren geworden, 10000 Beiträge sind von den Laptops direkt auf einen

Text Volker K. BelghausFoto Guido Meincke, Sabine Mattstedt, Sabitha Saul

> 2-3strassen.com > borsig11.de> matistache.de

Ende &91

Page 94: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

92

Page 95: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

93

Page 96: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Server geflossen, wo sie sich nach und nach zu einem großen Text verdichteten. Das Ergebnis ist seit Frühjahr in Buchform erhältlich – 3000 Seiten, ohne Absätze, auf Dünndruckpapier. „2-3 Straßen TEXT“ ist der schlichte Titel des Wälzers, der gemeinsam mit einem, weitaus dünneren, Making Of-Band in einem Schuber aus rusti-kaler, brauner Pappe steckt. „Wir sind zu sechst, und es ist wohl der erste Eintrag überhaupt, und wir haben der Welt folgendes zu sagen:“ steht es auf der ersten Seite und dem Umschlag. In der Tat: Sie haben viel zu sagen, auch wenn es im Buch bewusst nicht kenntlich gemacht wurde, wann oder von wem die Textpassa-gen verfasst wurden. Der Text fließt chronologisch, der Leser kann aber durch Hinweise im Text, wie auf die Loveparade-Katastrophe, einen zeitlichen Zusammenhang herstellen. Banales trifft auf Poesie, Tagebucharti-ges auf Politisches auf Alltägliches, die Sprachen und die Schreibstile wechseln abrupt. Im schmalen Making of-Band finden sich fotografische Eindrücke des Jahres, dazu vertiefende Texte und Essays wie das Original-konzept von Jochen Gerz oder der Text „Schenk mir einen Satz“, in dem die Teilnehmerin und Satzsammlerin Isabelle Reiff davon berichtet, wie sie mit ihrem Laptop durch die Dortmunder Nachbarschaft streifte, bis hi-nein in türkische Teestuben, immer auf der Suche nach Menschen und deren persönlichem Text. Und da man den Wälzer eher schlecht in der Straßenbahn lesen kann, arbeiten die Organisatoren um Jochen Gerz an einer iPad-Version des Textes; wenn auch mit anfänglichen Startschwierigkeiten: Unter dem Ansturm der Millionen

von Buchstaben brach die Technik zusammen. „Klar haben uns die bisherigen Bewohner erstmal kritisch angeschaut, als wir hier angefangen ha-ben“ sagt Volker Pohlüke. Auf einmal kamen Touristen, die in Besucherschulen durchs Viertel geführt wurden, verbunden mit großer Medienaufmerksamkeit. „Die Leute fühlten sich wie Subjekte im Zoo“ ergänzt Guido Meinke, „aber das hat sich nach und nach gegeben, als die merkten, dass wir es ernst meinen.“ Die beiden haben 2010 aktiv den Dortmunder Teil von „2-3 Straßen“ mitgestaltet – und ma-chen weiter. Geschrieben wird nicht mehr, 3000 Seiten sind nun wirklich genug, stattdessen wurde mit „Machbarschaft Borsig11 e.V.“ ein Verein gegründet, der die Bevölkerung mit einbindet. „Bor-sig11“ will ein „Labor, ein Inkubationszentrum für kulturelle, soziale und ökonomische Praktiken, das die Gegebenheiten vor Ort aufnimmt“ sein; das „Experiment mit der Wirklichkeit“ soll weitergehen. Alles bündelt sich in Büroräumen direkt am Borsigplatz, die von „Evonik“ zur Verfügung gestellt wer-den und auch so aussehen – Zweckmobiliar eben. Dafür sind die Räume mietfrei – als Gegenleistung hilft „Borsig11“, leerstehende und günstige Wohnungen im Viertel an Studenten zu vermitteln. Dabei ist ausdrücklich gewünscht, dass die neuen Mieter aktiv bei den Projekten des Vereins mithelfen.Angeschoben wurde seit der Vereinsgründung im August 2011 schon einiges: Es gibt eine Fahr-radwerkstatt, die Kindern und Erwachsenen bei Reparaturen hilft, Einkaufsgemeinschaften, einen Coworking-Space und eine angenehm wilde „Weltbibliothek“, in der man Bücher zwar nicht leihen, aber spenden und tauschen kann. Hier steht Max Frisch neben Disneys lustigen Taschenbüchern, auf vielen Buchrücken findet man arabische Schriftzeichen. Mit der „Galerie im Treppenhaus“ haben

Heimatgedanke 94

Page 97: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Volker Pohlüke und Anna Wiesinger Farbe in triste Flure gebracht. Während „2-3 Straßen“ haben sie die Nachbarn im Oesterholz-Karree nach deren Lieblingsfarben gefragt. Nach den Antworten wurden quadratische Farbtafeln gefertigt, die nun in den Treppenhäusern vor den entsprechenden Wohnungs-türen hängen. Zudem wurde mit „Borsig out of the Box“, kurz „B-Box“, ein kubisches Sitz- und Stapel-element aus Wellpappe entwickelt, das nicht nur bei Messen oder Großveranstaltungen zum Einsatz kommen kann, sondern auch zu Hause. Mit der „B-Box“ lassen sich ganze Bücherregale errichten, jedes Element (Kantenlänge: 45 cm) ist jeweils nur 3 kg leicht, trägt aber eine Last von bis zu 1300 kg. Die Erlöse aus dem Verkauf fließen natürlich wieder in die „Borsig11“-Aktivitäten. Und – man trägt wieder Schnurrbart am Borsigplatz, und zwar als T-Shirt-Aufdruck. Designer Mathias Lempart hat das Label „Matistache“ 2010 in Dortmund gegründet und vom Borsigplatz in die weite Welt getragen. Im Januar 2011 stellte er seine Debütkollektion auf der Berliner Fashion Week vor; mittlerweile gibt es nicht nur T-Shirts, sondern auch Röcke, Tanktops und Unterwäsche, die auch europaweit in ausge-wählten Boutiquen zu finden sind.

Sicher, manche dieser Ideen, wie die Treppenhaus-Galerie, wirken eher putzig. Sie funktionieren aber, wenn auch auf kleiner Ebene. Die Nachbarn fühlen sich eingebunden in dieses partizipative Projekt. Selbst Kinder können mitmachen, und wenn sie nur erfolgreich den angelegten Mietergarten vor randalierenden Idioten be-schützen. Man spürt diese Begeisterung auch bei den Machern Pohlüke und Meinke, die schon viel weiterden-ken; daran, wie nicht nur Studenten, sondern auch Sozial-Unternehmen an den Borsigplatz gelockt werden können, oder wie man Zeit-Konten entwickeln kann, auf denen die Zeit, die eine Person aufbringt, um z.B. die alte Dame von nebenan zu besuchen oder für sie einzukaufen, angespart und später in eigene Betreuungszeit umgetauscht werden kann. Das ist aber noch Zukunftsmusik, aber man merkt: Eigentlich ist diese Geschich-te doch noch nicht zu Ende geschrieben, auch wenn Guido Meinke energisch betont: „2010 waren wir Kunst, jetzt nicht mehr!“ Vielleicht kann das Buch „2-3 Straßen TEXT“ als ein 3000 Seiten langer Prolog verstanden werden; vor dem, was da noch kommt.

„2-3 Straßen TEXT“Eine Ausstellung in Städten des Ruhrgebiets

von Jochen Gerz. Text- und Making of-Band, 3000 Seiten,

2 Bände im Schuber, Dumont Verlag, 86.- Euro

Erhältlich über www.2-3strassen.com

95

Page 98: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Indie – Heimatkunde

224 Seiten gemischte Gefühle – das „Ruhrgebietsbuch“ von

Markus Weckesser und Jörg Sundermeier wagt einen anderen Blick auf die Region.

„Ruhrgebietsbuch“ Markus Weckesser & Jörg Sundermeier (Hrsg.)

Verbrecher-Verlag, 2011224 Seiten, 12 Euro

höhe, wo die Kneipen entweder zumachen oder zur Sky Sportsbar werden. Man kann die Gegenwart nicht verstehen, ohne sich die Vergangenheit zu vergegenwärtigen – das haben auch die Herausgeber begriffen. So findet sich ein Fragment von Egon Neuhaus autobiografi-schem Roman „Spinnewipp“, der realistisch über den Neuanfang im Revier nach dem zweiten Weltkrieg schreibt: „Im Paradies“. Das in diesem Fall ein übrigge-bliebener Bunker ist. Man blickt auch kulturell zurück, z.B. auf Helmut Meyer, laut Überschrift „Oberrealist, kackfrech“, ab 1971 Kulturdezernent von Mülheim an der Ruhr und Mitinitiator des Theaters an der Ruhr. Sein Ziel war, die Kultur für alle zugänglich zu machen, er forderte aber gleichzeitig auch die Bereitschaft, sich „auf neue Bilder, komplexe Texte und fremde Erlebnis-se einzulassen (…). Öffnung ist daher alles andere als Popularisierung.“ Wie hätte wohl eine Kulturhauptstadt Ruhr.1978 unter seiner Mitwirkung ausgesehen? Christoph Ribbat blickt ironisch nach Berlin-Moabit, in die dortige Bochumer, Essener und Dortmunder Straße, wo er Luxus-Wohnungen wie die „SpreeVilla Westfalia“ vorfindet, die wahrschein-lich deshalb so heißt „weil exakt null Personen eine Wohnung in der SpreeVilla Ruhrgebiet kaufen würden.“ Bewährt komisch: Alexander Kluges „Gespräch“ mit Helge Schneider als arbeitsloser Stahlarbeiter über Karl Marx. Oder so. Viel zu kurz, aber gut ist Enno Stahls böse Triade über das Ruhrgebiet und dessen Selbstverständnis; Stahl beschreibt das Ruhrgebiet aus niederrheinischer Kindheitssicht als gigantische „City of Light“, um sich dann über „diese SPD-Archi-tektur“, den „Kleingeistmatsch“ und die „(anti-)kultu-relle Blödigkeit“ mal so richtig auszukotzen.

> verbrecherverlag.de

Text + Foto Volker K. Belghaus

Geht’s noch? Noch ein Buch über das Ruhrgebiet!? Hat da einer den Schuss nicht gehört? Oder die sich biegenden Büchertische im Jahr 2010 erfolgreich verdrängt; inklusive dem gefühlt zehntausendsten Pommesbudenführer oder dicken Textschwarten, in denen Funktionäre und Politiker die „Metropole Ruhr“ beschwören? Braucht man noch ein „Ruhrgebiets-buch“ wie dieses, oder ist das nicht völlig überflüssig? Thematisch vielleicht, inhaltlich auf keinen Fall. Der optisch angenehm unauffällige Band, den Markus Weckesser und Jörg Sundermeier im Berliner „Verbrecher-Verlag“ herausgebracht haben, bildet den Gegenpol zur üblichen, bunten Touri- und Folklorelite-ratur. Direkt im ersten Beitrag enttarnt Oliver M. Piecha den Metropolenbegriff als visionären Schnee von Ges-tern – und zitiert den Journalisten und Schrift steller Alfons Paquet, der bereits 1930 begeistert von dem „Riesengebiet städtischen Werdens“, dem „einzigen Zusammenhang“; der „StädteStadt“ fantasierte. Irony is over und die Kulturhauptstadt sowie-so, das Metropolendorf ist wieder ganz bei sich, ver-schrottet die letzten Visionen und die Stahlkonstruktio-nen, die mal Museum werden sollten, wie in Duisburg, gleich mit. Pfusch am Bau. Dann doch lieber zurück in den Alltag wie André Boße und Marc-Stefan Andres, die sich an Samstagen in die Regional expresse gesetzt und mitgeschrieben haben. Fußballgespräche, Schü-lergespräche über Philosophie (neuestes Schimpfwort „Du Hegel!“), Flaschensammlermonologe zwischen Duisburg und Dortmund. Oder der Text vom traurigen Wolfgang Welt, der in den 80er mal als der Popliterat des Ruhrpotts galt, und heute als Pförtner im Bochu-mer Schauspielhaus arbeitet: „Peter Handke würde sich nicht wohlfühlen“ im Bergarbeiterviertel Wilhelms-

96

Page 99: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

»Der perfekte Augenblick«

21  / 01—09 /  04  / 2012

Museum Ostwall im Dortmunder UEINE AUsstEllUNg IN KOOpErAtION MIt DEr AlBErtINA, WIEN.

www.museumostwall.dortmund.de

Alex KAtz

Alex

Kat

z, B

ig R

ed S

mile

© V

G B

ild-K

unst

, Bon

n 20

11

Ges

taltu

ng: l

abor

 b d

esig

nbür

o

Katz_Anzeige_Heimatdesign_02RZ.indd 1 07.12.11 16:03

Page 100: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Diese Ausgabe des Magazins steht unter dem Motto „Weitermachen!“ – das gilt auch für Heimatdesign selbst. Seit dem letzten Heft Ende 2010 hat sich einiges getan am Hohen Wall. Im Frühjahr 2011 wurde die Idee der „Ständigen Vertretung“ im Erdgeschoss auf das Gebäude skaliert. Die erste Etage wurde zum Coworking-Space ausgebaut; es stehen 25 mietbare (tages-, wochen- oder monatsweise) Arbeitsplätze zur Verfügung; ausgestattet mit einem Schreibtisch, Strom, schnellem W-LAN, Dru-cker, Kopierer, Scanner und Fax. Ein Konferenzraum, inklusive Technik, kann nach Bedarf hinzugebucht werden; für Begegnungen mit anderen Co-Workern der unterschiedlichsten Disziplinen ist der „Social Space“ zugänglich. Zudem können geschlossene Büroräume im Gebäude angemietet werden. Ziel des Coworking-Space ist der Austausch und das gegenseitige Profitieren der dort Arbeitenden, ob das kleine Unternehmen aus den Bereich der Kreativwirtschaft (und natürlich auch darüber hinaus) sind oder aber Institutionen wie der Hartware Medien-KunstVerein (HMKV), der mit seinen Büros eine Etage in der „Ständigen Vertretung“ bezogen hat. Für das Früh-jahr 2012 ist eine feste Seminar- und Workshopreihe unter dem Arbeitstitel „Bildung 2.0“ geplant. Im neu gestalteten Heimatdesign-Shop im Erdgeschoss kann man auch weiterhin schicke Sachen kaufen – Mode, Möbel, Lichtobjekte und Accessoires. Für Menschen, die nicht persönlich im Laden vorbeischau-en können, gibt es den frisch installierten Online-Shop. Direkt nebenan, im Ausstellungsraum, bietet Heimatde-sign jungen Designern, Fotografen, Illustratoren und Künstlern monatlich die Möglichkeit, sich und ihre Arbeiten vorzustellen. 2011 waren neben vielen Dortmunder Positionen beispielsweise der dänische Künstler„Scrmn“, das neue Möbel-Label „kaschkasch“ und der Bochumer Teppichdesigner Jan Kath zu Gast. Zudem ist im Februar der Magazin-Fanzine-Workshop „Zinefactory“ geplant. Dabei geht es um handge-machte Magazine – gemeinsam gestaltet, recherchiert und illustriert. Und vom 16. bis 22. Januar schlägt Heimat-design mit der „Designers Fair 2012“ wieder in Köln auf. Parallel zu den „Passagen“ zeigt die Indie-Möbelmesse im Design Quartier Ehrenfeld frische und innovative Designtrends. Ach ja: Heimatdesign ist museumsreif – das Heimatdesign-Magazin hat es bis ins jüdische Museum Berlin geschafft und ist dort in der Ausstellung „Heimatkunde“ zu sehen.

Was war, was ist, was kommt am Hohen Wall 15. Und darüber hinaus.

> heimatdesign.de> designersfair.de> staendigevertretungdortmund.de

Heimatdesign:Stand der Dinge

Bild Heimatdesign

98

Page 101: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

99

Foto: Tinvo / photocase

It started with a KIS

www.kis.dortmund.de

kulturinfoshop in der SparkasseKatharinenstraße 1 · 44137 DortmundTelefon (0231) 50 27 710 · Fax (0231) 50 27 740E-Mail [email protected]–Samstag 10:00–18:00 Uhr

InfosTicketsKIS

Page 102: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Ich habe jemanden kennen gelernt. Nachdem wir die jüngste Zeit damit verbracht haben, bei der einen oder anderen Unternehmung nicht wirklich unauffällig um-einander herumzuschlawenzeln, ist es nun soweit: Er hat mich in seine Wohnung eingeladen, um mich galant zu bekochen. Das ist schön. Ich will aber nicht. Ich hab nämlich ein Trauma. Dieses Trauma schwächt sich trotz konfron-tationstherapeutischer Ansätze mit den Jahren nicht etwa ab, sondern potenziert sich von Männerwohnung zu Männerwohnung derart gewaltig, dass ich mittler-weile tatsächlich nicht mehr in der Lage bin, an das Gute im männlichen Einrichtungsuniversum zu glauben. Und das hat Gründe.

Leergutberge, ungeputzte Fenster, klebrige Badezimmerarmaturen, staubige Fußleisten, Wasserkocher mit Fettschicht, stinkende Wä-schetürme, Schimmelgedöns im Kühlschrank. Das sind KEINE Gründe. Ich kann in Punkto Schmuddel in der Tat eine Menge ab. Das sind Gründe: Kinderkleiderschränke in nachgebildeter Buche-Montur („Wieso klein? Da passt doch alles rein!“), Tittenkunst im Afrika-Style wie nur POCO sie verkaufen kann („Ich fand, die warmen Farben passen gut zur Bettwäsche?!“), zwei unterschiedliche Bett-bezüge auf einem Doppelbett („Die Pokemon-Bettwäsche fand ich echt witzig!“), Sofa im 80er Jahre Schockerdesign mit dicken Brandlöchern („Das hab ich aber von meinem Opa geerbt. Ja, der war Raucher. Wieso?“), wahre Verbrechen in Vitrinenform inklusi-ve leider sehr undezenter Beleuchtung der Rollenspiel-Zinnfigurensammlung („Ja, die hab ich alle selbst angemalt. Cool, oder?“), CDs und – wenn man Glück hat – sogar Bü-cher in Billys in unterschiedlichen Höhen und Farben nebeneinander („Och, is doch egal.“), Lampe neben anstatt über dem Küchentisch

Text Juliane Helmke

Geschmacks- sachen Männer legen Wert auf ihr Styling, ihr Auto und ihren

Elektrokrempel – und wohnen, als ob sie sich einmal zu oft mit ’nem Hammer gekämmt hätten.

(„Ich ess eh immer vorm Fernseher!“), angegilbte und reißbezweckte Poster von irgendwelchen demonstrativ coolen Bands („Wie … Bilderrahmen?!“), braun-grau-gepolsterte Lackstühle in schwarz am Birketisch („Die hab ich vom Sperrmüll! Voll gut erhalten, ne?!“) oder ein 90 Zentimeter Bettchen aus dem alten Jugendzimmer samt eines (!) Kopfkissens und einer (!) Decke („Wieso klein? Also ich pass da rein.“ – „Ja, aber nicht mit mir, du Bumsbirne!“). So. Merke: 1. Eine Männerwohnung hat nicht wie das alte Jugendzimmer auf pluralisierten Quad-ratmetern auszusehen. 2. Kunst von POCO ist keine Kunst. Nein, Kunst von IKEA auch nicht! 3. Witzigkeit kennt entgegen Herrn Kerkeling sehr wohl Grenzen und Bettbezüge dürfen genauso identisch sein wie ein Paar Socken. 4. Man muss nicht alles nehmen, nur weil man es vererbt bekommt. 5. Vitrinen sind der Teufel – egal was drin steht. 6. Zinnfiguren sind genauso anspre-chend wie Kuscheltiere auf Sofalehnen. 7. Regale dürfen sehr wohl identisch sein. Man baut sich ja auch nicht verschiedene Sitze mit verschiedenen Bezügen in die Karre, oder? 8. Vorm Fernseher essen ist äquiva-lent mit Heiratsantrag vor einer Dönerbude. Kommt nur ganz selten gut. 9. Bilderrahmen. Was ist daran so schwer zu verstehen? Schon mal im Museum gesehen, dass da jemand was mit Reißzwecken an die Wand gepappt hätte? 10. Ja, Sperrmüllfunde können was Fei-nes sein. Aber man muss auch nicht jeden Scheiß nach Hause schleppen. 11. Ein Bett ist dann ein gutes Bett, wenn die Frau auch reinpasst UND ein zweites Kopf-kissen und eine zweite Decke vorfindet. Gehe an dieser Stelle zurück zu Punkt 3.

Geschmäcker sind verschieden. Kein Ding. Also wenn du mich zum Essen zu dir nach Hause einlädst, dann bitte hab wenigstens einen. Denn

nur eins ist schlimmer als schlechter Geschmack: gar kein Geschmack!

100Heimgeleuchtet / Glosse

Page 103: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

101

TICINO®

andere bauen räder, um die zeit zu besiegen.

wir, um sie zurückzuholen.TICINO 20D MENS’ / BLACK / 20-SPEED

Wir waren schon immer große Fans von handgefertigten Sporträdern aus den

50er und 60er Jahren. Aus dieser Bewunderung hat sich bei uns sportlicher

Ehrgeiz entwickelt. Kann man den Stil und die Handwerkskunst mit moderner

Technik und Mechanik paaren? Funktioniert Liebe zum Detail auch mit heutigen

Herstellungsprozessen? Die Antworten liefert unsere TICINO®-Serie, die hier mit

vielen technischen Feinheiten angeben könnte. Aber dafür ist auf so einer kleinen

Anzeige leider kein Platz. Schade.

ZweIraD eNgels 44137 Dortmund, lange str. 4 (ab 01.03.12 amalienstr. 3) www.zweirad-engels.de

Öffnungszeiten:Mo – Fr 10.00 – 18.30 sa 10.00 – 15.00www.electrabike.de

AZ_TICINO_ZWEIRAD ENGELS_230x148_RZ.indd 1 25.11.11 17:40

Page 104: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Coworking Space

Was kostet der Arbeitsplatz der Zukunft?Wo möchte man arbeiten? An einem Ort, der lebendig ist und wo Austausch stattfindet, der aber auch Rückzugsmöglichkeit für Kundengespräche bietet. Guter Kaffee, schnelles WLAN und die Möglichkeit der Anpassung an neue Arbeitssituationen sollten gegeben sein. Ob man klassische Bürozeiten von 9.00 bis 19.00 Uhr bevorzugt, oder gern auch mal 24/7 an einem Projekt arbeitet — die Ständige Vertretung bietet diese Flexibilität bei ausreichend Platz zum Arbeiten in heller und freundlicher Umgebung.

Platz zum Arbeiten!Die Arbeitsplätze in der Ständigen Vertretung beinhalten immer: Schnelles WLAN, Fairuse von Fax, Drucker, Scanner, Kopierer, Zugang zum Social Space mit kalten und heißen Getränken, Obst und Snacks, sowie Nutzung des Konferenzraumes (in einigen Tarifen gegen Aufpreis von 15 Euro pro Stunde).

U

HBF

Stadtgarten

Kampstraße

Ständige Vertretung/ Heimatdesign

Westentor

Öffnungszeiten Montags bis Samstags9.00 bis 19.00 Uhr

Location/Anfahrt Zentral gelegen direkt im Westen der Dortmunder Innen-stadt. Einfach zu erreichen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln über die Stationen Hauptbahn-hof, Westentor, Kampstraße oder Stadtgarten – maximal 5 Minuten Fußweg.

Kontakt Ständige Vertretung / Heimatdesign Hoher Wall 15 — 44137 Dortmund-City Tel.: 0231 [email protected] www.staendigevertretungdortmund.de

VerlagHeimatdesignHoher Wall 1544137 Dortmund> heimatdesign.de

HerausgeberinReinhild Kuhn

Chefredaktion + SchlussredaktionVolker K. Belghaus (V.i.S.d.P.) belghaus@ heimatdesign.de

Konzept, Marketing, An-zeigen, VertriebMarc Röbbecke

Impressum Heimatdesign Winter 2011 / 2012 Nr. 9

Art-Direktion + DesignBen Schulz> benschulz.deBruno Bauch> brunobauch.comSabine Mattstedt> mattwieglaenzend.de

Fotografen + IllustratorenLisa Schweizer> lisaschweizer.dePhilipp Wente > philippwente.comDavid Latz> davidlatz.deTillmann Betz> tillmann-betz.deAnna Kopylkow> photodesign-

kopylkow.de

AutorenIvonne WoltersdorfWolfgang Kienast / Martini > ekamina.dePhilipp Wente > philippwente.comAmelie Hauptstock> hauptstock.

wordpress.comKatja Neumann> spoonfork.deJuliane Helmke> heimatpottential.

blogspot.com Martin KielAlexandra BrandtUlrike HiltawskyTom ThelenVolker K. Belghaus

TitelbildTillmann Betz> tillmann-betz.de

PapierTauro Offset 120g/m²Galaxi Brillant 115g/m²

SchriftHelvetica Neue

DruckDruckverlag Kettler, Bönen > druckverlag-kettler.de

Auflage15.000 Erscheinungs-weise halbjährig

Ein Nachdruck der Texte und Fotos in Heimat design

– auch im Internet – ist nur mit schriftlicher

Genehmigung des Verlags gestattet.

102

Page 105: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

103

www.dovoba.de

Der Mittelstand ist der wichtigste Impulsgeberfür Wirtschaftswachstum und Innovation.

Wir fördern ihn seit unserer Gründung.

Das Ergebnis: Eine gewachsene, enge Partnerschaft,in der wir unsere Ziele gemeinsam erreichen.

Partner desMittelstands

Ein Ansprechpartner, viele Experten...

Page 106: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Dein Shirt auf 4600dortmund.de

Wir kümmern uns um das, was übrig bleibt.

Dortmunder Gesellschaft für Abfall mbH im Unternehmensverbund der EDG Entsorgung Dortmund GmbHLüserbachstraße 180 / 44329 Dortmund / T (0231) 9111.500 / F (0231) 9111.511 / www.doga.de / [email protected]

Entsorgungsmanagement für Gewerbe, Handel, Industrie und Handwerk

11edg231_DOGA_Anzeige_Heimatdesign_RZFinal.indd 1 02.12.11 14:36

Page 107: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

Hochwertige Buchdrucke in kleinen Auflagen. Ob Abschlussarbeit, Kunstkatalog, Konzeptbuch oder Agenturportfolio: K-BOOKS erfüllt Ihren Wunsch nach vielfältigen Formaten und Papieren, individueller Veredelung und persönlicher Betreuung.

.de

KBO_Anzeige_Heimatdesign_04RZ.indd 1 01.06.10 10:04

Page 108: HEIMATDESIGN MAGAZIN NO. 9

www.bionade.com

Kult[ur]getränk