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Wirklichkeit in Hermann Hesses ‘Das Glasperlenspiel’ Und Ideal Diplomica Verlag Andreas Malischke

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Wirklichkeit

in Hermann Hesses

‘Das Glasperlenspiel’

Un

d

Ideal

Diplomica Verlag

Andreas Malischke

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Andreas Malischke Ideal und Wirklichkeit in Hermann Hesses 'Das Glasperlenspiel' ISBN: 978-3-8366-1808-3 Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2008 Covergestaltung: Diplomica Verlag Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtes.

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Die Informationen in diesem Werk wurden mit Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können Fehler nicht vollständig ausgeschlossen werden und der Verlag, die Autoren oder Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für evtl. verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen.

© Diplomica Verlag GmbH http://www.diplomica.de, Hamburg 2008

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Vorwort

 Wir leben im Zeitalter der Anonymität und der Konkurrenz. Die Menschen sind nach außen orientiert; sie sind auf die Anhäufung materieller Güter fixiert. Die steigende  Zahl  von  psychisch  Kranken,  Drogentoten  und  Selbstmördern  zeigt, dass  die Technik  und der Wohlstand  auch  Schattenseiten  haben;  der  einzelne hat gelernt, seinen Nächsten als Gegner zu sehen. Der Mensch hat verlernt, sich mit  sich  selbst  auseinanderzusetzen  und  sich  zu mögen.  Selbstverwirklichung ist nicht nur ein gesellschaftlicher, sondern vor allem ein individueller Prozess. Mein persönliches Interesse, mich selbst finden zu wollen, motivierte mich dazu, mich primär mit der Thematik der Selbstwerdung in dem Roman zu beschäfti‐gen. Bei der Analyse des Werkes soll die Bedeutung Asiens, seiner Philosophie und Religion, für unseren Kulturkreis ersichtlich werden. Dass sich die in den westli‐chen Industrienationen lebenden Menschen in letzter Zeit wieder verstärkt mit ostasiatischer Philosophie, mit Meditation, Yoga und Tai Chi beschäftigen, zeigt ihr  Bedürfnis  nach  Ruhe,  Ausgeglichenheit  und  Selbstversenkung,  was  sie  im Fernen Osten wiederzufinden glauben. Wir haben die Aufgabe, den übernationalen Gedanken, den Gedanken der Ein‐heit der Menschheit und ihrer Kultur, fördern zu helfen, und haben jedem Nati‐onalismus Widerstand zu leisten.1 

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Inhaltsverzeichnis Vorwort...................................................................................................................... 1

EINLEITUNG................................................................................................................ 1

1 DIE PERSÖNLICHKEIT DES AUTORS ........................................................................ 2

1.1 Biographie...........................................................................................................2

1.2 Das Elternhaus ....................................................................................................2

1.3 Hesses Motive, das Werk zu schreiben...........................................................3

1. 4 Politisches Engagement ..................................................................................4

1.5 Zusammenfassung............................................................................................4

2 FORMALE ASPEKTE DES WERKES ........................................................................... 6

2.1 Form und Funktion der drei Bestandteile des Werkes..................................6

2.2 Romangattung...................................................................................................7

2.3 Zusammenfassung.............................................................................................8

3 IDEE UND ERSCHEINUNG DES GLASPERLENSPIELS .............................................. 9

3.1 Die drei Bedeutungsformen des Glasperlenspiels .......................................9

3.1.1 Das Glasperlenspiel als Erscheinung der Idee.......................................9

3.1.1.1 Das feuilletonistische Zeitalter ...........................................................9

3..1.1.1.1 Die vier Versionen des Traktates...............................................9

3.1.1.1.2 Die Entstehungsgeschichte des Feuilletonistischen ................ Zeitalters......................................................................................11

3.1.1.1.3 Symptome des Verfalls..............................................................11

3.1.1.1.4 Die Gegenbewegung ..............................................................13

3.1.1.2 Der Orden Kastalien..........................................................................13

3.1.1.2.1 Aufbau und Funktion.................................................................13

3.1.1.3 Das Glasperlenspiel...........................................................................17

3.1.1.3.1 Entstehungsgeschichte.............................................................17

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3.1.1.3.2 Aufbau und Funktion.................................................................17

3.1.1.3.2.1 Ideographie .......................................................... 17

3.1.1.3.2.2 Das dialektische Prinzip........................................ 19

3.1.1.3.2.3 Taoistische Grundlagen ....................................... 20

3.1.1.3.2.4 Die Musik................................................................ 22

3.1.1.3.2.5 Die Meditation ...................................................... 24

3.1.1.4 Zusammenfassung.............................................................................25

3.1.2 Das Glasperlenspiel als Idee an sich....................................................27

3.1.2.1 Die Morgenlandfahrer .....................................................................27

3.1.2.2 Das Motto .........................................................................................28

3.1.2.3 Das Wesen der Idee an sich............................................................28

3.1.2.4 Die Idee an sich in der abendländischen und östlichen .............. Philosophie 29

3.1.2.4.1 Das I Ging ....................................................................................29

3.1.2.4.2 Hegel und Schopenhauer........................................................30

3.1.2.5 Zusammenfassung.............................................................................32

3.1.3 Das Glasperlenspiel als Idee an sich im Menschen............................33

3.2 Die Verknüpfung der drei Stränge................................................................33

4 DAS STREBEN NACH DER IDEE AN SICH ............................................................. 35

4.1 Die drei Stufen von Knechts Lebensweg .....................................................35

4.1.1 Berufung .....................................................................................................35

4.1.1.1 Begegnung mit dem Musikmeister.................................................35

4.1.1.1.1 Der erste und zweite Grad der Berufung...............................35

4.1.1.1.2 Der Musikmeister als Vorbild.....................................................37

4.1.1.2 Begegnung mit Plinio als 3. Grad der Berufung ...........................40

4.1.1.3 Synthese der Berufung als erster Grad des Erwachens ..............42

4.1.2 Erwachen ...................................................................................................43

4.1.2.1 Studienjahre .......................................................................................43

4.1.2.2 Die Begegnung mit dem Älteren Bruder.......................................44

4.1.2.2.1 Aufbau des I Ging......................................................................45

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4.1.2.2.2 Die Orakelzeichen .....................................................................46

4.1.2.2.2.1 Das vierte Zeichen................................................ 46

4.1.2.2.2.2 Das neunte Zeichen ............................................. 47

4.1.2.2.2.3 Das sechste Zeichen ............................................ 47

4.1.2.2.3 Die Begegnung als zweiter Grad des Erwachens................48

4.1.2.3 Die Begegnung mit Pater Jakobus ................................................49

4.1.2.3.1 Das 56. Zeichen ..........................................................................49

4.1.2.3.2 Huldigung an Pater Jakobus....................................................50

4.1.2.3.3 Das Wesen des Pater Jakobus ................................................50

4.1.2.3.4 Erkenntnisse Knechts in der Synthese des Erwachens .........51

4.1.2.4 Das Wesen Knechts...........................................................................54

4.1.2.5 Berufung und Erwachen als Strukturglieder der Begegnung ....55

4.1.3 Abschied ....................................................................................................56

4.1.3.1 Die Berufung zum Magister Ludi als erster Grad des ...................... Abschieds..........................................................................................56

4.1.3.2 Die erneute Begegnung mit Plinio als zweiter Grad des Abschieds..........................................................................................57

4.1.3.3 Der Austritt aus dem Orden.............................................................58

4.1.3.4 Der Tod als Synthese des Abschieds und als Vollendung ..........58

4.2 Zusammenfassung...........................................................................................61

4.3 Die Gedichte ....................................................................................................64

4.3.1 Die Analyse der Gedichte ......................................................................64

4.4 Die Lebensläufe ...............................................................................................66

4.4.1 Die Funktion der Lebensläufe .................................................................66

4.4.2 Der Regenmacher....................................................................................66

4.4.3 Der Beichtvater .........................................................................................67

4.4.4 Der Indische Lebenslauf ..........................................................................68

4.4.5 Zwei Fragmente eines weiteren Lebenslaufes ....................................69

4.4.6 Zusammenfassung....................................................................................69

5 HESSES IDEE DER URRELIGION............................................................................. 70

5.1 Gleiche Wesensstrukturen der Weltreligionen ............................................70

5.1.1 Einführende Bemerkungen .....................................................................70

5.1.2 Analoge Symbole für die Idee an sich .................................................71

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5.1.3 Die Analogie der drei Stufen der Menschwerdung............................71

5.1.4 Zusammenfassung....................................................................................73

5.2 Die drei Stufen der Menschwerdung in den Lebensläufen......................73

AUSBLICK................................................................................................................. 75

ANMERKUNGEN...................................................................................................... 76

LITERATURVERZEICHNIS........................................................................................... 99

 

 

                  

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EINLEITUNG

 Das zentrale Thema dieser Schrift ist die Analyse des Weges und des Zieles der Selbstverwirklichung  des  Menschen.  Der  Leser  soll  verstärkt  dazu  angeregt werden,  sich  mit  seinem  Inneren  auseinanderzusetzen.  Die  Kohärenz  des  A‐bendlandes  und  des  Fernen  Ostens  sowie  das  Bedürfnis  des  Europäers  nach Selbstversenkung und Ruhe, was er  in Ostasien zu  finden glaubt,  sollen aufge‐zeigt werden. Dies bedingt Kritik an unserer heutigen schnelllebigen und ober‐flächlichen Zeit. Ziel dieser Studie ist es auch, die gemeinsame Basis aller Religi‐onen, Kulturen und Denkformen aufzuzeigen, um die Widersinnigkeit des Ras‐sismus zu unterstreichen. Da  in der Forschung über das hier zu besprechende Werk Hermann Hesses die Bedeutung Chinas und Indiens für den Schriftsteller vernachlässigt wurde, sollen in dieser Schrift vor allem auch die ostasiatischen Motive herausgearbeitet werden. Zunächst  sollen die Biographie, das Elternhaus sowie die politischen Ziele des Autors  vorgestellt  werden,  um  die  persönlichen  Motive  Hesses,  das  Werk  zu schreiben,  zu  verstehen.  Im  Anschluss  an  eine  kurze  Untersuchung  sollen  die drei Bedeutungen des Glasperlenspiels im Leben Knechts, der Hauptperson des Werkes,  herausgearbeitet werden. Nach  einer  genauer Analyse der  Stufen der Menschwerdung  Knechts  sollen  die  von  ihm  geschriebenen  Gedichte  und  Le‐bensläufe kurz behandelt werden, um die Bedeutsamkeit der Ziele, die alle Men‐schen,  unabhängig  davon,  in  welchem  Kulturkreis  und  in  welcher  Epoche  sie geboren wurden, gemeinsam haben, zu unterstreichen. Abschließend wird Hes‐ses Idee der Weltreligion vorgestellt. Nach Ansicht des Autors besteht zwischen den verschiedenen Denk‐ und Lebensweisen sowie Religionen eine gemeinsame Basis und Wesensstruktur, die es erlaubt, die Grenzen der einzelnen Glaubens‐formen zu überwinden und eine menschliche Welt zu schaffen.           

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1 DIE PERSÖNLICHKEIT DES AUTORS

1.1 Biographie

Hesse wurde 1877 in Calw in Württemberg geboren. Sein Vater war russischer Herkunft,  seine  in Ostindien geborene Mutter Tochter eines Schwaben und ei‐ner französischen Schweizerin. Hesse wohnte während seiner ersten Lebensjahre in Basel und wurde Schwei‐zer Staatsbürger. Später nahm er die württembergische Staatsangehörigkeit an, da er sich in Göppingen auf eine Ausbildung zum evangelischen Theologen vor‐bereitete. Er brach diese Ausbildung im Kloster Maulbronn ab, da er Dichter und nichts  anderes  werden  wollte.  Nach  einem  Selbstmordversuch  im  Juni  1892 hielt  er  sich drei Monate  in der Nervenheilanstalt  Stetten auf. Er machte nach einem ersten  gescheiterten Versuch  erneut  eine Lehre als Buchhändler  in Tü‐bingen und arbeitete in den folgenden Jahren sporadisch in verschiedenen Anti‐quariaten und Buchhandlungen. 1911 unternahm er mit dem Maler Hans Stur‐zenegger  eine  viermonatige  Reise  nach  Südostasien  –  nach  Ceylon,  Malaysia, Singapur und Indonesien.1 

1916 starb sein Vater. Im gleichen Jahr begann bei seiner Frau eine Schizophre‐nie, die bis zu ihrem Tode andauerte. Der erste seiner drei Söhne wurde schwer krank. Hesse unterzog sich bei einem Schüler von C. G. Jung einer psychothera‐peutischen Behandlung. 1919 siedelte er nach Montagnola, welches im Kanton Tessin liegt, über. 1921 machte er eine Psychoanalyse bei C. G. Jung und wurde 1924 wieder Schweizer Staatsbürger.  Im gleichen  Jahr heiratete er Ruth Wen‐ger, die Tochter der Schriftstellerin Lisa Wenger; die Ehe währte jedoch nur drei Jahre. 1931 heiratete er die Kunsthistorikerin Ninon Dolbin. Während der Hit‐lerdiktatur  wurden  zahlreiche Werke  Hesses  verboten,  so  u.a.  "Steppenwolf", "Narziss und Goldmund" sowie "Unterm Rad", Im Jahre 1946 erhielt Hesse den Nobelpreis. Er starb 1962 in Montagnola.2 

 

1.2 Das Elternhaus

Das ganze bewegte Leben Hesses ist prinzipiell dadurch gekennzeichnet, dass er immer wieder mit verschiedenen Kulturen konfrontiert  ist und sich mit  ihnen auseinandersetzt. Seine Eltern waren lange Zeit in Indien als Missionare tätig gewesen und haben sich intensiv mit der ostasiatischen Philosophie auseinandergesetzt. Sein Groß‐vater mütterlicherseits war Indologe, sein Großvater väterlicherseits wanderte nach Indien aus. Sein Vetter W. Gundert war Japanologe. Hesse  spürte  schon  in  frühester  Kindheit  die  internationale  Atmosphäre  des Elternhauses. Das Bewusstsein der Toleranz gegenüber anderen Völkern, Kultu‐ren und Rassen bewahrte er sein ganzes Leben. 

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In seiner Jugend beschäftigte er sich intensiv mit der indischen Philosophie so‐wie mit  Schopenhauer,  später  dank  der  Übersetzungen  des  Sinologen  R. Wil‐helm  und  des  Tübinger  Professors  J.  Grill  auch  mit  chinesischer  Philosophie, dem Taoismus, dem Konfuzianismus und dem I Ging. Während seiner viermona‐tigen Reise nach Asien im Jahre 1911 lernte er die chinesische Kultur schätzen, welche er später der indischen vorzog. In "Über mein Verhältnis zum geistigen Indien und China" schreibt er:  

  …, verlor ich aus meinem Denken doch mehr und mehr die   Resignation und für mich bezeichnete ich diese Wendung   zuweilen als eine Wendung von Indien nach China, d.h. von   einem asketischen Denken Indiens zu dem bürgerlichen   bejahenden Denken Chinas.3 

 Sein Interesse an der den ganzheitlichen Menschen einbeziehenden Philosophie Ostasiens war  ein  Korrektiv  für  die  Entpersönlichung  aller  Lebensbereiche  in dem zivilisierten und technisierten Westen, in dem das Zweckdenken dominier‐te. Auch das Werk "Das Glasperlenspiel" enthält zahlreiche ostasiatische Motive, so zum Beispiel den Gedanken der Polarität und der Wandlung.  

1.3 Hesses Motive, das Werk zu schreiben

"Das Glasperlenspiel"  ist wie  alle Werke des Autors  ein Bekenntnis  seines Le‐bens, seiner Erfahrungen und Denkweise. Er "habe schon seit Jahren den ästhe‐tischen  Ehrgeiz  aufgegeben  und  schreibe  keine  Dichtung,  sondern  eben  Be‐kenntnis".5 

In dem hier zu besprechenden Werk kritisiert Hesse das sogenannte  feuilleto‐nistische  Zeitalter,  in  dem  Oberflächlichkeit,  nationaler  Egoismus  und  Krieg herrschen. Dies ist auch eine Kritik an unserer heutigen Konsumwelt. Eine Intention des Autors ist die Überwindung nationalistischen Denkens. Seine Forderung nach menschlichem, die Trennung der Rassen überwindendem Den‐ken  drückt  der  Verfechter  der  Internationalität  in  seinem Werk  dadurch  aus, dass er in dem Glasperlenspiel des Ordens in Kastalien abendländische, indische und chinesische Kulturen vereinigt. Hesse will in diesem Werk die über alle Räume und Zeiten stehende Dimension des ewigen Geistes als Grundlage des menschlichen Lebens verdeutlichen. Ge‐rade auf Grund des menschenverachtenden Faschismus will  er  "das Reich des Geistes und der Seele als existent und unüberwindlich sichtbar machen".6 

Der  Schriftsteller  vermeidet  es,  das  Naziregime  konkret  anzugreifen,  denn  das  3. Reich  

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sei nur eine der zahlreichen Verirrungen des Menschen. Zudem schreibt er verschie‐dene Fassungen und publiziert  nur die  vierte,  scheinbar unpolitischste,  da  er Angst vor einem Verbot hat.  

1. 4 Politisches Engagement

Hesse stellt zwar als Dichter und Literat den Menschen in den Mittelpunkt und appelliert an den einzelnen, sich selbst von innen heraus zu ändern, aber zahl‐reiche Schriftstellen belegen, dass er auch politisiert und sich mit der aktuellen politischen Situation der Zeit auseinandergesetzt hat. in "Lektüre für Minuten"7 sind zahlreiche Äußerungen zu Kommunismus und China, zur Problematik von Krieg und Frieden sowie zur Stellung des Dichters in der Gesellschaft zu finden. Auf Grund seiner Reiseerfahrungen setzt er sich für die Dritte Welt ein. Er pos‐tuliert die Gleichberechtigung aller Völker und das Ende der Ausbeutung durch den Westen.8 

In den ersten drei Fassungen des Traktates im Werk "Das Glasperlenspiel" poli‐tisiert Hesse  stark  und  greift  immer wieder  das  nationalsozialistische Regime an. Er wendet sich sowohl gegen die Gewalt und Manipulation, die während des feuilletonistischen Zeitalters herrschen, als auch gegen das rassistische Gedan‐kengut, das die Wissenschaften beeinflusst hat.9 

In  dem dritten Entwurf  des Hauptteils  des Werkes  aus  dem  Jahre  1931  sollte das Buch mit einem kämpferischen Gespräch zwischen Hitler und Josef Knecht abschließen. Thema des Gespräches ist das Verhältnis von Geist und Politik. Hit‐ler  ist bemüht, die unabhängige Institution des Glasperlenspiels dem Staat un‐terzuordnen und den Geist  in den Dienst der Partei zu stellen. Knecht weigert sich,  darauf  einzugehen,  und  akzeptiert  den  Untergang  des  Spiels.  Dieses  ab‐schließende hochpolitische Gespräch zwischen Knecht und Hitler hat Hesse aus Angst vor der Zensur in der publizierten Fassung weggelassen.10 

 

1.5 Zusammenfassung

Bereits  seit  frühester  Kindheit  wird  Hesse  mit  anderen  Kulturkreisen  und Denkweisen  konfrontiert,  da  sich  viele  seiner  Verwandten  mit  ostasiatischer Philosophie auseinandergesetzt haben. Zunächst beschäftigt sich der Autor mit Indien,  später  vorzugsweise mit  China,  da  er  die  lebensbejahende,  integrative Philosophie des Taoismus und Konfuzianismus der lebensverneinenden, asketi‐schen Lebensweise der Inder vorzieht. Die Erfahrung der internationalen Atmosphäre im Elternhaus bewirkt, dass sich Hesse  für  die  Überwindung  des  nationalistischen  und  rassistischen  Denkens einsetzt. Obwohl er vor allem den einzelnen Menschen, sein individuelles Leben und sein Bestreben nach Selbstverwirklichung, in den Vordergrund stellt, politi‐siert er auch. In seinem Bekenntniswerk "Das Glasperlenspiel" vermeidet es der 

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Schriftsteller, zu stark zu politisieren und das Naziregime direkt anzugreifen, da er befürchtet, dass der Roman publiziert wird. "Das  Glasperlenspiel"  ist  ein  Bekenntnis  zu  dem  über  den  raumzeitlichen  Di‐mensionen schwebenden immer existenten Geist. Im folgenden sollen einige formale Aspekte sowie die Romangattung näher er‐läutert werden.