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3/2016 Unterrichtsversor- gung so schlecht wie lange nicht 17-Punkte-Papier aus dem MK hilft aktuell nicht Lehrerarbeitszeit: Land handelt verfassungswidrig Online-Befragung nicht mehr als ein Täuschungsmanöver Endlich 40-Stunden- Woche auch fu r Lehrer! Neuer Kampf um Schulstrukturen? Statistik 2016 – Licht und Schatten schulischer Realitäten Bruno Uszkurat 80 Jahre Europa in der Schule in Niedersachsen Neues Schuljahr – alte Probleme, neue Hypotheken Die Zeitschrift des Philologenverbandes © Christian Schwier – Fotolia.com Pflichtstunden – Bereitschaftsdienste unzureichende Anrechnungsstunden Gremiensitzungen – Vertretungsunterricht Konzepte - Evaluationen © racorn – shutterstock

in Niedersachsen Unterrichtsversor - gung so schlecht wie

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3/2016

Unterrichtsversor-gung so schlecht wielange nicht

17-Punkte-Papier ausdem MK hilft aktuellnicht

Lehrerarbeitszeit:Land handelt verfassungswidrig

Online-Befragungnicht mehr als einTäuschungsmanöver

Endlich 40-Stunden-Woche auch fur Lehrer!

Neuer Kampf umSchulstrukturen?

Statistik 2016 – Licht und Schatten schulischer Realitäten

Bruno Uszkurat 80 Jahre

Europa in der Schule

in Niedersachsen

Neues Schuljahr – alte Probleme, neue Hypotheken

Die Zeitschrift des Philologenverbandes

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Pflichtstunden – Bereitschaftsdienste

unzureichende Anrechnungsstunden

Gremiensitzungen – Vertretungsunterrich

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Konzepte - Evaluationen

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ImpressumInhaltGYMNASIUM in NiedersachsenZeitschrift des Philologenverbandes

Herausgeber und Verleger:Philologenverband NiedersachsenSophienstraße 630159 HannoverTel. 0511 36475-0

Redaktionsadresse:Cord Wilhelm KielWerder 3131789 [email protected]

Redaktion:Cord Wilhelm Kiel

Gestaltung:Frank HeymannGrafikdesign und Mediengestaltung30163 Hannover

Druck:Hannoprint, Isernhagenwww.hannoprint.de

Die Zeitschrift Gymnasium in Nieder -sachsen erscheint viermal jährlich.

Redaktionsschluss für Gymnasium in Niedersachsen2-2016 ist Montag, der 10. Oktober 2016.

Beiträge bitte, soweit als möglich, als E-Mail-Anlage direkt an die Redaktions-Adresse [email protected].

Weitere Informationen auf unsererHomepage www.phvn.de

Gymnasium in Niedersachsen 3/20162

Leitartikel Neues Schuljahr – alte Probleme, neue Hypotheken 3

Schwerpunktthema: Neues Schuljahr – alte Probleme, neue Hypotheken

Land muss Lehrerarbeitszeit untersuchen 5PhVN legt Rechtsgutachten vor - Prof. Dr. Battis: Land handelt rechts- und verfassungswidrig - Kultusministerin mit ihren eigenen Worten widerlegt

Kernaussagen aus dem Gutachten 6von Prof. Dr. Ulrich Battis, Berlin, zur Verpflichtung der Niedersächsischen Landesregierung zur Durchführung einer Untersuchung der Arbeitszeit von Lehrkräften

Online-Befragung des Kultusministeriums nicht mehrals ein Täuschungsmanöver 9

Endlich 40-Stunden-Woche auch für Lehrer! 11PhVN reicht Petition ein

Unterrichtsversorgung in Niedersachsen dramatisch 14

17-Punkte Papier des MK zur LehrkräftegewinnungMinisterin verschläft Sicherung der Unterrichtsversorgung 16

Schul- und Bildungspolitik Kanon? Grundstandards? Fachinhalte? Oder was sonst? 18

Bricht der Kampf um Schulstrukturen neu aus?Polemik und Ideologie sind schlechte Berater 19

Schulstatistik 2015/16 – Licht und Schattenschulischer Realitäten 21

Neuregelung der Finanzhilfe für Schulen in freier Trägerschaft ist überfällig 23

Aus der Arbeit der Schulbezirkspersonalräte Aktuelle Fallbeispiele aus der Personalratsarbeit 24

Veranstaltungen

Bezirksverband Mittelweser ehrt Michael Hentrich 25

Roland Neßler referiert beim BV Braunschweig 25

PhVN-Stufenpersonalräte gehen in Klausur 25

Im Interview Haben immer mehr Schüler Probleme mit dem Handschreiben? 26

Rüdiger Nehberg fordert Schulleiter zu mutigen Entscheidungen auf: „Jeder kann seine Visionen realisieren“ 27

PersonenUnermüdlich für das Gymnasium 28Zum 80. Geburtstag von Bruno Uszkurat

Nordhorns „Mr. Europa“ Ehrenbürger in Polen 30

Wir trauern um 30

Gymnasien in NiedersachsenBeschäftigung mit Europa erneut spannend und erfolgreich 31

Gastkommentar Die Mär von „Teamwork im Klassenzimmer“ 32

Literatur Authentisch erzählte Zeitgeschichte 33

Lehrstunde historischer Differenzierungen 33

Aus der überregionalen Presse Streit um Mathe-AbiturDenken darf hier nur der Taschenrechner 34

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Leitartikel

LeitartikelNeues Schuljahr – alte Probleme, neue Hypotheken

Von Horst Audritz

Mangelnde Weitsicht und Fehleinschätzung vonHandlungsmöglichkeitenVerantwortlich dafür sind mangelnde Weitsicht und eineFehleinschätzung von Handlungsmöglichkeiten. Statt konse-quent die Unterrichtsversorgung in den Blick zu nehmen,denn Unterricht ist immer noch der Kern von Schule, wurdeder Verwirklichung vermeintlich notwendiger Reformen Prio -r i tät eingeräumt. In der rot-grünen Koalitionsvereinbarung,wir erinnern uns, stand das unter der Überschrift „Bildungneu denken – mehr Qualität und mehr Gerechtigkeit“. Priori -tät hatten der Ausbau der Ganztagsschule und die Umset-zung der inklusiven Schule, ganz zu schweigen von einerDemokratisierung von Schule und einer Schulpolitik, die sichin erster Linie am Konzept der Integrierten Gesamtschule orientierte. Von Unterricht und Anerkennung der Lehrkräftewar keine Rede, im Gegenteil, die Gymnasiallehrer wurdensogar als einzige Gruppe der Lehrkräfte zur Finanzierung derReformen herangezogen. Diese Ungerechtigkeit war offen-sichtlich und wurde umgehend vom OVG Lüneburg korrigiert.Dem willkürlichen Umgang mit der Arbeitszeit der Lehrkräftehat das OVG zudem einen Riegel vorgeschoben. Maßgeblichfür die Arbeitszeit der Lehrkräfte ist die 40-Stunden-Woche,die für alle Beamten in Niedersachsen gilt und in die dieUnterrichtsverpflichtung eingebettet ist.

Arbeitszeituntersuchung der Landesregierung steht ausDass bisher eine transparente und nachvollziehbare Arbeits-zeituntersuchung der Landesregierung als Lehre aus demUrteil des OVG aussteht, ist eine der Hypotheken für dasneue Schuljahr. Wir fordern eine Arbeitszeituntersuchungein, eine neutrale, objektive, wissenschaftlich fundierteArbeitsuntersuchung im Auftrag der Landesregierung, die esin Niedersachsen noch nie gegeben hat. Derzeit scheint esallerdings so, als ob die Arbeitszeitfrage auf die lange Bankgeschoben wird. Man braucht jede ausgebildete qualifizierteLehrkraft und fürchtet – zu Recht – Lücken, wenn die Arbeits-zeit angepasst werden müsste. „Den begonnenen Dialog-prozess zur Arbeitsbelastung und Arbeitszeit der Lehrkräftefortzusetzen“, so die Presseerklärung der Kultusministerinzum Schuljahresbeginn, ist zu wenig. Und die Online-Befra-gung zur Belastungssituation der ca. 90.000 Lehrkräfte inNiedersachsen, an der nur etwa 10.000 Lehrerinnen und Lehrer teilgenommen haben, ist kein Ersatz. Sie verfolgt ganzandere Zielsetzungen, nämlich den Grad der Zustimmung zuden Reformmaßnahmen in den Blick zu nehmen, genauer, die

„Passung zwischen den Vorgaben des Ministeriums einer-seits und der Umsetzung im Arbeitsalltag andererseits“.

Regulärer Unterricht ist gefährdetIm Moment sind wir in der Situation, dass wir eher Sorgehaben müssen, dass ohne unsere Gutwilligkeit bzw. tatkräfti-ge Unterstützung die Erteilung von regulärem Unterrichtgefährdet ist, und das, obwohl nach eigenem Bekunden derMinisterin Integrierte Gesamtschulen und Oberschulen denPflichtunterricht bei einer Unterrichtsversorgung von etwa70 Prozent abdecken können, Grundschulen bei einer Unter-richtsversorgung von 80 Prozent, Gymnasien aber erst beieiner Unterrichtsversorgung von 92 Prozent. Auf gut Deutschnennt man das eine Fehlsteuerung von Mitteln, sonst wäreder Mangel nicht erklärbar. Inzwischen klagen alle Schulfor-men über einen Mangel an Lehrkräften – kein Wunder beivoraussichtlich 97,8% Unterrichtsversorgung.

Gymnasiallehrer als NothelferVon 2.700 ausgeschriebenen Stellen konnten 700 nichtbesetzt werden. Besonders prekär ist die Situation imBereich der Grund-, Haupt- und Realschullehrer, die momen-tan in der ausreichenden Zahl einfach nicht auf dem Marktsind. Gymnasien, die zu den besser versorgten Schulengezählt werden, und Gymnasiallehrer, die es zumindest ineinigen Fächern noch in größerer Zahl gibt, sollen die Lückeschließen (und reißen dann eventuell andere auf). Gesamt-schulen stellen derzeitig nur Gymnasiallehrer ein, Gymnasi-en sollen an schlechter versorgte Schulen, auch Grundschu-len, Lehrkräfte abordnen, und Lehrkräfte sollen verstärkt ausdem Ganztagsbereich zugunsten des Einsatzes im Pflichtun-terricht abgezogen werden. Gerade die Kapitalisierung vonEinstellungsermächtigungen, die alle Schulformen betrifft,läuft dem erklärten Ziel, Niedersachsen zum Vorzeigelandals Ganztagsschulland zu machen, zuwider. 450 Vollzeitleh-rereinheiten, also Stellen, sollen so gewonnen werden, derGanztagsbetrieb soll wieder durch außerschulische Koopera-tionspartner finanziert und gestaltet werden. Wo bleibt indieser Situation ein runder Tisch zur Krisenbewältigung?

Schlechte Unterrichtsversorgung kein Grund für Einheitslehramt und Niveauabsenkung bei AusbildungsanforderungenWir haben nach dem OVG-Urteil gezeigt, wie man unter Ein-beziehung der Betroffenen zu einvernehmlichen Lösungen

Liebe Kolleginnen und Kollegen,wenn ein neues Schuljahr beginnt, häufen sich die Pressenanfragen an den Verband. Die Bildungsredakteure stellen fast immer dieselben Fragen:

■ Was erwarten Sie vom neuen Schuljahr? ■ Wie bewerten Sie die Schulentwicklung?■ Was fordern Sie von der Landesregierung bzw. der Kultusministerin?

Und wie gerne würde ich antworten: keine Probleme, wir sind zufrieden. Leider sieht die Realität anders aus. Die mit hehren Worten 2013 angekündigte Bildungsoffensive erweist sich immer mehr als Bildungsdefensive – und das ist mehr als ein Wortspiel.

kommen kann, um zu 740 zusätzlichen Lehrkräften zu kom-men, die man durch Erhöhung der Unterrichtsverpflichtungeingespart hatte. Ex-cathedra-Lösungen sind keine Lösun-gen! Zudem sind diese Lösungen (s. das 17-Punkte-Papier derKultusministerin) größtenteils keine Lösungen, die sofortwirken. Wir wollen, dass die schlechte Unterrichtsversor-gung, die schlechteste seit 15 Jahren, nicht als Alibi dafürherhalten muss, die Ausbildung der Lehrämter weiter anzu-gleichen und im Niveau abzusenken, den Quereinstieg inden Beruf immer weiter zu erleichtern, die Austauschbarkeitder Lehrkräfte zwischen den Schulformen weiter zu forcierenund letztlich so dem Einheitslehrer den Weg zu bereiten.Betroffen von dieser Entwicklung wäre vor allem das Gym-nasium, das schon jetzt hoch belastet ist.

Generelle Entwicklungen sind vorhersehbarDass man nicht alle Entwicklungen vorhersehen kann, istklar. Wer hätte schon mit so einem massiven Zuzug vonFlüchtlingen rechnen können? Aber dass andere Entwicklun-gen sich allein durch einen Blick auf die Zahlen abschätzenlassen, ist ebenso klar. Man kennt die Zahl der Lehrkräfte,ihre Altersstruktur, die Zahl der Lehramtsstudierenden, dieZahl der Referendare, die Schülerzahl, die Zahl der Übergän-ge auf die Schulformen, und man weiß, dass Reformen, dieunter dem Titel „Bildung für alle“ subsumiert werden, enor-me Finanzmittel binden. Bildung ist deshalb kein Haushalts-bereich, in dem Sparmaßnahmen verordnet werden können,auch wenn die Schülerzahlen noch geringfügig zurückgehen(um etwa 1 Prozent). Leider werden genaue Zahlen nur nocheinmal in der jährliche Schulstatistik Mitte August erhoben,so dass tatsächliche jährliche Werte von den daraus abgelei-teten Prognosewerten abweichen.

Zahlen, Daten, Fakten zum Schuljahr 2015/2016Trotzdem liefert die Statistik für die Schulentwicklung wichti-ge Fakten: In Niedersachsen gibt es rund 2.800 öffentlicheSchulen, darunter 220 Gymnasien und 135 berufsbildendeSchulen. Die beliebteste Schulform ist mit leicht steigenderTendenz das Gymnasium, dessen Eingangsklasse 43 Prozenteines Schülerjahrgangs besuchen. 21,7 Prozent wechseln nachder Grundschule auf eine Oberschule, 15,5 Prozent auf eineIntegrierte Gesamtschule und 14,5 Prozent auf eine Realschule.Die Hauptschule stagniert bei einem Anteil von 4,7 Prozenteines Schülerjahrgangs. Als Konsequenz aus der Schließungvon Realschulen zugunsten von OBS und IGS „verliert“ die

Realschule zunehmend Schüler (minus 1,3 Pro-zent). Damit setzt sich der Trend zu einemzweigliedrigen Schulsystem mit einem star-ken Gymnasium auf der einen Seite und inte-grierten Schulformen auf der anderen Seitefort. Bemerkenswert ist sicher auch, dass derAnteil der Schülerin nen und Schüler in derEinführungsphase der gym nasialen Oberstufebei 41,5 Prozent des Alters jahrgangs liegt undder Anteil der Abiturientinnen und Abiturien-ten an öffentlichen Schulen 38,3 Prozent aus-macht. Etwa die Hälfte der Schüler nimmt aneinem Ganztagsangebot teil. Das Durch -schnitts alter der Lehrkräfte ist auf 44,7 Jahregesunken, wobei die Altersgruppe zwischen30 und 35 Jahren inzwischen am stärksten vertreten ist. Der Lehrberuf wird immer weib -licher, 70,7 Prozent der Lehrkräfte sind Frauen.

Diese Entwicklungen werden an anderer Stelle dieser Zeit-schrift noch genauer ausgeführt.

Ungleiche Ausstattung der SchulformenWir müssen diese Fakten im Blick haben, wenn wir über dieVerteilung von Ressourcen und den Aktionsplan zur Lehrkräf-tegewinnung reden. Die Unterrichtsversorgung, die im ver-gangenen Schuljahr zwischen katastrophalen 88,6 Prozentan den berufsbildenden Schulen und etwa 99 Prozent an denGymnasien lag, macht allein deutlich, dass wir von einerkomfortablen Ausstattung der Schulen mit Personal weitentfernt sind. Und die jetzt für die Gymnasien prognostizier-ten 97,8 % bedeuten nicht, dass es den Gymnasien am bestengeht, wenn man den sogenannten Zusatzbedarf, also z.B.Zuschläge für Ganztagsbetrieb und sonderpädagogische För-derung, berücksichtigt. Erst mit 102prozentiger Unterrichts-versorgung kann am Gymnasium im Gegensatz zu den ande-ren Schulformen der Pflichtunterricht abgedeckt werden.

Wo bleibt das Positive?Wir wollen nicht verschweigen, dass die Umstellung auf dasG9 bisher zügig vonstatten gegangen ist. Nur der zehnteJahrgang ist noch ein G8-Jahrgang. Er wird im Frühjahr 2019das Abitur machen. Alle anderen Schülerinnen und Schülerkommen schon in den Genuss von G9. Noch sind nicht alleProbleme beseitigt, so etwa die Veränderung der Lehrpläneund die Neugestaltung der Oberstufe, aber diese Reformwar prinzipiell richtig und stärkt das niedersächsische Gymnasium. Wir werden jedoch weiter dafür Sorge tragenmüssen, dass keine Qualitätsabstriche erfolgen.

Gute Schule, das ist unsere Überzeugung, gibt es nur mitguten und engagierten Lehrkräften, mit guten Arbeitsbedin-gungen, mit weniger Bürokratie und ohne überzogeneReformen. In diesem Sinne: Lassen Sie uns unsere Energie inguten Unterricht stecken.

Ich wünsche Ihnen trotz aller negativen Nachrichten undBelastungen, die uns schon nach wenigen Wochen imSchulalltag wieder eingeholt haben, ein erfolgreiches undhoffentlich gesundes neues Schuljahr. Die von mir in diesemArtikel angesprochenen Entwicklungen werden im Verlaufdieser Ausgabe von „Gymnasium in Niedersachsen“ nochgenauer betrachtet. Dazu wünsche ich Ihnen eine anregen-de und gewinnbringende Lektüre.

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Neues Schuljahr – alte Problem

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Schwerpunktthema: Neues Schuljahr – alte Probleme,

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Land muss Lehrerarbeitszeit untersuchenPhVN legt Rechtsgutachten vor – Prof. Dr. Battis: Land handelt rechts- undverfassungswidrig – Kultusministerin mit ihren eigenen Worten widerlegt

Von Helga Olejnik

Der Philologenverband Niedersachsen ist derzeit – wiedereinmal – landesweit und kontinuierlich in aller Munde. Mitdem neuen Rechtsgutachten zur Lehrerarbeitszeit hat unserVerband ein großes Medienecho hervorgerufen – und eineReaktion der Landesregierung provoziert, die diese nungehörig unter Zugzwang setzt.

Der PhVN hat die Landesregierung ultimativ und in Über -einstimmung mit seinem gegen das Land Niedersachsenerstrittenen Urteil des OVG Lüneburg vom 9. Juni 2015 aufge-fordert, eine Untersuchung der Lehrerarbeitszeit in Auftragzu geben. Das Fehlen einer derartigen Untersuchung hattebereits das Oberverwaltungsgericht Lüneburg in seinemUrteil im Juni 2015 bemängelt, als es das Land verurteilte, diezuvor vorgenommene Erhöhung der Pflichtstundenzahl derGymnasiallehrer zurückzunehmen.

Denn mit ihrer Weigerung, eine Untersuchung der Lehrer -arbeitszeit vorzunehmen, setzt sich die Landesregierung inoffenen Widerspruch zu dem von ihr angeblich akzeptiertenUrteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg. Damit miss -achtet sie die aus ihrer verfassungsrechtlichen Fürsorge-pflicht folgende Anpassungspflicht bei der Ausgestaltungder Lehrerarbeitszeit. „Diese Verweigerungshaltung desLandes werden wir nicht länger hinnehmen“, unterstrichder Verbandsvorsitzende Horst Audritz bei der Vorstellungeines Rechtsgutachtens des bundesweit renommierten Ver-fassungs- und Verwaltungsrechtlers Prof. Dr. Dr. h.c. UlrichBattis, der den Philologen verband schon bei seinem erfolg-reichen Arbeitszeitprozess vor dem OVG Lüneburg vertretenhatte.

In seinem Gutachten weist Prof. Battis nach, dass das Land dieEinhaltung der gesetzlich vorgegebenen Arbeitszeit derBeamten von durchschnittlich wöchentlich 40 Stunden auchfür Lehrkräfte zu gewährleisten habe. Dabei folge aus der Für-sorgepflicht des Landes die Pflicht, die Arbeitszeit der Lehr-kräfte an die der übrigen Landesbeamten anzupassen. DieseAnpassungspflicht könne nur durch entsprechende vorherigeErmittlungs- und Beobachtungspflichten des Dienstherrnerfüllt werden. Daher sei eine Arbeitszeituntersuchung durchdas Land zwingend und umgehend erforderlich.

Landesregierung ist zur Ermittlung der Arbeits -belastung verpflichtet„Angesichts des langen Zeitraums seit der Festlegung derderzeit geltenden Regelstundenzahl, der seitdem eingetrete-

nen Veränderungen in der Arbeitsbelastung der Lehrkräftesowie nicht zuletzt angesichts des jüngst ergangenen, auchinsoweit eindeutigen Urteils des OberverwaltungsgerichtsLüneburg ist“, so Battis, „die Niedersächsische Landesregie-rung verpflichtet, zeitnah die tatsächliche Arbeitsbelastungder Lehrkräfte in einem fundierten und nachvollziehbarenVerfahren zu ermitteln und gegebenenfalls Anpassungenvorzunehmen.“ Die Unterlassung einer erforderlichenAnpassung der Ausgestaltung der Lehrerarbeitszeit stelleeine Verletzung der Fürsorgepflicht aus Art. 33 Abs. 5 GG unddes allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG dar.Eine solche Untersuchung der Lehrerarbeitszeit, so Battis,müsse das Land daher sofort vornehmen – es bestehe keiner -lei Handlungsspielraum mehr.

Es bleibt festzuhalten, dass die Pflicht des Landes, dieArbeitszeit der Lehrer an die der übrigen Landesbeamtenanzupassen, nicht dadurch umgangen werden kann, dass esdas Land pflichtwidrig unterlässt, die tatsächlichen Arbeits-belastungen der Lehrkräfte zu ermitteln. Insbesondere kanndie Pflicht zur Anpassung der Lehrerarbeitszeit auch nichtdadurch umgangen werden, dass eine Ermittlung derArbeitsbelastungen beispielsweise durch eine Online-Befra-gung der Lehrkräfte bzw. durch andere, ähnliche und durchdie Landesregierung nicht veranlasste und verantworteteUntersuchungen erfolgt und sie sich damit ihrer Pflicht dersachgerechten Ermittlung der tatsächlich Arbeitszeit derLehrkräfte entzieht.

Das sture Verharren des Landes, die Arbeitszeit der Lehrkräf-te nicht an die gesetzlich festgelegten Normen anzupassen,kommt damit nicht nur einer bewussten Vereitelung ihrerverfassungsrechtlichen Pflichten gleich, sondern führt auchzu schwerwiegenden Konflikten mit der niedersächsischenLehrerschaft.

Verwunderung über MK-StellungnahmeMit Verblüffung und Verwunderung hat der Philologenver-band die kurz auf die Veröffentlichung des Rechtsgutachtensvon Prof. Dr. Ulrich Battis erfolgte Stellungnahme des Kultus-ministeriums zu diesem zur Kenntnis genommen. Die Äuße-rungen des Sprechers von Kultusministerin Heiligenstadt,die Durchführung einer Lehrerarbeitszeituntersuchungdurch das Land „war und ist völlig unstrittig“, stehen sogarin krassem Widerspruch zum bisherigen Handeln und denbisherigen Aussagen des Kultusministeriums.

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Kernaussagen aus dem Gutachten von Prof. Dr. Ulrich Battis, Berlin, zur Verpflichtung der Niedersächsischen Landesregierung zur Durchführung einer Untersuchung der Arbeitszeit vonLehrkräften

Zusammenfassung der Ergebnisse

Die Landesregierung ist verpflichtet, dieEinhaltung der gesetzlich vorgegebenenArbeitszeit für Beamte von durch-schnittlich 40 Stunden wöchentlichauch für Lehrkräfte zu gewährleisten.

Angesichts des langen Zeitraums seitder Festlegung der derzeit geltendenRegelstundenzahl, der seitdem einge-tretenen Veränderungen in der Arbeits-belastung der Lehrkräfte sowie nichtzuletzt angesichts des vom Philologen-verband erstrittenen Urteils des OVGLüneburg vom Juni 2015 ist die Landes-regierung verpflichtet, zeitnah dietatsächliche Arbeitsbelastung der Lehr-kräfte in einem fundierten und nach-vollziehbaren Verfahren zu ermitteln.

Zitate aus dem Rechtsgutachten von Prof. Dr. Battis

Die Ausgestaltung der Lehrerarbeitszeit muss von sachgerechten Gründen getra-gen werden. Maßstab kann insoweit allein die Einhaltung der gesetzlichenArbeitszeit sein. (S. 1)

Aus der Fürsorgepflicht nach Art. 33 Abs. 5 GG folgen eine Anpassungspflicht und– dieser vorgeschaltet – entsprechende Ermittlungs- und Beobachtungspflichtendes Dienstherrn. Insbesondere bei Veränderungen, die sich auf die Arbeitsbelas -tung von Lehrkräften auswirken können, besteht eine Veranlassung zur Ergrei-fung von Maßnahmen zur Ermittlung der tatsächlichen Arbeitsbelastung sowiegegebenenfalls zu deren Anpassung, um die Einhaltung der gesetzlichen Regel -arbeitszeit zu gewährleisten. (S. 1)

Angesichts des langen Zeitraums seit der Festlegung der derzeit geltenden Regel-stundenzahl, der seitdem eingetretenen Veränderungen in der Arbeitsbelastungder Lehrkräfte sowie nicht zuletzt angesichts des jüngst ergangenen, auch inso-weit eindeutigen Urteils des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg ist die Nieder-sächsische Landesregierung verpflichtet, zeitnah die tatsächliche Arbeitsbelas -tung der Lehrkräfte in einem fundierten und nachvollziehbaren Verfahren zuermitteln und gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen. Dabei liegt es in ihremErmessen, ob sie die Regelstundenzahl und/oder außerunterrichtliche Aufgabenanpasst, sofern dadurch die Einhaltung der gesetzlichen Regelarbeitszeit gewähr-leistet ist. (S. 18)

Die Unterlassung einer erforderlichen Anpassung der Ausgestaltung der Lehrer -arbeitszeit wäre eine Verletzung der Fürsorgepflicht aus Art. 33 Abs. 5 GG und desallgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG. (S. 18)

Auch für die derzeit geltende Fassung der ArbZVO-Schule und die darin festgeleg-te Regelstundenzahl von Lehrkräften liegt keine entsprechende Untersuchungvor, so dass die tatsächliche Arbeitsbelastung der niedersächsischen Lehrkräftenicht nachvollzogen werden kann. Selbst wenn davon ausgegangen würde, dassdie derzeitigen Festlegungen aus dem Jahre 1994 seinerzeit einer Arbeitsbelas -tung im Rahmen der gesetzlichen Regelarbeitszeit entsprachen, sind zwischen -zeitlich so erhebliche Veränderungen bei den Aufgabenbereichen der Lehrkräfte

So wurden unter anderem Anträge von CDU und FDP imJahre 2013 bzw. 2014 zur Durchführung einer unabhängigenLehrerarbeitszeituntersuchung von der Regierungs mehrheitim Landtag ausdrücklich abgelehnt. Die Kultusministerinselbst hatte im Oktober 2014 vor dem Landtag kategorischerklärt, dass für die Landesregierung „keine Veranlassung“bestehe, „eine auf die Belastung der Lehrkräfte bezogenewissenschaftliche Untersuchung der Arbeitszeit in Auftragzu geben. Eine solche Erhebung ist nicht beabsichtigt; wirhalten sie auch nicht für notwendig.“

Auch nach dem Urteilsspruch des OVG waren entsprechendeAnträge von der Opposition im Landtag von der Ein-Stimmen-Mehrheit von Rot-Grün abgelehnt worden. Angesichts dieserunmissverständlichen und unzweideutigen Äußerungen der

Kultusministerin ist nicht nachvollziehbar, wenn sie jetztden Eindruck zu erwecken suche, als sei die Durchführungeiner Lehrerarbeitszeituntersuchung für sie nie strittiggewesen. Auf der anderen Seite würde des der PhVN sehrbegrüßen, wenn die Ministerin sich jetzt in Anbetracht desvom Philologenverband vorgelegten Gutachtens korrigierenwolle und einer unabhängigen Lehrerarbeitszeituntersu-chung endlich zustimme. Ihren Worten müssen jetzt aller-dings auch unverzüglich die erforderlichen Taten folgten –denn das allein wäre ein Indiz für die Glaubwürdigkeit derjetzigen Äußerungen.

Im Folgenden werden die wichtigsten Aussagen aus demGutachten von Prof. Battis zusammengefasst.

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Inwieweit ist die Landesregierung verpflichtet, eine Untersuchung der Lehrerarbeitszeit durchzuführen?

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Wenn es sich um eine erhebliche, nichtbloß vorübergehende Überschreitunghandelt, muss die LandesregierungMaßnahmen zur Entlastung der Lehr-kräfte treffen. Der Dienstherr darf dieWochenarbeitszeit insbesondere nichtauf ein Maß festlegen, das die Beamtenübermäßig belastet oder gar geeignetist, ihre Gesundheit zu gefährden.

Der niedersächsische Gesetzgeber hatin § 60 Abs. 1 NBG unmissverständlichgeregelt, dass die regelmäßige Arbeits-zeit im Jahresdurchschnitt 40 Stundenin der Woche nicht überschreiten darf.

Finanzpolitische Erwägungen sind keinhinreichender Rechtfertigungsgrund,von dieser gesetzlichen Vorschrift abzu-weichen (unzulässiges Sonderopfer).

erfolgt, dass die Landesregierung verpflichtet ist, die tatsächliche Arbeitsbelas -tung in einer fundierten Untersuchung zu ermitteln und gegebenenfalls Anpas-sungen vorzunehmen, um die Einhaltung der gesetzlichen Regelarbeitszeit zugewährleisten. (S. 1f)

Demensprechend besteht dringender Bedarf für die Durchführung einer Arbeits-zeituntersuchung zur realitätsgerechten Ermittlung der tatsächlichen Arbeitsbe-lastung der Lehrkräfte in Niedersachsen. Für die Frage, ob zum jetzigen Zeitpunkteine solche Untersuchung vorzunehmen ist, besteht keinerlei Handlungsspiel-raum mehr. Mit ihrer Erklärung, eine flächendeckende Arbeitszeiterhebung imRahmen des Vorhabens „Arbeitszeitanalyse“ sei nach derzeitigem Planungsstandnicht beabsichtigt, setzt sich die Landesregierung in offenen Widerspruch zu demvon ihr vorgeblich akzeptierten Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg undmissachtet die aus ihrer verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht folgende Anpas-sungspflicht bei der Ausgestaltung der Lehrerarbeitszeit. Insbesondere kann dieseAnpassungspflicht nicht dadurch umgangen werden, dass eine Ermittlung derArbeitsbelastung unterlassen wird. (S. 18)

Eine entsprechende Anpassungspflicht trifft den Dienstherrn erst recht bei derAusgestaltung der Arbeitszeit von Lehrkräften, weil – anders als bei der Besoldung– mit der gesetzlichen Festlegung der Regelarbeitszeit eine konkrete Vorgabe vor-liegt, die zu beachten ist. (S. 14)

Sollte die Untersuchung zu dem Ergebnis kommen, dass die Arbeitsbelastung derLehrkräfte in Niedersachsen über die gesetzliche Regelarbeitszeit hinausgeht,müsste die Landesregierung Maßnahmen treffen, um die Einhaltung der Rege -larbeitszeit zu gewährleisten. (S. 18)

Die Festlegung der Arbeitszeit der Beamten steht grundsätzlich im Organisations-ermessen des Dienstherrn. Dieses Organisationsermessen findet seine Grenzeinsbesondere in dem hergebrachten und nicht nur zu berücksichtigenden, son-dern strikt zu beachtenden Grundsatz der Fürsorgepflicht des Dienstherrngegenüber seinen Beamten aus Art. 33 Abs. 5 GG. Danach muss der Dienstherr beider Festlegung der Wochenarbeitszeit die wohlverstandenen Interessen derBeamten berücksichtigen. Er darf die Wochenarbeitszeit insbesondere nicht aufein Maß festlegen, das die Beamten übermäßig belastet oder gar geeignet ist,ihre Gesundheit zu gefährden. (BVerfG, Beschluss vom 30.01.2008)

Insbesondere kann eine Überschreitung der gesetzlichen Regelarbeitszeit nichtmit haushaltspolitischen Erwägungen gerechtfertigt werden. (S. 1)

Es besteht kein sachlicher Grund dafür, dass die Lehrkräfte in Niedersachsen ausfinanzpolitischen Gründen mehr arbeiten müssen als die übrigen niedersächsi-schen Beamten. (S. 18)

… können insbesondere haushaltspolitische Erwägungen keine Belastung der Lehr-kräfte, die zu einer Überschreitung der gesetzlich festgelegten Wochenarbeitszeitführt, rechtfertigen. Ansonsten könnte den Lehrkräften ein unzulässiges Sonder -opfer für die Einhaltung haushaltspolitischer Vorgaben auferlegt werden. (S. 9)

Finanzpolitische Erwägungen können demgegenüber nicht zur Rechtfertigung eineretwaigen Überschreitung der Regelarbeitszeit geltend gemacht werden. (S. 18)

Zusammenfassung der Ergebnisse Zitate aus dem Rechtsgutachten von Prof. Dr. Battis

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Muss die Landesregierung, wenn eine Untersuchung eine über der 40-Stunden- Woche liegende Arbeitszeit der Lehrkräfte feststellt und damit ein Verstoß des Landes gegen das Niedersächsische Beamtengesetz

vorliegt, eine entsprechende Arbeitszeitreduzierung vornehmen?

Kann die Landesregierung bei Vorliegen einer entsprechenden Untersuchung die Reduzierung der Arbeitszeitauf eine 40-Stunden-Woche mit Hinweis auf fehlende finanzielle Möglichkeiten verweigern?

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Die Verpflichtung der Landesregierung,die Regelarbeitszeit der Lehrkräfte an diegesetzliche Regelarbeitszeit der Beamtenanzupassen, kann nicht dadurch umgan-gen werden, dass eine Ermittlung derArbeitsbelastung bisher nicht vorliegtund auch jetzt unterlassen wird. Ein der-artiges Verhalten der Landesregierungkäme einer bewussten Vereitelung ihrerverfassungsrechtlichen Pflichten gleich.

Sie hat nicht zuletzt angesichts deserheblichen Zeitraums seit der derzeitiggeltenden Festlegung der Unterrichts-verpflichtungen der Lehrkräfte und derseither erfolgten Veränderungen dieunabweisbare Pflicht, ohne Zeitverzugeine Lehrerarbeitszeituntersuchungdurchzuführen.

Die Aussage der Niedersächsischen Kultusministerin, es bestehe keine Ver-anlassung für eine wissenschaftlicheUntersuchung der Arbeitszeit, ist nichthaltbar. Dies gilt umso mehr, als auchfür die derzeit geltende Fassung derArbeitszeitverordnung keine entspre-chende Untersuchung vorliegt. DerDienstherr muss zudem, wenn er Mehr-belastungen in einem Arbeitszeitbe-reich anordnet, anderweitige Entlastun-gen ebenfalls konkret regeln; auch diesist in den vergangenen Jahren unter -blieben. Der Hinweis, die Lehrkraftkönne „in eigener pädagogischer Ver-antwortung“ z.B. ihre Sorgfalt bei derUnterrichtsvorbereitung bzw. bei Kor-rekturen verringern, ist angesichts derverantwortungsvollen Tätigkeit einerLehrkraft auch rechtlich nicht haltbar.

Wenn die Kultusministerin indes bereits vorab erklärt, finanziellen Spielraum füreine Reduzierung der Unterrichtsverpflichtung oder für mehr Anrechnungsstun-den gebe es nicht, dann wird sie andere Wege finden müssen. Der Verweis aufden beschlossenen Haushalt vermag jedenfalls keine Überschreitung der Regel -arbeitszeit zu rechtfertigen. (S. 18)

Aus der Fürsorgepflicht nach Art. 33 Abs. 5 GG folgen eine Anpassungspflicht und– dieser vorgeschaltet – entsprechende Ermittlungs- und Beobachtungspflichtendes Dienstherrn. Insbesondere bei Veränderungen, die sich auf die Arbeitsbelas -tung von Lehrkräften auswirken können, besteht eine Veranlassung zur Ergrei-fung von Maßnahmen zur Ermittlung der tatsächlichen Arbeitsbelastung sowiegegebenenfalls zu deren Anpassung, um die Einhaltung der gesetzlichen Regel -arbeitszeit zu gewährleisten. (S. 1)

Insbesondere kann diese Anpassungspflicht nicht dadurch umgangen werden,dass eine Ermittlung der Arbeitsbelastung unterlassen wird. (S. 18)

Ein derartiges Verhalten der Landesregierung käme einer bewussten Vereitelungihrer verfassungsrechtlichen Pflichten gleich. (S. 19)

Aufgrund der Ankündigung des Niedersächsischen Kultusministerium, in Reaktionauf das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg werde sich ein Experten -gremium mit einer Analyse der Arbeitszeit von Lehrkräften befassen, das diearbeitszeitrelevanten Tätigkeiten von Lehrkräften und Schulleitungen ermittelnund nach objektiven Kriterien bewerten soll, stellt sich die Frage, nach welchenKriterien die derzeit geltende Regelstundenzahl in der ArbZVO-Schule bestimmtwurde. Wie die Niedersächsische Landesregierung auf die Nachfrage des Ober -verwaltungsgerichts bestätigt hat, hat es auch in der Vergangenheit keine von derNiedersächsischen Landesregierung bzw. dem Niedersächsischen Kultusministeri-um in Auftrag gegebene wissenschaftliche Untersuchung zur Lehrerarbeitszeit inNiedersachsen gegeben. Daraus folgt, dass ebenso wie die vom Oberverwaltungs-gericht jüngst für unwirksam erklärte Erhöhung der Regelstundenzahl auch diederzeit geltende Regelstundenzahl auf keiner nachvollziehbaren Grundlageberuht. Damit ist weder die seinerzeit bei der Festlegung der geltenden Regel-stundenzahl bestehende noch die derzeitige Arbeitsbelastung der Lehrkräfte fest-stellbar. (S. 17f)

„..nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des erkennen-den Senats muss der Dienstherr, wenn er Mehrbelastungen in einem Arbeitszeit-bereich anordnet, anderweitige Entlastungen ebenfalls konkret regeln; ein still-schweigendes Vertrauen darauf, dass sich die betroffenen Lehrkräfte unter Aus-nutzung ihrer pädagogischen Gestaltungsfreiheit möglicherweise wenigergründlich auf den Unterricht vorbereiten, ersetzt diese Angabe nicht ..“OVG Lüneburg, Urteil vom 09.06.2015 - (S. 12)

Kann die Landesregierung der Forderung, die tatsächliche Arbeitszeit der Lehrkräfte an die Regelarbeitszeit der Beamten anzupassen, mit der Argumentation ausweichen, dass eine Untersuchung der Lehrerarbeitszeit

nicht vorliegt und sie auch keine Untersuchung vornehmen will?

Zusammenfassung der Ergebnisse Zitate aus dem Rechtsgutachten von Prof. Dr. Battis

Ergebnis1. Es besteht eine dringende Verpflichtung der Landesregierung für die Durchführung einer Arbeitszeituntersuchung zur

realitätsgerechten Ermittlung der tatsächlichen Arbeitszeit der Lehrkräfte in Niedersachsen.2. Für die Frage, ob zum jetzigen Zeitpunkt eine solche Untersuchung vorzunehmen ist, besteht keinerlei Handlungsspiel-

raum mehr.3. Bei einer Verweigerung setzt sich die Landesregierung in offenen Widerspruch zu dem von ihr vorgeblich akzeptierten

Urteil des OVG Lüneburg und missachtet die aus ihrer verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht folgende Anpassungspflichtbei der Ausgestaltung der Lehrerarbeitszeit.

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Der Philologenverband Niedersachsen hat die kurz vor denSommerferien durchgeführte am 1. Juni von KultusministerinHeiligenstadt gestartete Online-Befragung der Lehrkräfteeiner scharfen Kritik unterzogen. Denn der Fragebogen warbewusst nicht darauf angelegt, die Arbeitsbelastungen derLehrkräfte zu erfassen, womit diese Befragung einen glattenBruch des Versprechens von Ministerpräsident Weil auf demPhilologentag 2015 darstellte. Weil wollte eine kritischeUntersuchung zeitaufwendiger und wenig sinnvoller Auf -gaben vornehmen lassen – mit dem Ziel und der Zusage, dieLehrkräfte von ineffizienten und bürokratischen Aufgabenzu entlasten.

Der Titel der Befragung „Mehr Zeit für gute Schule“ führteangesichts dieser Tatsachen völlig in die Irre und stellte ge -radezu eine Täuschung der Lehrkräfte und der Öffentlichkeitdar. Dass den Lehrern seit Jahren durch die Politik immerneue zusätzliche Aufgaben aufgebürdet werden, ist hinläng-lich bekannt. Daher fehlt vielen die Zeit, um die Kernauf -gaben guter Schule, nämlich gut vorbereiteten, qualitativhochwertigen Unterricht und engagierte Erziehungsarbeit,optimal zu er füllen. Die Befragung hatte auch im Rückblick –in dem damit geprahlt wurde, „über 10.000 Lehrkräfte“ hät-ten sich beteiligt (nur etwa 10% der Lehrerinnen und Lehreran unseren Schulen!) nicht mehr als eine Alibifunktion.Bezeichnenderweise wurde an keiner Stelle nach dem kon-kreten Arbeitsaufwand oder der Belastung durch bestimmteAuf gaben gefragt.

Als Zielsetzung der Umfrage war seitens des Ministeriums„die Überprüfung der Passung zwischen den Vorgaben des

Ministeriums einerseits und deren Umsetzung im Arbeits -alltag der Lehrkräfte andererseits“ ausgegeben worden. ImKlartext bedeutete das nichts anderes, als dass die Sinn -haftigkeit ministerieller „Vorgaben“ in keiner Weise in Fragegestellt werden sollte und jegliche Aufgabenkritik uner-wünscht war. Die Behauptung des Ministeriums, die Bil-dungsverbände seien an der Entwicklung des Fragebogensbeteiligt gewesen, wurde vom PhVN-Vorsitzenden HorstAudritz umgehend zurückgewiesen.

Lehrkräfte empört über Befragung Kurz nach der Veröffentlichung der Fragen hagelte es inunserer Geschäftsstelle Rückmeldungen von Lehrkräften, diedie Befragung empört als „völlig am Thema vorbei, teilweisemanipulativ und handwerklich als unzulänglich“ bezeichne-ten. Der Fragebogen gab den gut 30 vom Ministerium fest-gelegten Tätigkeiten des Lehrers ein starres, immer gleichesAnkreuzschema vor. Durch die für alle Tätigkeiten vorgege-bene Aussage „…die ich gut bewältigen kann“ wurde einepositive Antwort „provoziert“, denn welcher Pädagogewürde nicht angeben, etwa die zentrale pädagogische Auf-gabe der individuellen Förderung der Schüler oder dieDurchführung von Prüfungen bewältigen zu können? DieAbsicht war also klar: Die „positiven“ Antworten könntengenutzt werden, um der Öffentlichkeit eine Lehrerschaft zupräsentieren, die ihre Aufgaben „gut bewältigen“ kann.Damit könnte die Ministerin jeden Handlungsbedarf zurSenkung der Arbeitsbelastungen als überflüssig hinstellen.

Bei der Verbandsforderung nach einer Aufgabenkritik, die aufdem Vertretertag 2015 durch Ministerpräsident Weil zugesagt

Online-Befragung des Kultusministeriums nicht mehrals ein Täuschungsmanöver Von Roland Neßler

Die Arbeitsbelastung der Lehrkräfte wird immer größer

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worden war, ging des dem PhVN aber gar nicht um eine „guteBewältigung“ einzelner Aufgaben, sondern darum, dass alleAufgaben in der Summe eine geradezu gesetzwidrig hoheArbeitszeit ergeben. Zudem hatten wir schulformspezifischeBelastungen, wie am Gymnasium die aufwendigen Abitur -prüfungen, die umfangreichen Korrekturen von Oberstufen-klausuren und Facharbeiten oder die aufwendige Unterrichts-vorbereitung insbesondere von Leis tungskursen als Argumentefür eine dauerhafte zeitliche Überlastung der Lehrkräfte andieser Schulform kritisiert. Und diese Belastungen sind durchdie ausufernde Zahl von Konferenzen und Gremiensitzungen,Dokumentationspflichten, individuelle Lernentwicklungs -berichte, ständige Über- und Weiterbearbeitung von schul -internen Curricula und vielen anderen Nebensächlichkeitenin den letzten Jahren ins Uferlose gestiegen!

Der Fragebogen in der PraxisDie Beantwortung des Fragebogens beinhaltete zudem eini-ge „Fallen“, in die manche Lehrkräfte, die allzu unvoreinge-nommen ans Werk gegangen waren, getappt sein dürften.Reaktionen von erbosten Kolleginnen und Kollegen, denengenau dies passiert ist, ließen nach Veröffentlichung der Fragen nicht lange auf sich warten:■ Man musste sehr sorgfältig und überlegt antworten,

denn man konnte eine einmal gegebene Antwort –weder sofort nach der Eingabe noch später – nicht wiederkorrigieren. Sollte man also merken, dass man „nichtstimmig“ geantwortet hat, so gab es keine Möglichkeitder Korrektur. Auch ein aus Versehen gemachtes Kreuzwar nicht revidierbar!

■ Ein Vor- oder Zurückblättern war nicht möglich, sondernman konnte immer nur eine Seite bearbeiten, und wennman dann auf „weiter“ klickte, war diese Seite nicht mehraufrufbar. Auch hier war ein persönlicher Abgleich mitvorherigen Antworten nicht möglich. Man konnte dieBeantwortung unterbrechen und sich später wieder ein-loggen, aber eben auch dann mit den hier genannten Ein-schränkungen.

■ In Teil II konnte „keine Angabe“ angekreuzt werden, in TeilIII gab es diese Möglichkeit nicht. Wer eine Frage nichtbeantwortet hatte, wurde dazu nochmals aufgefordert.

■ Während im Hauptteil I allgemeine Angaben zur Person,zur Schulform und ggf. zur Funktion erfragt wurden, ginges im Teil II, dem Hauptteil, „zur Sache“: In fünf Abschnit-ten (ein 6. Abschnitt war nur für Schulleiter vorgesehen)wurden keine „Fragen“ gestellt, sondern die Lehrkraft zuvorgegebenen „Feststellungen“ des MK den Grad ihrerZustimmung angeben soll. Die Abschnitte betrafen Unter-richt (14 Feststellungen), Inklusive Bildung (6 Feststellun-gen), Sprachförderung und interkulturelle Bildung (5 Fest-stellungen), Ganztag (2 Feststellungen) und die schwam-mige Kategorie Zusammenarbeit (6 Feststellungen).

Die einzelnen Kategorien waren teilweise nicht klar ver-ständlich. Man musste also immer vorab genau überlegen,welche Schlussfolgerung ein bestimmtes Kreuz in der späte-ren Interpretation der Antworten haben würde. Korrekturenin der eigenen Antwort waren nicht vorgesehen und nichtgewollt, man könnte auch sagen: verboten.

Keine Probleme mehr dank „Unterstützung“?Geradezu vermessen ist die Annahme des MK, wenn esmeint, dass es nur genügend „Unterstützung“ gewähren

müsse und es dann keine Probleme mehr mit zu hohenArbeitsbelastungen gäbe. Bei „sinnvollen“ Aufgaben istUnterstützung ggf. erforderlich und erwünscht, bei „sinn -losen“ Aufgaben aber, die eigentlich abgeschafft gehörten,nicht. Das Ankreuzen von „fehlende Unterstützung“ beiwenig sinnvollen Aufgaben könnte dazu führen, dass dasMinisterium sich veranlasst sähe, „mehr Unterstützung“anzubieten, so dass die Aufgaben paradoxerweise weiterbestehen bleiben statt abgeschafft zu werden.

Und was heißt eigentlich: Aufgaben, „die ich gut bewältigenkann“? Fachlich? Inhaltlich? Physisch? Zeitlich? Die Aufgabenmeines Berufes kann ich in der Regel einzeln gut bewältigen,das Problem ist ja die Häufung der Aufgaben und die zeit -liche Überlastung insgesamt. Würden hier viele Lehrer an -kreuzen, dass sie die vom MK benannten Aufgaben (einzeln)„gut bewältigen“ können, dann würde daraus der Schlussgezogen: Es ist doch alles „in bester Ordnung“, und mankönnte weiter „heile Schulwelt“ vortäuschen. Gibt man aberan, dass man die Aufgabe nicht gut bewältigen kann, würdeauch das nicht zu einer „Entlastung“ durch Senkung derArbeitszeit führen, denn das hat die Ministerin bereits vonAnfang an absolut ausgeschlossen.

Insgesamt kommt man zu der Erkenntnis, dass die Unklar-heiten und die Formulierungen „Methode“ haben und vonFragen nach den beruflichen Belastungen ablenken sollen,die man entgegen der Zusicherung des Ministerpräsidenteneinfach nicht stellt.

Beschränkte Eingabemöglichkeiten für „Verbesserungsvorschläge“In der Anfangsphase der Entwicklung des „Fragebogens“ wargeplant gewesen, hinter jeder „Feststellung“ die Möglichkeiteines Kommentars, eines Verbesserungsvorschlages zu eröff-nen. Daran hätte man dann konkret sehen können, wo Auf-gaben nicht sinnvoll sind, verändert oder gestrichen werdenmüssen, was als Belastung empfunden wird und vieles mehr.Diese Möglichkeit ist in dieser Form gestrichen worden, mitder Begründung von Seiten des MK, dies würde zu viel Raumfür „Kritik“ geben, und dies sei ausdrücklich nicht erwünscht.Insbesondere im Bereich Inklusion, aber auch bei Unterricht(eigentlich: Qualitätssicherung) hat das MK entsprechendeSorgen in aller Unbekümmertheit und Offenheit ausge -sprochen. Am liebsten hätte man die freie Eingabemöglich-keit vollkommen gestrichen – doch sie war nun zuvor von derMinisterin in der Presse angekündigt worden, und da musstewenigstens der Anschein gewahrt bleiben.

Die Möglichkeit bestand im Fragebogen nur noch darin, dassunter jedem der Abschnitte des Hauptteils, also für die Lehr-kräfte fünf Mal, eine „freie Eingabemöglichkeit“ besteht.Doch selbst diese bescheidene Möglichkeit erschien demMK noch zu viel, und so wurde eine Begrenzung auf jeweilsmaximal 250 Zeichen festgesetzt. Außerdem sind dabei nurdrei Vorschläge erlaubt, die in der Reihenfolge ihrer Prioritätangeordnet sein müssen. Wie viel Angst muss man vor derWahrheit haben, wenn man zu solchen Mitteln greift? Dieswurde auch immer wieder sichtbar, wenn in den Sitzungenmit den Lehrerverbänden z. B. unsere Verbesserungs vor -schläge am Fragebogen mit der Begründung abgelehnt wurden, dass das die Ministerin nicht wolle bzw. das nicht inihrem Sinne sei.

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Nach dem erfolgreichen Prozess gegen die Erhöhung derUnterrichtsverpflichtung (willkürlich nur für Gymnasialleh-rer) lässt der Philologenverband Niedersachsen nicht locker.Das Motto dabei ist: Es muss Schluss sein mit den viel zuhohen Arbeitsbelastungen der Lehrerinnen und Lehrer! Zueinem Bündel von Maßnahmen und Aktionen gehört nichtnur das Rechtsgutachten von Prof. Battis (siehe vorangegan-gene Seiten), sondern ebenso die Petition „40-Stunden-Woche auch für Lehrer“.

Die gesetzlichen Vorgaben gelten für alle niedersächsischenBeamten, und damit auch für Lehrer. Diese besagen eindeu-tig eine die 40-Stunden-Woche. Doch die durchschnittlichewöchentliche Arbeitszeit liegt, wie alle Untersuchungen zeigen, schon seit Jahren wesentlich höher – und sie wirdständig weiter erhöht. Was alle Lehrkräfte wissen, aber leider in Teilen der Öffentlichkeit wenig bekannt ist: Auch anWochenenden und Feiertagen lassen Korrekturen, Unter-richtsvorbereitung und Planung und Organisation z.B. vonProjekten und Fahrten oftmals keine Ruhephasen zu. VieleLehrkräfte sehen inzwischen nur noch den Ausweg, in Teil-zeitbeschäftigung zu gehen. Die Folge sind mitunter deut -liche Einkommensverluste.

Die Stimmung in den Schulen ist daher fast zwangsläufigschlecht. Dies zeigt sich auch in Hunderten von Kommenta-ren von Unterzeichnern unserer Petition. Die Petition wurdevor kurzem dem Landtagspräsidenten mit Tausenden von

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Zu Teil III: „Arbeitsbedingte Belastungs- und Entlastungsfaktoren“Dieser Teil der Umfrage war besonders „pikant“, denn dieFragen stammten wortwörtlich aus unterschiedlichen, teilsjahrzehntealten Umfragen/Studien aus anderen Bundes -ländern, zu gesundheitlichen Fragen, in Sonderheit zu psy-chischen Belastungen/Erschöpfungs zuständen, von Lehrern,aber auch von anderen Berufsgruppen, was einen konkretenVergleich mit den Ergebnissen dieser früheren Befragungenermöglicht. Eine entsprechende Information darüber suchteman in der Online-Befragung allerdings vergebens – eine Artvon Plagiat, die manch einem seinen akademischen Gradkosten könnte. Hier einmal einige Fragen wörtlich zu „goog -len“ war mehr als aufschlussreich und lässt weitere interes-sante Folgerungen und Rückschlüsse auf die Art dieser „Leh-rer-Befragung“ zu.

Auch in diesem Teil gab es zahlreiche suggestive Fragen,wie: „Ich bin mir sicher, dass ich auch mit den problemati-schen Schülern in guten Kontakt kommen kann, wenn ichmich bemühe“, oder: „Ich bin mir sicher, dass ich mich inZukunft auf die individuellen Probleme der Schüler nochbesser einstellen kann“; oder „Ich traue mir zu, die Schülerfür neue Projekte zu begeistern“ – wer würde da nichtzustimmend antworten?! Denn wer wollte sich entgegenseinem Berufsethos als Lehrer selbst so negativ darstellen,dass er hier widerspricht?

Derartige Fragen haben also Methode und provozieren posi-tive Antworten. „Positive“ Antworten in großer Zahl lassendann nur die Schlussfolgerung zu, dass in der Schule „alles

bestens bestellt“ ist. Eher zurückhaltende Antworten dage-gen weisen auf „Irritationen“ hin, die man als Warnsignal fürmögliche gesundheitliche Beeinträchtigungen und damit alsZeichen für große Belastung oder Überlastung ansehenkann.

FazitDer Philologenverband übte – als einzige logische Folge aufdieses „Täuschungsmanöver“ – massive Kritik, dass die ver-sprochene und überfällige Arbeitsentlastung der Lehrkräftewieder einmal nicht in Angriff genommen werde. Er unter-strich erneut die Forderung des Philologenverbandes, eineunabhängige Untersuchung der Lehrerarbeitszeit durchzu-führen, wie sie das OVG-Urteil zur Lehrerarbeitszeit vor nun-mehr einem Jahr vom Kultusministerium verlangt hatte.

Der Fragebogen hat gezeigt: Unsere Arbeitsbelastungenwurden – bewusst – nicht erfasst, und sollten seitens derLandesregierung auch wiederum nicht wirklich erfasst wer-den. Mittlerweile haben sowohl die GEW-Arbeitszeiterfas-sung als auch das vom PhVN eingeholte Rechtsgutachtenvon Prof. Battis – an anderer Stelle dieser Ausgabe vorge-stellt – die Diskussion zu diesem Thema verschärft und verstärkt in die Öffentlichkeit gebracht. Das Land wird sichnicht mehr lange vor einer wirklichen Untersuchung derBelastungen und der realen Arbeitszeit der Lehrkräftedrücken können. Das dürfte sicher sein. Mit dieser Online-Befragung haben sich die Ministerin und die Landesregie-rung keinen Gefallen getan – eine Untersuchung, die diesenNamen auch wirklich verdient, ist unabdingbar.

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Endlich 40-Stunden-Woche auch für Lehrer!PhVN reicht Petition ein Von Cord Wilhelm Kiel

Helga Olejnik überreicht Landtagspräsident Bernd Busemann diePetition

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Unterschriften und den Kommentaren überreicht (wirberichteten). Nun haben sich der Petitionsausschuss desLandtages sowie der Kultusausschuss damit zu befassen.Weil die Kommentare zur Petition jedoch ein vielsagendesStimmungsbild zur Lage an unseren Schulen widerspiegeln,möchten wir an dieser Stelle einige zitieren. Die vollständi-gen Kommentare sind auf der Petitionsseite unterwww.openpetition.de/petition/online/wir-fordern-40-stun-den-woche-auch-fuer-lehrer zu finden.

„Wir sind ein guter Arbeitgeber. Wir kümmern uns um die Arbeits -

bedingungen und um die Gesundheitunserer Lehrkräfte.“

Kultusministerin Frauke Heiligenstadt in einem Interview, Weser Kurier 4.1.2016

Diese Petition ist mir wichtig,...Weil ich selbst und vieler meiner Kollegen/-innen an einerBelastungsgrenze angekommen sind, die nicht mehr akzepta-bel ist. Wir sind fast durchweg junge Kollegen/-innen undreduzieren unsere Stunden, um uns selbst ein Privatleben zuerhalten. Wir alle sind mit ganz viel HERZ Lehrer/-innen unddies ist auch in eigentlich absolut unzumutbaren Situationenunser Motor.

Meine Freundin ist Lehrerin. Während ich einen klassischen 9-5 Job habe und mir nach der Arbeit den Kopf frei machenkann, ist sie quasi durchgängig am Arbeiten, auch amWochenende. In besonders stressigen Zeiten sind es auch malum die 60 Stunden. Arbeitszeitschutzgesetze sollten endlichmal eingehalten werden.

Ich bin noch im Referendariat, beobachte aber, dass nur wenigeKollegen die volle Stundenzahl zu leisten bereit sind. Das liegtdaran, dass sie ihre Tätigkeit gut machen wollen. Wer einevolle Stelle hat, kann den Unterricht nicht in 40 Stunden ange-messen vor- und nachbereiten sowie seiner pädagogischenArbeit nachkommen. Das führt zu Frust, Überforderung undErschöpfung. Ich denke schon jetzt darüber nach, wie vieleStunden ich nach dem Referendariat schaffen kann. Denn fürmich ist eine 50-60-Stunden-Woche zurzeit für 18MonateRealität. Und das ist auf Dauer nicht zu ertragen in einemBeruf, in dem es auf gute Ideen und offenen Umgang mit( jungen) Menschen ankommt.

Die Petition ist mir deswegen wichtig, weil ich als Berufsein-steiger gerade erfahre, was es heißt, keine Zeit neben demBeruf mehr für die Familie zu haben. Unsere 2-jährige Tochterverbringt kaum noch Zeit mit mir. Ich möchte mich in Zukunftsowohl um meine eigenen Kinder als auch um meine SchülerVERNÜNFTIG kümmern können. Weder beides halbherzignoch eines gar nicht sollte der Sinn dieses Berufs in Kombina -tion mit der Familie sein.

Bei immer neuen zusätzlichen Aufgaben für Lehrer ohne eineangemessene Entlastung ist ein neutral erstelltes Arbeitszeit-gutachten überfällig.

Eine engagierte und sorgfältige Unterrichtsplanung ist miteiner vollen Stelle am Gymnasium meiner Meinung nachnicht mehr zu leisten!

Es ist volkswirtschaftlich nicht zu verantworten, dass Lehrerin-nen und Lehrer zum Erhalt ihrer Gesundheit und Leistungs-fähigkeit quasi zur Arbeit in Teilzeit gezwungen werden.

Weil ich als Lehrerin am Gymnasium eine derartige Arbeitsbe-lastung nicht verstehe. Als Teilzeitbeschäftigte komme ich teil-weise nicht einmal mit 50 Stunden die Woche hin. Zeit fürmeine Tochter bleibt mir dabei viel zu wenig. Wenn ich nochmehr Stunden kürzen würde, könnte ich kaum noch meinenUnterhalt und den meiner Tochter finanzieren.

Weil ich als Schulleiter täglich erlebe, wie belastend die Arbeitfür die Kollegen ist und das Phänomen der Überlastungimmer früher auftritt und mehr auch junge Lehrer ausbren-nen lässt. In vierunddreißig Berufsjahren habe ich erfahrenmüssen, wie die Arbeitsbelastung der Lehrer immer weitergestiegen und den Lehrern immer neue Aufgaben übertragenwurden. Die Situation ist unerträglich geworden.

Der Beruf wird immer unattraktiver. Als Folge findet man inMangelfächern keinen kompetenten Nachwuchs mehr. Dasmuss sich ändern.

Diese Petition ist mir wichtig, weil ich seit Jahren mehr als 40Stunden für die Schule arbeite, obgleich ich eine Stundenredu-zierung habe. Aber Schule macht auch eben erst richtig Spaß,wenn man sich über den Fachunterricht hinaus für das Schul-leben engagiert.

Die Arbeitsbelastung für Lehrer wird immer mehr, neue Curri-cula, pädagogische Konferenzen, Inklusion... was denn nochalles???

Der ständig wachsende Berg an Verwaltungsaufgaben, Konfe-renzen, Zusatzbelastungen wie der Inklusion und der Ganz-tagsunterricht lassen nicht mehr die nötige Luft, um kreativenguten Unterricht zu organisieren, der sich an den Bedürfnissender Schülerschaft orientiert. Beim besten Willen nicht!!! Weram späten Nachmittag nach Hause kommt, ist in jeder Hin-sicht fertig. Am nächsten Tag muss es dann irgendwie lau-fen.... Was sonst? Am besten arbeiten lassen, also Gruppen -arbeit. Wen wundert es, dass vielen da zu früh die Puste aus-geht?

Die Petition ist mir deshalb wichtig, um künftige Gymnasial-lehrergenerationen vor der Überlastung zu bewahren, wie ichsie in 37 Berufsjahren erlebt habe.

Es gibt zu viele Tage mit mehr als 10 Stunden Arbeit, vieleWoche mit mehr als 60 Stunden Arbeit und damit ist die Belas -tung zu ungleich verteilt, auch wenn es in den Ferien manch-mal deutlich geringere Arbeitsbelastungen gibt. Unter Abzugder Ferientage, die mehr als Urlaubstage vorhanden sind, istdie Arbeitswoche durchschnittlich deutlich über 40 Stunden.

Durch Reduzierung der Arbeitszeit wird die Grundlage dafürgeschaffen, dass der Unterricht wieder mehr Raum im täglichenSchulleben erhält. Unsere Kinder werden davon profitieren.

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Als meine Partnerin in die Landesschulbehörde wechselte, ver-ringerte sich ihre tatsächliche Arbeitszeit schlagartig um etwa30%. Zum „Ausgleich für diese Mehrbelastung“ (Zitat Dezer-nent!!) wurde sie nach 3 Dienstjahren in der Behörde,während derer peinlichst auf die Einhaltung der 40-Stunden-Woche geachtet wurde, um zwei Dienstrangstufen von A13nach A15 befördert. Obwohl ich mich als Partner darüber wirk-lich freute, wurde mir an dieser (völlig üblichen) Praxis derBehörde der eklatante Unterschied in der Behandlung vonLehrkräften im Unterrichtsdienst und Lehrkräften/Beamtenim Verwaltungsdienst bewusst. Eine derartige Ungleichbe-handlung innerhalb derselben Berufsgruppe ist m.E. in jederHinsicht rechtswidrig und gehört unbedingt sofort abge-schafft!! Daher: Gleiches Recht für alle Lehrer – ob im Unter-richts- oder Verwaltungsdienst = 40-Stunden-Woche für alleBeamten und somit alle Lehrer!!

Wir alle wissen aus eigener Erfahrung, wie groß der Unter-schied ist, den es macht, ob ein Lehrer gut vorbereiteten Unter-richt liefert oder resigniert die Stunden absitzt. Wir solltennicht die Menschen, die motiviert und engagiert die Zukunftunserer Kinder und unseres Landes in die Hand nehmen, sinn-los ausbrennen und verheizen. Wir sollten nicht die, die inErwägung ziehen, Lehrer zu werden, durch inakzeptable Be dingungen abschrecken. Wir können es uns schlicht nicht leisten, uns nicht ein paar Lehrer mehr zu leisten.

Die Belastungen werden immer mehr: Verwaltungsaufgaben;Kooperationen; Seminarfacharbeiten in einem 2-stündigenFach (!); Fortbildungen; Schülerinnen und Schüler, die immermehr Förderbedarf in sehr unterschiedlichen Bereichen haben,in die man sich erst einarbeiten muss; Vertretungen in Krank-heitsfällen und Elternzeiten, selbst wenn Kollegen über Monateausfallen, gibt es keinen Ersatz; ständig neue Curricula, die ambesten sofort umgesetzt werden sollen; Flüchtlingskinder, diegefördert werden sollen, wollen und müssen, ... Es bleibt keineZeit mehr für ein Privatleben!!!

Durchschnittliche 47 Stunden die Woche sind mehr als zu viel!Unsinnige Dokumentationswut statt eigenverantwortlicherpädagogischer Arbeit frisst unnötige Zeit!

Damit ich mal wieder ein freies Wochenende und nicht mehrnur 20 Tage Urlaub im Jahr habe.

Der Lehrerberuf wird immer mehr mit einer Vielzahl vonPflichten und Nebentätigkeiten befrachtet, die teilweisewenig produktiv bis zutiefst demotivierend (wie Dokumen -tationspflichten, Anpassung an immer neue Curricula undpolitische Leitvorstellungen), teilweise auch sehr sinnvoll (wiepädagogische Fortbildung, intensivierte Rückmeldungen fürSchüler und Eltern) sind. Gemeinsam ist ihnen, dass die dafürnotwendige Arbeit sich nicht in der Bemessung der Pflicht-stundenzahl niederschlägt und das Kerngeschäft des Unter-richts so stellenweise zur Nebensache (gerade auch in derWertschätzung des Dienstherrn, der bei Evaluationen natür-lich anderes einfordert) degeneriert.

Allein die Korrektur einer Abiturklausur in einer Fremdsprache(Schüler haben zum Anfertigen 5 Zeitstunden, also 6Unter-richtsstunden) dauert bei 20 Schülern „mal eben“ über 100Stunden – in jedem anderen Beruf sind das 2,5-3 Arbeitswochen,beim Lehrer läuft das neben dem weiteren Unterricht.

Die nicht zählbare Arbeitsbelastung übersteigt das Unterrichts-kontingent um ein Vielfaches. Besonders in Prüfungszeiten –an Gesamtschulen neben dem Abitur auch die Abschlussprü-fung 10 – ist ein Einhalten von Stichtagen selbst bei Nutzungder Nachtzeit kaum möglich. Wenn Schulen Plus und Minus-stunden abrechnen, ist es möglich, trotz 60 Stundenwoche undmehr zum Schuljahresende Minusstunden anzuhäufen, die zueiner Unterrichtsbelastung von 25 Stunden im Folgeschuljahrführen (Entlassung der Abiturienten - gleichzeitig Korrekturenin anderen Lerngruppen, u.a. Facharbeiten. Eine qualitativhochwertige Vorbereitung besonders von Oberstufenunterricht

Pflichtstunden – Bereitschaftsdienste

unzureichende Anrechnungsstunden

Gremiensitzungen – Vertretungsunterr

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Konzepte - Evaluationen

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Unterrichtsversorgung in Niedersachsen dramatischVon Cord Wilhelm Kiel und Helga Olejnik

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Das Jahr 2016 zeigte den 4. Schuljahresbeginn unter der rot-grünen Landesregierung. Die negativen Nachrichten ließennicht lange auf sich warten bzw. wurden durch den „17-Punkte-Plan“ der Landesregierung kurz vor Ende der Ferien offensicht-lich: In Niedersachsen gibt es die schlechteste Unterrichtsver-sorgung seit 15 Jahren. Fast 700 ausgeschriebene Stellen konn-ten nicht rechtzeitig besetzt werden. Momentan sieht es beieiner Unterrichtsversorgung von rund 97 Prozent an den all -gemein bildenden Schulen insgesamt für dieses Schuljahr dramatisch aus.

Die SituationDabei ist die Situation an den Gymnasien noch relativ ge -sehen gut, denn die meisten Gymnasien liegen laut MK bei97,8 Prozent. Das klingt nach Vollversorgung, ist es abernicht, da selbst bei 100 Prozent notwendige Vertretungsre-serven fehlen und beileibe nicht sichergestellt ist, dass diefachspezifische Versorgung tatsächlich gegeben ist. Gerade-zu dramatisch stellt sich jedoch die Situation in den Berei-chen Grund-, haupt- und Realschulen sowie in den Ober-schulen dar. Dies zeigt der Vergleich der ausgeschriebeneStellen und besetzten Stellen (Stand Schuljahresbeginn):

Die von Ministerin Heiligenstadt angegebene „voraussicht -liche“ Unterrichtsversorgung von 97,8% geht, so ist anzu-nehmen, von einer Besetzung aller Stellen aus – wenn das soist, muss die reale Unterrichtsversorgung derzeit katastro-phal sein. Hinzu kommen Meldungen aus den Berufsbilden-den Schulen – etliche Schulleiter wissen nicht mehr, wie sieUnterricht in bestimmten Fächern überhaupt anbieten sol-len, weil die Lehrkräfte fehlen. Die Unterrichtsversorgung isthier zum letzten Statistiktermin auf 88,6 Prozent gefallen.Die Situation an den BBSen ist schon seit Jahren bekannt,gegengesteuert wurde bis heute nicht, da weder unterSchwarz-Gelb noch unter Rot-Grün dafür gesorgt wurde, dieAusbildungszahlen für das Lehramt an BerufsbildendenSchulen zu erhöhen. Die Folge ist heute, dass einige Fächer,die eigentlich auf der Stundentafel stehen, nicht mehrerteilt werden (können).

Dies ist allerdings eine Entwicklung, die auch an manchenallgemein bildenden Schulen inzwischen bittere Realität ist.So wurde beispielsweise vor kurzem auf Dienstbesprechun-gen der zuständigen Fachdezernate für den GHRS-/OBS-Bereich versucht, das Fehl durch Abordnungen und Aus-tausch einzelner Schulen untereinander zu beseitigen. Diesist im Prinzip ein richtiger Ansatz, hilft nur nicht, die Wurzeldes Problems zu beseitigen: Es gibt einfach mittlerweile fastüberall zu wenige Lehrer! Dass dieses Problem schon langebekannt ist, zeigen uns Anrufe wie der einer Schulleiterin,die beklagte, dass „schon seit Jahren nur noch der Mangelverwaltet wird.“ Es passiere nichts, um das Problem wirklichzu beseitigen. Warum das so ist, lässt sich nur mutmaßen –es ist wahrscheinlich, weil dies viel Geld kosten würde. Viel-

ausgeschrieben besetzt unbesetztGHRS 1054 644 410OBS 419 286 133Förderschule 201 148 53Gesamtschulen 639 568 71Gymnasien 413 390 23Gesamt 2.726 2.036 690

– bei ständig wechselnden Kursthemen – ist nicht möglich. PSHaben Sie auch eine Petition für die Reformen geplant?

Der Beruf des Lehrers ist ein wichtiger Teil unserer Gesell-schaft, schließlich sind wir für die (Aus-)Bildung der nächstenGeneration verantwortlich. Um qualitativ hochwertigenUnterricht gestalten zu können und das dauerhaft, muss dieseBerufsgruppe entlastet werden. Nicht umsonst sind die Zahlenderer, die frühzeitig aus dem Dienst scheiden so enorm hoch.

Als Lehrer / Lehrerin muss man sich ständig anhören, dass manja „schon wieder“ Ferien habe. Dabei wird vergessen, dass mana) in den meisten Ferien seine Korrekturstapel abarbeiten mussund b) in bestimmten Phasen des Schuljahres kaum Wochen -enden hat. Wenn sich normale Arbeitnehmer überlegen, was siedenn am Samstag und Sonntag mal Schönes mit der Familieunternehmen könnten, ist bei uns an mindestens einem Tag desWochenendes der Papa alleinerziehend, weil Mama fast un -unterbrochen am Schreibtisch sitzt.

Die Arbeitszeit von Gymnasiallehrern wird in der Öffentlich-keit immer noch als hauptsächlich in der Schule absolvierteArbeitszeit gesehen. Die außerhalb des durchgeführten Unter-richts zu leistende Arbeit muss in das Bewusstsein der Men-schen gebracht werden.

Die gegenwärtige Wochenstundenzahl ist zu hoch, um alleanliegenden Aufgaben (Korrekturen, zunehmend Bürokratie,Organisation von Fahrten, Unterrichtsvorbereitung) angemes-sen zu erledigen. Ein großer Teil der Korrekturen erfolgt amWochenende, so dass in Korrekturphasen keine Regenerationmöglich ist, was zu einem erhöhten Krankenstand führt. DieZusatzbelastungen (Bürokratie, Konferenzen, Lehrpläne aus -arbeiten etc. ) nehmen stetig zu.

Die Petition ist mir wichtig, weil die momentane Arbeits be -lastung bei mir bereits zu Tinnitus u. Burn-out Symptomenwie Schlaflosig-, Ruhelosig- u. Vergesslichkeit geführt hat. Ineinem Maße, das die Lebensqualität nimmt!

Es ist derzeit unmöglich, ein angemessenes Privatleben zuführen bei der Arbeitsbelastung. Man darf nicht nur die reineUnterrichtszeit sehen, hinzukommen Vor- und Nachbearbei-tung des Unterrichts, haufenweise Korrekturen, Pausenauf-sichten, Konferenzen, Elterngespräche, Vergleichsarbeiten, dieman korrigieren muss, obwohl sie nicht zur schriftlichen Leis -tung zählen, sämtliche außerunterrichtliche Dinge, die manmitgestaltet und ohne die es kein Schulleben gebenwürde...Ich bin froh, dass mit dieser Petition endlich einSprachrohr gegen diese Belastung gegeben ist!

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leicht aber wird die wirkliche Situation an den Schulen anhöherer Stelle einfach nicht gesehen.

Mögliche UrsachenEin Blick in die Statistikbroschüre des MK, bezogen auf Lehr-amtsanwärter im GHRS-Bereich, zeigt sofort: Es gibt einfachzu wenige Lehrerinnen und Lehrer.

Die 2. Tabelle lässt vermuten: Die Probleme werden nochschlimmer. Es ist zu prüfen, welche Gründe diese Entwick-lung hat. Gespräche und Erfahrungen vermuten, dass einGrund in der Erhöhung der Pflichtsemester in den Studien -gängen für dieses Berufsfeld zu tun hat. Aber auch die Be -lastung der GHRS-Lehrkräfte durch die Inklusion sowie dieFlüchtlinge kann ein Grund sein. Denn wie so oft werden dieSchulen mit diesen Problemen weitgehend allein gelassen.Aus einer Phrase à la „Wir schaffen das“ wird dann schnellein „Ihr schafft das!“ bzw. „Schafft das gefälligst mal!“, wennPersonal, Mittel und Unterstützung fehlen. Und es ist ebenso, dass die Schulen im GHR-Bereich die Hauptlast dieserEntwicklungen zu spüren bekommen. Dass viele Lehrkräftean Grundschulen sich vor allem die Inklusion ganz andersvorgestellt haben, ist inzwischen landesweit bekannt – da esweniger Förderschulen und viel zu wenige Integrationshelfergibt, sind die Belastungen, die über wiegend an den Lehrerin-nen und Lehrern hängenbleiben, enorm geworden. Attraktivwird der Lehrerberuf dadurch nicht gerade.

Die Statistik des MK, die leider nicht nach Schulformen auf-geschlüsselt ist, zeigt insgesamt: Während in den letzten 10Jahren, von 2005 auf 2015, bei den Lehrerssollstunden derGrundbedarf der Schulen aufgrund geringerer Schülerzah-len langsam abnimmt (von 1.241.000 auf 1.109.000 Soll -stunden), steigt der Zusatzbedarf stark an (von 86.000 auf210.000 Sollstunden). Der Bedarf an Lehrerstunden wird

durch die Forcierung der Zahlder Ganztagsschulen unddurch den Ausbau der Inklu-sion immer weiter in dieHöhe getrieben, so dass dieLücke zwischen vorhandenenund in den Schulen benötig-ten Lehrerstunden ständigvergrößert wird. Dies betrifft– wie erwähnt – besondersden Bereich Ganztagsschu-

len (von 25.000 auf 73.000 Sollstunden), die Inklusion (von 0auf 62.000 Sollstunden) sowie „besondere Unterrichtsorga-nisation“ von Hauptschule und IGS (von 11.000 auf 17.000Stunden). Diese Steigerung bei dem Zusatzbedarf betrifftbesonders GHRS-Lehrer: bei den Grundschulen mit Ganztagund Inklusion, ebenso bei den Realschulen, Ober- undGesamtschulen.

Ergebnis: Die Schere zwischen der Zahl ausgebildeter GHRS- Lehrer und dem entsprechenden Bedarf an den Schulen klafft immer weiter auseinander.

Die erforderliche Beschulung der Flüchtlingskinder verschärftdie Situation zwar zusätzlich, ist aber nicht die eigentlicheUrsache der lückenhaften Unterrichtsversorgung. Der dro-hende Lehrermangel ist unabhängig davon vorhersehbargewesen, denn die Verringerung der Zahl der jährlichenLehramtsanwärter für Grund-, Haupt- und Realschulen ist jakein Geheimnis und die negative Entwicklung seit Jahrenoffensichtlich. Dass sich junge Menschen immer wenigerbereit zeigen, Lehrer zu werden, zeigt sich im Übrigen inzwi-schen auch an den Gymnasien. Man könnte sagen: Ein Beruf,der durch ständige Mehrbelastung bei gleichzeitig sinken-den Realeinkommen gekennzeichnet ist, strahlt nicht geradevor Attraktivität...

Die jetzt von der Ministerin angegebene „voraussichtliche“Unterrichtsversorgung von 97,8% in diesem Schuljahr setztmindestens weitere Einstellungen voraus und ist daher eineviel zu optimistische Prognose sowie eher Ausdruck einesWunschdenkens. Damit zeigt sich auch, dass die „Zukunfts -offensive Bildung“, die nach Meinung der Ministerin „nachwie vor auf Hochtouren“ läuft, vielmehr auf Hochtouren andie Wand gefahren worden ist. Denn sie hat es schlichtwegversäumt, für eine zukunftsorientierte und damit bedarfs-deckende Personalausstattung der Schulen zu sorgen. Dassnicht nur der Philologenverband derart kritisch denkt, son-dern inzwischen die Presse, soll abschließend durch ein Zitateiner bekannten Zeitung belegt werden. Michael Ahlersschrieb zum Schuljahresbeginn in der Braunschweiger Zei-tung: „Man kann Niedersachsens Schülerinnen und Schülernnur einen besseren Start ins neue Schuljahr wünschen, alsihn Kultusministerin Frauke Heiligenstadt hingelegt hat.Schlechter geht es allerdings auch kaum.“

Jahr Insgesamt im Februar des Jahres inder Ausbildung (also 3 Jahrgänge

2010 25472011 26122012 24912013 23702014 23522015 22532016 1781

Fertig zum Einstellungstermin Zahl2/15 7208/15 7912/16 8058/16 6762/17 6918/17 414

Nur Lehrkräfte, die dazu auch Zeit haben, können sich intensiv umihre Schüler kümmern

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Als Ausdruck eines katastrophalen Krisenmanagements hatder Philologenverband den „17-Punkte Aktionsplan zur Lehr-kräftegewinnung“ bezeichnet, den Kultusministerin Heili-genstadt mit großem verbalen Aufwand einen Tag vor Endeder Sommerferien vorgelegt hat: Am letzten Ferientag – alsozu einem Zeitpunkt, als jede Schulleitung in Niedersachsenbereits seit Wochen den Unterrichtseinsatz der Lehrkräftegeplant hatte. Auch Lehrerinnen und Lehrer hatten ihrenUnterricht geplant und waren oft schon mehrere Tage wie-der in der Schule.

Nach Auffassung des PhVN erweist sich fast jede der 17Maßnahmen dieses „Aktionsplanes“ als ungeeignet, diemehr als angespannte Unterrichtsversorgung kurzfristigauch nur im Ansatz zu verbessern. Derzeit sind von den aus-geschriebenen Stellen für Grund-/Hauptschullehrer undRealschullehrer fast 700 nicht besetzt, was ein Fehl von fast 20.000 Unterrichtsstunden bedeutet (siehe auch denvo rangegangenen Artikel).

Angesichts der geschilderten Situation hat die Ministerinnun also ein „Notprogramm“ verkündet. Es zeigt unabweis-bar, dass die „Bildungsoffensive“ an die Wand gefahren wor-den ist: man hat für die „Bildungsoffensive“ (Inklusion,Ganztag) zwar gewisse Gelder bereitgestellt, aber offen-sichtlich überhaupt nicht realisiert oder wahrhaben wollen,dass Geld nichts nützt, wenn die ausgebildeten Lehrer nichtvorhanden sind. Dabei zeichnete sich diese Entwicklungschon länger ab: der Lehrermangel, die verringerten Ausbil-dungszahlen der GHRS-Lehrer, die rasant zunehmenden Soll-zahlen. Die Situation zum Schuljahresbeginn 2016 ist zwardurch die Flüchtlinge noch verschärft worden, war aber ins-gesamt voraussehbar.

Die 17-Punkte der Ministerin sind meist nicht neu. Die meistensind bekannt aus einer Arbeitsgruppe des MK von 2007 zur

Abwendung einer schlechten Unterrichtsversorgung 2008; siebeinhalten insgesamt eine Verschlechterung von Bildung(Quereinstieg, Pensionäre, früherer Einsatz von Referendaren,Studenten). Sie sind insofern ein Notprogramm, das man aberviel früher hätte in die Wege leiten müssen, damit Maßnah-men noch im Frühjahr hätten eingeleitet werden können –jetzt ist es für manche „Maßnahme“ viel zu spät, denn dieMaßnahmen benötigen einen gewissen Vorlauf, die Unter-richtsverteilung steht, die Stundenpläne sind fertig, etc. DieWirksamkeit ist damit begrenzt. Einige der Maßnahmen sind„Luftnummern“ – denn sie verbessern nicht die Unterrichts-versorgung. Entlarvend ist erneut die Diskrepanz zwischen derPressemitteilung MK voller Selbstlob und der Realität: „Auchim Bereich Ganztag sind weitere Fortschritte zu verzeichnen,die Zukunftsoffensive Bildung läuft nach wie vor auf Hochtou-ren.“ Gleich darauf jedoch will man mit dem Notprogrammaus dem Ganztag 450 Lehrerstellen abziehen und den Ganz-tag durch „Kooperationspartner“ erledigen lassen.

Das 17-Punkte-Papier der Ministerin im einzelnen

1. „Quereinstieg an Grundschulen vereinfachen“: Diesbedeutet eine Verschlechterung der Bildungsqualität – undkann zudem nicht sofort umgesetzt werden.

2. „Quereinstieg in Vorbereitungsdienst (Referendari-at) erleichtern“: Bisher musste der Quereinsteiger minde-stens ein Bedarfsfach haben (also z.B. Mathe, Physik) – jetztist das nicht mehr erforderlich, jedes Fach ist recht. Haupt -sache, die statistische Versorgung stimmt, egal ob die Fächergebraucht werden oder nicht. Auch dies führt zu schlechte-rer Bildungsqualität. Und: Werden derartige Quereinsteigererst einmal ausgebildet – was im Übrigen dauert – wird mansie auch möglichst einzustellen und diese Quereinsteigerdann jahrzehntelang in den Schulen haben. Es zeigt sich:Das Problem ist offensichtlich aus Sicht des MK nicht ineinem halben Jahr erledigt. Aber auch diese Maßnahme hilftin diesem Schuljahr nicht.

3. „Vollbeschäftigung im Vorbereitungsdienst (Refe-rendariat) ermöglichen“: Referendare, die ihre Prüfungabgelegt haben und eine Stelle bekommen haben, könnenbis zur Vollbeschäftigung ihr Deputat erhöhen. Das aberwird bereits gemacht und ist nichts Neues. Ist es wirklichsinnvoll, wenn die Examensprüfung im Juni war und nurnoch im Juli Unterricht ist? Auch das hilft derzeit nicht, dasaktuelle Unterrichtsfehl zu beseitigen.

4. „Kapitalisierung“ = Umschichtung von Lehrern ausdem Ganztag in den Pflichtunterricht: Hier sollen nichtbesetzte Stellen an den Schulen in Geld umgewandelt wer-den, mit dem Geld sollen dann außerschulische Personenbezahlt werden für den Ganztagsunterricht, und der Lehrer,

Neues Schuljahr – alte Problem

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17-Punkte Papier des MK zur LehrkräftegewinnungMinisterin verschläft Sicherung der Unterrichtsversorgung

Von Helga Olejnik

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Über unseren Schulen braut sich einiges zusammen…

Neues Schuljahr – alte Problem

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der für Ganztagsunterricht vorgesehen war, soll in denPflichtunterricht verschoben werden. Das verringert dieQualität des Ganztags und wird auch fachspezifisch nur sehr begrenzt gehen. Der Ganztag wird damit zur reinenBetreuung, denn überaus viele Kooperationspartner gibt esgar nicht. Schon jetzt „kämpfen“ Schulen (oft auch gegen-einander), um den Sportverein, die Tanzschule, etc. für daseigene Ganztagsangebot zu gewinnen. Auch diese Maß -nahme braucht, wenn sie denn überhaupt greifen kann,einen längeren Vorlauf.

5. „Teilzeiterhöhungen“: Teilzeitlehrkräfte sollen auf-stocken: das ist nichts Neues. Aber: Dies hätte man ihnen imFrühjahr sagen müssen! Aktuell in diesem Halbjahr hilft esnicht (mehr). Im Papier des MK heißt es: „Hierzu wird einStellenvolumen von 30 Vollzeitlehrereinheiten (ca. 1,2 Millio-nen Euro) zur Verfügung gestellt.“ Angesichts des Fehls vonfast 700 Stellen ein Witz.

6. „Mehrarbeit möglich“: Das „freiwillige Arbeitszeit -konto“ gibt es schon lange! Auch dies hätte man schon imFrühjahr sagen müssen und hilft aktuell in diesem Halbjahrhöchstens in Einzelfällen. Zudem ist das Vertrauen in dieRückzahlung bei vielen Lehrkräften schon jetzt nicht mehrvorhanden. Das Land muss diese Stunden auch wiederzurückgeben – wann soll das passieren? Schon wieder wer-den Probleme in die Zukunft verlagert (derzeit werden nochdie „alten“ Arbeitszeitkonten ausgeglichen). Vollbeschäftig-ten einen finanziellen Ausgleich anzubieten nach Mehr -arbeitsvergütung ist der reine Hohn – die ist einfach viel zugering.

7. „Pensionäre einbinden“: Ruheständler sollen als Ver -tretungslehrkräfte reaktiviert werden – zu welchen Bedin-gungen? Schon der letzte Versuch für die Beschulung derFlüchtlinge hat nur einen geringen Rücklauf gebracht. Es istaber auch das Eingeständnis, dass es Vertretungslehrkräftenicht gibt. Insgesamt ändert dies nichts an der aktuellenUnterrichtsversorgung.

8. „Vertretungsverträge früher abschließen“: Der Ein-stellungstermin für Vertretungslehrkräfte soll „für besondereFälle“ deutlich vorgezogen werden – auch das ändert nichtsan der derzeitigen Unterrichtsversorgung. Es ist im Grundeauch nur das Eingeständnis, dass bisher Vertretungslehrkräfteviel zu spät in die Schulen kommen.

9. „Befristete Arbeitsverträge für Sprachförderper -onal“: 140 Lehrerstellen sollen für befristete Verträge für dieSprachförderung geschaffen werden. Dies soll für Pensionä-re, Referendare, Studenten gelten. Schon jetzt aber wird hän-deringend gesucht, weil niemand auf dem Markt ist. Dies istdamit eine Art „Luftnummer“.

10. „Schulen helfen Schulen“: Hört sich toll an, heißt abernichts anderes als Abordnungen und Versetzungen – daswird ja schon gemacht, bringt aber unter dem Strich nichtmehr Lehrer in die Schulen, sondern verschiebt nur die Probleme, hat also keine Auswirkung auf die Unterrichtsver-sorgung insgesamt. Damit löst man jetzt, nachdem in denSchulen alles soweit wie möglich organisiert ist, natürlichbesondere Freude aus, sollte dies noch in diesem Halbjahrumgesetzt werden sollen.

11. „GHR-Lehrer an GHR-Schulen“: Dies gilt im Prinzipimmer, hat jetzt aber zur Konsequenz, dass die Gesamtschu-len keine GHR-Lehrer mehr bekommen, sondern praktischnur noch Gymnasiallehrer. Das bringt für die Unterrichtsver-sorgung insgesamt nichts, sondern hat nur etwas mit Aus-gleich zwischen den Schulformen (siehe 10.) zu tun.

12. „Versetzungen beschleunigen“: Damit sind Verset-zungen von GHR-Lehrern weg von Gymnasium/Gesamt-schule an GHR-Schulen gemeint, wobei die Versetzungenfreiwillig erfolgen sollen. Auch hier wird nur „verschoben“ –und das ist jetzt nach Schuljahresbeginn nicht sinnvoll.

13. „Zusätzliche Stelle für Abordnung“: Das bedeuteteine Abordnung von Gymnasiallehrern an GHR-Schulen. DasGymnasium erhält auf dem Papier eine „Einstellungser-mächtigung“, die es später einlösen kann (oder eben auchnicht, wenn es keinen passenden Lehrer gibt), muss dafüraber jetzt an GHR abordnen oder versetzen. Angeblich sorgtdie Ermächtigung für keine Verluste bei der Unterrichtsver-sorgung – das ist natürlich ein Trugschluss, denn wenn ichabordne/versetze und nur eine schriftliche „Ermächtigung“habe, verliere ich natürlich Stunden (so wie die andere SchuleStunden gewinnt). Dies stellt also wieder nur einen Aus-gleich zwischen Schulformen dar.

14. „Landesschulbehörde steuert Einstellung von Lehr-kräften über Bezirksstellen“: Diese Regelung gibt es, ins-besondere für Mangelfächer, schon lange. Neu ist, dass hier(offensichtlich noch vorhandene) Gymnasiallehrer einge-stellt und für 3 Jahre an Grund, Haupt- und Realschulenabgeordnet werden – wie groß muss dort die Not sein, wennman so etwas machen will! Welche Ausbildung ein Lehrerhat, zählt nicht. Der erneute Hinweis, dass diese Lehrer dannnach 3 Jahren ans Gymnasium zurückkommen, ohne jeglicheBewährung an dieser Schulform bewiesen zu haben unddann für G9 zur Verfügung stehen müssen, berücksichtigtwieder nicht die Frage, woher das Land dann den erhöhtenBedarf in den GHR-Schulen decken will.

15. „Flexibilisierung der fachspezifischen Bedarfsre -gelung“: Gemeint ist damit: bei der Ausschreibung – einschöner Begriff dafür, dass man Fächer einstellen soll, dieman mindestens jetzt gar nicht braucht! So wird in der Tatdie rechnerische Unterrichtsversorgung besser, aber denSchulen und Schülern ist damit nicht unbedingt geholfen.

16. „Hinausschieben der Altersgrenze“: Das ist auchjetzt schon möglich. Laut dem Papier des MK soll ggf. durcheinen achtprozentigen Besoldungszuschlag der Pensionärfür eine längere Lebensarbeitszeit gewonnen werden. Dasheißt: wer ein Mangelfach unterrichten kann, bekommt viel-leicht den Zuschlag, wer z.B. Deutsch unterrichtet, nicht. Eskann sich dabei wohl nur um Pensionäre handeln, die mitErreichen der Altersgrenze in den Ruhestand treten – unddas sind nicht so viele, denn die allermeisten Lehrkräftegehen vorzeitig. Auch dies kann kurzfristig nicht der Unter-richtsversorgung helfen.

17. „Einstellungen nach dem Einstellungstermin“: WennReferendare zum 1. Oktober fertig werden, können sie nocheingestellt werden – das aber ist schon lange so. Auch dieserVorschlag wird also in der derzeitigen Lage nicht helfen.

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Schul- und Bildun

gspolitik

Kanon? Grundstandards? Fachinhalte? Oder was sonst?Von Wolfgang Steinbrecht

Schul- und Bildungspolitik

Die Ausgangslage ist eindeutig: Angesichts der substanzlo-sen Kompetenzpädagogik sollten wir für unseren gymnasia-len Bildungsgang zu vorgegebenen verbindlichen Unter-richtsinhalten zurückfinden. Zu ihnen muß auch passen, wasan den Universitäten vermittelt wird. Gymnasiale Bildungund das darauf bezogene Fachstudium stehen in einerWechselbeziehung. Die Lehramtskandidaten kehren ineinem Kreislauf in die Gymnasien zurück. Nicht alles kanndabei starr festgelegt sein. Eine wohlverstandene Verbind-lichkeit schließt immer auch Freiräume ein. Hier geht es umden harten Kern, um Verbindlichkeit im zentralen Bereich.

Wie könnte man die definieren? Über einen Kanon? Wennman das versucht, betritt man vermintes Gelände. DerFremdwörter-Duden verzeichnet für Kanon 13 verschiedeneBedeutungen, darunter „jährlicher Grundzins, Abgabe desLehnsmannes an den Lehnsherren“ oder „Tafel für die Bewe-gungen der Himmelskörper, Zusammenstellung aller Mond-und Sonnenfinsternisse“. Daß der Kanon in der Musik eineRolle spielt, ist uns geläufig. Die für Schule und Universitätnoch am ehesten zutreffende Grundbedeutung ist so formu-liert: „Richtschnur, Leitfaden“, „Gesamtheit der für ein be -stimmtes Sachgebiet (z. B. Logik) geltenden Regeln“, „(vonden alexandrinischen Grammatikern aufgestelltes) Verzeich-nis mustergültiger Schriftsteller“. Man sieht, der Begriffreicht weit in die Vergangenheit zurück. Im Lateinischen warder Kanon „Regel, Norm, Richtschnur, Meßstab“, im antikenGriechenland „Rohrstock, Rohrstab“.

Man kann sehr gut verfolgen, wie aus dem „Meßstab“ ein„Leitfaden“ oder „bestimmte Regeln“ wurden und schließ-

lich ein „Verzeichnis mustergültiger Schriftsteller“ – die Vor-stufe des heutigen literarischen Kanons. Man darf dabeinicht vergessen, daß über viele Jahrhunderte hin die meistenMenschen weder lesen noch schreiben konnten und daß eskeine gedruckten Texte gab. Die gedankliche Weiterentwick-lung des Kanons vollzog sich im kleinsten Kreis. Ab der Mittedes 15. Jahrhunderts änderte sich das allmählich durch dieErfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern, wodurchzunächst Martin Luthers Bibelübersetzung verbreitet wer-den konnte. Zur Zeit der Weimarer Klassik war Lesen undSchreiben in adligen und bürgerlichen Kreisen eine Selbst-verständlichkeit, und das, was geschrieben wurde, fandschnell seine Buchform und wurde verbreitet. Parallel lief dieWiener Klassik in der Musik, weltweit eine einmalige Kon-stellation. Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelte sich,ausgehend von England, zusätzlich die moderne Form desRomans. Es kam sehr viel zusammen, was kanonischen Werthatte. Der Kanon, wie wir ihn heute verstehen, bezog sichnun nicht mehr nur auf Gegenwärtiges. Er schloß auch Ver-gangenes ein.

Kann der Kanon den kulturellen Zusammenhang unsererGesellschaft verstärken? Ich wohne in Bad Nenndorf in einerrein deutschen, sehr netten Nachbarschaft. Wo man sichsieht, plaudert man ein paar Takte miteinander. Ich bin dereinzige, der weiß, was ein Kanon ist. Kanonische Fragenberühren wir nicht. Eine häusliche Lektüre zur Unterfütte-rung ist mit ziemlicher Sicherheit nicht zu vermuten. Wennich in Wartezimmern die herumliegenden Zeitschriftendurchblättere, dominiert die Regenbogenpresse, und auf denLaufbändern vor der Kasse eines Supermarkts sehe ich sie

Gute Fachinhalte, gute Bildung – zufriedene Schüler und Lehrer!

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auch zur Genüge. Was auch immer gelesen wird, ein Rück-griff auf unsere kulturelle Vergangenheit ist nicht herauszu-spüren. Dennoch ist das Band der deutschen Gemeinsamkeitin allen Gesprächen spürbar. Ich empfinde es als abgesi-chert.

Und damit sind wir zurückgekehrt zum Bildungsauftrag desGymnasiums. Man muß vorsichtig sein mit dieser Einord-nung, denn wir wissen: Abitur ist längst nicht mehr gleichAbitur. Es laufen bei uns Schüler mit, die vom Bildungsauf-trag nicht berührt werden. Und dennoch: Wo, wenn nicht beiuns, soll der Kanon eine Rolle spielen? Dabei stellt sich einegrundsätz liche Frage: Sind alle Fächer gleichermaßen kanon-fähig? Wenn ja, mit welcher Begründung? Wenn nein: Worinliegen die Unterschiede?

Besonders instruktiv für den Kanon ist das Fach Deutsch. Dasbetrifft aber nur den literarischen Teil des Deutschunterrichts.Deutsch hat daneben die Aufgabe der sprachlichen Schulung(oder sollte sie dringend haben): Sprachlehre, Grammatik,Rechtschreibung, das Einüben einer sachgerechten, fehler -freien schriftlichen Darstellung. Neben der Kanonfrage gibt esin den Fächern unterschiedliche Sachgebiete, ohne daß einKanon im Spiel ist. Die Sachgebiete können nach Bedarf wech-seln. Das Prinzip bleibt das gleiche. In meiner Gymnasialzeit,die mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs zusammenfiel,gehörte zum Stoff der Mathematik beispielsweise Ballistik, dieBerechnung von Geschoßbahnen. Darüber hinaus gingen wirmit Sinus und Cosinus um. Das war’s dann. Heute stehenstattdessen Vektorrechnung und Wahrscheinlichkeitsrech-nung auf dem Plan. Grundsätzlich hat sich nichts daran geän-dert, daß die Unterscheidung von fachinternen Stoffgebietenmit einem Kanon nichts zu tun hat.

Kanon also nur in der deutschen Literatur (und, etwas ver-dünnt, in den modernen Fremdsprachen): Wir dürfen dabeinicht vergessen, daß unsere Schüler aus der digitalen Weltkommen und nicht mehr die private Leseerfahrung mit -

bringen, die vor Jahrzehnten üblich war. Sie müssenanders „eingefangen“ werden, auch emotional, damit diebehandelte Literatur und Poesie verinnerlicht und zumkanonischen Besitzstand werden. Zum Kanon gehörennach wie vor Schiller und Goethe – Goethe in erster Liniemit seinem zur Weltliteratur gehörenden „Faust“, der inkeinem gymnasialen Deutschunterricht fehlen darf. Fürden Einstieg in Schiller bietet sich traditionell der „Wil-helm Tell“ an. Daneben stehen ihre Gedichte und Balla-den, von Goethe beispielsweise „Der Fischer“, „Erlkönig“,„Der Zauberlehrling“, „Der Totentanz“ oder auch „Gesangder Geister über den Wassern“ und ähnliches. Von Schillerwären etwa „Die Teilung der Erde“, „Der Taucher“, „Die Bürg-schaft“ zu nennen sowie, nicht zu vergessen, „An die Freude“(„Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium …“)Wenn ein Lehrer sich an Schillers Erstling, „Die Räuber“,wagen sollte, ist viel historisches Hintergrundwissen zu ver-mitteln, um zu verstehen, wieso dieser Erstling Schiller miteinem Schlage berühmt machte. Wenn der Lehrer das draufhat, kann es sogar richtig spannend werden. Auch Geschich-te ist also kanonträchtig, teils um ihrer selbst willen (zumBeispiel wenn man liest, dort hätte jemand „sein Waterloo“erlebt), teils die Literatur begleitend. Literaturkunde istimmer auch Literaturgeschichte. Jenseits dieser zwei gei-steswissenschaftlichen Bereiche ist Kanonisches nicht aus-zumachen.

Kanonisches Wissen ist im Gehirn fest vernetztes Wissen.Sein böser Feind sind die Smartphones und Laptops. DieSmartphones verlocken die jungen Leute, nichts mehr imGedächtnis zu speichern, weil alles ja blitzschnell abrufbarist. Dieses Problem sollte im Unterricht durchaus themati-siert werden. Vor allem aber stehen wir vor der schwierigenAufgabe, unsere Schüler im Unterricht in der richtigen Weise„einzufangen“, den Stoff so zu vermitteln, daß ein zünden-der Funke überspringt. Anders ist gymnasiale Persönlich-keitsbildung nicht vorstellbar.

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Schul- und Bildun

gspolitik

Bricht der Kampf um Schulstrukturen neu aus?Polemik und Ideologie sind schlechte Berater

Von Cord Wilhelm Kiel

Wieder einmal stehen Wahlen vor der Tür: die Kommunal-wahlen. Und auf einmal wird von einigen Parteien und derenKandidatinnen und Kandidaten erneut das Thema Schulstruk-turen ausgegraben. Dabei wird nur allzu gern auf sattsambekanntes Kampfvokabular zurückgegriffen, treiben Ideolo-gie und Polemik bunte Stilblüten. Zudem wird uns berichtet,dass einige Lokalpolitiker zusammen mit GEW-Funktionärenwieder auf Gesamtschul-Werbetour sind. Dabei werden dieses Mal nicht die Gymnasien ins Visier der IGS-Missionaregenommen – die Aussichtslosigkeit dieses Unterfangenshaben inzwischen auch sie offenbar eingesehen – sondernOberschulen, Haupt- und Realschulen, denen wieder einmal

suggeriert wird, sich zu IGSen „weiterzuentwickeln“ unddamit sämtliche mögliche Probleme lösen zu können.

Dass in Zeiten von (Kommunal-) Wahlen Kandidatinnen undKandidaten sich und ihre Programme vorstellen, ist ihr gutesRecht. Die wilde Plakatierung (bis zu drei Plakate an vielenLaternen) mag stören, sie gehört jedoch zum Wahlkampfebenso wie Postwurfsendungen, Infostände und Vortrags-veranstaltungen. Keinen Wahlkampf möchte man allerdingsauf den Leserbriefseiten der lokalen und überregionalenTageszeitungen vorfinden, gerade dann nicht, wenn es sichum ideologisch verblendeten Unsinn handelt.

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gspolitik

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Gymnasien ein Ort, an dem „Kinderseelen geknickt“werden?So veröffentlichte beispielsweise die Hamelner „Deister- undWeserzeitung“ am 12. August die Zuschrift einer SPD-Kandi-datin für die Kommunalwahlen, die eine einseitig verquasteBildungsideologie offenbarte, wie sie eigentlich seit Ende dersiebziger Jahre überwunden sein sollte. Statt ein Nebenein-ander und eine gute Kooperation verschiedener Schulformenzu fordern, wurden diese gegeneinander ausgespielt. IGSenwurden ausschließlich positiv dargestellt, an ihnen gebe esschließlich „heterogene Förderung statt Sitzenbleiben“, „guteBeratung“, und einen „stabilen Ganztag“. Damit würdegewährleistet, dass „kein Kind zurückbleiben“ könne. Dasklingt gut und wird von vielen Schulen (auch, aber nicht nuran IGSen) ja auch versucht, bleibt angesichts der mangelhaf-ten Ausstattung seitens der Politik aber oft nur unerfüllbaresWunschdenken. Auf der anderen Seite wurden Gymnasien,die bei Eltern und Schülern mit Abstand beliebteste Schul-form, als ein Ort diffamiert, an denen Schüler „auf der Streckebleiben“ und „Kinderseelen geknickt“ werden.

Die Verfasserin argumentierte auch, dass an anderen Schul-formen „gute Bildung“ nicht möglich sei, da diese „nur großeSchulen liefern könnten“. Ein hanebüchener Unsinn – wasist dann zum Beispiel mit den vielen kleinen Grundschulen,die z.B. im ländlichen Raum hervorragende Arbeit leisten?Was ist mit kleinen, spezialisierten beruflichen Schulen, dieihre Schülerinnen und Schüler gezielter auf die beruflicheRealität vorbereiten, als es eine riesige Massenschule jekönnte? Die Frage der ambitionierten Lokalpolitikerin undLeserbriefschreiberin „Welches Gymnasium wird sich zuerstzur IGS wandeln?“ setzte den Widersinnigkeiten dann dieKrone auf. Derart unverfroren treten heutzutage noch nichteinmal mehr die größten Einheitsschul-Befürworter auf. DieAussichtslosigkeit dieses Unterfangens (siehe oben) ist alsoin der Provinz offensichtlich noch nicht angekommen…

Man könnte vielleicht ähnlich sinnfrei fragen, welcheRechtsanwaltskanzlei sich zum Steuerbüro oder welche

Arztpraxis sich zur Apotheke wandeln könnte, denn jedeSchulform hat spezifische Anforderungen und Lehrkräfte,die aus gutem Grund für diese ausgebildet worden sind.Aber um überflüssige Gegenüberstellungen geht es nicht.Wachsamkeit ist gefragt, damit derart undifferenzierte,unbegründete und daher unverschämte Herabwürdigungenunserer Gymnasien und der an ihnen tätigen Lehrkräftenicht in einen neuen – verdeckten – Schulstrukturkampfführen, der von unverbesserlichen Ideologen geschickter alsfrüher, aber weiterhin unbeirrt ausgefochten wird. Ange-sichts dessen heißt es, selbst aktiv zu werden, solche Ein -lassungen zu kontern und unsererseits durch Leserbriefe,Erklärungen und Gespräche darauf hinzuwirken, dass end-lich einmal Ruhe in die Schulen einkehrt und Strukturde -batten der Vergangenheit angehören.

Schulpluralität statt EinheitsschuleZur Versachlichung der Diskussion hat der Deutsche Philolo-genverband schon vor einigen Jahren ein Papier mit demTitel „8 Thesen zur Struktur und Qualität von Schulen undAbschlüssen“ veröffentlicht. Unter den Stichworten „BesteBildungschancen durch ein differenziertes, leistungsorien-tiertes und durchlässiges Schulsystem“, „Qualität stattQuantität“, „Leistungsorientierung statt Nivellierung“,„Schulpluralität statt Einheitsschule“ und „Differenzierungstatt Vereinheitlichung“ wurde darin umrissen, wie eine viel-seitige, zukunftsgewandte Schulstruktur aussehen könnte.Zu dieser Struktur gehört auch die IGS, aber sie ist keineMonokultur, in der eine staatlich verordnete Einheitsschuledas Endziel ist. Denn dieses Ziel haben viele so genannte„progressive“ Bildungspolitiker immer noch („die Zweiglie-drigkeit kann nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zu einerSchule für alle sein“ heißt es immer noch in den Grundsatz-programmen einiger Parteien).

Der Philologenverband plädiert für ein an den Bedürfnissendes einzelnen Schülers orientiertes, begabungs- und leis -tungsgerechtes, plurales Schulsystem, das Eltern undSchülern die Wahl zwischen unterschiedlichen, passgenauen

und abschlussorientiertenSchularten und Bildungsgän-gen offen hält. Ziel ist eingerechtes Bildungswesen, dasdurch eine hohe Anschluss -fähigkeit und Durchlässigkeitgekennzeichnet ist. Dabei istAufstieg durch Leistung Kerndes deutschen Bildungsverspre-chens. Er muss für alle Schulengelten und hat insbesonderedas Gymnasium in der Vergan-genheit zu der Schule gemacht,die es heute ist: eine Schule dessozialen Aufstiegs, in der Bil-dungserfolg unabhängig vonder sozialen Herkunft gemes-sen und bewertet wird.

Die Chancengerechtigkeit imdeutschen Bildungswesen sollweiter verbessert werden, abernicht durch eine Nivellierungder Leistungsanforderungen,Es gibt viele Wege zum Bildungserfolg – und das sollte auch so bleiben

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Schul- und Bildun

gspolitik

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die Schleifung von Standards oder z. B. die Verpflichtung vonSchulen, Schüler unabhängig von ihren Leistungen versetzenzu müssen. Der Philologenverband wendet sich aus diesemGrund auch vehement gegen alle Versuche, die Schulland-schaft zu nivellieren, indem erfolgreiche Schularten zugun-sten von Gesamt- und Einheitsschulen geschlossen werden.Die Fortschritte Deutschlands bei den PISA-Tests, als einesvon ganz wenigen Ländern im mittleren und oberen Leis -tungsspektrum, zeigen, dass unser Schulsystem reform- undleistungsfähig ist, ohne dass unsere Schulen mit immerneuen Strukturdiskussionen belastet werden müssen.

Gerade in Zeiten der allgegenwärtigen Komptenzpädagogikist es notwendig, sich gegen alle Versuche zu wehren, denAnspruch der Fachlichkeit am Gymnasium durch schleichen-de Niveauabsenkungen auszuhöhlen. Innerhalb des grund-legenden schulischen Bildungsauftrags, junge Menschen zuselbstständigen, gebildeten und mündigen Bürgern zu erzie-hen, ist es ein ganz wichtiges Ziel von Schule, durch die Ver-mittlung von Kenntnissen und die Vergabe von Abschlüssenjungen Menschen die Chance zu geben, die von ihnen ange-strebten Berufs- und Lebensziele zu erreichen. Nur wennhinter einem Abschluss auch die entsprechende Leistungsteht, wird er einen gesellschaftlichen und persönlichenWert besitzen. Der Philologenverband geht von einem Menschenbild aus, das jeden Menschen in seiner Verschie-denartigkeit, seiner Individualität, seinem weitgefächertenBegabungs- und Interessenprofil, also seiner Einzigartigkeiternst nimmt. Daraus folgt, dass unsere Gesellschaft ver-schiedene Schularten, schulische Bildungsgänge und schuli-sche Abschlüsse anbieten muss, um auf das weite Spektrumder individuellen Begabungen und der unterschiedlichengesellschaftlichen Anforderungen differenziert reagieren zukönnen und Schule und Arbeitsmarkt nicht zu entkoppeln.

Erfolgsmodelle Gymnasium und berufliche BildungDas Gymnasium als studienvorbereitende Schule, die sichvon Beginn an der Studienvorbereitung und Wissen-schaftspropädeutik widmen kann, ist ein gesellschaftlichhoch akzeptiertes Erfolgsmodell, das es im Hinblick auf dieHerausforderungen der Zukunft weiterzuentwickeln gilt, dassich aber in seiner Grundkonzeption, der Verbindung von ver-tiefter Allgemeinbildung, Hinführung zu Reflexivität undSelbstständigkeit sowie umfassende Studierfähigkeit, hervor-ragend bewährt hat. Zu der hohen Durchlässigkeit des deut-

schen Schulwesens tragen aber auch in großem Umfang dieberuflichen Schulen bei, die sich in Niedersachsen momentanüber katastrophale Lücken in der Unterrichtsversorgungbeklagen. Es darf nicht übersehen werden, dass beruflicheSchulen es zahlreichen jungen Menschen ermöglichen, hoheBildungsabschlüsse bis hin zur allge meinen Hochschulreifezu erreichen, ohne zuvor ein „klassisches“ Gymnasiumbesucht zu haben! Die berufliche Bildung ist daher zu einemweltweit einzigartigen Aufstiegs- und Qualifikationsmodellgeworden, das es zu bewahren, auszubauen und zu stärken,aber auch besser ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zurücken gilt. In einem Schulsystem, das dergestalt die Wegenach oben auch neben dem Gymnasium offenhält, kannnicht behauptet werden, dass die frühe Differenzierung zurBeschneidung von Bildungs- und Lebenschancen führt.

Wenn bundesweit 43 Prozent aller Hochschulzugangsbe-rechtigten heute nicht mehr über das Gymnasium an dieHochschulen gelangen, ist das ein schlagender Beweis fürdie vertikale Durchlässigkeit unseres Schulsystems unddafür, dass der Übertrittszeitpunkt auf das GymnasiumSchüler nicht in Schubladen einteilt, keine Lebens- und Bil-dungschancen mindert und auch nicht sozial selektiv wirkt.Die Bildungskonzeption, in einer Einheitsschule den Erwerballer möglichen Schulabschlüsse ohne Niveauverlust zu ver-sprechen, ist reali tätsfremd und letztendlich irreführend. DieErfahrungen mit Gesamtschulen haben gezeigt: Die bloßeHoffnung, das geforderte Leistungsniveau könne erreichtwerden, indem die schwächeren Schüler von den Stärkerenlernten und diese dadurch schon die „gymnasialen Stan-dards“ erreichten, ist eine Fiktion ohne jeglichen Realitäts -bezug.

Die Abschaffung verbindlicher Grundschulempfehlungen,die Aufweichung der Qualitätskriterien bei Abschlüssen, dieInflation guter und sehr guter Noten bei Schul- und Hoch-schulprüfungen, das alles ist nicht immer Ausdruck gestie-gener Leistungen, sondern eher des Willens mancher bil-dungspolitischer Akteure, Schule im Sinne einer bestimmtenIdeologie zu formen. Wir müssen unbedingt vermeiden, dassdiese Akteure wieder Oberhand gewinnen und unseligeStrukturdebatten neu aufbrechen. Vielfalt statt Einfalt, wiewir dies in unserer „multikulturellen“ Gesellschaft ständigeinfordern, sollte auch bezogen auf Schulformen und Bil-dungswege unser aller Motto sein.

Schulstatistik 2015/16 – Licht und Schatten schulischerRealitäten Von Henning Kratsch

Mit der jüngst herausgebrachten Broschüre „Die niedersäch-sischen allgemein bildenden Schulen in Zahlen“ liefert dasKultusministerium einmal mehr vielfältige und aufschluss -reiche Daten über die zahlenmäßige Situation an den öffent-lichen und freien Schulen des Landes im Schuljahr 2015/16.Grundlage für die Daten ist der Stichtag 15. September 2015,

zu dem die Schulen ihre Daten erhoben und übermittelthaben. Dies erklärt auch, weshalb einige Aussagen, etwa diegenerelle Entwicklung der Schülerzahlen, kritisch zu hinter-fragen sind, da zentrale Faktoren der vergangenen Monatewie etwa die Zuwanderung von Flüchtlingen und Asylbe -werbern nicht entsprechend berücksichtigt werden.

Zur Entwicklung von Schülerzahlen und Übergangs-quotenDie Entwicklung der Schülerzahl an den niedersächsischenSchulen bildet zunächst einmal auch den demographischenWandel in der Gesellschaft ab. Um insgesamt 9.642 Schüle-rinnen und Schüler (oder 1,1 Prozent) sank die Schülerzahl imVergleich zum Vorjahr auf nunmehr 846.609. Ein weiterer,schrittweiser Rückgang der Schülerzahlen in Niedersachsenauf rund 807.000 im Jahr 2025 wird prognostiziert, wobeider Bestand dieser Erwartungen angesichts des globalen,nicht zuletzt auf Europa ausgerichteten, Wanderungs-druckes fraglich ist.

Durch den strukturellen Wandel in der niedersächsischenSchullandschaft forciert, lässt sich ein weiterer Rückgang beider Übergangsquote von den Grundschulen hin zur Haupt-und Realschule ausmachen. Stattdessen legen sowohl Ober-schulen als auch IGSen zu. Beliebteste Schulform – von derÜbergangsquote aus betrachtet – bleibt das Gymnasium,das mit insgesamt 43 Prozent nochmals 0,6 Prozent mehrSchüler aufgenommen hat als im Vorjahr. Wie kritisch dieserinzwischen langjährige Trend durchaus auch zu sehen ist,hat der PhVN an anderer Stelle deutlich gemacht. Bei allervertikaler Fluktuation zwischen den Schulformen lässt sichindes festhalten, dass der Schüleranteil in der Einführungs-phase lediglich 2,5 Prozent unter der Einschulungsquote desGymnasiums in den fünften Schuljahrgang liegt wohingegender Anteil der erfolgreichen Abiturientinnen und Abiturien-ten an Gymnasien bei 31,6 (mit BBSen 38,3) Prozent undsomit deutlich unter den Übergangsquoten liegt. Hier bleibtzu überlegen, inwiefern nicht bereits früher auch die Erfolgs-aussichten der Schülerinnen und Schüler auf das Abitur einnoch stärkeres Gewicht bei der Schullaufbahnberatung bzw.-lenkung spielen sollten oder könnten. Insgesamt lässt sichbeim prozentualen Anteil von Schülerinnen und Schülern an

Gymnasien nach wie vor ein deutliches Ost-West- bzw.Stadt-Land-Gefälle ausmachen, mit deutlich geringerenÜbergangsquoten etwa in der Regionalabteilung Osnabrück als in Hannover oder Braunschweig.

Zur Personalentwicklung in den KollegienIm Schuljahr 2015/16 unterrichteten laut Statistik insgesamt67.410 Lehrerinnen und Lehrer an niedersächsischen Schulen,wovon 17.045 an Gymnasien beschäftigt sind. Das Durch-schnittsalter beträgt 44,7 Jahre, wobei erfreulich zu verzeich-nen ist, dass die Verjüngung der Kollegien weitergegangenist und die größte Gruppe nunmehr zwischen 30 und 35 Jah-ren alt ist. Gleichwohl steht gerade auch in den kommendenJahren eine gewaltige weitere Pensionierungswelle an, die –in Verbindung mit den zu erwartenden Ausfällen durch Mut-terschutz in der jüngeren Kollegengruppe, ein deutlich akti-veres Handeln der Politik verlangen würde, als dies aktuellzu beobachten ist. Absichtserklärungen und unausgegorene17-Punkte-Pläne werden hier jedenfalls – auch in Erwartungdes notwendigen Mehrbedarfs an Lehrkräften durch G9 –nicht in der Lage sein, die sich deutlich andeutende Lücke zuschließen. Die sinkende Zahl an Einstellungen ins Referenda-riat und der Trend, die hier erfolgreichen Absolventen an dieIGSen zu verlagern, ist hier sicherlich der falsche Weg. Sagenachher keiner, er habe dies nicht erwarten oder sehen können.

Beim Blick auf die Lehrkräfte besonders auffällig ist die wei-ter zunehmende Feminisierung von Schule und Unterricht.70,7 Prozent der Lehrkräfte insgesamt sind inzwischen weib-lich, eine Tendenz, die nicht nur Anlass zur Freude gibt, son-dern auch Fragen aufwirft. Kann diese zunehmend einseitigeKonfrontation von Schülern aber auch Schülerinnen mitFrauen gut sein? Inwieweit behindert die große Tendenz zurTeilzeitbeschäftigung schulische Entwicklungsprozesse und

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unterrichtliche Konstanz? Ist der Lehrerberuf mit seinerallenthalben deutlich werdenden nicht gewürdigten bzw.ausgeglichenen Mehrarbeit und im Vergleich mit Berufender freien Wirtschaft moderaten Besoldung für junge Männer zunehmend unattraktiv geworden?

Zur UnterrichtsversorgungEin Blick auf die statistische Unterrichtsversorgung zeigt inallen Bereichen (bzw. an allen Schulformen) ein Absinkender Versorgung auf einen Mittelwert von 99,5 Prozent. UnterBerücksichtigung der immer mehr gewachsenen Anforde-rungen (Heterogenität, Fördermaßnahmen, Inklusion, Ganz-tag, Konzeptarbeit im Rahmen der eigenverantwortlichenSchule, uvm.) lässt sich hier einmal mehr festhalten, dassviele politisch und ideologisch geprägte oder begründeteAufgaben in der Realität keine angemessene Abdeckungdurch Lehrerstunden erfahren und die Schulen mit diesenAufgaben und Anforderungen im sprichwörtlichen Regenstehen gelassen werden. Zwar wurden und werden nach wievor enorme Lehrerstundenzahlen in Bereiche wie Ganztagoder Inklusion verlagert. Die hierin begründete Ausweitung

von Lehrerstunden insgesamt scheint hier aber offensicht-lich nicht auszureichen. Wäre da nicht – angesichts schlichtfehlender Lehrer und Finanzmittel - eine deutlichere Fokus-sierung auf den Kern von Schule, nämlich qualitativ hoch-wertigen Unterricht erstrebenswerter als eine immer weitereAusdehnung der peripheren Bereiche?

Zwar ist der Anteil des Kultushaushaltes am niedersächsi-schen Gesamthaushalt durchaus in einem vergleichbaren,wenn nicht gar leicht erhöhten Rahmen wie in den vergan-genen Jahren. Angesichts der oben bereits erwähntenzusätzlichen Aufgaben von und Anforderungen an Schule,ist es fast ein wenig verwunderlich, wie dies zu stemmen ist.Geleistete Überstunden der Kolleginnen und Kollegen überdas Maß der 40 Stunden Woche hinaus, eine ernüchterndeUnterrichtsversorgung in nahezu allen Schulformen sowieder insgesamt gestiegene Druck auf Niedersachsen Lehre-rinnen und Lehrer von der Grundschule bis zum Gymnasiumbelegen eindringlich, woher die Ressourcen für politischgewollte und als wichtig erachtete Projekte kommen.

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Neuregelung der Finanzhilfe für Schulen in freier Trägerschaft ist überfällig Von Helga Olejnik

Die Landesregierung plant eine „Verordnung zur Änderungder Verordnung über die Berechnung der Finanzhilfe fürSchulen in freier Trägerschaft“. Dies ist aus Sicht des Philolo-genverbandes ein prinzipiell begrüßenswerter Schritt, nur istdie praktische Umsetzung – wie so oft in der aktuellen Bil-dungspolitik – aus unserer Sicht nicht gelungen. Denn eineNeuregelung der Finanzhilfe für Schulen in freier Träger-schaft ist überfällig, das im Entwurf vorgesehene Inkraft -treten der Verordnung erst zum 1. August 2016 ist jedochnicht akzeptabel. Vielmehr ist aus Sicht des Philologenver-bandes ein rückwirkendes Inkrafttreten der Verordnungs -änderung zum 1. August 2015 unbedingt erforderlich.

Die Daten für eine rechtzeitige Änderung der Berechnungder Finanzhilfe liegen seit langem vor. Die statistischenWerte für das Schuljahr 2014/2015, aus denen die Schüler-Lehrer-Relation der erteilten Unterrichtsstunden an denöffentlichen Schulen hervorgeht, waren dem Niedersächsi-schen Kultusministerium bereits im 4. Quartal 2015 bekannt(Stichtag 22. September 2014). Auch die Entscheidung desOVG Lüneburg zur verfassungswidrigen Erhöhung der Unter-richtsverpflichtung von Gymnasiallehrkräften an öffent -lichen Schulen ist bereits am 9. Juni 2015 erfolgt. Eine Ände-rung der Berechnung der Finanzhilfe wäre daher bereitsfrüher möglich gewesen. Durch das im Entwurf vorgeseheneInkrafttreten erst zum 1. August 2016 erfolgen die Finanz -hilfeberechnungen daher (zum Nachteil der Schulen in freierTrägerschaft) mit einer zweijährigen Verzögerung zurtatsächlichen Versorgungslage der öffentlichen Schulen.

Dies ist insbesondere auch angesichts der zu bewältigenden,ständig steigenden Aufgaben u.a. im Bereich der Inklusion,der Integration von Flüchtlingen und des Ganztags nichtakzeptabel.

Es fällt auf, dass sich die errechneten Zuweisungen an dieFörderschulen verschlechtern. Dies liegt nach Auffassung desPhilologenverbandes u.a. an der mangelhaften Unterrichts-versorgung der staatlichen Förderschulen und der „Um -schichtung“ der Lehrkräfte von den Förderschulen in dieinklusiven Schulen. Damit bilden diese Zahlen aber nichtmehr den realen Bedarf an den freien Förderschulen ab. Fürdie Förderschule für emotionale und soziale Entwicklungwird der Wert für pädagogische Mitarbeiterinnen und Mit -arbeiter erneut auf einem höheren Wert eingefroren. Ein solches Einfrieren ist aus den genannten Gründen für dieFörderschulen insgesamt erforderlich, um wenigstens denStatus Quo erhalten zu können.

Insgesamt zeigt sich, dass das derzeit gültige Modell derFinanzhilfe nicht mehr die tatsächlichen Verhältnisse anöffentlichen Schulen abbildet. Strukturelle Veränderungen imBildungswesen, wie die Einführung der Oberschule, die Ein-führung der inklusiven Schule, die Gesamtschule als ersetzen-de Schulform, der Ausbau der Ganztagsschulen etc. werdennicht hinreichend berücksichtigt. Eine grundsätzliche Neu -regelung der Grundlagen über die Berechnung der Finanz -hilfe für Schulen in freier Trägerschaft und eine Anpassung anveränderte Gegebenheiten ist daher dringend erforderlich.

Aus der Arbeit der Stufenperson

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AbordnungenEin Kollege wurde gegen seinen Willenzum Halbjahreswechsel für ein halbesJahr an eine Schule im Nachbarortabgeordnet, um dort einen durchKrankheit hervorgerufenen akutenUnterrichtsausfall zu beheben. NachEnde des Schuljahres fehlt der krankeKollege weiter. Daher soll diese Abord-nung der Einfachheit halber fortge-setzt werden.Das geht so einfach nicht, denn „Ketten-abordnungen“ sind unzulässig. Jetzt istder Schulbezirkspersonalrat in der Mit-bestimmung und prüft alle Begeleitum-stände neu. Das kann dazu führen, dassjetzt ein anderer Kollege abgeordnetwerden muss.

VersetzungenEin dauererkrankter Kollege soll an dieNachbarschule versetzt werden, weilsonst die anderen Kollegen seineArbeit mitmachen müssen. Der Kollegemöchte aber gerne bleiben, und dieaufnehmende Schule will ihn nicht.Eine Erkrankung alleine ist kein Verset-zungsgrund. Hier müssen zunächst inAbsprache mit dem SchulpersonalratHilfsmaßnahmen eingeleitet werden,die eine Wiedereingliederung in dennormalen Schulalltag ermöglichen.Wenn der Kollege es jedoch ausdrück-lich wünscht, weil er z.B. mit dem Schul-leiter nicht klar kommt, ist eine Verset-zung denkbar und kann auch nicht vonder aufnehmenden Schule verhindertwerden.

Ganztag Im Rahmen des Ganztagsbetriebes sollein Kollege eine Arbeitsgemeinschaftübernehmen aber nur die halbe Stun-denzahl angerechnet bekommen, weiler ja keine Klausuren schreibt.Das ist nicht zulässig, denn jede Unter-richtsstunde muss voll abgerechnetwerden. Das betrifft auch kleine Kurse,die, so wird gerne argumentiert, sonstnicht stattfinden würden. Auch hier gilt:Jeder Kurs muss entsprechend der Stun-denzahl, die hier vorgegeben war, aufdes Deputat angerechnet werden. Auchdie Idee, einen Abdeckerkurs im letztenSemester nur noch mit der halben Stun-

denzahl laufen zu lassen, damit es nichtso viele Lehrerstunden kostet, istunzulässig. Wenn der Schulpersonalrathier nicht weiter kommt, regelt das derSBPR direkt in der Behörde.

FlexistundenEin Schulleiter hat vergessen, die gege-benen Flexistunden zurück zu geben.Der Kollege hat im guten Glaubennicht darauf geachtet und bemerkt eserst nach 2 Jahren. Ein neuer Schulleiterweigert sich jetzt, dies noch anzu -erkennen.Hier gilt generell: alle Flexistunden sindspätestens im Folgejahr zurückzugeben.Wird das vergessen, verfallen sie trotz-dem nicht, auch nicht bei einem Schul-wechsel. Nach dem Eintritt in den Ruhe-stand und beim Ländertausch hat manallerdings keine Ansprüche mehr. Manmuss also selbst mit aufpassen.

TeilzeitEine Kollegin hatte aus familiärenGründen in Teilzeit gearbeitet unddaher einen freien Tag. Nun soll sieeinen Oberstufenkurs übernehmen, deran ihrem freien Tag liegt. Die Umständeerzwingen hier ausnahmsweise beson-dere Notwendigkeiten, so der Schul -leiter. Ansonsten müsste sie an einemMittwoch, an dem sie bisher nur 2Stunden am Vormittag hätte, am Nach-mittag noch einmal wiederkommen. Beides ist unzulässig, denn nach demTeilzeiterlass ist dieser Kollegin ab einerReduzierung von einem Drittel derUnterrichtszeit in beiden Punkten zwin-gend eine Erleichterung zu gewähren,damit sie ihre Kindererziehung organi-sieren kann. Auch andere Aufgaben wieAufsicht, Vertretungen, Sprechtage, Pro-jektwochen usw. sind entsprechend zureduzieren.

Flexibler Unterrichtseinsatz: Verdoppelung von Minusstundenbei ganztägiger AbwesenheitSo wurde uns aus einer Schule berich-tet – unglaublich, aber wahr: Eine Lehr-kraft möchte während der Wocheeinen wichtigen privaten Termin wahr-nehmen, für den Sonderurlaub nichtmöglich ist. Sie bittet um Freistellung

von ihren 6 Stunden Unterricht, gegen6 Minusstunden auf ihrem Stunden-konto. Der Schulleiter stimmt zu, teiltder Lehrkraft aber dazu mit, dass sol-che Minusstunden beim flexiblenUnterrichtseinsatz nur für Einzelstun-den möglich seien – deshalb würdenbei ganzen Unterrichtstagen dieMinusstunden doppelt gezählt: ihrStundenkonto werde also mit 12Minusstunden belastet.Die Antwort unserer Personalräte istklar: Eine solche Verdoppelung vonMinusstunden ist unter keinen Umstän-den zulässig. Und außerdem: Eine ganz-tägige Freistellung ist sehr wohl mög-lich, denn nach § 4 Abs. 2 Satz 2 derArbeitszeitverordnung Schule kann dieUnterrichtsverpflichtung der Lehrkraftin einer Woche „bis zum Umfang derUnterrichtsverpflichtung eines Schul -tages unterschritten“ werden, wenndienstliche Belange nicht entgegen -stehen.

BereitschaftsstundenZunehmend erreichen uns und unserePersonalräte auch Anfragen bzgl. derBereitschaftsstunden: Zu wie vielenBereitschaftsstunden könne man her-angezogen werden? Inwieweit könneeine Anrechnung im Rahmen des flexiblen Unterrichtseinsatzes er -folgen? Oder: Warum erfolge durch die Schule keinerlei Anrechnung?Die Praxis an den Schulen hierzu isthöchst unterschiedlich. Das liegt auchdaran, dass es dazu bisher keine eindeu-tigen schulrechtlichen Vorgaben gibt.Wir haben dieses Thema in diesen Tagenauch im Kultusministerium angespro-chen – denn die Bereitschaftsstundengehören zu den zahlreichen Aufgaben,die unsere Arbeitszeit ständig erhöhen,weil dafür kein zeitliches Äquivalentgewährt wird. Die Ministerin – wiekönnte es bei ihr auch anders sein – istweiterhin nicht bereit, die längst über-fällige Arbeitszeituntersuchung durch-zuführen und die Belastungen zu senken.

Aktuelle Fallbeispiele aus der Personalratsarbeit

Aus der Arbeit der Stufenpersonalräte

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Bezirksverband Mittelweser ehrt Michael Hentrich

Roland Neßler referiert beim BV Braunschweig

Auf der diesjährigen Herbsttagungdes Bezirksverbands Mittelweserwurde der langjährige Ortsvorsitzendedes PhVN, Michael Hentrich (im Bildlinks), verabschiedet und mit einerBronzenen Ehrennadel ausgezeichnet.Der Bezirksvorsitzende Helmut Haasis(Mitte) sowie der ebenfalls anwesen-de Bezirkspersonalrat Cord WilhelmKiel (im Bild rechts) aus demGeschäfts führenden Vorstand desPhVN lobten die engagierte Arbeitund fürsorgliche Mitgliederpflege deskürzlich in den Ruhestand eingetretenen Oberstudienratsvom Albert-Schweitzer-Gymnasium Nienburg. Denn MichaelHentrich war nicht nur Ansprechpartner des Philologenver-bands vor Ort und führte regelmäßige Ortsgruppentagungendurch, sondern organisierte auch zahlreiche Veranstaltungenüber die eigentliche Verbandsarbeit hinaus, die der Mitglie-derpflege und dem Miteinander dienten. Dazu gehörtenunter anderem Spargelessen und Weihnachtsfeiern sowie

die schon berühmte „Sause“ der Dele-gierten des Bezirksverbands auf demGoslarer Weihnachtsmarkt nach denBeratungen des Vertretertags. Hentrich hatte immer eine Portion„Schuss“ auf diesen Runden dabeioder eine Prise spezieller „Würze“ beiGänsebraten oder Spargelessen. InErinnerung bleibt aber vor allem dieaktive Arbeit vor Ort, denn die Nien-burger Philologen haben unter Hen-trichs Ägide ihre Mitgliedszahlenerheblich vergrößern können. All diese

Aktivitäten Michael Hentrichs, der auch u.a. als Reserveoffi-zier und Ratsherr in seiner Heimatstadt Nienburg allseitsbekannt ist, wurden von Helmut Haasis gewürdigt und derGeehrte zu einer Art „Ehrenmitglied“ ernannt. Michael Hentrich will auch als Pensionär weiterhin die Vertretertagebesuchen – dann als Gast „und erstmals mit meiner Frau,damit das Doppelzimmer endlich mal richtig belegt wird“.

CWK

Veranstaltungen

Auf der Bezirksverbandssitzung am 30. August in Braunschweig wurdenbesonders brennende Fragen aus denSchulen des Bezirks thematisiert. AlsReferent sprang kurzfristig RolandNeßler, Ehrenvorsitzender des Philolo-genverbands Niedersachsen undlangjähriger Geschäftsführer, ein.Neßler bot dem Bezirksvorstand sofortUnterstützung an, da die Nachfragenaus den Schulen erneut zeigten, wieproblematisch der Umgang an den

Schulen mit dem Thema Arbeitszeit,Mehrarbeit, Vertretungen und Bereit-schaften sind. In seinem Vortragschöpfte Neßler aus dem gewaltigenFundus seiner jahrzehntelangen Erfah-rungen und bot damit eine sehrumfassende und fundierte Beratungan. Als Dank bekam der Ehrenvorsit-zende von der Bezirks vorsitzendenOrtrud-Christine Rotzoll einen großenBlumenstrauß (Foto) überreicht.

CWK

PhVN-Stufenpersonalräte gehen in KlausurSeit der Personalratswahl in diesemFrühjahr ist die Runde der Stufenper-sonalräte in den Reihen des Philolo-genverbands fast doppelt so groß wiezuvor. Durch die Vergrößerung derGremien im Schulhaupt- und denSchulbezirkspersonalräten ist derPhVN durchweg statt mit bisher zweinun mit vier Vertreterinnen und Vertretern präsent (wir berichteten).Diese nun schlagkräftigere Runde hat

sich Anfang September zu einerzweitägigen Fortbildung zusammen-gefunden und im Verdener Nieder-sachsenhof unter anderem zurArbeitszeit, Beratungs- und Unterstüt-zungsangeboten und Schulungen fürPersonalräte vor Ort ausführlich bera-ten und erste Positionspapiere erstellt.Ein ausfuhrlicher Bericht folgt in dernächsten Ausgabe von Gymnasium inNiedersachsen. CWK

Im Interview

Haben immer mehr Schüler Probleme mit dem Handschreiben?Der Deutsche Lehrerverband (DL) hat in Kooperation mit dem Schreibmotorik Institut e. V., Heroldsberg, eine Umfragegestartet. Wir wollen von den Kolleginnen und Kollegen wissen: Wie gravierend sind die Probleme mit dem Handschreibender Schülerinnen und Schüler? DL-Präsident Josef Kraus sieht Handlungsbedarf, wie er im Interview darlegt.

In jüngster Zeit häufen sich Klagen dar-über, dass sich Schülerinnen und Schülermit der Handschrift zunehmend schwertun. Was hören Sie als Schulleiter undPräsident des Deutschen Lehrerver-bands von den Kolleginnen und Kolle-gen – nehmen aus Lehrersicht die Probleme beim Schreiben zu?

Josef Kraus: Das Problem hat eineTiefen dimension. Die mangelnden Fertigkeiten, flüssig und lesbar mit derHand zu schreiben, und die allgemeineVernachlässigung der Handschrift sindTeil einer Geringschätzung unsererSprachkultur. Schauen Sie sich an, washier einer vermeintlichen Modernitätalles zum Opfer fällt: Der Wortschatzvon Grundschülern wird, curricular vor-gegeben, immer geringer. Statt ortho-graphisch korrekt dürfen Grundschülernach Gehör, das heißt: phonetisch,schreiben. Die Unterrichtsstunden imFach Deutsch wurden in mehreren Jahr-gangsstufen gekürzt. Deutschtestsbestehen – PISA-gestylt – immer häufi-ger aus Ankreuztests oder aus demZustöpseln von Lückentexten. Lektürenwerden immer häufiger in „leichtemDeutsch“ angeboten. Was die Hand-schrift betrifft, so bestätigen mir immermehr Kolleginnen und Kollegen, dass diejungen Leute oft bereits nach wenigenZeilen schreibmotorisch rasch ermüdenund dass das Gekrakel immer schwererzu lesen ist.

Wie groß ist aus Ihrer Sicht der Anteilvon Schülerinnen und Schülern in derSekundarstufe I mit Problemen beimHandschreiben. Und: Gibt es IhrenErfahrungen nach Unterschiede im Aus-maß der Schwierigkeiten – etwa zwi-schen Jungen und Mädchen oder jenach Bildungsstatus des Elternhauses?

Letzteres hängt tatsächlich nicht nurmit dem Geschlecht, sondern auch mitder Schulform und damit indirekt mit

der sozialen Herkunft der jungen Leutezusammen. Allgemein kann gelten:Mädchen schreiben lesbarer, versierter,sie schreiben also lieber; Gymnasiastenaus bildungsnahen Elternhäusern eben-falls. Dem männlichen Nachwuchsdagegen gilt Schreiben oft als unmänn-lich. Der Anteil der schreibschwachenKinder und Jugendlichen dürfte – unterBerücksichtigung der eben genanntenDifferenzierung – zwischen 20 und 50Prozent liegen. Aber das ist eine Schät-zung.

Sehen Sie Zusammenhänge zwischenLernleistung von Schülern und der Güteihrer Handschrift?

Tendenziell eindeutig! Wer gut und ver-siert schreibt, der prägt sich Geschriebe-nes besser und konzentrierter ein, er istintensiver bei der Sache, er schreibtbewusster, setzt sich intensiver mit demInhalt und dem Gehalt des Geschriebe-nen auseinander. Es geht ihm auchdarum, dass das Geschriebene vonanderen nachvollzogen werden kann;das wirkt bereits beim Schreiben impli-zit als ein Impuls, verständlich zu for-mulieren. Aber es gibt natürlich auch

die Ausnahmen. Höchst leistungsfähigeund begabte junge Leute, deren sogenannte Klaue man kaum entziffernkann, haben wir natürlich auch in unse-ren Schulen.

Was sind aus Ihrer Sicht die Ursachenfür die sich häufenden Probleme?

Es ist ein Bündel an Ursachen, die ich fürdie Atomisierung der Sprachkultur undim Besonderen für das Schwinden derSchreibkultur verantwortlich mache: Diecurricularen und schulpolitischen Grün-de hatte ich bereits genannt. Auch wirdin den Schulen immer weniger Wert auflesbare Schrift oder gar auf derenBewertung bzw. Einbeziehung in eineNote gelegt. Beim einzelnen Heran-wachsenden kommt hinzu, dass ergrob- und feinmotorisch zunehmendverkümmert. Couch-Potatoes und Joy-stick-Athleten fehlt es nicht nur anmotorischer Entladung, sondern aucham Erwerb motorischer Geschicklich-keit. Solche Geschicklichkeit wurdefrüher beim Basteln oder auch mit denüblichen – feinmotorisch wichtigen –Gesellschaftsspielen trainiert: beimMensch-ärgere-Dich-nicht, beim Mühle,

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Josef Kraus bei seiner Festrede auf dem Philologentag 2014

Halma, Dame und Mikado. All dies fin-det heute – wenn überhaupt – am Bild-schirm statt. Eine erheblich feinmotori-sche Verarmung, die hier abläuft undindirekt auch die Schreibmotorikhemmt!

Ist es dann nicht sinnvoll zu sagen: Wirverzichten auf die Vermittlung derSchreibschrift – und vermitteln nur nochDruckbuchstaben? Oder noch konse-quenter: Wir verzichten auf Sicht aufStifte und Füller – und lassen Schülerin-nen und Schüler nur noch auf der Tasta-tur lernen?

Die Feinmotorik des Schreibens ist über-haupt die wichtigste Hand- und Denk-arbeit des Menschen. Das Schreiben,auch das Abschreiben (und nicht dasEinscannen auf den Bildschirm), ist vorallem bei neuen Lernstoffen bereits die

halbe Miete für das Auswendiglernen.Zudem geht das Schreiben in der her-kömmlichen Schreibschrift erheblichzügiger und flotter vonstatten als einSchreiben in Druckbuchstaben. BeimSchreiben mit Druckbuchstaben ist manlangsamer, und man verkrampftschreibmotorisch schneller, weil mannach jedem Buchstaben für Sekunden-bruchteile den Schreibfluss unterbre-chen und das Schreibwerkzeug kurz -fristig vom Blatt abheben muss. Außer-dem verzichtet man mit der Druck-schrift auf die höchst individuelle, nichtzu unterschätzende Note beimGeschriebenen. Nicht nur die seriöseGraphologie weiß das zu bestätigen,sondern auch der Alltag.

Was lässt sich gegen die Misere ausIhrer Sicht unternehmen?Die Öffentlichkeit aufklären, wie wich-

tig die herkömmliche Schreibschrift istund was ihr Nutzen ist! Dazu benötigenwir zunächst einmal eine Bestandsauf-nahme. Wir haben deshalb in Koopera-tion mit dem Schreibmotorik Institut,Heroldsberg, eine Umfrage gestartet,und ich bitte alle Kolleginnen und Kol-legen um rege Beteiligung. Wir wollenwissen: Wie gravierend sind die Proble-me mit dem Handschreiben tatsäch-lich? Und was lässt sich dagegen tun?Dann wollen wir der Politik geeigneteMaßnahmen vorschlagen. Ohne denErgebnissen vorgreifen zu wollen, so istdoch deutlich: Wir benötigen mehr Ressourcen für die Förderung der Grob-und Feinmotorik schon in den Kinder -tagesstätten und dann auch in denGrundschulen. Darauf wollen wir hin-wirken.

Rüdiger Nehberg fordert Schulleiter zu mutigen Entscheidungen auf: „Jeder kann seine Visionen realisieren“ Er hat die Danakil-Wüste mit Kamelen durchquert, sich ohne Ausrüstung durch den brasilianischenDschungel geschlagen und mit einem Tretboot den Atlantik überquert. Rüdiger Nehberg wird nichtumsonst „Survival-Papst“ genannt. „Ich analysierte sämtliche zu erwartenden Probleme der Reisewie Stürme, Piraten, Schiffbruch oder Trinkwassermangel und war entsprechend vorbereitet. Psychisch, physisch, technisch“, erzählt Rüdiger Nehberg etwa von seiner Atlantik-Überquerung.

Schulleiter werden zwar nicht mit Piraten oder Schiffbruch zu kämpfen haben, aber sie müssen täglichim Bildungsdschungel bestehen. Deshalb gab Rüdiger Nehberg auf dem Deutschen Schulleiterkongress(DSLK) Survival-Tipps, unter dem Titel „Überleben in Extrembedingungen – Eigenmotivation undDurchhaltevermögen“. Dazu gehöre es auch, kulturelle Grenzen zu überwinden. Allerdings: „Aufgrunddieser Erfahrungen fände ich es für Schulen hilfreich, die Obergrenze an zu integrierenden Ausländerschülern so niedrig wiemöglich zu halten“, sagt Nehberg mit Blick auf die Integration von Flüchtlingskindern im Interview.

Sie haben den Atlantik mit einem Tret-boot überquert – ist das ein Sinnbild fürdie Herausforderung von Schulleitun-gen, die mit knappen Ressourcen einegewaltige Aufgabe bewältigen müssen?

Nehberg: Ja, haargenau. Ich bin Mini-malist wie zwangsläufig auch die Schul-leiter. Vor der Überquerung stand ichvor einer mir völlig neuen Herausforde-rung, denn ich hatte Vergleichbaresnoch nie gemacht. Außerdem hatte ichAngst vor Wasser, Schwierigkeiten mitder Seekrankheit und begrenzte Finanz-mittel. Ich analysierte sämtliche zuerwartenden Probleme der Reise wieStürme, Piraten, Schiffbruch oder Trink-wassermangel und war entsprechendvorbereitet. Psychisch, physisch, tech-

nisch. Später habe ich den Atlantik nochzwei weitere Male überquert: auf einemFloß bis vors Weiße Haus und einemmassiven Baumstamm bis Brasilia.Heute stehen die Vehikel im Technik-Museum zu Speyer.

„Überleben unter Extrembedingungen –Eigenmotivation und Durchhaltever -mögen“, so lautet der Titel Ihres Vor-trags auf dem Deutschen Schulleiter-kongress. Welche Lehren können Lehrerim Allgemeinen und Schulleiter imBesonderen daraus ziehen?

Dass niemand zu gering ist, seine Visio-nen zu realisieren. Was er braucht, sindeine starke Motivation, Fantasie, Geduld,ein paar Asse im Ärmel und die Kunst,

Niederlagen als Kreativitätsschub zunutzen. Vor allem braucht er Individua-lität, um wahrgenommen zu werden.Denn „Wer mit der Herde geht, kannnur den Ärschen folgen" und geht unterim Wettbewerbsgedrängel.

Sie und Ihre Frau wurden für Ihre Ver-dienste um die Völkerverständigung mitdrei Bundesverdienstkreuzen ausge-zeichnet. Die deutschen Schulen habenaktuell viele Flüchtlingskinder zu inte-grieren – auf welche kulturellen An -passungsschwierigkeiten müssen sichSchulen einstellen?

Da wir mit unserer Organisation „Target“ausschließlich im muslimisch-arabi-schen Raum tätig sind, um die Tradition

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Als Bruno Uszkurat zum Schuljahre s -ende 1997/98 als Oberstudiendirektorin den Ruhestand versetzt wurde,hatte ich als damaliger Vorsitzenderdes Philologenverbandes die Ehre,seine besonderen Verdienste, insbe-sondere sein Wirken für das Gymnasi-um in Niedersachsen, zu würdigen undfür seinen unermüdlichen Einsatz zudanken, ihm, dem Pädagogen und Bil-dungspolitiker, und seinem Lebens-werk, unsere Reverenz zu erweisen.

Damals habe ich meine Laudatio unterdas Wort gestellt: ein „alter“ Kämpfergeht in den Ruhestand, „alt“ nicht imSinne von bejahrt, sondern vielmehrals Kennzeichnung seines ständigenkämpferischen Einsatzes für seine unddamit für unsere Ideale. Von Ruhestandzu sprechen, war ohnehin geradezuleichtfertig, denn wir alle waren unsdamals im Klaren, dass für Bruno

Uszkurat mit seinem Aus-scheiden aus dem aktivenDienst als Schulleiter seinekämpferische Sachwalter-schaft für das Gymnasium,seine Schüler und Lehrernicht enden, sondern wei-ter fortbestehen werde,wie sich das dann auch anvielen seiner im Ruhestandgezeigten Aktivitäten in soeindrucksvoller Weiseerwiesen hat.

Bruno Uszkurat war imJahre 1963, also vor mehrals 50 Jahren, als Referen-dar dem Philologenver-band Niedersachsen beigetreten. SeinBeitritt zu unserem Verband war fürihn eine bewusste Entscheidung, ein-mal eine Entscheidung für eineGemeinschaft von Lehrerinnen und

Lehrern, die in der schul- und bildungs-politischen Debatte dem Gymnasiumauch weiterhin Rang und Geltungsichern wollten, und zum anderen, umsich gegen alle Versuche zu wehren,

der Weiblichen Genitalverstümmelungmit der Kraft und Ethik des Islam zubeenden, wissen wir um die Schwierig-keiten und Chancen, kulturelle Unter-schiede zu überbrücken. Nur so ist esuns gelungen, dass die höchsten Reli -gionsführer den Brauch auf unsereInitiative hin zur Sünde erklärt haben.Bei den Verhandlungen kamen mir dieErfahrungen aus meiner Jugendzeit zuHilfe. Während langer Radtouren undeigener Kamelkarawanen durch Afrikahabe ich immer wieder die hohen Werteislamischer Gastfreundschaft und denReichtum fremder Kulturen erfahren. Siehaben mich Differenzierung undRespekt gelehrt.

Aufgrund dieser Erfahrungen fände iches für Schulen hilfreich, die Obergrenzean zu integrierenden Ausländerschülernso niedrig wie möglich zu halten, damitder Lehrplan eingehalten werden kann.Besser wäre es, die Gesamtheit auslän-discher Schüler erst einmal in externenSonderschulungen auf den erforder -lichen Bildungsstand zu bringen, damitweder die deutschen Schüler ausge-

bremst werden noch den ausländischenSchülern Minderwertigkeitskomplexeaufgezwungen werden. Lehrer müssenwissen, dass ein Viertklässler aus Eritreanicht annähernd die Kenntnisse einesViertklässlers aus Deutschland hat. Siemüssen wissen, dass Mädchen aus Eri -trea extrem genitalverstümmelt sindund was das für den Schulunterrichtbedeuten kann. Man hat sie körperlichund seelisch geschändet. Sie werdenbeispielsweise nicht am Sportunterrichtteilnehmen oder mehr Zeit auf der Toi-lette benötigen. Aber niemals werdensie selbst darüber sprechen.

Was raten Sie Schulleitern?

Die neue schulpolitische Situation stelltfür Lehrkräfte, deutsche und ausländi-sche Schüler und deren Eltern einNovum dar. Alle Seiten sind mit derneuen Entwicklung stark überfordert.Um ein bestmögliches Miteinander zubewirken, bietet sich zu allererst einegroße Kennenlern-Veranstaltung an.Dafür bedarf es guter Dolmetscher.Optimal wäre die Teilnahme eines ange-

sehenen integrierten Moslems aus derPolitik. Ein Imam könnte die religiösenUnterschiede ansprechen. Das alles soll-te aufgelockert werden mit einem ori-entalischen Willkomm-Imbiss bei Tee,Kaffee und Kuchen sowie musikalischenBeiträgen. Solches Beisammensein sollteauch geprägt sein von dem Mut, diebilateralen Probleme ohne politischenSchönschnack klar anzusprechen. Gast-recht bedingt auch Gastpflicht zum beiderseitigen Nutzen. Empfehlenswertwären Vertrauensleute auf deutscherwie ausländischer Seite, die in Krisenfäl-len vermitteln. Nach vier Wochen solltedas wiederholt und über Optimierun-gen gesprochen werden. Eine Krönungschulischen Harmoniebestrebens wäre,wenn deutsche Schüler sich eines aus-ländischen Schülers als Paten annäh-men. Das ließe sich forcieren mithilfevon Wettbewerben und Auszeichnun-gen. Mein empfohlenes Motto lautet:„Alle sagten, das geht nicht. Dann kameiner, der wusste das nicht und hat eseinfach gemacht.“

Quelle: Deutscher Schulleiterkongress

Unermüdlich für das GymnasiumZum 80. Geburtstag von Bruno Uszkurat Von Roland Neßler

Berufspolitik

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Bruno Uszkurat als Mitglied des Ältestenrats auf dem Philologentag 2015

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bewährte Schulstrukturen und Schul-formen zu verändern bzw. abzuschaf-fen. Unermüdlich, unbeirrt und mitgroßer Leidenschaft stritt Bruno Uszkurat schon damals für diese Ideale,trotz des Zeitgeistes, der all das, wofürer in seinem pädagogischen Ethos alsLehrer und Pädagoge eintrat, aus unse-ren Schulen eliminieren wollte. Daherwurde der Zeitgeist seinen schul- undbildungspolitischen Zielsetzungenzunehmend ein bedrohlicher undgefährlicher Widersacher, dieser Zeit-geist mit seinen politischen, ideolo-gisch bestimmten Gefolgschaften, dieauf Egalisierung vieler Lebensbereicheabzielen und die in unseren Schuleneher auf Leistungsverzicht als auf Leis -tungssteigerung setzen.

Mein Vorgänger im Amt des Vorsitzen-den des Philologenverbandes warschon bald auf Bruno Uszkurat auf-merksam geworden, auf diesen jungenMann, der in Aurich an einem Gymna-sium als Lehrer tätig geworden warund sich ausführlich mit der Arbeit desPhilologenverbandes und seinen Ziel-setzungen auseinandersetzte unddabei auch nicht mit Kritik sparte.Besonders sah Uszkurat die Gefahr,dass selbst der Philologenverband – ineinem mehr als fraglichen Verständnisvon Modernität – den scheinbarenVerlockungen von Reformen erliegenund bis dahin gültige Grundsätze inFrage stellen könnte.

In der Tat sind die damaligen Versu-chungen groß: Der Deutsche Bildungs-rat legt seinen „Strukturplan“ vor, mitStufenschule, mit Stufenlehrerausbil-dung, und der Bildungsgesamtplanzeigt dafür viel Sympathie. Zugleichwird mehr ein technokratisches Ver-ständnis von Unterricht und Erziehungsichtbar, mehr als es der Schule gut tunkann. Doch wer schon wollte sich des-sen ungeachtet damals nachsagen las-sen, er habe die Zeichen der Zeit nichtverstanden, wenn ein scheinbar sobedeutsames und kompetentes Gremi-um wie der Bildungsrat zu tiefgreifen-den Schulreformen mahnt?

Die Parteien folgen dem damit vorge-zeichneten Irrweg als erste, und auchdie Schul- und Bildungspolitik in Nie-dersachsen gerät in diesen Sog gefähr-licher und falscher Modernität. Waskönnte dieses besser belegen als dieTatsache, dass es in Niedersachsenzunächst die CDU ist, die die Orientie-

rungsstufe und Kollegschule zu Zielenihrer Bildungspolitik ausruft: BrunoUszkurat ist wie vielen anderen vonuns klar, dass damit eine verhängnis-volle Entwicklung eingeleitet wird,eine Entwicklung, durch die derAnspruch des einzelnen auf Förderungseiner individuellen Veranlagung undBegabung in Gefahr ist.

Dieser Entwicklung galt es entschiedenentgegenzutreten, und so wird BrunoUszkurat zum streitbaren Verfechterdes uneingeschränkten Rechts auf indi-viduelle Förderung des einzelnen unddamit zugleich zum Widersacher allerintegrierten Schulstrukturen, insbeson-dere der Orientierungsstufe, die dieJahrgangsstufen 5 und 6 von den weiter -führenden Schulen abgetrennt hatteund die – zumindest tendenziell – dasGymnasium zum Torso werden ließ.

Das konsequente Eintreten von BrunoUszkurat für ein neunjähriges leis -tungsfähiges Gymnasium findet in derMitgliedschaft viel Anerkennung. ImHerbst 1970 wird er in den Geschäfts-führenden Vorstand und damit in denHauptvorstand des Philologenverban-des Niedersachsen gewählt. Die Art,wie er diese Aufgaben wahrnimmt,empfiehlt ihn für neue weitere undumfassendere Aufgaben, und so wirdihm die Leitung des Bildungspoliti-schen Ausschusses unseres Verbandes,unseres wichtigsten Ausschusses,übertragen, dem er dann bis zu seinemAusscheiden aus der aktiven Verbands-arbeit im Jahre 1990 vorsteht und demer ein unverwechselbares bildungspoli-tisches Gesicht gibt.

Für viele schul- und bildungspolitischeVorhaben und Zielsetzungen hatBruno Uszkurat die Vaterschaft. Doches ist schwierig, sie alle aufzulistenoder auch gar exemplarisch auf sie imEinzelnen einzugehen. Immer kreisenseine Gedanken um die Frage, wie wirMenschen angemessen und bega-bungsgerecht fördern können, so dassjeder zu seinem Recht, zu seinem Rechtauf individuelle Förderung kommt.Seine zahlreichen Publikationen spie-geln das bis heute eindrucksvoll wider:Uszkurat publiziert zur IntegriertenGesamtschule, beschäftigt sich un -ablässig mit der Orientierungsstufe,diesem Kuckucksei niedersächsischerSchulpolitik, widmet sich mit großemEinsatz einer von der damaligen Schul-und Bildungspolitik besonders ver-

nachlässigten Gruppe junger Menschen,den Hochbegabten, und er publiziertzur Bildungsarbeit des Gymnasiumsund zur Oberstufe.

Sein weiteres Interesse gilt der Öffent-lichkeitsarbeit, denn die Öffentlich-keitsarbeit bietet ihm die Möglichkeit,sich in Wort und Schrift an der schul-und bildungspolitischen Diskussionnoch intensiver zu beteiligen. In derlangen Zeit seiner Verbandstätigkeitsitzt Uszkurat auf vielen Podien, stehtan vielen Rednerpulten in Niedersach-sen und anderswo. Wer Bruno Uszkuratdabei erlebt, erfährt, wie er stets kun-dig und eloquent, engagiert undleiden schaftlich argumentiert, seineAuffassungen überzeugend vorträgtund seine Widersacher oft in geradezupeinliche Beweisnot bringt.

Bruno Uszkurat ist auch in der Zeit seines Ruhestandes der treue Kämpferund stete Mahner für eine leistungs-fähige und Schülerinnen und Schülerbestmöglich fördernde Schule geblie-ben. Dass sein heutiges Alter seinemEinsatz und seinem Engagement keineGrenzen setzt, zeigen seine jüngstenPublikationen: Ich nenne hier nur„Schluss mit der Kompetenzpädago-gik“, erschienen in der ZeitschriftGesellschaft für Bildung und Wissen, inder Uszkurat vor der Kompetenzorien-tierung unserer Schulen warnt und zurBesinnung und Umkehr mahnt.

Bruno Uszkurat ist sich in den so lan-gen Jahren seiner Tätigkeit und beiwechselnden schul- und bildungspoli-tischen Mehrheiten im Landtag stetstreu geblieben und er hat Schule inNiedersachsen mitgestaltet, zumin-dest aber die ärgsten Entwicklungenmit zu verhindern versucht, mit Kritikund Widerspruch, mit Aufmunterungund Zuspruch.

Für den Philologenverband Nieder-sachsen war es, man kann es nichtanders bezeichnen, ein besondererGlücksfall, dass mit Bruno Uszkuratseit mehr als fünf Jahrzehnten einMann in unseren Reihen tätig ist, nun-mehr auch als Mitglied des angesehe-nen Ältestenrates unseres Verbandes,der unermüdlich für die Ziele des Phi-lologenverbandes eintritt und für unsalle Vorbild kämpferischen Einsatzesfür ein leistungsfähiges Gymnasiumsist. Dafür verdient er unsere Anerken-nung und unseren herzlichen Dank.

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Personen

Programm10.00 Uhr Begrüßung/Einführung Vertreter des Deutschen Philologenverbandes

10.30 Uhr Impulsreferat Torsten Larbig, Schillergymnasium Frankfurt

11.30 Uhr Workshops 1. Runde 1. „iPads im Unterricht – Apps für Einsteiger“/ -

Kreativ eigene Bücher erstellen Stefanie Ueberjahn, Privatgymnasium Villa

Wewersbusch

2. „Bring your own device! (BYOD) Mobiles Lernenmit Smartphones und geeigneter open source Software”

Benita Rowe, TH Köln

3. „Binnendifferenzierung mit iPads (Fortgeschrittene)“ –

Dieter Umlauf, Freiherr vom Stein GymnasiumFulda

4. „Internetvideos für den unterrichtlichen Einsatzaufbereiten”

Tobias Raue, Wirtschaftsgymnasium Rheine

5. „Information & Kommunikation unter den Vorzei-chen von Social Media – Ansatzpunkte für einenhandlungsorientierten Unterricht“

Sophia Mrowitzki (Philipps-Universität Marburg) Christian Dorn (Philipps-Universität Marburg)

13.00 Uhr Mittagspause

14.00 Uhr Workshops 2. Runde (Inhalte s. oben)

15:30 Uhr Resümee/Ausblick/Schlussworte

Anmeldung ab Anfang September 2016 unterwww.dphv.de mit Angabe der beiden gewünschtenWorkshops.Anmeldeschluss: 24. September 2016Teilnehmergebühr: Studenten/Referendare: 15 EuroMitglieder:25 Euro, Nichtmitglieder: 40 Euro

Personen

Gymnasium in Niedersachsen 3/201630

Wir trauern um Hannelore SchützeClaus MetjeReinhold KurthDietrich HartwigBernhard SchilhabGiselher KloseDr.Jürgen SchrumpfHerbert-Wilhelm Müller Almuth Hillebrecht-LindemannDr. Edgar HerrenbrückManfred BuhrWolfgang Hirsch Udo BrückmannAlbert Poggemann Rolf Ballof

BraunschweigPapenburgWolfenbüttelHamburgWolfenbüttelWolfenbüttelLehrteHannoverBraunschweigHamelnEbstorfSottrumHannoverOsnabrückNortheim

18.03.201623.04.201626.04.201604.05.201610.05.201617.05.201626.05.201626.05.201605.06.201608.06.201601.07.201609.07.201611.07.201614.07.201601.08.2016

Lebrecht Forke, Ehrenvor-sitzender des NordhornerPartnerschaftskomitees,wird Ehrenbürger der pol-nischen Partnerstadt Malbork (Marienburg) ander Nogat. Sein großes persönliches Engagementum die deutsch-polnischeVölkerverständigung unddie europäische Einigungim Rahmen der Städtepart-nerschaft hat dem Nord-horner Lebrecht Forkediese besondere Anerken-nung und sehr seltene

Würdigung eingebracht: „Ich bin sehr stolz darauf und freuemich sehr“, sagte Forke am Donnerstag gegenüber den GN:

„Der Anruf aus Malbork war eine große Überraschung. Es istalles eine große Ehre für mich.“

Nordhorns „Mr. Europa“ war von 1990 bis 2011Vorsitzenderdes Partnerschaftskomitees und hatte in dieser Zeit viel fürdie heute fünf Städtepartnerschaften der Grafschafter Kreis-stadt bewirkt. So war es Forke, der nach dem Fall des EisernenVorhangs Anfang der 1990er Jahre den Kontakt nach Polensuchte und 1995 maßgeblich an der Städtepartnerschaft mitder rund 38.900 Einwohner zählenden polnischen Stadt Malbork im historischen Westpreußen, etwa 45 Kilometersüdöstlich von Danzig und 120 Kilometer südwestlich vonKönigsberg (Kaliningrad) entfernt, beteiligt war. Die Ehren-bürgerschaft wurde vom Malborker Rat einstimmigbeschlossen und soll an Forke, der am Freitag 76 Jahre altwird, im August oder September feierlich in Marienburg ver-liehen werden.

Quelle: Grafschafter Nachrichten vom 26.05.2016

Nordhorns „Mr. Europa“ Ehrenbürger in Polen Von Thomas Kriegisch

Von 1978 bis 1993war PhVN-Mit-glied Lebrecht Forke stellvertre-tender Schulleiter des Gymnasi-ums in Nordhorn, danach für einDutzend Jahre Schulleiter.

Fachtagung des Deutschen Philologenverbandes „Digitalisierung am Gymnasium“4. November 2016, im Wissenschaftszentrum Bonn, Ahrstr. 45, 53175 Bonn

Gymnasien in NiedersachsenBeschäftigung mit Europa erneut spannend und erfolgreich Von Cord Wilhelm Kiel

Die Schülerinnen und Schüler des Albert-Einsten-Gymnasi-ums Hameln (AEG), die im Schuljahr 2015/2016 an der AGEuropa – und damit auch am Europäischen Schulwettbe-werb – teilgenommen hatten, durften als Belohnung für ihreMühe und ihre gelungenen Wettbewerbsbeiträge zum Endedes Schuljahres für fast eine Woche nach Berlin fahren.Neben Besichtigungen des Reichtstagsgebäudes samt Glaskuppel, des Deutschen Historischen Museums und der„Topografie des Terrors" samt eines erhaltenen Abschnittsder Berliner Mauer standen auch viele Gespräche undBegegnungen auf dem Programm der elfköpfigen Gruppe.

So empfing der Hamelner CDU-Abgeordnete Michael Vietzdie AEG-Delegation im Paul-Löbe-Haus und diskutierte fasteineinhalb Stunden mit den Schülerinnen und Schülern überTTIP, die Flüchtlingskrise oder auch das Demokratiedefizit inEU-Institutionen. Facebook-Nutzer konnten tags darauf aufder Homepage des Abgeordneten davon mehr erfahren. DasBüro der SPD-Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möllerhatte für den Tag darauf ein Gespräch mit Johannes Schrapsund Alexander Mühle samt Besichtigung des Bundestagsund Vortrag im Plenarsaal organisiert. Interessante unddurchaus auch kontroverse Gespräche gab es ferner bei derEuropäischen Bewegung Deutschland bzw. der Europa-Union /JEF sowie beim Besuch des Willy-Brandt-Hausesinklusive Filmvorführung und Diskussion mit Markus Bärsch.

Die Schülerinnen und Schüler, die mit dabei waren, erlebtenspannende und auch fröhliche Tage in der Hauptstadt beibestem Wetter. Alle wollen versuchen, auch im nächstenSchuljahr wieder bei der Europa-AG mit dabei zu sein. Dennam Albert-Einstein-Gymnasium wird die Teilnahme amEuropäischen Wettbewerb durch die Einrichtung einer AGund der Etablierung einer projektbezogenen Fahrt beson-ders gefördert. Dies schlägt sich auch in Erfolgen beim

Europäischen Wettbewerb nieder: In diesem Jahr konntensich drei AEG-Schüler über hochwertige Preise freuen. DiePreisverleihung im niedersächsischen Landtag wurde vomnominell höchsten Repräsentanten unseres Bundeslandes,Landtagspräsident Bernd Busemann, gemeinsam mit Stu -diendirektor Heribert Maring, dem Landesbeauftragten fürden EW, vorgenommen.

Die drei Preisträger vom AEG erlebten einen spannendenund interessanten Tag in der Landeshauptstadt. BastianMeister (Jg. 11), der bereits zum dritten Mal in Folge miteinem Preis ausgezeichnet wurde, erhielt für seinen Aufsatzmit dem Titel „Wir sind Europa“ einen Bundes- und Landes-preis. Marit Heinze und Alexandra Kanzelmeyer (Klasse 8 B)bekamen für ihr Tagebuch zum Thema „Ich erhebe meineStimme“ ebenfalls Bundes- und Landespreise in Form vonGeld- und Buchgutscheinen. Landtagspräsident Busemannunterstrich die Bedeutung des Wettbewerbs, dessen Preis -träger seit nunmehr 40 Jahren im Landtag geehrt werden. Ererinnerte an seine Erlebnisse als Jugendlicher auf Reisen („injedem Land Grenzkontrolle, neue Währung“) und betonte,dass es heute „ein wunderbares Erlebnis von Freiheit“ gebe,das unbedingt zu erhalten sei – gerade in politisch schwieri-gen Zeiten.

Nach der feierlichen Zeremonie im Landtag gab es für alleausgezeichneten Schülerinnen und Schüler auch noch einenEmpfang im Neuen Rathaus der Stadt Hannover. Hier lobteBürgermeister Thomas Hermann das Engagement der Schü-lerinnen und Schüler, die zusätzlich zu ihrem UnterrichtsstoffArbeiten für den Europäischen Wettbewerb erstellt hatten.Die heimische Landtagsabgeordnete Petra Joumaah gratu-lierte ebenfalls den AEG-Schülern. Die AG-Teilnehmer, die keinen Bundes- oder Landespreis bekamen, sind noch im Rennen um eine Auszeichnung durch die Europa-UnionHameln im September dieses Jahres. Man darf gespannt sein.

Die AG Europa auf Exkursion in Berlin – hier im Willy-Brandt-Haus

Empfang für die Landessieger beim Europäischen Wettbewerb imNeuen Rathaus von Hannover

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Gastkommentar

Didacta, Deutscher Schulleiterkongress, bundesweiter Gym-nasialtag, International Summit on the Teaching Professionund etliche weitere Einladungen zu Tagungen, zur Präsenta-tion neuer Studien und neuer Bücher – gerade die Fastenzeit(Gibt es da einen Zusammenhang?) bietet der interessiertenFachöffentlichkeit eine besonders große Fülle an Möglichkei-ten, sich noch intensiver mit aktuellen schul- und bildungs-politischen Fragestellungen zu beschäftigen.

Schon bei oberflächlicher Durchsicht der Ankündigungenfällt auf, dass neben dem allgegenwärtigen Flüchtlingsthe-ma insbesondere über die Rolle und die Bedeutung der Lehr-kraft diskutiert wird. Wirklich erstaunlich ist das nicht, weißdoch seit Hatties vor drei Jahren vorgestellter, auf der welt-weit größten Datenbasis zur Unterrichtsforschung fußenderStudie ‚Visible Learning‘ jeder: „Auf den Lehrer kommt esan“. Das scheint zunächst einmal ein schöner Satz zu sein,durchaus geeignet, mancher in den ganzen Nach-PISA-Dis-kussionen um das richtige Schulsystem sich in ihrer Bedeu-tung nicht adäquat gesehen gefühlten Lehrerseele Satisfak-tion zu verschaffen. Die ZEIT überschrieb ihren Hattie-Artikelentsprechend „Ich bin superwichtig!“ Die neue mediale undpolitische Wichtigkeit der Lehrkräfte versuchen allerdingsauch die Freunde der nun Gemeinschaftsschule benanntenGesamtschule für ihre Ziele zu nutzen. Eines muss manihnen lassen: Sie haben aus ihrem erfolglos gebliebenemoffensiven Werben für diese Schulform und den Stufenlehreraus vergangenen Jahren dazugelernt und ihre Methodenverfeinert.

Als Beispiel dafür kann eineStudie gelten, deren Ergebnis-se bundesweit Ende Februarmedial die Runde machten.Unter dem unverdächtigdaherkommenden Titel„Teamwork im Klassenzim-mer“ verbreiteten die Zeitun-gen Ergebnisse einer„reprä-sentativen Studie“ über „Lehrerkooperation inDeutschland“. DeutschlandsLehrer, so war zu lesen,„blicken (...) noch zu wenigüber den Tellerrand, um sichbei Kollegen für den eigenenSchulalltag etwas abzuschau-en.“ Insbesondere an denGymnasien „sei die Koopera -tionskultur teilweise deutlichschwächer entwickelt als inanderen Schulformen (...)“.Wer dem Reflex widersteht,sich schuldbewusst an die

eigene Nase zu fassen und stattdessen einen Blick in die Studie wirft, ahnt schon bald, woher und vor allen Dingenwohin der Wind wehen soll: Von den „Bemühungen um eininklusives Schulsystem“ und der Herausforderung, der „Viel-falt in den Klassenzimmern (...) gerecht zu werden“, istbereits im Vorwort die Rede. Der zunächst noch leise Ver-dacht, dass das Eintreten der Studie für ein neues Selbstver-ständnis von Lehrkräften als Teil von multiprofessionellenschulischen Teams vor allem dem Zweck dient, politisch wiemental den Boden zur Durchsetzung eines inklusivenGesamtschulsystems zu bereiten, erhält durch einen Blickauf deren Auftraggeber zusätzliche Nahrung: An erster Stellewerden die Bertelsmann und die Robert Bosch Stiftunggenannt, die seit vielen Jahren und mit enormem Aufwandfür die Einführung eines sog. ‚integrativen Schulsystems‘und für die „Überwindung“ der „unhaltbaren Vielgliedrig-keit“ (Claudia Walther, Bertelsmann Stiftung) die Trommelrühren.

Als geistiges Antidot gegen bertelsmännische Sirenengesängefür altneue Gesamtschulmodelle und die Transformationvon Lehrern zu Lernbegleitern seien bei dieser Gelegenheitaus den Neuerscheinungen des Büchermarktes hier drei Titelempfohlen: ■ Christoph Türcke, Lehrerdämmerung – Was die neue

Lernkultur in den Schulen anrichtet ■ Michael Felten, Nur Lernbegleiter? Unsinn, Lehrer!■ Peter Maier, Schule – quo vadis? Plädoyer für eine Pädago-

gik des Herzens

Die Mär von „Teamwork im Klassenzimmer“Von Peter Missy, Redakteur von „Das Gymnasium in Bayern“

Gruppenarbeit unter Schülern ist nicht mit Teamwork von Lehrern vergleichbar

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Gastkom

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Literatur

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Literatur

Im Jahre 2004 erschien das viel beach-tete Buch „Die vergessene Generation“von Sabine Bode, in dem sie Schicksaleder in den Jahren um den Beginn desZweiten Weltkriegs Geborenen thema-tisiert. Diesem Problemkreis fügtChris toph Hein jetzt ein besonderesKapitel hinzu. Wie so viele Geschichtenaus dem letzten Jahrhundert ist auchdieses von Schmerz, von Leid geprägt,zugleich ist es die Geschichte einerlebenslangen Flucht. In seinem jüng-sten Roman schildert er, wie der inPolen gehenkte Kriegsverbrecher Gerhard Müller das Schicksal seines imMai 1945 geborenen Sohnes Konstantinüber sechs Jahrzehnte lang, von 1945bis 2012, bestimmt.

Das „Glückskind“, wie die Mutter ihnnennt, weil der Säugling sie (zumindestvorübergehend) vor der Vertreibung ausihrem Haus durch die Russen bewahrt,muss immer von neuem erfahren, wiedie Verbrechen des Vaters, den er niegesehen hat, weil er erst nach dessenTod geboren wurde, ihn einholen, ihmzur Last und zum Vorwurf werden. Inder DDR darf er trotz glänzender Zen -

suren nicht die Oberschule besuchen, inMarseille, wohin der noch nicht Fünf-zehnjährige flieht, findet das „Glücks-kind“ zwar Lohn und Brot bei drei ehe-maligen Résistance-Kämpfern, dochenthüllt sich ihm auch hier, wie die Verbrechen des Vaters, die er sogar aneinem dieser Widerstandskämpfer imKonzentrationslager willkürlich began-gen hat, den Verbleib in Frankreich undein Studium dort vereiteln.

Zurück in der DDR (die Rückkehr erfolgtähnlich offiziell wie in Friedrich ChristianDelius' Tatsachenroman „Der Spazier-gang von Rostock nach Syrakus“)bewirkt seine im Hintergrund allge-genwärtige „Akte“, dass er seinWunschstudium trotz Zulassung nichtantreten kann und dass er, nunmehrLehrer geworden, trotz anerkannterLeistungen nicht befördert wird. Späterst, schon im Ruhestand nach demZusammenbruch des Systems, erkennter, dass er vor seinem Schicksal nichtdavonlaufen kann.

Aufmerksamkeit verdient die fast bit-tere Vorbemerkung: „Der hier erzähl-

ten Geschichte liegen authentischeVorkommnisse zugrunde, die Personender Handlung sind nicht frei erfun-den“. Christoph Hein schreibt detail-genau, erweist sich als aufmerksamerBeobachter und hat, wie ein Blick inseine Biographie lehrt viel selbstErlebtes eingearbeitet. So gelingt esihm, im Umfeld der Hauptperson eineFülle unterschiedlichster Figurenglaubhaft auftreten zu lassen, eineganze Skala von zuverlässigen Freun-den über Mitläufer und Sympathisan-ten bis hin zu ideologisch Verbohrtenund rücksichtslosen Schmarotzern. Ererzählt flüssig und prägnant, hält denSpannungsbogen stets durch und ver-hilft dem Leser durch das Erzählen ausder Ich-Perspektive zu mitempfinden-dem, nachdrücklichem Wahrnehmen.

Uwe Lehmann

Authentisch erzählte Zeitgeschichte Christoph Hein,Glückskind mitVater. Roman. Suhrkamp Verlag,Berlin, 2016. 527Seiten, Ganzleinen.ISBN 978-3-518-42517-6, 22,95 €.

Große Aufmerksamkeit erfuhr diereichhaltige Übersichtsschau derNeuen Nationalgalerie Berlin zur Kunstdes 20. Jahrhunderts mit ihren dreiTeil-Ausstellungen unter den bezie-hungsreichen Titeln „Moderne Zeiten,

1900 bis 1945“ (2010), „Der geteilteHimmel, 1945 bis 1968“ (2011) und„Ausweitung der Kampfzone, 1968 bis2000“ (2014). Mit dem ersten Teil,„Moderne Zeiten“, ist sie nunmehr2014/ 2015 wegen der sanierungs -

bedingten Schließung des Mies vander Rohe-Baus in Schwäbisch Hall zuGast. Damit gibt es nun endlich denlang ersehnten Begleitband (sogargleich in zweifacher Form, denn imDistanz Verlag Berlin erscheint dazunoch eine auf die Original-Ausstellungbezogene Ausgabe mit stark erweiter-tem Textteil).

In Schwäbisch Hall sind infolge der längeren Schließung 90 Künstler derersten Hälfte des letzten Jahrhundertsmit rund 180 Werken von großenteilshoher und höchster Qualität präsent.Darunter ist das atmosphärisch wiezeitpolitisch stupende, großformatigeGemälde „Abend über Potsdam“ (1930)von Lotte Laserstein (1898 - 1993), daserst 2010 von der Nationalgalerie

Lehrstunde historischer DifferenzierungenModerne Zeiten.Die Nationalga-lerie Berlin zuGast in derKunsthalleWürth, Schwä-bisch Hallvon Udo Kittelmann/ C.

Sylvia Weber (Hgb.), Swiridoff Verlag,Künzelsau 2014. 340 S., 206 Farb-Abb.,gbd., Ganzleinen. ISBN 978-3-89929-286-2, 40 €

Die Sammlungder National -galerie 1900 –1945. Die Doku-mentation einerAusstellung, von Udo Kittelmann,Joachim Jäger

und Dieter Scholz (Hgb.), Distanz Verlag, Berlin, 2014. 520 S., 230 Abb.,Hardcover.ISBN 978-3-15476-054-1, 58 €

Literatur

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Das Mathematikabitur 2016 in Nieder-sachsen, das nun nach massiven Be -schwerden weniger streng bewertetwird, muss für viele Betroffene, schwa-che wie starke Schüler, das Grauengewesen sein. Kultusministerin FraukeHeiligenstadt ließ gleich nach denersten heftigen Protesten höchstper-sönlich verlauten, dass die Aufgabenanspruchsvoll, aber vom Schwierig-keitsgrad leistbar gewesen seien undden Vorgaben entsprochen hätten. Dasist erstaunlich. Denn in fachlicher Hin-sicht ist die zugrundeliegende Mathe-matik als einfach bis banal zu bezeich-nen. Die Aufgabensteller scheutenjedoch keine Mühe, die simplen undrein schematisch lösbaren Aufgabenmit einem Textwust zu versehen, derRealitätsbezug und Anspruch vorspie-geln soll. Schwammige Formulierun-gen und Gedankensprünge taten einÜbriges. Hier ist der Beginn einer derSchreckensaufgaben:

„In einem Betrieb wird im Produktions-prozess ein Gas verbraucht. Dazu wirddas benötigte Gas durch eine Leitungaus dem Gastank in die Produktions-stätte geleitet. Das hierbei pro Zeitdurch die Leitung strömende Gas wirdals Gasstrom bezeichnet. Dieser wirdin Litern pro Stunde (L/h) gemessen,die Zeit in Stunden (h). Der Arbeitstag

in dem Betrieb dauert 14 Stunden, amEnde des Arbeitstages wird das Ventildes Gastanks geschlossen.“

Nun soll der Prüfling den Betriebsleiterbei seinen Entscheidungen unterstüt-zen. Dazu gibt es die Information aus„Langzeitmessungen“, wo genau zujeweils vier Zeitpunkten (nach 0 h, 4 h,6 h und 10 h) der Gasstrom bestimmtwurde und dass es zu zwei bestimm-ten Zeitpunkten (nach 2 h bzw. 12,2 h)„Spitzenwerte“ geben soll, derenGröße jedoch verheimlicht wird. Kannsich ein Prüfling einen Betrieb vorstel-len, der in einer solchen Weise dieInformation über offenbar gemitteltekontinuierliche Messungen verstüm-melt? Nein. Nun wird auch noch kund-getan, dass der Betriebsleiter eineModellfunktion für den Gasstromkennt, die ausgerechnet die folgendevom Himmel gefallene Gestalt hat: –3t4 + 88t3 – 818t2 + 2304t + 2000, 0 ≤ t ≤ 14

Die Kakophonie stumpfer BefehleWo ist die Modellierung? Das soll dochlaut Mantra der Mathematikdidaktikder Schüler als Kompetenz nachhaltigkönnen wollen müssen? Warum lässtman den Prüfling nicht aus den mick -rigen Vorinformationen die ganz ratio-nale Funktion vierten Grades selbst

suchen – mit dem Rechner, weil er esnicht anders gelernt hat? Spätestensjetzt weiß der aufgeklärte Prüfling,dass es sich nur um eine mit Gas auf-geblasene Kurvendiskussion mit einerListe von Zusatzfragen handelt. Selberrechnen und die Gasstory verstehenmuss der Prüfling nicht. Nur Eintippenin den Rechner ist gefordert, also Wen-depunkt angeben, ein Integral aus-rechnen und vieles mehr – alles mitGas vernebelt. Welche Einsichten hatder Prüfling danach gewonnen? Keine.Hat es wenigstens Freude bereitet?Nein. Der Abiturient muss nach dieserintellektuellen Folter denken: Matheist unendlich öde und stumpfsinnig,weil es nur eine Übersetzung von Text-anweisungen in Rechnerbefehle erfor-dert. Das ist also der Stresstoleranztesteiner kompetenzorientierten Prüfung.

Nicht weniger absurd ist eine andereAufgabe des niedersächsischen Abiturs,die wiederum in einer Fabrik spielt.Diesmal wird kein Gas benötigt, son-dern einige Fruchtsaftkonzentrate zurHerstellung von zu vertütenden Frucht-gummitieren. Man ahnt es schon: Daseinzige, was hier geprüft wird, ist dieFähigkeit, immer wieder neue detail-und zahlenreiche, in der verschrobenenSprache der Schulmathematik formu-lierte „Sachzusammenhänge“ in Matri-

erworben werden konnte. DieterScholz, Kurator der Neuen National -galerie, gibt dazu einen Überblick überdie Sammlung der Nationalgalerie undihre Geschichte und erörtert die vonErnst Bloch abgeleitete Bewertung dermodernen Kunst als „Gleichzeitigkeitdes Ungleichzeitigen“. Im Abbildungs-teil wird in 14 Kapiteln die Kunst der

Klassischen Moderne im Katalog derKunsthalle Würth vorgestellt. Von„Anfänge der Moderne“ über Kirchner,den „Spät-Expressionismus“, MaxBeckmann zur Weimarer Republik, zu„Neusachlicher Melancholie“, „Kubis -tischen Brechungen“ und „SurrealenWandlungen“ bis zu „Nacht überDeutschland“ finden sich Gemälde und

Plastiken, einzeln oder in Werkgruppensorgfältig kommentiert, aus dem Rie-senfundus von 2500 Werken, den dieNationalgalerie betreut. Bekanntesund zu Unrecht Vergessenes fügen sichdamit zu neuen, erhellenden Verknüp-fungen.

Uwe Lehmann

Streit um Mathe-AbiturDenken darf hier nur der Taschenrechner Ein stumpfsinniger Stresstoleranztest: Niedersachsens Kultusministerium muss die Mathe-Klausuren der Abiturienten neubewerten. Wie man es besser macht, zeigen die Finnen. Von Hans-Jürgen Bandelt und Hans-Jürgen Matschull

Aus der überregionalenPresse

Presse

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zen und Gleichungen zu übersetzen.Und den Rest den Rechner erledigen zulassen. Und die Ergebnisse abzulesenund abzuschreiben. Wie heißt es dochin „A Mathematician’s Lament“ (vonPaul Lockhart): „Mathematics is themusic of reason“. In dem niedersächsi-schen Abitur ist es jedoch die Kakopho-nie stumpfer Befehle.

Alles ist kleinschrittig vorgegebenHier werden gleich zwei Heilsbringerdes postmodernen Mathematikunter-richts als Mythen entlarvt: der Anwen-dungsbezug und der Rechnereinsatz.Beides soll angeblich dem Schüler denZugang zur Mathematik erleichternund den Unterricht vom langweiligenund wenig lehrreichen Abspulen vonRechenrezepten befreien. In der Prü-fung wird dann aber genau diesesAbspulen erwartet. Der Rechner dientallein dazu, die schwierigen Rechen-schritte durchzuführen, also geradedie, bei denen der Schüler das Beherr-schen von grundlegenden mathema-tisch-handwerklichen Fähigkeitenhätte nachweisen können. Damit ernicht aus Versehen mit dem Nachden-ken anfängt, muss er möglichst vielesolcher stumpfsinnigen Aufgabenlösen. Im Akkord, ganz wie im späterenBerufsleben.

Bei den ellenlangen Aufgaben wird derGedankenfluss immer wieder unter-brochen, das eine Mal mit neuen adhoc-Szenarien, ein anderes Mal mitkontextfreien Zusatzfragen. DemNiveau ist keine Schranke nach untengewiesen. Ein bloßes Ablesen einerZahl aus einem Diagramm oder einerTabelle punktet schon. Dennoch bleibtder Prüfling ständig verunsichert: „Ver-stehe ich richtig, was man da von mirwill?“ Die vorgegaukelten Scheinan-wendungen sind in sich nicht stimmigund entziehen sich einer logischenAnalyse. Der scheinbare Sachbezugstört den begabten Schüler, der zumKern eines wirklichen Problems vor-stoßen und nicht die begrenzte Phan-tasie des Aufgabenstellers auslotenwill. Alles ist kleinschrittig vorgegebenund mit einem Stakkato von Aus-führungsbefehlen versehen.

Ein Blick in die Niederlande würdehelfenHin und wieder versteckt sich hintereinem dieser Schritte eine böse Falle.Erst wird seitenlang die Realitätzurechtgebogen, damit sie zur ange-

dachten mathematischen Frage passt,dann gilt unvermittelt wieder dieechte Realität. So soll der Prüflingerkennen, dass man Fruchtgummitier-chen nicht halbieren kann und ineinem Spielcasino nur Beträge auszah-len kann, die auf ganze Cents lauten,obwohl zwölf Jahre lange im Mathe-matikunterricht die Vereinbarung galt:Wenn es um Preise, Kosten, Gewinneund Verluste geht, dann wird diesesProblem ignoriert. Während die Aufga-ben in manchen Ländern wie Mecklen-burg-Vorpommern noch unkostümiertund schlicht formuliert daherkommen,ist Niedersachsen Spitzenreiter beiMummenschanz und manieriertemTextsalat. Das Ministerium und sein„Landesinstitut für Qualitätssiche-rung“ (NLQ) haben seit mindestenszehn Jahren nichts dazugelernt undverweigern standhaft ein Vermum-mungsverbot für Mathematikauf -gaben.

Denn schon Anfang 2006 hätte mandas ähnlich gelagerte Mathematik -fiasko in den Niederlanden zur Kennt-nis nehmen können, das zu einem offe-nen Brief (als „Lieve Maria“ bekannt)von Studenten an die damalige Wis-senschaftsministerin Maria van derHoeven führte. Die Studenten kritisier-ten, dass das niedrige Niveau des schulischen Mathematikunterrichts zugroßen Schwierigkeiten im Studiumführt. Nach einer langen öffentlichenDiskussion ließ sich das Ministeriumimmerhin zur Teilumkehr bewegen.Einen offenen Brief (laut Braunschwei-ger Zeitung) hat auch unsere „LiebeFrauke“ von einer engagierten GoslarerGymnasiallehrerin bereits erhalten.Warten wir also auf die Umkehr.

Fragen zur österreichischen EinkommensteuerDass es auch anders geht, zeigt dasaktuelle Mathematikabitur aus Finn-land: Dreizehn kurze, leicht verständ -liche Aufgaben, die grundlegendeRechentechniken, aber auch mathema-tisch-abstraktes Denken erfordern, undbei denen man nicht erst rätseln muss,was der Aufgabensteller wohl gemeinthaben könnte. Die Aufgaben stehengleich nach den Prüfungen im Originalzur öffentlichen Diskussion auf denWebsites der großen Tageszeitungenund Fernsehsender zur Verfügung. Dasist eine echte „Qualitätssicherung“, diesogar ganz ohne „Institute“ auskommt.Und die verhindert, dass sich ein hand-

verlesener Kreis von „Experten“ ins stille Kämmerlein einschließt und seineganz eigenen Vorstellungen davon ent-wickelt, welche mathematischen „Kom-petenzen“ ein Studienanfänger wohlgerade gebrauchen könnte.

In Österreich hat man mit den achtparallelen Zentralmatura-Versionen(eine allgemeine und sieben berufs -bildende) im Wesentlichen den Auf-schluss zu Deutschland gesucht undgefunden. In der allgemeinen Version(AHS) gibt es Multiple-Choice-Aufga-ben aus der untersten Schublade. Mangeniert sich an der Donau auch nicht,Dreisatz und Prozentrechnung zumwesentlichen Prüfungsthema zumachen und dafür fünfmal mehr Punktezu vergeben als für die kaum noch relevante Geometrie. Ganz offenwurde heuer der Maturant mit Fragenzur österreichischen Einkommensteuerkonfrontiert als Verpackung für banaleProzentrechnung.

Die OECD-Agenda hat ihren PreisMehr als die ersten neun Schuljahresind für das Bestehen der Maturaeigentlich nicht nötig. Da könnte mandoch eigentlich gleich fachverbindendmaturieren: Im Fach Deutsch werdender Werbetext und das Tarifsystem fürein Smartphone sprachlich analysiert,für das Fach Englisch wird – mit auszu-füllenden Lückentexten, versteht sich –die Übersetzung gefordert undschließlich in Mathematik penibel eineReihe von Fragen zu den tatsächlichenMonatskosten, die hypothetische Userhaben, gestellt: Maturierung in prakti-scher Lebensführung.

Sowohl in Deutschland als auch inÖsterreich gilt politisch der OECD-Wille, die Abiturienten- und Maturan-tenzahlen nach oben zu treiben. Dashat seinen Preis. Da Textverarbeitungeinfacher ist als wirkliche Mathematik,gibt es nun immer mehr Text unddahinter immer weniger Mathematik.Das ist, medizinisch gesprochen, wieeine Fibrose, die funktionstüchtigesOrgangewebe durch funktionslosesBindegewebe ersetzt wie im Falle einerLeberzirrhose. Keine gute Prognose.

Hans-Jürgen Bandelt ist Professor fürMathematik an der Universität Ham-burg, Hans-Jürgen Matschull lehrt theo-retische Physik an der UniversitätMainz.

Quelle: faz.net 28.05.2016

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