492

Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)
Page 2: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

Springer-Lehrbuch

Page 3: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

Peter Flaschel · Gangolf GrohChristian Proano

KeynesianischeMakroökonomikUnterbeschäftigung,Inflation und Wachstum

Zweite, vollständig überarbeitete Auflage

123

Page 4: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

Professor Dr. Peter FlaschelDr. Gangolf GrohDipl.-Vw. Christian Proano

Universität BielefeldFakultät für WirtschaftswissenschaftenUniversitätsstraße 2533615 Bielefeld

[email protected]@[email protected]

ISBN 978-3-540-74858-8 e-ISBN 978-3-540-74859-5

Springer-Lehrbuch ISSN 0937-7433

© 2008, 1996 Springer-Verlag Berlin Heidelberg

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDieDeutscheNationalbibliothekverzeichnetdiesePublikation inderDeutschenNationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die derÜbersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funk-sendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung inDatenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Ver-vielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzender gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig.Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes.

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werkberechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinneder Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher vonjedermann benutzt werden dürften.

Umschlaggestaltung: WMX Design GmbH, Heidelberg

Gedruckt auf säurefreiem Papier

9 8 7 6 5 4 3 2 1

springer.de

Page 5: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

Vorwort zur zweiten Auflage

Wir haben mit der ersten Auflage dieses Buches zu zeigen versucht, dass in ih-rer Zeit stilbildende Lehrbucher der Makrookonomik, wie das von Dornbuschund Fischer (1995), Barro und Grilli (1994) und Mankiw (1994),1 in den da-mals vorliegenden Auflagen, keine integrierte Darstellung der Makrookonomikvon Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum bereitstellen und damit alsproblematische Einfuhrungen in diesen Themenkomplex angesehen werdenmussen. Zudem wird in diesen Buchern die keynesianische IS-LM Theorie vonOutput, Beschaftigung und Zins mehr oder weniger peripher behandelt (beiBarro und Grilli letztlich nur in einer Art Appendix), und es wird in der mittle-ren Frist die Rolle von Realzins-Effekten nur in verkurzter oder verstummelterForm behandelt, um sicherzustellen, dass Inflationsprozesse so ablaufen, dassmonetaristische Vorstellungen uber Geld und Inflation deckungsgleich mit de-nen der keynesianische IS-LM Theorie bleiben (obwohl dies modellorientiertgesehen nicht zutreffend ist). Und in der langen Frist gilt plotzlich die neo-klassische Wachstumstheorie, wo weder Geld noch Unterbeschaftigung nochInflation eine Rolle spielen. Die Konsequenz dieser separierten Sichtweise ist,dass alle drei Fristen der Makrookonomik stets stabile Anpassungsmuster auf-weisen und Realzins- (sog. destabilisierende Mundell-Effekte) und Reallohn-Wirkungsketten (die Lohn-Preis-Spirale) einfach ausgeblendet bleiben, somitgesamtwirtschaftliche Probleme eigentlich nur durch rigide Nominallohne inder kurzen und mittleren Frist entstehen konnen.

In der Zwischenzeit hat Olivier Blanchard (2006, 4te Auflage) ein bemer-kenswertes Lehrbuch publiziert, das IS-LM Analyse und darauf aufbauendeLohn-Preis-Dynamik wieder ins Zentrum der Modellierung ruckt und das einesehr lebendige Vielfalt von aktuellen Wirtschaftsanalysen liefert. Im Vorwortschreibt Blanchard zum theoretischen Gerust seines Buches diesbzgl.:

The book is built on one underlying model, a model that draws theimplications of equilibrium conditions in three sets of markets: the

1 Eine interessante Alternative zum Ansatz von Mankiw findet der Leser bei Abeland Bernanke (2005), vgl. hierzu auch Hall, Taylor and Papell (2005).

Page 6: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

VI Vorwort

goods market, the financial markets, and the labor market. Dependingon the issue at hand, the parts of the model relevant to the issue aredeveloped in more detail while the other parts are simplified or lurkin the background. But the underlying model is always the same.This way, you will see macroeconomics as a coherent whole, not acollection of models. And you will be able to make sense not only ofpast macroeconomic events, but also of those that unfold in the future(Blanchard, 2006, xiv).

Wir werden in unserem Buch auch in dieser Hinsicht zeigen, dass dies in Blan-chards Buch nicht realisiert wird, da er bei der mittleren Sicht, der Inflations-theorie, bei der Stabilitatsanalyse endogene Inflationserwartungen ausblendetund damit einen wichtigen (destabilisierenden) Feedback-Mechanismus, densogenannten Mundell-Effekt, der parallel zum Keynes-Effekt seine Wirkungdurch den Realzins-Kanal in der Investitionsfunktion entfaltet, ausblendet.Dies geschieht durch die extreme Annahme statischer Inflationserwartungen,eine Annahme, die noch mehr als adaptive Erwartungen, den Keynesianernseit Friedman (1968) immer als außerst naiv vorgehalten wurde. Und was dielange Sicht und die Wachstumstheorie angeht, so verwendet auch Blanchardhier – wie allgemein ublich – das neoklassische Solow Modell des Wirtschafts-wachstums, welches bei allem Wohlwollen nicht als IS-LM fundierte keynesia-nische Theorie des Wirtschaftswachstums angesehen werden kann, da es wederkeynesianische Geldnachfrage noch Investitionsverhalten der Firmen enthalt,sondern stattdessen rein realwirtschaftlich formuliert ist und von der von Key-nes negierten Gultigkeit des Sayschen Gesetzes ausgeht (d.h. kein Koordinati-onsproblem zwischen Investitionstatigkeit der Firmen und Sparverhalten derHaushalte kennt). Blanchards Buch ist deshalb genau wie seine oben genann-ten Vorganger von der Modellstruktur her gesehen eine nicht uberzeugende‘Synthese’ aus keynesianischer IS-LM Theorie (wo der Realzinseffekt sehr be-tont wird), monetaristischer Inflationstheorie (wo der Realzinseffekt fehlt) undneoklassischer Wachstumstheorie (wo alle keynesianischen Problemfelder aus-geblendet sind und einfach nur noch Vollbeschaftigung herrscht). Modellorien-tiert gesehen ist es deshalb im Wesentlichen eine neue Variante des Dornbuschund Fischer Analyserahmens, die zwar die extremen Positionen von Barro undMankiw wieder relativiert, aber eben in keiner Weise als integrierte Sicht vonBeschaftigungs-, Inflations- und Wachstumstheorie angesehen werden kann.

Analytisch gesehen ist damit kein einheitliches Modell in Blanchards Text-buch prasent, das auf seinem IS-LM Modell der kurzen Sicht korrekt aufbaut,auch nicht in verbaler Form. Insbesondere wird nicht thematisiert, dass – auchunter nichtpathologischen Bedingungen – also in der Nahe des Steady Stateder Wirtschaft, die Inflationsdynamik des privaten Sektors, ohne Zutun derGeldpolitik, instabil und insbesondere zyklisch akzelerierend sein kann, al-so Lohnrigiditaten oder der Anker einer aktiven Geldpolitik notwendig sind,um solche Prozesse nicht in einer Deflationsspirale oder einer Hyperinflati-on munden zu lassen. Daruberhinaus ist auch der balancierte Wachstumspfad

Page 7: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

Vorwort VII

von Blanchards Modellwelt durch eine monotone Anpassung der Kapitalinten-sitat an diesen Pfad gekennzeichnet, etwas was im IS-LM Wachstumsmodell,insbesondere in dieser Trivialitat, nicht gezeigt werden kann. Auch dort ist imAllgemeinem sowohl Fiskalpolitik als auch Geldpolitik notwendig, um nichtnur den Realzinskanal, sondern auch die Reallohnanpassung unter Kontrollezu halten.

Blanchards Buch, wie praktisch alle Textbucher zur Makrookonomik, igno-riert somit vollig, dass nicht nur in pathologischen Situationen, sondern auchim Normalfall des Wachstumsprozesses monetarer Okonomien, zentrifugaleKrafte insbesondere an den Guter- und Arbeitsmarkten prasent sein konnenund in angemessener Form auch auf dem Niveau eines Textbuches vermit-telt werden mussen, damit Probleme der Wirtschaftsdynamik auf der gesamt-wirtschaftlichen Ebene korrekt erkannt werden konnen. Stattdessen sind alleWirtschaftsprozesse, die Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum betref-fen, von der Behandlung pathologischer Situationen abgesehen, monoton kon-vergent und damit von der Wirtschaftspolitik bestenfalls in ihrer Konvergenzzu unterstutzen, jedenfalls aber nicht abzuandern.

Trotz aller Kritik ist unter den vorhandenen, ins Deutsche ubertragenenTextbuchern Blanchards Lehrbuch sicherlich mit Gewinn mit unserem Lehr-buch kombinierbar (oder umgekehrt unser Lehrbuch zur Erganzung und Ver-tiefung der Blanchardschen Analyse verwendbar), da es nicht wie Mankiwvon der Dominanz des neoklassischen Solow Models ausgeht und den Rest,also insbesondere die keynesianische IS-LM Analyse als nur kurzfristig re-levante Storung dieses realen Angebotsmodells weiter hinten abhandelt. BeiBlanchard ist keynesianische Guter- und Geldmarkttheorie wieder im Kernder Abhandlung (auch wenn ihre Implikationen fur die mittlere und langeSicht des Wirtschaftsgeschehens nicht echt herausgearbeitet werden). Zudemist die andere Zielsetzung seines Buches, detaillierten Kontakt zur Empirie derVergangenheit und Gegenwart herzustellen, in exzellenter Weise ausgefuhrt.Im Fazit sind deshalb das hier vorgelegte theorieorientierte Textbuch und dasBuch von Blanchard Komplemente, die gerade durch ihre Kontrastierung einewirklich integrierte Sicht und Interpretation gesamtwirtschaftlicher Prozesseund ihre Anwendung auf reale Fragestellungen ermoglichen sollten, weit wegvon den Standardmodellen, die die stark neoklassisch orientierten Lehrbuchervon Mankiw und in extremer From von Barro und Grilli zu vermitteln ge-trachtet haben.

Die zweite Auflage unseres Lehrbuchs ist im Hinblick auf das oben Erorter-te neu gegliedert worden. Der erste Teil ist nun durchgangig als ‘intermediateTextbook’ konzipiert und stellt deshalb unsere integrierte Sicht der Analysevon Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum nur in Ausblicken dar. Dievolle Synthese bleibt dem zweiten Teil vorbehalten, der als ’advanced’ ange-

Page 8: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

VIII Vorwort

sehen werden muss.2 Nichtsdestoweniger werden Studierende von Anfang andarauf vorbereitet, dass die Makrookonomik nicht so einfach ist, wie es uns einmonetaristisches Basismodell (oder seine Pseudo-IS-LM Fassung) hinsichtlichInflationsprozessen glauben machen wollen und dass erst recht das Solow Mo-dell des nichtmonetaren Vollbeschaftigungswachstums keine dem Gegenstanddes Buches, keynesianische Beschaftigungs-, Inflations- und Wachstumstheo-rie zu integrieren, angemessen Wachstumstheorie zur Verfugung stellt.

Daruberhinaus enthalt das Buch zahlreiche Ubungsaufgaben und Beispie-le von Multiple-Choice Klausuren (die unser Ko-Autor Christian Proano alsStudent zu erleiden hatte und als Tutor unterrichtete), die sich unseres Er-achtens uber die zehn Jahre seit Erscheinen der ersten Auflage dieses Buchesim Wesentlichen bewahrt haben, da sie einen – leider unerbittlichen – ob-jektiven Maßstab zur Beurteilung von richtig oder falsch liefern, auch wennnaturlich fehlgeleitete Lernstrategien, wie das Auswendiglernen von Tabellender komparativ-statischen Analyse, dadurch nicht verhindert werden konnen.

Wir hoffen sehr, dass die zweite Auflage dieses Buch wieder dazu beitragt,den ublichen Kanon der makrookonomischen Vorlesung sinnvoll zu erganzenund dass insbesondere damit erreicht wird, makrookonomische Wirkungsmus-ter den Studierenden korrekt und auch lebendig zu vermitteln, so dass wederreine Angebotstheorien noch reine Nachfragetheorien es leicht haben, wirt-schaftspolitische Zusammenhange zu vereinseitigen. Da dieses Buch eher furknappe, konsistente Modellierungen (intermediate oder advanced) anstelle vonverbal breiten, unter Umstanden aber zu viel Konkretheit und Vielfalt anstre-benden Texten steht, ist es anders als andere Lehrbucher in gewissem Ausma-ße bestrebt, Wirkungsketten der Makrotheorie abstrakt-logisch offenzulegen.Dies mag zunachst als schwieriger gelten, zahlt sich im Fortgang der Analyseaber dadurch aus, dass Annahmen und Implikationen letztlich leichter isolier-bar, nachvollziehbar und verbindbar werden, als wenn sie von einem Geflechtweiterfuhrender Aussagen partiell uberdeckt werden.

Bielefeld, Peter FlaschelJuli 2007 Gangolf Groh

Christian Proano

2 Weitere Lehrbucher dieser Art (oft aber mit deutlich anderer Ausrichtung) sindBlanchard and Fischer (1989), Karakitsos (1992), Leslie (1993), Scarth (1996),Hens und Strub (2004), Romer (2005) und Carlin und Soskice (2005).

Page 9: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

Vorwort zur ersten Auflage

Dieses Lehrbuch zur keynesianischen Makrookonomik hat sich zum Ziel ge-setzt, die gesamtwirtschaftliche Analyse der mittleren und langen Sicht unddamit die Grundlagen einer monetaren Konjunktur- und Wachstumstheoriein konsequenter und dennoch moglichst elementarer Weise durch sukzessiveErweiterungen aus der ublichen keynesianischen IS-LM-Analyse der kurzenSicht zu entwickeln. Es unterscheidet sich damit unseres Erachtens in signi-fikanter Weise von (fast) allen anderen Lehrbuchern zur Makrookonomik –im Hinblick auf die genannte Vorgehensweise wie auch im Hinblick auf eineReihe damit erzielter Ergebnisse uber die mittel- und langfristige Entwicklungvon Marktwirtschaften. Dies verdeutlicht insbesondere der Vergleich mit dreiprominenten Darstellungen der Makrookonomik in den Lehrbuchern von R.Dornbusch und S. Fischer (1995), von R. Barro und V. Grilli (1994) sowievon G. Mankiw (1994), die trotz oft gegenteiliger Ausrichtung alle drei beider Entwicklung dieses Lehrbuches einen wichtigen Referenz- oder Ausgangs-punkt abgegeben haben.

Unsere Darstellung steht grundsatzlich im Einklang mit dem Lehrbuchvon Dornbusch-Fischer (1995), was die Modellierung der kurzen und mittlerenSicht betrifft. Wir verwenden dieselben Annahmen wie dieses Buch, allerdingsohne dessen unzulassige Vereinfachung der Analyse der mittleren Sicht, beider Realzinseffekte kunstlich in nominelle Effekte und nachgelagerte Inflati-onseffekte zerlegt werden, um einen asymptotisch stabilen Anpassungsprozessim privaten Sektor wie im monetaristischen Inflationsmodell gewahrleisten zukonnen. Wir werden in diesem Buch zeigen, dass ohne diese Vereinfachungeine Reihe interessanter Phanomene fur die mittelfristige Entwicklung einerVolkswirtschaft aufgezeigt werden konnen, die bei Dornbusch und Fischer un-beachtet bleiben. Daruberhinaus ist die lange Sicht unseres Modellrahmensdurch eine Fortsetzung der Analyse der kurzen und mittleren Sicht gegebenund nicht, wie dies bei Dornbusch und Fischer geschieht (und generell ublichist), durch einen plotzlichen Wechsel des Modellrahmens hin zum neoklassi-schen Wachstumsmodell mit der ihm eigenen Analyse der kurzen, mittlerenund langen Sicht.

Page 10: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

X Vorwort

Dieser Kontrast (und aus unserer Sicht Widerspruch) in der ublichen Dar-stellung kurz- und langfristiger Modellanalyse findet im Lehrbuch von Mankiw(1994) eine besonders pragnante Darstellung. Hier ubernimmt die neoklassi-sche Wachstumstheorie die Rolle des grundsatzlichen Referenzrahmens, derlediglich weiter hinten durch eine keynesianische Analyse der kurzen Sichtauf Basis des konventionellen IS-LM Modells erganzt wird. GrundsatzlichesProblem ist hier, dass Mankiws Analyse der kurzen Sicht des neoklassischenWachstumsmodells (mit einer keynesianischen Sparfunktion) die Geldmarkt-analyse der weiter hinten dargestellten kurzen Sicht verschweigt und damiteine Inkonsistenz zulasst, die eigentlich dem Anspruch der modernen Ma-krookonomik fremd sein sollte.

Diese Inkonsistenz versuchen die Lehrbucher von Barro (1990) und vonBarro und Grilli (1994) zu vermeiden, indem sie sich weitgehend auf den sog.Marktraumungsansatz der makrookonomischen Theoriebildung beschrankenund das IS-LM Modell nur noch als historischen Anhang prasentieren. Kom-plette Mikrofundierung ist ein Muss dieses Ansatzes und dies heißt, dass stetsalle Budgetrestriktionen und Zielfunktionen der unterstellten reprasentativenWirtschaftssubjekte spezifiziert und ausgewertet sein sollten. Eine derarti-ge Vorgehensweise ist jedoch spatestens bei der Analyse von Unterbeschafti-gung bei Barro und Grilli nicht mehr prasent, so dass dieser Modellrahmen inder von diesen Autoren vorgelegten Form als inkonsequent angesehen werdenmuss, unabhangig davon, ob Arbeitslosigkeit unter das Marktraumungspara-digma subsumiert wird oder nicht.

Im starken Kontrast zur Einseitigkeit dieser im wesentlichen von Barrokonzipierten Lehrbucher schreibt Barro (1994) in einem Aufsatz fur das Eas-tern Economic Journal (S.4):

We have available, at this time, two types of internally-consistent mo-dels that allow for cyclical interactions between monetary and realvariables. The conventional IS/LM model achieves this interaction byassuming that the price level and the nominal wage rate are typicallytoo high and adjust only gradually toward their market-clearing va-lues. The market-clearing models with incomplete information get thisinteraction by assuming that people have imperfect knowledge aboutthe general price level.

Dies scheint Raum zu lassen fur eine keynesianische Theorie der mittleren undlangen Sicht (was heute keine Selbstverstandlichkeit mehr ist). Zu zeigen, dasseine solche Theorie auch auf Lehrbuchniveau moglich ist, ist die Aufgabenstel-lung, die wir uns mit diesem Text gestellt haben, allerdings ohne unzulassigeVereinfachungen und auch ohne ein Zusammenfugen von Theorien, die nichtmiteinander kompatibel sind.

Aus diesem Anspruch heraus ergibt sich zwangslaufig, dass dieses Lehr-buch kein auf das Grundstudium beschranktes Lehrbuch sein kann. Der In-tention nach ist es als studienbegleitender Text ausgelegt, der aber dennochin vieler Hinsicht Inhalte des Grundstudiums darstellt und deshalb etwa zur

Page 11: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

Vorwort XI

Halfte fur diese Zwecke geeignet ist. Auf dieser Basis sollte dann im Haupt-studium die notwendige Vertiefung und Erganzung der Materie mittels derweiterfuhrenden Abschnitte dieses Lehrbuchs erfolgen. Wir haben uns dabeibemuht, andere Denk- und Vorgehensweisen in diesen Text zu integrieren undmit dem von uns gewahlten Ansatz zu kontrastieren.

Nicht unerwahnt lassen wollen wir an dieser Stelle das Lehrbuch von U.Westphal (1994), welches unseres Erachtens gewinnbringend mit dem hier vor-liegenden Text verbunden werden kann. Dieses Lehrbuch zeigt exemplarisch,dass empirisch orientierte Darstellungen der Makrookonomik zu Ergebnissengelangen, die mit den unsrigen verwandt sind, auch wenn der empirisch ori-entierte Ansatz eher (naturgemaß) zu einer Vielfalt von makrookonomischenStrukturvorstellungen fuhrt, statt sich in einem engen, in sich abgestimmtenModellierungsrahmen fur die kurz-, mittel- und langfristgen Analyse gesamt-wirtschaftlicher Prozesse zu bewegen.

Da dieses Lehrbuch in einer bestimmten Denktradition konsequent seinmochte und andere Lehrbuchansatze – so hoffen wir – begrundet kritisiert,muss es naturlich auch fur die Kritik von anderer Seite offen sein. Wir wurdenuns uber alle Stellungnahmen zum hier vorgestellten integrierten Ansatz zueiner keynesianischen Theorie der kurzen, mittleren und langen Sicht sehrfreuen, in der Hoffnung, dass damit eine gelungenere zweite Auflage diesesBuches ermoglicht wird.

Unser Dank schließlich gilt insbesondere Dr. Matthias Raith und Dr. KlausReimer, die dieses Lehrbuch in Teilen kritisch gelesen und zu seiner Klarheitbeigetragen haben und Frau Muller-Schafferling, die aus unseren beiden Hand-schriften ein Latex Dokument erstellt hat. Fur alle verbleibenden Mangel inKonzeption und Ausarbeitung dieser keynesianisch orientierten Makrotheorietragen naturlich die Autoren dieses Buches die Verantwortung.

Bielefeld, Peter FlaschelJuni 1996 Gangolf Groh

Page 12: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur zweiten Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V

Vorwort zur ersten Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX

1 Einleitendes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 Methodische Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Ein fruhes theoriegeschichtliches Beispiel makrookonomischer

Modellbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31.3 Das Markte/Sektoren-Schema der heutigen

makrookonomischen Theoriebildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101.4 Keynesianische Theorie der Unterbeschaftigung, der Inflation

und des Wachstums: Eine systematische Einfuhrung . . . . . . . . . 151.5 Variable und Parameter der Makrotheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

Teil I Grundlagen der Makrookonomik

2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik 252.1 Das neoklassische Basismodell des temporaren Gleichgewichts . 25

2.1.1 Wirtschaftspolitik: so einfach? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252.1.2 Arbeits– und Geldmarkt im neoklassischen Basismodell 402.1.3 Das Saysche Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522.1.4 Das Gesamtmodell. Komparative Statik . . . . . . . . . . . . . . 572.1.5 ‘Freiwillige’ (und friktionelle) Arbeitslosigkeit . . . . . . . . 602.1.6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

2.2 Die Keynes’sche Kritik des neoklassischen Basismodells . . . . . . . 672.2.1 Says Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 672.2.2 Ein Keynes–Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 732.2.3 Eine Modifikation des Keynes’schen Basismodells . . . . . . 772.2.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82

2.3 Zur heutigen Bedeutung prakeynesianischer Makrookonomik . . 82

Page 13: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

XIV Inhaltsverzeichnis

2.3.1 Analyse der kurzen Sicht: Unterbeschaftigung . . . . . . . . . 832.3.2 Analyse der mittleren Sicht: Inflation . . . . . . . . . . . . . . . . 862.3.3 Analyse der langen Sicht: Wachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . 872.3.4 Walrasianische Marktraumungsansatze . . . . . . . . . . . . . . . 89

3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht . . . . . 973.1 IS–LM–Analyse als Verallgemeinerung walrasianisch/

neoklassischer Makrookonomik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 973.2 Ein einfaches IS-LM-Modell mit Staatssektor . . . . . . . . . . . . . . . . 101

3.2.1 Anhang 1: Wertpapierkurse und Geldnachfrage . . . . . . . . 1173.2.2 Anhang 2: Zur Stabilitat des IS–LM–Gleichgewichts . . . 122

3.3 Komparative Statik I: Multiplikatoreffekte und Fiskalpolitik . . 1233.4 Außenhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1343.5 Komparative Statik II: Geld- und Fiskalpolitik . . . . . . . . . . . . . . 1383.6 Außenhandel und Kapitalverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1453.7 Wechselkurserwartungen und uberschießende Wechselkurse . . . 1553.8 Probleme keynesianischer Globalsteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

3.8.1 Permanenteinkommens–Hypothese und Multiplikator–Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161

3.8.2 Lebenszyklus–Hypothese und Vermogens–Effekte . . . . . . 1633.8.3 Das Barro-Ricardianische Aquivalenztheorem

zwischen Steuer– und Schuldenfinanzierung . . . . . . . . . . . 1643.8.4 Wirkungsverzogerungen und Stabilisierungspolitik . . . . . 1673.8.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169

3.9 Diverse Zusatzuberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1703.9.1 Geschaftsbanken und endogenes Geldangebot . . . . . . . . . 1703.9.2 Die traditionelle neoklassische Synthese . . . . . . . . . . . . . . 1733.9.3 Nichtwalrasianische Rationierungsmodelle . . . . . . . . . . . . 1773.9.4 Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung im

IS–LM–Modell der offenen Volkswirtschaft . . . . . . . . . . . . 180

4 Konventionelle Analysen von Inflation undWachstumsprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1874.1 Textbuch-Inflationstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188

4.1.1 Stabile Marktprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1884.1.2 Geldpolitisches Versagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1914.1.3 Akzelerierende Inflation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

4.2 Textbuch-Wachstumstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1954.2.1 Kapitalakkumulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1954.2.2 Naturliches Wachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

4.3 Ausblick: Die Keynesianische Theorie der Beschaftigung,der Inflation und des Wachstums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199

Page 14: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

Inhaltsverzeichnis XV

Teil II Makrookonomik fur Fortgeschrittene

5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht . . . . . . . . 2035.1 Output, Inflation und Inflationserwartungen: Grundbausteine . 204

5.1.1 Der Monetarismus und die Quantitatstheorie desGeldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

5.1.2 Die Lohn–Phillipskurve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2105.1.3 Der Output–Beschaftigungs–Zusammenhang:

Okuns Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2155.1.4 Aggregiertes Angebot und die Preis–Phillipskurve . . . . . 2185.1.5 Inflationserwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

5.2 Das monetaristische Basismodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2255.2.1 Kurz-, mittel- und langfristige Implikationen des

monetaristischen Basismodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2315.2.2 Monetaristisches und neoklassisches Basismodell:

Ein Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2385.2.3 Neuklassische Makrookonomik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240

5.3 Die IS-LM-Variante des monetaristischen Basismodells . . . . . . . 2465.3.1 Die dynamische AD-Kurve (DAD) und der

Keynes-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2465.3.2 Die dynamische AS-Kurve (DAS) und der

Output–Inflation–Tradeoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2485.3.3 Die ‘keynesianische’ Form des monetaristischen

Basismodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2495.3.4 Inflationserwartungen und Realzinseffekte:

Der fehlende Mundell-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2525.3.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255

5.4 IS-LM-Analyse der mittleren Sicht: Das IS-LM-PC Modell . . . . 2565.4.1 Das korrekt erweiterte IS-LM-Modell: Lohninflation

und Inflationserwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2565.4.2 Dynamische Analyse des IS-LM-PC Modells . . . . . . . . . 2585.4.3 Dynamische Analyse des IS-LM-PC Modells mit einer

‘geknickten’ Lohn-Phillips Kurve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2615.4.4 Moderne Geldpolitik: Direkte Zinssteuerung . . . . . . . . . . 2695.4.5 Kurz- und Langfrist-Zinsen im IS-LM-PC Modell . . . . . . 2745.4.6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281

5.5 Die NAIRU und der Verteilungskonflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2825.5.1 Definitionen der NAIRU. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2825.5.2 Eine alternative Sicht des Lohn–Preis–Sektors . . . . . . . . . 2845.5.3 Monetaristische Dynamik bei nichtmonetaristischem

Steady State . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2885.5.4 IS-LM-PC Dynamik und die nichtmonetaristische

NAIRU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2915.5.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294

Page 15: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

XVI Inhaltsverzeichnis

5.6 Mittelfristige Analyse kleiner offener Volkswirtschaften . . . . . . . 2955.6.1 Uberschießende Wechselkurse im IS–LM–PC Modell . . . 2955.6.2 Verzogerte Outputanpassung und Wechselkursdynamik . 305

6 Keynesianische Wachstumstheorie: Die lange Sicht . . . . . . . . 3136.1 Wachstumstheorie im Gefolge von Keynes’ ‘Allgemeiner

Theorie’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3136.1.1 Harrod– und Domarsche Wachstumstheorie:

Akzelerierendes Wachstum und persistente Depression . 3146.1.2 Solowsche Wachstumstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3196.1.3 Fazit: Textbucher – Endstation Solow–Modell? . . . . . . . . 323

6.2 Das IS-LM-PC Modell als Wachstumsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . 3236.2.1 Bekannte Strukturen und neue Aspekte . . . . . . . . . . . . . . 3236.2.2 Das IS–LM–PC–Wachstumsmodell in intensiver Form . . 3276.2.3 Steady-State-Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3296.2.4 Stabilitatsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3356.2.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339

6.3 Lohn- und Preisdynamik: Die Reallohn–Wirkungskette . . . . . . . 3406.3.1 Problematische Aspekte des IS–LM–PC

Wachstumsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3406.3.2 Eine allgemeine Fassung des Lohn–Preis–Sektors . . . . . . 3426.3.3 IS-LM-PC Dynamik: Eine erneute Betrachtung . . . . . . . . 3456.3.4 Faktorsubstitution im IS-LM-PC–Modell . . . . . . . . . . . . 348

6.4 Reale Konjunkturzyklen und endogenes Wachstum . . . . . . . . . . 3516.4.1 Die neoklassische Theorie realer Konjunkturzyklen . . . . . 3516.4.2 Keynesianische Theorie realer Konjunkturzyklen:

Ein Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3556.4.3 Endogenes Wachstum im neoklassischen

Wachstumsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3616.4.4 Endogenes Wachstum im IS-LM-PC Modell . . . . . . . . . . . 3656.4.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371

7 Ausblick: Gereifter Keynesianismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3737.1 Keynes’ ‘Notes on the Trade Cycle’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3747.2 Neoklassische Synthesen: Keynes und die Klassik . . . . . . . . . . . . 3787.3 Textbook-Keynesianismus: Das logische Versagen

der alten neoklassischen Synthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3807.3.1 Das Modell der alten neoklassischen Synthese . . . . . . . . . 3807.3.2 Intensive Form und Steady State Bestimmung . . . . . . . . 3837.3.3 Neoklassische reale Wachstumsdynamik . . . . . . . . . . . . . . 3847.3.4 Nominelle Anpassungsprozesse und die Methode

der rationalen Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3857.3.5 Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387

7.4 Der Neu-Keynesianismus: Determiniertheits-Problemeder Neuen Neoklassischen Synthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389

Page 16: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

Inhaltsverzeichnis XVII

7.5 IS-LM-2PC Ungleichgewichtsanalyse: ’Baseline’ Szenarien . . . . 3937.5.1 Die Lohn-Preis Spirale im dynamischen AD-Modell . . . . 3947.5.2 Das gereifte altkeynesianische AD-AS Modell . . . . . . . . . 397

Teil III Ubungsmaterialien

8 Ubungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4078.1 Ubungsaufgaben 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4078.2 Ubungsaufgaben 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4108.3 Ubungsaufgaben 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4148.4 Ubungsaufgaben 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4168.5 Ubungsaufgaben 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4198.6 Ubungsaufgaben 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4218.7 Ubungsaufgaben 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4238.8 Ubungsaufgaben 8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4268.9 Ubungsaufgaben 9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4308.10 Ubungsaufgaben 10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4328.11 Ubungsaufgaben 11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4348.12 Ubungsaufgaben 12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437

9 Multiple-Choice Klausuraufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4419.1 Multiple Choice: Ein eindeutiges Klausurprinzip . . . . . . . . . . . . . 441

9.1.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4419.1.2 Multiple-Choice Klausur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443

9.2 Multiple Choice Klausurbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4519.2.1 Version 1a (1996) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4519.2.2 Version 1b (1996) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4579.2.3 Version 2a (2006) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4639.2.4 Version 2b (2006) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473

Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479

Page 17: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

1

Einleitendes

1.1 Methodische Vorbemerkungen

Okonomische Theoriebildung kann partial– oder totalanalytischer Natur sein,und sie kann als Mikro– oder Makrotheorie firmieren.

Partialanalyse kann sich auf eine einzelne Firma, einen Industriezweig oderden gesamten Sektor der Unternehmungen beziehen und betrachtet damitSegmente einer ganzen Volkswirtschaft auf unterschiedlicher Aggregations-stufe. Partialanalyse wird in der Regel versuchen, das Verhalten von Wirt-schaftssubjekten, hier von Firmen, darzustellen und (bei empirischem Bezug)zu erklaren. Sie betrachtet oder postuliert fur das von ihr analysierte Wirt-schaftssubjekt Ziele (Zielfunktionen) und Mittel (Restriktionen), innerhalbderer diese Ziele verfolgt werden konnen, und sie versucht uber unterstelltesOptimierungsverhalten, geplante Aktionen der Wirtschaftssubjekte herzulei-ten und zu verstehen.

Totalanalyse versucht demgegenuber bekanntes oder neues Partialwissenzu einem Ganzen zusammenzusetzen und das Ergebnis der Interaktion derTeile herzuleiten sowie unter Umstanden die Rolle des ‘Ganzen’ fur das Ver-halten der Teile zu durchdenken. Totalanalyse kann (wie auch Partialanalyse)kurz–, mittel– und langfristiger Natur sein, sie kann also temporare gesamt-wirtschaftliche Gleichgewichts– oder Ungleichgewichtslagen zum Gegenstandhaben (Kurzfristanalyse), sie kann eine partielle Veranderung dieser Kurzfrist–Positionen in der Zeit untersuchen (was hier als mittelfristige Analyse be-zeichnet werden soll), und sie kann versuchen, langfristig gultige Wachstums-gleichgewichte zu bestimmen (sog. Steady–State–Analyse), um die herum dieWirtschaft schwankt oder denen sie sich sogar annahert. Totalanalyse kannschließlich auch (als allgemeine Gleichgewichtstheorie) die genannten Sichtenin einem Schlag behandeln und die Ergebnisse wirtschaftlichen Handelns uberalle Sichten hinweg wie aus einem Guss bestehend bestimmen.

Mikro– und Makrotheorie konnen als Partialanalyse oder als TotalanalyseAnwendung finden, wobei Mikrotheorie in der Regel die obige Ziel–Mittel–Analyse als Fundament aufweist, wahrend Makrotheorie (auch heute noch

Page 18: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2 1 Einleitendes

zumeist und insbesondere in der Lehrbuchliteratur) partialanalytisch gewon-nene Einsichten uber Determinanten ganzer Aggregate (sektorale Nachfrage–und Angebotsfunktionen) zum Ausgangspunkt nimmt, um die Interdependenzdieser Determinanten beim Abstimmungsprozess zwischen diesen Aggregatenzu erfassen und daraus ihre Gleichgewichts– oder Ungleichgewichtswerte zuerrechnen. Mikrofundierung ganzer Sektoren (weg von nur partialanalytischgultigen Aussagen uber dieselben) und auch die Analyse von strategischemVerhalten reprasentativer Wirtschaftssubjekte ist heute fur viele im Bereichder Makrotheorie arbeitende Wissenschaftler ein ‘Essential’ geworden und furmanche sogar ein ‘Muss’, ohne das sie makrookonomische Analyse nicht mehrakzeptieren wollen. Dieser Typ ‘Makrotheorie’ wird als ‘mikrofundierte Ma-krotheorie’ bezeichnet, wahrend Makrotheorie, die hinsichtlich ihrer Sektorenund deren Verhaltensweisen auf diversen partialanalytischen Einsichten be-ruht, in diesem Kontext als ‘ad hoc’ gilt.

Es ist hier nicht der geeignete Platz, um uber die Sinnhaftigkeit von makroad hoc Annahmen zu streiten (oder auch uber die Sinnhaftigkeit von mikroad hoc Annahmen), da Makrotheorie in diesem Buch ja erst noch entwickeltwerden soll. Positiv gewendet kann man sagen, dass es in der Makrotheoriewie in der Mikrotheorie Traditionen gab und gibt, auf gewissen akzeptier-ten (eben tradierten) Annahmen aufbauend neuartige Ergebnisse herzuleitenund somit bekannte Strukturelemente in neuer Weise zu kombinieren undin dieser Kombination auszuwerten. Ein Vorteil der ad hoc mittels gewissenVerhaltensgleichungen operierenden Makrotheorie ist hier, dass sie schnel-ler zu Gesamtbildern oder –modellen gewisser Volkswirtschaften aus kurz–,mittel– und langfristiger Sicht vorstoßen kann, da eben nicht jedesmal einaufwendiger Optimierungs– und Aggregationsprozess z.B. fur den Firmensek-tor in Gang gesetzt werden muss, um sauber mikrofundierte Gesamtbilder derVolkswirtschaft zu erhalten. In Umkehrung des Schlagworts der ‘mikrofundier-ten Makrotheorie’ konnte man hier von einer ‘makrofundierten Mikrotheorie’sprechen, da in diesem Kontext moglichst vollstandige und allgemein nach-vollziehbare (mathematische Methoden benutzende) Beschreibungen gesamterVolkswirtschaften und ihrer Entwicklung in der Zeit zu erstellen sind. Diesevollstandigen Beschreibungen liefern einen Referenzrahmen, den Mikrotheoriedann zum Ausgangspunkt nehmen kann und den sie untermauern wie auchin Frage stellen mag.

Dieses Buch liefert einen solchen vollstandigen, in sich abgestimmten Re-ferenzrahmen zur Analyse der Evolution einer ganzen Volkswirtschaft (im all-gemeinen geschlossener Natur). Es ist deshalb dem Aspekt der ‘Makrofundie-rung’ verpflichtet und versucht in noch zu klarenden Fachworten ausgedruckt,das kurzfristige keynesianische IS–LM–Modell um den Lohn–Preis–Sektor (diemittlere Sicht) und um Wachstum (die lange Sicht) mittels tradierter Bau-steine so zu erweitern, dass daraus eine geschlossene (wenn auch elementare)keynesianische Theorie einer Geldwirtschaft mit Inflation und Wachstum ent-steht. Damit entsteht ein Gesamtbild einer monetaren Okonomie, das unseresErachtens in der Literatur so noch nicht existiert.

Page 19: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

1.2 Ein Beispiel makrookonomischer Modellbildung 3

Kontrastiert werden die Ergebnisse der einzelnen Entwicklungsstufen unse-res keynesianischen Modells der kurzen, mittleren und langen Sicht ferner mitalternativen Denkansatzen wie der Neuklassik, nichtwalrasianischen Rationie-rungsmodellen (neokeynesianische Ansatze), der Real-Business-Cycle Theoriesowie neoklassischen Modellierungen des endogenen Wachstums.

Unser Thema in diesem Buch ist also das ‘Zuendedenken’ der keynesia-nischen Lehrbuch-Theorie des temporaren Gleichgewichts, so dass weder dieTheorie der mittleren Sicht, also die Analyse der Lohn–Preis–Dynamik, nochdie Theorie der langen Sicht, die Untersuchung des Wachstums der Produkti-onsfaktoren und des Outputs, aus anderen (neoklassischen) Modellkonstruk-tionen, entlehnt werden muss. Unser Ziel ist demnach eine keynesianisch ori-entierte, makrofundierte Totalanalyse der Bestimmung von Volkseinkommenund Beschaftigung, Lohn– und Preisinflation sowie Wachstum, die dem Leserein derartiges Gesamtbild in Form eines mathematischen Modells vermittelt,ohne auf Partialanalyse und Mikrotheorie viel Rucksicht zu nehmen. Letz-teres sind wichtige und unumgangliche Notwendigkeiten beim Ausbau undgegebenenfalls auch Umbau des hier vorgestellten ‘Weltbildes’, sind aber fursich genommen, ohne eine solche strukturierende Vorstellung vom gesamtenWirtschaftsprozess, orientierungslos und auch ohne Angriffspunkt. Die Auto-ren dieses Buches hoffen, dass sich der Leser am Ende dieses Buches diesenmethodischen Vorbemerkungen bis zu einem gewissen Grad anschließen kannund sich dann dazu angestoßen fuhlt, das bis dahin Entwickelte mikrofun-diert auf bessere Fundamente stellen zu wollen oder von anderen zu lernen,wie dies bewerkstelligt werden kann, ohne dass auf eine Gesamtmodellierungder Volkswirtschaft, wie die hier vorgestellte, einfach wieder verzichtet wird.

1.2 Ein fruhes theoriegeschichtliches Beispielmakrookonomischer Modellbildung

Wir wollen in diesem Abschnitt die vorangegangenen, sehr allgemeinen Uber-legungen an einem prominenten Beispiel aus der okonomischen Theoriege-schichte verdeutlichen. Dieses Beispiel eines gesamtwirtschaftlichen Makro-modells verdeutlicht außerdem, dass eine solche Makrotheorie auch Elementeeiner Ideologie aufweisen kann, was hier aufgrund des großen zeitlichen Ab-stands zu diesem Typ ‘Volkswirtschaftstheorie’ dem Leser festzustellen nichtschwerfallen durfte. Als Konsequenz daraus ergibt sich die Frage, inwieweitdies bei heutiger Makrotheorie auch noch der Fall sein kann, so z.B. bei derin diesem Buch vorgestellten keynesianischen Makrotheorie.

Das hier darzustellende und zu erlauternde gesamtwirtschaftliche Modellstammt von Francois Quesnay (1694 – 1774), dem Leibarzt der Madame Pom-padour am Hofe des Konigs Ludwig XV. Quesnay, das anerkannte Haupt dersog. Physiokraten, trug 1758 dem Konig selbst sein ‘Tableau Economique’vor, ohne dort jedoch Verstandnis zu finden. Dieses ‘Tableau Economique’

Page 20: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

4 1 Einleitendes

war dem animalischen Blutkreislauf, den der englische Arzt Harvey 1623 ent-deckt hatte, nachempfunden und sollte den Typ eines gesunden okonomischenKreislaufs darstellen, den Quesnay mit dem desolaten Zustand der franzosi-schen Wirtschaft seiner Zeit kontrastieren wollte.1

Bei der Aufstellung seines ‘Tableau Economique’ unterschied Quesnay zweiSektoren: Agrikultur und Manufaktur (einschließlich Handel und Dienstleis-tungen) und drei soziale Klassen: Eigentumer, Unternehmer und Arbeiter.In seinem okonomischen Schema aggregierte er jedoch weitergehend, indemer Unternehmer und Arbeiter in der Landwirtschaft zur ‘produktiven Klas-se’ zusammenfasste, Unternehmer und Arbeiter im Bereich von Handel undManufaktur zur ‘sterilen Klasse’ und Eigentumer (neben Herrscher und Zehn-therren) nur als ‘Grundeigentumer’ zur Kenntnis nahm. Anstelle eines Sche-mas mit zwei Wirtschaftssektoren und drei Typen von Wirtschaftssubjektensind damit drei Klassen innerhalb der Gesellschaft identifiziert worden unddurch die gewahlte Terminologie auch noch in ihrer okonomischen Funktionbewertet worden.

Bei der jetzt folgenden Anwendung dieser Einteilung ist zu beachten, dassdas darauf aufgebaute ‘Tableau Economique’ einen Idealzustand beschreibensoll, der als wirtschaftspolitischer Vorschlag an die herrschende Klasse derEigentumer (Herrscher, Grundbesitzer und Zehntherren) gerichtet war. DasTableau sollte damit einen ‘state of bliss’ darstellen, in dem Frankreich an-stelle seiner damaligen zerrutteten Wirtschafts– und Finanzstruktur auf denhochsten Stand der Produktivitat gebracht ist.

Das von Quesnay ursprunglich gezeichnete ‘Tableau Economique’ sah wiefolgt aus (vgl. Abb. 1.1.).2 Dieses Tableau versucht in einer Art Zick–Zack–Schema die Transaktionen zwischen den drei von Quesnay unterschiedenenKlassen darzustellen, so dass im Ergebnis ein geschlossener Kreislauf ent-steht, der sich Jahr fur Jahr wiederholt und damit einen stationaren Zu-stand beschreibt. Quesnays komplizierte Darstellung dieses Sachverhalts lasstsich mittels heutiger Darstellungsmethoden von Wirtschaftskreislaufen deut-lich vereinfachen, was im folgenden auf zwei Arten, die auf unterschiedlicherAggregationsebene angesiedelt sind, geschehen soll (vgl. Tabelle 1.1.,1.2.).

Quesnays Tableau erfasst primar Strome oder Stromgroßen zwischen dendrei Klassen oder, im Sinne unserer folgenden Darstellung: Polen, der betrach-teten Makrookonomie. Solche Stromgroßen besitzen einen Ausgangspunkt undeinen Endpunkt, weisen also eine Richtung auf, haben einen bestimmten Zahl-wert, die Stromstarke, und beziehen sich auf einen bestimmten Zeitraum, derin bezug auf den Agrarbereich als (wie oben gesehen) zentralem Sektor ambesten durch ‘1 Jahr’ wiedergegeben wird. Als Richtung und Starke wollenwir im Folgenden die monetaren Strome zwischen den drei Klassen oder Po-len ausweisen, denen im gleichen Umfang Guterstrome entgegengerichtet sind,

1 Weiteres hierzu findet man bei Hofmann (1971, S.33 ff.).2 Aus: M. Kuczynski und R. Meek (Hrsg.) Quesnay’s Tableau Economique. London:

Macmillan, 1972.

Page 21: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

1.2 Ein Beispiel makrookonomischer Modellbildung 5

Abb. 1.1. Francois Quesnay: Tableau Economique

sofern es sich nicht um Transferleistungen, also Einkommensstrome ohne di-rekte Gegenleistung, hier an die Eigentumer von Grund und Boden (nebstStaat und Kirche) handelt. Mittels solcher Hilfsmittel lasst sich das ‘TableauEconomique’ von Quesnay wie folgt vereinfacht darstellen:3

Diese Darstellung von Quesnays Tableau ist zwar sicherlich einfacher alsdas Original, aber in ihrer Struktur noch nicht zu transparent, wie wir spaterdeutlicher sehen werden.

Zum Verstandnis des oben Dargestellten wollen wir kurz einige allgemeineBegriffe solcher Kreislaufdarstellungen heranziehen. So versteht man unter ei-

3 Wir ignorieren hier die Einheit, in der diese monetaren Strome gemessen werden(‘livres’).

Page 22: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

6 1 Einleitendes

Abb. 1.2. Das Tableau Economique in Poldarstellung (P = Produktive Klasse, B =Besitzende Klasse, S = Sterile Klasse, A = Agarprodukte, H = Handwerksprodukte(etc.), C = Konsumtive Ausgaben, V = Vorleistungen (Saatgut, etc.), IM = Import,EX = Export)

nem (offenen) Kreislauf ein Netzwerk von Stromen zwischen einer gegebenenZahl von Polen, so dass von und zu jedem Pol wenigstens ein Strom fliesstund alle Pole direkt oder indirekt miteinander verbunden sind. Diese Defini-tion eines Kreislaufs ist im obigen Fall ganz offensichtlich erfullt. Ein solcherKreislauf wird als geschlossen bezeichnet, wenn in jedem Pol die Summe allerAbstrome gleich der Summe aller Zustrome ist. Dies wird oft als Kreislau-faxiom bezeichnet. Auch dieses Charakteristikum ist bei dem obigen Schemaerfullt, wie jetzt im einzelnen kurz darzustellen ist:

Klasse der Eigentumer (Herrscher, Kirche, Grundbesitz):4 Wert der(externen) Zustrome: 1050 (Bodenrente, Quelle der Steuern fur Staat undKirche). Wert der (externen) Abstrome: 525 + 525 = 1050 (Kauf von Agrar–und Manufakturwaren).

Produktive Klasse (Agrikultur, Pachter und Arbeiter): Wert der Zu-strome: 525 + 1050 + 1050 = 2625 (Agrarprodukte an die Klasse der Ei-gentumer und die sterile Klasse sowie Eigenverbrauch als Vorleistungen (‘Saat-gut’) und Konsum). Wert der Abstrome: 1050 + 525 + 1050 = 2625 (Transfer-zahlungen an die Klasse der Besitzenden, Konsum von Handwerksproduktenund erneut der Eigenverbrauch dieses Sektors).

Sterile Klasse (Handwerk, Handel, Manufaktur): Wert der Zustrome:525 + 525 + 263 (Verkaufe an die besitzende Klasse und den Agrarsektor

4 Wurden die Eigentumer weniger als 1050 Werteinheiten konsumieren und denRest als Geldvermogen horten, so ware der obige Kreislauf nicht mehr ein ge-schlossener Kreislauf und auf Dauer nicht reproduktionsfahig.

Page 23: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

1.2 Ein Beispiel makrookonomischer Modellbildung 7

sowie Eigenverbrauch). Wert der Abstrome: 1050 + 263 (Kaufe von Vorleis-tungsgutern (Rohstoffe) und Konsumgutern im Agrarsektor und Eigenver-brauch).

Das obige Netzwerk von Stromen weist neben den soeben betrachtetenStromen am Rande noch zwei weitere Stromgroßen und damit zumindest im-plizit noch einen weiteren Pol auf, den Handel mit dem Ausland. Hier werdenbei ausgeglichener Handelsbilanz 263 Werteinheiten Manufakturwaren expor-tiert und dementsprechend 263 Werteinheiten auslandische Produkte impor-tiert, findet also im Manufakturbereich noch eine Art Produkttransformationdurch Handel mit dem Ausland statt. Diese Erganzung zeigt, dass ein ge-schlossener Kreislauf als Hintergrund nicht eine geschlossene Volkswirtschaftaufweisen muss.

Wir haben den obigen Kreislauf so dargestellt, dass er keine Bestandeoder Bestandsgroßen aufweist. Unter Bestandsgroßen werden Maßgroßen ver-standen, deren Wert zu einem bestimmten Zeitpunkt ermittelt wird, wie z.B.der Jahresanfangsbestand an Lagerhaltung oder Maschinen. Fertigwarenla-ger oder Kapitalakkumulation (Wachstum des Maschinenparks) finden so-mit in Abbildung 1.1. keine Berucksichtigung. Als Produktionsmittel werdenhier nur Rohstoffe (Saatgut, Rohmaterialien des Handwerks u.a.m.) in derBetrachtung zugelassen, die als Vorleistungen fur Endprodukte im Verlaufedes Jahres produziert und produktiv konsumiert werden. Der obige Kreislaufkann damit zusatzlich als stationarer Kreislauf angesehen werden, der sich(einschließlich seiner Guternachfragestruktur) Jahr fur Jahr wiederholt oderwiederholen kann.

Quesnay unterstutzte eine Wirtschaftspolitik des ‘laissez–faire’ und derSteuerreform. Er glaubte, dass erstere Politik anstelle einer Politik der nied-rigen Getreidepreise die Landwirtschaft uber hohere Preise profitabler undproduktiver machen wurde und in Verbindung mit einem einfachen Steuer-system (anstelle des vorhandenen Wildwuchses insbesondere von indirektenSteuern) die franzosische Agrikultur naher an die Fortschritte der englischenheranfuhren wurde. Eine Befreiung der produktiven Klasse von vielfaltigenkontraproduktiven Steuerlasten und die Einfuhrung einer einzigen Steuer (furStaat und Kirche) auf die Grundrente der Grund– und Bodenbesitzer ver-suchte er den drei Gruppen der herrschenden Klasse dadurch schmackhaftzu machen, dass er auf dieser Basis prognostizierte, dass durch diese Befrei-ung des Agrarsektors von Reglementierungen und Steuerlast (in diesem) Pro-duktivitat und Profitabilitat so gesteigert wurden, dass dadurch die Klasseder Besitzenden sich letztendlich nicht schlechter als zuvor stellte. Dies solltedurch seine Zahlenbeispiele insbesondere belegt werden. Demgegenuber spiel-te er die Bedeutung der von ihm als steril benannten Klasse herunter (diein seiner Vorstellung lediglich gewisse Gutertransformationen bewerkstelligte,ohne selbst Wert zu schaffen). Diese Einstellung den Produzenten außerhalbder Landwirtschaft gegenuber ist aus okonomischer Sicht heute nicht mehrrechtfertigbar und mag darauf beruht haben, dass Quesnay gewisse enge Ver-

Page 24: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

8 1 Einleitendes

bindungen (oder Verfilzungen) zwischen besitzender und ‘steriler’ Klasse mitArgwohn betrachtete.

Quesnays Zahlenbeispiele des Wirtschaftskreislaufs einer Gesellschaft imUbergang von einer spatfeudalen zur erwerbswirtschaftlichen Ordnung wurdenvon ihm in spateren Formulierungen seines Tableaus numerisch vergroßert, umeben darzustellen, dass sich jedermann bei solchen Veranderungen nur bes-ser stellen wurde. Begleitet waren diese Zahlenbeispiele von Erlauterungenund 30 Maximen, worin die okonomische Programmatik der Physiokraten de-taillierter, als wir es eben angedeutet haben, dargelegt wurden. Diese Maxi-men wurden wir heute als komparativ–statische Ubungen bezeichnen, die alledie Intention verfolgten (ohne allerdings zwingend zu sein), zu verdeutlichen,dass jedwede Abweichung von dem durch das Tableau beschriebenen Zustandzwangslaufig mit Nachteilen verbunden sei. Wie schon gesagt, standen dabeiinsbesondere Anderungen im Preis des landwirtschaftlichen Produkts und derMethode der Steuererhebung zur Debatte.

Quesnays Modell versucht damit, den Steady–State einer Volkswirtschaftauf Makroebene zu erfassen und die Optimalitat dieses Steady State zu be-grunden. Er hat damit ein erstes, sicherlich grobes Bild einer Okonomie ent-worfen, indem er sie spezifisch strukturierte, um diesbezuglich Interdependen-zen herausstellen zu konnen und Gleichgewichtspositionen (ideale Reproduk-tionsgleichgewichte) ermitteln zu konnen. Um dies aber wirklich leisten zukonnen, hatte er funktionale Abhangigkeiten zwischen den Aggregaten sei-ner Theorie und den sie beeinflussenden Großen, wie Einkommen und Preise,herstellen mussen. Eine solche formale Interdependenzanalyse geht aber weituber das damals Mogliche hinaus und soll deshalb hier nicht als Argumentdienen, die große wissenschaftliche (aber auch ideologisch orientierte) LeistungQuesnays zu schmalern.

Als erstes Fazit aus dem Dargestellten gilt fur uns vielmehr, dass Makro-theorie bei einer solchen (dem Untersuchungsgegenstand moglichst angemesse-nen) Einteilung der Wirtschaft in Produktionsbereiche oder allgemeiner Mark-te und Wirtschaftssubjekte oder Sektoren zu starten hat, um auf dieser Basisdann zu einer kontrollierten Analyse der Interdependenz von Markten undsektoralen Verhaltensweisen voranzuschreiten. Derartiges wird im folgendenAbschnitt als Basis heutiger makrookonomischer Theoriebildung vorgestelltwerden. Zuvor ist jedoch noch zu zeigen, dass die obige Kreislaufdarstellungstark verbessert (und auch vertieft) werden kann, wenn man zu einer input–output–orientierten Kontendarstellung anstelle der obigen Poldarstellung wiefolgt ubergeht.5

Diese Input-Output-Tabelle zeigt in den ersten beiden Spalten die Auf-schlusselung des Produktionswerts der beiden Industrien ‘Agrikultur’ und‘Handwerk’, (2625 bzw. 1313), auf Vorleistungen (525 bzw. 525) und Wert-

5 Vgl. hierzu auch Barna (1975). Man beachte bzgl. der obigen Tabelle, dass dieseim Vergleich zur zuvor dargestellten Poldarstellung um einige Details erweitertworden ist.

Page 25: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

1.2 Ein Beispiel makrookonomischer Modellbildung 9

Tabelle 1.1. Eine Input–Output–Darstellung des Tableau Economique fur einegeschlossene Volkswirtschaft

UNTERNEHMEN HAUSHALTE STAAT

Agri-kultur

Hand-werk

Far-mer

Hand-werker

Grund-besitzer

Regie-rung

Kir-che

Total

Agrar-produkte

525 525 525 525 300 150 75 2625

Handwerks-produkte

– – 525 263 300 150 75 1313

Farmein-kommen

1050 – – – – – – 1050

Handwerks-einkommen

– 788 – – – – – 788

Grundrente 1050 – – – – – – 1050

Steuern – – – – 300 – – 300

Zehnter – – – – 150 – – 150

Total 2625 1313 1050 788 1050 300 150

schopfung (2100 bzw. 788).6 Gemaß Quesnays Vorstellung teilt sich dieWertschopfung des Agrarsektors in Farmeinkommen (1050) und Grundrente(1050) auf, wahrend der Handwerkssektor keine Abgaben zu leisten hat. DieEinkommensverwendung auf Agrar– und Handwerksprodukte der funf Haus-haltsgruppen dieser Okonomie wird durch die nachsten funf Spalten ausge-wiesen (in ihren ersten zwei Zeilen). Dabei ist erneut zu beachten, dass gemaßQuesnay nur Grundbesitzer Steuern und den Zehnten zahlen (sollen): 300 bzw.150 im obigen Beispiel. Dies ist ein Einkommenstransfer zwischen den unter-stellten Haushaltstypen, der in der obigen Input–Output–Tabelle rechts untenausgewiesen wird. Zu beachten ist in dieser Input–Output–Tabelle schließlichnoch, dass diese wieder das obige Kreislaufsystem erfullen muss, welches hierbesagt, dass Spalten– und Zeilensummen sich entsprechender Spalten undZeilen ubereinstimmen mussen, da fur jeden Sektor Einnahmen gleich Aus-gaben (inklusive Einkommenszahlungen) gelten muss. Es sei schließlich ange-merkt, dass das Brutto– (= Netto–) Sozialprodukt dieser Wirtschaft durch2625+1313-1050=2888 gegeben ist, da bei dessen Bestimmung die Summeder Produktionswerte der beiden Industrien um die im Output der Sektorenuntergegangenen Vorleistungen bereinigt werden muss.

Tabelle 1.1 soll verdeutlichen helfen, dass eine solche Strukturierung einerganzen Volkswirtschaft (egal, ob sie faktische Jahresdaten oder eine Ideal-position der Wirtschaft wiedergibt) eine große Starthilfe darstellt, wenn eineAnalyse der wesentlichen Interdependenzen einer solchen Volkswirtschaft an-gestrebt wird. Naturlich wird eine auf heutige Verhaltnisse abgestimmte Ta-

6 Man beachte, dass in heutiger Terminologie der ‘Handwerkssektor’ eine positiveWertschopfung aufweist, also nicht so ‘steril’ ist, wie Quesnay ihn hingestellt hat.

Page 26: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

10 1 Einleitendes

belle dieser Art eine andere Struktur darstellen, so z.B. Staat = Regierung undZentralbank, Haushalte = Arbeitnehmer– und Arbeitgeberhaushalte, Unter-nehmungen = Konsumguter– und Investitionsguter. Wir werden im nachstenAbschnitt aber sehen, dass als Ausgangspunkt einer modernen makrookono-mischen Theoriebildung noch eine viel einfachere Strukturierung der Gesamt-wirtschaft vorgenommen werden muss, will man die darauffolgende Analysenicht gleich von Anfang an sehr kompliziert gestalten. Im Rahmen der obi-gen Input-Output-Tabelle konnte man z.B. die folgende aggregierte Strukturgewinnen:

Tabelle 1.2. Ein Aggregationsbeispiel

Unternehmen Haushalte Staat Total

Guterverbrauch 1050 2438 450 3938Haushaltseinkommen (brutto) 2888 – – 2888

Steuern (Regierung und Kirche) – 450 – 450

Total 3938 2888 450

Wie wir wissen, hat Quesnay eine andere Aggregation der Input-Output-Tabelle bevorzugt, die Farmer und Regierung + Kirche + Grundbesitz sowieHandwerk und Handel einander gegenuberstellte und eine deutliche Wertungdieser drei Gruppen in Form der Bezeichnung als produktive, herrschende undsterile Klasse vornahm.

1.3 Das Markte/Sektoren-Schema der heutigenmakrookonomischen Theoriebildung

Unter Bezugnahme auf das makrookonomische Kreislaufschema von FrancoisQuesnay wollen wir jetzt eine Markte/Sektoren Einteilung fur die Zwecke heu-tiger makrookonomischer Theoriebildung vornehmen, die fur den Rest diesesBuches verbindlich sein wird. Diese Einteilung vereinfacht das Schema vonQuesnay zum einen dahingehend, als in ihm Haushalte nur noch als Aggregat(Arbeitgeber und Arbeitnehmer) betrachtet werden (anstelle von Grundbesit-zern, Farmern und Handwerkern). Des weiteren werden Unternehmen eben-falls nur aggregiert behandelt, wird also anstelle von Quesnays Zweisektoren-Wirtschaft von einer Einsektoren-Wirtschaft ausgegangen, die in der spaterenTheoriebildung (ab Kapitel 2) ein homogenes Gut herstellt und dabei Ka-pital K und Arbeit Ld als Produktionsfaktoren einsetzt. Schließlich wird derStaatssektor im Folgenden nur als Ganzheit betrachtet werden, der Fiskalpoli-tik (Anderung von Staatsausgaben oder Steuern) und Geldpolitik (Anderungder im Umlauf befindlichen Geldmenge) durchfuhrt und damit jetzt aus ‘Re-gierung und Zentralbank’ anstelle von ‘Regierung und Kirche’ besteht. Die

Page 27: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

1.3 Das Markte/Sektoren-Schema der heutigen makrookonomischen Theorie 11

Einteilung in Sektoren ist somit aus Grunden der analytischen Einfachheitund Uberschaubarkeit jetzt deutlich einfacher als es in der Quesnays Tableaucharakterisierenden Input-Output Tabelle des vorherigen Abschnitts der Fallgewesen ist.

Demgegenuber gilt aber fur die Marktestruktur des jetztigen Ansatzes,dass diese anspruchsvoller als bei Quesnay gewahlt ist. Zwar unterschied Ques-nay in zwei Produktionsbereiche (Agrikultur und Manufaktur), was wir jetztnicht mehr tun werden, ließ aber dafur Arbeitsmarktphanomene unberuck-sichtigt wie auch die Rolle des Geldes (den Geldmarkt des folgenden Sche-mas) und des Kredits (den Kapitalmarkt). Dies mag fur seine Zwecke undseine Zeit angemessen gewesen sein, ist es inzwischen aber nicht mehr, da Un-terbeschaftigung, Inflation und Wachstum heute zentrale Themen sind, beideren Analyse die Einteilung in die folgenden fundamentalen Markte der Ma-krotheorie von großer Bedeutung sein wird.

Die folgende Tabelle tragt in ihrem Abschnitt, der als Kurzfrist-Analysegekennzeichnet ist, dieser neuen Einteilung der Makrostruktur in Markte undSektoren Rechnung. Hierauf aufbauend werden in den Kapiteln 2 und 3 Mo-delle entwickelt werden, die aus Sicht zweier konkurrierender Makrotheoriendie Grunde fur die in einem bestimmten Zeitabschnitt realisierte gesamtwirt-schaftliche Beschaftigung Ld und Produktion Y zu bestimmen trachten so-wie auch die Grunde fur die Verwendung des Sozialprodukts Y fur privatenKonsum C, unternehmerische Bruttoinvestition I + δK und Staatskonsum G.Daruberhinaus wird in diesen Kapiteln zur Debatte stehen, wie mittels GeldM bewerkstelligte Transaktionsvorgange das Wirtschaftsgeschehen beeinfluß-en und welche Rolle die am Kapital- oder Kreditmarkt bestimmten Zinssatzehierbei spielen (hinsichtlich staatlicher Wertpapiere, kurz Bonds B genanntund entsprechend auch Firmenbonds).7

Tabelle 1.3 enthalt neben der soeben besprochenen Darstellung der en-dogenen Großen oder Variablen der kurzen Sicht, die im wesentlichen Nach-fragegroßen der zu betrachtenden Volkswirtschaft reprasentieren,8 auch diemittelfristig und langfristig zu erklarenden Variablen, die in der kurzen Sichtfix gegeben sind und damit dort Daten der Analyse (sog. exogene Großen)darstellen.9 Allerdings hangt diese Einteilung bis zu einem gewissen Gradevom verwendeten Modellansatz ab. So ist z.B. im neoklassischen Basismodelldes Kapitels 2 das Preisniveau p bereits kurzfristig variabel (was in seiner

7 Wir sehen im Rahmen dieser Arbeit von der Existenz von Aktien (und auch vonEinkommensentstehung bei den Unternehmungen) ab, werden aber bei Bonds z.T.kurz- und langfristige Typen unterscheiden, die wir mit Festpreisbonds (pb = 1)bzw. Flexpreisbonds (pb = 1/r) naher charakterisieren und die wir mit Kurzfrist-bzw. Langfristzinssatzen in Verbindung bringen werden.

8 Konsum C, Nettoinvestition I, Arbeitsnachfrage Ld, Geldnachfrage Md, sowieBondnachfrage Bd und Output Y . Man beachte, dass der hochgestellte Index dfur ‘demand’ steht und demgegenuber auf den Index s fur ‘supply’ der Einfachheithalber verzichtet wird.

9 Fur die jeweilige Analyse exogene Großen x werden durch x bezeichnet.

Page 28: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

12 1 Einleitendes

Tabelle 1.3. Das Markte–Sektoren–Schema einer geschlossenen Volkswirtschaft

Arbeits-markt

Guter-markt

Geld-markt

Kapital-markt

Haushalte L C Md Bd

Unter-nehmen

Ld Y, I, δK – Bf Kurze Sicht

Staat – G M Bg

Preise w, w = w/w p, p = p/p pm = 1 r, pb Kurze oder

Erwartungen – πe = pe – –mittlereSicht

Bestande L K M B = Bf + Bg

Wachstum L = L/L K = K/K M = M/M B Lange Sicht

Y = Y /Y

“Vollbeschaftigungsversion” ebenso fur den Nominallohn w gilt), wahrend pund w im spater zu entwickelnden IS-LM-Modell erst mittelfristig endogensind. Man sieht daran, dass verschiedene theoretische Ansatze uber kurzfris-tige Flexibilitat von Lohnen und Preisen unterschiedliche Ansichten habenkonnen. Im Rahmen dieses Buches wird demgegenuber der Zinssatz r (undder damit einhergehenden Preis pb fur Bonds B) stets als kurzfristig flexi-bel betrachtet und zwar so, dass auf dem Geld- und Kapitalmarkt dadurchGleichgewicht gewahrleistet ist.

Damit gilt, dass das im folgenden zu betrachtende neoklassiche Basismo-dell (Kapitel 2), unser erstes makrookonomisches Modell, kurzfristig Preis-und Zinsflexibilitat aufweist und in ihm in der Regel erst mittelfristig Lohnfle-xibilitat zustande kommt, wahrend in unseren spateren Modellen (dem keyne-sianischen Basismodell und dem IS-LM-Modell) Lohne und Preise hinsichtlichihrer Flexibilitat gleichbehandelt werden und beide erst mittelfristig flexibelsind. Diese Darstellung der Verhaltnisse im Lohn/Preis-Sektor unserer Mo-dellwirtschaften werden in der obigen Tabelle erganzt durch die Angabe vonInflationserwartungen πe, die nicht mit der wirklichen Inflationsrate p = p/pubereinstimmen mussen.

Wir haben oben fur jeden Markt mit Ausnahme des Geldmarktes einenPreis spezifiziert, bezuglich dessen zu untersuchen sein wird, inwieweit erMarktraumung in der kurzen, mittleren oder langen Sicht gewahrleistet. Le-diglich am Geldmarkt steht als Preisausdruck schlicht eine ‘Eins’, die sym-bolisiert, dass dort keine Preisvariationen stattfinden und damit eine beson-

Page 29: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

1.3 Das Markte/Sektoren-Schema der heutigen makrookonomischen Theorie 13

dere Situation vorliegen muss. Transaktionen am Geldmarkt vorzunehmen,z.B. mehr Geld nachzufragen, hat im Rahmen der Makrotheorie die Bedeu-tung, dass dann auf Transaktionen an den anderen Markten im Umfang dergewunschten Kassenerhohung verzichtet wird, also dieses Geld dem Einkom-menskreislauf entzogen wird. Der Geldmarkt ist damit ein fiktiver Markt,an dem keine Transaktionen stattfinden, sondern der einfach abbildet, wasIndividuen aus Liquiditatsgrunden fur ihre aktuelle Kassenhaltung planen.‘Angebot gleich Nachfrage am Geldmarkt’ bedeutet somit lediglich, dass dieWirtschaftssubjekte die vorhandene Kasse zu halten bereit sind und diesenicht ‘1:1’ in Form von Guter- oder Wertpapierkaufen zu reduzieren geden-ken. Dieser Sachverhalt eines Betrachtens der Geldnachfrage als Komplementzu den wirklichen Markttransaktionen wird durch den sog. Geldmarkt undsein Gleichgewicht oder Ungleichgewicht widergespiegelt. Und der Ausdruckpm = 1 der obigen Tabelle besagt dann lediglich, dass Geld M , in e gemessen,der Maßstab der sonstigen Marktpreise ist, also z.B. der Nominallohn w inder Einheit e pro Arbeitseinheit ausgedruckt ist.

In der obigen Tabelle sind vier Bestandsgroßen ausgewiesen, die am An-fang einer bestimmten Periode die dort verfugbaren Mengen an Arbeit L (dieZahl der Erwerbspersonen), an Kapital K, an Geld M und an Bonds B be-zeichnen. Diese Großen verandern sich im Laufe der Zeit, da die Zahl derErwerbspersonen sich insbesondere aus biologischen Grunden verandert undaufgrund von Realinvestitionen der Umfang des Kapitalstocks als veranderlichangesehen wird und entsprechend Finanzinvestionen den Umfang der nominel-len Vermogenswerte verandern werden. Diese Veranderungen werden hier alsWachstumsraten ausgedruckt (z.B. K = K/K) und unter der Rubrik ‘lang-fristig’ verbucht, da sie in der Regel erst betrachtet werden, wenn persistenteWachstumsprozesse beim Sozialprodukt Y , wie in der Tabelle durch Y = Y /Ysymbolisiert, in die Analyse einbezogen werden. Solche Wachstumsprozessewerden in Kapitel 5 untersucht werden, wahrend die als mittelfristig statt-findend angesehene Lohn-Preis-Spirale in Kapitel 4 ausfuhrliche Erorterungfinden wird.

Wir hoffen, dass diese Erklarungen die Struktur und Symbolik der obigenTabelle hinreichend verdeutlicht haben. Diese Tabelle ist keine Input-OutputTabelle, wie wir sie zur klareren Darstellung des Tableau Economique vonQuesnay benutzt haben und sie ist auch nicht vom Typ der Kontendarstel-lungen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR). Solche Kontendar-stellungen werden wir erst in Abschnitt 3.9 des Kapitels 3 zum Abschluss derkurzfristigen Analyse einer offenen Volkswirtschaft vorstellen. Die Symboleder obigen Tabelle werden im laufenden Kapital in Abschnitt 1.5 zusammen-gefasst erneut aufgelistet und charakterisiert werden und dort auch durchweitere wichtige volkswirtschaftliche Großen und ihre Bezeichnung erganztwerden.

Im Hinblick auf die VGR seien hier schließlich noch die folgenden wichtigenSachverhalte kurz dargestellt. Gemaß der obigen Tabelle gilt fur die Verwen-

Page 30: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

14 1 Einleitendes

dung des Bruttonationaleinkommens (BNE)10 Y die wichtige Identitat:

Y = C + I + δK + G,

die besagt, dass dieses BNE vier verschiedenen Verwendungen zufließt, namlichKonsum der Haushalte C und des Staates G sowie Nettoinvestitionen I undErsatzinvestitionen δK, wobei hier δ die Abschreibungsrate des Kapitalstocksbezeichnet. Die Bruttoinvestionen Ib(= I +δK) sind hier also in zwei Kompo-nenten zerlegt worden und werden im folgenden stets in dieser Auftrennungwiedergegeben werden. Beim Staatskonsum G ist zu beachten, dass dieserdurch Zurechnung der produktiven Leistungen des Staates zum Unterneh-menssektor als reiner Verbrauch von Gutern angesehen wird, der keine pro-duktiven Effekte auf das Geschehen in der gegebenen Volkswirtschaft ausubt.Der Staatssektor wird im folgenden nur fur das Studium von Fiskalpolitik undGeldpolitik benotigt, weshalb im obigen Schema auch davon abgesehen wird,dass der Staat neben den Unternehmungen, wie in der Realitat gegeben, alsArbeitgeber auftritt.

In analoger Vereinfachung wird bei den Unternehmungen in der obigenTabelle davon abgesehen, dass diese neben den Haushalten als Geldnachfragerauftreten und damit im folgenden diesbezuglich ihr Verhalten zu spezifizierenware. Zwei in der Realitat wichtige Nachfragekomponenten finden damit inder obigen Tabelle keine Berucksichtigung.

Schließlich soll hier das obige Schema noch dahingehend erganzt werden,dass neben der gerade dargestellten Einkommensverwendung auch die diesemAkt vorausgehende Einkommensverteilung explizit symbolisch erfasst wird.Dazu wollen wir als neues Symbol T (=Taxes) fur das gesamte direkte Steu-eraufkommen der laufenden Periode benutzen (indirekte Steuern sowie Sub-ventionen werden in dieser Darstellung der Makrotheorie vernachlassigt). Istdas BNE nach obigem durch Y symbolisiert, so gelangt man von ihm im Rah-men des oben Dargestellten zum Nettonationaleinkommen (NNE), indem manvom BNE die Abschreibungen δK abzieht. Zieht man daruberhinaus noch dieSteuern T ab, so ergibt sich in unserem Modellrahmen das fur die Haushalteverfugbare Einkommen Y D = Y − δK − T , dem das verfugbare Einkommendes Staates T gegenubersteht. Auf Basis dieser Einkommensgroßen lasst sichjetzt wie folgt die private und die staatliche Ersparnis Sp, Sg definieren undals Summe davon, S = Sp + Sg, die gesamtwirtschaftliche Ersparnis:

Sp = Y − δK − T − C, Sg = T − G, S = Y − δK − C − G.

Diese drei Ausdrucke besagen jeweils, dass Ersparnis als verfugbares Einkom-men, das nicht fur den Konsum verplant ist, definiert worden ist und damitin der Summe die Lucke am Gutermarkt Y − δK −C − G darstellt, die durchdie Nettoinvestitionsnachfrage I der Unternehmen zu schließen ist, soll derOutput Y der Unternehmungen voll abgesetzt werden.10 Aufgrund der fruheren Bezeichnung als Bruttosozialprodukt (BSP) wird im Text

an verschiedenen Stellen noch der Begriff “Sozialprodukt” verwendet.

Page 31: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

1.4 Keynesianische Theorie: Eine systematische Einfuhrung 15

Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass die obige TabelleBonds B als Finanzierungsinstrument des Staates (im Falle eines Haushalts-defizits) aufweist. Sind aber staatliche Bonds im Umlauf, so muss der StaatZinsen zum Zinssatz r zahlen, die bei der Bemessung seines verfugbaren Ein-kommens T zu berucksichtigen sind. Diese Feststellung impliziert unmittelbar,dass unser obiges T das Steuervolumen darstellen muss, aus dem die Zinszah-lungen des Staates bereits rechnerisch entfernt worden sind. Diese Konventionsoll aus Grunden der Einfachheit fur das ganze Buch gelten, wann immer dieSteuereinnahmen des Staates explizit dargestellt werden. Die Zinszahlungendes Staates finden deshalb keine explizite Berucksichtigung in den von unsuntersuchten makrookonomischen Modellbildungen.

1.4 Keynesianische Theorie der Unterbeschaftigung, derInflation und des Wachstums: Eine systematischeEinfuhrung

Wir haben im vorausgegangenen Abschnitt schon einige Grundlagen gelegt furdie in diesem Buch intendierte Darstellung einer in sich geschlossenen keyne-sianischen Theorie fur die drei Sichten, die in der Makrookonomie voneinanderunterschieden werden: die kurze, mittlere und lange Sicht des Wirtschaftsge-schehens.

Im Gegensatz zur Mehrzahl der makrookonomischen Lehrbucher soll hierdeshalb nicht einerseits die kurze Sicht als keynesianisches temporares Gleich-gewicht beschrieben werden, wo fur eine monetare Okonomie die Bestim-mungsgrunde von Einkommen, Beschaftigung und Zins mittels des sog. IS-LM Modells dargelegt werden und andererseits die lange Sicht durch das real-wirtschaftliche sog. neoklassische Wachstumsmodell, welches von Solow 1956veroffentlicht worden ist. Anstelle einer eher komparativ-statischen Diskussionvon mittelfristigen Lohn/Preis-Veranderungen soll daruberhinaus die mittlereSicht in dynamisch vollstandiger Weise diskutiert werden. Insgesamt soll da-durch erreicht werden, dass die mittlere Sicht ohne Bruch als Fortsetzung derkurzfristigen Theorie von Unter- oder Uberschaftigungsgleichgewichten zu-standekommt, wo eben Lohne, Preise und Inflationserwartungen nicht mehrfest vorgegeben sind, sondern sich nach bestimmten Gesetzmaßigkeiten in derZeit entwickeln. Die gleiche Zielsetzung wird fur die der mittelfristigen Ana-lyse nachfolgenden Langfrist-Analyse angestrebt.

Unsere mittelfristige Analyse, die in den meisten Lehrbuchern nur in sehrrudimentarer Form enthalten ist, wird somit organisch aus der vorausgegan-genen Kurzfrist-Analyse heraus entwickelt, ohne dass dabei notwendigerweiseauftretende Effekte willkurlich aus ihr ausgeklammert werden. Gleiches giltdann auch fur die nachfolgende Analyse der langen Sicht, wo zur mittlerenSicht lediglich die Wachstumsgesetze fur die Produktionsfaktoren, den Out-put und die Geldmenge hinzugefugt und in ihrer Interdependenz miteinanderkonfrontiert werden sowie in ihren neuartigen Implikationen im Vergleich zur

Page 32: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

16 1 Einleitendes

bisherigen mittelfristigen Analyse zu untersuchen sind. Dies ist in der Tabel-le 1.3. des vorherigen Abschnitts bereits skizzenhaft dargestellt worden undbedeutet eben gerade nicht, dass fur die lange Sicht so wie z.B. in Mankiw(1994) ein fundamental anderes Modell verwandt werden muss, als dies beider kurzen oder mittleren Sicht der Fall war.

Unser Ansatz liefert somit an der Stelle der ublichen realwirtschaftlichenund rein angebotseitigen Solowschen Beschreibung des Wachstumsprozessesals Modell der langen Sicht ein monetares Wachstumsmodell, wo sowohl beiungleichschrittigem als auch bei gleichschrittigem Wachstum die keynesia-nische effektive Guternachfrage den Pfad des Outputs bestimmt und nichtdas Guterangebot. Diese Vorgehensweise schließt nicht aus, das im Ergebnisder Analyse gewisse Gemeinsamkeiten mit der konventionellen SolowschenDarstellung des Wachstumsprozesses auftreten konnen. Wo dies der Fall ist,ist dies aber Konsequenz der Untersuchung der Entwicklungsgesetze einerVolkswirtschaft und nicht eine bloße Annahme uber deren Verhalten. Damitwird verstandlich werden, in welchem Umfang keynesianische Makrookonomiedurch Angebotskrafte bestimmt wird und inwieweit eine angebotsorientiertePolitik, wie sie heute oft propagiert wird, in einem solchen Rahmen erfolgreichsein kann.

Fur den Leser mit guten Vorkenntnissen in makrookonomischer Theoriemag das bisher Gesagte verstandlich sein, fur jemanden der Makrookonomikerst lernen will, jedoch sicherlich nicht. Letztere Leser mogen deshalb hierdie Frage stellen, ob sie mit diesem Buch nicht eine ganz andere Makrotheorielernen mussen, als dies sonst der Fall ist. Dies ist jedoch nicht der Fall, da es ne-ben vielen anderen einen langjahrig erprobten popularen Lehrbuch-Standardgibt. Hierbei handelt es sich um das Buch von Dornbusch und Fischer (1995),welches fur unseren Text sowohl Grundlage wie auch breite Umrandung dar-stellt und welches deshalb mit Gewinn insbesondere hinsichtlich Fragen, diehier nur kurz behandelt werden, gelesen werden kann.

Unser Lehrbuch ist im Bereich der Analyse der kurzen Sicht in seinemKapitel 3 im wesentlichen mit der bei Dornbusch/Fischer (1995) dargestelltenkonventionellen IS-LM Analyse von Guter- und Geldmarktgeschehen iden-tisch, d.h. wie dort analysieren wir bei fixem Nominallohn und Guterpreisdie Grunde fur die Bestimmung des gesamtwirtschaftlichen Outputs, derBeschaftigung und des Zinses aus keynesianischer Sicht. Dieses IS-LM Modellwird in unserem Buch in Kapitel 3 aus dem sog. Keynes’schen Basismodell,das im Kapitel 2 eingefuhrt wird, entwickelt. Letzteres stellt eine Antithe-se zum neoklassischen Basismodell dar, welches im wesentlichen dadurch ge-kennzeichnet ist, dass die von den Unternehmen profitmaximierend geplanteAusbringung stets ihren Absatz findet (Says Gesetz) und sich das Preisniveaudazu (bei gegebenen Lohnniveau) gemaß der Quantitatstheorie des Geldeseinpendelt. Die in diesem Kapitel uber prakeynesianische Makrotheorie ein-geschobene Kontrastierung dieses neoklassischen Basismodells mit einem vonuns sog. Keynes’schen Basismodell, welches die grundsatzlichen Mechanismendes von Keynes 1936 in seiner ‘Allgemeinen Theorie der Beschaftigung, des

Page 33: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

1.4 Keynesianische Theorie: Eine systematische Einfuhrung 17

Zinses und des Geldes’ entwickelten gesamtwirtschaftlichen Modells darstellensoll, dient dem Zwecke, die Unterschiede zwischen diesen beiden, im Ergebnisfundamental verschiedenen Modellierungsansatzen in moglichst scharfer undpointierter Form hervortreten zu lassen.

Uber die keynesianische Analyse der kurzen Sicht weit hinausgehend bringtdieses Lehrbuch in Kapitel 5 bei der Betrachtung der mittleren Sicht (bei dannflexiblem Lohn- und Preisniveau) eine vollstandige Analyse der Implikationendes Dornbusch/Fischer Modells fur diese Sicht, d.h. eine durch die beiden Au-toren im mittleren Teil ihres Buches vorgenommene Modellverkurzung wirdhier vermieden. Wir studieren hier die Interaktion von Lohn- und Preisniveau-dynamik und damit einhergehende Anderungen bei den Inflationserwartungenim Hinblick darauf, ob solche dynamischen Prozesse insbesondere das gleich-zeitige Zustandekommen von Inflation und Stagnation (kurz Stagflation) er-klaren konnen und wann diese Prozesse zuruck zum mittelfristigen Angebots-und Nachfrage-Gleichgewicht fuhren werden bzw. mit welchen Stabilitatspro-blemen ansonsten zu rechnen ist. Solche Probleme ergeben sich, wenn, wieschon angedeutet, das von Dornbusch/Fischer (1995) mit einer Lohn-Preis-Spirale erganzte IS-LM Modell der mittleren Sicht nicht wie dort an ent-scheidender Stelle verkurzt wird, sondern alle von den beiden Autoren ermit-telten Inflationseffekte des Modells der kurzen Sicht zugelassen werden undmit der Lohn-Preis-Spirale interagieren. Dadurch kann gezeigt werden, dassdie Ahnlichkeit des mittelfristigen Modells von Dornbusch/Fischer mit denErgebnissen der mittelfristigen Analyse von Modellen monetaristischer oderneoklassischer Herkunft, die wir ebenfalls ausfuhrlich darstellen werden, nichtgut begrundet ist. Diese Unterschiedlichkeit zwischen einer korrekten, keyne-sianisch orientierten Vorgehensweise und der monetaristisch/neoklassischenSichtweise der mittleren Sicht, wo im wesentlichen wieder Says Gesetz unddie Quantitatstheorie des Geldes erfullt sind, treten noch pointierter hervor,wenn man zwischen kurzfristigen und langfristigen Zinssatzen unterscheidet,wie wir es in Erweiterung des Dornbusch/Fischer Modells schließlich tun wer-den.

Es folgt aus dieser konsequenten Erweiterung der konventionellen Kurzfrist-Analyse von Volkseinkommen, Beschaftigung und Zinssatz um den Lohn/Preis-Mechanismus und Inflationserwartungen, dass unter bestimmten Bedingun-gen, deren Zustandekommen empirisch zu begrunden ist, die keynesianischeAnalyse der Wirkung von mittelfristig flexiblen Lohnen und Preisen wesentlichanderer Natur ist als die von Shock-Absorber Vorstellungen oder rasch abklin-genden Schwingungen gepragten Uberlegungen neoklassisch/monetaristischerProvenienz. Das Ergebnis unseres (formal gesehen nicht umfangreichen) Aus-baus der Modellierungen von Dornbusch und Fischer zeigt damit wiederdeutliche Unterschiede zwischen einer keynesianisch und einer monetaristischorientierten Auffassung und Ausgestaltung der Effekte flexibler Preise undLohne.

In Kapitel 5 uber die mittlere Sicht wird somit das von Dornbusch/FischerBegonnene lediglich konsequent zuende gefuhrt. Gleiches gilt auch fur das

Page 34: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

18 1 Einleitendes

nachfolgende Kapitel uber Wachstum und die lange Sicht. Wie schon gesagt,wird hier nicht willkurlich einfach der Modellrahmen gewechselt und damit an-gebotsorientierte Wachstumstheorie dem Leser als Ergebnis einer Entwicklungder Wirtschaft gemaß keynesianischen Kurzfrist-Prinzipien qua Annahme an-geboten, sondern es werden in Kapitel 6 die ublichem Wachstumsgesetze demkeynesianischen Modell der mittleren Sicht hinzugefugt, um zu sehen, welchelangfristigen Entwicklungstendenzen dieser Ansatz generiert. Wie beim Uber-gang von der kurzfristigen zur mittelfristigen Analyse bedeutet dies lediglichdie Hineinnahme einiger weniger neuer Gleichungen und Variablen und istsomit nicht durch aufwendige Abweichungen von dem von Dornbusch/Fischervorgegebenen Weg gekennzeichnet.

Im Ergebnis liefert deshalb dieses Buch eine zusammenhangende und auf-einander aufbauende und abgestimmte Analyse keynesianischer Bauart derkurzen, der mittleren und der langen Sicht. Diese teilt mit vielen anderenLehrbuchern zur makrookonomischen Theorie eine Reihe von Vereinfachun-gen, wie z.B. die Verwendung von linearen Beziehungen, soweit dies moglichist, und die Benutzung von, wie ublich stilisierten, einfachen Verhaltensfunk-tionen fur Konsum, Investition, etc. anstelle von ausgereiften und umfassendformulierten aggregierten Nachfrage- und Angebotsfunktionen. Gleichwohl istes auch in einem solchen vereinfachten Rahmen moglich, eine in sich abge-stimmte makrookonomische Theorie zu entwickeln, die die Fehler der weitver-breiteten Vorgehensweise, nicht zueinander passende Modelltypen zu kombi-nieren, zu vermeiden trachtet.

Wir beginnen die Analyse der kurzen Sicht im nachsten Kapitel mit demsynthetischen neoklassischen Basismodell, das zur Darstellung der Makrotheo-rie vor dem Erscheinen von Keynes (1936) ‘Allgemeiner Theorie der Beschafti-gung, des Zinses und des Geldes’ nachtraglich entwickelt worden ist und dasim wesentlichen zeigt, wie zu profitmaximierend angebotenem Output sichdessen Absatz und die Bestimmung des Preisniveaus gestaltet. Diese Aussa-gen betreffen das sog. Saysche Gesetz von Angebot und Nachfrage und die sog.Quantitatstheorie des Geldes und des Preisniveaus, die beide in diesem Kon-text ausfuhrliche Erorterung erfahren. Wir zeigen anhand dieses Modells, dassaktuelle Stellungnahmen zur Wirtschaftpolitik so sein konnen, dass sie nichteinmal die Standards dieser prakeynesianischen Vorstellung von den kurz- undmittelfristigen Vorgangen in einer ganzen Volkswirtschaft erreichen.

Das neoklassische Basismodell wird in Kapitel 2 dann in Anlehnung anKeynes (1936) in ein elementares Keynes-Modell umgebaut. Dies hat zum Ziel,die Sachverhalte, auf die es Keynes bei seiner Analyse der Beschaftigung unddes Zinses ankam, in moglichst einfacher und gleichzeitig pragnanter Form denErgebnissen des neoklassischen Basismodells gegenuberzustellen, so dass derLeser erkennen kann, wo der grundsatzliche Dissens zwischen diesen beidenTheorien liegt, namlich in der Frage nach der Gultigkeit oder Nichtgultig-keit des ‘Sayschen Gesetzes’. Wir werden im Unterschied zu vielen anderenLehrbuchern der Makrookonomik in diesem Lehrbuch zeigen, dass dieser Dis-sens auch die Analyse der mittleren und der langen Sicht betrifft.

Page 35: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

1.4 Keynesianische Theorie: Eine systematische Einfuhrung 19

Es mag beim Lesen der entsprechenden Seiten der Eindruck entstehen,dass diese Debatte der Vergangenheit angehort und deshalb von wenig Rele-vanz fur heutige makrookonomische Theorie und Politikanalyse ist. Dies istjedoch keineswegs der Fall, wie wir am Ende des Kapitels 2 sehen werden,da auch heutige Lehrbucher zur makrookonomischen Theorie in ausgepragterWeise auf Annahmen des neoklassischen Basismodells beruhen und diese Ana-lyse fortsetzen, wie z.B. das prominente Lehrbuch von Mankiw (1994). DiesesLehrbuch wird deshalb in seinen Grundzugen am Ende von Kapitel 2 kurzdargestellt. Es zeigt sich in aller Kurze, dass ein solcher Ansatz trotz seineraußeren Eleganz in sich nicht stimmig ist und deshalb als problematisch geltensollte.

Konsequenter ist da im Rahmen der neoklassischen makrookonomischenTheorie der Ansatz von Barro und Grilli (1994), der eine reine Gleichgewichts-theorie bzgl. der fundamentalen Markte der Makrotheorie anstrebt. DieserAnsatz wird ebenfalls am Ende von Kapitel 2 kurz dargestellt, um damit zuBeginn des nachsten Kapitels zeigen zu konnen, dass er als der Spezialfall an-gesehen werden kann, den schon Keynes (1936) in seinem Vorwort beschriebund zu dem er die ‘Allgemeine Theorie’ liefern wollte.

Das keynesianische Modell der kurzen Sicht (das sog. IS-LM Modell) lasstsich somit als Weiterentwicklung des Barroschen Vollbeschaftigungsmodells –wie naturlich auch des einfachen Keynes-Modells des Kapitels 2 – begreifen.Dieses Modell wird in seinen Bausteinen und Aussagen in Kapitel 3 detail-liert untersucht, wobei auch die Probleme, die ein solches Modell bei seinermechanischen Anwendung auf wirtschaftspolitische Fragestellungen aufweist,ausfuhrlich erortert werden. Es ist nicht unsere Absicht, hier zu vermitteln,dass die komparativ-statischen Ergebnisse dieses Kurzfrist-Modells bereitshinreichend klare Empfehlungen fur die Wirtschaftspolitik liefern, die mankochrezeptartig anwenden kann, sondern dass sie lediglich eine Denkmethodedarstellen, mit deren Hilfe man sich solchen wirtschaftspolitischen Fragestel-lungen nahern kann. Wir werden schließlich in Kapitel 3 auch Probleme deroffenen Volkswirtschaft – in der kurzen Sicht – behandeln.

Kapitel 5 und 6 sind oben schon ausfuhrlich besprochen worden. Kapitel5 stellt unsere Sicht der mittleren Frist und der Lohn-Preis-Spirale in einemkeynesianischen Kontext dar. Kapitel 6dehnt diese Sicht auf die lange Fristaus und liefert damit insbesondere eine keynesianisch fundierte Bestimmungdes gleichgewichtigen Wachstumpfades einer kapitalistischen Marktwirtschaft.Dieses Kapitel schließt die inhaltliche Diskussion um Fragen der Makrotheoriein diesem Buch ab.

Ein Anhang zu diesem Buch enthalt Ubungsaufgaben zu den einzelnen Ka-piteln mit Losungsskizzen und die Fragen zweier Multiple Choice Probeklau-suren. Mathematische Hilfsmittel werden in drei kurzen Exkursen zu Wachs-tumsratenformeln, dem sog. impliziten Funktionentheorem und zu elementa-ren Stabilitatsaussagen uber Differentialgleichungssysteme kurz in Kapitel 2vorgestellt, wo auch auf in diesen Fragen weiterfuhrende Literatur verwiesenwird.

Page 36: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

20 1 Einleitendes

1.5 Variable und Parameter der Makrotheorie

A. Statisch oder dynamisch endogene Variable

Y OutputY p PotentialoutputY p∗ = V cY p Normaloutput (im Hinblick auf Kapazitats-

auslastung)Y D Verfugbares Einkommen der HaushalteY d Aggregierte GuternachfrageLd nachgefragte BeschaftigungL ErwerbspersonenpotentialL∗ = V L NormalbeschaftigungY ∗ = yL∗ Normaloutput (im Hinblick auf den Arbeitsmarkt )Y = yL VollbeschaftigungsoutputC geplanter KonsumI geplante InvestitionS Gesamtwirtschaftliche ErsparnisSp Private ErsparnisSg Staatliche ErsparnisT Reale Pauschalsteuern (– Zinszahlungen des

Staates)G Staatsausgabenw Nominallohnep Preisniveau (π = p die aktuelle Inflationsrate)p∗ das Preisniveau-Konzept der Bundesbankr der kurzfristige Nominalzins

(Bondpreis pb = 1 oder pb = 1/r)r∗ der langfristige Nominalzinsρ Profitrateπe Erwartete Inflationsrater − πe RealzinsV = Ld/L BeschaftigtengradU = 1− V ArbeitslosenquoteV c = Y/Y p Auslastungsgrad der UnternehmungenK KapitalstockM Geldangebot (Index d: Nachfrage)B Bonds (Index d: Nachfrage)E Aktien (Equities) (Index d: Nachfrage)W Realwert des Vermogensω Reallohnu = ω/y die LohnquoteΠ = 1− u die ProfitquoteΠ∗ die angestrebte Profitquotex das Output-Kapital Verhaltnis Y/Ky die Arbeitsproduktivitat Y/Ld

Page 37: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

1.5 Variable und Parameter der Makrotheorie 21

kd, k die Kapitalintensitat K/Ld,K/Lld, l die Arbeitsintensitat Ld/K, L/Kγ die Wachstumsrate des Outputs

B. Modellparameter

U = 1− V NAIRU-ArbeitslosenrateV NAIRU-BeschaftigtengradV c = Y/Y p die inflationsneutrale Normalauslastungδ Abschreibungsratei0, i1 Investitionsfunktionsparameterb0, b1 Parameter der Beziehung zwischen r und r∗

k, h0, h1 Geldnachfrageparametern = n1 Naturliche Wachstumsrate der Arbeits-

bevolkerungLn2 Wachstumsrate der Arbeitsproduktivitat yµ Wachstumsrate des Geldangebotsβw Lohnanpassungsstarkeβp Preisanpassungsstarkeβπe Anpassungsstarke der Inflationserwartungenκw, κp Inflationsuberwalzungsgewichte

(κ = (1− κwκp)−1)βn Anpassungsparameter bei der Wachstumsrate des

Arbeitsangebotesβu Anpassungsstarke bei Okuns Gesetzx Potentielles Output–Kapital Verhaltnis

(6= x das faktische Verhaltnis)y die Arbeitsproduktivitatt Steuern (nach Zinsen) pro Einheit Kapitalg Staatsausgaben pro Einheit Kapitalv Umlaufsgeschwindigkeit des Geldesa Markup auf die Lohnstuckkostenc Konsumneigungs Sparneigungγ die normale Wachstumsrate des Outputs

C. Mathematische Notation

IR +, IR 2+ die positiven Orthanten von IR , IR 2

x Zeitableitung einer Variablen xx = x/x Wachstumsrate von xx Im gegenwartigen Kontext exogene Variable xl′, lw Totale und partielle Ableitungenro, etc. Steady State Wertel = L/K, etc. Reale Variable in intensiver Formm = M/(pK), etc. Realkasse in intensiver Form

Page 38: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

Teil I

Grundlagen der Makrookonomik

Page 39: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2

Prakeynesianische Makrookonomik.Darstellung und Kritik

Ziel dieses Abschnitts ist es, an einem Beispiel und darauf aufbauenden theo-retischen Erorterungen zu belegen, dass heutige Massenarbeitslosigkeit nichtrein arbeitsmarkttheoretisch analysiert werden kann, sondern dass ihre Ur-sache in der Interdependenz der fundamentalen Markte der Makrotheorie zusuchen ist.

2.1 Das neoklassische Basismodell des temporarenGleichgewichts

2.1.1 Wirtschaftspolitik: so einfach?

Mit diesem Abschnitt beginnen wir unsere Ubersicht uber die Struktur einermodernen Makrookonomie, die Tabelle 1.3. aus dem vorherigen Abschnitt,mit theoretischem Gehalt anzufullen, indem wir zwischen den dort aufgefuhr-ten Großen Abhangigkeiten in Form formaler, mathematisch dargestellter Be-ziehungen herstellen. Diese Beziehungen konnen technologische Sachverhalte(Produktionsbeziehungen) darstellen, in Form von Gleichungen zwischen be-stimmten Variablen okonomische Abhangigkeiten herstellen oder auch Bewe-gungsgesetze z.B. fur Preise fixieren. Unser Ziel ist es dabei, zu demonstrieren,dass solche formalen Beziehungen sehr hilfreich sein konnen, wenn es darumgeht, verbale Behauptungen uber grundsatzliche Mechanismen oder Zusam-menhange gesamtwirtschaftlicher Natur (so z.B. scheinbar griffige Statementszur Arbeitsmarktmechanik und -politik) auf ihren Wahrheitsgehalt hin zuuberprufen. Wir werden am Ende dieser Erorterung sehen, dass verbale Aus-sagen, die nur den Arbeitsmarkt zu betreffen scheinen, in Wirklichkeit bereitsdie ganze kurz- und mittelfristige Struktur der Tabelle 1.3. in Kapitel tangie-ren.

Page 40: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

26 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

Produktionsbeziehungen

Der erreichbare Output Y einer Okonomie hangt von zwei Elementen ab:von den Mengen an verfugbaren Inputs, den sog. Produktionsfaktoren, undvon den Fahigkeiten, diese Inputs in Outputs transformieren zu konnen, dar-gestellt durch sog. Produktionsfunktionen F . Fur Zwecke der Makrookono-mie, also fur die Analyse gesamter Volkswirtschaften, ist es zweckmaßig, dieseInput–Output–Beziehungen so einfach wie moglich zu formulieren, um dannauf dieser Basis thematisieren zu konnen, welche okonomischen Prozesse denwirklichen Output einer Volkswirtschaft und den wirklichen Einsatz an Pro-duktionsfaktoren bedingen.

Die wichtigsten bei der Guterproduktion eingesetzten Produktionsfakto-ren sind Arbeit L und Kapital K. Im Rahmen der in diesem Buch unterstellten1–Gut–Welt ist der Kapitalbestand K, der in jedem Zeitpunkt t fur Produk-tionszwecke zur Verfugung steht, vom gleichen Typ wie der gerade erzeugteOutput Y . Dieser Kapitalbestand reprasentiert vergangene Verwendung vonOutputs fur investive Zwecke (Anlageinvestitionen). Wir wollen annehmen,dass der Kapitalbestand sich mit der uniformen Rate δ abschreibt, also injedem Zeitpunkt δK an Ersatzinvestitionen zu leisten ist, um den Bestand Kin der Zeit aufrechtzuerhalten. Der Nettooutput und damit das Nettosozial-produkt dieser Volkswirtschaft sind somit durch Y − δK gegeben.

Ist Output fur investive Zwecke verwandt worden, so kann er nicht mehr‘abgebaut’ und damit verkauft werden. Annahmegemaß stellt K damit denMaschinenpark (oder die Werkzeuge) einer Okonomie in einem Zeitpunkt tdar, fur den es keinen Wiederverkaufsmarkt gibt und der in Verbindung mitArbeitskraft die Produktion von neuem Output ermoglicht. Wie bei ‘Kapital’wollen wir der Einfachheit halber auch bei ‘Arbeit’ unterstellen, dass in jedemZeitpunkt ein fixes Volumen L verfugbar ist. Die Verallgemeinerung auf einmit dem Lohnsatz variierendes Arbeitsangebot ist leicht und fur die Zweckedieses Buches von sekundarer Bedeutung. Der Querstrich uber den Faktor-mengen K und L bedeutet, dass diese Variablen exogen fixiert sind. In derRealitat verandern sich diese Faktormengen jedoch in der Zeit. Wir werdenin spateren Abschnitten uber Wachstum untersuchen, nach welchen Prinzipi-en dies geschieht und welche Auswirkungen dies hat, also dann K und L alsendogene Variable behandeln.

Die Transformation von Inputs in Outputs beschreiben wir mittels einerProduktionsfunktion Y = F (K, Ld), wie sie auch in der Produktionstheorieder Betriebswirtschaftslehre ublich ist.1 Der Output Y ist dabei der maximaleOutput, der mittels der Faktormengen K und Ld erreichbar ist. Wir wollenin diesem Kapitel – und (bis auf das Abschlusskapitel) nur in diesem Kapitel– Produktionsfunktionen verwenden, die Substitution zwischen Kapital undArbeit zulassen und die – wie in der Regel angenommen wird – konstante

1 Ausfuhrliche Darstellungen zur neoklassischen Produktionsfunktion findet der Le-ser in Sargent (1987) und in Jones (1975).

Page 41: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.1 Das neoklassische Basismodell des temporaren Gleichgewichts 27

Skalenertrage in bezug auf eine gleichschrittige Vermehrung der Produktions-faktoren aufweisen, also bei einer gleichmaßigen Vervielfachung der Inputs denentsprechend vervielfachten Output ermoglichen.

Mittels partieller Ableitungen der Produktionsfunktion F und einem Pro-portionalitatsfaktor λ ausgedruckt lauten diese ublicherweise unterstellten Ei-genschaften einer solchen neoklassischen Produktionsfunktion wie folgt:2

FL > 0, FLL < 0, FK > 0, FKK < 0, F (λK, λLd) = λF (K,Ld).

Abbildung 2.1a. stellt fur den Fall einer Variation des Arbeitseinsatzes Ld

bei konstant gehaltenem Kapitalstock K die damit einhergehende maxima-le Ausbringung Y dar und verdeutlicht damit die obige Annahme fallenderGrenzprodukte FL der Arbeit. Die Darstellung fallender Grenzprodukte FK

des Kapitals ist vom gleichen Typ, nur dass dann K anstelle von Ld auf derHorizontalen zu verwenden ist. Um sekundaren mathematischen Problemenaus dem Wege gehen zu konnen, wird in der Regel unterstellt, dass das Grenz-produkt der Arbeit bei Ld = 0 unendlich groß ist und bei Ld = ∞ den Wert‘null’ erreicht hat. Wir unterstellen im folgenden, dass der Leser mit solchenProduktionsfunktionen und insbesondere mit den hier dargestellten Regelnfallender Grenzprodukte von Arbeit und Kapital hinreichend vertraut ist.

Arbeitsnachfrage

Ausgaben, die fur den Kapitalstock K getatigt worden sind, stellen vergange-ne Ausgaben (Kosten) dar und sind daher fur die momentane Entscheidung,den vorhandenen Kapitalstock profitabel zu nutzen, irrelevant. Arbeit ist inunserem Modell deshalb der einzige variable Produktionsfaktor, der Nutzungs-kosten verursacht. In konventionellen Ansatzen der Makrookonomik werdenFirmen ublicherweise als Preisnehmer und Profitmaximierer dargestellt, diekeine Absatzprobleme wahrnehmen. Bei gegebenem Guterpreis p und Geld-lohnsatz w wahlen diese Firmen in jedem Zeitpunkt t die Beschaftigung oderden Arbeitseinsatz Ld (d steht fur ‘demand’) so, dass der Gewinn maximiertwird:

pY − δpK − wLd = pF (K, Ld)− δpK − wLd → max

Die Losung dieser Maximierungsaufgabe liefert als Bedingung fur den opti-malen Arbeitseinsatz der Firmen

pFL(K, Ld) = w oder ω = w/p = FL(K, Ld),

d.h. die gewinnmaximale Beschaftigung liegt dort, wo die Gleichheit von Wert-grenzprodukt und Geldlohn oder gleichwertig von Reallohn ω = w/p und2 Das klassische Beispiel ist hier die sog. Cobb-Douglas-Produktionsfunktion

Y = Kα(Ld)1−α, α ∈ (0, 1) sowie deren Verallgemeinerung zu sog. CES-Produktionsfunktionen.

Page 42: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

28 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

Grenzprodukt der Arbeit FL gegeben ist. Wir werden spater sehen, dass dieUnterscheidung zwischen Nominallohn w und Reallohn ω, d.i. die Gutermen-ge, die zum Nominallohn w verfugbar gemacht werden kann, von fundamen-taler Bedeutung ist. Es sollte deshalb stets ganz deutlich gemacht werden, obdie getroffenen wirtschaftstheoretischen oder wirtschaftspolitischen Argumen-te sich auf den Reallohn ω oder auf den Nominallohn w beziehen.

Im folgenden ist es des ofteren aus Grunden der Einfachheit zweckmaßig,die explizite Berucksichtigung des in der kurzen Sicht gegebenen KapitalstocksK in der Darstellung der Produktionsfunktion zu unterdrucken, also einfachden Ausdruck Y = F (Ld) fur die kurzfristige Produktionsfunktion zu benut-zen und auf dieser Grundlage bei Bedarf die Beschaftigung Ld als Funktiondes Outputs Y wie folgt (rechte Abbildung) darzustellen:

Abb. 2.1. Fallende Grenzertrage (F ′(Ld) ≈ ∆Y∆Ld ) und steigende Grenzkosten

( wF ′(Ld)

≈ w∆Ld

∆Y)

Mathematisch bedeutet dies, die Umkehrfunktion Ld = Ld(Y ) = F−1(Y ) derFunktion Y = F (Ld) zu bilden, die den Arbeitseinsatz in Abhangigkeit vomOutput Y darstellt. Abbildung 2.1. zeigt links die unterstellte Produktions-funktion (mit abnehmenden Grenzertragen F ′(Ld) der Arbeit) und rechts ihreUmkehrfunktion, die in Form der gestrichelten Linie noch mit dem gegebenenLohnsatz w multipliziert worden ist3 und in dieser Form die Variation dernominellen Lohnkosten mit dem Output zum Ausdruck bringt. Mittels dieserUmkehrfunktion Ld = Ld(Y ) lautet die obige Profitmaximierungsbedingungschließlich:

p = wLd ′(Y ) oder auch p = w/F ′(Ld)

d.h. im profitmaximalen Beschaftigungspunkt gilt: Preis = Grenz(lohn)kostender Produktion.4 Unterhalb dieses Punktes liegt der Preis uber den Grenz-kosten und sind damit marginale Produktionsausdehnungen profitabel. Ober-3 Die Abb. 2.1b. unterstellt, dass w < 1 gilt.4 Der Beweis dieser Aussage beruht auf der folgenden Regel fur die erste Ableitung

einer Umkehrfunktion: Ld ′(Y ) = 1/F ′(Ld), Y = F (Ld). Die obigen Darstellun-

Page 43: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.1 Das neoklassische Basismodell des temporaren Gleichgewichts 29

halb ubertreffen andererseits die Grenzkosten der Produktion den zusatzli-chen Erlos, ist also zusatzliche Produktion stets mit zusatzlichem Verlust ver-bunden und sollte damit nicht getatigt werden. Abbildung 2.2. stellt diesenSachverhalt mittels der zu fallenden Grenzprodukten der Arbeit gehorigensteigenden Grenzkostenkurve der Produktion dar:

Abb. 2.2. Steigende Grenzkosten und das Profitmaximum preisnehmender Firmen

Auf Basis dieser Reformulierung der Optimalitatsbedingung der Firmen kannauch die folgende Auffassung vom okonomischen Gehalt dieser Optimalitats-bedingung vertreten werden: Vollstandiger Wettbewerb zwischen den Firmendruckt das Preisniveau bis zu dem Punkt, wo es gleich den Grenzkosten derProduktion wird [Unvollstandiger Wettbewerb sollte aber Preisniveaus ober-halb dieser unteren Schranke implizieren]. Aus makrookonomischer Sicht kanndamit die hier diskutierte Grenzproduktivitatstheorie auch als Bestimmungdes gesamtwirtschaftlichen Preisniveaus zu gegebenem Outputniveau und ge-gebenen Nominallohnniveau (bei vollstandiger Konkurrenz) interpretiert wer-den5 [statt als Arbeitsnachfragefunktion Ld = (F ′)−1(w/p) zu gegebenemLohn– und Preisniveau, wie es sich aus Sicht der individuellen Firma dar-stellt].

gen sind leichter verstandlich, wenn man die Differentialquotienten Ld ′(Y ) undF ′(Ld) durch die entsprechenden Differenzenquotienten ∆Ld/∆Y bzw. ∆Y/∆Ld

ersetzt, da dann der Ausdruck p = w∆Ld/∆Y zur Motivation der vorstehendenRegeln benutzt werden kann.

5 Vgl. hierzu Keynes’ (1936, Kap. 21) Uberlegungen zur Theorie der Preise undhier Abschnitt 2.2.2.

Page 44: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

30 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

Vollbeschaftigung: so einfach?

Eine griffige, weithin populare wirtschaftspolitische Hypothese zur Unter-beschaftigungsproblematik, die auch in den Wirtschaftswissenschaften immerwieder vertreten wird, 6 lautet:

“An fast allen Markten sinkt der Absatz, wenn die Preise steigen.Wenn Bananen, Teppichboden oder Eisenbahnfahrten teurer werden,dann werden weniger Bananen, Teppichboden oder Eisenbahnfahrtenabgesetzt. Fur Arbeit gilt dasselbe.” (Wolfram Engels, Arbeitslosig-keit. Woher sie kommt und wie man sie beheben kann, 1984, S.8).

Dieses Zitat suggeriert, dass Arbeitslosigkeit ein reines Arbeitsmarktproblemist, welches durch eine geeignete Variation des Preises fur Arbeit, also des No-minallohns w, beseitigt werden kann. Mittels der in Tabelle 1.3. des voraus-gegangenen Kapitels dargestellten Struktur der Makrotheorie bedeutet dies,dass man sich bei der Analyse von Massenarbeitslosigkeit anscheinend wiefolgt beschranken kann:

Tabelle 2.1. Arbeitslosigkeit: Ein reines Arbeitsmarktproblem?

Arbeits-markt

Guter-markt

Geld-markt

Kapitalmarkt

Haushalte L

Unter-nehmen

Ld(w) Kurze Sicht

Staat

Preise w Kurze oder

Erwartungen – – – – mittlere Sicht

Auf Basis der vorausgegangenen Abschnitte zu Produktion und Beschaftigungstellt sich der Arbeitsmarkt aber wie folgt dar:7

6 Vgl. hier z.B. auch J.B. Donges, W. Hamm, W. Moschel, M.J.M. Neumannund O.Sievert (1995): Arbeitslosigkeit und Lohnpolitik - Die Tarifpolitik in derBewahrungsprobe. Frankfurter Institut: Argumente zur Wirtschaftspolitik Nr. 52,S.3.

7 Wir unterstellen hier und im folgenden, dass auch Beschaftigungslagen Ld > Lrealisierbar sind, also L keine Produktionsgrenze darstellt. Dies kann man z.B. da-durch begrunden, dass ab dem Punkt der Vollbeschaftigung des Erwerbspersonen-potentials L Uberstunden geleistet werden. Der Ausdruck L steht damit gleich-

Page 45: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.1 Das neoklassische Basismodell des temporaren Gleichgewichts 31

Abb. 2.3. Ein zu hoher Reallohn und Unterbeschaftigung

Fur profitmaximierende Unternehmungen sind bei ihrer Beschaftigungsent-scheidung die realen Lohnkosten ω = w/p und nicht die Nominalkosten –unabhangig vom Preis ihres Outputs – von Bedeutung. Gemaß Abbildung2.3. kann damit der Reallohn ω, nicht aber der Nominallohn w per se, zuhoch sein, um Vollbeschaftigung zu ermoglichen. Wenn im obigen Zitat alsovon einem zu hohen Nominallohn gesprochen wird, so kann dies nur richtigsein, wenn dies auf Basis eines exogen fixierten Preisniveaus p (p = 1 der Ein-fachheit halber) geschieht. Die folgende Schlussfolgerung von Engels (S.8/9)macht ebenfalls nur auf dieser Basis Sinn:

“Auf einem Wettbewerbsmarkt spielt sich der Lohn automatisch aufdie Hohe ein, bei der Vollbeschaftigung herrscht. Sind in der Aus-gangslage die Lohne zu hoch, so bleibt ein Teil der Arbeiter beschafti-gungslos. Sie bieten ihre Arbeitskraft billiger an, bis der Lohn seinVollbeschaftigungsniveau erreicht hat.”

Mittels Abbildung 2.4. lasst sich dieses Zitat wie folgt darstellen, sofern manwieder von einem fixierten Preisniveau p = 1 ausgeht:

Die linke Grafik in Abb. 2.4. zeigt die von Engels beschriebene Lohnan-passung, die links von der Vollbeschaftigung L sinkende Nominallohne undrechts davon steigende Lohne postuliert. Es ist offensichtlich, dass eine sol-che Anpassung den Vollbeschaftigungs–Lohnsatz wo generiert, wenn sie stetigvonstatten geht. Die rechte Grafik stellt diese kontinuierliche Anpassung inForm einer einfachen linear-inhomogenen Differentialgleichung erster Ordnung(mit konstanten Koeffizienten) in der Variablen w dar:

w = βw(Ld(w)− L), βw > 0 [Ld(w) = (F ′)−1(w), Ld ′ < 0] (2.1)

zeitig fur die Normalauslastung des Erwerbspersonenpotentials und Y = F (L)fur die damit einhergehende Produktion. Der Einfachheit halber gehen wir imfolgenden auch von einer linearen Gestalt der Grenzproduktivitatskurve aus.

Page 46: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

32 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

Abb. 2.4. Lohnanpassung im Ungleichgewicht

In dieser Differentialgleichung bezeichnet w = dw/dt die zeitliche Ableitungoder Veranderung der Variablen w. Diese wird in ihrer Richtung gemaß derrechten Seite dieser Gleichung von der Uberschussnachfrage Ld(w) − L nachArbeit bestimmt. Die Reaktionsstarke auf dieses Ungleichgewicht ist durchden Parameter βw = const. gegeben, der festlegt, in welchem Ausmaß der No-minallohn auf diese Uberschussnachfrage reagiert. Hinreichend fur die globaleStabilitat des durch diese Differentialgleichung beschriebenen Anpassungspro-zesses der Geldlohne ist der gemaß dem vorherigen Abschnitt gegebene globaleSachverhalt Ld ′(w) < 0 (p = 1), da diese Bedingung besagt, dass die Funk-tion βw(Ld(w)− L), wie in Abbildung 2.4. dargestellt, (global) eine negativeSteigung aufweist. Dies fuhrt links von Ld(w0) = L, also fur w < w0, zukontinuierlich steigenden Nominallohnen und rechts davon zu kontinuierlichsinkenden Nominallohnen, also zu Konvergenz des Nominallohns w gegen denVollbeschaftigungslohnsatz w0. Der von Engels formulierte Anpassungspro-zess der Geldlohne scheint damit erfolgreich zu sein. Und allgemeiner gilt inseinen Worten (S.7):

“Es gibt also zwei Wege zur Uberwindung der Arbeitslosigkeit . Entwe-der wird die Arbeitsproduktivitat bei gegebenen Arbeitskosten erhohtoder die Arbeitskosten werden bei gegebener Produktivitat gesenkt.Das bedeutet: Entweder muss in erheblichem Maße produktiv inves-tiert werden oder es muss zu einer Umkehr in der Lohnpolitik kom-men.”

Wir haben oben schon gezeigt, wie ein zu hoher Nominallohn durch steti-ge Zurucknahme wieder zum Vollbeschaftigungsgleichgewicht zuruckfuhrenkann. Die von Engels als Alternative dazu angesprochenen Produktivitats-steigerungen sollen bedeuten, dass sich bei ihnen die Ld–Kurve schrittweisenach rechts verschiebt und damit ebenfalls schrittweise hohere Nominallohne– also letztlich auch der zu hohe Ausgangsnominallohn – gleichgewichtsfahigwerden. Dies geschieht z.B. auf dem Wege von Investitionen, die den Kapi-talstock K erhohen, was z.B. bei einer Cobb–Douglas–Produktionsfunktion

Page 47: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.1 Das neoklassische Basismodell des temporaren Gleichgewichts 33

bei gegebener Beschaftigung Ld einen Anstieg des Grenzprodukts der Arbeitherbeifuhrt8

FL = (1− α)Kα(Ld)−α.

Umgekehrt gesehen steigt damit bei jedem Reallohn ω (= w hier!) die Ar-beitsnachfrage, was uns auf den Punkt der Vollbeschaftigung hinfuhrt, wie esvon Engels behauptet wird.

Ist deshalb wirklich Arbeitslosigkeit ein reines Arbeitsmarktphanomen,dessen Diagnose und Therapie allein den Arbeitsmarkt betrifft? Bei unverkauf-ten Bananen mag diese Sichtweise angemessen sein, da eine Senkung des Bana-nenpreises in der Bundesrepublik kaum das allgemeine Preisniveau beruhrendurfte. Analoges ist im Falle des allgemeinen Lohnniveaus w in einer entwi-ckelten Volkswirtschaft kaum vorstellbar, d.h. eine allgemeine Lohnsenkungsollte dort in irgendeiner Form das Preisniveau p beeinflussen. Die ceteris pa-ribus Annahme p(= 1), auf der die obige Analyse von Engels beruht, ist daherin bezug auf den gesamten Arbeitsmarkt einer Industriegesellschaft nicht zurechtfertigen.

Es folgt, dass die gezogenen Konklusionen ihres Fundaments entbehren, dader gesamtwirtschaftliche Arbeitsmarkt nicht losgelost vom Geschehen insbe-sondere auf dem Gutermarkt untersucht werden kann. Arbeitslosigkeit , diegenereller Natur, also nicht nur ‘struktureller’ Natur ist, kann deshalb nichtisoliert als Arbeitsmarktphanomen, quasi wie auf einem Teilarbeitsmarkt, be-handelt werden, sondern ist Konsequenz der Interdependenz von Markten,setzt also die Analyse von wenigstens noch einem Markt (der zentral an derBestimmung des allgemeinen Preisniveaus beteiligt sein muss) voraus. Diestrifft bereits im prakeynesianischen neoklassischen Basismodell zu, das wir imfolgenden als erstes gesamtwirtschaftliches Modell zu untersuchen haben. Deroben dargestellte Ausschnitt unserer kompletten Markte–Sektoren Strukturist damit nicht hinreichend, um das Phanomen von Massenarbeitslosigkeitverstehen zu konnen.

Im Rahmen des herzuleitenden neoklassichen Basismodells kurzfristigerGleichgewichtslagen ist der fehlende ‘Markt’ durch eine Kombination derTransaktionen, die auf Guter- und Geldmarktebene stattfinden, gegeben, de-ren Darstellung wir uns jetzt zuwenden wollen. Dieses Modell wird daruber-hinaus zeigen, dass selbst in einem noch sehr einfachen gesamtwirtschaftlichenModell die Engelssche Annahme p = 1 zu anderen Schlussfolgerungen fuhrt,als den von ihm behaupteten, also nicht einmal seine Partialanalyse korrektdurchgefuhrt worden ist.

8 Die allgemeine Bedingung fur einen solchen Sachverhalt lautet FLK > 0, wasbesagt, dass die Grenzprodukte der Arbeit sich bei steigendem Kapitaleinsatzund gleichbleibender Arbeitsleistung erhohen mussen.

Page 48: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

34 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

Klassische Preisniveaubestimmung und Preisniveaustabilitat

Im folgenden wollen wir zunachst unterstellen, dass der Arbeitsmarkt im Sin-ne von Engels funktioniert und eine Anpassung des Geldlohns w an w0 Voll-beschaftigung ermoglicht hat: Ld = L, Y = Y = F (L). Was kann in einersolchen Situation eine Veranderung des Preisniveaus nach oben oder nachunten bewirken?

Der wohl einfachste und alteste – aber in spezifischer Reformulierung im-mer noch aktuelle – Ansatz ist hier durch die sog. Quantitatstheorie des Geldesgegeben. Sei M die (fixierte) im Umlauf begriffene Menge des ‘Geldes’, welchelediglich fur Transaktionszwecke genutzt wird, d.h. es gibt keine Motive, Geldals ‘Aktivum’ zu halten. Unterstellt man des weiteren gegebene Zahlungsge-wohnheiten bei Firmen und Haushalten, die z.B. einem monatlichen Rhyth-mus unterliegen,9 so erscheint es als plausibel, dass die vorhandene Geldmengein der Lage ist, 12 · M Zahlungsvorgange pro Jahr beim Tausch von Guternreibungslos zu bewerkstelligen. Allgemein ausgedruckt konnte man also sagen,dass der Geldbestand ein Nominalvolumen an Transaktionen im Umfang vonvM gewahrleistet, wenn v die Umschlagshaufigkeit des Geldes bezeichnet (oftauch Umlaufsgeschwindigkeit genannt).

Unternehmen zahlen also in gewissen (durch 1/v reprasentierten) Abstan-den im Verlaufe des Jahres Faktoreinkommen wL, pY − wL aus,10 die dannzum Erwerb von Gutern im Umfang von pY genutzt werden. Per se mussdieser Nominalwert nicht mit dem durch die Geldmenge ermoglichten Trans-aktionsvolumen vM ubereinstimmen. In einem solchen Falle ist es aber wie-derum nicht unplausibel zu vermuten, dass ein Uberschuss von vM uberpY , d.h. eine zu hohe Liquiditat der Wirtschaft, die Preise steigen lassenwird, wie umgekehrt ein zu geringes vM fallende Preise bewirkt, also in un-serer Ein–Gut–Welt der Guterpreis p fallt. Erneut in Form einer einfachenlinear-inhomogenen Differentialgleichung erster Ordnung ausgedruckt bekom-men wir damit

p = βp(vM − pY ), βp > 0, (2.2)

wobei p = dp/dt erneut die zeitliche Veranderung, hier des Guterpreises p,und βp die Anpassungsgeschwindigkeit des Preisniveaus infolge des vorhande-nen ‘monetaren Ungleichgewichts’ bezeichnet. Grafisch dargestellt ergibt sich9 Die Unternehmen mogen z.B. zum ersten jedes Monats ihre Wertschopfung als

Lohn- und Gewinneinkommen an die Haushalte auszahlen, also Geldzahlungenin diesem Umfang tatigen, die ihnen dann im Verlaufe des Monats uber Konsum-ausgaben der Haushalte wieder zufließen und die sie bis zur neuen Einkommens-auszahlung unverzinslich horten. Wir betonen, dass es fur unsere Zwecke nichtauf eine ausgefeilte Darstellung der Hintergunde dieser hier nur vorubergehendbenutzten sehr elementaren Form der Quantitatstheorie des Geldes ankommt. De-tailiertere Ausfuhrungen zur Quantitatstheorie des Geldes findet man in Ackley(1964, Kap.V) und Froyen (1993, Kap.4).

10 Vom Staatssektor wird hier noch abstrahiert.

Page 49: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.1 Das neoklassische Basismodell des temporaren Gleichgewichts 35

damit wieder ein einfacher global asymptotisch stabiler Anpassungsprozessdes Preisniveaus p an sein Gleichgewichtsniveau p0, der wie folgt dargestelltwerden kann:

Abb. 2.5. Die Quantitatstheorie des Geldes und des Preisniveaus

Nach Abschluss von Anpassungsvorgangen gilt damit die Quantitatstheoriedes Geldes in der folgenden ublichen Form: vM = p0Y . Dies liefert uns ei-ne sehr einfache Bestimmungsgleichung fur das Preisniveau, welches mit dergegebenen Geldmenge M und dem gegebenen Vollbeschaftigungsoutput Ykompatibel ist: p0 = vM/Y . Damit ist – in spezifischer Form – die Frage desvorausgegangenen Abschnitts beantwortet worden, wie sich aus makrookono-mischer oder gesamtwirtschaftlicher Sicht das dort als exogen gegebene Preis-niveau p erklaren oder bestimmen lasst.

Wird die Geldmenge M im momentanen Zeitpunkt auf M ′ erhoht, soimpliziert dies, wie Abbildung 2.6. zeigt, eine Rechtsverschiebung der Kurveder vorherigen Abbildung:

Abb. 2.6. Konsequenzen einer Geldmengenexpansion

Page 50: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

36 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

Das Preisniveau p beginnt vom alten Gleichgewichtswert p0 aus anzusteigen,bis es den neuen Gleichgewichtswert p′0 erreicht hat. Diese Darlegung impli-ziert unmittelbar, dass in der gegenwartigen Situation Preisniveaustabilitatnur gegeben sein kann, wenn die Zentralbank die Geldmenge M auf einemgewissen Niveau einfriert, also nicht durch bestandige Erhohungen des Geld-bestandes einer Volkswirtschaft inflationare Prozesse auslost.

Zusammenfassend konnte man daraus schließen, dass das freie Spiel derMarktkrafte am Arbeitsmarkt (kompetitive Bedingungen und Lohnflexibi-litat) sowie eine geeignete Geldpolitik zwei Hauptprobleme der Gesamtwirt-schaft zu losen vermogen, namlich Arbeitslosigkeit und Inflation. Wir werdenjedoch sehen, dass selbst im neoklassischen Basismodell dieses Kapitels die-se Kernfragen der Makrookonomie nicht so einfach analysiert und beantwor-tet werden konnen, wie dies bisher geschehen ist. Eine Vorgehensweise wiedie obige ist deshalb selbst im einfachsten prakeynesianischen Makromodellals fehlerhaft und irrefuhrend zu bezeichnen, da am Arbeitsmarkt nicht dasPreisniveau p und bei den durch Geld vermittelten tatsachlichen Transaktio-nen nicht das Vollbeschaftigungs-Outputniveau Y vorgegeben werden darf.Dieses Urteil wird in Abschnitt 2.1.2 weiter begrundet werden. Zuvor sollenjedoch in einem Exkurs noch einige weitere wirtschaftspolitische Aspekte ge-schlossener Volkswirtschaften dargestellt werden, die jedoch fur das danachFolgende (bis zum Kapitel 5) nicht von Bedeutung sind und deshalb vom Leserauch ubersprungen werden konnen.

Exkurs: Weitere Probleme und Ziele der Wirtschaftspolitik

Gemaß dem im Vorausgegangenen Erorterten konnte es das Ziel der Wirt-schaftspolitik sein, kompetitive Bedingungen am Arbeitsmarkt zu bewahrenoder zu fordern und durch zuruckhaltende Geldpolitik fur Preisniveaustabi-litat zu sorgen.

Geht man nun aber zusatzlich davon aus, dass die Arbeitsbevolkerung (unddamit das Arbeitsangebot L) oder die Arbeitsproduktivitat y = Y/L in derZeit wachst, so ergibt sich als weiteres Problem die Frage nach einem angemes-senen Wachstum des Kapitalstocks K, so dass Vollbeschaftigung in der Zeitbei einer als ‘gerecht’ angesehenen Verteilung der Produktionszuwachse erhal-ten werden kann. Daruber hinaus kann in einer wachsenden Volkswirtschaftdie Geldmenge, M , nicht konstant bleiben, da dies gemaß Quantitatstheo-rie zu einer permanenten Deflation fuhren musste und der ‘monetare Mantel’fur die gesamte Volkswirtschaft gemessen an ihrem realen Transaktionsvolu-men kleiner und kleiner werden wurde. Deflationare Tendenzen durften aberauf Dauer Probleme fur einen reibungslosen Ablauf des Einkommenskreislaufsnach sich ziehen und sind deshalb zu vermeiden.

Unterstellen wir im folgenden der Einfachheit halber, dass das Arbeitsan-gebot mit der konstanten Rate L/L = n1 wachst und die Arbeitsproduktivitat11 y = Y/L mit der konstanten Rate y/y = n2. Der Vollbeschaftigungsoutput11 So wie sie in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) gemessen wird.

Page 51: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.1 Das neoklassische Basismodell des temporaren Gleichgewichts 37

muss dann mit der Rate Y /Y = n1 +n2 wachsen, wie sich mittels elementarerDifferentiationsregeln zeigen lasst.12

Mathematischer Exkurs: Wir bezeichnen mit x = x/x, y = y/y dieWachstumsraten der Variablen x, y. Fur solche Wachstumsraten geltendie folgenden Regeln:

x · y = x + y, x/y = x− y xa = ax.

Zum Beweis: Mittels der ‘Produktregel’ zeigt man leicht: xy = (xy +xy)/(xy) = x/x + y/y = x + y. Es folgt dann bzgl. der zweiten Wachs-tumsratenformel: x = (x/y · y) = x/y + y, woraus die Gultigkeit auchdieser Formel ersichtlich ist. Hinsichtlich der dritten Wachstumsratenre-gel gilt schließlich: xa = axa−1x/xa = ax, wie oben behauptet wordenist.Man beachte hier des weiteren, dass x = d ln x/dt = ˙ln x gilt, die obigenRegeln fur Wachstumsraten also auch durch sog. logarithmische Differen-tation nachgewiesen werden konnen, da gilt: ln(xy) = ln x+ln y, ln(x/y) =ln x− ln y, ln(xa) = a ln x.

Angewandt auf Y = yL ergibt sich somit Y = y + L = n1 + n2, wie obenbehauptet. Wie aber konnen derartige Wachstumsbeziehungen im Rahmenunserer neoklassischen Produktionsfunktion Y = F (K,L) eingefuhrt und dar-gestellt werden?

Um dies zu demonstrieren, wollen wir uns auf das Beispiel einer Cobb–Douglas–Produktionsfunktion beschranken: F (K,L) = KαL1−α, α ∈ (0, 1).Steigerungen der Produktivitat der Arbeit konnen dahingehend interpretiertwerden, dass eine gegebene Anzahl von Arbeitern in der Zeit mehr und mehrArbeitsleistung vollbringt, so als ob sich die Anzahl der Arbeiter vermehrthatte. Geschieht dies, wie oben angenommen, mit einer konstanten Rate n2,so kann die Steigerung der Effizienz der Arbeit durch folgenden Ausdruckdargestellt werden13

Le = Len2t [Le = L + n2]

wo Le die Arbeitsleistung, in Effizienzeinheiten gemessen, zum Ausdruck brin-gen soll. Bzgl. dieser Auffassung der Wirkung von technischem Fortschrittergibt sich als neue Input–Output–Beziehung damit

Y = F (K, Le) = Kα(Le)1−α = Kα(Len2t)1−α

Arbeitsvermehrender technologischer Wandel lasst somit den Output in derZeit ansteigen, auch wenn wie fruher von gegebener Ausstattung mit Kapital12 Vgl. hierzu auch den mathematischen Anhang in Westphal (1994).13 Fur die Beziehung zwischen Logarithmus und Exponentialfunktion gilt bekannt-

lich: ln(en2t) = n2t.

Page 52: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

38 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

K und Arbeit L ausgegangen wird (K = L = 0). In diesem Falle ergibt sichfur die Steigerung der Arbeitsproduktivitat y = Y/L im Sinne der VGR derfolgende Ausdruck

y = Y − L = αK + (1− α)Le − L = αK + (1− α)(L + n2)− L = (1− α)n2,

da ln(Kα(Le)1−α) = α ln K + (1 − α) ln Le gilt und die zeitliche Differen-tation dieses Ausdrucks erneut zu Wachstumsraten (von K, Le) uberleitet.Vollbeschaftigung in der Zeit wurde also bei einer stationaren Ausstattungmit Produktionsfaktoren L und K verlangen, dass der Output Y mit der Ra-te (1 − α)n2 wachst, wahrend bei einer wachsenden Arbeitsbevolkerung dieRate (1− α)(n1 + n2) erforderlich ist.

Es ist ein stilisiertes Faktum14 marktwirtschaftlicher Okonomien, dass diesog. Kapitalproduktivitat x = Y/K keinen dauerhaften Trend aufweist, son-dern nur langerfristigen zyklischen Schwankungen unterliegt. Die Realisationder zusatzlichen Bedingung x = const (d.h. x = 0) verlangt im Rahmen derobigen Wachstumsuberlegungen zusatzlich die Bedingung K = n1 + n2, dadann und nur dann Y = K(= n1 + n2) erfullt sein kann:

Y = αK + (1− α)(n1 + n2) impliziert

0 = Y − K = (1− α)(n1 + n2 − K) ⇔ K = n1 + n2.

In diesem Falle gilt des weiteren:

Y/L = n1 + n2 − n1 = n2

K/L = n1 + n2 − n1 = n2

d.h. sowohl die Arbeitsproduktivitat Y/L als auch die sog. KapitalintensitatK/L steigen in der Zeit mit der Rate des arbeitsvermehrenden technischenWandels n2.

Vollbeschaftigung von Arbeit L und Kapital K in der Zeit erfordert somit,dass die Nachfrage nach Gutern und damit der Output mit der Rate

Y = αK + (1− α)(L + n2)

wachsen muss, was die Frage aufwirft, welche Krafte dieses ‘angemessene’Wachstum von Guternachfrage und –angebot hervorrufen. Diese Krafte zubewahren oder zu stutzen, konnte folglich als eine weitere Aufgabe der Wirt-schaftspolitik angesehen werden, deren Zielsetzung damit erneut die jetztmittel– und langfristig orientierte Erhaltung der Vollbeschaftigung von Arbeitund Kapital ist. Kommt als langfristige Bedingung die Gleichgewichtsbedin-gung

k = 0, k = K/(Len2t) = K/Le

14 Als stilisiertes Faktum bezeichnet man einen im großen und ganzen als richtigangesehenen Sachverhalt qualitativer Natur.

Page 53: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.1 Das neoklassische Basismodell des temporaren Gleichgewichts 39

hinzu, so vereinfachen sich diese Aussagen dahingehend, dass dann die Raten1 + n2 als angemessen und somit als Zielvorstellung fur eine wachstums-orientierte Wirtschaftspolitik vorgegeben werden kann.15 Unabhangig davonist jedoch ersichtlich geworden, dass wachsende Arbeitsbevolkerung und dieArbeitsproduktivitat steigernder technischer Wandel mehr Anpassung von ge-samtwirtschaftlichen Großen erfordert als lediglich einen sich anpassenden No-minallohn, der bestandig Vollbeschaftigung garantiert.

Wir nehmen fur den Rest dieses Abschnittes an, dass sowohl der OutputY als auch der Kapitalstock K mit der Rate n1 + n2 wachsen und damitVollbeschaftigung und Vollauslastung in der Zeit garantiert sind. Soll Preis-niveaustabilitat diesen Wachstumsprozess begleiten, so ist aufgrund der un-terstellten Gultigkeit der Quantitatstheorie klar, dass dann die Geldpolitikdafur zu sorgen hat, dass die Geldmenge M mit der Rate n1 +n2 wachst. DieBeziehung: vM = pY ergibt in Wachstumsraten ausgedruckt die Gleichung

µ = M = p + Y = π + γ (v = 0),

die besagt, dass im Rahmen dieser Theorie die Wachstumsrate der Geldmengeµ stets gleich der Summe von Wachstumsrate des realen Outputs γ und Infla-tionsrate π zu sein hat. Preisniveaustabilitat π = 0 impliziert damit unmittel-bar eine Regel fur ‘angemessene’ Geldmengenveranderungen: M = (n1+n2)Moder M = n1 + n2.

Im Zusammenhang mit der Bestimmung der Arbeitsnachfrage haben wirgesehen, dass diese Nachfrage auf der Grenzproduktivitatsbeziehung ω =w/p = FL(K, Len2t) beruht, wobei im jetzigen Rahmen Vollbeschaftigungunterstellt ist, da L das Arbeitsangebot darstellt. Mittels der Cobb–Douglas–Produktionsfunktion ergibt sich damit erneut speziell

ω = (1− α)Kα(Len2t)−α · en2t.

In der Situation, wo K mit der Rate n1 + n2 wachst, ist somit Kα(Len2t)−α

eine Konstante, und es gilt somit:

ω = n2.

Im Falle des oben schon betrachteten gleichschrittigen Wachstums von Outputund Kapital folgt also auf Basis der grenzproduktivitatstheoretischen Bestim-mung des Reallohns ω, dass dieser Reallohn mit der Rate des arbeitsvermeh-renden technischen Wandels wachsen muss. Fur den Geldlohn impliziert diesbei stabilem Preisniveau ebenfalls die Wachstumsrate n2 wegen

w = ω · p, d.h. wegen w = ω + p = ω.

Letztere Geldlohnformel ist auch fur inflationare Volkswirtschaften anwendbarund kann als Leitlinie fur die Wachstumsrate der Geldlohne (=Produktivitats-wachstum + Inflation) reinterpretiert werden. Ihre Anwendung außerhalb des15 Vgl. hierzu das in Abschnitt 6.1 dargestellte Solowsche neoklassische Wachstums-

modell.

Page 54: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

40 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

von uns als gleichschrittig unterstellten Wachstums mag jedoch auf Problemestoßen.16

Wir haben in diesem einleitenden Teil des zweiten Kapitels aufzuzeigenversucht, dass gesamtwirtschaftliche Arbeitslosigkeit kein Problem des Ar-beitsmarktes allein ist, sondern selbst im Rahmen des jetzt folgenden neo-klassischen Basismodells mit dem Geschehen auf anderen Markten (hier so-gleich mit dem Guter- und Geldmarkt) zu verbinden ist. Inwieweit bei solcherInterdependenz Geldlohn–Senkungen beschaftigungssteigernd wirken und da-mit letztlich zu Vollbeschaftigung fuhren konnen, wird im folgenden deshalbneu zu untersuchen sein. Wir haben daruber hinaus gesehen, dass die Beruck-sichtigung von Wachstum beim Faktor Arbeit und bei seiner Produktivitat zueiner Reihe zusatzlicher Uberlegungen Anlass gibt, wo sich ebenfalls noch zei-gen muss, inwieweit beim Faktor Kapital Wachstumsprozesse erzeugt werden(konnen), die den obigen Untersuchungen bei konstanten Wachstumsraten,sog. Steady State Uberlegungen, Relevanz zukommen lassen.

2.1.2 Arbeits– und Geldmarkt im neoklassischen Basismodell

Wir werden spater auf Wachstumsprozesse zuruckkommen, gehen aber im fol-genden zunachst wieder von gegebenen Faktormengen K und L (und n2 = 0)sowie von einem gegebenen Geldangebot M aus, um auf dieser Basis zu studie-ren, inwieweit die erorterten Lohn– und Preisanpassungsmechanismen letzt-endlich zu Vollbeschaftigung fuhren konnen. Der Faktor Kapital braucht da-bei nicht explizit betrachtet zu werden, sondern ist als Hintergrunddatumzur jeweilig kurzfristig relevanten Produktionsfunktion Y = F (Ld) zu verste-hen. Auf Basis dieser Produktionsfunktion ist – wie wir gesehen haben – dieBeschaftigung Ld durch die Grenzproduktivitatsregel ω = F ′(Ld) determi-niert, also Ld als Funktion des Reallohns ω = w/p wie folgt ausdruckbar:

Ld = (F ′)−1(ω) = G(ω), G′ < 0.17

Der zu dieser Beschaftigung gehorige profitmaximale Output wird in sei-ner Abhangigkeit vom Reallohn bzw. bei gegebenem Geldlohn w in seinerAbhangigkeit allein vom Preisniveau im folgenden wie folgt dargestellt wer-den:

Y = Y (ω) = F (G(ω)), ω = w/p, AS = AS(p) = Y (w/p),

16 Gilt y = Y/L = n2, so besagt diese Regel, dass die Lohnquote u = wLpY

, derAnteil der Lohne am Sozialprodukt, konstant bleibt (u = w − y − p), was abernicht beinhaltet, dass es sich bei dieser Verteilung des Sozialprodukts um eine‘gerechte’ Verteilung handeln muss.

17 ‘Abnehmende Grenzprodukte’ besagt, dass die Funktion F ′(Ld), und damit auchihre Umkehrfunktion, eine fallende Funktion ist. Wir stellen die Funktion Ld =G(ω) im folgenden auch manchmal einfach durch Ld(ω) dar.

Page 55: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.1 Das neoklassische Basismodell des temporaren Gleichgewichts 41

wobei “AS” hier fur “aggregiertes Angebot” (aggregate supply) steht. Man be-achte, dass Y eine fallende Funktion des Reallohns ω ist und AS eine steigen-de Funktion des Preisniveaus p. Die folgende Grafik fasst diese verschiedenenAbhangigkeiten in anschaulicher Weise zusammen.

Abb. 2.7. Eine grafische Darstellung von Beschaftigungs- und Angebotsfunktionendes neoklassischen Basismodells

Fugt man nun aber die im Vorausgegangenen isoliert dargestellte, jeweilslinear-inhomogene Lohn– und Preisdynamik zusammen, so ergibt sich dasfolgende, jetzt notwendigerweise nichtlineare und interdependente18 Differen-tialgleichungssystem erster Ordnung:19

w = βw(G(w/p)− L), βw > 0 [G(w/p) = Ld] (2.3)p = βp(vM − pF (G(w/p))), βp > 0 (2.4)

In diesem System ist nun berucksichtigt, dass Abweichungen von der Voll-beschaftigung am Arbeitsmarkt

Ld = G(w/p) 6= L, Y = F (Ld) 6= Y

naturlich auch bei der die Preisdynamik bestimmenden Quantitatstheorie zuberucksichtigen sind, dort also nicht, wie bisher geschehen, einfach von hy-18 Die bisherige Zuordnung, dass die Entwicklung der Geldlohne allein vom Arbeits-

markt abhangt und die des Preisniveaus allein vom Geldmarkt, ist jetzt nichtmehr zutreffend.

19 Die bisherige Unterstellung einer linearen Funktion G impliziert fur dieses System,dass dann die Funktion F nichtlinear sein muss. In diesem Falle ist die einzigeweitere Nichtlinearitat in diesem System durch die Verwendung des Bruchs w/pin jeder der beiden Differentialgleichungen gegeben.

Page 56: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

42 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

pothetischer Vollbeschaftigung Y ausgegangen werden kann. Der gegenwartigproduzierte Output ist durch Y (w/p) = F (G(w/p)) gegeben. Dieser Out-put ist mit dem Transaktionsvolumen vM zu vergleichen, das die vorhandeneGeldmenge reibungslos verkraften kann, um die quantitatstheoretische Ten-denz zu Inflation oder Deflation korrekt bestimmen zu konnen. Diese inflati-onaren Tendenzen beeinflussen aber ihrerseits die Arbeitsnachfrage und denOutput, so dass insgesamt ein Wechselspiel zwischen Lohndynamik und Preis-dynamik entsteht. Dieses Wechselspiel gilt es jetzt aus verschiedenen Blick-winkeln zu studieren.

Im Gegensatz zu dem von Engels Festgestellten, vgl. den vorausgegan-genen Abschnitt, gilt also im neoklassischen Basismodell, dass Lohn– undPreisdynamik interdependent sind und dass Arbeits– und Geldmarktaspektesimultan zu betrachten sind, um die Frage untersuchen zu konnen, ob Markt-krafte allein ausreichend sind, Vollbeschaftigung am Arbeitsmarkt zu erzeu-gen. Es ist daher nicht moglich, Anpassungsvorgange am Arbeitsmarkt beikonstantem Preisniveau zu studieren, es sei denn, es handelt sich um einenfur die Entwicklung des Preisniveaus irrelevanten Teilarbeitsmarkt. Solche mi-krookonomische Partialanalyse (des Arbeits– oder des Bananenmarktes) darfdeshalb nicht mit einer gesamtwirtschaftlichen Analyse des Arbeitsmarktge-schehens verwechselt werden, wie Engels (1984) dies tut. Gleichermaßen ist esnicht sinnvoll, Anpassungsvorgange beim Preisniveau bei permanenter Voll-beschaftigung zu analysieren, d.h. die Variablen p, w, Y, Ld sind simultan alsendogen bestimmte Großen zu behandeln.

Im Rahmen der von uns unterstellten makrookonomischen Struktur istdamit jetzt die folgende Stufe an Marktinterdependenz erreicht:

Tabelle 2.2. Makrookonomische Interdependenz von Arbeits-, Guter- und Geld-markten

Arbeits-markt

Guter-markt

Geld-markt

Kapitalmarkt

Haushalte L

Unter-nehmen

Ld(w/p) Y (w/p) v Kurze Sicht

Staat M

Preise w p Kurze oder

Erwartungen mittlere Sicht

Page 57: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.1 Das neoklassische Basismodell des temporaren Gleichgewichts 43

Diese Darstellung zeigt, dass neben dem Arbeitsmarktgeschehen jetzt einespezifische Verzahnung von Gutermarktgeschehen (pY ) und Geldmarktge-schehen (vM) ins Auge zu fassen ist. Diese Verzahnung besagt insbeson-dere, dass der Wert des profitmaximierend produzierten nominellen Sozial-produkts pY und die vorhandene Geldmenge M in bestimmter dynamischerWeise aufgrund ablaufender Transaktionen miteinander interagieren und aufdiese Weise die zeitliche Entwicklung des Preisniveaus p festlegen. Es ist hierzu betonen, dass diese Interaktion nur Angebotsaspekte am Guter- wie aucham Geldmarkt erfasst. Wir werden im folgenden nur den Geldmarkt anfuhren,wenn es um die Bezeichnung der Ergebnisse dieser Interaktion geht.

Um dies formal naher zu beleuchten, wollen wir hier der Einfachheit hal-ber nur einen Spezialfall des Differentialgleichungssystems (2.3), (2.4) analy-sieren, der aber reprasentativ fur das allgemein erzielbare Resultat ist und deruns zudem in eine wichtige Analysemethode einfuhren wird, die komparativeStatik. Den allgemeinen Fall werden wir kurz in einem Appendix zu diesemAbschnitt darstellen. Spatere Kapitel werden ausfuhrlicher auf die Analysezweidimensionaler Differentialgleichungssysteme eingehen und damit die indiesem Appendix vorgestellte dynamische Analyse weiter verdeutlichen.

Im folgenden unterstellen wir deshalb, dass βp = ∞ gilt, also der Anpas-sungsprozess des Preisniveaus am Geldmarkt unendlich schnell verlauft undsomit dort stets Gleichgewicht vorliegt:

pY (w/p) = pF (G(w/p)) = vM [G(w/p) = Ld, F (G(w/p)) = Y (w/p)] (2.5)

Im Unterschied zur Variablen w, die weiterhin dem dynamischen Gesetz (2.3)genugt und daher als dynamisch endogene Variable bezeichnet werden soll,genugt p jetzt einer Gleichgewichtsbedingung und wird deshalb auch als sta-tisch endogene Variable bezeichnet. Wird die Geldmenge M sprunghaft umdM erhoht, so verandert sich das Preisniveau unmittelbar (um dp) und stelltdamit ebenfalls sprunghaft Geldmarktgleichgewicht wieder her. Die Variablew dagegen ist in jedem Zeitpunkt fixiert und kann sich erst im Zeitverlaufgemaß dem Bewegungsgesetz (2.3) an das gestiegene Preisniveau anpassen(welches eine Uberschussnachfrage nach Arbeit erzeugt hat, was in der Zeitsteigende Geldlohne nach sich zieht).

Vom Standpunkt der kurzfristigen Analyse aus gesehen ist daher w alsexogen gegeben betrachtbar und es kann daher untersucht werden, wie sicheine parametrische Veranderung des Lohnniveaus w auf das Preisniveau pauswirkt, d.h. wie die komparativ–statische Beziehung p(w) zwischen Lohn-niveau w und Preisniveau p aussieht. Formal lasst sich diese Fragestellung– wie jede komparativ-statische Analyse – mittels des folgenden implizitenFunktionentheorems angehen.20

20 Vgl. hierzu auch die mathematischen Anhange in Felderer/Homburg (1984).

Page 58: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

44 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

Mathematischer Exkurs (Satz uber implizit definierte Funktio-nen):

Sei W eine Umgebung des Punktes (xo, yo) ∈ IR 2, auf der dieFunktion g(x, y) : W → IR stetig differenzierbar ist und auf dergy 6= 0 erfullt ist. Sei g(xo, yo) = 0. Dann gibt es eine UmgebungUo von xo, in der durch g(x, y) = 0 implizit eine Funktion y = f(x)definiert ist:

(x, f(x)) ∈ W, g(x, f(x)) = 0 fur alle x ∈ Uo.

Die Funktion f ist eindeutig bestimmt und in Uo stetig differen-zierbar und sie erfullt:

gx(x, y)+gy(x, y)f ′(x) = 0 : f ′(x) = −gx(x, y)/gy(x, y) fur alle x ∈ Uo.

Wir bemerken, dass diese Aussage auf ganz (a, b) erfullt ist, wennW von der Gestalt eines Intervalls (a, b)× (a′, b′) ist.

Gemaß diesem Theorem21 definiert die Gleichgewichtsbedingung (2.5) alsogenau eine differenzierbare Funktion p(w), w > 0, die diese Gleichung erfullt:

p(w)Y (w/p(w))− vM = 0,

d.h. wir bestimmen dadurch das Preisniveau p zu jedem Lohnsatz w so, dassder diesbezuglich profitmaximale Output reibungslos von der vorliegendenGeldmenge M abgewickelt werden kann. Mittels der ublichen Differentiati-onsregeln folgt damit 22 fur die Ableitung p′(w) dieser implizit definiertenFunktion p(w):

p′(w)Y (w/p(w))+p(w)Y ′(w/p(w))· −w

p(w)2·p′(w)+p(w)Y ′(w/p(w))· 1

p(w)= 0,

wobei hier obigem entsprechend die zusammengesetzte Funktion F (G(w/p(w)))durch Y (w/p(w)) dargestellt worden ist, also Y ′ = F ′ · G′ < 0 gelten muss.Aufgelost nach p′(w) ergibt sich damit (wie bei der zweiten Formel fur f ′(x)im obigen impliziten Funktionentheorem behauptet)

p′(w) = − Y ′(w/p(w))Y (w/p(w))− wY ′(w/p(w))/p(w)

21 Man beachte, dass bei Anwendung des Theorems der im folgenden auftretendeNenner stets 6= 0 sein muss und dass das Theorem zur Berechnung der Ablei-tung der implizit definierten Funktion eine Formel bereitstellt, die auch direktzur Berechnung von (2.6) – anstelle unserer intuitiven Vorgehensweise – hatteeingesetzt werden konnen. Die Definiertheit der Funktion p(w) auf dem BereichIR + ist schließlich aus den Bedingungen F ′(0) = ∞, F ′(∞) = 0 leicht ersichtlich.

22 Man vgl. hierzu die erste Formel fur f’(x) im obigen impliziten Funktionentheo-rem.

Page 59: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.1 Das neoklassische Basismodell des temporaren Gleichgewichts 45

oder (da p(w) > 0 gelten muss):

η =p′(w)wp(w)

=dp/p

dw/w=

wY ′(w/p(w))/p(w)wY ′(w/p(w))/p(w)− Y (w/p(w))

∈ (0, 1). (2.6)

Diese Formel stellt die Elastizitat der gleichgewichtigen Preisniveaureaktionauf eine exogene Lohnniveaureaktion dar, die somit zwischen 0 und 1 liegt (dader Zahler und der Nenner dieses Bruches negativ sind und der Nenner desBruches betragsmaßig großer als der Zahler ist). Eine 1% ige Erhohung desLohnniveaus ruft damit eine gleichgewichtige Preisniveaureaktion hervor, dieunterhalb von 1% liegt. Gemaß Quantitatstheorie steigen (oder fallen) dem-nach die Preise schwacher als die Lohne, wenn die Preise p durch die Grenz-kosten der Produktion w/F ′(Ld) bestimmt sind. Dieses komparativ-statischeResultat ist von fundamentaler Bedeutung fur die neoklassische Analyse desBeschaftigungsproblems. Es lost in mathematisch praziser Weise das am Endevon Abschnitt 2.1.1 aufgeworfene Problem, namlich die Frage, um wieviel dasbei allgemeinen Lohnvariationen notwendigerweise als variabel und endogenzu behandelnde Guterpreisniveau auf eine bestimmte Nominallohnsenkunghin reagiert.

Man kann dieses Resultat auch mit Hilfe der Gleichung (2.5) intuitiv alsplausibel erkennen. Betrachten wir z.B. eine Verdopplung des Lohnniveaus wauf 2w. Blieben die Preise auf ihrem alten Niveau p, so ware aufgrund derGrenzproduktivitatstheorie der Output – wegen der Verdoppelung des Real-lohns – gesunken, also dann der Nominalwert des Outputs kleiner als vM , waseine Preisniveausteigerung impliziert. Ist andererseits 2w von einer Verdop-pelung des Preisniveaus auf 2p begleitet, so bleiben Reallohn, Beschaftigungund Output unverandert, d.h. in dieser Situation ubersteigt der Nominalwertdes Outputs den Wert vM , was fallende Preise suggeriert. Es folgt, dass diewirkliche Anpassung des Preisniveaus zwischen p und 2p liegen muss, also derAnstieg des Preisniveaus unterhalb einer Verdoppelung liegen muss.23

Auf der Basis dieses Resultats ist es nun leicht zu zeigen, dass eineLohnanpassung gemaß dem Gesetz von Angebot und Nachfrage hin zumVollbeschaftigungsgleichgewicht fuhren muss. Einsetzen der Funktion p(w) inGleichung (2.3) liefert eine einzige (nichtlineare) Differentialgleichung ersterOrdnung in der Variablen w, die sich wie die Differentialgleichungen zuvor ingrafischer Weise auf Stabilitat hin untersuchen lasst:

w = βw(G(w/p(w))− L), G(w/p(w)) = Ld = (F ′)−1(w/p(w)) (2.7)

23 Bezuglich des ursprunglichen Preisniveaus p ist der Wert der Funktion H(p) =vM − pY (2w/p) positiv, bzgl. 2p ist er negativ. Da diese Funktion stetig undstreng fallend ist, muss es genau einen Zwischenwert po ∈ (p, 2p) geben, beidem die Funktion H den Wert 0 annimmt. Dies ist der neue, zum verdoppeltenLohnniveau gehorige Gleichgewichtswert des Preisniveaus.

Page 60: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

46 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

Fur die Steigung der Funktion auf der rechten Seite gilt wegen G′ < 0:

βwG′(w/p(w)) · p(w)− wp′(w)p(w)2

= βwG′(w/p(w))(1− η)/p(w) < 0,

da wie gezeigt 0 < η = p′(w)w

p(w) < 1 gilt. In grafischer Form erhalten wir damitfur die nichtlineare Differentialgleichung (2.7) die folgende Darstellung:

Abb. 2.8. Lohnanpassung bei Unternehmens- und Geldmarktgleichgewicht

Abbildung 2.8. zeigt eine global asymptotisch stabile Anpassung des Lohnsat-zes w an seinen Gleichgewichtswert w0, bei dem Ld = G(w0/p(w0)) = L gilt,also Vollbeschaftigung vorliegt. Dies ist eine mogliche Beweisfuhrung dafur,dass im neoklassischen Basismodell ein Lohnanpassungsmechanismus gemaßdem Gesetz von Angebot und Nachfrage erfolgreich sein kann und Unter-beschaftigung abbauend letztendlich zu Vollbeschaftigung fuhrt. Wie abergezeigt worden ist, setzt dieses Resultat die Annahme der Quantitatstheo-rie des Geldes voraus. Auf dieser Basis gilt, dass Lohnsenkungen bei profit-maximierender Produktion von Preissenkungen begleitet sind, die schwacherals die Lohnsenkungen ausfallen. Der Reallohn fallt damit wahrend eines sol-chen Anpassungsprozesses, was die profitmaximierenden Firmen dazu bewegt,einen hoheren Output und eine hohere Beschaftigung zu realisieren, bis Voll-beschaftigung erreicht worden ist und die Nominallohnbewegung zum Still-stand gekommen ist.

Es ist offensichtlich, dass dieses Resultat wesentlich umfangreicherer (undspezifischerer) Uberlegungen bedurfte, als dies aus Engels Vergleich der Ar-beitsmarkte mit dem Bananenmarkt ersichtlich ist, vgl. hierzu erneut Ab-schnitt 2.1.2. Fallende Lohne w fuhren im Ansatz des momentanen Abschnit-tes, also bei Unterstellung der Quantitatstheorie als Theorie des Preisnive-aus, zu nicht ganz so stark fallendem Preisniveau p, so dass die nominelleLohnreduktion von einer Reduktion des Reallohns ω begleitet wird, die uber

Page 61: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.1 Das neoklassische Basismodell des temporaren Gleichgewichts 47

die Grenzproduktivitatstheorie steigende Beschaftigung hin zur Vollbeschafti-gung hervorruft. Dies ist die elementarste neoklassische Erklarung, warum dieDiagnose ‘Arbeitslosigkeit’ zu der Therapie ‘Geldlohnsenkung’ fuhren kann.Hinsichtlich dieser ‘Therapie’ hat Keynes (im Rahmen seines Modells) aberbehauptet, dass sie den Patienten eher totet als heilt (was wir im Rahmenunseres Keynes-Modells spater noch zu belegen haben werden).

Grafisch lasst sich der oben dargestellte Anpassungsprozess in diskretenSchritten und auf Basis des Gleichgewichtsansatzes (2.5) auch wie folgt dar-stellen. Nehmen wir als Ausgangssituation an, dass der momentane Nomi-nallohn w1 so hoch ist, dass das von ihm uber profitmaximierenden Outputund die Quantitatstheorie induzierte gleichgewichtige Preisniveau p(w1) einenReallohn ω impliziert, der oberhalb des Reallohns ω0 liegt, der Vollbeschafti-gung ermoglicht (Ld = G(ω0) = L). Die beiden folgenden Funktionen desPreisniveaus p

AS1(p) = Y (w1/p) = F (G(w1/p)), Q(p) = vM/p,

also die aggregierte Angebotsfunktion der Unternehmungen (die AS-Kurve)zum Lohnsatz w1 und die quantitatstheoretische Bestimmung von Outputund Preisniveau, schneiden sich deshalb in der folgenden Grafik bei einemOutputwert Y = Y1, der unterhalb von Vollbeschaftigung Y = F (L) liegt undder das zu w1 gehorige momentane gesamtwirtschaftliche Gleichgewichtsni-veau des Outputs darstellt. Wir erinnern daran, dass ab dem Punkt der Voll-beschaftigung Uberbeschaftigung aufgrund von Uberstunden moglich ist, alsodie Senkrechte in der folgenden Grafik keine bindende Schranke darstellt.24

Abb. 2.9. Arbeitsmarktungleichgewicht bei Geldmarktgleichgewicht – AS(0) =0, AS(∞) = ∞ wegen F ′(0) = ∞, F ′(∞) = 0 –

24 Wir werden in Kapitel 4 die Krafte naher untersuchen, die rechts von der ‘Voll-beschaftigungslinie’ zum Tragen kommen.

Page 62: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

48 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

Der Wert p1 fur das Preisniveau p ist somit gerade derjenige Wert, derzu gegebenem Lohnsatz w1 die Gleichung (2.5) lost, wo das Preisniveauvom Geldmarkt her gesehen im Gleichgewicht mit dem von den Unterneh-men diesbezuglich geplanten profitmaximalen Output ist. Findet in dieser Si-tuation eine Senkung des Nominallohns auf das Niveau w2 statt, so steigtzu jedem Preisniveau p die Arbeitsnachfrage Ld und damit der OutputY , d.h. die das Profitmaximum darstellende aggregierte AngebotsfunktionAS1(p) = Y (w1/p), AS-Kurve genannt, verschiebt sich nach rechts hin zuAS2(p)Y (w2/p). In Interaktion mit der Quantitatstheorie ergibt sich damitein Sinken des Preisniveaus von p1(w1) hin zu p2(w2) und ein Anstieg des Out-puts von Y1 zu Y2, der schwacher ist als die zu gegebenem Preisniveau stattfin-dende Outputerhohung. Dies deshalb, weil die mit fallenden Nominallohneneinhergehende (aber schwachere) Senkung des Preisniveaus das Absinken desReallohns bremst und damit die Geldlohnsenkung nicht im vollen Umfang zueiner Reallohnsenkung fuhrt. Die obige Grafik und die Ausfuhrungen dazubelegen erneut in intuitiver Weise das Resultat der obigen Anwendung desTheorems uber implizite Funktionen zur Herleitung der p(w)-Funktion.

Waren die Preise die alten geblieben (p1), so zeigt die obige Grafik, dassdann praktisch schon Vollbeschaftigung erreicht worden ware. Die partielleWeitergabe der Lohnsenkung in Form von Preissenkungen erfordert stattdes-sen aber weitere Reduktionen des Lohnniveaus w2, damit schließlich Voll-beschaftigung eintritt. Diese Darstellung der Wirkung von Lohnsenkungenargumentiert lediglich mit der Gleichung (2.5) mittels parametrisch verander-tem Lohnniveau und zeigt damit in komparativ-statischer Weise (mit Hilfeder Gleichgewichtsanalyse) die Moglichkeit auf, Vollbeschaftigung durch No-minallohnsenkung annahern oder erreichen zu konnen.

Abschließend wollen wir in bezug auf die Gleichung (2.1), die EngelsschePartialanalyse des Unterbeschaftigungsproblems bei fixem Preisniveau p, nochfeststellen, dass diese – im obigen neoklassischen Makromodell reflektiert – einweiteres Problem aufweist. Wir haben oben in qualitativer Weise gesehen, wiestark das Preisniveau p auf eine Senkung des Nominallohnniveaus w reagiert,wenn die Unternehmen im Profitmaximum produzieren und die Quantitats-theorie des Geldes die Grundlage der Bestimmung von p ist. Man konnte aberim Rahmen dieser Theorie darauf beharren, dass aus irgendwelchen Grundendas Preisniveau doch nach unten rigide ist deshalb seine oben diskutierte An-passung nicht stattfindet. Ist aber das Preisniveau in diesem Sinne wirklichfixiert, so bestimmt die Quantitatstheorie im allgemeinen ein OutputniveauQ, welches im Widerspruch zu dem von den Unternehmen geplanten pro-fitmaximalen Output Y steht. Insbesondere im Falle Q < Y , also bei einerbzgl. p zu kleinen Geldmenge M , kommt es damit aus transaktionstechnischenGrunden zu einer weiteren Storung der Wirtschaft, eine Storung, die die Un-ternehmungen beim Absatz ihres geplanten Outputs behindert. Senkungendes Nominallohns w werden bei gegebenem Preisniveau p in einer solchen Si-tuation diese Storung in der Guterzirkulation verscharfen und liefern deshalbnicht das durch Engels Partialanalyse behauptete Resultat. Abbildung 2.10.

Page 63: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.1 Das neoklassische Basismodell des temporaren Gleichgewichts 49

stellt dieses Problem der Annahme starrer Guterpreise im gesamtwirtschaft-lichen Kontext des neoklassischen Basismodells in elementarer Form dar.

Abb. 2.10. Arbeitsmarkt- und Geldmarktungleichgewicht

Wir sehen also, dass die Partialanalyse von Engels aus der gesamtwirtschaftli-chen Sicht des neoklassischen Basismodells aus zwei Grunden als unzutreffendbezeichnet werden muss. Wir werden im weiteren Verlauf des Kapitels sehen,dass eine keynesianische Theorie von Output und Preisniveau daruberhinaus-gehend die im neoklassischen Basismodell gezeigte Stabilitat des Vollbeschafti-gungsgleichgewichts in Frage stellt.

Appendix: Der zweidimensionale Lohn–Preis–Anpassungs- prozess

In Vektorschreibweise kann das zweidimensionale nichtlineare Differentialglei-chungssystem (2.3), (2.4) durch die folgende Kurzform dargestellt werden:

z = f(z), z =(

wp

)∈ IR 2

+, f : IR 2+ → IR 2,

wobei die Funktion f aus okonomischen Grunden auf den positiven Orthan-ten IR 2

+ des IR 2 einzuschranken ist (w, p > 0). Der stationare Punkt diesesdynamischen Systems ist gemaß Vorausgegangenem durch

z0 =(

w0

p0

), p0 =

vM

Y, w0 = p0ω0, Ld(ω0) = L

gegeben, und er erfullt per Definition f(z0) = 0. Um die lokale asymptotischeStabilitat um den Gleichgewichtspunkt z0 herum prufen zu konnen, ersetztman das System z = f(z) durch seine lineare Approximation

z =d(z − z0)

dt= f(z0) + f ′(z0)(z − z0) = f ′(z0)(z − z0)

Page 64: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

50 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

also durch die Taylorentwicklung der obigen Funktion bis zum ersten (linea-ren) Glied (f(z0) = 0!). Hierbei bezeichnet f ′(z0) die 2 × 2–Matrix der par-tiellen Ableitungen der rechten Seite des Differentialgleichungssystems (2.3),(2.4) an der Stelle z0, also die Matrix

f ′(z0) =

(∂w∂w

∂w∂p

∂p∂w

∂p∂p

)=

(βwG′/p0 −βwG′w0/p2

0

−βpF′G′ βp[F ′G′w0/p0 − F (L)]

).

Fur die Determinante dieser Matrix ergibt sich

det f ′(z0) = −βwβpG′F (L)/p0 > 0,

da F (L) > 0 und G′ < 0 gilt. Dementsprechend folgt des weiteren, dass dieEintrage in der Hauptdiagonalen dieser Matrix beide negativ sind, also ihreSumme, die Spur der Matrix f ′(z0), ebenfalls negativ ist. Fur die Eigenwerteλ1, λ2 solcher 2× 2–Matrizen gilt nun der elementare Sachverhalt

λ1,2 = spur f ′(z0)/2±√

( spur f ′(z0))2/4− det f ′(z0)

wie man durch Betrachtung des charakteristischen Polynoms dieser Matrixschnell ermittelt. Daruber hinaus gilt auch λ1 + λ2 = spur f ′(z0) undλ1 · λ2 = det f ′(z0). Aus diesen Darstellungen ist leicht erkennbar, dass beideEigenwerte entweder reell und negativ sein mussen oder konjugiert komplexeZahlen mit negativem Realteil darstellen. Dieser Sachverhalt besagt, dass daslineare System global asymptotisch stabil ist und deshalb, da es eine lokaleApproximation des Ausgangssystems ist, das Ausgangssystems lokal asym-ptotisch stabil sein muss. Lohn–Preis–Konfigurationen hinreichend nahe zurGleichgewichtslage w0, p0 werden deshalb unter den beiden Bewegungsgeset-zen (2.3), (2.4) gegen diese Gleichgewichtslage konvergieren.

Dieses Ergebnis lasst sich auch mit Hilfe eines sog. Phasendiagramms dar-stellen, welches grafisch die Dynamik der Variablen w, p in ihrem Phasenraumerfasst. Wir wollen dieses Phasendiagramm hier nicht im einzelnen herleiten,sondern dies erst spater bei anderen zweidimensionalen dynamischen Syste-men im Detail vorstellen. Der Leser ist aber hier aufgefordert, die spaterenUberlegungen auf die gegenwartige Situation ruckzuubertragen, falls ihm diefolgende Darstellung dann noch nicht verstandlich ist:25

25 Die Hilfskurve oder partielle Gleichgewichtskurve w = 0 reprasentiert Arbeits-marktgleichgewicht und weist damit als aus dem Ursprung kommender Strahlden Wert 1/ωo als Steigung auf. Die partielle Gleichgewichtskurve p = 0 ist dem-gegenuber aus Gleichung (2.4) zu gewinnen, und zwar erneut genau durch dieoben dargestellte Anwendung des impliziten Funktionentheorems. Auf dieser Ba-sis ist es dann nicht schwer zu zeigen, dass die p = 0–Kurve in einer Umgebungdes Gleichgewichts flacher ansteigt als die w = 0–Kurve, da im Gleichgewichtwo, po gemaß Gleichung (2.6) die Bedingung p′(wo) < 1/ωo erfullt sein muss.

Page 65: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.1 Das neoklassische Basismodell des temporaren Gleichgewichts 51

Mathematischer Exkurs: Lokale asymptotische StabilitatSei wie oben dargestellt ein zweidimensionales nichtlineares Differential-gleichungssystem z = f(z), f(zo) = 0 der Ordnung 1 gegeben, wobei dieFunktion f auf einer Umgebung des Gleichgewichtspunktes zo wohldefi-niert und dort stetig differenzierbar ist. Der stationare Punkt zo diesesDifferentialgleichungssystems heißt lokal asymptotisch stabil, falls gilt:

limt→∞

z(t) = zo

fur alle Anfangswerte z(0), die hinreichend nahe bei zo liegen.Wir haben oben dahingehend argumentiert, dass dies der Fall ist, falls furden linearen Teil z = f ′(zo)z des Systems z = f(z) die beiden Bedingun-gen det f ′(zo) > 0 und spur f ′(zo) < 0 erfullt sind. Dies ist eine spezielleImplikation des sog. Linearisierungstheorems von Hartman & Grobman,welches ganz allgemein besagt, dass die Phasenportrats von nichtlinearenSystemen und ihrer Linearisierung lokal aquivalent (von gleicher qualita-tiver Gestalt) sind, falls kein Eigenwert des linearisierten Systems einenverschwindenden Realteil aufweist. Diese beiden Stabilitatsbedingungensind die sog. Routh–Hurwitz–Bedingungen fur lokale asymptotische Sta-bilitat bei Differentialgleichungssystemen der Dimension 2. Gemaß demRouth-Hurwitz Theorem sind sie aquivalent zu dem Sachverhalt, dassbeide Eigenwerte der Linearisierung des Systems einen negativen Real-teil aufweisen, was sich, wie oben angedeutet, im zweidimensionalen Fallleicht zeigen lasst.Wir werden in diesem Buch den Fall einer einzigen Differentialgleichung,egal ob linear oder nichtlinear, wie bislang vorgefuhrt durch elementa-re grafische Analyse hinsichtlich Stabilitatsaussagen behandeln. Im zwei-dimensionalen Fall wird die oben dargestellte Linearisierung fur lokaleAussagen genutzt werden und werden Phasenportrats, wie das obige, inintuitiver Weise auch fur globale Aussagen Verwendung finden. Als umfas-sende Darstellung der Methoden zur Analyse von Differentialgleichungs-systemen sei dem Leser hier P.Tu: Dynamical Systems. An Introductionwith Applications to Economics and Biology (Heidelberg: Springer, 1994)empfohlen und dort zu obigem insbesondere das Kapitel 7 uber nichtli-neare Differentialgleichungssysteme. Wir werden diese Theorie wie auchdie vorausgehende Theorie linearer Differentialgleichungssysteme in derRegel nur in intuitiv verstandlicher Form benutzen.

Wir bemerken abschließend, dass die betrachtete Anpassung vom Typ einesWalrasianischen Tatonnement–Prozesses ist, da Preisanpasungsprozesse hierwie in einem ‘Vakuum’ isoliert ablaufen. Sie spiegelt deshalb nur in vorlaufi-ger oder einseitiger Weise wirkliche Anpassungsprozesse im Ungleichgewichtwider. Aber auch in dieser vorlaufigen Vorgehensweise durfte klar gewordensein, dass ein Vergleich von Anpassungsvorgangen am ‘Bananenmarkt’ mit

Page 66: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

52 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

Abb. 2.11. Der zweidimensionale Anpassungsprozess des neoklassischen Basismo-dells

den Prozessen, die eine Veranderung des allgemeinen Lohnniveaus zum Aus-gangspunkt haben, wenig gemein hat.

Abschließend sei bemerkt, dass die bislang in Form mathematischer Ex-kurse dargestellten Aussagen uber

• Wachstumsratenbeziehungen,• den eindimensionalen Fall des Theorems uber implizite Funktionen• lineare und nichtlineare Differentialgleichungssysteme

im wesentlichen das Terrain an mathematischen Hilfsmitteln abstecken, dasswiederholt im Rahmen dieses Buches zur Anwendung kommen wird.

2.1.3 Das Saysche Gesetz

Wir haben bislang fur ein beliebig fixiertes Lohnniveau w gezeigt, welcherOutput (Y (w/p)) dann in Abhangigkeit von einem den Firmen vorgegebenenPreisniveau (p) produziert wird. Die Frage, ob diesem Output eine gleich hoheGuternachfrage gegenubertritt, ist dabei vollig ignoriert worden. Dass dies inder Tat der Fall ist, wird im neoklassischen Basismodell durch das sog. SayscheGesetz sichergestellt, welches schlagwortartig besagt, dass jedes Guterangebotsich seine Nachfrage schafft. Die primitivste Form des Sayschen Gesetzes kanndabei wie folgt ausformuliert werden:

Schritt 1:Jede Produktion ruft Einkommensplane hervor, die dem Wert der Produktionentsprechen.

Schritt 2:Einkommensplane fuhren in der Regel zu Konsumnachfrageplanen von entspre-chendem Ausmaß.

Page 67: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.1 Das neoklassische Basismodell des temporaren Gleichgewichts 53

Beide Schritte zusammengenommen besagen also, dass jede Produktion aufeine entsprechend hohe Guternachfrage trifft und damit (im Prinzip) absetz-bar ist, wenn sie in ihrer Struktur der Struktur der Nachfrage entspricht.Nachfrageprobleme konnen deshalb i.a. nur struktureller Natur sein und soll-ten damit durch eine geeignete Anpassung der Preisrelationen zwischen denverschiedenen Gutern bei hinreichender Flexibilitat der einzelnen Guterprei-se leicht uberwindbar sein. Ein Grund dafur, dass die gesamtwirtschaftlicheNachfrage systematisch (und langerfristig) hinter dem profitmaximierend ge-planten gesamtwirtschaftlichen Output zuruckbleibt, scheint somit nicht inSicht zu sein.

Einwenden konnte man allerdings, dass das erwartete Einkommen nichtin gleicher Hohe zu Konsumplanen fuhrt, da ein Teil dieses Einkommens i.a.gespart wird und damit fur andere Zwecke intendiert ist. Ist jedoch die ein-zige Alternative zu Konsumieren der Kauf von Realkapital, also von Inves-titionsgutern, so ist die geplante gesamtwirtschaftliche Ersparnis stets gleichder geplanten gesamtwirtschaftlichen Investition, und damit zwar die Struk-tur der Nachfrage nach Gutern eine andere, jedoch ihr Volumen erneut gleichder geplanten Produktion. Eine generelle und dauerhafte Uberproduktion istdeshalb auch hier nicht vorstellbar.

Sparen heißt jedoch, Einkommen nicht fur Konsumzwecke zu verwenden,nicht aber notwendig, dass damit Investitionsguter erworben werden sollen.Wenn dem so ist, so konnte man schließlich einwenden, kann es geschehen, dassdie Summe aus Investitionsguternachfrage und Konsumguternachfrage syste-matisch unter dem Niveau der geplanten Produktion zu liegen kommt, z.B.wenn die Gewinnaussichten der Investoren hinreichend bescheiden gewordensind. Sollte nicht wenigstens dann das geplante Angebot gesamtwirtschaftlichgesehen oberhalb der gesamtwirtschaftlichen Guternachfrage liegen konnen?

Um zu zeigen, dass auch diese Frage aus neoklassischer Sicht verneintwerden kann, wollen wir die bisherige Modellstruktur wie folgt erganzen:

Damit Sparen sich auf andere Vermogensobjekte als Realkapital richtenkann, sei hier unterstellt, dass es ein Wertpapier gibt, welches zu einem festenPreis pb = 1 gehandelt wird und durch einen variablen Zinssatz r charakte-risiert ist, der vom Gesetz von Angebot und Nachfrage auf diesem Markt injedem Zeitpunkt bestimmt wird. Weitere Finanzaktiva zuzulassen, wie sie inder Realitat in großer Zahl existieren, ist aus Grunden der Ubersichtlichkeitbei der folgenden Argumentation nicht sinnvoll.26 Es gibt damit genau einenMarkt fur Wertpapiere, den sog. Bondmarkt, auf dem sich Nachfrage nachBonds Bd und Angebot an Bonds Bs gegenuberstehen und zu koordinierensind. Den vorhandenen Bestand an Wertpapieren wollen wir mit B bezeichnen.Gemaß obiger Festlegung ist die Zinszahlung der laufenden Periode durch rBgegeben. Bei Angebot und Nachfrage nach Bonds ist zu beachten, dass auchTeile des Altbestandes an Bonds sich im Angebot befinden werden, somit die

26 Wir sehen hier insbesondere von Aktien als weiterem Finanzierungsinstrumentfur Investitionsvorhaben von Firmen noch ab.

Page 68: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

54 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

Angebots- und Nachfrageplane Bs, Bd als Bestandsangebot und –nachfragenach Bonds aufzufassen sind. Sparen mag sich nun u.U. ausschließlich aufden Erwerb von Bonds anstelle von Realkapital ausrichten und ruft damitzunachst eine Nachfragelucke am Gutermarkt in bezug auf den profitmaxi-mal geplanten Output hervor, die zu genereller Uberproduktion Anlass gebenkonnte.

Nun ist aber naheliegend, dass die Nachfrage nach Bonds positiv vomdarauf erzielten Zinssatz und das Angebot negativ von diesem abhangt. Zu-dem scheint plausibel zu sein, dass ein Zinssatz nahe der Null stets genugendNachfrage nach Kredit (Angebot an Bonds) hervorruft, so dass das Angebotan Kredit (Nachfrage nach Bonds) dann davon ubertroffen wird. (Nahezu)zinslose Kredite, die jedermann angeboten werden, sollten i.a. genugend vieleNachfrager finden, die mit geliehenem Geld unternehmerisch tatig werden wol-len. Die Situation auf dem Bondmarkt kann demnach wie folgt charakterisiertwerden:27

Abb. 2.12. Bondmarktgleichgewicht

Es gibt somit stets einen Zinssatz r0, bei dem Angebot und Nachfragenach Bonds zur Deckung kommen. Sollte man nicht annehmen konnen, dassZinssatze hinreichend flexibel sind, so dass i.a. der Bondmarkt als im Gleich-gewicht befindlich betrachtet werden kann? Wir wollen dies im folgenden un-terstellen. Die soeben analysierte Situation auf dem Bondmarkt hat zunachstnichts mit dem Gutermarktgeschehen zu tun, wo noch das Problem zu losenist, inwieweit ein gegebenes profitmaximales Angebot in der Lage ist, sich dieentsprechende Guternachfrage zu schaffen und damit die der Intention nach

27 Wir unterstellen hier, dass Wirtschaftssubjekte, die ihren Bondbestand haltenwollen, quasi gleichzeitig Anbieter und Nachfrager sind, was in bezug auf dieZinsbildung vollig neutral bleibt.

Page 69: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.1 Das neoklassische Basismodell des temporaren Gleichgewichts 55

Abb. 2.13. Neuemission und Zusatznachfrage am Bondmarkt

maximierten Profite wirklich zu realisieren. Die obige Darstellung des Kredit-marktes lasst sich jedoch wie in Abbildung 2.13. dargestellt reformulieren undreinterpretieren: Diese Abbildung bringt die gewunschten Bestandsverande-rungen bei Bondnachfrage und Bondangebot zum Ausdruck und stellt damitlediglich eine simple Parallelverschiebung des in der vorausgegangenen Gra-fik Abgebildeten dar. Wodurch entstehen Uberschusse bei Bondnachfrage undBondangebot?

Als Gesamtheit betrachtet kann der Haushaltssektor in der Denkweise desneoklassischen Basismodells nur weitere Bonds erwerben (oder zu erwerbentrachten), indem er seine Ersparnis (sein nichtkonsumiertes Einkommen) furden Erwerb solcher zusatzlichen Bonds verwendet (zu verwenden trachtet),wobei in der obigen Darstellung zu beachten ist, dass ein Teil der Ersparniszu Direktinvestition Idir in Realkapital verwendet werden kann. Aus Sichtder Periodenanalyse gesehen gilt B + pS ≡ Bd + pIdir als Budgetrestriktiondes Haushaltssektors fur seine Vermogensbildung und –reallokation und damitsogar die Gleichheit von Bd − B und p(S − Idir).

Bei den Investoren andererseits tritt ein Finanzierungsbedarf der Großen-ordnung p(I − Idir) auf, da die restlichen Investitionen eigenfinanziert sind.Sie werden deshalb neue Bonds im Umfang von Bs − B auf den Markt zubringen versuchen (fremdfinanzierte Investitionen).

Diese Entsprechung zwischen ‘borgen’ und ‘sparen’ einerseits und ‘leihen’und ‘investieren’ andererseits impliziert nun die folgende, quasi spiegelbildlicheDarstellung des Kreditmarktes am Gutermarkt:

Der Zinssatz, der den Bondmarkt ins Gleichgewicht bringt, ist somit gleich-zeitig in der Lage, Gutermarktgleichgewichte zu erzeugen, da gespartes Ein-kommen (also die Gutermarktlucke: nichtkonsumiertes Einkommen) durcheinen flexiblen, den Bondmarkt ins Gleichgewicht bringenden Zinssatz, ei-ne entsprechend hohe Investitionsguternachfrage erzeugt, was die durch das

Page 70: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

56 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

Abb. 2.14. Gutermarktgleichgewicht (S = I oder Y d ≡ C + I = Y (w/p))

Sparen entstandene Guternachfragelucke gerade wieder schließt. Sehen gewis-se Wirtschaftssubjekte zugunsten von Finanzinvestitionen von Konsum ab,so vermittelt ein flexibler Zinssatz diese Absicht uber einen funktionierendenKreditmarkt in einen entsprechend hohen Investitionswunsch in Realkapitalbei anderen Wirtschaftssubjekten, so dass lediglich andere Haushalte (oderFirmen) jetzt die Guternachfrage entfalten, die die Sparer durch ihren Kon-sumverzicht ‘verweigert’ haben. Wenn Produktionsabsichten in ihrem GefolgeEinkommensvorstellungen in gleicher Hohe wecken, so genugt ein flexiblerZinssatz (eine hinreichend starke Zinssenkung), um den durch den Akt desSparens partiell unterbrochenen Kreislauf von Produktion uber Einkommen-serwartungen hin zu Guternachfrage bei jedem Produktionsplan der Produ-zenten, also insbesondere bei ihrem profitmaximalen Output, durch eine ent-sprechende Investition wieder in Gang zu setzen.

Die Existenz von Finanzaktiva kann daher diesen Kreislauf nicht fun-damental gefahrden, da dadurch die Kette hin zu Guternachfrage lediglichverlangert, aber nicht essentiell in Frage gestellt werden kann. Dies ist dieverfeinerte Form des Sayschen Gesetzes, wonach jedes Angebot sich letztend-lich seine eigene Nachfrage schafft, also global nachfragedefizitare Situationenausgeschlossen sind. Das angebotsorientierte Modell des vorausgegangenenAbschnitts kann damit als gesamtwirtschaftlich gesehen vollstandiges Modellangesehen werden, welches zu einem beliebig gegebenen Nominallohnniveauw1 ein Geld–, Guter– und Bondmarktgleichgewicht generiert und lediglich –aufgrund des hier vorgegebenen Lohnniveaus – am Arbeitsmarkt ein Ungleich-gewicht impliziert. Dies ist die Theorie des temporaren Gleichgewichts einergesamten Volkswirtschaft im Rahmen des neoklassischen Basismodells.

Page 71: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.1 Das neoklassische Basismodell des temporaren Gleichgewichts 57

2.1.4 Das Gesamtmodell. Komparative Statik

Das neoklassische Basismodell des temporaren Gleichgewichts besteht (furLd < L) zusammengefasst aus den folgenden vier Gleichungen:

Ld = Ld(w/p) = (F ′)−1(w/p) (2.8)Y = F (Ld) (2.9)

pY = vM (2.10)I(r) = S(r) [Bs(r) = Bd(r)] (2.11)

Diese Gleichungen weisen die folgenden vier endogenen Variablen: Ld, Y, p, rauf. In Form unseres Markte–Sektoren-Schemas dargestellt erfasst dieses Ba-sismodell damit die folgende Wirtschaftsstruktur: Wie wir gesehen haben, ist

Tabelle 2.3. Die unterstellte Wirtschaftsstruktur des neoklassischen Basismodells

Arbeits-markt

Guter-markt

Geld-markt

Kapital-markt

Haushalte L S(r) Bd(r)

Unter-nehmen

Ld(w/p) Y (w/p), I(r) Bs(r) Kurze Frist

Staat M

Preise w p pb = 1, r Kurze oder

Erwartungen mittlere Frist

es leicht, eine okonomisch relevante Losung dieses Gleichungssystems zu er-mitteln, wobei allerdings der Nominallohnsatz w so vorgegeben werden sollte,dass Ld ≤ L gilt, also keine Uberbeschaftigungssituation vorliegt.28 Im Fallevon Ld > L ist es demgegenuber ublich, die Geldlohne als nach oben hinflexibel anzusehen und w0 > w dann so zu bestimmen, dass anstelle von fik-tiver Uberbeschaftigung Vollbeschaftigung Ld(w0/p) = L vorliegt. Dies fugtobigem Gleichungssystem eine funfte Gleichung und eine funfte Variable wo

28 Diese Modellvariante ist allerdings auch geeignet, bei festen Geldlohnen w Uber-beschaftigungssituationen zu analysieren, wenn man – wie schon ausgefuhrt –Uberstunden ab dem Punkt der Vollbeschaftigung zulasst, ohne dass Lohnreak-tionen eintreten.

Page 72: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

58 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

hinzu. Es konnen somit mit Hilfe dieses Modells entweder Unterbeschafti-gungsgleichgewichte (bei bzgl. M zu hohem w) oder Vollbeschaftigungsgleich-gewichte analysiert werden, was wir im folgenden dieser Fallunterscheidungentsprechend getrennt tun werden.

Auf Basis solcher Ungleichgewichts– oder Gleichgewichtsmodelle unter-sucht eine komparativ–statische Analyse, in welche Richtung (und bei ana-lytischer Behandlung: wie weit) sich solche Gleichgewichte verlagern, falls eszu einer Anderung bei den exogen gegebenen Variablen w, M , v oder bei denunterstellten Funktionalgestalten fur Sparen, etc. kommt. In dieser Hinsichtwollen wir im folgenden kurz zusammenstellen, was im Falle eines Unter-beschaftigungsgleichgewichts die Auswirkungen

Fall A. einer Nominallohnerhohung: w ↑,Fall B. einer Geldmengenerweiterung: M ↑,Fall C. einer lokalen Parallelverschiebung der Produktionsfunktion F (Ld)

nach oben: F ↑ (durch arbeitsvermehrenden technischen Wandel),Fall D. einer Verlagerung der Investitionsfunktion nach rechts: I ↑ (durch

hohere Gewinnaussichten der Unternehmungen),Fall E. einer Verlagerung der Sparfunktion nach rechts: S ↑ (zu jedem Zins-

satz ein hoherer Sparwille),Fall F. einer Zunahme des Arbeitsangebots L ↑.sind. Tabelle 2.4. gibt mit ‘+’ eine positive Beeinflussung der jeweils dadurchgekennzeichneten endogenen Variablen an, mit ‘−’ eine Ruckgang bei dieserVariablen und mit ‘0’ keine Auswirkung der exogenen Veranderung auf dieseVariable:

Tabelle 2.4. Komparativ–statische Analyse bei Unterbeschaftigung

Ld Y p r ω = w/p

w ↑: Fall A - - + 0 +M ↑: Fall B + + + 0 -F ↑: Fall C - + - 0 +I ↑: Fall D 0 0 0 + 0S ↑: Fall E 0 0 0 - 0L ↑: Fall F 0 0 0 0 0

Diese komparativ statischen Implikationen der dargestellten exogenen Verande-rungen sind leicht ermittelbar, wenn man sich den Hintergrund der grafischenDarstellung (Abbildung 2.9.) des neoklassischen Basismodells erneut verge-genwartigt:

Mittels dieser Abbildungen folgen die oben dargestellten komparativ-statischen Aussagen des neoklassischen Basismodells wie gesagt leicht, da

• Fall A durch eine Linksverschiebung der AS-Kurve reprasentiert wird,

Page 73: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.1 Das neoklassische Basismodell des temporaren Gleichgewichts 59

Abb. 2.15. Die grafische Zusammenfassung des neoklassischen Basismodells beiUnter- oder Vollbeschaftigung

• Fall B eine Rechtsverschiebung der QT-Kurve bedeutet,• Fall C eine Parallelverschiebung der AS-Kurve nach rechts darstellt, die

sinkende Preise und damit eine Reallohnerhohung, also zuruckgehendeBeschaftigung impliziert (da die Grenzprodukte jeder Beschaftigungslageunverandert geblieben sind),

• Fall D in naheliegender Form nur das rechte Diagramm betrifft,• Fall E ebenfalls in naheliegender Form nur das rechte Diagramm betrifft

und• Fall F keines der beiden Diagramme tangiert (lediglich Wert von Y und

damit Lage der entsprechenden Senkrechten betroffen).

Man sollte hier noch beachten, dass die Falle A – C ihrerseits keine Verande-rung im rechten Diagramm nach sich ziehen. Betont werden sollte bei diesenResultaten außerdem, dass eine Senkung des Nominallohnniveaus im Unter-beschaftigungsfall des neoklassischen Modells stets beschaftigungssteigerndwirkt und eine erhohte Neigung zum Sparen die Zinsen senkt und das rea-lisierte Investitionsvolumen erhoht, beides Effekte, die positiv zu bewertensind.

Fuhrt man dagegen die obigen komparativ–statischen Uberlegungen imFalle permanenter Vollbeschaftigung (Ld = L, Y = F (L)) durch, woder Nominallohn endogen stets so bestimmt wird, dass diese gewahrleistetist, so ergibt sich anstelle von Tabelle 2.4. unter Berucksichtigung der neuenVariablen w und unter Wegfall der Situation A:Die AS-Kurve in Abbildung 2.15a. ist jetzt eine Senkrechte im PunkteY = F (L) und der Reallohn ist bis auf Fall F jetzt konstant und in allenFallen durch F ′(L) = w/p gegeben. In Fall F muss also der Reallohn und dasPreisniveau sinken, was verlangt, dass die Nominallohne starker als die Prei-se fallen mussen. Man beachte bei diesen komparativ-statischen Resultateninsbesondere Fall B, der quantitativ gesehen besagt, dass eine x%-ige Geld-mengenausdehnung lediglich zu einer x%-igen Preis- und Lohnniveauerhohung

Page 74: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

60 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

Tabelle 2.5. Komparativ–statische Analyse bei Vollbeschaftigung

Ld Y p r w ω = w/p

M ↑: Fall B 0 0 + 0 + 0F ↑: Fall C 0 + - 0 - 0I ↑: Fall D 0 0 0 + 0 0S ↑: Fall E 0 0 0 - 0 0L ↑: Fall F + + - 0 - -

fuhrt, also somit keinerlei reale Effekte auftreten. Dies ist die sogenannte Neu-tralitat des Geldes im neoklassischen Basismodell bei Vollbeschaftigung.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die komparative Statikdes neoklassischen Basismodells keine unplausiblen Reaktionsweisen der Lageder temporaren Gleichgewichte bei exogenen Veranderungen der Rahmenbe-dingungen aufweist und erst recht nicht paradoxe Resultate liefert. Insbeson-dere Nominallohnveranderungen sowie eine Veranderung im Sparwillen rufenReaktionen hervor, die man auch mit ‘common sense’ vermuten wurde. Diesbedeutet jedoch nicht, dass partialanalytische Verkurzungen, wie sie z.B. vonEngels (1984) vorgenommen und dargestellt worden sind, akzeptiert werdenkonnen. Erst wenn der theoretische makrookonomische Rahmen fur lohnpoliti-sche Außerungen – so wie jetzt geschehen – klar dargelegt worden ist (und da-mit auch kritisierbar geworden ist), kann von einer seriosen gesamtwirtschaft-lichen Argumentationskette gesprochen werden, deren Tragfahigkeit dann zurDebatte stehen kann. Angesichts der Tragweite von gesamtwirtschaftlich ori-entierter Wirtschaftspolitik ist eine derartige prazise Offenlegung aller ge-troffenen Annahmen – also eine moglichst klare Modellbildung – und eineexakte, darauf gegrundete Herleitung von Konklusionen eine unverzichtbareForderung. In einem nachsten Schritt gilt es dann, die Konsistenz und denempirischen Gehalt der getroffenen Annahmen zu uberprufen und damit auchdie Relevanz der gezogenen Schlussfolgerungen zu bewerten.

2.1.5 ‘Freiwillige’ (und friktionelle) Arbeitslosigkeit

Kehren wir nun zur einfachen (damals partialanalytischen) Darstellung desArbeitsmarktes der Abbildung 2.3. zuruck. Diese Situation ist erneut in Abbil-dung 2.16. (linke Seite) wiedergegeben, allerdings jetzt erganzt um die Hinter-grundanalyse, die wir in den Abschnitten seitdem durchgefuhrt haben (rechteSeite dieser Abbildung).Der rechte Teil von Abbildung 2.16. stellt erneut dar, wie die grenzproduk-tivitatstheoretische Angebotsfunktion und die Quantitatstheorie des Geldesdas mit ihnen kompatible Output– und Preisniveau bestimmen. Das hier be-stimmte gleichgewichtige Preisniveau po liefert im Verbund mit dem vorge-gebenen Nominallohnniveau w den dazugehorigen Reallohn ωo = w/po undsomit mittels der grenzproduktivitatstheoretischen Arbeitsnachfragefunktion

Page 75: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.1 Das neoklassische Basismodell des temporaren Gleichgewichts 61

Abb. 2.16. Der neoklassische Arbeitsmarkt und sein Hintergrund

Ld = G(ω) die maximale Beschaftigung, die die Unternehmen zu realisierenbereit sind. Die wirklich resultierende Beschaftigung Ld

0 kann jedoch aus be-stimmten Grunden niedriger ausfallen als die profitmaximale Beschaftigungder Unternehmen.

Wurde das Niveau Ld = G(ωo) tatsachlich – wie im Modell bisher ange-nommen – realisiert werden, so verblieben keine offenen Stellen. In der Wirk-lichkeit sind jedoch nie alle angebotenen Arbeitsplatze besetzt, so dass es stetsein bestimmtes Volumen an offenen Stellen parallel zur Beobachtung von Ar-beitslosigkeit gibt. So kann es diverse Friktionen und Informationsproblemeauf Teilarbeitsmarkten geben, die verhindern, dass in einer bestimmten Regionund innerhalb einer bestimmten Berufsgruppe entweder keine offenen Stellenoder keine Arbeitssuchenden vorhanden sind. Es kann einen ‘Mismatch’ zwi-schen Regionen geben, also Arbeitsangebot im ‘Norden’ und Arbeitsnachfrageim ‘Suden’, wo aufgrund von Immobilitaten kein Ausgleich erfolgt. Es kanngleichermaßen einen ‘Mismatch’ zwischen Berufsgruppen geben, so z.B. zuviele gering qualifizierte und zu wenig hoher qualifizierte Arbeitskrafte undkeine genugende Flexibilitat des Ausbildungssystems, die dieses Ungleichge-wicht schnell beseitigen hilft. Und schließlich mag es im Zusammenhang mitden permanent ablaufenden sektoralen Umschichtungen in der Struktur derProduktion Sucharbeitslosigkeit geben, die dadurch bedingt ist, dass ‘man’auf der Suche nach passenderen und besser bezahlten Jobs im eigenen Quali-fikationsbereich ist. Diese und andere Grunde fuhren dazu, dass die faktischeBeschaftigungskurve (die Kurve BB in der obigen Abbildung) sich links vonder idealen Beschaftigungskurve Ld = G(ω) befindet.

Wir wollen im folgenden diesen mikroorientierten Betrachtungsweisen kei-ne Aufmerksamkeit schenken, da sie in Spezialanalysen der Arbeitsmarkttheo-

Page 76: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

62 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

rie besser aufgehoben sind und dort auch detaillierte Betrachtung erfahren ha-ben. Prozessstudien, die das Nebeneinander von offenen Stellen und Arbeits-suchenden und den ‘Fluss’ der Arbeitskrafte hinein in die Arbeitslosigkeit undaus ihr heraus erklaren,29 sind dort von großer Bedeutung, tragen unseres Er-achtens jedoch wenig dazu bei, das Phanomen von Massenarbeitslosigkeit inseinen Ursachen zu verstehen, welches Gegenstand unserer makroorientiertenAnalyse ist.

Wir werden deshalb davon ausgehen, dass in Zeiten der Unterbeschafti-gung die modellierte ideale Arbeitsnachfrage Ld = G(ω) stets voll befriedigtwird und es somit nicht gleichzeitig mit Unterbeschaftigung auch offene Stellengibt. Damit sehen wir von friktioneller Arbeitslosigkeit ab und vernachlassi-gen auch das Problem der Sucharbeitslosigkeit als fur eine Erklarung vonKonjunktur sekundaren Sachverhalt.30

Keynes (1936, S.13) hat fur sich in Anspruch genommen, eine neue Artvon Arbeitslosigkeit definiert und analytisch begrundet zu haben, “namlich die‘unfreiwillige’ Arbeitslosigkeit im strengen Sinne des Wortes, deren Moglich-keit die klassische Theorie nicht zugibt.” Wir werden im nachsten Abschnittdie Keynes’sche theoretische Erklarung dieses Typs an Arbeitslosigkeit dar-stellen, wollen hier aber bereits eine Eingrenzung des Begriffs der ‘unfreiwil-ligen Arbeitslosigkeit in eben einem strengen Sinne des Wortes’ vornehmenund uns fragen, ob es diesen Typ an Arbeitslosigkeit in unserem neoklassi-schen Basismodell wirklich nicht geben kann, also im Sinne dieses Begriffsdort alle Arbeitslosigkeit L−Ld

0 der obigen Grafik als ‘freiwillig’ oder friktio-nell einzustufen ist.31 Es ist offensichtlich, dass ein solche Charakterisierungspezifische wirtschaftspolitische Implikationen mit sich bringt.

Arbeitslosigkeit gilt in der theoretischen Diskussion im strengen Sinne desWortes als ‘unfreiwillig’, wenn es auf seiten der Arbeitnehmer oder ihrer Ver-treter, der Gewerkschaften, keine Option oder Handlungsmoglichkeit am Ar-beitsmarkt oder innerhalb der Firmen gibt, die es ihnen gestatten wurde, denArbeitsmarkt so zu beeinflussen, dass die Beschaftigung ansteigt. Alle anderenMoglichkeiten weisen ein Element der Freiwilligkeit seitens der Arbeitnehmeroder der von ihnen gewahlten Vertretung auf, da es dann fur die Arbeitsange-botsseite arbeitsmarktpolitische Optionen zur Verbesserung ihrer Lage gibt,die sie nicht wahrnehmen will. So ist nach Keynes (1936, S.5) Arbeitslosig-

29 Bei Unterstellung der Gultigkeit der idealen Arbeitsnachfragekurve Ld = G(ω) alsBeschreibung der faktischen Beschaftigung (also bei einer hinsichtlich der Beset-zung von offenen Stellen ideal funktionierenden Okonomie) ist der angesprochene‘Fluss’ der Arbeitskrafte stets einseitig gerichtet und deshalb sehr simpler Natur.

30 Es ist plausibel, dass auf freiwilliger Kundigung beruhende Sucharbeitslosigkeitin Zeiten der Depression geringer sein durfte, als in Zeiten eines wirtschaftli-chen Booms, also solche Arbeitslosigkeit den Konjunkturverlauf von massivenProduktions- und Beschaftigungsschwankungen nicht erklaren kann.

31 Die Annahme eines vom Reallohn unabhangigen Arbeitsangebots ist in unseremKontext keine wesentliche Annahme. Eine alternative Sichtweise zu dieser Vorge-hensweise wird in Kapitel 5, Abschnitt 5 betrachtet werden.

Page 77: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.1 Das neoklassische Basismodell des temporaren Gleichgewichts 63

keit ‘freiwillig’, wenn sie darauf zuruckzufuhren ist, dass “eine Arbeitseinheit– aus Grunden, die mit der Gesetzgebung, sozialen Gebrauchen, Vereinigun-gen zwecks gemeinsamer Verhandlungen, langsamer Anpassung an veranderteVerhaltnisse oder auch nur mit menschlicher Starrkopfigkeit zusammenhangen– eine Entschadigung nicht annehmen will oder nicht annehmen kann, derenWert dem Erzeugnis entspricht, das ihrer Grenzproduktivitat zuzuschreibenist.” Diese weite Abgrenzung des Begriffs ‘freiwillig’ hat eine fundamenta-le wissenschaftliche Bedeutung, da sie es ermoglichen soll zu zeigen, dasses Typen an Arbeitslosigkeit geben kann, bei denen die Arbeitnehmerseite,technisch gesprochen, am Arbeitsmarkt und in der Firma keinen Parameter(des Modells) zur Verfugung hat, durch dessen geeignete Veranderung sie ihreBeschaftigungslage verbessern kann. Erklartes Ziel von Keynes (1936) Analy-se war es, diesen Typ an Arbeitslosigkeit zu begrunden, zu analysieren undWege zu seiner Beseitigung aufzuzeigen.

Die fur theoretische Zwecke bewusst breit gewahlte Sichtweise des Begriffs‘freiwillige Arbeitslosigkeit’ – mit dem Ziel, dennoch die Existenz unfreiwilligerArbeitslosigkeit nachweisen zu konnen – wird nicht von allen Okonomen, diesich (ansonsten) mit der Keynes’schen Theorie im Einklang fuhlen, akzeptiert.So schreibt z.B. Rothschild (1978, S.31):

“Viel entscheidender ist, dass wir nicht in einem abstrakten Modellleben, sondern in einer Welt mit bestimmten Institutionen, die denRahmen fur unsere Handlungen und Zielsetzungen abgeben. Wennsich die Arbeiter im Laufe der Geschichte durch Mindestlohne einenSchutz gegen druckende Nachteile beim Abschluss des Arbeitskon-trakts geschaffen haben, so heißt <<unfreiwillige Arbeitslosigkeit>>selbstverstandlich, dass man im Rahmen dieser gegebenen Gesetze undInstitutionen zu arbeiten bereit ist, Arbeit aber nicht finden kann. Die-se Arbeitslosigkeit als <<freiwillig>> zu bezeichnen oder den Betrof-fenen die <<Schuld>> dafur zuzuschieben, weil sie diesen Rahmenakzeptieren, ist genau so, wie wenn man sagen wurde, dass alle Ar-men <<freiwillig>> hungern, da sie ja die Eigentumsgesetze beach-ten, statt sie zu durchbrechen und sich bei den reichlich vorhandenenWaren zu bedienen.”

Wir werden zum einen sehen, dass die Keynes’sche Theorie der unfreiwilligenArbeitslosigkeit selbst auf einem abstrakten Modell der Gesamtwirtschaft be-ruht. Rothschilds pauschaler Angriff auf abstrakte Modelle trifft damit viele,wenn nicht alle grundlegenden okonomischen Theoriebildungen. Des weiterenhat Keynes, wie wir oben gesehen haben, bewusst einen sehr breiten Begriffvon <<freiwilliger>> Arbeitslosigkeit akzeptiert, um dann zu zeigen, dass esdennoch bedeutsame Grunde fur unfreiwillige Massenarbeitslosigkeit gibt. DasBegriffspaar freiwillig/unfreiwillig ist daher im okonomischen Kontext analy-tischer Natur und nicht, wie Rothschild es sehen will, eine moralische Kate-gorie. Und schließlich zeigt die Lekture von Rothschilds Aufsatz insgesamt,dass er Arbeitslosigkeit als durch den Arbeitsmarkt verursacht begreift und

Page 78: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

64 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

damit wie Engels (1984) der Partialanalyse das Wort redet, statt (Massen)-Arbeitslosigkeit als Problem makrookonomischer Interdependenz herauszu-stellen und zu analysieren. Man sieht, dass nicht nur Kritiker der Keynes’schenTheorie zu deren Zerrbild beitragen konnen.

Bevor wir jedoch zur Keynes’schen Theorie der unfreiwilligen Arbeitslo-sigkeit kommen, wollen wir hier, d.h. im Rahmen des neoklassischen Basismo-dells, verdeutlichen, dass entgegen Keynes’ Auffassung heutige Makro- undMikrookonomen auch in diesem Modellrahmen unfreiwillige Arbeitslosigkeitfur vorstellbar halten und analysieren. Um dies zu verdeutlichen, begnugenwir uns hier mit der einfachen Feststellung, dass Nominallohnrigiditaten nichtausschließlich von Arbeitnehmerseite aus bedingt oder verursacht sind. Zu-mindest aus theoretischer Sicht ist es im Prinzip moglich, dass arbeitsloseArbeitnehmer bereit sein konnten, zu niedrigeren als den in der Firma herr-schenden Nominallohnen zu arbeiten, und ihre gewerkschaftliche Vertretungmag ebenfalls bereit sein, fur sie niedrigere Nominallohne auszuhandeln, je-doch mag die Firma aus Profitabilitatsgesichtspunkten es nicht als wunschens-wert betrachten, einen Teil oder ihre ganze Belegschaft durch solche billi-geren Arbeitskrafte zu ersetzen oder auch nur diese Billiglohn–Arbeit (vomgleichen Qualifikationstyp) ihrer Belegschaft hinzuzufugen. Zudem mag sieauch einem gewerkschaftlichen Angebot, die Lohne der vorhandenen Beleg-schaft zu reduzieren (wenn es denn gemacht werden wurde), ebenfalls ausProfitabilitatsgesichtspunkten skeptisch gegenuberstehen. Aus Sicht der Fir-ma mag eine solche Lohnkostenreduktion, je nach ihrem ‘Betriebsklima’, nichtattraktiv sein. Diese und andere Grunde sind in letzter Zeit in erheblichemUmfang, insbesondere im Rahmen von sog. ‘New Keynesian’ Modellierungendargestellt und analysiert worden. Die damit einhergehenden Analysen vonsog. Effizienzlohnen und dergleichen konnen aber – wie unser neoklassischesBasismodell zeigt – auch in einem anderen theoretischen Kontext als einemkeynesianischen verwandt werden, um dort von Arbeitnehmerseite ungewoll-te Nominallohnrigiditat und damit die Existenz solchermaßen unfreiwilligerArbeitslosigkeit begrunden zu helfen. Die Analyse solcher Nominallohninfle-xibilitaten ist vom Ansatz her letztlich wieder Partialanalyse und sollte perse nicht den Namen eines bestimmten makrookonomischen Theoriegebaudes,wie den der hier betrachteten neoklassischen Makrotheorie oder der noch dar-zustellenden Keynes’schen Revolution derselben, tragen.

Wir haben soeben begrundet, dass auch Nominallohnrigiditaten, was dieArbeitnehmerseite betrifft, von ‘unfreiwilliger’ Natur sein konnten. In Sinneder obigen Keynes’schen Charakterisierung von ‘freiwilliger’ Arbeitslosigkeit,die alle Eigenschaften des Arbeitnehmerverhaltens einzuschließen scheint, wol-len wir aber auch solche Grunde fur Rigiditaten des Nominallohns unter derRubrik ‘freiwillig’ belassen, nicht um damit Verhalten von Arbeitnehmern(und Arbeitgebern) zu bewerten, sondern um im nachsten Abschnitt ganzklar die Frage stellen zu konnen, ob es neben friktioneller und solchermaßen‘freiwilligen’ Arbeitslosigkeit noch einen dritten Typ an Arbeitslosigkeit gibt,der nicht aufgrund von Regeln der Festlegung und der Funktion von Nomi-

Page 79: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.1 Das neoklassische Basismodell des temporaren Gleichgewichts 65

nallohnen erklart werden kann. Dieser Typ an Arbeitslosigkeit wurde damitnicht am Arbeitsmarkt und aus firmeninternen Prozessen heraus erklarbarsein. Seine Diagnose sollte daher implizieren, dass Lohnpolitik und Flexibili-sierungen am Arbeitsmarkt und in der Firma keine geeignete Therapie dar-stellen, diesen Typ an Arbeitslosigkeit zu verringern oder gar zu beseitigen.

Zuvor aber wollen wir die Frage stellen, ob es auch bei massiven Rigi-ditaten bei der Nominallohnbestimmung, die – wie wir gesehen haben – aufeinem großen Spektrum von Verhaltensweisen beruhen konnen, ein geeigne-teres Mittel als Lohnpolitik gibt, um im Kontext des neoklassischen Basismo-dells dessen ‘freiwillige’ Arbeitslosigkeit senken zu konnen.

Schauen wir uns zu diesem Zwecke erneut die Bestimmung von Output Y ,Beschaftigung Ld und Preisniveau p im neoklassischen Basismodell an:

Abb. 2.17. Zu hohe Reallohne, Arbeitslosigkeit und expansive Geldpolitik

Die nach unten rigiden Nominallohne w liefern wie gehabt eine aggregierte An-gebotsfunktion, die mit dem parametrisch variablen Preisniveau steigt. Da dieGeldlohne w nicht nachgeben konnen, ist eine Rechtsverlagerung dieser An-gebotsfunktion wirtschaftspolitisch gesehen nicht erreichbar. Das obige Dia-gramm besagt aber im Kern, dass die Geldlohne nur relativ zur Geldmenge ge-sehen zu hoch sind, da das Preisniveau p′0, welches mit Vollbeschaftigung kom-patibel ware, von der Umschlagsgeschwindigkeit des Geldes her gesehen zu-sammen mit dem Output Y nicht realisierbar ist (vM < p′0Y ). Die Geldmengeist damit einfach zu klein, um das Nominaleinkommen bei Vollbeschaftigungreibungslos abwickeln zu konnen. Es folgt, dass eine Erhohung der Geldmengeein adaquates Mittel sein sollte, die vorhandene Unterbeschaftigung abzubau-en. Abbildung 2.17. zeigt dann auch gleich die Geldmenge M ′, die notig ware,um Vollbeschaftigung zu ermoglichen. Naturlich ist es aus Grunden der Prak-tikabilitat und der Treffsicherheit nicht sinnvoll zu versuchen, die GeldmengeM in einem Schlag auf das fur die Wirtschaftspolitik nur grob abschatzbare

Page 80: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

66 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

Niveau M ′ anzuheben. Statt dessen durfte es sinnvoll sein, graduelle Geld-mengenexpansionen ins Auge zu fassen, mittels derer man sich schrittweisean das Vollbeschaftigungsniveau des Outputs Y herantastet, in der Hoffnungdass dieser graduelle Weg nicht von ihn konterkarierenden Effekten begleitetist. Dies sollte bei einem gesellschaftlichen Konsens daruber, dass die Be-seitigung der Arbeitslosigkeit wirtschaftspolitisch Vorrang vor allen anderenokonomischen Sachverhalten hat, angenommen werden konnen.

Die weiter oben angefuhrten Grunde, die eine allgemeine Lohnsenkungals wenig aussichtsreich erscheinen lassen, lassen sich jedoch nicht auf eineSteigerung des Nominallohns ubertragen. Eine expansive Geldpolitik, die wieoben den Output und die Beschaftigung, aber wie ersichtlich auch das Preis-niveau erhoht (und damit auf indirektem Wege die erforderliche Senkung desReallohns w/p hervorbringt), lauft somit in der Realitat in der Regel doch Ge-fahr, dass Geldlohnsteigungen verlangt und durchgesetzt werden. Die Y (w/p)-Kurve wurde sich damit nach links verlagern und den Beschaftigungserfolgder Geldpolitik dampfen oder sogar ganzlich verhindern. Bleibt die Geldpoli-tik trotzdem im Rahmen unserer neoklassischen Modellwelt hartnackig ihremVollbeschaftigungsziel verpflichtet, so kann dieser Prozess in einer Preis–Lohn–Spirale munden, also eine sich (fur einen gewissen Zeitraum) verselbstandi-gende Preis– und Lohninflation entstehen.

Der geldpolitischen Instanz mag damit im Angesicht solcher Begleiter-scheinungen ihrer expansiv angelegten Geldpolitik letztendlich nichts ande-res ubrigbleiben, als ihre Politik des ‘leichten Geldes’ wieder aufzugeben, jawegen der entstandenen Preis–Lohn–Spirale zu einer restriktiven Geldpolitikuberzugehen, um durch Output– und Beschaftigungssenkung die entstandeneInflationsmentalitat zu brechen. Es mag sogar sein, dass die Geldpolitik sorestriktiv wird, dass die ursprunglich bekampfte Arbeitslosigkeit sich letzt-endlich vergroßert, bevor der inflationare Prozess sich auf einem neuen Lohn-niveau

=w> w und dazugehorigem Preisniveau erneut stabilisiert und zur Ruhe

kommt. Das Endergebnis einer Politik des leichten Geldes konnten damit we-sentlich hohere Preise und Lohne sein, bei einem ungewissem Ausgang fur dieBeschaftigungslage.

Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist wieviel der ein-gangs vorhandenen Arbeitslosigkeit abgebaut werden kann, ohne dass es dabeizu steigenden Lohnen und Preisen kommt. Dies ist die Frage nach der Non–Accelerating–Inflation–Rate–of–Unemployment, der NAIRU–Arbeitslosenrate,die in Kapitel 4 bei der mittelfristigen Analyse keynesianischer Modellbildun-gen zur Sprache kommen wird. Wie sich zeigen wird, mag Geldpolitik oberhalbder NAIRU in der Reduktion von Arbeitslosigkeit (bei weitgehender Preisni-veaustabilitat) erfolgreich sein.

2.1.6 Fazit

Mit diesen Uberlegungen beenden wir unsere Diskussion der Struktur und derImplikationen des neoklassischen Basismodells und gehen nun zu einer Dar-

Page 81: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.2 Die Keynes’sche Kritik des neoklassischen Basismodells 67

stellung des Keynes’schen Angriffs auf einen seiner fundamentalen Bausteine,die Annahme der Gultigkeit des Sayschen Gesetzes, uber.

2.2 Die Keynes’sche Kritik des neoklassischenBasismodells

2.2.1 Says Gesetz

Die mittels des neoklassischen Basismodells dargestellte Theorie ist ubersicht-lich und klar, einfach zu handhaben und liefert bei hinreichender Flexibi-litat der Nominallohne ein harmonisches Weltverstandnis, jedenfalls, wenn dasGrenzprodukt der Arbeit bei Vollbeschaftigung L genugend hoch ist, um eineausreichende Lebensgrundlage fur die Arbeitseinkommensbezieher zu gewahr-leisten. Forderung der gesamtwirtschaftlichen Ersparnis senkt den Zins undregt die Kapitalakkumulation an, was zu steigendem Grenzprodukt der ArbeitFL(K, L) fuhrt und damit den Wohlstand der Lohnempfanger vermehrt. Die-ses Bild ist, wie gesagt, von harmonischer Natur. Es hat nur einen Nachteil,es ist in der vorliegenden Fassung aus okonomischer Sicht unvollstandig. DieImplikationen des Modells konnen deshalb als in dieser Form nicht haltbarcharakterisiert werden.

Es ist das Verdienst der ‘Allgemeinen Theorie der Beschaftigung, des Zin-ses und des Geldes’ von John Maynard Keynes (1936), dies aufgezeigt zuhaben, und aus einem Mangel des neoklassischen Basismodells eine eigeneTheorie des temporaren Gleichgewichts entwickelt zu haben, die in vielenfundamentalen Fragen zu vollig entgegengesetzten Antworten im Vergleichzur Neoklassik kommt. Dies soll im folgenden anhand eines Modells gezeigtwerden, das sich oberflachlich nur in einem Punkt vom neoklassischen Basis-modell unterscheidet. Dieses Modell kann als Keynes’sches Basismodell be-zeichnet werden, man vgl. dazu Keynes (1936, Kap.18), auch wenn es nichtin allen Komponenten der von ihm gewahlten Darstellung des Kerns seinerTheorie entspricht.

Eine vorgegebene, die orthodoxe Sichtweise gesamtwirtschaftlicher Inter-aktion reprasentierende Modellierung nur in einem Punkt in Frage zu stellenund damit ihre wesentlichen Schlussfolgerungen zusammenbrechen zu lassen,bedeutet nicht, dass man alle ansonsten ubernommenen Bausteine dieser Mo-dellierung akzeptiert. Eine solche Vorgehensweise zeigt lediglich – falls sieerfolgreich ist – den fundamentalen Irrtum eines bisher akzeptierten Gedan-kengebaudes auf. Sie ist gerade deshalb als Kritik viel wirksamer, da sie ebennicht ein durch viele Veranderungen schwer verstandliches Gegenmodell ent-wirft, sondern im Rahmen der orthodoxen Vorstellungen deren Unhaltbar-keit beweist. Klare Modellierungen theoretischer Vorstellungen einerseits undandererseits die Suche nach entscheidenden fehlerhaften oder verfehlten An-nahmen in solchen Modellierungen stellen die grundsatzliche makrookonomi-sche Vorgehensweise dar, mit der vollstandige Modelle gesamtwirtschaftlicher

Page 82: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

68 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

Interdependenzen entworfen und wieder verworfen werden konnen. Auf die-sem Wege kann man zu einer Modellsequenz gelangen, die schrittweise logischgeschlossenere als auch empirisch gesehen relevantere Entwurfe liefert. Diefolgende Darstellung ist ein Beispiel fur einen solchen Schritt.

Grundlegend fur die Keynes’sche Revolutionierung des neoklassischen Mo-dells ist die Beobachtung, dass die volkswirtschaftliche Ersparnis nicht alleinvom Zinssatz r abhangen kann, sondern dass bei ihr wenigstens noch eineandere, im Vergleich zu r letztlich fundamentalere Makrogroße involviert ist.Wir hatten schon im neoklassischen Modell unterstellt, dass die Ersparnis Sals nichtkonsumiertes Einkommen (in geplanten oder tatsachlichen Großen)zu definieren ist, also als Y − δK − C, wobei weiterhin das geplante Ein-kommen der geplanten Netto-Produktion gleichgesetzt ist. Damit deutet sichbereits an, dass das geplante Einkommen neben dem Zinssatz r Argument inder Sparfunktion sein sollte.

Schauen wir uns zur naheren Begrundung die im neoklassischen Basismo-dell unterstellte Konsumfunktion an. Sie lautet in definitorischer Weise:

C = Y D − S(r) = Y − δK − S(r),

da Konsum- und Ersparnis zusammengenommen das verfugbare EinkommenY D = Y − δK ergeben mussen. Diese Konsumfunktion besagt, dass die sog.marginale Konsumneigung CY D stets gleich ‘1’ ist und die Ersparnis volligunabhangig von Variationen dieses Einkommens ist. Dies ist aus okonomischenGrunden aber als genereller Sachverhalt inakzeptabel, da dann

• der Konsum fur Y − δK < S(r) negativ sein musste,• bei konstantem Zins r unabhangig von der Einkommenshohe stets gleich

viel gespart werden wurde,• langfristiges Wachstum des Kapitalstocks bei einer solchen Sparfunktion

unmoglich ist.

Diese Kritik der unterstellten Sparfunktion lasst sich aus mikrookonomischerSicht weiter fundieren. Dies lasst sich ganz elementar mit Hilfe der folgen-den einfachen Darstellung des Entscheidungsverhalten eines reprasentativennutzenmaximierenden Haushalts uber Konsum heute (C1) und Konsum mor-gen (C2) begrunden, also seiner Entscheidung, zum gegeben Zinssatz r ausseinem gegenwartigen Einkommen Y (w/p) − δK Ersparnisse fur zukunftigeKonsumentscheidungen zu bilden. Abbildung 2.18. zeigt diese Konsum- undSparentscheidung im Lichte der soeben unterstellten Daten fur das Haushalts-verhalten.32

32 Hinsichtlich der Details einer solchen Mikrofundierung der Konsum- und Spa-rentscheidung der Haushalte vgl. man Crouch (1972, Kap.3). Angemerkt sei hierdes weiteren, dass auf Basis einer solchen Mikrofundierung wie auch aus empiri-scher Sicht es keineswegs klar ist, ob man bei der Ersparnis von einer positivenAbhangigkeit vom Zinssatz r ausgehen kann. Fur die Zwecke der momentanenKritik des neoklassischen Basismodells ist eine solche Unklarheit jedoch ohneBelang.

Page 83: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.2 Die Keynes’sche Kritik des neoklassischen Basismodells 69

Abb. 2.18. Zur nutzenoptimalen Wahl von Konsum heute C1o und Ersparnis S =

Y D − C1o = Y (w/p)− δK − C1

o = C2o/(1 + r)

Man sieht in dieser Grafik, wie Zins und Einkommen die optimale Konsu-mentscheidung des Haushalts bestimmen und man ersieht insbesondere, dassdie ublicherweise unterstellten Indifferenzkurven, auf der eine solche Entschei-dung beruht, bei einer Zunahme des Einkommens sowohl eine Zunahme desgegenwartigen als auch des zukunftigen Konsums und damit der Ersparnisimplizieren. Diese Ersparnis S hangt damit insbesondere positiv vom zugrun-degelegten Einkommen ab und zwar so, dass eine marginale Sparneigung SY D

zwischen null und eins zustandekommt.Insbesondere diese Argumention legt es nahe, dass die Sparfunktion der

Neoklassik bislang unvollstandig dargestellt worden ist und dass sie im Rah-men der neoklassischen Theorie auf Basis der im Sayschen Gesetz enthaltenenEinkommenserwartungen korrekt durch die Sparfunktion

S = S(Y (w, p)− δK, r)

wiederzugeben ist, d.h. dass im neoklassischen Basismodell implizit angenom-men worden ist, dass die geplante Ersparnis aus dem profitmaximalen Einkom-men Y D fliesst und dann wie bekannt durch Variationen des Zinssatzes mitder Investition zur Deckung gebracht wird. Konsequenterweise sollte deshalbdie Sparfunktion auch zu jedem anderen Wert des verfugbaren EinkommensY − δK durch S = S(Y − δK, r) spezifiziert werden.

Es ist in einem nachsten Schritt plausibel, auch auf der Makroebene anzu-nehmen, dass steigende Einkommensplane der Haushalte Y − δK mit einemAnstieg der geplanten Ersparnis S im Aggregat einhergehen, da – zumindestgewisse Einkommensbezieher – fur zukunftige Konsumzwecke in einem stei-genden Umfang Vermogen bilden oder vermehren wollen, sei es in Form vonRealkapital oder in Form von finanziellen Aktiva. Es liegt daher nahe, diegesamtwirtschaftliche Sparfunktion (unter Beibehaltung der neoklassischen

Page 84: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

70 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

Sicht uber die Rolle des Zinssatzes beim Sparverhalten) wie folgt zu festzule-gen, wobei Y D wieder das verfugbare Einkommen der Haushalte bezeichnet:

S = S(Y D, r), Y D = Y − δK, SY D ∈ (0, 1), Sr > 0.

Die Beziehung 0 < SY D < 1 besagt fur die Konsumfunktion C = Y D −S(Y D, r), die mit dieser Sparfunktion einhergeht, ebenfalls 0 < CY D < 1, d.h.die marginale Konsumneigung, d.i. die Steigerung des Konsums bei Zunahmedes Einkommens um eine Einheit, ist wie die marginale Sparneigung SY D posi-tiv und kleiner als eins. Bei einer volkswirtschaftlichen Einkommenssteigerungwird also nicht alles zusatzliche Einkommen als Konsumausgabe verplant. Diesist von Keynes (1936) als ein fundamentales Gesetz bezeichnet worden. Sei-ne einfache, aber logisch zwingende Konsequenz ist, dass das Sparverhaltender Wirtschaftssubjekte nunmehr als von zwei Argumenten abhangig betrach-tet werden muss, dergestalt, dass eine Steigerung des Einkommens nicht voneiner gleichgroßen Steigerung des gesamtwirtschaftlich geplanten Konsums be-gleitet ist. Dies scheint zunachst nur eine einfache Erweiterung des bisherigenneoklassischen Basismodells darzustellen, die sich scheinbar nahtlos in die bis-herige Struktur dieses Modells einfugen lasst.

In der Tat hat diese einfache Erweiterung (im Zusammenspiel mit einerweiteren) jedoch gravierende Konsequenzen. Zunachst folgt fur die neoklassi-sche Darstellung des Gutermarktes jetzt:33

Abb. 2.19. Die Keynes’sche Erweiterung des neoklassischen Kapitalmarkts

Der Zinssatz r kann also nicht mehr unabhangig vom Einkommen bestimmtwerden. Anders ausgedruckt haben wir jetzt eine Gleichgewichtsbeziehung33 Wir werden spater auf den Einfluss des Nominalzinses auf das Sparverhalten der

Haushalte der Einfachheit halber verzichten, wollen dies aber hier noch nicht tun,um eben darlegen zu konnen, dass das folgende Keynes-Modell eine zwingendeund fundamentale Komplettierung des neoklassischen Basismodells darstellt.

Page 85: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.2 Die Keynes’sche Kritik des neoklassischen Basismodells 71

vorliegen, die von zwei makrookonomischen Variablen abhangt, also keine ein-deutige Losung mehr hat. Technisch gesprochen haben wir damit eine durch

H(Y, r) = S(Y − δK, r)− I(r) = 0

implizit definierte Funktion Y (r) oder r(Y ) vorliegen, die die Menge al-ler Einkommens–Zins–Kombinationen beschreibt, die die Gleichgewichtsbe-dingung H(r, Y ) = 0 erfullen, also Gutermarktgleichgewicht reprasentieren.Fur diese sog. IS–Kurve gilt gemaß dem Satz uber implizite Funktionenr′(Y ) = −HY /Hr < 0, d.h. steigendes Einkommen erzwingt fallende Zinsen(wodurch die mit dem Einkommensanstieg verbundene vermehrte Ersparniswieder mit Investionsplanen zur Deckung gebracht wird).

Wie aber lautet nun der Kausalzusammenhang am Gutermarkt: Bestimmtdas Einkommensniveau den Zins, oder ist es umgekehrt, dass der Zins ein be-stimmtes Einkommensniveau nach sich zieht oder determiniert? Das neoklas-sische Basismodell hat diese Frage zwar zunachst ignoriert, jedoch kann es – inFortsetzung der ihm zugrundeliegenden Logik – in der Richtung erweitert wer-den, dass das zuvor (uber Grenzproduktivitatstheorie und Quantitatstheorie)zusammen mit p0 bestimmte Gleichgewichtseinkommen Y0 in S(Y − δK, r)eingesetzt wird, um daraus dann r0 durch Interaktion von Spar– und Investi-tionsplanen zu bestimmen. Im Rahmen des neoklassischen Modells sollte alsodie folgende Sichtweise gelten:

(p0, Y0) → S(Y0 − δK, r) = I(r) → r0.

Der Schnittpunkt von AS- und QT-Kurve legt somit wie bisher das Preisni-veau und die Produktion fest, bei der die profitmaximale Produktion durch dievorhandene Geldmenge reibungslos umgesetzt werden kann, und der Zinssatzermoglicht anschließend gleichzeitig Kapitalmarkt- und Gutermarktgleichge-wicht. Diese Sichtweise setzt allerdings voraus, dass die Ersparnis sowohl un-mittelbar als auch vollstandig am Kapitalmarkt angelegt wird. Dies folgt di-rekt aus der an fruherer Stelle erwahnten Annahme der Neoklassik, dass jegli-che Geldhaltung uber den reinen Transaktionsbedarf hinaus aus okonomischerSicht irrational ist.

Bei Licht besehen sprechen jedoch mehrere Grunde dafur, dass die Verwen-dung von Geld als Wertaufbewahrungsmittel nicht nur mit Blick auf die Rea-litat zu berucksichtigen ist, sondern auch aus okonomischer Sicht durchaus ra-tional sein kann. Wahrend auf die verschiedenen denkbaren Motive in diesemZusammenhang an spaterer Stelle ausfuhrlicher eingegangen wird, mag hierein Verweis auf das tatsachliche Anlageverhalten vieler Menschen genugen.Wurde man stets nur denjenigen Geldbetrag im Portemonnaie (oder auf demGirokonto) halten, der zur Abwicklung der Transaktionen des laufenden Ta-ges unbedingt erforderlich ist (so wie es der klassischen Vorstellung eigentlichentsprechen wurde), so musste man zu Beginn jedes Tages zunachst einige An-lagen verkaufen, um den aktuellen Liquiditatsbedarf zu decken. Dies wurdenaturlich nicht unerhebliche Transaktionskosten verursachen (und sei es auch

Page 86: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

72 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

nur in Form der damit verbundenen Unbequemlichkeiten und des entsprechen-den Zeitaufwandes), so dass viele (wenn nicht gar die meisten) Menschen ihnenzufließende liquide Mittel zunachst einmal halten und erst zu einem spaterenZeitpunkt uber deren Anlage entscheiden. Damit jedoch ist die direkte Verbin-dung zwischen der Ersparnis und der Angebotsseite am Kapitalmarkt (bzw.,was dasselbe bedeutet, der Nachfrage nach neuen Wertpapieren) unterbro-chen. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass ein Gleichgewicht auf dem Wert-papiermarkt nicht mehr gleichbedeutend mit einem Gleichgewicht zwischenlaufenden Investitionen und laufender Ersparnis ist.

Als gedankliche Stutze34 fur die folgenden Uberlegungen kann man sichin diesem Zusammenhang vorstellen, dass die laufende Ersparnis bis zum En-de der betrachteten Periode35 in liquider Form gehalten und erst zu Beginnder Folgeperiode (ganz oder teilweise) auf den Bondmarkt fliesst. Umgekehrtkonnte man in bezug auf die Investitionen annehmen, dass diese sich bereitszu Beginn der jeweils laufenden Periode am Bondmarkt finanzieren, wobeidie damit verbundenen Neuemissionen an Bonds jedoch im folgenden nichtexplizit berucksichtigt werden. Dies wiederum konnte man damit rechtferti-gen, dass der Umfang der Neuemissionen im Vergleich zur Menge der be-reits vorhandenen “alten” Bonds von vernachlassigbar geringer Großenord-nung ist. Es wird somit in gewohnter Weise der Zinssatz r0 determiniert (vgl.Abb. 2.9.), bei dem Bondnachfrage und –angebot ins Gleichgewicht kommen:Bd(r0) = Bs(r0). Anders als im neoklassischen Basismodell ist jetzt aber derZinsatz r0 und nicht der Output Y0 vorgegeben, wenn es zur Betrachtung desGutermarktgleichgewichts kommt.Gutermarktgleichgewicht muss deshalb durch Variationen des Einkommensbei bereits fixiertem Zins– und Investitionsniveau zustandekommen. Dies isteine glatte Negation des fruher betrachteten Sayschen Gesetzes, wonach jederOutput sich uber einen flexiblen Zinssatz seine Nachfrage generierte. Statt-dessen gilt jetzt, dass sich Einkommen (und damit Produktion) so anzupas-sen haben, dass die damit erzeugte Ersparnis S dem bereits vom Bondmarkther festgelegten Investititonsvolumen I(ro) gleich ist, sollen die Produzentennicht am Markt vorbeiproduziert haben. Anstelle der Behauptung, dass jedesAngebot aufgrund okonomischer Anpassungsprozesse absetzbar werden muss,haben wir also jetzt das Ergebnis, dass nur ein einziges Produktionsniveauuber das Einkommen, welches es generiert, marktgleichgewichtsfahig ist:

Y0 = C(Y0 − δK, r0) + I(r0) + δK ← Y = F (Ld)

Der links des Pfeils angesiedelte Ausdruck weist ein Einkommensniveau aus,welches mit der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage ubereinstimmt (den sog.34 Man beachte hierbei, dass diese Sichtweise weder die einzig mogliche noch die

von Keynes ursprunglich vertretene darstellt. Sie hat allerdings den Vorteil, einesowohl einfache als auch nicht vollig unplausible Grundlage fur das nachfolgendzu entwickelnde Keynes’sche Basismodell zu liefern.

35 Man rufe sich in diesem Zusammenhang noch einmal den kurzfristigen Charakterder Analyse in Erinnerung.

Page 87: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.2 Die Keynes’sche Kritik des neoklassischen Basismodells 73

Abb. 2.20. Keynes’sches Gutermarktgleichgewicht

Punkt der effektiven Nachfrage), ganz unabhangig davon, was auf seiten derProduzenten (rechts) geplant und realisiert wird. Wie dargestellt, ist aber zuvermuten, dass sich der Output Y der Unternehmungen an den Punkt Yo

der ‘effektiven Nachfrage’ anpasst, da sonst z.B. bestandig Uberschuss pro-duziert werden wurde. Die unterstellte Gultigkeit des Sayschen Gesetzes istdamit die kritische Annahme im neoklassischen Basismodell. Im diese Annah-me vermeidenden Keynes’schen Basismodell gilt dann auch genau das Umge-kehrte, namlich dass die Nachfrage (oder besser ein bestimmtes Einkommens–Ausgaben–Gleichgewicht) die Produktion oder das Angebot auf ein bestimm-tes Niveau dirigiert.

2.2.2 Ein Keynes–Modell

Nach diesen Voruberlegungen ist es nun einfach, die grundsatzliche Kausal-kette der Keynes’schen Theorie des temporaren Gleichgewichts modellmaßigdarzustellen. Unter Ausnutzung der bekannten sonstigen Bausteine des neo-klassischen Basismodells ergibt sich fur diesen Ansatz die folgende, im wesent-lichen gelaufige Modellstruktur:

Bd(r) = Bs(r) [Md = M ]I(r) = S(Y D, r) [C(Y D, r) + I(r) + δK = Y ]

Y = F (Ld) [Ld = F−1(Y )]ω = F ′(Ld) [p = w/F ′(Ld)]

wobei Y D = Y − δK wie zuvor das fur die Haushalte verfugbare Einkommenbezeichnet. Im Hinblick auf das von uns benutzte Markte–Sektoren - Schemaergibt diese Reformulierung des neoklassischen Basismodells:

Page 88: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

74 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

Tabelle 2.6. Reformulierung der Wirtschaftsstruktur des neoklassischen Basismo-dells

Arbeits-markt

Guter-markt

Geld-markt

Kapital-markt

Haushalte L C(Y D, r) Md Bd(r)

Unter-nehmen

Ld(w/p) Y (w/p), I(r) B(r) Kurze Frist

Staat M

Preise w p pb = 1, r Kurze oder

Erwartungen mittlere Frist

Man kann aus dieser Darstellung erkennen, dass in ihr zwar Geldangebot undGeldnachfrage dargestellt sind, aber offensichtlich nicht mehr von der einfa-chen Quantitatstheorie des Geldes ausgegangen wird. Dadurch wird bereitshier angedeutet, dass in diesem Ansatz bei seiner spateren Komplettierungder Geldmarkt als Spiegelbild des Bondmarkts aufgefasst werden wird, wasimplizit eine zweite Anderung am neoklassischen Basismodell darstellt. Wasan die Stelle der von Keynes als sehr fragwurdig angesehenen Quantitatstheo-rie des Geldes tritt, kann aber erst im nachsten Kapitel bei der Einfuhrungdes keynesianischen IS-LM Modells besprochen werden.

Auf Basis dieses ‘revolutionierten’ neoklassischen Basismodells ergibt sichnun die folgende grafische Darstellung der Keynes’schen Kausal-Kette oderBestimmungs-Sequenz in bezug auf Zins, Einkommen, Beschaftigung undPreisniveau:Die hiermit dargestellte Sequenz

r0 → I0 → S0 → Y0 → Ld0 < L → p0

beruht erneut auf der Annahme von nach unten rigiden Nominallohnen, die,wie schon festgestellt, auf diversen Sachverhalten, die nichts mit dem ma-krookonomischen Gedankengebaude zu tun haben, beruhen kann. Im Unter-schied zum neoklassischen Basismodell ist hier die Rigiditat des Lohns nur aufder letzten Modellierungsstufe, der Bestimmung des Preisniveaus p0, relevant.

In der obigen Kausal- oder Ereignissequenz ist unterstellt, dass die Wert-papiermarkte einen Zustand aufweisen, der fur Vollbeschaftigung – wie gleichersichtlich wird – einen zu hohen Gleichgewichts–Nominalzins r0 generiert.Das bei diesen Zinsen mogliche Investitionsvolumen erlaubt, wie wir obenschon gesehen haben, lediglich ein Sparvolumen von S0, was Einkommen,Produktion und Beschaftigung auf Niveaus von Y0 und Ld

0 zwingt, die fur Voll-

Page 89: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.2 Die Keynes’sche Kritik des neoklassischen Basismodells 75

Abb. 2.21. Die Keynes’sche Kausalkette der Bestimmung von Einkommen undBeschaftigung

beschaftigung zu niedrig sind. Im letzten Diagramm dieser Kette ist schließlichdie mit Produktionsausdehnung steigende Grenzkostenkurve dargestellt,36 al-so w/F ′(Ld) = w ∆Ld/∆Y . Gemaß neoklassischer wie Keynes’scher Theoriegilt Preis = Grenzkosten, d.h. in Abhangigkeit von der bereits bestimmtenBeschaftigung ergibt sich hier schließlich unter kompetitiven Bedingungen dasdazugehorige Preisniveau p0.

Wir haben schon gesehen, dass in der Keynes’schen Theorie das SayscheGesetz quasi auf dem Kopf steht. Die Gultigkeit dieses Gesetzes zu negierenwar das Hauptanliegen von Keynes (1936) bei der Formulierung seiner ‘All-gemeinen Theorie der Beschaftigung’. Wir haben jedoch bereits festgestellt,dass noch ein weiterer Baustein unseres neoklassischen Basismodells in derobigen Darstellung der Keynes’schen Revolution dieses Modells nicht mehrgegenwartig ist: die Quantitatstheorie des Geldes. Wir werden im nachstenKapitel sehen, was aus Keynes’scher Sicht als Geldtheorie an die Stelle derQuantitatstheorie tritt [und dort die hier benutzte ‘loanable funds’ Theorie(Kreditmarktheorie) der Zinsbestimmung ersetzt].

Wir haben im neoklassischen Modell gesehen, dass sinkende Geldlohne(w ↓) die Beschaftigung und eine steigende Neigung zum Sparen (S(r) ↑)die Kapitalakkumulation anregen und damit beide Ereignisse positiv bewer-

36 Vgl. dazu Abbildung 2.1.

Page 90: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

76 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

tet werden mussen. Damit verglichen liefert das Keynes–Modell hier paradoxeResultate, wenn man das zweite Ereignis jetzt dadurch angemessen charakteri-siert, dass zu gegebenem Einkommen und Zinssatz das geplante Sparvolumenansteigt: S(Y − δK, r) ↑. Die obige Kausalkette liefert bezuglich dieser bei-den komparativ–statischen Uberlegungen zum einen, dass sinkende Lohne aufdem Wege uber sinkende Grenzkosten lediglich sinkende Preise zur Folge ha-ben, also real nichts bewirken und insbesondere die Beschaftigungslage nichtmehr positiv beeinflussen. Lohndeflation fuhrt deshalb nach Keynes in diesemGrundmodell lediglich zu Preisdeflation, was im Lichte der neoklassischen Er-gebnisse sicherlich treffend als Lohnparadox bezeichnet werden kann.

Zum anderen fuhrt gestiegene Sparneigung zu keiner Wirkung bei Zinsund Investitionsvolumen, was impliziert, dass es einen Ruckgang beim Ein-kommen, der Produktion und der Beschaftigung geben muss, soll der Guter-markt wieder ins Gleichgewicht geraten. Steigender Sparwille wirkt deshalblediglich kontraktiv (und preissenkend) und keineswegs mehr forderlich auf dieKapitalakkumulation ein, da Io = So invariant bleibt. Erneut im Lichte derneoklassischen Schlussfolgerungen betrachtet, kann dies nur als Sparparadoxempfunden werden.

Man sieht, dass auch die komparativ–statischen Implikationen denen desneoklassischen Basismodells fundamental entgegengesetzt sind. Die vorge-nommene Erweiterung der Determinanten der volkswirtschaftlichen Ersparnisfuhrt somit zu radikal neuen Schlussfolgerungen.

Analog kann man sich mit Hilfe der obigen grafischen Darstellung leichtklarmachen, dass

1. eine Erhohung des Arbeitsangebots L (z.B. durch Immigration) keinerleiEffekt auf die temporare Gleichgewichtslage der Volkswirtschaft hat.

2. Eine Erhohung der Investitionsneigung (zu jedem Zinssatz r) die Produk-tion, die Beschaftigung und die Preise steigen lasst.

3. Eine durch technischen Wandel bedingte lokale Parallelverschiebung derProduktionsfunktion nach oben den Output invariant lasst und damit dieBeschaftigung und die Preise senkt.

Zinseffekte konnen nur auftreten, wenn sich die Angebotsplane und Nach-frageplane am Bondmarkt andern. Geldpolitik (z.B. steigendes M) kann hier,wie gesagt, noch nicht thematisiert werden kann, da dazu erst die Keynes’scheSicht des Geldmarktes zu entwickeln ist.

Im Preis–Output–Diagramm lasst sich das Keynes–Modell wie folgt dar-stellen:Die aggregierte Angebotsfunktion (AS) ist die gleiche wie im neoklassischenBasismodell (wobei Y erneut die Vollbeschaftigungslinie darstellt). Die aggre-gierte Nachfragefunktion (AD), die an die Stelle der quantitatstheoretischenBestimmung des Preis–Output–Verhaltnisses tritt, hangt – wie wir gesehenhaben – nur vom auf dem Bondmarkt realisierten Zinssatz (und naturlichvon Investitions– und Sparneigung) ab und wird nicht von Variationen desPreisniveaus p beeinflusst. Ein zu hoher Zinssatz r0 – und nicht ein zu ho-

Page 91: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.2 Die Keynes’sche Kritik des neoklassischen Basismodells 77

Abb. 2.22. Die AD-AS-Darstellung des Keynes-Modells

her Nominallohn – ist damit hier letztendlich die Ursache fur ArbeitslosigkeitL−Ld

0, Ld0 = F−1(Y0). Geldlohnsenkungen verlagern die AS–Kurve nach un-

ten, fuhren also, wie schon gesehen, zu Preisniveausenkungen, ohne Y0 unddamit Ld

0 beeinflussen zu konnen. Damit ist klar, was Keynes unter unfreiwil-liger Arbeitslosigkeit im strengen Sinne des Wortes verstanden haben wollte,namlich einen Zustand, der an ‘Wall Street’ und von Investoren und Spar-neigungen entschieden wird, auf den die Arbeitnehmerseite keinen Einflussausuben kann, es sei denn, sie ist zur Negation bestehender Rahmenbedin-gungen im Sinne des Zitats von Rothschild bereit (vgl. 1.1.5 ). Fur Keyneswar dieser Typ an unfreiwilliger Arbeitslosigkeit die zentrale Erklarung derMassenarbeitslosigkeit, die er vor Augen hatte, als er die ‘Allgemeine Theorieder Beschaftigung, des Zinses und des Geldes’ (1936) veroffentlichte.

2.2.3 Eine Modifikation des Keynes’schen Basismodells

Wir haben gesehen, dass die Keynes’sche Revolution des neoklassischen Mo-dells im wesentlichen die Negation des Sayschen Gesetzes, wonach jedes Ange-bot sich seine Nachfrage schafft, betrifft. Die anderen Bausteine (Zinstheorie,Investitionstheorie und Arbeitsmarkt) wurden von ihm vom Funktionsprin-zip her ubernommen, auch wenn die Zinstheorie, wie wir noch sehen werden,geldmarkttheoretisch von ihm erganzt und ausformuliert wurde. Gemaß derNeoklassik gilt deshalb auch im Keynes’schen System, dass Beschaftigung undReallohn negativ miteinander korreliert sind.Der einzige – aber entscheidende – Unterschied ist, dass die Kausalitat in der(Ld, ω)–Bestimmung von seiten der Arbeitsnachfrage her gesehen wird (die ih-rerseits durch den Punkt der effektiven Nachfrage determiniert wird), wahrendin der Neoklassik vom Geld– und Reallohn herkommend argumentiert wird.

In diesem Zusammenhang schreibt Mankiw (1994, S.295) in bezug auf dasKeynes’sche Modell:

Page 92: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

78 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

Abb. 2.23. Die Kausalitatsrichtung bei der Keynes’schen Verwendung der Grenz-produktivitatstheorie

“The real wage should be countercyclical: It should fluctuate in theopposite direction from employment and output. Keynes himself wrotein The General Theory that “an increase in employment can onlyoccur to the accompaniment of a decline in the rate of real wages.”The earliest attacks on The General Theory came from economistschallenging Keynes’s prediction.” ...

und er stellt abschließend fest:

“If the real wage is cyclical at all, it is slightly procyclical: the realwage tends to rise when output rises.”

Eine einfache Art, diesen der Grenzproduktivitatstheorie des Reallohns wider-sprechenden empirischen Beobachtungen zu genugen, kann wie folgt motiviertwerden.

Sollen Verluste vermieden werden, so ist klar, dass das Preisniveau großeroder gleich den Grenzkosten der Produktion w ∆L/∆Y = w/F ′(Ld) zu seinhat oder auch

pF ′(Ld) ≥ w

wenn man auf den Grenzerlos abstellt. Keynes (1936, Kap.21) nahm nun inseiner Theorie der Preise und des Preisniveaus an, dass Wettbewerbsbedin-gungen das Preisniveau bis auf die Grenzkosten drucken wurden, weshalb auchin seiner Theorie die Grenzproduktivitatstheorie (in neuer Sichtweise) zutraf.Dieses Preisniveau ist jedoch nur das Minimum aller mogliches Preisniveaus,die durch das Preissetzungsverhalten von nachfragerestringierten Firmen ent-stehen konnen. Ein solcher Preissetzungsspielraum der Firmen kann sich erge-ben, wenn von der Annahme vollkommener Konkurrenz auf den Gutermarktenabgegangen wird. Eine ubliche mogliche Alternative zu dieser Minimumsregelist durch sog. Aufschlags–Preisbildung gegeben:

Page 93: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.2 Die Keynes’sche Kritik des neoklassischen Basismodells 79

p = (1 + a)wLd

Y

(≥ w dLd

dY

)

wo a den (konstanten) Aufschlag auf die Lohnstuckkosten wL/Y bezeichnet,mittels dessen die Firmen Gewinn erzielen wollen. Nach dem Reallohn auf-gelost, ergibt diese Formel

ω =w

p=

y

1 + a, y =

Y

L

so dass sich der Reallohn in diesem Ansatz – bei fixem Aufschlagssatz a – alsoprozyklisch verhalt, wenn dies fur die gesamtwirtschaftliche Arbeitsprodukti-vitat y nachgewiesen werden kann.

Letzteres ist, empirisch gesehen, in der Tat der Fall und auch nicht unplau-sibel, wenn man davon ausgeht, dass Firmen Arbeitskraftreserven haben, diebei steigender Nachfrage aus einem gegebenen Beschaftigungsvolumen herausrealisiert werden konnen.

Im Streit um pro– oder kontrazyklische Reallohnbewegungen, die, wieMankiw feststellt, jedenfalls nicht ausgepragt beobachtbar sind, wollen wiruns im folgenden jedoch moglichst neutral verhalten und werden hier deshalbeinfach von gegebener Arbeitsproduktivitat y = Y/Ld ausgehen. Die bishe-rige Annahme fallender Grenzprodukte wird also durch die noch einfachereAnnahme konstanter Grenzprodukte ersetzt. Gleichermaßen wollen wir auchbeim Kapitaleinsatz fixe Proportionen unterstellen: x = Y p/K, was heißensoll, dass der Normaloutput (im Sinne des kapazitatsseitigen Maximalout-puts) Y p in einer fixen Proportion zum momentan gegebenen KapitalstockK steht. Die Große x wird in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung als(maximale oder normale) gesamtwirtschaftliche Kapitalproduktivitat (bei be-zeichnet. Anstelle einer neoklassischen Produktionsfunktion liegt damit jetzteine linear–limitationale Produktionsfunktion vor, bei der sowohl Arbeits- alsauch Kapitalproduktivitat als exogen gegebene Daten behandelt werden:

Y = min{xK, yLd},wobei K und Ld den momentanen Kapital– und Arbeitseinsatz bezeichnen.Die Keynes’sche Theorie defizitarer Nachfrage wird durch diese Modifikationin ihren zentralen Aussagen nur unwesentlich verandert, da die Gestalt derAD-Kurve hier das Entscheidende ist und nicht die Gestalt der AS-Kurve:

Ein großer Vorteil dieser neuen Sicht der AS-Kurve ist, dass sie den Key-nes’schen Ansatz deutlich durchsichtiger gestaltet. Weiterhin gilt, dass Zins–und Investitionsverhalten den Output der Firmen – und damit die Beschafti-gung – determinieren. Glucklicherweise sind Arbeiter in der Frage von Lohn-senkungen, “obschon unbewusst, instinktiv vernunftigere Wirtschafter als dieklassische Schule, indem sie sich gegen eine Kurzung der Geldlohne wehren,. . . ”(Keynes, 1936, S.12). Anderenfalls wurde erneut nur die AS–Kurve nachunten shiften, also eine (problematische) Deflationsspirale entstehen, ohnedass sich an der Lage am Arbeitsmarkt irgendetwas verandern wurde.

Page 94: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

80 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

Abb. 2.24. AD und AS im einfachsten Keynes-Modell

Fixe technologische Proportionen lassen somit den Grundgedanken von Key-nes’ ‘Allgemeiner Theorie’ noch deutlicher hervortreten. Analoges gilt, wennman die ‘Neoklassik’ und ‘Keynes’ synthetisierende Sparfunktion S(Y −δK, r)zu S = s(Y − δK), s = const. ∈ (0, 1) vereinfacht, da damit die absetzbareProduktion einfach durch

Y0 = δK + I(r0)/s [Bd(r0) = Bs(r0)]

charakterisiert werden kann, naturlich zusammen mit Ld = Y0/y und p =(1 + a)/y. Dies ist u.E. die einfachste Form, in der man den Grundgedan-ken der Keynes’schen Theorie unfreiwilliger Arbeitslosigkeit L − Ld darstel-len kann. Die folgenden Gleichungen fassen diese Darstellung zusammen. Siebilden die Grundlage der im nachsten Kapitel auszubauenden Analyse derkeynesianischen Bestimmung kurzfristigen oder temporaren Gleichgewichts.

Bd(r) = Bs(r) → ro

I(ro) = s(Y − δK) → Yo = δK + I(ro)/s

Yo = yLd → Ldo

p = (1 + a)w/y → po

Tabelle 2.7. stellt im Vergleich zu Tabelle 2.4., den komparativ-statischen Er-gebnissen des neoklassischen Basismodells bei Unterbeschaftigung, die kompa-rative Statik dieses Keynes-Modells dar und sollte mit den dort erzielten Er-gebnissen sorgfaltig verglichen werden. Man beachte hierbei, dass im Kontextdieses Keynes-Modells der Geldmarkt (in vorlaufiger Weise) als Spiegelbilddes Bondmarktes angesehen wurde, also ein Uberschussangebot auf diesemMarkt einfach als Uberschussnachfrage am Bondmarkt interpretiert werdenkann, die durch Zinsenkungen wieder beseitigt werden kann und wird. Eine

Page 95: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.2 Die Keynes’sche Kritik des neoklassischen Basismodells 81

genauere Klarung dieser Vorgehensweise ist erst im nachsten Kapitel bei derBehandlung des keynesianischen IS–LM–Modells moglich.

Tabelle 2.7. Komparativ–statische Analyse des Keynes-Modells bei Unterbeschafti-gung

Ld Y p r ω

w ↑: 0 0 + 0 0y ↑: - 0 - 0 +I ↑: + + 0 0 0S ↑: - - 0 0 0L ↑: 0 0 0 0 0

Abschlussbemerkung: Wenn diese Theorie des temporaren Gleichgewichts einermarktwirtschaftlich organisierten Volkswirtschaft im grundsatzlichen richtigist, so muss sie auch in der Lage sein, die mittelfristige und langfristige Evo-lution solcher Okonomien (ansatzweise) zu erfassen. In dieser Hinsicht ist eshier jedoch nur moglich, eine allererste Schlussfolgerung uber die Dynamiksolcher temporaren Gleichgewichtslagen zu ziehen.

Solange das Lohnniveau w fix bleibt, gibt es in der obigen Basisversiondes Keynes–Modells keine Deflation oder Inflation, also auch keine Inflati-onserwartungen. Bleibt daruber hinaus die Lage am Bondmarkt unverandert,so bleiben Zinssatz r0 (moglicherweise auf hohem Niveau) und damit Inves-titionen und Output (auf niedrigem Niveau) invariant. Nettoinvestitionen Ihaben nun aber nicht nur einen Nachfrageeffekt (Y0 = δK + 1

sI(r0)), son-dern auch einen Kapazitatseffekt: K = I, d.h. sie vermehren die produktivenKapazitaten, solange diese Nettoinvestitionen I positiv sind [zwischen denNettoinvestitionen I und den Bruttoinvestitionen Ib besteht bekanntlich derZusammenhang: Ib = I+δK]. Wir nehmen im folgenden an, dass dies der Fallist, die Wirtschaft somit noch nicht ‘zu depressiv’ ist. Fur den Kapitalstockgilt damit K = I(r0) = const., d.h. K(t) = K(0) + I(r0)t. Und bzgl. derArbeitskraft wissen wir gemaß fruherer Annahme:

L = n1L, d.h. L(t) = L(0)en1t.

Es folgt, dass die Auslastungsgrade von Kapital und Arbeit:

V c = Y0/Y p, Y p = xK; V = Ld/L = (Y0/y)/L

beide monoton abnehmen mussen, da eine gegebene Nachfrage am Guter-markt auf immer mehr Produktionskapazitat von sowohl Kapital als auchArbeit trifft. In einer solchen Okonomie durften sich krisenhafte Tendenzenbestandig ausbauen. Wodurch kann es zur Umkehr dieser Entwicklung kom-men?

Page 96: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

82 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

Im Rahmen des bisher Vorgestellten geht dies nur, wenn es zu einergeeigneten Kombination von Zinssenkungen, eines Sinkens der marginalenSparneigung s und einer erhohten Abschreibungsrate des Kapitals δ kommt:Y0 = 1

sI(r0) + δK ↑, K = I(r0) ↓. Dann konnte es sein, dass Beschaftigungund Auslastung der Unternehmen sich erholen und die Wirtschaft in eineAufschwungphase gerat.

2.2.4 Fazit

Wir haben gesehen, dass der entscheidende Fortschritt bei einem Keynes’schenModellansatz in der Negation des Sayschen Gesetzes liegt, wobei dieses nichtin der ‘primitiven’ Form, dass Akte des Sparens automatisch Investitions-vorhaben werden (I ≡ S), formuliert worden ist, sondern in der elaborier-ten Form, in der Gleichgewicht auf den Finanzmarkten (mittels flexiblerZinsen) gleichzeitig auch stets Gleichgewicht auf dem Gutermarkt bedeutet:I(r0) = S(r0). Funktionsfahige Finanzmarkte lassen deshalb kein Koordinati-onsproblem auf den Gutermarkten entstehen, in der Form, dass eine Nachfra-gelucke Y − δK −C = S nicht stets durch eine entsprechend hohe Investitionausgeglichen werden kann.

Der Akt des Sparens ist jedoch nicht mit dem Akt des Verleihens iden-tisch (auch wenn man von Direktinvestitionen abstrahiert), da Sparen auchvermehrte Geldhaltung bedeuten kann. Das Gleichgewicht auf dem Guter-markt kann deshalb nicht als Spiegelbild des Gleichgewichts auf dem Bond-markt aufgefasst werden: Bd(r0) = Bs(r0), sondern dieses kann durchausmit Ungleichgewicht auf dem Gutermarkt S(Y − δK, r0) 6= I(r0) kompa-tibel sein. Zusatzliche Einkommensvariationen (= Produktionsanpassungen)mussen hier zustandekommen, soll dieses Gleichgewicht erreicht werden. Wirwerden die dahinterstehenden Prozesse im nachsten Kapitel detailliert be-trachten.

Die Zurkenntnisnahme des Sachverhalts, dass die Guternachfrage restrin-giert und damit defizitar sein kann, wirft somit erhebliche Probleme fur dieBeschreibung eines reibungslosen Funktionieren von Marktwirtschaften auf.Die Kapitel 3, 4 und 5 werden versuchen, diese Probleme aus kurz–, mittel–und langfristiger Sicht weiter zu verdeutlichen.

2.3 Zur heutigen Bedeutung prakeynesianischerMakrookonomik

Unsere bisherige Analyse zum Thema ‘Keynes und die Klassik’ ware weitausweniger bedeutsam, wenn dieses Thema lediglich Theoriegeschichte darstellenwurde. Dies ist – wie die folgenden Erorterungen zeigen sollen – jedoch keines-wegs der Fall. Eine gute Kenntnis dieser in ihren Schlussweisen diametralenMakrotheorien ist deshalb hilfreich, wenn es um moderne Auspragungen die-ses klassischen Gedankengutes geht, ganz gleich, ob diese in diesem Kontext

Page 97: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.3 Zur heutigen Bedeutung prakeynesianischer Makrookonomik 83

mittels einer Reformulierung des Sayschen Gesetzes oder mit Hilfe des soge-nannten walrasianischen Marktraumungsansatzes begrundet werden.

2.3.1 Analyse der kurzen Sicht: Unterbeschaftigung

Ein sehr einflussreiches Lehrbuch uber makrookonomische Theorie war Man-kiw (1994): ‘Macroeconomics’. Dieses Buch durchbricht die herkommlicheLehrbuchdarstellung dahingehend, als es zunachst die langfristigen Gleich-gewichtslagen einer Okonomie darstellen will, erst real und dann auch mo-netar eingekleidet, um daran anschließend kurzfristige Gleichgewichtslagenkeynesianischer Art zu thematisieren, die vorubergehend zu okonomischenFluktuationen Anlass geben mogen. Dieses Vorhaben ist vom Methodischenher gesehen problematisch, da die lange Sicht als Evolution temporarer Po-sitionen zustandekommt und damit deren Kenntnis voraussetzt. DidaktischeUberlegungen mogen jedoch einen anderen Aufbau in der Darstellung ma-krookonomischer Prozesse rechtfertigen, vorausgesetzt, dass sich die Analyselangfristiger und kurzfristiger Phanomene nicht widerspricht.

Mankiws (1994) Start in die theoretische Analyse verspricht, ‘the economyin the long run’ zum Gegenstand zu haben, beginnt aber in Kapitel 3 dennochmit temporarer Gleichgewichtsanalyse. Es wird eine neoklassische Produkti-onsfunktion Y = F (K, L) wie in Abschnitt 2.1.1 unterstellt und die Gultigkeitder Grenzproduktivitatstheorie zu gegebenen (vollbeschaftigten) Bestandenan Produktionsfaktoren K, L angenommen: ω = w/p = FL(K, L). Aufgrundder linearen Homogenitat der Produktionsfunktion gilt dann auch:37

ρ =Y − δK − ωL

K=

Y − δK − FLL

K=

(FK − δ)KK

= FK − δ,

d.h. das Verhaltnis von Profiten zu Kapital, die Profitrate ρ, ist gleich demNetto-Grenzprodukt des Kapitals FK(K, L)−δ bei Vollbeschaftigung der Fak-toren K und L. Die neoklassische makrookonomische Theorie der funktionalenEinkommensverteilung lasst sich damit wie folgt darstellen:Eine isolierte Vermehrung des Faktors ‘Arbeit’ um ∆L impliziert somit einenniedrigeren Reallohn (Faktorpreis fur Arbeit) und eine hohere Profitrate ρ(Faktorpreis fur Kapital), d.h. die Faktorpreise von Kapital und Arbeit ver-halten sich gemaß der Knappheitsrelation zwischen diesen beiden Faktoren.Entsprechendes gilt, wenn der Faktor ‘Kapital’ um den Betrag ∆K ver-mehrt wird, wie man analog erkennen kann, wenn man das obige Diagrammals F (·, L) = Y –Diagramm reformuliert. Die neoklassische Verteilungstheo-rie genugt damit ‘gesundem’ Menschenverstand, was die Beziehung zwischen(Faktor–) Angebot und (Faktor–) Preis angeht, und sie hat einen weiteren Vor-teil: “This theory . . . is accepted by most economists today.” (Mankiw, 1994,S.47). Gleichwohl beruht sie auf Annahmen (Preisnehmer, profitmaximierendeMengenanpasser), die empirisch gesehen ebenso wenig plausibel sind, wie ihre

37 Vgl. dazu auch Mankiw (1994, 3.2).

Page 98: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

80 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

Abb. 2.24. AD und AS im einfachsten Keynes-Modell

Fixe technologische Proportionen lassen somit den Grundgedanken von Key-nes’ ‘Allgemeiner Theorie’ noch deutlicher hervortreten. Analoges gilt, wennman die ‘Neoklassik’ und ‘Keynes’ synthetisierende Sparfunktion S(Y −δK, r)zu S = s(Y − δK), s = const. ∈ (0, 1) vereinfacht, da damit die absetzbareProduktion einfach durch

Y0 = δK + I(r0)/s [Bd(r0) = Bs(r0)]

charakterisiert werden kann, naturlich zusammen mit Ld = Y0/y und p =(1 + a)/y. Dies ist u.E. die einfachste Form, in der man den Grundgedan-ken der Keynes’schen Theorie unfreiwilliger Arbeitslosigkeit L − Ld darstel-len kann. Die folgenden Gleichungen fassen diese Darstellung zusammen. Siebilden die Grundlage der im nachsten Kapitel auszubauenden Analyse derkeynesianischen Bestimmung kurzfristigen oder temporaren Gleichgewichts.

Bd(r) = Bs(r) → ro

I(ro) = s(Y − δK) → Yo = δK + I(ro)/s

Yo = yLd → Ldo

p = (1 + a)w/y → po

Tabelle 2.7. stellt im Vergleich zu Tabelle 2.4., den komparativ-statischen Er-gebnissen des neoklassischen Basismodells bei Unterbeschaftigung, die kompa-rative Statik dieses Keynes-Modells dar und sollte mit den dort erzielten Er-gebnissen sorgfaltig verglichen werden. Man beachte hierbei, dass im Kontextdieses Keynes-Modells der Geldmarkt (in vorlaufiger Weise) als Spiegelbilddes Bondmarktes angesehen wurde, also ein Uberschussangebot auf diesemMarkt einfach als Uberschussnachfrage am Bondmarkt interpretiert werdenkann, die durch Zinsenkungen wieder beseitigt werden kann und wird. Eine

Page 99: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.3 Zur heutigen Bedeutung prakeynesianischer Makrookonomik 85

Abb. 2.26. Mankiws Formulierung von Says Gesetz

Dies ist nichts anderes als eine Reformulierung von Says Gesetz aus Abschnitt2.1.3, jetzt im Verbund mit der Keynes’schen Sparhypothese S = sY , wobeiman dieser hinzufugt, dass der Output Y mit dem Vollbeschaftigungsoutput Yubereinstimmt. Dies entspricht dem Vorgehen, welches Keynes (1936, Kap.14)bereits ausfuhrlich kommentiert und als fehlgeleitet kritisiert hat.

Und in der Tat zeigt Mankiw (1994, Kap.9) selbst, dass in der keynesia-nisch formulierten kurzen Sicht seines Buches das Produktionsniveau unter-halb des Vollbeschaftigungsniveaus liegen kann, da der (Nominal–)Zins in derkeynesianischen Theorie lediglich die Vermogensmarkte, aber nicht gleichzei-tig den Gutermarkt ins Gleichgewicht bringt. Die kurze Frist des Kapitels 3,die seiner langfristigen Analyse in Kapitel 4 unterliegt, ist damit eine andereals die von ihm als eigentlich zutreffend erachtete keynesianische Theorie derkurzen Sicht, in deren Rahmen der Zinssatz (z.B. im Falle unseres einfachenKeynes-Modells) dem obigen Diagram vorgegeben ist und nicht mehr durchdieses bestimmt werden kann. Es folgt, dass Abbildung 2.26. keine in einermonetaren Okonomie gultige Gleichgewichtslage beschreibt, da dort der Zin-satz ro bereits durch Angebot und Nachfrage auf dem Bondmarkt bestimmtworden ist und damit die Investition in ihrem Volumen bereits determiniertworden ist. Wie in der Keynes’schen Kritik des neoklassischen Basismodellsmuss sich somit die Ersparnis durch Einkommens- un Beschaftigungsvariati-on an die Investition anpassen und nicht die Investition an die Ersparnis, sollGutermarktgleichgewicht hergestellt werden.

Die Evolution temporarer Positionen hin zu langfristigen Gleichgewichts-lagen beruht deshalb in Mankiws (1994) zweitem Teil des Buches auf ei-ner neoklassischen Verkurzung des keynesianischen Modells des temporarenGleichgewichts, welches den Gutermarkt wieder mit den Vermogensmarktengleichschaltet, ohne dabei – wie im neoklassischen Basismodell – eine expliziteModellierung der Vermogensmarkte (unter Einschluss des Geldmarktes) anzu-bieten. Dies verdeckt, dass eine solche Modellierung bei gleichzeitiger Verwen-dung einer Keynes’schen Sparfunktion und insbesondere in Anbetracht eines

Page 100: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

86 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

Geldhaltungsmotivs im Zusammenhang mit der Verwendung der Ersparniseinen Widerspruch zwischen gleichgewichtigen Zinsniveau und Vollbeschafti-gungsoutput impliziert, der in der Regel nur durch eine Abweichung von derVollbeschaftigungsposition gelost werden kann, wie wir in Abschnitt 2.2.2 ge-sehen haben. Die Fundierung der Solowschen Akkumulationstheorie aus Sichttemporarer Gleichgewichtslagen ist in Mankiws (1994) Buch im Lichte seinernachfolgenden Analysen solcher temporarer Gleichgewichte inkonsistent undwiderspruchlich.

Dementsprechend ist Mankiws Analyse von Unterbeschaftigung und In-flation in Teil II partialanalytischer Natur, also nicht mit dem Rest seinesdortigen Modells verbunden, ganz so, wie wir dies in den einleitenden Ab-schnitten dieses Kapitels kurz skizziert haben. Eine derartig bruchstuckhaf-te Vorgehensweise ist aber in einer gesamtwirtschaftlichen Analyse letztlichnicht tragfahig und akzeptabel. Unsere spateren Darstellungen der keynesiani-schen makrookonomischen Theorie werden solche Inkonsistenzen zu vermeidentrachten.

2.3.2 Analyse der mittleren Sicht: Inflation

Im Gegensatz zur langen Frist, fur die (wie gerade geschildert) in den meis-ten Fallen das Solow–Modell die Grundlage bietet, wird bei der Betrachtungmittelfristig zustandekommender Lohn- und Preisanpassungen die Moglich-keit temporarer Ungleichgewichtslagen in der Regel durchaus zugestanden.Ein prominentes Beispiel hierfur ist die sogenannte Neo-Quantitatstheorie:

M · v = p · YAuf den ersten Blick unterscheidet sie sich nicht von ihrem klassischenVorlaufer. Im Gegensatz zu letzterem wird jetzt allerdings die Moglich-keit kurzfristig wirksamer Preisrigiditaten berucksichtigt mit der Folge, dassVeranderungen der Geldmenge temporar durchaus einen Einfluss auf den Out-put ausuben. Die klassische Neutralitat des Geldes ist hier also zumindestkurzfristig außer Kraft gesetzt. Im Zusammenspiel mit der in spateren Kapi-teln noch eingehend besprochenen Phillipskurve ergibt sich jedoch auf langereSicht, dass die Volkswirtschaft stets zu ihrer “naturlichen” Arbeitslosenratezuruckkehrt, womit zugleich das dem entsprechende Outputniveau festliegt(vgl. hierzu die entsprechenden Ausfuhrungen in Kapitel 4 und 5). Somitergibt sich nach Abschluss der mittelfristigen Lohn- und Preisanpassungenwieder eine rein angebotsseitig bestimmte Situation, die – mit Blick auf dierealen Variablen – offenbar weder durch geld- noch durch fiskalpolitische Maß-nahmen beeinflussbar ist. Lauft der mittelfristige Anpassungsprozess zudemnoch hinreichend schnell ab, bedarf es auch diesbezuglich keines korrigierendenstaatlichen Eingriffs, da sich z.B. Phasen mit uberdurchschnittlichen Arbeits-losenraten dann in kurzer Zeit von selber wieder abbauen.

Man mag naturlich einwenden, dass die Verwendung der Neo-Quantitats-theorie und damit einhergehend einer senkrechten LM–Kurve bereits einen

Page 101: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.3 Zur heutigen Bedeutung prakeynesianischer Makrookonomik 87

“neoklassischen Extremfall” des IS-LM-Modells darstellt und die Ergebnis-se von daher kaum zu verwundern brauchen. Dies betrifft insbesondere dieUnwirksamkeit der Fiskalpolitik, die unter den genannten Umstanden bereitskurzfristig ohne Wirkung auf den Output bleibt; jeder Versuch, z.B. durcheine Erhohung der Staatsausgaben die Wirtschaft zu beleben, verursacht le-diglich ein totales Crowding–Out. Insbesondere durfte gerade aus keynesia-nischer Sicht eine vollig zinsunelastische Geldnachfrage, wie sie bekanntlicheiner vertikalen LM-Kurve zugrundeliegt, kaum akzeptabel sein.

Aus diesem Grunde gehen Dornbusch und Fischer (1995) bei ihrer Analyseder mittleren Frist auch auf den “Normalfall” des IS-LM-Modells ein, verbin-den also das Standardmodell der kurzen Frist mit der Phillipskurve und einerDynamik fur die Inflationserwartungen. Das Resultat ist verbluffend – offenbarandert sich qualitativ nicht das geringste an dem eben beschriebenen Szena-rio, wenn man einmal von kurzfristigen Wirkungen der Fiskalpolitik absieht.Es scheint, als habe die im vorangegangenen Abschnitt beschriebene Vorge-hensweise, kurzfristige Ungleichgewichtslagen (auf Basis des IS-LM-Modells)bei der Analyse der langen Frist zu vernachlassigen, durch die Betrachtungder mittelfristigen Anpassungsprozesse eine gewisse Rechtfertigung erfahren.Allerdings zeigt sich bei naherem Hinsehen, dass Dornbusch und Fischer beiihrem Modell der mittleren Frist einen entscheidenden Feedback-Effekt un-berucksichtigt lassen, namlich den sogenannten Mundell–Effekt, demzufolgeeine Erhohung der erwarteten Inflationsrate den erwarteten Realzins senktund daher expansiv auf die Investitionsnachfrage wirkt. Dies andert zwarnichts an den Charakteristika der mittelfristigen Gleichgewichtslage, wohl aberan ihrer Stabilitat, die jetzt nicht mehr unter allen Umstanden gegeben ist. Jenach Lage der Dinge kann es jetzt zu konstanten Konjunkturzyklen um denSteady State herum kommen mit der Folge, dass je nach Lange und Intensitatder damit verbundenen Rezessionsphasen bestimmte staatliche Interventionendurchaus sinnvoll erscheinen konnen. Desweiteren wird klar, dass vor einemsolchen Hintergrund die mittelfristige Lohn- und Preisdynamik bei der Ana-lyse langfristiger Anpassungsprozesse wie der Kapazitatsdynamik nicht mehra priori ausgeklammert werden kann.

2.3.3 Analyse der langen Sicht: Wachstum

Wenden wir uns jetzt wieder Mankiws (1994, Kap.4) Darstellung der langenSicht und der Akkumulationstheorie zu, die auf dem Solow (1956) Modell deswirtschaftlichen Wachstums beruht. Wir werden hier nur die einfachste Formdieses Wachstumsmodells darstellen, in der von Wachstum beim Produktions-faktor ‘Arbeit’ und von technischem Wandel noch abgesehen wird. Die langeSicht des Modells wird deshalb stationarer Natur sein, also kein Wachstumbei Kapital und Output aufweisen. Gleichwohl wollen wir angesichts einfacherErweiterungsmoglichkeiten dieses Modells zu einem Modell wirtschaftlichenWachstums diesen stationaren Unterfall des allgemeinen Modells ebenfalls alsWachstumsmodell bezeichnen. Wir werden den allgemeinen Fall Solowscher

Page 102: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

88 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

Wachstumstheorie zu Beginn unseres Kapitels 5, das die lange Sicht primaraus keynesianischer Sicht darstellt, behandeln.41

Konsequenterweise geht Mankiw (1994, Kap. 4) bei seiner Analyse derlangen Sicht von derselben Konsum– und damit Sparfunktion S = sY =(1− c)Y wie bei seiner Kurzfrist-Analyse aus. Unser erster Blick gilt deshalbwieder der Art und Weise, wie Gutermarktgleichgewicht in diesem Kontexthergestellt wird.

“The supply and demand for goods played a central role in our staticmodel of the economy in Chapter 3. The same is true in the Solowmodel. As in Chapter 3, the supply of goods determines how muchoutput is produced at any given point in time and the demand de-termines how this output is allocated to alternative uses.” (Mankiw,1994, S.78)

Wie wird auf dieser Basis die Nachfragelucke Y − C = S = sY im Solow-schen Wachstumsmodell geschlossen? Einfach per Definition: I ≡ S = sY ,d.h. alle Ersparnis wird automatisch zur (Direkt–)Investition. Wie dies zu-standekommt, bleibt offen, insbesondere im Hinblick auf die keynesianischenTheorie der kurzen Sicht, die Mankiw in Kapitel 9 seines Buches prasentiert.Die Annahme I ≡ S ist die einfachste Version von Says Gesetz, wo nicht ein-mal mehr der Zinssatz r vonnoten ist, um Sparplane und Investitionsplane zurDeckung zu bringen. Die nachfolgende Wachstumstheorie ist damit trotz derVerwendung einer keynesianischen Sparfunktion in ganz entscheidender Weiseneoklassisch und damit angebotsorientiert. Defizitare Guternachfrage in bezugauf den Vollbeschaftigungsoutput Y wird per Definition hier ausgeschlossen.

Um diese neoklassische Akkumulationstheorie in ihrer stationaren Formdarzustellen, genugt es, die Annahmen uber den VollbeschaftigungsoutputY = F (K, L) und die Kapitalakkumulation K = I − δK = sY − δK zu ver-binden und ihre Konsequenzen zu ermitteln. Diese beiden Bausteine machenhier den ganzen Gehalt der Solowschen Akkumulationstheorie aus.

K = sF (K, L)− δK

Die Entwicklung des Kapitalstocks K wird in diesem Spezialfall der Solow-schen Wachstumstheorie damit durch eine einzige (nichtlineare) Differential-gleichung erster Ordnung beschrieben, die sich grafisch wie folgt darstellenlasst:

Wie inzwischen gelaufig ist, ist globale asymptotische Stabilitat der K–Dynamik in bezug auf ihren Steady State Wert K0 wieder unmittelbar ausdieser Grafik erkennbar. Fur den Gleichgewichtswert Ko der obigen Dynamikgilt dabei:41 Die verschiedenen Verallgemeinerungsstufen des Solow Modells werden ausfuhr-

lich in Kapitel 4 in Mankiw (1994) vorgestellt und abgehandelt.

Page 103: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.3 Zur heutigen Bedeutung prakeynesianischer Makrookonomik 89

Abb. 2.27. Steady State und Stabilitat im Solowschen Akkumulationsmodell

H(Ko) = sF (Ko, L)/Ko = δ, H ′ < 0 also Ko = H−1(δ).

Dieser auf temporaren Vollbeschaftigungslagen basierende Anpassungsprozessbetrifft jedoch allein die Dynamik des Angebots an Kapital und hat damit nurwenig mit der Evolution temporarer Gleichgewichte des Keynes’schen Basis–Modells (oder spater der keynesianischen IS-LM Analyse) gemein. Diese mussauf einem Studium der durch Bond– (Geld–), Guter– und Arbeitsmarkt undderen Interaktion induzierten dynamischen Prozesse beruhen, da mittel– undlangfristige Konsequenzen durch die Evolution kurzfristiger Positionen derOkonomie entstehen. Letztere sind aber durch den Solow–Ansatz der kurzenFrist

Y = F (K, L), S = sY

nicht hinreichend beschrieben.Als Fazit ergibt sich damit, dass der obige dynamische Prozess aus Sicht

der Analyse keynesianischer temporarer Gleichgewichte, also Mankiws (1994)Kapitel 9, vollig unbegrundet ist. Es erhebt sich die Frage, ob die SteadyState Position des Solowschen Modells deshalb irgendwas uber die SteadyState Bestimmung einer keynesianischen Wachstumstheorie aussagen kann.Wir werden dieser Frage in Kapitel 5 nachgehen.

2.3.4 Walrasianische Marktraumungsansatze

Marktraumungsansatze im Bereich der Makrotheorie wollen die mikrookono-mische Analyse walrasianischer Provenienz moglichst umfassend auf die ma-krookonomische Analyse von Einkommen, Beschaftigung und Inflation ubert-ragen. Sie gehen deshalb von der Annahme reprasentativer Individuen aus,

Page 104: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

90 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

also i.a. einem Haushaltstyp, einem Firmentyp und spater noch dem Staat,um aus deren Einnahmen–Ausgaben–Restriktionen und ihren Zielfunktionensog. mikrofundierte Angebots– und Nachfrageplane optimaler Natur herzulei-ten.

Mikrofundierung partialanalytischer Art hat die Entwicklung der Makro-theorie schon fruhzeitig begleitet, so z.B. in Form verschiedenster Typen mi-krofundierter Konsumfunktionen.42 Mikrofundierung walrasianischer Naturwill aber ganze Sektoren (Haushalte, Unternehmen, Staat) aus einem einheit-lichen Optimierungskalkul heraus begrunden, was, wie wir noch sehen werden,zu speziellen Implikationen in derart aufgebauten Makrotheorien fuhrt.

Reprasentative Darstellungen dieses Ansatzes sind Barro (1990) und Bar-ro/Grilli (1994). Diese beiden Bucher sind in ihrem theoretischen Kern iden-tisch, weshalb wir uns im folgenden auf das Lehrbuch von Barro/Grilli (1994)mit unseren Erorterungen beschranken werden. Dort wird im ersten Teil desBuches ein walrasianisches Basismodell mit Guter–, Bond– und Geldmarktaufgebaut, wobei die unterstellten Verhaltensfunktionen typischen Budgetre-striktionen genugen sollen, aber – wohl der Einfachheit halber – nicht ei-nem einheitlichen Optimierungsansatz entnommen werden. Budgetrestriktio-nen als Konsistenzcheck sektoraler Nachfrage– und Angebotsbeziehungen zuverwenden, ist aus heutiger Sicht eine ganz fundamentale Forderung, die nichtauf walrasianische Ansatze beschrankt ist. Welche Optimierung in ihrem Rah-men dann ablauft, ist dagegen weitaus weniger klar, insbesondere aufgrundder Tatsache, dass viele individuelle Entscheidungsformen in ihrem Rahmenangesiedelt sind.

Aber auch auf der Ebene der Budgetrestriktionen unterscheiden sich wal-rasianische von keynesianischen Ansatzen (die wir im nachsten Kapitel dies-bezuglich betrachten werden) fundamental. Dies wird deutlich, wenn wirdas obige Barrosche Basismodell um den Arbeitsmarkt erweitern, wo diewalrasianisch orientierte Theorie Implikationen aufweist, die mit der ma-krookonomischen Analyse von Unterbeschaftigungsgleichgewichten nur schwerin Einklang zu bringen sind. Dementsprechend wird der Konsistenzcheckuber sektorale Budgetrestriktionen bei der Erweiterung des Marktraumungs–Basismodells um den Arbeitsmarkt in Barro (1990) und Barro/Grilli (1994)einfach ignoriert.

Mikrookonomisch (hier = walrasianisch) geschulten Lesern sollte es abernicht schwerfallen, die gesamtwirtschaftliche Budgetrestriktion zu formulie-ren, die bei einer Okonomie mit einem Typ Haushalt und einem Typ Firmaaus walrasianischer Sicht zustandekommt, da dort (bei Preisnehmerverhal-ten) stets gilt, dass die Summe aller Wunschangebote gleich der Summe allerNachfrageplane sein muss. In einer Okonomie mit Guter–, Arbeits–, Geld–und Wertpapiermarkt bedeutet dies in Anlehnung an Barro und Grilli (1994)

42 Man vgl. Abschnitt 2.2.1 hinsichtlich eines einfachen Beispiels fur eine solcheMikrofundierung.

Page 105: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.3 Zur heutigen Bedeutung prakeynesianischer Makrookonomik 91

in unserer Notation:43

pC + pI + Bd + rB + Md = pY − δK − wLd + wLs + Bs − B + M

Haushalte sind hier der einzige Souveran in diesem Typ einer ‘private ow-nership economy’. Kredite werden nur zwischen Haushalten vergeben, wasbedeutet, dass im Aggregat die Summe aus vergangener Kreditvergabe undKreditnahme B = 0 ist, also fur den Haushaltssektor als Ganzes kein Zin-seinkommen entsteht. Auf der Einnahmenseite erwartet der preisnehmendeHaushaltssektor als Ganzes (in der walrasianischen Sichtweise) bei seinem derEinfachheit halber gegebenen Arbeitsangebot Ls die Lohneinnahmen wLs undvon den Firmen (die ihm als Direktinvestor gehoren) den geplanten GewinnpY − δK −wLd. Fur Ausgaben steht ihm des weiteren die von ihm gehalteneGeldmenge M (das momentane Geldangebot) zur Verfugung und aufgrundder Plane eines Teils des Haushaltssektors, sich zu verschulden, die geplanteKreditmasse Bs(pb = 1!). Demgegenuber plant ein anderer Teil des Haus-haltssektors Bondkaufe im Umfang von Bd, Geldnachfrage im Umfang vonMd sowie der Sektor als Ganzes nominelle Konsumausgaben pC und nomi-nelle Investitionsausgaben vom Betrag pI.

Dies ist die sog. Walras–Identitat einer monetaren Okonomie, die umge-stellt besagt, dass

p(C + I + δK − Y ) + w(Ld − Ls) + (Bd −Bs) + (Md − M) ≡ 0

erfullt sein muss, d.h. die Summe der Uberschussnachfragen uber alle vorhan-denen Markte ist stets null. Wenn somit der Guter–, Geld– und Wertpapier-markt im Gleichgewicht sind, muss auch der Arbeitsmarkt im Gleichgewichtsein oder allgemeiner: Gleichgewicht auf drei Markten impliziert stets Gleich-gewicht auf dem vierten Markt.

In diesem Rahmen formulieren Barro und Grilli (1994) unter Auslassungeiniger durch die Mikrofundierung nahegelegter Einflussgroßen44 die folgendenAngebots– und Nachfragefunktionen (wobei von erwarteter Inflation πe derEinfachheit halber abgesehen wird):

Y d = C(ω, r) + I(r) + δK und Y (ω)Ld(ω) und Ls(ω, r)

Md = pY (ω)h(r) und M

Neu ist hier zum einen, dass der geplante Konsum vom Reallohn ω anstelledes Einkommens Y abhangt (und vom Zinssatz r) und dass das Arbeitsange-bot jetzt flexibel ist und ebenfalls vom Reallohn ω (was in der Makrotheorie43 Der Deutlichkeit halber benutzen wir hier den Index ‘s’ um Angebotsplane zu

kennzeichnen.44 Wie z.B. das Argument M/p in der Konsumfunktion.

Page 106: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

92 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

ublich ist) und vom Zinssatz r abhangt. Beides bringt hinsichtlich r zumAusdruck, dass die Konsum– und Sparentscheidung wie auch die Arbeitsan-gebotsentscheidung jetzt intertemporalen Substitutionsprozessen unterliegt,was nahelegt, die folgenden Abhangigkeiten hier zu unterstellen:

Cr < 0 (Sr > 0), Lsr > 0.

Die anderen Vorzeichen der (partiellen) Ableitungen dieser Verhaltens-funktionen sind wie gewohnt:

I ′(r) < 0, Y ′(ω) < 0, Ld ′(ω) < 0, Lsω > 0,

wobei allerdings jetzt Cω > 0 an die Stelle von CY D ∈ (0, 1) tritt. Dies istdeshalb der Fall, weil im walrasianischen Kontext Nachfragefunktionen nurvon Relativpreisen ω, r (und von Anfangsausstattungen) abhangen, vgl. dazudie rechte Seite der obigen Budgetrestriktion des Haushaltssektors.

Zum anderen taucht neben Preisniveau und Produktion jetzt auch derZinssatz in der nominalen Geldnachfragefunktion

Md = pY (ω)h(r)

auf, so dass die einfache Geldmarktdarstellung der Quantitatstheorie M =pY (ω)/v jetzt quasi durch eine zinsabhangige Umlaufsgeschwindigkeit desGeldes erweitert worden ist: v(r), v′ > 0. Die Umlaufgeschwindigkeit des Gel-des nimmt mit dem Zinssatz zu, weil die Wirtschaftssubjekte ihre ‘Kassenhal-tung’ straffen, wenn die Opportunitatskosten dieser Kassenhaltung steigen.Wir werden auf diesen Typ Geldnachfragefunktion im nachsten Kapitel nahereingehen.

Das Modell des hier betrachteten Lehrbuchs fordert nun Guter–, Arbeits–und Geldmarktgleichgewicht und damit auch Bondmarktgleichgewicht. AlleMarkte werden hier als stets geraumt angenommen, was, wie wir sehen wer-den, genau ausreicht, die endogenen Großen ω, r und p dieses Modells zubestimmen.

Betrachten wir zunachst die Gutermarktgleichgewichtsbedingung

C(ω, r) + I(r) + δK = Y (ω).

Wie wir schon wissen, definiert eine solche Gleichung mit zwei endogenenVariablen ω, r eine funktionale Abhangigkeit zwischen diesen Variablen, alsoeine (implizit definierte) Funktion r(ω). Setzen wir diese Funktion in die obigeGleichung ein und differenzieren wir nach ω, so ergibt sich

Cω + Crr′(ω) + I ′r′(ω) = Y ′, d.h.

r′(ω) =Y ′ − Cω

Cr + I ′> 0

d.h. die so definierte Funktion hat eine positive Steigung.

Page 107: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.3 Zur heutigen Bedeutung prakeynesianischer Makrookonomik 93

Entsprechend liefert die Arbeitsmarktgleichgewichtsbedingung

Ld(ω) = Ls(ω, r)

eine (implizit definierte) Funktion r(ω) mit der Steigung

r′(ω) =Ld ′ − Ls

ω

Lsr

< 0.

Diese Funktion ist im folgenden Diagramm mit LL bezeichnet, wahrend dieGutermarktfunktion mit Y Y bezeichnet ist. Bei hinreichender Elastizitat die-ser beiden Kurven existiert (aufgrund ihrer entgegengesetzten Monotonieei-genschaften) genau ein Schnittpunkt, der den Gleichgewichtsreallohn und –zinssatz bestimmt, bei dem Arbeits– und Gutermarkt geraumt sind:

Abb. 2.28. Walrasianisches Arbeits- und Gutermarktgleichgewicht

Fur den Geldmarkt ergibt sich als Konsequenz aus dieser Vorwegbestimmungder Relativpreise ω0 und r0 dann die folgende Abbildung 2.29., in der demGeldmarkt (wie beim neoklassischen Basismodell) lediglich wieder die Funk-tion zufallt, das absolute Preisniveau p0 und damit auch das absolute Lohn-niveau w0 = ω0p0 zu bestimmen. Geld hat damit hier keine realen Effekte,sondern lediglich Skalierungsfunktion. In diesem Modell temporaren Gleich-gewichts sind Geldmengenvariationen ‘neutral’, da sie nur das Lohn– undPreisniveau, nicht aber den Reallohn ω = w/p tangieren.Dieses Modell weist somit eine dichotome Struktur auf, wie unser einfa-ches neoklassisches Basis–Modell bei Vollbeschaftigung, welches ebenfalls dasPreisniveau p0 in einem letzten Schritt, nach Festlegung der anderen Gleichge-wichtsvariablen, bestimmt. Anders als in diesem Spezialfall des neoklassischenBasismodells ist jetzt aber die Reallohn–Zins–Bestimmung interdependent, dadas Arbeitsangebot jetzt insbesondere vom Zinssatz und die Sparentscheidung

Page 108: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

94 2 Prakeynesianische Makrookonomik. Darstellung und Kritik

Abb. 2.29. Walrasianisches Geldmarktgleichgewicht

Abb. 2.30. Zum Vergleich: Das neoklassische Basismodell

auch vom Reallohn abhangt. Die oberen beiden Diagramme der Abbildung2.30. mussen deshalb – wie geschehen – in einem Diagramm zusammengefuhrtund damit simultan gelost werden.

Gegenuber dem neoklassischen Basismodell hat der Ansatz des hier be-trachteten Lehrbuchs einen gravierenden Nachteil: Es ist in keiner Weise of-fensichtlich, wie ein rigides Nominallohnniveau in diesen Ansatz einbezogenwerden kann und damit zumindest die neoklassische Analyse von Arbeitslosig-keit hier hinzugefugt werden kann. Barro/Grilli (1994) gehen – deshalb! – aufUnterbeschaftigung nur außerhalb des von ihnen benutzten Modellrahmensein. Dies zeigt, dass walrasianische Marktraumungsansatze in ihrer Reich-weite wesentlich restringierter sind als selbst unser einfaches neoklassischesBasismodell.

Page 109: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

2.3 Zur heutigen Bedeutung prakeynesianischer Makrookonomik 95

Fur diesen Ansatz gilt deshalb in besonderem Maße auch heute noch dieKeynes’sche Feststellung des ersten Kapitels der ‘Allgemeinen Theorie’:

“I HAVE called this book the General Theory of Employment, Interestand Money, placing the emphasis on the prefix general. The object ofsuch a title is to contrast the character of my arguments and conclu-sions with those of the classical theory of the subject, upon whichI was brought up and which dominates the economic thought, bothpractical and theoretical, of the governing and academic classes of thisgeneration, as it has for a hundred years past. I shall argue that thepostulates of the classical theory are applicable to a special case onlyand not to the general case, the situation which it assumes being alimiting point of the possible positions of equilibrium. Moreover, thecharacteristics of the special case assumed by the classical theory hap-pen not to be those of the economic society which we actually live,with the result that its teaching is misleading and disastrous if weattempt to apply it to the facts of experience.” (Keynes, 1936, S.3)

Page 110: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3

Keynesianische Beschaftigungstheorie:Die kurze Sicht

3.1 IS–LM–Analyse als Verallgemeinerungwalrasianisch/neoklassischer Makrookonomik

Wir haben im letzten Abschnitt des vorausgegangenen Kapitels gesehen, wiesich ein Makromodell mit walrasianischen Nachfragefunktionen darstellt undbei voller Lohn– und Preisflexibilitat zur Bestimmung der Preise w0, p0 unddes Zinssatzes r0 bei allgemeinem Gleichgewicht genutzt werden kann. Wiewir gesehen haben, gibt es (neuklassische) Makrookonomen, die alle Fragender Makrotheorie in diesem Rahmen abgehandelt sehen wollen. Wir wollenjedoch hier zur Keynes’schen Theorie zuruckkehren und fragen, wie ein solchesModell reformuliert werden muss, wenn man erneut davon ausgeht, dass dieNominallohne w (und das Preisniveau) in der kurzen Sicht fixiert und damitexogen gegeben sind. Erklarungen der Nominallohnbestimmung werden imnachsten Kapitel betrachtet werden, das sich mit Fragen der mittleren Sichtbefassen wird. Und die lange Frist, also insbesondere die explizite Behandlungder Veranderungen K des Kapitalstocks K, wird im darauffolgenden Kapitalerfolgen.

Nehmen wir also an, dass ein w > w0 als gegeben vorliegt. Gemaß dem wal-rasianischen Ansatz erwarten die Haushalte aus der Produktion das folgendeEinkommen:

Profite + Lohne = (pY − δK − wLd) + wLs = pY + w(Ls − Ld),

da sie als Preisnehmer ihr gewunschtes Lohneinkommen mit den von denFirmen signalisierten Profiten einfach addieren. Die Moglichkeit von Unter-beschaftigung wird von ihnen – egal auf welchem Niveau sich der Geldlohn wbewegt – nicht wahrgenommen. In der von uns jetzt unterstellten Situationkann man aber auch die gegenteilige Position einnehmen, wonach die Arbeit-nehmerhaushalte realisieren, dass in der gegenwartigen Lage ihr Lohneinkom-

Page 111: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

98 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

men eher bei wLd als bei wLs liegen durfte.1 Unterstellen wir also fur dasFolgende wLd als das erwartete Lohneinkommen. Die Walras–Identitat desAbschnitts 2.3.4 verkurzt sich damit zu der folgenden Einnahmen–Ausgaben–Identitat:

pC + pI + Bd + Md ≡ pY − δK − wLd + wLd + Bs + M, d.h. es gilt

p(C + I + δK − Y ) + (Bd −Bs) + (Md − M) ≡ 0

Anders als zuvor gilt damit jetzt das sog. Walras’ Gesetz der Strome, wo-nach z.B. Guter– und Geldmarktgleichgewicht Bondmarktgleichgewicht nachsich ziehen, ohne dass der Arbeitsmarkt geraumt sein muss. Die Haushaltemogen weiterhin ein Lohneinkommen der hypothetischen Große wLs(w/p, r)wunschen, bei ihren Ausgaben sind sie aber ‘Realisten’ und orientieren sichan Y − δK anstelle von Y − δK + w(Ls−Ld). Mit veranderter Budgetrestrik-tion verandert sich – wie schon angedeutet – auch das Nachfrageverhalten derHaushalte, was im Rahmen des Modells aus Abschnitt 2.3.3 bedeutet, dassals geplante Konsumnachfrage jetzt die Form C = C(Y − δK, r) zu erwartenist [anstelle von C = C(ω, r), wo die Haushalte ihr effektives Einkommen beieinem Arbeitsmarktungleichgewicht nicht zur Kenntnis nahmen].2

Diese scheinbar wieder geringfugige Variation des Barro–Modells hat er-neut weitreichende Konsequenzen, da die drei Gleichgewichtsbedingungen die-ses Modells jetzt wie folgt aussehen:

YIS= C(Y − δK, r) + I(r) + δK (3.1)

MLM= pY h(r) [Bs = Bd] (3.2)

p = w dLd/dY = w/F ′(Ld(Y )) (3.3)Ld(w/p) 6= Ls(w/p, r) (3.4)

In diesem Modell sind der Guter– und der Arbeitsmarkt nicht mehr inter-dependent und der Geldmarkt bestimmt nicht mehr in einem nachgelagertenSchritt das Preisniveau (wie im Barro–Modell), sondern Guter– und Geld-markt sind nunmehr interdependent und bestimmen das Gleichgewichtsein-kommen Y0 und den Gleichgewichtszinssatz r0 zusammen mit dem Preisniveaup0, letzteres uber die Grenzkosten der Produktion (wie im Keynes–Modell 3

des Abschnitts 2.2.2). Als Unterbeschaftigung resultiert dann

Ls(w/p0, r0)− Ld(w/p0),1 Wir erinnern daran, dass wir im Kontext walrasianischer Analyse das (dort flexi-

ble) Arbeitsangebot mit Ls bezeichnen.2 Man vgl. dazu die Mikrofundierung der Konsumfunktion in Abschnitt 2.2.1.3 Dort trat der Bondmarkt an die Stelle des Geldmarktes mit jedoch gleichen Im-

plikationen.

Page 112: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.1 IS–LM–Analyse als Verallgemeinerung neoklassischer Makrookonomik 99

von der aber keine Einkommenswirkungen und damit keine Nachfragesigna-le ausgehen. Auch das walrasianische Marktraumungsmodell unterliegt somiteiner ‘keynesianischen Revolution’, wenn die Frage eines Lohnniveaus w > w0

angegangen wird. Das dann resultierende Modell ist das sogenannte IS–LM–Modell der keynesianischen Kurzfrist–Analyse (mit flexiblen Preisen), welchesvon Hicks (1937) als Interpretation von Keynes’ (1936) ‘Allgemeiner Theorie’in die Makro–Literatur eingefuhrt worden ist. IS steht dabei fur die Gleichheitzwischen Investieren (I) und Sparen (S) und LM fur die Ubereinstimmungzwischen Liquiditatsnachfrage (L) und Geldangebot (Money, M).4 Im Un-terschied zu unserem Keynes–Modell des vorigen Kapitels, in welchem derBondmarkt den Zinssatz bestimmte, stellt dieses Modell den Geldmarkt ex-plizit dar, wahrend der Bondmarkt hier implizit bleibt und wegen Walras’Gesetz der Strome im Gleichgewicht sein muss, wenn Guter– und Geldmarktim Gleichgewicht sind.

Ist w zufallig gleich w0, so gilt fur po = w(dLd/dY )o:

Ld(w/p0) = Ls(w/p0, r0) und Y0 = Y (w/p0),

d.h. es realisieren sich dann das Einkommen und das Marktraumungsgleich-gewicht des Barro–Modells. Hohere Nominallohne w werden, wie gezeigt, vonletzterem Modell aber nicht erfasst. Im Sinne des Keynes–Zitats am Endedes vorigen Kapitels ist das Barro–Modell damit wirklich nur ein Grenzfallder ‘allgemeinen Theorie’ und es ist das IS–LM–Modell, welches die ‘wirkli-che’ Nachfrage/Angebots–Umgebung des Schnittpunkts: w0, r0, p0 der fiktivenNachfrage– und Angebotskurven des Barro–Modells darstellt.

Auch das Keynes–Modell des Abschnitts 2.2 in Kapitel 2 lasst sich alsSpezialfall des aus dem Barro–Modell gewonnenen ‘allgemeinen Modells’ auf-fassen. Unterstellt man in Gleichung (3.2) fur die Funktion h(r) die Formh(r) = h0(r0 − r), h0 > 0, r0 > 0, so lasst sich diese Gleichung wie folgt nachdem Zinssatz r auflosen:

r = r0 − M/(h0pY ).

Fur hinreichend großes h0 (also eine sehr zinselastische Geldnachfrage) istdeshalb der Zinssatz praktisch durch r0 vorwegbestimmt, so wie im Keynes–Modell durch den Bondmarkt, nur eben jetzt aufgrund von Geldmarktgleich-gewicht anstelle von Bondmarktgleichgewicht. Die Kausalkette

r0 → I(r0) = S(Y0 − δK, r0) → Yo → Ld0 = F−1(Y0) → p0 = w/F ′(Ld

0),

die hier entsteht, ist die gleiche wie im fruheren Keynes–Modell, nur dass jetztdie Festlegung des Zinssatzes durch den Geldmarkt anstelle des Bondmark-tes, also durch eine andere Komponente der Vermogensmarkte, dargestellt4 Strenggenommen musste man allerdings im vorliegenden Falls eher vom “AS–AD–

Modell” sprechen, welches sich aus dem IS-LM-Modell – das von einem gegebenenPreisniveau ausgeht – durch parametrische Preisniveauvariationen ergibt. Vgl.dazu Abschnitt 3.2.

Page 113: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

100 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

und vorgenommen wird. Die Aussagen der Keynes’schen Theorie sind jedochvon dieser Verlagerung der Darstellung der Rolle der Vermogensmarkte imgrundsatzlichen unabhangig.

Der Vorteil der Darstellung (3.1) – (3.4) der Keynes’schen Theorie dereffektiven Guternachfrage Y0:

I(r0) = S(Y0 − δK, r0)

ist, dass sie es schließlich noch ermoglicht, das neoklassische Basismodell alsGrenzfall dieses allgemeinen Keynes–Modells aufzufassen. Dieses entsteht ein-fach dadurch aus dem obigen Modell, dass man h(r) = h0 = const unter-stellt, also von der Zinsabhangigkeit der Geldnachfragefunktion absieht:

Md = h0pY

Unterstellt man beim volkswirtschaftlichen Konsum C = C(Y −δK, r) zudemeine marginale Konsumneigung CY−δK von 1, erhalt man

S = Y − δK − C(Y − δK, r), SY−δK = 1− 1 = 0

und somit die ursprungliche Version des neoklassischen Basismodells, wel-ches durch Says Gesetz S(r) = I(r), eine (modifizierte) Quantitatstheo-rie M = h0pY und die Grenzproduktivitatstheorie der ArbeitsnachfrageLd(w/p), w/p = F ′(Ld) und des Outputs Y = F (Ld) gekennzeichnet ist.Der einzige Nachteil dieses Grenzfalles ist, dass seine beiden AnnahmenCY−δK = 1 (SY−δK = 0) und Md

r = 0 entscheidungslogisch und empirischgesehen wenig Sinn machen.

Wir haben damit insgesamt das Resultat, dass das obige Modell (3.1),(3.2), (3.4) das neoklassische Basismodell und das Keynes–Modell des vor-herigen Kapitels (Abschnitt 2.2.2) vervollstandigt und das Barro–Modell ausAbschnitt 2.3.3 als Grenzfall enthalt [wenn die Geldlohne das Vollbeschafti-gungsniveau ermoglichen].

Wir hatten zudem in Zusammenhang mit Mankiws (1994, Kap.3) Darle-gungen der Theorie des temporaren Gleichgewichts (der Theorie der kurzenSicht) gesehen, dass auch die Grenzproduktivitatstheorie, die Keynes (1936)aus dem neoklassischen Basismodell ubernommen hatte, empirisch gesehenfragwurdig sein mag und sie in Abschnitt 2.2.3 durch die neutralere Preisbil-dungshypothese

p = (1 + a)wLd

Y, y = Y/Ld = const

einer Aufschlagskalkulation bei konstanter Arbeitsproduktivitat (bei konstan-tem Grenzprodukt der Arbeit) ersetzt. Eine derartige Modifikation ist fur diezentralen Aussagen von Keynes (1936) Theorie irrelevant. Sie hat den großenVorteil, dass auch das Preisniveau p mit dem Lohnniveau w in der kurzen

Page 114: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.2 Ein einfaches IS-LM-Modell mit Staatssektor 101

Sicht fixiert ist und sich damit das obige ‘allgemeine Modell’ auf die eigentli-che IS–LM–Form bringen lasst

Y = C(Y − δK, r) + I(r) + δK oder I(r) IS= S(Y − δK, r)(3.5)

M = pY h(r) oder M/pLM= Y h(r) (3.6)

wo, wie oben schon angedeutet, IS fur Investieren = Sparen (Gutermarkt-gleichgewicht) steht und LM fur reale Liquiditatsnachfrage = reales Geldan-gebot (Geldmarktgleichgewicht). Dies ist die grundsatzliche Form der keyne-sianischen Theorie der kurzen Sicht oder des temporaren Gleichgewichts, die esin diesem Kapitel in ihren Detailaussagen und in ihren wirtschaftspolitischenImplikationen zu analysieren gilt. Diese Theorie basiert auf Guter–, Geld–und Bondmarktgleichgewicht als Erklarung des volkswirtschaftlichen Einkom-mens Y0 und des Zinses r0, sie bestimmt daraus die Beschaftigungslage Ld

0 =F−1(Y0) und damit die Arbeitslosenrate U = (Ls(w/p, r0)−Ld

0)/Ls(w/p, r0),und sie wird in Kapitel 4 und 5 die Grundlage dafur hergeben, mittelfristigeLohn–Preis–Dynamik (einschließlich Inflationserwartungen) und langfristigeAkkumulationsdynamik hinsichtlich Realkapital und Finanzanlagen darstel-len und analysieren zu konnen.

3.2 Ein einfaches IS-LM-Modell mit Staatssektor

Auf Basis der Erorterungen des neoklassischen und des Keynes’schen Basis-modells der kurzen Sicht in Kapitel 2 und des vorausgegangenen uberleitendenAbschnitts in diesem Kapitel soll jetzt das endgultige keynesianische Basismo-dell des temporaren Gleichgewichts eingefuhrt und kommentiert werden, dasdie einheitliche Grundlage fur unsere nachfolgende Analyse des makrookono-mischen Wirtschaftsgeschehens der kurzen, der mittleren und der langen Sichtliefern wird und das die bisherigen Modelluberlegungen bis zu einem gewissenGrade synthetisiert. Dieses Modell ist somit unser Fazit zu den vorausgegange-nen Alternativdarstellungen zur Einkommens- und Beschaftigungstheorie desKapitels 2. Die Markte-Sektoren-Struktur des jetzt zu betrachtenden keyne-sianischen Modells der kurzen Sicht hat nunmehr den in der folgenden Tabelledargestellten Vollstandigkeitsgrad erreicht:5

5 Diese Tabelle informiert zugleich uber die im folgenden in ihrer Wirkung zu disku-tierenden funktionalen Beziehungen, die bei dieser IS-LM Analyse makrookonomi-scher Interdependenzen unterstellt werden. Wie wir im folgenden sehen werden,ist damit die Geldnachfrage erneut und in allgemeinerer Form als im Keynes-Modell in das neue Modell aufgenommen worden, der Staatssektor um die fis-kalpolitischen Instrumente Staatsausgaben G, und Steuern T erweitert wordenund die Investitionen I jetzt vom Realzins r − πe statt nur vom Nominalzins r

Page 115: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

102 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

Tabelle 3.1. Das Markte/Sektoren–Schema des keynesianischen Modells der kurzenSicht (Y D = Y − δK − T das verfugbare Einkommen der privaten Haushalte)

Arbeits-markt

Guter-markt

Geld-markt

Kapitalmarkt

Haus-halte

L C(Y D), Y D (Md/p)(Y, r) Bd

Unter-nehmen

Ld(Y ) Y, I(r − πe), δK – Bf Kurze Sicht

Staat – G, T M/p Bg

Preise w p pm = 1 r, pb = 1/r Kurze und

Erwar-tungen

– πe – – mittlere Sicht

Bestande L K M B = Bf + Bg Lange Sicht

Auf Basis gegebener Bestande in bezug auf Arbeit L, Kapital K, Geld M undBonds B, wie sie in der letzten Zeile von Tabelle 3.1. ausgewiesen sind, werdenwir im folgenden Gutermarktgleichgewicht Y = C(Y ) + I(r) + δK + G undGeldmarktgleichgewicht M/p = (Md/p)(Y, r) so formulieren, dass damit dieBestimmungsgrunde der Produktion Y und des nominellen Zinssatzes r beigegebenem Lohn- und Preisniveau, w, p, sowie gegebenen Inflationserwartun-gen, πe in einfacher algebraischer und grafischer Form fassbar gemacht werdenkonnen. Des weiteren wird jetzt der Bondmarkt als Spiegelbild des Geldmark-tes aufgefasst und nicht, wie im neoklassischen Basismodell, als Spiegelbild desGutermarktes. Mit dem Geldmarkt ist somit hier auch stets der Bondmarktim Gleichgewicht, aber – wie sich zeigen wird – wieder als einziger Markt derArbeitsmarkt im Ungleichgewicht: Ld 6= L.

abhangig gemacht worden. Wir vernachlassigen demgegenuber im folgenden derEinfachheit halber (und ihrer sekundaren Bedeutung wegen) die Zinsabhangigkeitder Konsumausgaben C und die Flexibilitaten beim Arbeitsangebot L, wie sie imBarro-Modell des allgemeinen Gleichgewichts gegenwartig waren. Zinsabhangi-ge Konsumausgaben sind in ihrer Auswirkung bereits durch die entsprechendeZinsabhanigkeit der Investitionsausgaben reprasentiert und Flexibilitaten beimArbeitsangebot sollten behandelt werden, wenn es generell (in der langen Sicht)um die Wirkung der Veranderungen bei den Faktorangeboten L, K geht. Wie diefolgende Tabelle verdeutlicht, liegt damit weiterhin, trotz der jetzt vorliegendenVollstandigkeit des keynesianischen IS-LM Modells, ein sehr geringer Umfang anpostulierten makrookonomischen Verhaltensweisen und Beziehungen vor.

Page 116: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.2 Ein einfaches IS-LM-Modell mit Staatssektor 103

Im weiterhin einfachen Ansatz der Tabelle 3.1. finanzieren sich Firmenuber Firmenbonds Bf und der Staat uber gleichartige Staatsbonds Bg.6 Wei-tere Wertpapiere sind hier noch von der Betrachtung ausgeschlossen. Daruber-hinaus wird das verfugbare Einkommen Y D der Haushalte jetzt durch dasNettosozialprodukt Y − δK abzuglich der Pauschalsteuern T definiert unddas verfugbare Einkommen des Staates durch eben dieses Steuervolumen T .Dies bedeutet, dass Unternehmen in diesem Ansatz kein Einkommen haben,also auf eine hier nicht zu problematisierende Weise ihre Lohn- und Zinszah-lungen an die Haushalte mit Y − δK gleichgesetzt werden und dass zudemdie Zinszahlungen des Staates (bzgl. der als positiv angenommenen Staatsver-schuldung) von seinem verfugbaren Einkommen T implizit bereits abgezogenworden sind. Eine genauere Analyse dieser Sachverhalte und ihrer Problemekann in diesem Buch nicht vorgenommen werden, sondern muss fortgeschrit-teneren makrotheoretischen Uberlegungen vorbehalten bleiben.

KonsumfunktionC = C(Y ) = c(Y − δK − T ), c ∈ (0, 1) (3.7)

Investitionsfunktion I = I(r) = i0 − i1(r − πe), i0, i1 > 0 (3.8)

Staatsnachfrage G = G (3.9)

Gutermarktgleichgewicht Y = C + I + δK + G (3.10)

Geldnachfragefunktion Md/p = kY + h0 − h1r, k, h0, h1 > 0 (3.11)

Geldmarktgleichgewicht M = Md (3.12)

Walras’ Gesetz der Bestande 0 ≡ Md − M + pb(Bd − B) (3.13)

Bondpreis pb = 1/r (3.14)

Beschaftigung Ld = Y/y (3.15)

Potentialoutput Y p = xK (3.16)

Arbeitsangebot Ls = L (3.17)

Nominallohn w = w (3.18)

Preisniveau p = (1 + a)wLd/Y = (1 + a)w/y (3.19)

Inflationserwartungen πe = πe (3.20)

Bei der Ausformulierung dieses Modells wollen wir – wie schon angedeutet –nicht nur in dieser Hinsicht so einfach wie moglich vorgehen und damit nachge-lagerte Aspekte so weit wie moglich (zunachst) unterdrucken, sondern daruberhinaus auch nur lineare Verhaltensgleichungen zulassen, da auf dieser Basisstets explizit losbare Gleichungen vorliegen werden und Gleichgewichtslosun-gen stets leicht ausgerechnet werden konnen. Gleichwohl sollen auch hier schondie Variablen mit erfasst und aufgefuhrt werden, die hier zwar konstant, aber

6 Es sei in diesem Zusammenhang noch einmal daran erinnert, dass mogliche Neue-missionen zur Finanzierung der Investitionen beziehungsweise der Staatsausgabenhier unberucksichtigt bleiben, da sie die bereits vorhandenen Bestande Bf undBg nur unwesentlich erhohen wurden.

Page 117: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

104 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

die in den spateren Kapiteln aus Sicht der mittleren und der langen Frist zuendogenisieren sind und damit dann erklart werden konnen.

Die meisten der hier dargestellten Beziehungen sind uns von fruher zumin-dest vom Ansatz her gelaufig und brauchen deshalb nur kurz kommentiert zuwerden. Gleichung (3.7) besagt, dass der geplante Konsum proportional zumverfugbaren Einkommen Y D = Y −δK−T der Haushalte ist. Die Konstante cist die sog. marginale Konsumneigung, die in diesem Fall mit der durchschnitt-lichen Konsumneigung C/(Y − δK − T ) identisch ist.7 Die Steuern T werdendabei als exogen gegeben unterstellt, wobei sie bereits als von den Zinszah-lungen des Staates an die Haushalte bereinigt aufgefasst werden mussen, alsoum diese Transferzahlungen reduziert worden sind. Die Investitionsnachfrage(netto!) ist eine lineare Funktion des Realzinses (r − πe), der realen Kostenihrer Finanzierung, wobei in der kurzen Sicht die Inflationserwartungen πe

gegeben sind.8 Weitere Nachfragekomponenten am Gutermarkt sind die exo-gene, rein konsumtive Nachfrage des Staates G und die Ersatzinvestitionender Unternehmungen δK, δ ∈ (0, 1). Gleichung (3.10) beschreibt auf dieserBasis Gutermarktgleichgewicht.

Gleichung (3.11) vereint in additiver Form die reale Transaktionskassen-nachfrage kY mit einer realen Geldnachfrage h0−h1r, die negativ vom Nomi-nalzins, den Opportunitatskosten der Geldhaltung, abhangt. Diese Geldnach-fragefunktion kann als Linearisierung der Geldnachfragefunktion des voraus-gegangenen Abschnitts angesehen werden und wurde auf dieser Basis zumAusdruck bringen, dass die Wirtschaftssubjekte bei steigendem Nominalzin-sen ihre Transaktionskasse weiter straffen, da eben die Opportunitatskostender Kassenhaltung (im Vergleich zu den als konstant angenommenen Kostender Umwandlung von Bond- in Geldhaltung) gestiegen sind.9 Die zweite Kom-ponente der Geldnachfragefunktion mag aber auch fur eine alternative Art derreinen Kassenhaltung stehen, die fur spekulative Zwecke zur Verfugung steht.Wir werden diese spekulative Art der Kassenhaltung im folgenden Anhang 1zu diesem Abschnitt aus mikrookonomischer Sicht noch etwas naher betrach-ten.10 Das nominale Geldangebot M ist als exogen gegeben unterstellt.

Wie schon zuvor (vgl. Abschnitt 2.2.3) wird im Bereich der Produktionvon einem fixen Output–Arbeitseinsatz–Verhaltnis y und einem fixen Output–

7 Man vergleiche Abschnitt 2.2.1 hinsichtlich einer elementaren Mikrofundierungdieser Konsumfunktion, die auch ihre Zinsabhanigkeit berucksichtigt.

8 Man vergleiche Dornbusch und Fischer (1995, Kap.12) fur mikroorientierte Be-grundungen des Investitionsverhaltens.

9 Vgl. Dornbusch/Fischer (1995, S.482ff.) fur eine mikrookonomische Begrundungdieser zinsabhangigen Transaktionskassennachfrage.

10 Wir werden im folgenden der Einfachheit halber davon ausgehen, dass Md1 /p =

kY die gewunschte reale Transaktionskasse bezeichnet und Md2 /p = ho − h1r die

gewunschte reale Spekulationskasse. Zinsabhangige Transaktionskasse wie auchweitere Motive der Kassenhaltung (z.B. das Vorsichtsmotiv) werden deshalb hiernicht weiter Beachtung finden. Darstellungen dazu findet der interessierte Leserin Crouch (1972, Kap.4) und Wohltmann (1994, Kap.3).

Page 118: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.2 Ein einfaches IS-LM-Modell mit Staatssektor 105

Kapital–Verhaltnis x, also von einer linear–limitationalen Produktionsfunkti-on, ausgegangen. Der Beschaftigtengrad V am Arbeitsmarkt und der Auslas-tungsgrad V c der Firmen sind damit durch V = Ld/L und V c = Y/Y p ineinfacher Form beschreibbar.

Gleichung (3.13) ist eine Vereinfachung des im vorherigen Abschnitt herge-leiteten Walras–Gesetzes der Strome. Wir werden im folgenden Veranderun-gen in der Zeit mittels zeitstetiger Analyse beschreiben und analysieren. Diesbedeutet, dass Veranderungen oder Strome hier in infinitesimaler Form erfasstwerden (K = I z.B.) und damit im Vergleich zu den Bestanden in jedem Zeit-punkt von ‘irrelevanter’ Großenordnung sind. Das fruhere, drei Markte umfas-sende Walras–Gesetz11 verkurzt sich dementsprechend auf die Bestands– oderVermogensmarkte, bezuglich derer die Wertsumme der Uberschussnachfragen(nach Geld und Bonds, Bd − B, Md − M) somit identisch gleich Null seinmuss. Geldmarktgleichgewicht impliziert demnach stets Bondmarktgleichge-wicht (und vice versa), und dies begrundet, warum der Bondmarkt bei denGleichungen (3.7) – (3.20) keine explizite Berucksichtigung gefunden hat.

Aufgrund der kurzfristigen Orientierung des obigen Modells sind Geldlohnw (und damit das Preisniveau p) als fix unterstellt und auch die Inflations-erwartungen πe auf einem bestimmten durch die Vergangenheit bedingtenNiveau fixiert. Die Produktionsfaktormengen K und L sind dementsprechendebenfalls Daten der kurzfristigen Analyse. Der Kurswert der Bonds pb = 1/rschließlich wird im Zusammenhang mit der spekulativen Geldnachfrage erklartwerden, man vgl. hierzu Anhang 1 zu diesem Abschnitt. Wir werden dort einWertpapier betrachten, dessen Kurswert, wie gerade dargestellt, durch denreziproken Wert des Nominalzinses gegeben ist.

Obwohl das Modell wesentlich komplizierter aussieht als die Keynes–Modelle, die wir bislang betrachtet haben, ist es jedoch nur dahingehendausgebauter, als es jetzt eine Ruckwirkung des Lohn– und Preisniveaus aufden Gleichgewichts–Zinssatz r0 zulasst. Um dies zu verdeutlichen, nehmen wirvorubergehend an, dass der Parameter k der Geldnachfrage Md gleich Nullist. Der (Bond– und) Geldmarktgleichgewichtszins ist dann einfach durch

r0 = (h0 − M/p)/h1 [h0 > M/p]

gegeben,12 und es folgt damit wie fruher die Keynes’sche Kausalkette derBestimmung von Einkommen und Beschaftigung:

r0 → I(r0) → Y0 =1

1− c[−c(T + δK) + I(r0) + δK + G] → Ld

0 = Y0/y.

Ist nun aber k > 0, so gibt es auf das Zinsniveau einen Feedback–Effekt.Sinkende Geldlohne und damit sinkende Preise wurden dann zu sinkender11 Vgl. Abschnitt 3.1.12 Diese Einschrankung an den Parameter ho der LM–Kurve wird im nachsten Kapi-

tel von Bedeutung sein. Sie stellt sicher, dass die im folgenden hergeleitete lineareLM–Kurve einen positiven Ordinatenabschnitt aufweist.

Page 119: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

106 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

nominaler Geldnachfrage fur Transaktionszwecke Anlass geben, welche imneuen Geldmarkt–Gleichgewicht durch eine induzierte Senkung des Zinssat-zes r0 wieder auf ihr altes Niveau angehoben wird. Gegenuber dem einfachenKeynes–Modell des Kapitels 2 gibt es somit hier – im Falle von Unterbeschafti-gung – eine Ruckwirkungskette13

L > Ld0 → w ↓→ p ↓→ kpY0 ↓→ Md ↓→ r0 ↓→ Md = M,

die zwar nicht gerade unmittelbar ist, aber dennoch, wenn sie gewirkt hat,eine Erholung der Wirtschaft nach sich zieht:

r0 ↓→ I0 = io − i1(ro − πe) ↑→ Y0 ↑→ Ld0 ↑ .

Die hierbei auftretende Beziehung r0(p), r′0 > 0 ist der sogenannte Keynes–Effekt, den Keynes (1936, S. 224) als das gunstigste Argument fur neoklassi-sche Vollbeschaftigungsanalyse bezeichnet hat, da uber ihn die unfreiwilligeArbeitslosigkeit uberwunden werden kann. Dieser Effekt bedingt, dass Zinsund Einkommen jetzt simultan uber Guter– und Geldmarktgleichgewicht zubestimmen sind, wie wir es im folgenden im Detail darstellen werden, es alsokeine ‘lineare’ Argumentations- oder Kausalkette von der Zinstheorie hin zurBeschaftigungstheorie mehr gibt.

Anhanger von Vollbeschaftigungsmodellen haben (auch in jungster Zeit,vgl. Mankiw (1994, S.13)) daraus den Schluss gezogen, dass es dann nicht nurstets ein Lohnniveau w0 und damit ein Preisniveau p0 und Zinsniveau r0 gibt,bei denen Vollbeschaftigung

L = Ld =1

1− c(−c(T + δK) + io − i1(r0 − πe) + δK + G)/y = Y0/y

gilt, sondern dass fruher oder spater sich diese drei Großen in der Tat soanpassen, dass die Vollbeschaftigung Ld = L erreicht wird. Diese Konver-genzaussage (und ihr Zeithorizont) wird im folgenden noch zu untersuchensein.

IS–LM–Analyse des Guter- und Geldmarktgeschehens stellt, wie wir gese-hen haben, also eine relativ einfache Erweiterung der Keynes’schen Elementar-bestimmung des temporaren Gleichgewichts dar. Guter– und Vermogensmark-te werden in der oben dargestellten Form, wie noch zu zeigen sein wird, einevom Preisniveau p parametrisch abhangige Gleichgewichtsposition von Ein-kommen, Y0, und Zinssatz, r0, generieren und damit in Zusammenhang mitder bisher vorliegenden Beschreibung des Lohn–Preis–Sektors jetzt folgendesDiagramm fur das aggregierte Angebot (AS) und die aggregierte Nachfra-ge (AD) liefern. Neu gegenuber Abbildung 2.24. ist hier, dass die AD-Kurvenun – aufgrund des eben geschilderten Keynes–Effekts ro(p), r′o > 0 – negativgeneigt ist, statt wie dort einfach vertikal zu sein.

13 Diese wird jedoch strenggenommen erst in der mittleren Sicht wirksam, vgl. dazudie Darstellungen in Kapitel 4 und 5.

Page 120: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.2 Ein einfaches IS-LM-Modell mit Staatssektor 107

Abb. 3.1. Das AD-AS-Diagramm des obigen IS-LM-Modells

Die folgende kurzfristige Analyse ist ganz darauf konzentriert, die Grundefur die Lage der dargestellten AD–Kurve und die Moglichkeiten, diese AD–Kurve nach rechts zu verlagern, um damit mehr Output und Beschaftigungzu erzielen, im Detail zu ermitteln und zu diskutieren.

Um, wie andiskutiert, simultanes Guter– und Geldmarktgleichgewicht un-tersuchen zu konnen, ist es zunachst zweckmaßig, Gutermarktgleichgewichtund Geldmarktgleichgewicht getrennt voneinander zu analysieren. Hierbeistellt die sog. IS–Kurve (I = S) die Menge der Kombinationen aus Out-put Y und Zinssatz r dar, bei denen der Gutermarkt im Gleichgewicht ist,und die sog. LM–Kurve (Md = M) entsprechendes fur den Geldmarkt. DieseIS–Kurve

Y = c(Y − δK − T ) + i0 − i1(r − πe) + δK + G (3.21)

lasst sich auf folgende Art und Weise explizit darstellen

Y (r) IS=1

1− c[−c(T + δK) + i0 − i1(r − πe) + δK + G] oder

r(Y ) =1i1

[−(1− c)(Y − δK − T ) + i0 + i1πe + G− T

](3.22)

sowie der Namensgebung IS entsprechend:

I = i0 − i1(r − πe) = (1− c)(Y − δK − T ) + T − G = Sp + Sg = S,

wobei Sp = (1 − c)(Y − δK − T ) die private Ersparnis und Sg = T − G diestaatliche Ersparnis, also S = Sp + Sg die gesamtwirtschaftliche Ersparnis

Page 121: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

108 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

bezeichnet.14 Im Gutermarktgleichgewicht (3.21) gilt somit als aquivalenteBeschreibung desselben: Geplante Nettoinvestition = geplante gesamtwirt-schaftliche Ersparnis.

Eine einfache grafische Herleitung der IS–Kurve ist durch die folgende Ab-bildung 3.2. gegeben. Diese Abbildung zeigt in ihrem oberen Teil die einkom-mensabhangige gesamtwirtschaftliche Sparfunktion S = s(Y −δK−T )+T−Gmit s = 1−c als marginaler Sparneigung s = dS/dY . Zudem ist fur drei Wertedes nominalen Zinssatzes r1 < r2 < r3 das dazugehorige geplante Investitions-volumen auf der Ordinate abgetragen worden. Die zuletzt aufgefuhrte Guter-marktgleichgewichtsbestimmung ist somit in diesem Bild durch die Schnitt-punkte der horizontalen Linien mit der Sparfunktion dargestellt. Ubertragtman die zu den drei Zinssatzen r1, r2, r3 gehorigen gleichgewichtigen Output-werte Y1, Y2, Y3 in das untere Zins–Einkommens–Diagramm, so erhalt mandrei Punkte auf einer fallenden Geraden, die insgesamt gesehen den geome-trischen Ort aller Zins–Einkommens–Kombinationen wiedergibt, bei denenI = S gilt, bei denen also der Gutermarkt im Gleichgewicht ist. Dies ist dieoben analytisch dargestellte lineare Kurve Y (r) [oder von der Abszisse aus ge-sehen r(Y )] unseres keynesianischen IS–LM–Modells. Man beachte hier, dassdiese Kurve keine Kausalitatsaussage enthalt, also lediglich zu jedem vorge-gebenen Zinssatz r den dazugehorigen gleichgewichtigen Output Y darstelltbzw. zu jedem Outputwert Y den Zinssatz r, so dass diese beiden WerteGutermarktgleichgewicht implizieren. In der spateren dynamischen Ungleich-gewichtsanalyse wird angenommen werden, dass der Output der Unterneh-men variiert wird, um Ungleichgewicht am Gutermarkt abzubauen oder zubeseitigen. Dynamisch gesehen wird also dann die Outputbestimmung demGutermarktgeschehen zugerechnet werden.

Wir untersuchen als nachstes, wie sich die IS–Kurve verlagert, wenn vonden vielen ihre Gestalt bestimmenden Parametern sich die marginale Konsum-neigung c bzw. die Zinssensitivitat der Investitionen i1 bzw. die autonomenInvestitionen i0 erhohen. Die obige analytische Darstellung der IS–Kurve zeigthier unmittelbar, dass

• c ↑ den zu Y = δK + T gehorigen Punkt der IS–Kurve invariant lasst,15

• i1 ↑ den zu r = πe gehorigen Punkt der IS–Kurve nicht tangiert 16 und• i0 ↑ die IS–Kurve parallel nach rechts verlagert.

Da zudem ein Anstieg der marginalen Konsumneigung c die IS–Kurve vonder Abszisse aus gesehen flacher werden lasst und i1 ↑ gleichermaßen wirkt,

14 Firmen haben in diesem Modellansatz kein Einkommen und damit auch keineErsparnis.

15 Fur die Ableitung des gleichgewichtigen Zinssatzes nach c gilt wegen (3.22) furjeden Outputwert r′(c) = (Y −δK− T )/i1, woraus ebenfalls die bei Variation dermarginalen Konsumneigung folgende Veranderung der IS-Kurve ersichtlich ist.

16 Fur die Ableitung des gleichgewichtigen Outputs nach i1 gilt wegen (3.22) furjeden Zinssatz Y ′(i1) = −(1 − c)−1(r − πe), woraus ebenfalls die bei Variationdes Parameters i1 folgende Veranderung der IS-Kurve ersichtlich ist.

Page 122: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.2 Ein einfaches IS-LM-Modell mit Staatssektor 109

Abb. 3.2. Drei Punkte auf der IS–Kurve zu den drei Zinssatzen r1 < r2 < r3; I(r) =i0 − i1(r − πe)

bekommen wir damit die folgenden Konsequenzen der angenommenen Para-metervariationen fur die Lage der IS-Kurve:

Abb. 3.3. Parametervariationen und resultierende Verlagerungen der IS–Kurve

Die Geldmarktgleichgewicht

M/p = kY + h0 − h1r

Page 123: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

110 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

beschreibende LM–Kurve ergibt aufgelost nach dem Outputwert Y bzw. nachdem Zinsatz r:

Y =M/p + h1r − h0

kbzw. r

LM=kY + h0 − M/p

h1. (3.23)

Wir ersehen, dass die LM–Kurve als geometrischer Ort der Zins–Output–Kombinationen, bei denen der Geldmarkt im Gleichgewicht ist, im Unter-schied zur IS–Kurve eine positive Steigung aufweist. Geometrisch lasst sichdieses Resultat wie folgt begrunden:

Abb. 3.4. 3 Punkte auf der LM–Kurve zu 3 Outputwerten Y1 < Y2 < Y3; Md/p =

kY + h0 − h1r

Im linken Teil von Abbildung 3.4. sehen wir, wie sich die reale Geldnachfrage-funktion (Md/p)(r) = kY + h0 − h1r verlagert, wenn sich der Outputwert Yerhoht. Gestiegene Transaktionskassennachfrage ergibt bei jedem Zinssatz rdann eine hohere gesamte Realkassennachfrage Md/p, Gleichheit mit dem vor-handenen Realkassenangebot M/p verlangt bei solchen parametrischen Out-puterhohungen einen hoheren Nominalzinssatz, damit die Realkassennachfra-ge wieder auf das Angebotsniveau M/p zuruckgefuhrt werden kann. Geld-marktgleichgewicht wird somit bei steigenden Outputwerten durch steigendenominelle Zinssatze wieder ermoglicht.17

Betrachten wir nun die oben dargestellten Verlagerungen der IS-Kurve imZusammenhang mit der soeben ermittelten Gestalt der LM-Kurve, also dieVeranderung der Gleichgewichte des IS-LM Modells (die Schnittpunkte von ISund LM Kurve) bei Parametershifts, die die Position der IS-Kurve verandern.Wir wollen dabei im folgenden davon ausgehen, dass der gleichgewichtige Zins-

17 Wir betonen erneut, dass die Kurve der Bondmarkt-Gleichgewichte mit der LM-Kurve ubereinstimmt.

Page 124: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.2 Ein einfaches IS-LM-Modell mit Staatssektor 111

satz r und der gleichgewichtige Output Y sich stets auf Niveaus bewegen, sodass der dazugehorige Realzins r − πe und das dazugehorige verfugbare Ein-kommen Y D = Y − δK − T positiv sind, also r > πe und Y > δK + T gilt.Aus Sicht des IS–LM–Diagramms trifft dann die folgende Situation zu

Abb. 3.5. Erste komparativ–statische Uberlegungen im IS-LM Diagramm

Man ersieht, dass Steigerungen bei c und i0 die Gleichgewichtswerte von Out-put Y und Zins r erhohen, wahrend ein Anstieg bei i1 diese Gleichgewichtswer-te absenkt. Wir werden solche komparativ–statischen Vergleichsergebnisse inden nachsten Abschnitten noch inhaltlich begrunden mussen. Der Leser mogean dieser Stelle aber schon uberlegen, ob diese Output– und Zinsveranderun-gen ihm plausibel erscheinen.

Als nachstes untersuchen wir in Analogie zu Betrachtungen bei der IS–Kurve, wie sich die LM–Kurve verlagert, wenn ihre Parameterwerte k undh1 sich erhohen. Ein Blick auf die obige analytische Darstellung dieser Kurveliefert fur diese beiden Falle die Abbildung 3.6. dargestellten Rotationen derLM–Kurve.

Eine Erhohung des Kassenhaltungskoeffizienten k lasst somit den Punktder LM–Kurve an der Stelle Y = 0 invariant und erhoht die Steigung dieserKurve (von der Abszisse aus gesehen). Ein Anstieg der Zinssensitivitat h1

der realen Geldnachfrage behalt dagegen den Punkt der LM–Kurve bei, derzu r = 0 gehort und macht die LM–Kurve, von der Ordinate aus gesehen,steiler. Abbildung 3.6. zeigt daruber hinaus die Konsequenzen eines Anstiegsdes Preisniveaus p fur die Lage der LM–Kurve. Es ist aus (3.23) unmittelbarersichtlich, dass p ↑ und damit M/p ↓ eine Parallelverschiebung der LM–Kurve nach oben bedeuten.

Wir betonen erneut, dass auch die LM–Kurve keine Kausalitatsaussageenthalt, also ihre Darstellungen durch r(Y ) oder Y (r) vollig gleichwertig sind.Sie gibt lediglich die Kombinationen aus Zins r und Output Y an, bei denender Geldmarkt im Gleichgewicht ist, besagt aber nicht, dass der Geldmarkt zu

Page 125: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

112 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

Abb. 3.6. Verlagerungen der LM–Kurve fur k, h1, p ↑

gegebenem Output Y jeweils die kausale Bestimmung des Gleichgewichtszin-ses liefert. In der dynamischen Ungleichgewichtsanalyse werden wir Zinsreak-tionen mit Bondmarktungleichgewichten verbinden und damit auch mit Geld-marktungleichgewichten, da diese in unserem Modell in einer 1:1–Beziehungzueinander stehen.

Die obigen Parametervariationen bei der LM-Kurve liefern im Zusammen-hang mit der IS-Kurve wieder erste komparativ–statische Implikationen uberdie Verlagerung der Gleichgewichtswerte von Y, r (der Schnittpunkte von ISund LM Kurve), die sich wie folgt darstellen lassen:18

Abb. 3.7. Komparativ–statische Implikationen von k, h1, p–Steigerungen

18 Wir werden aus Grunden, die erst spater ersichtlich sind, stets annehmen, dassdie LM–Kurve die Ordinate bei einem positiven Wert schneidet (h0 − M/p > 0).Dies bedeutet, dass auch bei k = 0 die LM-Kurve stets einen positiven Zinssatzzu positivem Output generiert.

Page 126: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.2 Ein einfaches IS-LM-Modell mit Staatssektor 113

Man sieht, dass ein Anstieg beim Preisniveau p oder beim Kassenhaltungsko-effizienten k zinssteigernd und outputsenkend in bezug auf die Gleichgewichts-werte von r und Y wirkt, wahrend ein Anstieg bei h1 die Zinsen r senkt undden Output Y erhoht. Auch diese Ergebnisse werden wir in den nachfolgen-den Abschnitten einer naheren Begrundung zufuhren. Der Leser ist erneutaufgefordert, sich erste Erklarungen fur diese drei komparativ–statischen Er-gebnisse zu uberlegen.

Wir haben gerade gesehen, dass steigendes Preisniveau p mit sinkendemGleichgewichtsoutput Y verbunden ist. Diese Herleitung ist der Hintergrundder in Abb. 3.1. bereits dargestellten aggregierten Nachfragekurve oder AD–Kurve, die anders als die senkrechte AD-Kurve des Keynes–Modell des vorhe-rigen Kapitels eine negative Steigung aufweist. Steigendes Preisniveau p redu-ziert die angebotene Realkasse M/p, was die LM-Kurve nach links verschiebt,so dass im neuen Gleichgewichtspunkt sowohl ein niedrigerer Outputwert Yals auch ein hoherer Nominalzins r dafur sorgen, dass die nachgefragte Real-kasse dem gesunkenen Angebotswert wieder angeglichen ist. Die Bedeutungdieser Kurve wird in diesem und im folgenden Kapitel noch weiter erortertwerden.

Wir haben oben angenommen, dass die Parameterwerte der IS- und derLM-Kurve dergestalt sind, dass zusammengefasst sich stets die folgende Si-tuation im Zins–Output–Diagramm ergibt, also insbesondere stets ein hinrei-chend großer Wert des gleichgewichtigen Outputs und des gleichgewichtigenNominalzinses gewahrleistet ist:

Abb. 3.8. Das IS-LM-Diagramm und der Arbeitsmarkt

Abbildung 3.8. zeigt auch die mit dem Sozialprodukt Y einhergehende Beschafti-gung Ld im Vergleich zu den Vollbeschaftigungspositionen Y , L und dem Po-tentialoutput der Firmen Y p = xK. Diese beiden Barrieren fur die gleichge-wichtige Produktion Y = yLd konnen in ihren Konsequenzen erst spater the-matisiert werden (Y in Kapitel 4 und Y p in Kapitel 5). Es wird deshalb in die-

Page 127: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

114 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

sem Kapitel stets vorausgesetzt, dass Arbeitsmarkt- und Kapazitatsengpassekeine Rolle spielen.

Die IS–Kurve ist, wie oben gezeigt worden ist, strikt fallend, die LM–Kurve strikt steigend. Gemeinsames Guter– und Geldmarktgleichgewicht (IS–LM–Gleichgewicht) liegt, wie gesehen, im Schnittpunkt der beiden Kurvenvor. Aufgrund der Steigungsverhaltnisse ist dieser Schnittpunkt eindeutig be-stimmt, und er erklart das Niveau der vom Modell (3.7) – (3.20) bestimmtenendogenen Variablen Y0, r0 und Ld

0 auf Basis des von außen vorgegebenenPreisniveaus p = (1 + a)w/y. Die obige Grafik ist damit eine vollstandigeDarstellung der durch das Modell (3.7) – (3.20) ausgedruckten Beziehungenzwischen den endogenen (erklarten) und den exogenen (erklarenden) Varia-blen. Man beachte in diesem Zusammenhang wieder, dass langs der LM-Kurvesich auch der Bondmarkt stets im Gleichgewicht befindet (und dass fur denKurswert der Bonds im Kontext des IS-LM Modells pb = 1/r0 gilt). Bis aufden Arbeitsmarkt sind somit im IS-LM Ansatz alle betrachteten Markte imGleichgewicht.

Rechts von der IS–Kurve (wo ‘=’ galt) gilt

Y > c(Y − δK − T ) + i0 − i1(r − πe) + δK + G,

liegt also ein Uberschussangebot vor, da bei gedanklich fixiertem Zinssatz we-gen 0 < c < 1 die Nachfrage bei Produktion und Einkommenssteigerung ∆Ynur um den Betrag c∆Y steigt. Links davon gilt dann naturlich das umge-kehrte Vorzeichen. Die Reaktion der Produzenten auf solche Ungleichgewichtewird sein, rechts von der IS–Kurve die Produktion zu senken und links vonihr die Produktion auszudehnen (vgl. die folgende Grafik).

Analog gilt, dass rechts von der LM–Kurve (wo ‘ =′ galt) die Geldnach-frage Md hoher als das Geldangebot M ist (gestiegene Transaktionskassen-nachfrage), wahrend links von ihr das Umgekehrte gilt. Ubernachfrage nachGeld bedeutet nach Walras Gesetz Uberangebot an Bonds, was gemaß demGesetz von Angebot und Nachfrage sinkende Kurse und (wegen pb = 1/r)steigende Zinsen impliziert. Eine analoge Argumentation impliziert links vonder LM–Kurve fallende Zinsen. Zusammengefasst ergibt sich damit das fol-gende Anpassungsverhalten von Produktion und Zins außerhalb der von ISund LM beschriebenen Gleichgewichtssituationen:

Dieses Anpassungsverhalten von Zinsen und Einkommen ist fur sich ge-nommen noch nicht eindeutig stabil oder instabil, die rein grafische Erfassungdieser Dynamik diesbezuglich also nicht schlussig. Es ist deshalb hier notig,mathematische Stabilitatskriterien anzuwenden, um diese Frage der Stabilitatdes IS-LM-Gleichgewichtspunktes zu entscheiden (man vgl. dazu Anhang 2 indiesem Abschnitt). Eine vereinfachende Annahme kann jedoch das dort er-zielte Ergebnis hier schon vorwegnehmen. Unterstellt man, dass Zinsen sehrflexibel sind und damit im Extrem der Bondmarkt und der Geldmarkt durchsie stets im Gleichgewicht gehalten werden, so reduziert sich der soeben dar-gestellte Zins–Einkommens–Anpassungsprozess auf die folgende Form:

Page 128: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.2 Ein einfaches IS-LM-Modell mit Staatssektor 115

Abb. 3.9. Dynamische Anpassung im IS-LM-Diagramm: Der allgemeine Fall

Abb. 3.10. Dynamische Anpassung im IS-LM-Diagramm: Eine Vereinfachung

Hieraus ist die globale asymptotische Stabilitat des IS–LM–Gleichgewichts(Y0, r0) in dieser speziellen Situation unmittelbar ersichtlich, da rechts vonder IS-Kurve, wie oben gesehen, das Guterangebot die Nachfrage ubersteigtund links von IS das Umgekehrte gilt.

Wir haben damit im Fazit, dass die keynesianische Analyse temporarerGleichgewichte Y = Yo, r = ro die Analyse asymptotisch stabiler Unter-beschaftigungsgleichgewichte zum Gegenstand hat Ld < L, deren Lage sichin der Zeit verandern kann und die insbesondere dann (vgl. Kapitel 4) zuweiterfuhrenden Uberlegungen hinsichtlich abwartsgerichteter Lohn–Preis–Anpassungsprozesse Anlass geben werden, wenn sich solche Gleichgewichtehin zur Vollbeschaftigungsposition L, Y entwickeln sollten. Ist dies nicht der

Page 129: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

116 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

Fall, so mag die Grundlage der dann depressiven temporaren Positionen (nachunten rigide Geldlohne und Preise) in der Zeit erhalten bleiben.19

Wir haben in Abb. 3.1. dieses Abschnitts die Konsequenzen des IS-LM Mo-dells fur die sog. AD-AS Analyse kurz dargestellt, die auf die Bestimmungs-grunde der aggregierten gleichgewichtigen Guternachfrage (IS-LM Gleichge-wicht) und des aggregierten Angebots (Unternehmensgleichgewicht) abstellt.Parametrische Erhohungen des Preisniveaus p verschieben, wie wir oben ge-zeigt haben, die LM-Kurve nach links und reduzieren damit den gleichge-wichtigen Output (vgl. dazu Abb. 3.6). Diese Veranderung bedeutet bei derAD-Kurve, dass man sich langs dieser Kurve nach oben bewegt und damitAD-AS Ungleichgewicht entstehen kann. Steigendes Preisniveau kann, mussaber nicht, steigende Inflation bedeuten, was steigende Inflationserwartungenbewirken kann. Es ist leicht ersichtlich, dass letztere wegen

I(r) = io − i1(r − πe) = io + ioπe − i1r

zu jedem Zinssatz r steigendes Investitionsvolumen implizieren und damit wieein Anstieg der autonomen Investitionen expansiv wirken. Sie verlagern somitdie IS-Kurve und damit auch die AD-Kurve nach rechts. Sollte ein Anstiegbei p mit einem Anstieg bei πe einhergehen, so ist damit eine Bewegung langsder AD-Kurve nach oben (der kontraktiv wirkende Keynes–Effekt steigen-den Preisniveaus) mit ihrer Rechtsverlagerung verbunden (der sog. Mundell–Effekt, der expansiv wirkt und den wir in Kapitel 4 ausfuhrlich betrachtenwerden). Diese und andere mittelfristig simultan auftretenden Effekte machenes schwer, mittels der AD-AS-Analyse zu klaren Schlussfolgerungen zu gelan-gen, selbst wenn man den Mundell-Effekt wie in Dornbusch/Fischer (1995)dabei ausklammert.

Wir werden deshalb kurzfristige Gleichgewichtsanalyse nur mittels des IS-LM Diagramms im Zins-Output-Diagramm erfassen, in dem auch Punkte, dienicht auf der IS- oder der LM-Kurve liegen, sinnvoll durch Anpassungsmus-ter hin zum IS-LM-Gleichgewicht komplettiert werden konnen. Die isoliertemittelfristige Analyse von Keynes–Effekten (Verschiebungen der LM-Kurve)und Mundell-Effekten (Verschiebungen der IS-Kurve) ist dort in komparativ-statischer Weise elementar demonstrierbar und begrundbar, wahrend die inder Zeit stattfindende oft gegenlaufige Interaktion von Keynes- und Mundell-Effekten der dynamischen IS-LM Analyse des Kapitels 5 vorbehalten bleibenmuss.

Diesen Abschnitt erganzende Betrachtungen zur IS- und LM-Kurve, zumIS-LM Gleichgewicht, seiner Stabilitat und seiner komparativ-statischen Ei-genschaften findet der Leser in Kapitel 4 von Dornbusch/Fischer (1995), dasnachdrucklich zur Vertiefung des hier dargestellten Stoffs empfohlen wird. Wirbetonen aber erneut, dass die darauf aufbauende statische AD-AS-Analysevon Dornbusch/Fischer (1995, Kap.7) in diesem Buch nicht weiter verfolgt

19 Man vgl. zu dieser Behauptung die Behandlung stabiler keynesianischer Depress-sionslagen in Kapitel 4.

Page 130: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.2 Ein einfaches IS-LM-Modell mit Staatssektor 117

werden wird, da dieses Instrumentarium im statischen Kontext nicht mehrInformation liefert als die IS-LM-Analyse selbst. Des weiteren sind im dyna-mischen Kontext (Dornbusch und Fischer, 1995, Kapitel 8 und 10) die wirk-lich resultierenden Verlagerungen bei der AD- und der AS-Kurve so komplex,dass anstelle von permanenten Kurvenverschiebungen im AD-AS-Diagrammeine formal saubere dynamische Analyse des Lohn-Preis-Sektors, die phasen-diagrammatische Darstellungen der dynamischen Variablen einschließt, notigwird. Diese Analyse wird Gegenstand unseres vierten Kapitels sein.

3.2.1 Anhang 1: Wertpapierkurse und Geldnachfrage

Wir hatten in Kapitel 2 bislang Fixpreis–Bonds (pb = 1), die einen in der Zeitvariablen Zinssatz (ahnlich wie Spareinlagen) ermoglichen, unterstellt. SolcheBonds dominieren im Prinzip aufgrund ihres sicheren positiven Ertrages Geld-haltung als Vermogensanlage und Wertaufbewahrung, werden aber bei An-nahme von Transaktionskosten bei ihrer Veraußerung im Zusammenhang mitanstehenden Zahlungsvorgangen dennoch Spielraum fur eine gewisse Transak-tionskassennachfrage der Wirtschaftssubjekte zulassen. Dementsprechend istin diesem Kontext Geldhaltung nur im Hinblick auf eine unvermeidbare durch-schnittliche Transaktionskasse rational. Diese kann dann in ihrem Volumenwie im Barro–Modell zinsabhangig sein, da bei sinkenden Zinsen (niedrigerenOpportunitatskosten dieser Kassenhaltung) aufgrund von gegebenen Trans-aktionskosten (bei der Auflosung solcher ’Spareinlagen’) eine hohere Kassen-haltung im Vergleich zur ‘Bondhaltung optimal sein wird. Die Details einersolchen Transaktionskassennachfrage der Form Md/p = kY h(r), h′ < 0 wer-den in Barro/Grilli (1994, Kap.3) dargestellt. Wir werden im folgenden bzgl.dieser Art der Kassenhaltung von h(r) ≡ 1 ausgehen.

Im keynesianischen Modell dieses Abschnitts sind wir jedoch davon aus-gegangen, dass Geld auch aus anderen, namlich spekulativen Grunden (alsVermogensobjekt mit der hochsten Liquiditat) gehalten wird, was jetzt an-satzweise begrundet werden soll. Hierzu ist es notig, Wertpapiere mit einemvariablen Preis oder Kurswert einzufuhren, damit auf Basis von Kurserwar-tungen und Kurswertrisiko spekulative Umschichtungen zwischen Geld undBonds denkbar und in ihrem Ausmaß analysierbar werden. Diese Spekulati-onskassennachfrage Md

2 ist der obigen Transaktionskassennachfrage Md1 addi-

tiv hinzuzufugen und sie liefert hier die Begrundung, warum Geldnachfrage(unter Umstanden in sehr extremer Form) zinsabhangig sein kann, ein Sach-verhalt, der auf Basis reiner Transaktionskassennachfrage fur Zinssatze deut-lich oberhalb von Null nicht sehr plausibel ist.20

20 Wir ubergehen hier die Diskussion weiterer Motive der Kassenhaltung, wie zumBeispiel das Vorsichtsmotiv oder Geldvermogenshaltung, die aufgrund von Unsi-cherheit und Risiko zustandekommt. Letztere Geldhaltung ist von Tobin (1958)zuerst modelliert worden und kann ahnlich wie die nachfolgende Geldnachfra-geanalyse unter Bezugnahme auf erwartete Ertrage und damit verbundene Risi-

Page 131: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

118 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

Wir unterstellen deshalb jetzt einen Typ ‘Bond’, der kontraktgemaß fixier-te Zinszahlungen (der Einfachheit halber von 1,0 e) in jeder Periode garantiert(sog. ewige Renten oder Consols oder Perpetuities) und dessen Preis pb einer-seits diesen Sachverhalt widerspiegelt und andererseits mit dem Marktzinssatzr variabel sein wird.

Dazu berechnen wir zunachst den Bar– oder Gegenwartswert BW einessolchen Wertpapiers zum Kalkulationszinssatz r, also die auf die Gegenwartabdiskontierten Ertrage oder Auszahlungen dieser Anlage.21

BW =1

1 + r1[e] +

1(1 + r)2

1[e] + . . . +1

(1 + r)n1[e] + . . .

=1

1 + r[∞∑

n=0

1(1 + r)n

]1[e] =1

1 + r[ limn→∞

1− ( 11+r )n+1

1− 11+r

]1[e]

=1

1 + r(

11− 1

1+r

)1[e] =1

1 + r· 1 + r

1 + r − 11[e]

=1r1[e] =

1r

Der Barwert der obigen Auszahlungsreihe stellt damit die Einzahlungssummedar, die es gestatten wurde, bei einem stationaren Zinssatz r die obige ewigeRente von einer e pro Periode zu realisieren:

Tabelle 3.2. Barwert-Berechnung

Periode →Einzahlung(in t = 0) ↓

t = 1 t = 2 t = 3 t = 4 . . .

11+r

1 [e] – – – –1

(1+r)2– 1 [e] – – –

1(1+r)3

– – 1 [e] – –1

(1+r)4– – – 1 [e] –

......

......

.... . .

Der Kauf eines der nunmehr unterstellten Wertpapiere zum Preis pb = 1/rgarantiert dem Halter eine nominelle Verzinsung zum Zinssatz r, solange erdieses Wertpapier zu halten bereit ist. Damit charakterisiert der gegenwartigeMarktpreis oder Kurswert fur solche Bonds pb in mathematisch elementarerForm den Zinssatz 1/pb und die implizit mit dem Kurswert einhergehendeEffektivverzinsung dieses Wertpapiers.

koeinschatzungen der Vermogensbesitzer mikrookonomisch fundiert werden (vgl.dazu z.B. Crouch (1972, 4.2)).

21 Mittels der bekannten Formel fur die sog. geometrische Reihe∑∞

n=0 xn =1

1−x, 0 < x < 1.

Page 132: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.2 Ein einfaches IS-LM-Modell mit Staatssektor 119

Wann lohnt es sich im Vergleich zur reinen (unverzinslichen) Geldhaltung,diesen Typ Wertpapier zu halten? Nehmen wir dazu an, dass pb = 1/r den mo-mentanen Kurs dieser Bonds reprasentiert und pe

b = 1/re den fur die nachstePeriode erwarteten Kurs. Des weiteren gilt nach fruherem πe = πe fur die mo-mentan erwartete Inflationsrate. Der erwartete reale Ertrag der Geldhaltungist damit durch ρm = −πe charakterisierbar (den erwarteten Realwertverlustpro e, falls πe > 0 gilt). Und fur den realen Ertrag der Bondhaltung gilt proe: ρb = r + πe

b − πe, wobei πeb den Kursgewinn oder Verlust pro e (= 1/pb)

Bondhaltung bezeichnet, d.h. es gilt πeb = (1/re − 1/r)/(1/r) = r/re − 1. Das

Ertragsratendifferential zwischen Geld- und Bondhaltung ist somit durch

ρb − ρm = r + πeb − πe − (−πe) = r + (r − re)/re

gegeben und damit identisch mit dem nominalen Ertragsratendifferential zwi-schen Bond und Geldhaltung.

Gehen wir nun davon aus, dass vermogensbesitzende Haushalte Zins– undKursanderungen re, 1/re fur die kommende Periode jeweils mit Sicherheit er-warten, aber die Meinung uber diese Anderung (weit) streut. Das individuelleWirtschaftssubjekt wird dann bzgl. seiner Erwartungen sein Vermogen ganzin Geld bzw. ganz in Bonds halten, wenn gilt

r +r − re

re< 0 ⇔ r <

re

1 + rebzw. r +

r − re

re> 0 ⇔ r >

re

1 + re.

Im ersten Fall sind die erwarteten Kursverluste so hoch (r < re!), dass Geld-haltung relativ gesehen ertragreicher ist, im zweiten Fall ist das Umgekehrteder Fall. Es folgt, dass es fur jede Zinserwartung re einen kritischen Zins-satz rc gibt, unterhalb dem (also beim Vorliegen von r < rc) der betreffendeHaushalt reine Geldhaltung als ertragsreicher als jede andere Mischung sei-nes Portfolios empfindet. Die Nachfragefunktion eines individuellen Haushaltsnach Geld (uber seinen Transaktionskassenbedarf hinaus) sieht damit in derlaufenden Periode wie in Abb. 3.11. aus, wobei (Md

i )0 = Mi + Bi/r den mo-mentanen Geldwert des Gesamtvermogens dieses Haushalts bezeichnet (daser auch zuvor entweder nur in Geld oder nur in Bonds gehalten haben wird).Die Individualnachfrage nach Geld weist damit in extremer Form eine Unste-tigkeit auf.

Nehmen wir auf dieser Basis an, dass es z.B. drei Haushalte dieser Art gibt,die bzgl. re verschiedener Ansicht sind, so resultiert daraus die Situation, diein Abb. 3.12. dargestellt ist.22

Die resultierende gesamtwirtschaftliche Geldnachfrage mit spekulativemHintergrund ist dann vom gezeigten stufenformigen Verlauf. Es ist offensicht-lich, dass diese Stufen immer kleiner werden konnen, wenn die Zahl dieserIndividuen (bei heterogenen re–Erwartungen) großer und großer wird. Diespekulative Geldnachfrage (die wir in unserem obigen Modell der Einfachheit22 Man beachte hier, dass die Ungleichungen re

1 > re2 > re

3 zu den Ungleichungenrc1 > rc

2 > rc3 aquivalent sind, da re/(1 + re) eine steigende Funktion von re ist.

Page 133: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

120 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

Abb. 3.11. Spekulative Geldnachfrage-Funktion: 1 Haushalt

Abb. 3.12. Aggregierte Nachfragefunktion nach Spekulationskasse: 3 Haushalte

halber als linear – ho−h1r – unterstellt haben), wird damit im Prinzip durcheine stetige Funktion approximierbar (siehe Abb. 3.13).

Ein Absinken des heutigen Zinssatzes r, also eine heutige Kursverbesse-rung, lasst bei ihrem Fortgang mehr und mehr vermogensbesitzende Haus-halte zu der Uberzeugung gelangen, dass sie zu diesen heutigen Kursverbes-serungen der Bonds von Bond- in Geldhaltung umswitchen sollten, da beiihrem festen Kursanderungserwartungen fur die nachste Periode, sich mehrund mehr erwartete Kursverluste einstellen werden, die die sinkenden Zinsenin nominelle Verluste im Vergleich zur reinen Geldhaltung werden lassen. Esist hier in diesem Zusammenhang des weiteren auch leicht vorstellbar, dasses einen unteren Wert r > 0 fur den momentanen Zinssatz r gibt, unter demalle Wirtschaftssubjekte Geldhaltung gegenuber Bondhaltung gemaß obigemKalkul bevorzugen werden. Diese untere Barriere fur die Nominalzinsentwick-lung, bei der die Geldnachfrage unendlich elastisch (horizontal) wird, wird inder Literatur als ‘Liquiditatsfalle’ bezeichnet. Wir bemerken schließlich noch,

Page 134: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.2 Ein einfaches IS-LM-Modell mit Staatssektor 121

Abb. 3.13. Spekulative Geldnachfrage-Funktion im Aggregat

dass heutige Zinskorrekturen auch Korrekturen bei den fur ‘morgen’ erwarte-ten Zinssatzen re hervorrufen konnen und sollten, also re eigentlich nicht alsunabhangig vom heutigen Zinssatz r angesehen werden kann. Es kann jedochleicht gezeigt werden, dass das obige Argument sich auf den Fall unelastischerZinserwartungen verallgemeinern lasst, bei denen die Wirkung von r auf re

von der Form re(r), re ′ < 1 ist.23

Die hier hergeleitete negative Abhangigkeit der Geldnachfrage vom Zinsni-veau ist nur eine von mehreren Moglichkeiten, eine solche negative Beziehungbegrunden zu konnen; man vgl. dazu z.B. Crouch (1972 , Kap. 4) und Richteret al. (1975 , Kap. 7). Aber auch dieses Beispiel zeigt schon sehr deutlich,dass es signifikante und systematische Grunde geben kann, hinsichtlich denenWirtschaftssubjekte zinslose Geldhaltung einer verzinslichen Anlage in Bondsvorziehen mogen.

Wir bemerken abschließend, dass die obige Argumentation besagt, dass dieWirtschaftssubjekte insgesamt gesehen ihr nominelles Vermogen abzuglich dernominellen Transaktionskasse Wn = M + pbB− pkY in vom Zinssatz gesteu-erter Form auf Geld- und Bondhaltung aufteilen werden, womit wir hier zumeinen Walras’ Gesetz der Bestande24 durch Aggregation individueller Verhal-tensweisen erhalten. Zum anderen folgt aus dieser Analyse der Vermogen-sumschichtung, dass Wn ebenfalls Argument der Geldnachfragefunktion seinmuss, da die Geldnachfrage sich im Rahmen dieser Vermogensrestriktion be-wegt und entfaltet. Eine vollstandig spezifizierte Geldnachfragefunktion wurdedamit in unserer linearen Darstellungsweise wie folgt aussehen:25

23 Man vgl. hierzu Crouch (1972, Kap.4).24 Gemeint ist also der Sachverhalt, dass jetzt Bond- und Geldmarkt als Spiegel-

bilder angesehen werden konnen. Fur die Bondnachfrage folgt aufgrund diesesSachverhalts, dass sie negativ vom Output Y abhangen muss, da steigender Trans-aktionskassenbedarf den Spielraum fur die spekulative Portfoliowahl verkleinert.

25 ho − h1r ∈ [0, 1].

Page 135: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

122 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

Md = pkY + (ho − h1r)pW, W = M/p + pbB/p.

Aus Grunden der Einfachheit sehen wir jedoch vom Einfluss des Real-vermogens W auf den Umfang der Spekulationskassennachfrage ab bzw. un-terstellen wir, dass dieser Vermogenswert in den Koeffizienten ho, h1 implizitenthalten ist und wahrend unserer Analyse als konstant unterstellt werdenkann.26

3.2.2 Anhang 2: Zur Stabilitat des IS–LM–Gleichgewichts

Die im Haupttext dieses Abschnitts dargestellte dynamische Anpassung vonOutput und Zinsen an das temporare Gleichgewicht (Y0, r0) lautet als Diffe-rentialgleichungssystem in Y, r dargestellt wie folgt:

Y = βy((c− 1)Y − c(T + δK) + i0 − i1(r − πe) + δK + G), βy > 0r = βr(kY + h0 − h1r − M/p), βr > 0,

wobei βy, βr die (konstanten) Anpassungsstarken von Output Y und Zinssatzr in bezug auf die jeweiligen Marktungleichgewichte bezeichnen. In Matrix-schreibweise lautet dieses Differentialgleichungssystem:(

Yr

)=

(βy(c− 1) −βyi1

βrk −βrh1

)(Yr

)+

(βy(−c(T + δK) + i0 + i1π

e + δK + G)βr(h0 − M/p)

)

Dies ist ein linear inhomogenes Differentialgleichungssystem erster Ordnung(mit konstanten Koeffizienten), welches als stationaren Punkt Y = 0, r = 0gerade das IS–LM–Gleichgewicht aufweist. Die partiellen Gleichgewichtskur-ven oder Isoklinen Y = 0 bzw. r = 0 sind per Definition genau die IS–Kurvebzw. die LM–Kurve.

Fur die Stabilitatsanalyse eines solchen zweidimensionalen Systems sind,wie wir schon gesehen haben, Determinante und Spur der Systemmatrix vonentscheidender Bedeutung. Die folgende Grafik charakterisiert alle Moglich-keiten an qualitativem Systemverhalten, die bei solchen linearen 2D–Systemenvorkommen konnen:

Insbesondere besagt diese Grafik, dass globale asymptotische Stabilitatgenau dann gegeben ist, wenn spur < 0 und det > 0 erfullt ist, wobeidet < spur 2/4 zusatzlich monotone Stabilitat charakterisiert.

Im Falle unseres Systems gilt

det = −βy(c− 1) · βrh1 + βyi1βrk

= βyβr[(1− c)h1 + i1k] > 0spur = βy(c− 1)− βrh1 < 0

26 Man beachte hier auch, dass unsere Annahme ho − M/p > 0 dadurch verstandli-cher und plausibler wird.

Page 136: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.3 Komparative Statik I: Multiplikatoreffekte und Fiskalpolitik 123

det

Wirbel

stabil instabil

Sattelpunkte

Knoten

stabile instabileKnoten

det=spur /42

spur

Abb. 3.14. Dynamische Konstellationen bei linearen 2D-Differentialgleichungs-systemen erster Ordnung

d.h. der Gleichgewichtspunkt (Y0, r0) ist in der Tat Attraktor von ungleichge-wichtigen Zins/Output–Kombinationen.27

Fur die Diskriminante

∆ = spur 2/4− det

ergibt sich hier des weiteren:

4∆ = β2y(c− 1)2 − 2βyβr(c− 1)h1 + β2

rh21 − 4βyβr(1− c)h1 − 4βyβri1k

= β2y(1− c)2 − 2βyβr(1− c)h1 + β2

rh21 − 4βyβri1k

= (βy(1− c)− βrh1)2 − 4βyβri1k

Man ersieht hieraus z.B., dass βr →∞ (bei gegebenem βy) fur die Diskrimi-nante ∆ > 0 nach sich zieht, also, wie in Abb. 3.14. gezeigt, dann monotoneKonvergenz zum Gleichgewicht vorliegt. Analoges gilt bei βy → ∞ (βr fix).Und umgekehrt gilt, dass bei gegebenen anderen Parametern i1 → ∞ zykli-sche Konvergenz zum Gleichgewicht impliziert.

3.3 Komparative Statik I: Multiplikatoreffekte undFiskalpolitik

Die keynesianische Diagnose von ungenugender effektiver Guter-Nachfrageund Unterbeschaftigung lautet, dass Guter– und Vermogensmarkte in ihremZusammenspiel ein Zinsniveau und damit zusammenhangend ein Investitions–

27 Hierbei muss noch sichergestellt werden, dass keine negativen Werte fur r oder Ybei der Anpassung an das IS-LM-Gleichgewicht auftreten konnen, was hier jedochnicht naher erortert werden soll.

Page 137: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

124 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

und Einkommensniveau etablieren, welches die Vollauslastung der Produkti-onsfaktoren verhindert, wenn Lohn– und dazugehoriges Preisniveau im Ver-gleich zur Geldmenge zu hoch sind. Wir haben auch schon gesehen, dass derWeg, das allgemeine Lohn– und Preisniveau dementsprechend zu senken, zumeinen an den Bestimmungsgrunden dieser Großen scheitern kann (also un-praktikabel ist) und zum anderen auf umwegigen Feedbackstrukturen beru-hen mag, die das Resultat einer allgemeinen Lohnsenkung schwer abschatzbarwerden lassen. Es folgt, dass die obige Diagnose von Unterbeschaftigung undUnterauslastung der Unternehmen andere Therapien erfordern mag, als der‘gesunde’ Menschenverstand es nahelegt, der einfach Lohnsenkungen fordert(vgl. hierzu Kapitel 2, Abschnitt 2.1.1). Diese kontrare Ansicht soll in Kapitel4, wo systematische Lohnvariationen Berucksichtigung finden werden, weiterverdeutlicht werden.

Die Frage alternativer Therapiemoglichkeiten von (Massen-)Arbeitslosigkeitsoll hier in zwei Stufen angegangen werden. Wir werden in diesem Abschnittzunachst den Fall zinsunabhangiger Investitionen (i1 = 0) betrachten, umdann im nachsten Abschnitt zu untersuchen, welche Zinseffekte und weite-ren Wirkungen die jetzt zu betrachtenden Therapien (dann bei i1 > 0) alsBegleiterscheinungen haben werden.

Der Fall i1 = 0 impliziert fur die Position des Gutermarktgleichgewichtsim Rahmen des IS–LM–Schemas:

Y0 =1

1− c[−c(T + δK) + i0 + δK + G], (3.24)

da die IS-Kurve (3.22) jetzt unabhangig von der Position der LM-Kurve undvom Zinssatz r eindeutig das gleichgewichtige Outputniveau festlegt. Die IS-Kurve ist damit jetzt eine Senkrechte, die bei uns in sehr einfacher Form vonden exogenen Daten des Gutermarktes abhangt.

Abb. 3.15. Der Fall zinsunelastischer Investitionen

Page 138: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.3 Komparative Statik I: Multiplikatoreffekte und Fiskalpolitik 125

Es geht somit jetzt darum, die Grunde (und ihre Realisierbarkeit) aufzude-cken, die die IS–Kurve nach rechts verschieben, was neben einer Produkti-onssteigerung eine (hier irrelevante) Zinssteigerung bewirkt. Die obige Dar-stellung der IS–Kurve liefert hier unmittelbar eine (im Rahmen des Modells)umfassende Information:

Y0 ↑, falls T ↓, i0 ↑ δK ↑ G ↑ und c ↑ (< 1!).

Der letztgenannte Effekt: dY0/dc < 0 ist aus der obigen Formel durch Diffe-rentiation nach der marginalen Konsumneigung zu ermitteln:

dY0

dc=

−(−1)(1− c)2

[−c(T + δK) + i0 + δK + G] +1

1− c(−1)(T + δK)

=1

(1− c)2[i0 + δK + G− (T + δK)]

=1

(1− c)2[i0 + G− T ].

Dieser Ausdruck ist sicher dann positiv, wenn der Staat eine defizitare Aus-gabenpolitik betreibt (G > T ). Aufgrund der weiteren autonomen Ausgaben-terme durfte aber auch sonst eine Erhohung der marginalen KonsumneigungProduktion und Beschaftigung fordern. Wie aber kann man sich die obigeSteigerung von Produktion und Beschaftigung in ihrem Zustandekommen imDetail vorstellen, wenn eine der oben angedeuteten Variationen der exoge-nen Parameter zustandekommt oder wirtschaftspolitisch bewusst angestrebtwird?

Betrachten wir zu diesem Zweck zunachst eine (durch permanent hohe-re Gewinnerwartungen induzierte) permanente autonome Veranderung desInvestitionsvolumens ∆I = ∆i0 > 0. Aus darstellerischen Grunden ist eshier hilfreich, gewisse Verzogerungen oder Wirkungslags im Kreislauf zwischenProduktion Y s, Bruttoeinkommen Y und Nachfrage Y d zu unterstellen:

Der Einkommens–Ausgaben–Lag wird in der Literatur auch als Robertson–Lag bezeichnet und der Nachfrage–Produktions–Lag als Lundberg–Lag. Wirwollen im Folgenden lediglich den Robertson–Lag unterstellen, wenn wir dieWirkungen einer permanenten Erhohung der autonomen Investition i0 um ∆i0im Zeitpunkt t = 1 betrachten, wollen also hier stets davon ausgehen, dassnachfragebedingte Outputerhohungen unmittelbar zu Einkommenserhohun-gen fuhren, deren Nachfragewirkung allerdings erst in der Folgeperiode ein-setzt. Diese induzierte Nachfrageerhohung c∆Io induziert dann wieder unmit-telbar Produktions– und Einkommenserhohungen von diesem Ausmaß undfuhrt damit, wenn man diese Effekte sich fortpflanzen lasst, zu einer Ereignis-kette der folgenden Form:

Die ursprunglich in t = 1 um ∆i0 gestiegene Nachfrage und damit Pro-duktion und das damit zugleich gestiegene Einkommen induzieren (gemaßRobertson-Lag) erst in der Folgeperiode t = 2 zusatzliche Konsumnachfragec∆i0, die wiederum Produktion und Einkommen unmittelbar erhoht. Dieser

Page 139: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

126 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

Abb. 3.16. Lags im Einkommens-Ausgaben-Produktions-Kreislauf

Abb. 3.17. Die Multiplikatorwirkung einer permanenten Erhohung ∆i0 = 1 derInvestitionsausgaben (wie auch der Staatsausgaben) im Blockdiagramm

Einkommensanstieg c∆i0 fuhrt aufgrund des unterstellten Wirkungslags wie-derum erst in der Folgeperiode zu weiteren induzierten Konsumausgaben nunder Hohe c(c∆i0) = c2∆i0, die wiederum gleichzeitig Produktions- und Ein-kommenssteigerungen bewirken. Dieser Prozess setzt sich fort und fuhrt, wennalle induzierten Konsumausgaben wirklich zur Entfaltung kommen, letztend-lich zu der folgenden Produktions-, Einkommens- und Nachfragesteigerung:

∆Y0 = ∆i0(1 + c + c2 + c3 + . . .) = ∆i0

∞∑n=0

cn = ∆i0 · 11− c

,

ein Ergebnis, das wir auch unmittelbar aus Gleichung (3.24) durch Differen-zenbildung hatten berechnen konnen. Dies ist im idealen Sinne die Multi-plikatorwirkung einer permanenten Steigerung der Investitionstatigkeit, diedamit ein Vielfaches( 1

1−c = 4 z.B. fur c = 0.75) der ursprunglichen Ausga-

Page 140: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.3 Komparative Statik I: Multiplikatoreffekte und Fiskalpolitik 127

bensteigerung ∆i0 im Endeffekt an Steigerung von Produktion, Einkommenund Beschaftigung bewirkt. Zugleich sagt dieser Ansatz aus, dass der Out-put im Konjunkturablauf um ein Vielfaches (4–faches)) in der Amplitude imVergleich zu den Investitionsausgaben schwanken sollte und deshalb eine Kon-junktur bei den Investitionsausgaben in dieser ausgepragten Form verstarkenmusste.

Obige Sukzession an Nachfragewirkungen kann auch in der folgenden Formals sog. dynamischer Multiplikatorprozess im 45o-Diagramm dargestellt wer-den (mit A = −c(T +δK)+ i0 +δK + G als Aggregat der autonomen Terme):

Abb. 3.18. Die Multiplikatorwirkung einer permanenten Erhohung der Investiti-onsausgaben (wie auch der Staatsausgaben) im 45o–Diagramm

Die ursprunglich gleichgewichtige Produktion (und das gesamtwirtschaftlicheBruttoeinkommen) wird durch ∆i0 auf das neue Niveau Y0 +∆i0 angehoben,was in der nachsten Periode wieder die Zusatznachfrage c∆i0 induziert, dannc2∆io, u.s.w. und so in der oben gezeigten treppenformigen Art bis zum neuenGleichgewicht Y0 + 1

1−c∆i0 = Y ′0 emporsteigt. Man ersieht aus diesem Dia-

gramm, dass die Bedingung c < 1 hier sowohl notwendig als auch hinreichendfur die Existenz und die Stabilitat der Gleichgewichte Yo, Y

′o ist.

Es mag nun sein, dass nicht alle diese Multiplikatoreffekte induzierter Kon-sumausgaben zum Tragen kommen, da in der wirklichen Okonomie sich vieleEinflusse durchkreuzen und eventuell gegenseitig aufheben. Nimmt man aberz.B. an, dass die ersten vier durch Einkommenssteigerungen induzierten Kon-sumsteigerungen annahernd erreicht werden, so ergibt sich in etwa der folgen-de Multiplikatorwert: 1+c+c2 +c3 +c4 = (1−c5)/(1−c), also z.B. erneut beic = 0.75 ein Wert von angenahert ‘3’. Diese Folgewirkungen sind zumindestbetrachtlich und geben Anlass zu der Frage, was bei rucklaufiger Investiti-onstatigkeit −∆i0 und dann entsprechend negativen Multiplikatorwirkungen− 1

1−c∆i0 den dadurch in Gang kommenden Abschwungprozess stoppen undeventuell sogar umkehren kann.

Page 141: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

128 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

Stellen wir uns vor, dass die Regierung bei rucklaufiger Aktivitat der Wirt-schaft beschliesst, eine ‘Konjunkturspritze’ von betrachtlichem Ausmaß zuversuchen, also z.B. die Staatsausgaben G einmalig, aber spurbar, ausgedehntwerden sollen, um damit zu erreichen, dass Unternehmen dauerhaft wiedermehr produzieren und absetzen konnen sowie auch zum Investieren angeregtwerden. Die Folgen eines solchen Konjunkturprogramms sehen im Rahmendes gegenwartigen Modells und seines Wirkungslags wie folgt aus:

Abb. 3.19. Die Multiplikatorwirkung einer einmaligen Erhohung der Staatsausga-ben

Zwar ist auch hier die Summe aller induzierten Konsumeffekte gleich

∞∑n=0

cn∆G =1

1− c∆G

wie bei der Betrachtung einer Steigerung der Investitionsausgaben um denBetrag ∆i0. Aufgrund der Einmaligkeit des Konjunkturprogramms summie-ren sich diese Effekte aber nicht mehr in der Zeit, sondern ist die letztlicheWirkung auf das Niveau des Outputs Null, da die induzierten Konsumef-fekte in der Zeit ausklingen. Die Rolle eines solchen Konjunkturprogramms,auch wenn es nochmals wiederholt werden sollte, kann deshalb nur sein, ei-ne Initialzundung im Hinblick auf Nachfragebelebung zu liefern. Spricht dieInvestitionsnachfrage, so wie oben dargestellt, auf solche Konjunkturspritzennicht an, so nehmen langfristig Produktion und Beschaftigung nicht zu undliefern damit den ‘augenscheinlichen’ Nachweis, dass die Regierung keynesia-nischen Globalsteuerungsillusionen aufgesessen ist. In Wirklichkeit heißt dieseinfach, dass Fiskalpolitik dieser Art nicht die Investitionstatigkeit der Un-ternehmungen ersetzen oder erzwingen kann. Ist die wirtschaftliche Lage so,dass Investoren bei (schwach) sich belebender Wirtschaft sich nicht aus derReserve locken lassen und dauerhaft mehr investieren (und, wie oben gesehen,

Page 142: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.3 Komparative Statik I: Multiplikatoreffekte und Fiskalpolitik 129

damit auch dauerhaft mehr absetzen), so hatte der Staat in der Tat uber an-dere Moglichkeiten der Konjunkturbelebung (auch aus keynesianischer Sicht)nachdenken sollen, statt vorubergehend zusatzliche (unproduktive) Staatsaus-gaben zu tatigen und den privaten Konsum damit vorubergehend anzuregen.

Aber kann die Regierung nicht doch einfach dauerhaft die StaatsausgabenG um ∆G erhohen und damit gleiches erreichen, als wenn ∆i0 um diesenBetrag gestiegen ware? Im Prinzip scheint dies moglich zu sein, da G densel-ben Status in der Bestimmung des gleichgewichtigen Volkseinkommens ein-nimmt wie i0, man vgl. dazu Gleichung (3.24). Hohere Investitionsausgaben∆i0 mogen sich aber aufgrund gestiegener Gewinne nachtraglich rechtfertigenund damit quasi selbst bestatigen. Unproduktive Staatsausgaben aber mussenoffentlich finanziert werden, und das sollte langfristig nur mit hoheren Steuernzu machen sein (da sonst die Staatsverschuldung mehr und mehr zunimmt).

Was ist nun aber der Multiplikatoreffekt einer steuerfinanzierten Staats-ausgabenerhohung ∆G = ∆T? Betrachten wir dazu zunachst eine isolierteErhohung der Pauschalsteuern T um ∆T , die in t = 1 vorgenommen wird:

Abb. 3.20. Die Multiplikatorwirkung einer einmaligen und einer permanenten Steu-ererhohung

Eine solche Steuererhohung verursacht Nachfrageeinbruche (bei der Konsum-nachfrage), die aufgrund der unterstellten Lagstruktur aber erst in t = 2beginnen und wie die induzierten Effekte erhohter Staatsausgaben ∆G inder Zeit abklingen, da die Steuererhohung einmalig ist. Ist dagegen die Steue-rerhohung permanent, findet erneut eine Akkumulation der Effekte der einma-ligen Steuererhohung statt, wie sie der untere Verlauf der induzierten Effektein Abbildung 3.20. zeigt.

Wir haben schon festgestellt, dass die Effekte einer Staatsausgabenaus-weitung identisch zu denen einer entsprechenden Investitionsaufstockung sind(bei ∆i0 = ∆G, vgl. Abbildung 3.17). Vergleicht man Abb. 3.17. und Abb.

Page 143: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

130 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

3.20., so ist deshalb ersichtlich, dass steuerfinanzierte Zusatzausgaben desStaates, die permanenter Natur sind, das BSP um ∆Y0 = ∆G permanentanheben werden, da alle Folgeeffekte dieser Steigerung der autonomen Staats-ausgaben genau durch die gleichlaufenden und negativen Effekte der damiteinhergehenden Steuererhohung annulliert werden. Abbildung 3.21. illustriertdieses Ergebnis:

G=1

+c+c

+c2

3

-c

-c-c2

3

etc. ...

t-

Y

etc. ...

Abb. 3.21. Die Multiplikatorwirkung einer steuerfinanzierten Erhohung der Staats-ausgaben

Diese Schlussfolgerung uber steuerfinanzierte Ausgabenpolitik des Staatesgeht auch aus unserer obigen Formel fur Y0 unmittelbar hervor, da diese bzgl.der Anderung ∆G = ∆T impliziert

∆Y0 =1

1− c[∆G− c∆T ] =

1− c

1− c∆G = ∆G.

Sie zeigt, dass der Nettonachfrageeffekt der betrachteten Fiskalpolitik gleich(1 − c)∆G ist, da der Staat eine Konsumneigung von ‘1’ per Annahme hat,wahrend die der Haushalte c < 1 ist. Der Multiplikator 1

1−c macht aus diesemInitialimpuls dann gerade den Gesamteffekt ∆G. Es folgt, dass der Staat inder Tat die Produktion permanent positiv beeinflussen kann (wenn das hierbenutzte Modell generelle Gultigkeit hat), allerdings nur in sehr beschranktemUmfang und um den Preis einer hoheren Staatsquote G/Y im Hinblick aufdas BSP Y .

In der Realitat ist das Steueraufkommen des Staates kein exogenes Datum,sondern von der wirtschaftlichen Aktivitat, hier gemessen durch das BSP Y0,abhangig. Der einfachste Fall dieser Art ist gegeben, wenn man anstelle von Tdie Proportional–Steuerfunktion T = tY0, t fix, unterstellt. Eine permanenteErhohung der Staatsausgaben ist dann automatisch von einer permanentenErhohung der Steuern begleitet, deren Ausmaß zusammen mit der Verande-rung von Y0, die ∆G0 jetzt bewirkt, aber endogen ist und damit erst noch zubestimmen ist.

Page 144: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.3 Komparative Statik I: Multiplikatoreffekte und Fiskalpolitik 131

Formel (3.24) andert sich durch diese Modellvariation wie folgt:

Y0 = c(Y0 − δK − tY0) + i0 + δK + G, d.h.

Y0 =1

1− c(1− t)[i0 + (1− c)δK + G] = αA

Der Multiplikator α ist damit kleiner als der bei exogenen Pauschalsteuern,was bedeutet, dass die exogenen Konjunkturschwankungen bei den autonomenInvestitionen i0 jetzt von schwacheren Fluktuationen des BSP Y0 begleitetsind. Einkommensabhangige Steueraufkommen wirken also in diesem Sinnewie ein ‘automatischer Stabilisator’.

Was ist die Wirkung einer Erhohung des marginalen (= durchschnittli-chen) Steuersatzes t um ∆t auf t′ = t + ∆t? Die erste der beiden obigenFormeln liefert fur diesen Fall (∆Y0 = Y ′

0 − Y0, ∆t = t′ − t):

∆Y0 = c[∆Y0 − (t′Y ′0 − tY0)] = c[∆Y0 − (t′Y ′

0 − t′Y0) + t′Y0 − tY0)]= c(∆Y0 −∆tY0 − t′∆Y0)

und somit

(1− c− t′)∆Y0 = −∆tcY0 oder

∆Y0 = − 11− c(1− t′)

c∆tY0.

Dies besagt, dass der mit ∆t = t′ − t > 0 einhergehende letztendliche Ruck-gang beim BSP sich als Produkt von unmittelbarem Konsumruckgang −c∆Y0

(aufgrund der Erhohung des Steuersatzes auf Basis des ursprunglichen BSPY0 gemessen) mit dem neuen Multiplikator α′ = 1

1−c(1−t′) ergibt.28

Betrachtet man umgekehrt Steuersatzsenkungen, so resultiert daraus eineBelebung der wirtschaftlichen Aktivitat und damit eine dem ursprunglichenSteuerverlust ∆tY0 < 0 entgegenwirkende Steigerung der Steuereinnahmenum t′∆Y0. Es stellt sich die (kuhne) Frage, ob diese Steuermehreinnahmenden ursprunglichen Ruckgang des Steueraufkommens (mehr als) ausgleichenkonnen, also gewissermaßen ein ‘Munchhausen–Effekt’ auftritt, so dass derStaat die Produktion, das Einkommen und das Steuervolumen simultan durchSteuersatz–Senkungen, t ↓, steigern kann. Um diese Frage zu beantworten, be-trachten wir den sog. Budgetuberschuss (BS = Budget Surplus) des Staates,der sich wie folgt definiert:

BS = T − G = tY0 − G.

Bezuglich dieses Ausdrucks muss also jetzt ∆BS/∆t oder in infinitesimalerForm dBS/dt ermittelt werden, was hier nur fur den zweiten Ausdruck ge-schehen soll:28 Verwendet man anstelle von endlichen Differenzen Differentialoperatoren, so lau-

tet der diesbezugliche Rechenvorgang einfach dY0 = c(dY0−dtY0−tdY0), was unsnoch schneller zu dem gerade besprochenen Resultat fuhrt ( dY

dt= − cY

1−c(1−t)).

Page 145: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

132 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

dBS = dtY0 + tdY0, d.h.dBS

dt= Y0 + t

dY0

dt= Y0 − t

11− c(1− t)

cY0

=(1− c(1− t))Y0 − tcY0

1− c(1− t)

=1− c

1− c(1− t)Y0

Steuererhohungen erhohen damit den Budgetuberschuss

dBS =1− c

1− c(1− t)dtY0 = α dt Y0,

allerdings um einen Betrag, der wegen des begleitenden BSP–Ruckgangs un-terhalb der isolierten Steuerwirkung dtY0 liegt (α < 1!). Fur Steuersatzsen-kungen gilt das entsprechende Gegenteil, d.h. insbesondere, dass der Bud-getuberschuss sich dann negativ entwickelt (also in Richtung eines Budget–Defizits).

In analoger Weise laßt sich zeigen, dass

dBS

dG= − (1− c)(1− t)

1− c(1− t)< 0

gilt, d.h. expansive Ausgabenpolitik kann sich uber steigende Steuereinnah-men nie vollstandig selbst finanzieren.

Zusammenfassend konnen wir feststellen, dass expansive Fiskalpolitiken– Staatsausgabenerhohung oder Steuer(satz)senkung – der Wirtschaft unterden gegenwartigen Annahmen Impulse zu geben vermogen, dass diese Impulseaber letztendlich nicht viel bewirken konnen, falls nicht autonome Ausgabender Wirtschaftssubjekte (hier nur die Investitionsausgaben), durch sie ange-regt und auf ein hoheres Niveau angehoben werden. Fiskalpolitische Global-steuerung dieser Art hat in den sechziger Jahren durch wirkliche (oder nurscheinbare) Erfolge große Aufmerksamkeit erzielt, ohne dass dabei immer aus-reichend die zentrale Rolle des Verhaltens der Investoren im generellen Sinneund in bezug auf solche Globalsteuerung hervorgehoben worden ist. Dies magdamit zusammengehangen haben, dass Investitionen primar mit Anderungendes Auslastungsgrades der Unternehmung als ihrer zentralen Determinanteverbunden wurden und man glaubte, diesen Auslastungsgrad und die Aus-lastung am Arbeitsmarkt mittels Finetuning der Globalsteuerung auf hohemNiveau stabilisieren zu konnen.

Verhalten und Beeinflussung der Investoren sind somit im Kontext derkeynesianischen Theorie der effektiven Nachfrage von zentraler Bedeutung, daInvestitionskonjunktur und Konjunktur beim Bruttosozialprodukt (und damitbei der Beschaftigung) gemaß dem gegenwartigem Stand der Darstellung derkeynesianischen Theorie weitgehend parallel laufen sollten (deutlich positivkorreliert sein mußten).

Page 146: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.3 Komparative Statik I: Multiplikatoreffekte und Fiskalpolitik 133

Gerade Umgekehrtes gilt hier in bezug auf das Sparverhalten, da eine hohe-re Sparneigung, also niedrigere Konsumneigung, wie wir gezeigt haben, BSP–Ruckgange induziert und des weiteren die Realkapitalbildung nicht fordert(da diese durch i0 bereits bestimmt ist). Grund dafur ist, dass wegen desRuckgangs der marginalen Konsumneigung die induzierten Konsumeffekteschwacher ausfallen als zuvor, also der Multiplikator sinkt und der Multi-plikatorprozess sich abschwacht. Daruberhinaus bleibt es hier sogar beim sog.Sparparadox in der Form, dass ein Anstieg in der Sparneigung der privatenHaushalte wie gesehen nicht nur kontraktiv wirkt, sondern sich zudem amwirklich getatigten Sparvolumen trotz gestiegener Sparneigung nichts andert:Sp = io − Sg, Sg = T − G =const.

Und naturlich gilt hier weiterhin das Lohnparadox, wonach sinkende Geld-lohne das Preisniveau (und die Zinsen) absinken lassen, aber auf Produktionund Beschaftigung wegen der konstant bleibenden Investitionstatigkeit keineAuswirkungen haben. Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft sind des-halb im Rahmen dieses keynesianischen Multiplikators sehr spezifischer Na-tur und sollten der Analyse des Investitionsverhaltens große Aufmerksamkeitschenken (was hier ausgeblendet ist).

Abschlussbemerkung: Die bisherige Analyse gilt auch fur den Fall zinselas-tischer Investitionen (i1 6= 0), falls am Geldmarkt die sog. Liquiditatsfallevorliegt. Diese Situation lasst sich im Rahmen unseres allgemeinen IS–LM–Modells wie folgt darstellen:

Abb. 3.22. Die Liquiditatsfalle und die LM-Kurve

In diesem Spezialfall ist der Zinssatz r durch den Geldmarkt auf einem gewis-sen Niveau r0 fixiert, da die Geldnachfrage extrem (unendlich) zinselastischum dieses Niveau r0 herum ist und somit Bedarfsanderungen bei der Trans-aktionskasse kpY nur mit sehr geringen (keinen) Zinsanderungen verbundensind, damit dieser Bedarf durch entsprechende Anderungen der Spekulati-

Page 147: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

134 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

onskasse befriedigt werden kann.29 Investitionen konnen in dieser Situationmehr oder weniger zinselastisch sein, sind aber dennoch in ihrem UmfangI = i0 − i1(r0 − πe) fixiert, da diese Zinselastizitat hier nicht zum Tragenkommen kann. Die Ergebnisse sind deshalb aus qualitativer Sicht mit denje-nigen des Falls i1 = 0 identisch und daruberhinaus genau von dem Typ, denwir im einfachen Keynes–Modell des Abschnitts 2.2.3 aus Kapitel 2 vorliegenhatten.

Erganzungen zum Stoff dieses Abschnitts findet der Leser im dritten Ka-pitel von Dornbusch/Fischer (1995), das zur Vertiefung des hier Dargestelltennachdrucklich zur Lekture empfohlen wird.

3.4 Außenhandel

Wir wollen in diesem Abschnitt die vorausgegangene Multiplikatoranalyse aufden Fall einer offenen Volkswirtschaft ubertragen, die das im Inland herge-stellte Gut also nun auch fur Exportzwecke verwendet und die ein davonverschiedenes Gut (oder Guterbundel) aus dem Ausland importiert. Im Mini-mum ist damit jetzt von einer Zwei–Guter–Welt und einer Zwei–Lander–Weltauszugehen, wobei jedoch der Fall von Ruckwirkungen inlandisch erzielter Er-gebnisse auf das ‘Ausland’ ausgeschlossen bleiben soll. Das ‘Inland’ wird damitals ‘kleines Land’ eingestuft, dessen Aktionen im Ausland keine Veranderun-gen hervorrufen. Daruber hinaus wird angenommen, dass das Ausland dasinlandische Importgut zu einem festen Preis pa anbietet, der wie im Inlanddurch einen Aufschlag auf die auch im Ausland konstanten Lohnstuckkostenbestimmt sein mag, der also damit ebenfalls konstant ist. Die Produktionska-pazitaten im Ausland sind dergestalt, dass inlandische Nachfrageschwankun-gen nach dem Importgut stets befriedigt werden konnen, ohne dass es dabei zuPreisreaktionen kommt ( die wir erst im nachsten Kapitel betrachten wollen).

Wenn internationaler Guterhandel in dieser einfachen Form in die Analy-se einbezogen werden soll, wird es unumganglich, einen weiteren Preis in dieanzustrebende Analyse aufzunehmen, den Preis der auslandischen Wahrungoder den Wechselkurs (in Preisnotierung). Wir bezeichnen im folgenden dieInlandswahrung kurz mit e und die Auslandswahrung mit $ . Der Wech-selkurs e weist damit die Maßeinheit e/$ auf, ist also z.B. gleich 1,50 e/$. Ein Anstieg des Wechselkurses stellt damit eine Abwertung dar, da dannmehr e fur einen $ gezahlt werden mussen und dementsprechend der Wertder e ausgedruckt in $ sinkt. Analog ist eine Aufwertung der e gegeben, wennder Wechselkurs e fallt. Im folgenden werden wir dem Wechselkurs zunachstjedoch keine Aufmerksamkeit schenken, sondern ihn einfach als fix gegebenbetrachten (e = e). In diesem Fall kann man durch geeignete Wahl der Maß-einheiten der beiden Guter zusatzlich erreichen, dass p = epa = 1 gilt und29 Die mathematische Form dieser Geldnachfragefunktion lautet: Md/p = kY +

h1(ro−r), h1 →∞. Um die obige LM-Kurve mathematisch darstellen zu konnen,sind also Variationen der fruheren Parameter h1 und h0 = h1ro jetzt erforderlich.

Page 148: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.4 Außenhandel 135

damit Preiseffekte aus der Analyse nicht nur ausgeklammert werden, sondernsogar ‘unsichtbar’ gemacht werden konnen.

Ein derartiges Vorgehen erlaubt die folgende einfache Verallgemeinerungder Gutermarktgleichgewichtsbedingung

Y = c(Y − δK − T ) + i0 + δK + G

des vorausgegangenen Abschnitts 3.3 zu der neuen Gleichung

Y + J = c(Y − δK − T ) + i0 + δK + G + X (3.25)

Hierbei bezeichnet J die importierte Gutermenge, die das Angebot an hei-misch produzierter Gutermenge Y , das sog. Bruttoinlandsprodukt, angebots-seitig erganzt. Demgegenuber stellt X die exportierte Gutermenge dar, alsodie Nachfrage des Auslands nach heimisch produzierten Gutern, die jetzt zurinlandischen Guternachfrage C+I+δK+G hinzukommt. Bei Gleichung (3.25)ist zu betonen, dass das Angebot Y + J jetzt aus zwei Gutertypen besteht(In– und Auslandsprodukt) und die heimische Nachfrage oder AbsorptionC + I + δK + G sich dementsprechend auf zwei Gutertypen bezieht. Da wirhier nur eine einzige Gutermarktgleichgewichtsbedingung (3.25) betrachtenwerden, ist somit implizit unterstellt, dass die Struktur des Angebots Y + Jstets mit der auf der rechten Seite von (3.25) implizit involvierten Nachfra-gestruktur nach in– und auslandischer Produktion kompatibel ist und damitsolche Strukturprobleme im folgenden vernachlassigt werden konnen.

Zur weiteren Vereinfachung der Analyse von Gleichung (3.25) nehmen wirdaruber hinaus an, dass die Exportnachfrage X = X modellexogen gegebenist und die Importe durch eine einfache lineare Importfunktion wie folgt be-schrieben werden konnen:

J = J + jY, j = const ∈ (0, 1) (3.26)

Hierbei bezeichnet J den autonomen Teil des Imports und jY den vom Brut-toinlandsprodukt abhangigen Teil, der sich gemaß der sog. marginalen Im-portneigung j proportional zum inlandischen Produktionsniveau verandert.Mittels dieser erganzenden Annahme kann Gleichung (3.25) wie folgt darge-stellt werden:

Y = c(Y − δK − T ) + i0 + δK + G + X − J − jY (3.27)

wobei X−J−jY , der Handelsbilanzuberschuss, oft kurz durch A symbolisiertund als ‘Außenbeitrag’ (oder Nettoexporte) bezeichnet wird. Dieser Außen-beitrag nimmt ab oder verschlechtert sich, wenn die inlandische Produktionsteigt und damit bei gegebenen Exporten die Importe zunehmen.

Wie zuvor gestattet Gleichung (3.27) eine einfache Auflosung nach demGleichgewichtsoutput des Inlandes, fur den sich ergibt

Y =1

1− c + j(−c(δK + T ) + i0 + δK + G + X − J) (3.28)

Page 149: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

136 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

Zu den diesen Output bestimmenden autonomen Großen ist jetzt der auto-nome Teil des Außenbeitrags X − J hinzugekommen, und anstelle des fruher-en Multiplikators 1

s = 11−c haben wir jetzt den kleineren Multiplikatorwert

1s+j = 1

1−c+j . Wir wollen im folgenden annehmen, dass 0 < j < c erfullt ist.30

Der Nenner des Multiplikators ist dann nicht nur positiv, sondern stetsauch kleiner als Eins und damit das Inlandsprodukt Y also erneut ein Viel-faches der folgenden Summe der autonomen Terme: (1 − c)δK + i0 + G −cT + X − J . Der i.a. wohl als positiv einschatzbare autonome Teil des Außen-beitrags, X − J , wirkt somit positiv auf das gleichgewichtige InlandsproduktY ein, allerdings mit einem niedrigeren Multiplikatoreffekt als dies bei einerWirtschaft der Fall ist, deren Importneigung j = 0 ist.

Dieses Absinken des Multiplikatorwerts 1s+j lasst sich wie folgt naher

erlautern. Nehmen wir an, dass die autonomen Investitionen i0 sich in derlaufenden Periode um den Betrag ∆i0 erhohen und sehen wir uns in be-kannter Weise die indirekten Folgen dieses Nachfrage – und damit Einkom-mensanstiegs (der privaten Haushalte) an. Das verfugbare Einkommen derHaushalte steigt um ∆i0 und induziert damit weitere Guternachfrage (nachKonsumgutern) c∆i0, von der ein Teil (j∆i0) jedoch ins Ausland abfließt. Dieinlandische Produktion steigt nachfragebedingt deshalb nur um den Betrag(c− j)∆i0 an. Dieser Anstieg bei der Produktion und damit erneut beim Ein-kommen der Haushalte induziert wiederum einen Anstieg der Nachfrage nachinlandischen Produkten, jetzt vom Umfang (c− j)[(c− j)∆i0] = (c− j)2∆i0.Dieser Prozess pflanzt sich in bekannter Weise fort und fuhrt im Idealfall, woalle diese induzierten Konsumeffekte wirklich zum Tragen gekommen sind, zueinem Gesamtanstieg der Produktion Y vom folgenden Ausmaß:

∆Y = ∆i0 + (c− j)∆i0 + (c− j)2∆i0 + . . . + (c− j)n∆i0 + . . .

=∞∑

v=0

(c− j)v∆i0 =1

1− (c− j)∆i0 =

11− c + j

∆i0.

Der obige Multiplikatorwert fasst damit erneut alle direkt und indirekt in-duzierten Nachfrageveranderungen im Inland zusammen, die allerdings jetzt,wie gesehen, schwacher ausfallen als bei der geschlossenen Volkswirtschaft, dain jeder Runde j Gutereinheiten der zusatzlichen Nachfrage im Ausland ‘ver-sickern’ und damit nicht zur Steigerung der heimischen Produktion beitragen.Diese Sickerverluste erklaren somit die oben festgestellte Abschwachung 1

s+j

des fruheren Multiplikatorwerts α = 1s .

Wir haben bei der Einfuhrung der IS–Kurve einer geschlossenen Volks-wirtschaft gesehen, dass Gutermarktgleichgewicht in aquivalenter Form auchdurch

30 Dies ist insbesondere dann plausibel, wenn Importguter nur in den privaten Kon-sum fließen, wobei dann eine Importfunktion J = j(Y −δK− T ) in Anlehnung anC = c(Y − δK − T ) plausibler ware, was aber keine wesentliche Modellanderungdarstellt.

Page 150: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.4 Außenhandel 137

I ≡ i0 = [Y − δK − T − c(Y − δK − T )] + [T − G] = Sp + Sg ≡ S

dargestellt werden kann. In der geschlossenen Volkswirtschaft ist somit Guter-marktgleichgewicht durch die Ubereinstimmung von geplanter Nettoinvestiti-on und geplanter gesamtwirtschaftlicher Ersparnis gekennzeichnet. Die durchdie gesamtwirtschaftliche Ersparnis entstehende Nachfragelucke am Guter-markt wird dann durch die Investitionsguternachfrage wieder geschlossen, waseben gerade Gutermarktgleichgewicht bedeutet.

In der offenen Volkswirtschaft kann demgegenuber die Lucke (z.T.) auchauf andere Art und Weise geschlossen werden, namlich durch einen Uberschussder Exporte uber die Importe oder einen positiven Außenbeitrag A = X −J . Fur die offene Volkswirtschaft impliziert (3.27) anstelle der obigen IS–Gleichung:

S ≡ (1− c)(Y − δK − T ) + T − G = i0 + A

als Ausdruck fur Gutermarktgleichgewicht.Grafisch umgesetzt liefert diese Darstellung der Gleichgewichtsbedingung

(3.27) das folgende Bild:31

Abb. 3.23. Gutermarktgleichgewicht in der offenen Volkswirtschaft

wobei c1 = −(1− c)(δK + T ) + T − G− i0 und c2 = X − J gilt. War Guter-marktgleichgewicht in der geschlossenen Volkswirtschaft durch den Punkt Y0

gegeben, so ist es jetzt durch Y ′0 reprasentiert, wobei in der obigen Darstel-

lung dies mit einem positiven Außenbeitrag A = X − J − jY verbunden ist.Aufgrund der Ausdrucke fur c1 und c2 impliziert die obige Grafik unmittelbar

∆Y

∆i0,∆Y

∆G,∆Y

dX,−∆Y

∆J> 0

31 Vgl. Jarchow/Ruhmann (1994), S. 100.

Page 151: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

138 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

da sich bei all diesen komparativ–statischen Vergleichen entweder die (S−i0)–Kurve oder die A–Kurve nach rechts verlagert. Steigende Investitionsguter–oder Staatsausgaben, steigende Exportnachfrage und sinkende autonome Im-portnachfrage wirken belebend auf die heimische Produktion ein, wobei wiraufgrund der obigen Multiplikatorformel wissen, dass dies stets mit dem Mul-tiplikatorwert α = (s+j)−1 verbunden ist. Abbildung 3.23. zeigt aber daruberhinaus, dass der Außenbeitrag sich in den ersten beiden Fallen verschlechternmuss (Rechtsverschiebung der S−i0–Kurve), wahrend er sich in den beiden an-deren Fallen verbessert (Rechtsverschiebung der A–Kurve). Dies ist zum einenunmittelbar plausibel, da in der ersten Situation zusatzliche Importe (bei ge-gebenen Exporten) induziert werden, wahrend im zweiten Fall der autonomeTeil des Außenbeitrags A steigt und die damit einhergehende Erhohung desInlandsprodukts zusatzliche Importe induziert, die die ursprungliche Verbes-serung des Außenbeitrags nicht ubertreffen konnen:

∆A

∆X= −∆A

∆J= 1− j

∆Y

∆X= 1− j

s + j=

s

s + j> 0.

Eine gewollte beschaftigungspolitisch orientierte Verbesserung des Außenbei-trags, z.B. durch Subventionierung von Exporten, wird also in der gegenwarti-gen Situation tatsachlich diesen verbessern, da die begleitenden einkommen-sinduzierten Importe diese Verbesserung nur z.T. wegkompensieren werden.

3.5 Komparative Statik II: Geld- und Fiskalpolitik

Wir haben im vorherigen Abschnitt den Fall einer senkrechten IS–Kurve (i1 =0) und abschließend kurz den Fall einer waagerechten LM–Kurve betrachtet.Im folgenden wollen wir von diesen Grenzfallen abgehen und deshalb einenegativ geneigte IS–Kurve und eine positiv geneigte LM–Kurve unterstellen.

Abb. 3.24. Komparative Statik im IS–LM–Modell: Die Ausgangssituation

Page 152: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.5 Komparative Statik II: Geld- und Fiskalpolitik 139

Die Art der Auflosung IS: Y (r), vgl. (3.22), und LM: r(Y ), vgl. (3.23), deu-tet dabei an, welche Variable als Gleichgewichtsvariable32 welchem Marktgedanklich zugeordnet wird, auch wenn die Bestimmung von Einkommen Yund Zinssatz r im Gleichgewicht simultan erfolgt.

Der Gleichgewichtswert Y = Y0 lasst sich aus den obigen Angaben leichtdadurch berechnen, dass man die LM–Gleichung r(Y ) in die IS–Gleichungeinsetzt. Dies ergibt

(1− c)Y0 = −c(T + δK) + i0 − i1(kY0 + h0 − M/p)/h1 + i1πe + δK + G

und somit aufgelost nach Y0:

Y = Y0 =−c(δK + T ) + i0 + i1(M/p− h0)/h1 + i1π

e + δK + G

1− c + i1k/h1

= α[A1 +i1h1

M

p+ i1π

e], α =1

1− c + i1k/h1(3.29)

In obigem zweiten Ausdruck fasst A1 die autonomen Großen, also insbesonde-re G−cT , zusammen und bezeichnet α den Ausgabenmultiplikator, der kleinerals der Multiplikator des vorherigen Abschnitts ist und der nicht mehr großerals eins zu sein braucht, wenn die Investitionsnachfrage relativ zur Geldnach-frage hinreichend zinselastisch ist. Die Y0–Formel des vorherigen Abschnittserhalt man hieraus naturlich wieder, indem man i1 = 0 setzt.

Diese Multiplikatorformel verdeutlicht in pragnanter Weise den sog. Keynes-Effekt, Yp < 0, der die kontraktiven Wirkungen von Preisniveauerhohungenbeschreibt und den sog. Mundell-Effekt, Yπe > 0, der die expansiven Wirkun-gen hoherer Inflationserwartungen wiedergibt. Diese Effekte werden wir im fol-genden Kapitel auf ihre dynamischen Implikationen hin untersuchen, wahrendhier nur komparativ-statische Implikationen zur Debatte stehen konnen, da pund πe hier noch als exogene Einflussgroßen zu behandeln sind. Entsprechendergibt sich fur den Gleichgewichtswert r = ro des IS-LM-Modells, indem mandie IS-Kurve Y (r) in die LM-Kurve h1r = kY + ho − M/p einsetzt und nachr auflost, die Gleichung:

r = ro =k[−c(δK + T ) + i0 + i1π

e + δK + G]/h1 + (1− c)(h0 − M/p)/h1

(1− c) + i1k/h1

= α[k(i1πe + A2)

h1− (1− c)(M/p− h0)

h1], α =

11− c + i1k/h1

(3.30)

32 Oder dynamische Variable, vgl. Anhang 2.

Page 153: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

140 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

Es ist schon ersichtlich geworden, dass der Staatsausgaben– (wie auch derInvestitionsausgaben–) Multiplikator

dY0

dG(=

dY0

dio) =

11− c + i1k/h1

jetzt kleiner sind als im Fall i1 = 0, d.h. es mussen jetzt Zinseffekte zumTragen gekommen sein, die die Wirkung expansiver Fiskalpolitik (auch bzgl.T ) abschwachen.

Und daruber hinaus gilt jetzt

dY0

dM=

i1/(ph1)1− c + i1k/h1

,

d.h. hier mussen jetzt durch eine steigende Geldmenge Zinseffekte induziertworden sein, die expansiv auf die Investitionen und dann uber den Multi-plikatorprozess auf die Produktion der Unternehmungen einwirken. Analogkann naturlich die Reaktion des Gleichgewichtsoutputs Y0 auf jeden ande-ren Parameter des Modells hin untersucht werden, was hier jedoch – in dieserForm, also mittels Differentiation der obigen Formeln fur die gleichgewichtigenOutput- und Zinswerte – nicht weiter verfolgt werden soll.

Stattdessen wollen wir jetzt zur grafisch orientierten Analyse ubergehen,um damit die obigen Effekte zu bestatigen und zu weiteren Aussagen uber dieWirkung von Fiskalpolitik (dG, dT ) und jetzt auch Geldpolitik (dM) gelan-gen zu konnen. Wie wir wissen, stellen die IS–Kurve bzw. die LM–Kurve dieKombinationen aus Output– und Zinsniveaus dar, bei denen der Gutermarktbzw. der Geldmarkt im Gleichgewicht ist. Veranderungen der Politikpara-meter G, T , M verandern die Position dieser Kurven, was man z.B. dadurchprazisieren kann, dass man zu jedem Zinssatz r die Verlagerung des gleich-gewichtigen Y fur Guter– und Geldmarkt untersucht, die bei einer Erhohungvon G, T und M eintritt. Gegeben der Zinssatz, so wissen wir nach fruherembereits, dass G ↑ expansiv und T ↑ kontraktiv auf die Produktion Y0, beider am Gutermarkt Gleichgewicht herrscht, einwirken. Geldmengenverande-rungen haben andererseits auf die Position der Gutermarktgleichgewichtskur-ve keinen Einfluss, d.h. zusammengefasst, G ↑ und T ↓ verschieben die IS–Kurve nach rechts, hin zu hoheren Outputniveaus, wahrend ihre Position vomM–Niveau unabhangig ist. Umgekehrt haben G und T naturlich keinen Ein-fluss auf die LM–Kurvenbestimmung, wahrend M ↑ bei jedem Zinsniveau einhoheres Outputniveau erforderlich macht, soll wieder Geldmarktgleichgewichtherrschen. Diese Ergebnisse konnen auch unmittelbar aus der vorausgegange-nen Grafik und den dortigen Darstellungen von IS– und LM–Kurve entnom-men werden.

Die Abbildungen 3.25.a und -b stellen vor diesem Hintergrund die Wirkun-gen von Ausgaben- bzw. Steuerpolitik und Geldpolitik im IS-LM-Diagrammdar. Die erste dieser Abbildungen zeigt die Wirkung expansiv angelegterAusgaben– oder Steuerpolitik permanenter Natur (G ↑ und T ↓). Wie ge-

Page 154: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.5 Komparative Statik II: Geld- und Fiskalpolitik 141

zeigt, verlagert sich dadurch die IS–Kurve nach rechts, was – wie im voraus-gegangenen Abschnitt – uns zu Punkt B fuhren wurde, der vollen Multipli-katorwirkung dieser fiskalpolitischen Expansion. Im gegenwartigen Kontextist diese Outputsteigerung aufgrund der daraus resultierenden Belastung desGeldmarkts jedoch mit Zinssteigerung verbunden, die einen Teil dieser Out-putexpansion verhindert (Y ′′

0 − Y ′0), und zwar, indem die Investitionsausga-

ben aufgrund der Zinssteigerungen zuruckgedrangt werden (i0− i1(r0− πe) →i0−i1(r′0−πe)). Dieses partielle Crowding–Out der Investitionen durch gestie-gene Staatsausgaben, gestiegenen Output und damit gestiegene Konsumaus-gaben geht naturlich nicht in einem Schritt vor sich, sondern wird graduell, sowie durch die Pfeile der obigen Abbildung angezeigt, auf dem Wege von A nachC durch schrittweise Outputsteigerungen vollzogen. Partielles Crowding–Outder Investoren verhindert damit hier, dass die fruher analysierte Multiplika-torwirkung sich voll entfalten kann.

Abb. 3.25. Komparative Statik im IS–LM–Modell: Fiskal- und Geldschocks unddie Anpassung zum neuen Gleichgewicht

Abbildung 3.25.b fuhrt nun einen Sachverhalt ein, der bislang nur ansatz-weise im IS–LM–Modell diskutiert worden ist: Die Moglichkeit uber expansi-ve Geldpolitik: M ↑ Zinssenkungen herbeizufuhren und damit das Investiti-onsniveau und uber den Multiplikatorprozess das Outputniveau anzuheben.Geldmengenexpansion fuhrt uns bei gegebenem Outputniveau Y0 zum PunktB in Abbildung 3.25.b, also zu r′′0 < r0. Zu diesem Zinsniveau betragt dieZunahme der Investitionen ∆i0 = (r0 − r′′0 )i1, was, wenn die Zinsen auf die-sem Niveau blieben, uber den Multiplikatorprozess den Zustand B’ induzierenwurde. Auf dem Wege zu B’ wird aber ein Teil der ursprunglichen Zinssen-kungen durch Outputsteigerungen wieder ruckgangig gemacht (genau wie beieiner fiskalischen Expansion), somit nur Punkt C und damit nicht die volleMultiplikatorwirkung von ∆i0 erreicht (∆i0 → (r0 − r′0)i1!).

Abgesehen von solchen Nebenwirkungen ist damit jetzt neben Fiskalpoli-tik auch Geldpolitik verfugbar, um Produktion zu stimulieren und Beschafti-gungsimpulse zu geben. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass die vorgenomme-nen Anderungen bei G, T und M permanenter Natur sein mussen, da sonst

Page 155: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

142 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

die IS– bzw. die LM–Kurve sich wieder zuruckverlagern wurden und lang-fristig dann keine expansiven Wirkungen Bestand haben konnen. Zu beach-ten ist hier auch, dass Fiskalpolitik unmittelbarer nachfrageorientiert ist alsGeldpolitik, da sie direkt Guternachfrage schafft (∆G > 0) oder uber Ein-kommenseffekte Konsumguternachfrage anzuregen versucht (∆Y 0 = −∆T ),wahrend Geldpolitik lediglich die Bedingungen fur Investoren gunstiger zugestalten versucht (∆r < 0), um damit mehr Investitionsnachfrage hervorzu-locken. In den Extremfallen, die im vorherigen Abschnitt untersucht wordensind, scheitert dieser Versuch allerdings, einmal, wenn Investoren sich vonZinssenkungen nicht beeindrucken lassen und zum anderen, wenn es der Zen-tralbank aufgrund des Vorliegens der Liquiditatsfalle nicht gelingt, die Zinsenzu senken, da die Vermogensbesitzer in dieser Situation einen Anstieg ihresGeldvermogens einfach halten werden und nicht in erhohte Bondnachfrageund damit in steigende Kurse und sinkende Zinsen umsetzen. Geldpolitik istin diesen Fallen ineffektiv, wahrend Fiskalpolitik hier maximal effektiv war,da keine Crowding–Out Begleiterscheinungen in diesen beiden Situationen beiihr auftreten.

Dieser Sachverhalt kehrt sich genau um, wenn die ‘neoklassischen’ Ge-genstucke zu zinsunelastischen Investitionen und zinselastischer Geldnachfra-ge betrachtet werden, namlich sehr zinsunelastische Geldnachfrage (also fak-tisch die Quantitatstheorie des Geldes M = pkY ) oder um den Zinssatz ro

herum sehr zinselastische Investitionen (I = i1(r0 − r), i1 →∞, io = i1ro!):

Abb. 3.26. Neoklassische Grenzfalle der IS-LM-Analyse

Im linken Fall verursacht Fiskalpolitik lediglich Zinseffekte, da der Output be-reits vom Geldmarkt her determiniert ist, was bedeutet, dass Nachfragesteige-rungen im Staatssektor oder Konsumbereich in entsprechendem Umfang uberZinsreaktionen private Investitionen verdrangen (totales Crowding–Out). ImFall der rechten Abbildung verschiebt sich die IS–Kurve bei expansiver Fis-

Page 156: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.5 Komparative Statik II: Geld- und Fiskalpolitik 143

kalpolitik horizontal und damit quasi in sich selbst, da z.B. die mit G ↑ ein-hergehenden infinitesimalen Zinssteigerungseffekte aufgrund der extrem zin-selastischen Investitionsnachfrage diesbezuglich bereits ausreichen, ein tota-les Crowding–Out der Investitionen hervorzurufen. Die gesamtwirtschaftlicheNachfrage und der dazugehorige Output werden sich in dieser Situation so-mit nicht verandern. Fiskalpolitik ist daher in diesen beiden Fallen ‘impotent’oder ineffektiv.

Demgegenuber ist Geldpolitik in den beiden oben gezeigten Fallen jetztin ausgepragtem Maße effektiv. In beiden Situationen ergibt sich einfach alsOutput-Wirkung einer Erhohung der Geldmenge um den Betrag ∆M derAusdruck ∆Y0 = ∆M/(kp), d.h. ein strikt quantitatstheoretisches Resultat(auf der Basis vollig inflexibler Preise).

Tabelle 3.3. fasst diese Aussagen uber Grenzfalle der IS-LM-Analyse zu-sammen. Es ist empfehlenswert, die in ihr dargestellten Ergebnisse grafischund rechnerisch mit Hilfe der hier dargestellten Vorgehensweisen nachzuvoll-ziehen, damit eine sichere Handhabung der Rolle der Steigungen von IS- undLM-Kurve bei der Frage nach der Politikeffektivitat der besprochenen Artenvon Globalsteuerung der Wirtschaft erreicht werden kann.

Tabelle 3.3. Zur Effektivitat von Geld- und Fiskalpolitik

Fiskalpolitik

IS-Kurve LM-Kurve

flach ineffektiv effektiv

steil effektiv ineffektiv

Geldpolitik

IS-Kurve LM-Kurve

flach effektiv ineffektiv

steil ineffektiv effektiv

Reine Multiplikatoranalyse einerseits und neoklassische Analyse andererseitssind also Grenzfalle der IS-LM-Analyse, die diese verstehen helfen, die abersicherlich in bezug auf ihren empirischen Gehalt einer mittleren Position imHinblick auf die Steigungseigenschaften der IS- und der LM-Kurve unterlegensind. IS-LM-Analyse ist deshalb heutzutage in der Regel von der in der Ab-bildung 3.25.a und -b dargestellten Form. Tabelle 3.4. resumiert bzgl. diesesNormalfalls der IS-LM-Analyse einige wichtige komparativ-statische Aussa-gen derselben, die ebenfalls zum Zwecke der Ubung des Vorgestellten grafischund rechnerisch nachvollzogen werden sollten.33

Es ist empfehlenswert, die hier dargestellten Ergebnisse mit den Ergebnissenvon Kapitel 2 fur das neoklassische Basismodell und das Keynes-Modell zuvergleichen. Dabei sollten insbesondere das Sparparadox und das Lohnpara-dox wieder Beachtung finden. Wie Tabelle 3.4. zeigt, fuhren sinkende Nomi-nallohne jetzt zur wirtschaftlichen Belebung und damit zu mehr Beschafti-gung (aufgrund des Keynes-Effekts, der fallende Lohne und Preise in fallende

33 Man beachte wieder das Auftreten des Keynes-Effekts und des Mundell-Effektsin dieser Tabelle.

Page 157: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

144 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

Tabelle 3.4. Komparative Statik im IS–LM–Modell

G ↑ T ↑ M ↑ io ↑ πe ↑ w ↑ c ↑ s = 1− c ↑Y + - + + + - + -

r + - - + + + + -

C + - + + + - + -

I = S - + + + + - - +

Zinsen und damit steigende Investitionstatigkeit ubersetzt). Steigende Spar-neigung andererseits fuhrt wie im vorausgegangenen Abschnitt zu Output-und Beschaftigungsruckgangen, aber damit jetzt auch zu Zinssenkungen unddamit steigender Investition und Ersparnis, so dass der gestiegene Sparwillesich nunmehr auch in einer erhohten Ersparnis und Kapitalakkumulation nie-derschlagt. Es ist hierbei und bei Variationen der marginalen Konsumneigungc zu beachten, dass die Aussage dY/dc > 0 die empirisch plausible Vorausset-zung Y − T − δK > 0 benotigt.

Totale Differentiation der IS-LM-Gleichgewichtsbestimmung (3.29) liefertschließlich noch die folgenden wichtigen, obiges erganzenden Aussagen:

dYo

dG|dG=dT =

1− c

1− c + i1k/h1< 1,

dYo

dG|dG=dM/p =

1 + i1/h1

1− c + i1k/h1>

11− c + i1k/h1

=dYo

dG|dG=dB/(rp),

dYo/dG

dYo/dM=

ph1

i1.

Die erste Aussage betrifft erneut den “Ausgeglichenen-Staatsausgaben-Multi-plikator”, da das Symbol auf der linken Seite zum Ausdruck bringen soll, dasshier die Staatsausgaben um den Betrag dG variiert werden und diese Variationdurch dG = dT finanziert wird. Auf der rechten Seite von Gleichung (3.29)ist somit unter dieser Nebenbedingung nach dG und dT abzuleiten, sind diesebeiden Ausdrucke dann gleichzusetzen und durch Division auf die linke Seitedes damit gewonnenen Ausdrucks zu bringen. Das Ergebnis dieser Rechnungzeigt dann, dass dieser Multiplikator jetzt sogar kleiner als 1 ist, da der vormalsgultige Wert 1 durch jetzt mogliche Zinssteigerungen noch weiter dezimiertwird, also nicht nur die Steuererhohung privaten Konsum verdrangt, sonderndie Zinsteigerungen auch noch die private Investitionstatigkeit sinken lasst.

Entsprechend geht man bei der zweiten Formel vor, wo eine geldfinan-zierte Erhohung der Staatsausgaben betrachtet wird: dG = dM/p. Hier zeigtsich, dass der Multiplikatoreffekt großer ist als der ‘reine’ Staatsausgaben-multiplikator des vollen IS-LM-Modells, was aber leicht erklart werden kann,da jetzt den von ihm ausgelosten Zinssteigerungen (vgl. den Ausdruck imNenner) aufgrund expansiver Geldpolitik Zinsenkungstendenzen entgegenwir-ken (vgl. den Ausdruck im Zahler) und damit den ‘reinen’ Multiplikatoreffekt

Page 158: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.6 Außenhandel und Kapitalverkehr 145

dY0/dG des IS-LM-Modells verstarken. Naturlich steht auch hinter diesemEffekt eine Finanzierungsnotwendigkeit, die, da Steuer- und Geldfinanzierungin ihrer Wirkung schon betrachtet worden sind, nur noch Bondfinanzierungbetreffen kann. Diese Finanzierungsart scheint eine mittlere Position zwischenden beiden anderen Moglichkeiten einzunehmen, da hier die Veranderung derVerschuldung des Staates nicht explizit in Erscheinung tritt, also hier we-der kontraktive noch expansive Zusatzeffekte, wie bei den beiden anderenFinanzierungsarten, auftreten. Dieses ‘Kuriosum’ der Irrelevanz zusatzlicherVerschuldung wird im Laufe dieses Kapitels noch aufzuklaren sein.

Die dritte der obigen Formeln schließlich liefert einen allgemeinen Aus-druck fur die relative Effektivitat von Fiskalpolitik und Geldpolitik, indemsie die betreffenden Multiplikatoren durcheinander teilt. Man sieht erneut diepositive Rolle der Sensitivitat der Geldnachfrage und der Insensitivitat derInvestitionen bzgl. der Zinsen fur die relative Wirkungsstarke der Fiskalpoli-tik wie auch erneut die Rolle der gegenteiligen Sensitivitaten fur die relativeWirkungsstarke der Geldpolitik.

Diese Fragen nach der Effektivitat dieser beiden Globalsteuerungsinstru-mente und nach dem richtigen Mix aus beiden, um ein bestimmtes wirtschafts-politisches Ziel erreichen zu konnen, sollen an dieser Stelle nicht weiter ver-tieft werden. Stattdessen werden wir im nachsten Abschnitt weitere Argu-mente betrachten, die sich mit der Problematik fiskal- und geldpolitischerGlobalsteuerung kritisch auseinandersetzen. Diese Betrachtungen sollen da-zu dienen, aufzuzeigen, dass mit dem IS-LM-Apparat keineswegs ein sicheresInstrumentarium vorliegt, mittels dem man Konjunkturpolitik quasi mecha-nisieren kann.

Erganzungen zum Stoff dieses Abschnitts findet der Leser im funften Ka-pitel von Dornbusch/Fischer (1995), auf welches erneut zur Vertiefung derhier diskutierten Inhalte verwiesen wird.

3.6 Außenhandel und Kapitalverkehr

Bei sich ausweitendem internationalem Guterhandel hat sich seit den sechzigerJahren eine zunehmende Liberalisierung des internationalen Kapitalverkehrsergeben, ist also diese Komponente außenwirtschaftlicher Beziehungen immerbedeutender geworden. Die in Anhang 1 dargestellte rein gutermarktorien-tierte Betrachtung offener Volkswirtschaften ist deshalb jetzt dahingehend zuerganzen, dass auch Wertpapiere international gehandelt werden konnen. DieAnalyse von Guterstromen ist also um eine Analyse der Wirkungen von in-ternationalem Kapitalverkehr zu erweitern.

Um dies in einfacher Form hier vornehmen zu konnen, wollen wir uns da-bei auf einen Extremfall dieses internationalen Kapitalverkehrs beziehen, derallerdings mit der Zeit zunehmend realistischer geworden ist. Es ist ein be-merkenswertes Faktum heutiger Industrielander geworden, dass Inlander im

Page 159: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

146 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

wesentlichen auslandische Wertpapiere uneingeschrankt halten konnen. Kapi-tal ist uber die Grenzen hinweg hochst mobil geworden, und dies hat zu einerweitgehenden Verflechtung zwischen den verschiedenen nationalen Finanz–und Kapitalmarkten gefuhrt. Es ist deshalb nicht unplausibel, eine erste In-tegration solcher Finanzmarktgeschehnisse auf der Basis vorzunehmen, dass‘Kapital’ in der Welt vollkommen mobil geworden ist und damit weltweitjeweils nach den hochsten Ertragsraten Ausschau gehalten wird. Resultat die-ses Prozesses sollte sein, dass sich die Zinssatze international aufeinander zubewegen bzw. bei der gerade unterstellten vollkommenen Kapitalmobilitateinander gleich sein mussen. Im Falle des von uns in Anhang 1 betrachtetenkleinen Landes kann somit, die dortige Analyse erganzend, von einem gegebe-nen internationalen Zinssatz ra ausgegangen werden, von dem der nationaleZinssatz r nicht wesentlich abweichen kann:

r = ra.

Wir werden im folgenden ultrakurzfristige Abweichungen zwischen diesen bei-den Zinssatzen dennoch jeweils kurz betrachten, um damit insbesondere dieWirkungen von fiskal– und geldpolitischen Maßnahmen genauer verdeutlichenzu konnen.

Die Annahme, dass die nationalen Zinssatze durch das internationale Ni-veau fixiert sind, rechtfertigt zum einen die reine Gutermarktanalyse interna-tionaler Verflechtung, die wir in Anhang 1 durchgefuhrt haben, da dadurchdie Investitionstatigkeit als vom nationalen Geldmarkt abgekoppelt angese-hen werden kann und somit der Einfluss der LM–Kurve auf ihre Bestimmungaufgehoben worden ist. Zum anderen haben wir jetzt uber den internationalenKapitalverkehr einen zusatzlichen Einfluss am Devisenmarkt, dessen Implika-tionen fur die Handelsstrome es jetzt zu analysieren gilt.

Wir haben bislang den Einfluss des Wechselkurses e [e/$ ] auf die Guter-nachfrage des In– und Auslands ignoriert und sind damit implizit von einemfixierten Wechselkursniveau ausgegangen. In bezug auf die Gutermarktdar-stellung

Y = c(Y − δK − T ) + i0 − i1(r − πe) + δK + G + A,

die jetzt die zinsabhangigen Investitionen einbezieht, kann aber nunmehr ver-mutet werden, dass der in ihr ausgewiesene Außenbeitrag A = X − J − jYnicht nur vom Bruttoinlandsprodukt Y , sondern auch vom Wechselkurs eabhangt, wo wir Dornbusch/Fischer (1995, S.219) folgend die folgende einfa-che Erganzung der Determinanten des realen Außenbeitrags vornehmen wol-len:

A = X − jY + vτ, τ = epa/p, v > 0.

In dieser Gleichung ist der Term vτ hinzugefugt worden, der mit einem kon-stanten Parameter v die positive Abhangigkeit des Außenbeitrags vom sog.realen Wechselkurs τ zum Ausdruck bringt:

Page 160: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.6 Außenhandel und Kapitalverkehr 147

τ = e[e/$ ]pa[$/Ga]/p[e/G] = τ [G/Ga]

Dieses Verhaltnis beschreibt das durch die Preisniveaus p und pa des Inlandsund des Auslands und den nominellen Wechselkurs e implizierte reale Aus-tauschverhaltnis zwischen Gutern des Inlands, [G], und den Gutern des Aus-lands, [Ga]. Wie bisher betrachten wir die Preisniveaus der beiden Lander inder kurzen Sicht als durch Markup–Pricing bedingt fixiert, so dass eine rea-le und nominelle Wechselkursanderung hier stets als gleichwertig angesehenwerden kann. Eine Abwertung , e ↑, ist damit als reale Kursverschlechterungansehbar und besagt, dass beim internationalen Handel jetzt mehr als bisheran inlandischer Produktion fur eine Einheit auslandischer Produktion herge-geben werden muss.

Die oben angenommene einfache und positive Abhangigkeit des Außenbei-trags A vom Wechselkurs e muss nicht allgemeingultig sein, sondern kommtnur unter speziellen Annahmen zustande. Da eine Abwertung die auslandi-schen Guter relativ teurer werden lasst, mag in der Tat gelten, dass die Ein-fuhr dieser Guter mengenmaßig zuruckgeht. Die betrachtete Veranderung, e ↑,bedeutet aber gleichzeitig, dass der reale Wechselkurs steigt, τ ↑, und damitder in inlandischen Gutereinheiten ausgedruckte Import J teurer wird. DieImportgroße J ist als Wertgroße das Produkt aus (Relativ–)Preis τ und Men-ge und folglich zwei entgegengesetzten Einflussen ausgesetzt. Reagiert ihreMengenkomponente schwach auf Anderungen der realen Austauschverhalt-nisse τ , so uberwiegt der Preiseffekt, und eine Erhohung von τ wird von einerErhohung von J und damit einer Verminderung des Außenbeitrags begleitet.Diese im allgemeinen als unnormal angesehene Reaktion des Handelsbilanz-defizits auf Wechselkursanderungen soll im folgenden unberucksichtigt blei-ben. Sie wird daruber hinaus unwahrscheinlicher, wenn wir davon ausgehen,dass die Exportnachfrage X positiv vom Wechselkurs e bzw. τ abhangt, waseine naheliegende Annahme ist, da X in seinen Originaleinheiten gemessenwird und deshalb nicht wie J eine Wertgroße darstellt. Eine solche positiveAbhangigkeit der Exporte vom realen Wechselkurs τ ist im Parameterwert vberucksichtigt worden.

Obiges zusammenfassend haben wir also jetzt als Darstellung von Guter-marktgleichgewicht

Y = c(Y − δK − T ) + i0 − i1(r − πe) + δK + G + X − J − jY + vτ,

wobei wir der Einfachheit halber hier p = pa = 1 als Normierung annehmen,so dass kein Unterschied zwischen realem und nominellem Wechselkurs τ, eim folgenden beachtet zu werden braucht.

Wir wollen jetzt als erstes im obigen erweiteren Rahmen den Fall fes-ter Wechselkurse e = e betrachten. In einem festen Wechselkurssystem istdie auslandische Zentralbank bereit, ihre Wahrung zu einem in der anderenWahrung ausgedruckten festen Preis zu kaufen oder zu verkaufen. Feste Wech-selkurse herrschten in der Zeit vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum

Page 161: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

148 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

Jahre 1973 vor, dem Jahr, in dem eine weitgehende Freigabe der Dollarkur-se sowie ein gemeinsames Floating der am Europaischen Wechselkursverbundbeteiligten Wahrungen erfolgte.

Um verstehen zu konnen, wie ein solches Regime fester Wechselkurse imRahmen der IS–LM–Analyse des Abschnitts 3.4 wirkt,34 mussen wir zunachstdie sog. Zahlungsbilanz der unterstellten kleinen offenen Volkswirtschaft be-trachten. Eine solche Zahlungsbilanz erfasst samtliche Transaktionen derInlander einer Volkswirtschaft mit dem Rest der Welt, der hier annahme-gemaß aus einem einzigen Land besteht. Die Zahlungsbilanz gliedert sich inzwei Hauptbilanzen, die Leistungsbilanz und die Kapitalbilanz. Die Leistungs-bilanz, die den Handel mit Gutern und Dienstleistungen sowie Transferzah-lungen erfasst, ist im Rahmen unseres Modells mit ihrer Teilbilanz, der Han-delsbilanz, identisch, da wir von Dienstleistungen (und insbesondere von Zins-zahlungen) im vorausgegangenen wie auch im folgenden absehen. Der Saldoder Leistungsbilanz ist also fur uns einfach durch X − J gegeben. Wir spre-chen hier also von einem Leistungsbilanzuberschuss, wenn die Exporte X dieImporte J ubersteigen, ohne dabei auf Dienstleistungen und Ubertragungenzu achten.

Die Kapitalbilanz weist gegenuber der Leistungsbilanz die Kaufe undVerkaufe von Wertpapieren und anderen Vermogenstiteln auf. Da wir in un-seren Modellen nur bestimmte Bonds als Vermogenstitel zulassen, die jetztauch international gehandelt werden konnen, werden wir von einem Kapitalbi-lanzuberschuss oder einem Nettokapitalzustrom oder -import sprechen, wenndie Einnahmen der Inlander aus dem Verkauf von inlandischen Wertpapierenihre Ausgaben fur den Ankauf auslandischer Wertpapiere ubertreffen. Nebendiesen Transaktionen des privaten Sektors des Inlandes35 finden in der Ka-pitalbilanz noch die Reservetransaktionen der inlandischen Zentralbank Nie-derschlag. Bei Einbeziehung dieser Transaktionen muss fur die Zahlungsbilanzstets gelten:

Leistungsbilanzdefizit + Kapitalbilanzdefizit = 0,

wobei wir hierbei der Einfachheit halber davon ausgehen, dass inlandischeWirtschaftssubjekte keine auslandischen Devisen (als Geld) halten. Wird einZahlungsbilanzungleichgewicht, das durch internationale Guter– und Wertpa-pierstrome erzeugt wurde, nicht durch einen auf dieses Ungleichgewicht rea-gierenden flexiblen Wechselkurs beseitigt, so schlagt sich dieser Uberschussin einem Anstieg der Devisenreserven der Zentralbank und ein Defizit ineinem Verlust von Wahrungsreserven der Zentralbank nieder. Dies gilt ins-besondere im Regime vollig fixierter Wechselkurse, wo die Zentralbank sichverpflichtet hat, zu diesem Kurs alle fur die internationalen Transaktionen

34 Diese Analyse ist in der Literatur auch unter dem Namen Mundell–Fleming–Modell bekannt.

35 Der Staat wird bei solchen Transaktionen im folgenden nicht berucksichtigt wer-den.

Page 162: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.6 Außenhandel und Kapitalverkehr 149

benotigten Devisen bereitzustellen. Solche Devisenverkaufe oder –kaufe derZentralbank bedeuten, dass sie in diesem Ausmaß bereit ist, Veranderungender heimischen Geldmenge zu akzeptieren, also z.B. bei Reserveaufstockungdie Inlander zwangslaufig mit mehr e (durch den Aufkauf der uberschussigenDevisen) zu versorgen. Dieser Sachverhalt ist, wie wir gleich sehen werden,fur die Effektivitat geldpolitischer Maßnahmen der Zentralbank von entschei-dender Bedeutung.

Betrachten wir aber zunachst in expliziter Form den aus internationalenGuter– und Bondtransaktionen sich ergebenden Zahlungsbilanzuberschuss Z(p = pa = 1!):36

Z = X − J − jY + ve + pb∆B − epab∆Ba. (3.31)

In dieser Gleichung ist das Importvolumen J , wie wir gesehen haben, bereitsin inlandischen Gutereinheiten ausgedruckt (mittels einer impliziten Verwen-dung des realen Wechselkurses τ) und bezeichnet ∆B bzw. ∆Ba das Transak-tionsvolumen zwischen In- und Auslandern hinsichtlich der inlandischen bzw.der auslandischen Bonds (pb = 1/r, pa

b = 1/ra ihre nationalen Kurswerte).Unsere Annahme (fast) vollkommener Kapitalmarktmobilitat besagt nun inbezug auf Z, dass bei r > ra ein Zahlungsbilanzuberschuss Z und bei r < ra

ein Zahlungsbilanzdefizit vorliegen muss, da z.B. ein positives Zinsdifferentialr − ra > 0 hohe Nettokapitalimporte impliziert (und umgekehrt).

Die Implikationen fur Fiskal– und Geldpolitik im Falle einer kleinen offe-nen Volkswirtschaft, hier noch bei fixen Wechselkursen e = e, sind drastisch.Fiskalpolitik funktioniert in einem dergestalt erweiterten IS–LM–Modell wieim einfachen IS–Modell des Anhangs 1, d.h. es gilt weiterhin die dortige ein-fache Multiplikatoranalyse:

Y =1

s + j[(1− c)δK + G− cT + i0 − i1(ra − πe) + X − J + ve] (3.32)

da die jetzt neuen Terme −i1(ra − πe) und ve aufgrund der Fixiertheit vonZinssatz r und Wechselkurs e ebenfalls Konstanten sind, die wie die auto-nomen Investitions– und Importausgaben wirken und dementsprechend ver-arbeitet werden konnen. Fiskalpolitik lost deshalb keine kontraktiven Zins–und Wechselkurseffekte aus und ist demnach maximal effektiv.37 Wie im Ab-schnitt 3.4 erlautert, erhoht eine isolierte fiskalpolitische Expansion dG > 0das Inlandsprodukt um dY = dG/(s+j), und sie senkt gleichzeitig den Außen-beitrag um dA = −jdY = −j/(s + j) · dG. Im IS–LM–Diagramm dargestelltsieht dieser Vorgang wie folgt aus:IS–LM–Analyse besagt bei einer fiskalischen Expansion dG > 0 zunachst, dassder Outputanstieg von Zinssteigerungen begleitet ist, hin zum Punkt B im

36 Ein negativer Wert kennzeichnet hier ein Zahlungsbilanzdefizit. Die Symbolepb, p

ab bezeichnen die Preise der in- und auslandischen Bonds.

37 Man vgl. hierzu den im folgenden betrachteten Fall flexibler Wechselkurse.

Page 163: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

150 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

Abb. 3.27. Expansive Fiskalpolitik bei fixen Wechselkursen

obigen Diagramm. Das entstehende Zinsdifferential r′ − ra hat jedoch enor-me Nettokapitalimporte (Bondverkaufe ans Ausland) zur Folge, die so langefur einen ausgepragten Devisenuberschuss am Devisenmarkt Anlass geben,wie dieses Zinsdifferential Bestand hat. Da die Zentralbank aber diesen Devi-senuberschuss zur Wahrung fixer Wechselkurse aufkauft, erhoht sie auf dieseWeise die heimische Geldmenge so lange, bis diese expansiv auf das Inlands-produkt einwirkenden Geldmengenerweiterungen bei entsprechender Verlage-rung der LM–Kurve den Punkt C erreicht haben. In diesem Punkt sind dieGeldmenge und mit ihr das Inlandsprodukt so weit angestiegen, dass sie zumZinsniveau ra ohne weitere Intervention der Zentralbank wieder Geldmarkt-gleichgewicht gestatten und damit der Devisenmarkt wieder ins Gleichgewichtgelangt ist. Es folgt, dass die fiskalische Expansion uber die sie begleiten-den infinitesimalen Zinserhohungen so lange von einer automatisch ablaufen-den Geldmengenexpansion begleitet wird, bis diese Zinssteigerungstendenzendurch entsprechende Geldmengenveranderungen wieder versiegen. Bei Auf-rechterhaltung fixer Wechselkurse wird somit die fiskalische Expansion durchGeldmengeneffekte maximal verstarkt (A → C).

Der Fall einer expansiv angelegten Geldpolitik (M ↑) wird in Abb. 3.28dargestellt. Insofern diese Geldpolitik erfolgreich ist und den inlandischenZinssatz unter das Weltniveau ra absinken lasst, liefert sie Anlass zu mas-sivem Kapitalexport und damit zu einer Ubernachfrage nach Dollar am De-visenmarkt. Die Zentralbank muss somit Devisen verkaufen. Dies reduziertdie heimische Geldmenge wieder, wobei dieser Prozess so lange anhalt, wieein negatives Zinsdifferential r− ra fortbesteht. Es folgt, dass die LM’–Kurveder obigen Abbildung sich so lange ruckverlagern muss, bis sie wieder dieAusgangsposition erreicht hat. Geldpolitik ist daher unter den getroffenenAnnahmen nur in der ganz kurzen Sicht effektiv, aber letztendlich vollig inef-fektiv.

Page 164: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.6 Außenhandel und Kapitalverkehr 151

Abb. 3.28. Expansive Geldpolitik bei fixen Wechselkursen

Eine hohe internationale Kapitalmobilitat legt jedoch nahe, dass vollig fi-xierte Wechselkurse wenig Sinn ergeben, da sie bei großeren Storungen unddamit einhergehenden massiven Kapitalbewegungen kaum zu halten sein durf-ten. Es ist deshalb notwendig, neben fixen auch den Fall flexibler Wechselkurseim Rahmen der IS–LM–Analyse zu untersuchen und dabei erneut die Fragenach der Effektivitat von Fiskal– und Geldpolitik zu stellen. Wir wollen unsdabei auf den Fall eines reinen Floatens der Wechselkurse beschranken, in wel-chem diese also allein durch Angebot und Nachfrage auf den Devisenmarktenbestimmt werden. Gemischte Wechselkurssysteme, also Systeme des gema-nagten Floating, werden in diesem Abschnitt keine Beachtung finden38. ImZusammenhang mit flexiblen Wechselkursen werden wir von einer Kursver-schlechterung sprechen, wenn der Wechselkurs e[e/$] steigt.

Bei vollig flexiblen Wechselkursen gilt bei Gleichung (3.31) stets Z = 0, dadann das zu Z 6= 0 gehorige Ungleichgewicht am Devisenmarkt durch Wech-selkursanderungen stets beseitigt wird. Im Unterschied zum Fall fester Wech-selkurse, der, wie wir gesehen haben, den Zentralbanken keine unabhangigeGeldpolitik erlaubt, muss im Fall flexibler Wechselkurse die Zentralbank nichtam Devisenmarkt intervenieren und deshalb keine ungewollten Anderungender heimischen Geldmenge hinnehmen. Es ist daher eine weitere Implikationvollig flexibler Wechselkurse, dass die Zentralbank das Geldangebot souveranfestsetzen kann.

Betrachten wir in dieser neuen Situation zunachst wieder eine expansivangelegte Fiskalpolitik, also z.B. dG > 0. Diese Politik erhoht, wie im Fallfester Wechselkurse, das inlandische Produktions– und Zinsniveau, was jetztaber durch steigenden Nettokapitalimport und damit durch Uberschusse inder Zahlungsbilanz begleitet ist und am Devisenmarkt zu Aufwertungsrun-

38 Ein erster Schritt in diese Richtung ware es, im obigen Kontext exogene Wech-selkursveranderungen (Wechselkurspolitik) zu untersuchen.

Page 165: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

152 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

den bei der inlandischen Wahrung fuhrt. Diese Aufwertung der e findet solange bestandig statt, wie ihre Ursache, das zu hohe nationale Zinsniveau, fort-besteht. Abbildung 3.29. zeigt deshalb, dass ein erneutes Gleichgewicht erstdann eintreten kann, wenn die durch die expansive Fiskalpolitik nach rechtsverlagerte IS–Kurve sich wieder in ihrer ursprunglichen Position befindet:

Abb. 3.29. Expansive Fiskalpolitik bei flexiblen Wechselkursen

Bei flexiblen Wechselkursen ist daher Fiskalpolitik jetzt vollig ineffektiv, daKapitaleinflusse und die sie begleitenden Aufwertungen der e den Außen-beitrag so lange reduzieren, bis er bei gestiegenen Staatsausgaben mit demalten Inlandsprodukt am Gutermarkt wieder vertraglich geworden ist. Wirhaben damit hier eine vollstandige Verdrangung vorliegen, die in diesem Fallenicht die Investitionen betrifft, sondern die Nettoexporte, wobei die Expor-te aufwertungsbedingt zuruckgegangen sind und die Importe gestiegen sind.Das Bruttoinlandsprodukt hat dabei seinen Gleichgewichtswert aber nichtverandert.

Entsprechend drastisch fallt auch die Anderung bei der Wirksamkeit vonGeldpolitik aus, wenn man von einem Regime fester Wechselkurse zu einemRegime mit vollig flexiblen Wechselkursen ubergeht. Abbildung 3.30. zeigthierzu erneut den ‘unmittelbaren’ Effekt der Geldpolitik (der wie in der ge-schlossenen Volkswirtschaft ausfallt) und den Anpassungsprozess hin zumneuen stationaren Gleichgewicht:Expansive Geldpolitik versucht, durch Zinssenkungen Investitionstatigkeit an-zuregen, ruft aber bei einer offenen Volkswirtschaft mit Zinssenkungen Kapi-talexporte hervor, die am Devisenmarkt (wegen Z > 0) eine Ubernachfragenach Dollar erzeugen. Resultierende Abwertungseffekte regen den Export anund bremsen den Import. Diese Steigerung des Außenbeitrags erhoht schritt-weise die inlandische Produktion (auf dem Wege einer Rechtsverlagerung derIS–Kurve). Dieser Prozess pflanzt sich so lange fort, wie der inlandische Zins-

Page 166: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.6 Außenhandel und Kapitalverkehr 153

Abb. 3.30. Expansive Geldpolitik bei flexiblen Wechselkursen

satz unter ra liegt, was eine Verlagerung der IS–Kurve impliziert, bis sie dieLM–Kurve im Punkt C schneidet. Geldpolitische Expansion wird damit durchAbwertungsdruck so lange in ihrer Wirkung fortgefuhrt, bis sich der Output-wert durchgesetzt hat, der bei Weltmarktzinsniveau ra erneut Geldmarkt-gleichgewicht herstellt. Die Guternachfrage, die die Produktion im keynesia-nischen Kontext determiniert, wird wahrend dieses Prozesses durch Abwer-tungen, e ↑, so lange nach oben geschraubt, bis dieser Zielwert erreicht wordenist.

Im Kontext flexibler Wechselkurse ist damit Geldpolitik maximal effektivund Fiskalpolitik vollig ineffektiv (was Gleichgewichtspositionen angeht). Diesist die exakte Umkehrung der Verhaltnisse, wie wir sie bei fixen Wechselkursenvorgefunden haben. Expansive Geldpolitik im Regime flexibler Wechselkursekann aber nicht, wie oben dargestellt, einfach nur positiv bewertet werden,da aufgrund der induzierten Abwertungseffekte Output und Beschaftigung imAusland durch sie negativ tangiert sein konnten. Hier, aber nicht nur hier, ent-steht deshalb die Frage nach den Ruckwirkungen einer solchen Politik uberinduzierte Auslandsreaktionen. Solche Ruckwirkungseffekte konnen hier je-doch nicht naher thematisiert werden.

Zusammenfassend ergibt sich damit folgendes Ergebnis uber die Rolle vonFiskal– und Geldpolitik bei festen oder flexiblen Wechselkursen, e bzw. e.

Tabelle 3.5. Zur Effektivitat von Fiskal– und Geldpolitik

e e

Fiskalpolitik Maximal effektiv Vollig ineffektiv

Geldpolitik Vollig ineffektiv Maximal effektiv

Page 167: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

154 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

Maximal effektiv bedeutet hier, dass expansive Fiskalpolitik nunmehr vonkeinem partiellen Crowding–Out bei der Investitionsguternachfrage begleitetwird (r = ra) und bei expansiver Geldpolitik, dass diese nicht nur Zinssen-kungseffekte hervorruft, sondern auch Abwertungen der e bedingt, so dassdie Summe aus Investitionsguternachfrage I und Außenbeitrag A ansteigt,bis wieder r = ra erreicht ist.

Die grundlegende Keynes’sche Kausalkette in einer geschlossenen Volks-wirtschaft39

r → I(r − πe) = S(Y ) → Y → Ld,

die uber die Vermogensmarkte den Zinssatz r bestimmt und hieruber dasInvestitionsvolumen I und (uber das Gutermarktgleichgewicht) den OutputY sowie die Beschaftigung Ld festlegt, lautet im Falle einer kleinen offenenVolkswirtschaft bei festen Wechselkursen wie folgt40

ra → I(ra − πe) + A(Y, e/p) = S(Y ) → Y =1

s + j(. . .) → Ld.

Preissenkungen (aufgrund von Lohnsenkungen) und Geldmengenerhohungenwirken hier nicht mehr im Sinne des Keynes–Effekts zinssenkend und damitpositiv auf Investitionen, Gutermarktgleichgewicht und Beschaftigung ein, dader heimische Zinssatz durch den Weltzinssatz jetzt fixiert ist.41 Geldpolitikist damit, wie schon gezeigt, vollig ineffektiv, wahrend Lohn– und Preissen-kungen jetzt auf andere Art und Weise expansiv wirken, namlich uber denrealen Wechselkurs e/p auf den Außenbeitrag und damit auf Produktion undBeschaftigung. Das Resultat einer solchen Lohn– und Preissenkung kann aller-dings gleichwertig durch eine entsprechende Abwertung , e ↑, erreicht werden.

Bei flexiblen Wechselkursen ergibt sich anstelle der obigen Wirkungskettenals radikaler Umbau des Keynes’schen Ansatzpunktes

r = ra → M/p = kY + h0 − h1ra → Y → Ld,

d.h. die Gutermarktgleichgewichtsbedingung und der Multiplikatorprozesssind fur diese Kausalitatskette jetzt irrelevant geworden. Ein Keynes–Effektauf das Zinsniveau und die Investitionen ist auch hier nicht mehr vorhanden.Stattdessen funktioniert die Wirtschaft bei flexiblen Wechselkursen so, als obdie reine Quantitatstheorie des Geldes vorliegen wurde, wahrend die IS-Kurvedurch sich anpassende Wechselkurse lediglich das durch den Geldmarkt her-vorgerufene Ergebnis bestatigt.

Lohn– und Preissenkungen wirken hier uber den Geldmarkt unmittelbarauf den Output Y expansiv ein und fordern damit auch die Beschaftigung Ld.

39 Vgl. dazu Abschnitt 3.2.40 pa = 1.41 Es gilt daher wieder die Multiplikatortheorie im engeren Sinne, ohne Ver-

drangungseffekte uber Zinssteigerungen, so als ob die Situation einer Liquiditats-falle vorliegen wurde.

Page 168: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.7 Wechselkurserwartungen und uberschießende Wechselkurse 155

Alternativ dazu steht jetzt auch wieder Geldpolitik, M ↑, zur Verfugung, umgleiches zu erreichen, da flexible Wechselkurse der Zentralbank die Kontrolleuber die heimische Geldbasis belassen.

Wir beenden damit hier unsere IS-LM Gleichgewichtsanalyse des Außen-handels auf der Grundlage von vollkommen mobilem Kapitalverkehr, bei demWechselkursanderungserwartungen noch keine Rolle spielten. Der interessier-te Leser findet bei Dornbusch/Fischer (1995, Kap. 6) weitere Ausfuhrungendazu, die in den Kontext des hier Besprochenen passen und unsere Darstel-lung sinnvoll abrunden. Der folgende Abschnitt 3.7 wird das Modell diesesAbschnitts um eine explizite Wechselkursdynamik erweitern und damit ein-hergehend auch Erwartungen uber die Anderungen von Wechselkursen in dieAnalyse integrieren.

3.7 Wechselkurserwartungen und uberschießendeWechselkurse

Wir haben in Abschnitt 3.6 die IS–LM–Analyse dieses Kapitels fur den Falleiner kleinen offenen Volkswirtschaft reformuliert und dabei bzgl. Geld– undFiskalpolitik bei festen Wechselkursen (e) bzw. flexiblen Wechselkursen (e)die folgenden Resultate erhalten:

Abb. 3.31. Fiskal– und Geldpolitik im offenen IS–LM–Modell

Maßgeblich fur die hier dargestellten Anpassungsprozesse war dabei der Saldoder Zahlungsbilanz

Z = p(X − J) + (pb∆B − epabBa)

gewesen, der bei festen Wechselkursen die Veranderungen der heimischenGeldbasis darstellte und bei flexiblen Wechselkursen die Veranderungsrich-

Page 169: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

156 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

tung des Wechselkurses e bedingte. Wir wollen in diesem Abschnitt nur fle-xible Wechselkurse betrachten und dabei die Beziehung zwischen Z und e,die bisher nur verbal der obigen IS–LM–Analyse hinzugefugt worden war, inelementarer Form formalisieren, um die oben grafisch dargestellten Anpas-sungsmuster auch mathematisch untersuchen zu konnen.

Wir hatten bislang argumentiert, dass der Wechselkurs negativ auf denZahlungsbilanzsaldo Z reagiert, da z.B. Z > 0 ein Uberangebot an $ dar-stellt, was eine Aufwertung, e ↓, nach sich ziehen sollte. Zudem entsprachdas Vorzeichen von Z dem Vorzeichen des Zinsdifferentials r − ra, da z.B.hohere Inlandszinsen Nettokapitalimporte (Bondexporte) bedeuten und dieHandelsbilanz dann stets von der Kapitalbilanz dominiert wird. Eine elemen-tare Formalisierung dieser zwei Beobachtungen ist die folgende:

e = βe(ra − r), βe > 0, (3.33)

wobei hier eine große Anpassungsstarke βe der Wechselkurse e hohe Kapital-mobilitat zum Ausdruck bringen soll. Im Rahmen von Abbildung 3.31. habenwir fruher oft einfach perfekte Kapitalmobilitat unterstellt, also den Grenzfallβe = ∞ betrachtet, wo der heimische Zinssatz r stets mit dem Weltzinssatzra ubereinstimmen muss: e/βe = ra − r = 0. In diesem Fall sind nur dieGleichgewichte in Abbildung 3.31. relevant, wahrend im Fall βe < ∞ derdann stattfindende Anpassungsprozess verbal erortert worden war.

Im Falle solcher ungleichgewichtigen Ubergangsprozesse kann der Prozess(3.33) allerdings noch nicht als vollstandig ausformuliert angesehen werden,da Wechselkursanderungen auch Anderungen bei den Wechselkurserwartun-gen bedeuten sollten, die es zu modellieren gilt. Wechselkurserwartungen sindalso bislang ignoriert worden, was eine deutliche Schwache der bisherigen IS–LM–Analyse offener Volkswirtschaften darstellt. Wie aber konnen Wechsel-kurserwartungen in Gleichung (3.33) integriert werden?

Zur Beantwortung dieser Frage mussen wir die Rendite einer Auslandsan-lage zum Zinssatz ra bestimmen, wobei dabei von einem momentanen Wech-selkurs vom Betrag e und einem erwarteten Wechselkurs ee zum Zeitpunktder Falligkeit der Zinszahlungen ausgegangen werden soll. Fur jede e Aus-landsanlage ergibt sich dann als Rendite inklusive Ruckzahlung ee(1 + ra)/ee, was auch durch

(1 + ra)(1 + ee) = 1 + ra + ee + ra · ee, ee = (ee − e)/e

wiedergegeben werden kann [mit ee als der erwarteten Anderungsrate beimWechselkurs e]. Die Ertragsrate auf eine Auslandsanlage ist damit angenahertdurch ra + ee, die Summe aus Weltzinssatz und erwarteter Wechselkursande-rung gegeben, da demgegenuber ra · ee von zu vernachlassigender Großen-ordnung ist. Die Auslandsanlage wird bei Abwertungserwartungen (ee > 0)durch Kursgewinne in ihrer Rendite uber den nominellen Weltzinssatz hinauserhoht und im gegenteiligen Fall naturlich unter diesen gesenkt. Das fur inter-nationale Kapitalmobilitat und daraus resultierende Wechselkursanderungen

Page 170: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.7 Wechselkurserwartungen und uberschießende Wechselkurse 157

relevante Zinsdifferential ist somit durch ra + ee − r gegeben und Gleichung(3.33) damit wie folgt zu respezifizieren:

e = βe(ra + ee − r). (3.34)

Dies ist die einfachste Form, mit der der Zusammenhang zwischen internatio-nalen Zinsraten und daraus resultierenden Wechselkursanderungen zum Aus-druck gebracht werden kann. So reformuliert weist Gleichung (3.34) aber nochauf eine weitere Unterlassung bei der bisherigen IS–LM–Analyse offener Volks-wirtschaften hin, namlich das Problem, wie Wechselkurserwartungen sich be-stimmen und damit in das nunmehr erweiterte Modell einzufuhren sind.

Dieses Problem soll hier wie in dem grundlegenden Aufsatz von Dornbusch(1976) gelost werden, der die Konsequenzen der Gleichung (3.34) fur die IS–LM–Analyse offener Volkswirtschaften mit dem Phanomen ‘uberschießenderWechselkurse’ in pragnanter Weise in Verbindung gebracht hat. DornbuschsAnsatz zur Darstellung von Wechselkursanderungserwartungen ist regressiverNatur und kann in unserem Kontext wie folgt ausgedruckt werden:

ee = βε(e0/e− 1), βε > 0. (3.35)

In dieser Gleichung bezeichnet e0 den aktuellen Steady–State Wert des Wech-selkurses (den wir noch zu bestimmen haben werden). Abweichungen desWechselkurses e von seinem Steady–State Wert e0 erzeugen gemaß (3.35)Wechselkursanderungserwartungen, die davon ausgehen, dass sich der Wech-selkurs e wieder zum Steady–State e0 zuruckentwickeln wird. Die Anpassungs-starke bei diesem Prozess ist wie auch sonst als konstant angenommen worden,primar aus Grunden der Einfachheit wieder. Die Gleichungen (3.34) und (3.35)stellen die beiden Erganzungen dar, die wir dem IS–LM–Modell der offenenVolkswirtschaft des Anhangs 2 hinzufugen mussen, sollen dynamische Uberle-gungen im obigen Sinne besser fundiert werden. Zu prufen wird sein, inwieweitz.B. die in Abbildung 3.31. dargestellten Implikationen der Geldpolitik der bis-herigen Modellierung offener Volkswirtschaften dann aufrechterhalten werdenkonnen.

Gehen wir wie in Abschnitt 3.6 davon aus, dass der Nettoexport oderAußenbeitrag unserer offenen Volkswirtschaft der Gleichung

A = X − J − jY + vτ, τ = epa/p

genugt und dieser Ausdruck den Bedingungen fur Gutermarktgleichgewichtunseres IS–LM–Modells hinzuzufugen ist. Die IS–LM–Losungen fur Output Yund Zinssatz r, die wir fur die geschlossene Volkswirtschaft in (3.29), (3.30) inAbschnitt 3.4 dargestellt haben, verandern sich durch diesen Zusatz (zunachstbei Y ) wie folgt:

Y = α[A1 + i1/h1 · M/p + i1πe + vτ ], (3.36)

Page 171: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

158 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

wobei die autonomen Terme in A1 jetzt um X − J zu erganzen sind undder Multiplikator α nun auch die marginale Importneigung j enthalt: α =(1− c + i1k/h1 + j). Fur r ergibt sich entsprechend:

r = α[k(A2 + i1πe + vτ) + (1− c + j)(h0 − M/p)/h1], (3.37)

wobei A2 wie A1 gegenuber fruherem zu erweitern ist. Wir betonen, dassim gegenwartigen Kontext sowohl p als auch πe gegebene Großen sind (p =(1 + a)w/y).

In diesem Kontext liefert Gleichung (3.37) zusammen mit (3.34) und (3.35)nun die folgende einfache Wechselkursdynamik fur unser IS–LM–Modell:

e = βe(ra + βε(e0/e− 1)− r), mitr = α0 + α1e− α2M/p, α1, α2 > 0.

Im Steady–State dieser Dynamik gilt wegen ee = 0 per Konstruktion derregressiven Erwartungsbildung e = e0

42 und damit wegen e = 0 auch r = ra,genau wie im fruher behandelten IS–LM–Modell einer offenen Volkswirtschaft(man vgl. hierzu auch die Grafik A1 am Anfang des Abschnitts 3.6). Fur dieAbleitung der rechten Seite dieser nichtlinearen Differentialgleichung gilt nachEinsetzen der Zinsformel des weiteren

e′(e) = −βeβεe0/e2 − βeα1 < 0

d.h. es ergibt sich die folgende Situation

Abb. 3.32. Wechselkursanpassungen

42 Der Steady State Wert eo von e ist durch die LM–Kurve bei Zugrundelegung deslangfristig gultigen Zinsniveaus r = ra bestimmt: eo = (ra−αo +α2M/p)/α1. Erstimmt mit dem Steady State Wert der IS–LM Analyse kleiner offener Volkswirt-schaften des Abschnitts 3.6 uberein, da die neuen Modellgleichungen (3.34),(3.35)keinen Beitrag zur Steady State Analyse leisten.

Page 172: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.7 Wechselkurserwartungen und uberschießende Wechselkurse 159

Der Steady–State des obigen dynamischen Wechselkursmodells ist damit wie-der in offensichtlicher Weise global asymptotisch stabil und der im Zusam-menhang mit Abbildung 3.31. nur verbal begrundete Anpassungsprozess jetztdurch ein explizites Bewegungsgesetz fur den Wechselkurs e erfasst worden.

Expansive Geldpolitik, M ↑, senkt in einem solchen Steady–State denheimischen Zinssatz r zu jedem vorgegebenen Wechselkurs e und verlagertdeshalb die e–Kurve nach rechts, so dass der neue Steady–State e′0 im Ver-gleich zum alten durch eine Abwertung , e0 ↑, gekennzeichnet ist, ganz so, wiedies schon in Abbildung 3.31.a seinen Ausdruck gefunden hat. Unsere obigedynamische Analyse erganzt diesbezuglich nur folgendes:

Abb. 3.33. Expansive Geldpolitik und Abwertungsdynamik

Sie fugt der fruheren IS–LM–Analyse offener Volkswirtschaften lediglich ei-ne explizite Darstellung des Anpassungsprozesses des Wechselkurses e 43 unduber (3.36), (3.37) des Zinssatzes r hinzu (e ↑, r ↑, Y ↑), bis wieder das ‘lang-fristige’ Wechselkursgleichgewicht eo = (ra − αo + α2M/p)/α1 erreicht ist.Man beachte hier, dass wahrend dieses Prozesses das gleichgewichtige Brut-toinlandsprodukt Y gemaß Gleichung (3.36) ebenfalls monoton ansteigt (τ ↑)und Geld wegen der fehlenden Anpassung beim Preisniveau nicht ‘neutral’sein kann, sondern solche Geldpolitik wegen der auch langfristig erfolgendenAbwertung der e den Output langfristig steigern muss (ro = ra).44

43 Dieser durchlauft, dem sich wieder schließenden Zinsdifferential ra+ee−r folgend,schwacher werdende Abwertungsrunden.

44 Ein Problem dieser Analyse verzogerter Wechselkursanpassungen ist, dass Zins-und Outputanpassungen hier stets als unendlich schnell vonstatten gehend ange-nommen worden sind, da stets ein (in der Zeit variierendes) Geld- und Guter-marktgleichgewicht herrscht. Zumindest bei Anpassungsvorgangen am Guter-markt sollte deshalb spater – zusammen mit trager Preisanpassung – auch eine

Page 173: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

160 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

Die Analyse dieses Abschnitts bestatigt damit nur das in Abbildung 3.31.afur die Wirkung von Geldpolitik bei flexiblen Wechselkursen Dargestellte. Ent-sprechendes kann fur den Fall einer expansiven Fiskalpolitik gezeigt werden.Schließlich gilt, dass vollkommene Kapitalmobilitat, βe = ∞,45 uns stets di-rekt in das neue Gleichgewicht versetzt und damit die in Abbildung 3.31.adargestellten Anpassungsprozesse durch einen Sprung, der unmittelbar insneue Gleichgewicht fuhrt, zu ersetzen sind (vgl. die obige Abbildung 3.33.).

Das wesentliche Fazit dieses Abschnitts ist, dass eine explizite Modellie-rung der Kapitalmobilitat im IS-LM Rahmen durch eine entsprechende Diffe-rentialgleichung, die auch Wechselkursanderungserwartungen berucksichtigt,nichts an unseren fruheren Analysen der Wirkung von Geld– und Fiskalpolitikin einer offenen keynesianischen Volkswirtschaft andert und insbesondere kei-ne Grundlage dafur hergibt, hinsichtlich der langfristigen Gleichgewichtswerteuberschießende Wechselkursreaktionen46 und damit eine u.U. zu hohe Vola-tilitat der Wechselkurse in diesem Kontext herleiten zu konnen. Wir werdenim nachsten Kapitel sehen, dass sich dies in spezifischer Form andern kann,wenn die mittelfristige Reaktion der Lohne und damit der Guterpreise – diedann die Outputexpansion begleiten – in Rechnung gestellt wird.

3.8 Probleme keynesianischer Globalsteuerung

Die folgenden Uberlegungen sollen dazu dienen, die bisher vorgestellte Analysezur Wirkungsweise von Fiskal- und Geldpolitik zum einen kritisch zu uberden-ken und zum anderen aufzuzeigen, welche Anderungen sich ergeben, wenn wei-tere Faktoren in diese Analyse aufgenommen werden. Hierbei wird es zunachstum zwei erganzende Betrachtungen zur Konsumnachfrage gehen, namlich die

trage Mengenanpassung ins Auge gefasst werden, also von der Annahme per-manenten Gutermarktgleichgewichts Abstand genommen werden. Es ist dannwiederum zu untersuchen, was die obige Wechselkursdynamik im Kontext solcheiner tragen Preis-Mengen-Dynamik impliziert. Gegenwartig mag man unsere obi-ge Analyse dahingehend interpretieren, dass sie lediglich die vorhandene IS-LMAnalyse kleiner offener Volkswirtschaften um die dabei i.a. nur verbal erortertenWechselkursreaktionen auch formal gesehen – den verbalen Außerungen folgend– erganzt hat.

45 Dies ist gleichbedeutend mit der permanenten Gultigkeit der Zinsparitatsregelra + ee = r.

46 Uberschießende Wechselkursreaktionen kommen – wie wir spater noch sehen wer-den – zustande, wenn eine Situation eintritt, wo expansive Geldpolitik langfristigdie Preise und die Wechselkurse erhohen muss (eine Abwertung der e erzeugt),aber das zunachst induzierte Zinsdifferential ra − r > 0 aufgrund einer raschenWiederherstellung der Zinsparitat ra + ee − r = 0 Aufwertungserwartungen er-zwingt, die nur bei einer ubermaßigen Abwertung zustandekommen konnen. Imobigen IS-LM Modell ist dieser Fall ausgeschlossen, da die Wiederherstellung derZinsparitat zeitgleich mit der Erreichung des langfristigen Gleichgewichts statt-findet.

Page 174: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.8 Probleme keynesianischer Globalsteuerung 161

auf M. Friedman zuruckgehende Permanent–Einkommens–Hypothese und dieLebenszyklushypothese von F. Modigliani. Als nachstes werden wir einenBlick auf das Barro–Ricardianische Aquivalenztheorem werfen, welches einealternative Sichtweise der expansiven Wirkungen eines ‘deficit spending’ bie-tet. Einige Uberlegungen zu Wirkungsverzogerungen im Zusammenhang mitStabilisierungspolitik schließen diesen Abschnitt ab. Ausdrucklich sei daraufhingewiesen, dass sich die folgenden Ausfuhrungen inhaltlich in weiten Tei-len an Dornbusch/Fischer (1995) anlehnen, wo der interessierte Leser aucheine Fulle von weiterfuhrenden Erorterungen zu den hier nur angeschnittenenThemen findet.

3.8.1 Permanenteinkommens–Hypothese undMultiplikator–Effekte

Wahrend die bisherigen Uberlegungen von einer ausschließlichen Abhangigkeitdes Konsums vom laufenden Einkommen47 und einem dementsprechend engenZusammenhang zwischen beiden Großen ausgingen, wurde hieran, nicht zu-letzt mit Blick auf die Empirie, Kritik geubt, derzufolge die privaten Haushalteihrer Konsumplanung eher eine langfristige Perspektive zugrundelegen. Die-se, von M. Friedman (1957) vorgetragene sog. Permanenteinkommens–Theorienimmt dementsprechend an, dass sich eine Veranderung des laufenden Ein-kommens nur in dem Maße in den Konsumausgaben niederschlagt, wie dieseEinkommensanderung als permanent angesehen wird.

Zur Verdeutlichung dieser Theorie und der durch sie bewirkten neuartigenMultiplikatoreffekte wollen wir hier der Einfachheit halber unterstellen, dassdie Haushalte bei der Bestimmung dessen, was sie als permanentes Einkom-men betrachten (und damit ihren Konsumplanen zugrundelegen), nunmehreine Konvexkombination von laufendem Einkommen und dem Einkommender Vorperiode vornehmen:

Y perm = ΘY + (1−Θ)Y−1

Dementsprechend ergibt sich dann als Konsumnachfrage:

C = c · Y perm = cΘY + c(1−Θ)Y−1

Somit lautet die Gleichung fur das Gutermarkt–Gleichgewicht jetzt wie folgt:

Y = C + A = cΘY + c(1−Θ)Y−1 + A

mit A als Sammelterm fur die autonomen Ausgaben. Aufgelost nach demlaufenden Einkommen Y ergibt sich:

Y =1

1− cΘA +

c(1−Θ)1− cΘ

Y−1

47 Die Unterscheidung in gesamtes und disponibles Einkommen lassen wir hier ausGrunden der Vereinfachung unberucksichtigt.

Page 175: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

162 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

Eine kurzfristige Veranderung eines autonomen Ausgabenterms wirkt jetztalso nur noch in Hohe des Multiplikators 1

1−cΘ , der kleiner ist als der bisherigeMultiplikator 1

1−c (von Zinseffekten und Crowding–Out sehen wir hier derEinfachheit halber ab). Diese Wirkung betrifft jedoch nur die kurze Sicht.Ist demgegenuber die momentane Einkommensanderung von Dauer, d.h. giltY = Y−1, ergibt sich:

Y =1

1− cΘA +

c(1−Θ)1− cΘ

Y

⇔ Y =1

1− cA,

d.h. langfristig wirkt wieder der bisherige Multiplikator in voller Hohe. Zuunterscheiden ist somit jetzt zwischen einem Kurzfristmultiplikator αSR =

11−cΘ und einem Langfristmultiplikator αLR = 1

1−c bei einer Anderung derautonomen Ausgaben um den Betrag ∆A. Den Anpassungsprozess hin zumlangfristigen IS–Gleichgewicht kann man sich dabei wie folgt vorstellen:

∆Y0 =1

1− cΘ∆A

∆Y1 =c(1−Θ)1− cΘ

∆Y0 =c(1−Θ)1− cΘ

11− cΘ

∆A

∆Y2 =c(1−Θ)1− cΘ

∆Y1 =(

c(1−Θ)1− cΘ

)2 11− cΘ

∆A

...

...

∆Yt =c(1−Θ)1− cΘ

∆Yt−1 =(

c(1−Θ)1− cΘ

)t 11− cΘ

∆A

Diese Gleichungen besagen, dass es weitere durch den kurzfristigen Einkom-mensanstieg induzierte Konsumausgaben gibt, auf die jeweils der kurzfristigeMultiplikator anzuwenden ist. Der kumulative Effekt ergibt sich somit als:

t∑

i=0

=1

1− cΘ∆A ·

t∑

i=0

(c(1−Θ)1− cΘ

)i

=1

1− cΘ∆A · 1− ( c(1−Θ)

1−cΘ )t+1

1− c(1−Θ)1−cΘ

Der Grenzubergang t →∞ liefert dann:

limt→∞

t∑

i=0

=1

1− cΘ∆A

1− ( c(1−Θ)1−cΘ )t+1

1− c(1−Θ)1−cΘ

=1

1− cΘ·∆A

1

1− c(1−Θ)1−cΘ

=1

1− c∆A,

da c(1−Θ)1−cΘ < 1 gilt. Das entscheidende Resultat in diesem Zusammenhang

besteht also darin, dass die volle Multiplikatorwirkung zwar schon zur Ent-faltung kommt, allerdings nur mit einer entsprechenden zeitlichen Verzoge-rung. Kurzfristig ist der Multiplikatoreffekt demgegenuber umso niedriger,

Page 176: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.8 Probleme keynesianischer Globalsteuerung 163

je geringer das Gewicht Θ des laufenden Einkommens bei der Bildung desPermanenteinkommens Y perm ausfallt.

Expansiv angelegte Fiskalpolitik muss deshalb unter Umstanden erhebli-che Wirkungsverzogerungen bei ihrem Timing in Rechnung stellen oder sichansonsten auf nur sehr geringe Multiplikatorwirkungen einstellen.

3.8.2 Lebenszyklus–Hypothese und Vermogens–Effekte

In eine ahnliche Richtung wie die zuvor behandelte Permanenteinkommens–Theorie geht die sog. Lebenszyklushypothese von Modigliani, Brumberg undAndo. Hierbei wird davon ausgegangen, dass der einzelne Haushalt sein Le-benseinkommen und sein Vermogen moglichst gleichmaßig uber seine Lebens-zeit verteilen mochte. Unsere Betrachtung beschrankt sich dabei auf das Ar-beitseinkommen und nimmt weiterhin vereinfachend an, dass letzteres in je-dem Zeitpunkt gleich ist. Des weiteren wird von den folgenden Daten ausge-gangen:

t1: Lange des Erwerbslebens (z.B. t1 = 65)t2: Lebensende (z.B. t2 = 80)t: momentanes Lebensalter (z.B. t = 40)W : Realwert des Vermogens in tωL: reales Lohneinkommen in jedem Zeitpunkt

Zum Zeitpunkt t sieht sich der betrachtete Haushalt nun einem noch zu er-wartenden Arbeitseinkommensstrom in Hohe von (t1 − t)ωL sowie seinembereits vorhandenen Realvermogen W gegenuber. Will er, wie angenommen,beide Ressourcen gleichmaßig uber den Rest seines Lebens, t2 − t, verteilen,so ergibt sich fur ihn als Lebenszeit–Budgetrestriktion:

W +(t1−t)ωL = C ·(t2−t) fur t ≤ t1 und W = C ·(t2−t) fur t1 < t ≤ t2,

wobei C fur den realen Konsum in jedem Zeitpunkt steht. Aufgelost ergibtsich dann:

C =t1 − t

t2 − tωL+

1t2 − t

W fur t ≤ t1 und C =1

t2 − tW fur t1 < t ≤ t2,

also mit den eingangs aufgefuhrten Beispieldaten

C = 0.625ωL + 0.025W.

Im allgemeinen spart das Individuum also wahrend seines Erwerbslebens im-mer einen Teils seines Einkommens (es sei denn, seine Anfangsausstattungan Vermogen, W0, ist sehr hoch), wobei diese Ersparnis sein Vermogen ver-großert. Wahrend des Ruhestandes werden die Konsumausgaben dann stetsaus dem bis dahin angefallenen Vermogen bestritten, welches am Lebensende(bei korrekter Antizipation desselben) vollstandig aufgebraucht ist.

Page 177: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

164 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

In bezug auf die gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen ist nun zu beachten,dass sich die bisherigen Ausfuhrungen auf ein einzelnes Wirtschaftssubjekt be-zogen haben, die Aggregation also ohne weitere Annahmen nicht moglich ist.Hier wollen wir jedoch nicht weiter ins Detail gehen und einfach annehmen,dass sich dabei eine aggregierte Konsumfunktion ergibt, die von einem ahnli-chen Typ ist wie die obige individuelle Konsumfunktion:

C = c · ωLd + a · M

p,

wobei jetzt das tatsachlich erzielte reale Arbeitseinkommen ωLd relevant istund die vorhandene Realkasse M

p hier fur das Realvermogen steht.Hinsichtlich des IS–LM–Systems wurde jetzt also uber die reale Lohn-

summe ein Einkommensverteilugseffekt auftreten und uber Mp ein Realkas-

seneffekt hinzukommen. Wahrend der erstere zur Folge hat, dass jetzt auchVerteilungsaspekte bei der aggregierten Nachfrage zum Tragen kommen, be-wirkt der letztere, dass Lohn- und Preisniveausenkungen nun auch bei Vor-liegen einer Investitions– oder Liquiditatsfalle eine Einkommensexpansion indie Wege leiten, indem uber das dann steigende Realvermogen der Konsumgesteigert und die IS–Kurve nach rechts verschoben wird. Nach seinem ‘Ent-decker’ A.C. Pigou ist dieser Realkassen-Effekt auch unter der Bezeichnung‘Pigou–Effekt’ bekannt. Dieser Pigou-Effekt verstarkt den fruher behandelten(Vollbeschaftigung stabilisierenden) Keynes-Effekt, da durch ihn weitere unddirektere Expansionseffekte in bezug auf die aggregierte Nachfrage bei einemabsinkenden Lohn- und Preisniveau zustandekommen.

Denkbar ist schließlich auch eine Kombination aus diesem Ansatz und derzuvor besprochenen Permanenteinkommens–Hypothese, etwa in der folgendenForm:

C = cY perm + a

(M

p+ K +

Bg · pb

p

),

wobei sich die Berucksichtigung des Realvermogens hier nicht wie oben aufdie Realkasse beschrankt, sondern noch das vorhandene Realkapital und denRealwert des Bondbestands als Vermogenskomponenten ausweist.

Somit hatten also auch Veranderungen bei den anderen Vermogensbe-standteilen eine Wirkung auf den Konsum und damit auf die IS–Kurve.

3.8.3 Das Barro-Ricardianische Aquivalenztheorem zwischenSteuer– und Schuldenfinanzierung

Wie wir aus fruheren Uberlegungen wissen, war die expansive Wirkung einerschuldenfinanzierten Staatsausgabenerhohung großer als die einer steuerfinan-zierten. Der Grund bestand in dem begleitenden kontraktiven Effekt, den dieSteuererhohung uber das disponible Einkommen auf den privaten Konsumausubte und der bei einer schuldenfinanzierten Expansion kein Pendant fand.Demgegenuber wurde von R. Barro ein bereits auf D. Ricardo zuruckgehendes

Page 178: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.8 Probleme keynesianischer Globalsteuerung 165

Argument wieder aufgegriffen, demzufolge die Wirkung beider Finanzierungs-arten gleich ist, zwischen ihnen also eine ‘Aquivalenz’ besteht.

Der Grundgedanke dieses Arguments besteht darin, dass eine Schulden-finanzierung von Staatsausgaben, also eine Emission von Bonds, den Staatin der Zukunft zu einem entsprechenden Schuldendienst verpflichtet, der ihndazu zwingt, kunftig die Steuern anzuheben. Sehen die Haushalte dies nun vor-aus, so ist eine Schuldenfinanzierung von Staatsausgaben letztlich das gleichewie eine abdiskontierte kunftige Steuererhohung, so dass der Staat eigentlichauch gleich die Steuern hatte heraufsetzen konnen.

Betrachten wir diesen Ansatz nun etwas genauer und gehen wir der Ein-fachheit halber von Fixpreisbonds aus, d.h. pb = 1. Ist mit Bg der Bestandan staatlichen Bonds und mit r der Zinssatz gegeben, den der Staat auf diesezu zahlen hat, so ergibt sich als Barwert der zukunftigen Zinsbelastung:

D =∫ ∞

0

rBge−rtdt = rBg(−1

re−rt)|∞0 = rBg[0− (−1

r)] = Bg.

Der Barwert der Zinszahlungen ist also mit dem Wert des Bondbestandes ge-rade identisch. Umgekehrt stellt D dann auch den Barwert der kunftigen Steu-ererhohungen dar. Sehen wir uns nun das Vermogen der privaten Haushaltenan und stellen dabei in Rechnung, dass diese die kunftigen Steuererhohungen,die ihr Vermogen schmalern werden, perfekt voraussehen, so ergibt sich:

W =M

p+ K +

Bg

p− D

p=

M

p+ K.

Der Vermogensbestandteil, der aus staatlichen Wertpapieren besteht, wirdalso durch den Barwert der dadurch induzierten kunftigen Steuererhohungengerade kompensiert, so dass sich die gleiche Wirkung ergibt, als wenn dieHaushalte gar keine staatlichen Wertpapiere besaßen.

Wie wirkt sich dieser Sachverhalt nun auf den Konsum aus? Wie wir wis-sen, bemisst sich dieser nach dem verfugbaren Einkommen, welches nun alsdas Einkommen definiert wird, welches konsumiert werden konnte, ohne dabeidas vorhandene Vermogen zu verandern. Anders ausgedruckt: Das verfugbareEinkommen ist derjenige potentielle Konsum, bei dem gerade W = 0 gel-ten wurde. Legen wir dabei noch den eben hergeleiteten Vermogensbegriffzugrunde, so folgt:

W =M

p− M

p2· pe + K

Berucksichtigt man nun noch die staatliche Budgetrestriktion48

M

p= G− T − Bg

p

48 Die Steuern sind hier – wie bisher – um die Zinszahlungen des Staates bereinigtausgewiesen.

Page 179: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

166 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

sowie die Beziehungen pe

p = πe und K = I, so folgt fur W :

W = G− T − Bg

p− M

p· πe + I.

Hierin wiederum lasst sich G noch anders ausdrucken, wenn man die Gleichungfur die aggregierte Nachfrage ins Auge fasst:

Y = C + I + δK + G → G = Y − C − I − δK

⇒ W = Y − δK − T − M

pπe − Bg

p− C

Jetzt bestimmen wir den Konsum C∗, der dieses Vermogen W gerade un-verandert lasst:

W = 0 ⇔ Y − δK − T − M

pπe − Bg

p− C∗ = 0

⇔ C∗ = Y − δK − T − M

pπe − Bg

p

Gemaß unserer neuen Definition des disponiblen Einkommens ist das ebenhergeleitete Konsumniveau C∗ gerade mit diesem identisch, so dass gilt:

Y D = Y − δK − T − M

pπe − Bg

p

Im Vergleich zu unserer fruheren Definition, Y D = Y −δK−T , sind jetzt alsonoch die beiden Terme −πeM/p und Bg/p hinzugekommen, durch welche die(erwartete) Vermogensentwertung bzw. –schmalerung berucksichtigt wird, diedurch die erwartete Inflation πe und die durch die Erhohung der Staatsschuldbedingten kunftigen Steuererhohungen verursacht wird.

Bezieht sich nun der tatsachliche Konsum, der typischerweise von C∗ ab-weicht, auf das so definierte disponible Einkommen, so folgt:

C = c

(Y − δK − T − M

pπe − Bg

p

)

Auf Basis dieses Ergebnisses ist es dann offenbar in der Tat egal, ob eineStaatsausgabenerhohung direkt uber hohere Steuern (T ↑) oder durch zusatz-liche Verschuldung Bg/p > 0 finanziert wird, da sich in beiden Fallen derselbekontraktive Effekt auf den Konsum ergibt.

Somit folgt, sofern wir von Zinseffekten absehen, fur den Staatsausgaben-multiplikator:

dY

dG|dG=dT =

dY

dG|dG=d

Bgp

= 1

Bei Berucksichtigung von Zinseffekten wurde sich diese Wirkung durch Crow-ding-out-Effekte noch weiter verringern:

Page 180: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.8 Probleme keynesianischer Globalsteuerung 167

dY

dG|dG=dT =

dY

dG|dG=d

Bgp

=1− c

1− c + i1kh1

< 1

Schuldenfinanzierung hatte also genauso einen geringen expansiven Effekt wieSteuerfinanzierung, so dass eigentlich nur die Geldfinanzierung als sinnvolleAlternative ubrigbliebe.

Allerdings ist bei dem vorgestellten Ansatz zu beachten, dass die unter-stellten Annahmen keineswegs so zwingend sind, wie sie auf den ersten Blickerscheinen mogen. Denn immerhin sind Steuererhohungen nicht der einzigeWeg, durch den der Staat seinen kunftigen Schuldendienst leisten kann. Denk-bar sind sowohl Ausgabenkurzungen als auch eine Monetisierung der Schuld.Zwar schreibt Barro letzterer Maßnahme einen ahnlichen Effekt zu, wie esin seinem Aquivalenztheorem zum Ausdruck kommt, dies liegt jedoch an sei-ner quantitatstheoretischen Annahme, das Preisniveau stiege stets in gleichemMaße wie die Geldmenge49, was jedoch im IS–LM–Modell nicht der Fall ist.

Es bleibt somit letztlich Ansichtssache, inwieweit man dem Barro–Ricardia-nischen Aquivalenztheorem folgt oder nicht, insbesondere wenn man die obi-ge Redefinition des wahrgenommenen privaten Vermogens aus empirischenGrunden als fragwurdig ansieht.

3.8.4 Wirkungsverzogerungen und Stabilisierungspolitik

Bei unseren fruheren Uberlegungen zur Fiskal– und Geldpolitik sind wir stetsdavon ausgegangen, dass deren Wirkungen unmittelbar erfolgen, was naturlicheine grobe Vereinfachung darstellt. Zwar haben wir schon uber die Multipli-katorprozesse einen gewissen Zeitbedarf bis zur Anpassung an das jeweiligeneue Gleichgewicht in Rechnung gestellt, die primare Wirkung etwa einerStaatsausgaben– oder Geldmengenerhohung jedoch stets als frei von Verzoge-rungen unterstellt.

Demgegenuber ist in der Realitat eine Vielzahl von Wirkungsverzogerun-gen (Wirkungslags) anzutreffen, von denen hier die wichtigsten kurz genanntwerden sollen. Zunachst ist zwischen einem Innenlag und einem Außenlag zuunterscheiden. Der erstere ist ein Oberbegriff fur alle Verzogerungen, die vonder Entstehung einer okonomischen Storung – etwa einem Nachfrageeinbruch– bis zur Durchfuhrung einer entsprechenden Gegenmaßnahme entstehen. DerAußenlag bezieht sich demgegenuber auf die zeitliche Verteilung der Wirkun-gen einer Maßnahme nach ihrer Durchfuhrung.

Der Innenlag zerfallt seinerseits noch einmal in einen Erkenntnislag, einenEntscheidungslag und einen Durchfuhrungslag. Der Erkenntnislag beziehtsich, wie der Name schon sagt, auf die Zeitspanne zwischen Auftreten einerStorung und ihrem Erkennen durch die ‘zustandigen’ politischen Instanzen.Daran schließt sich der Entscheidungslag an, der auf den Zeitbedarf abstellt,

49 R. Barro, Macroeconomics, 1987, 2. Auflage, S.396.

Page 181: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

168 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

der vonnoten ist, um eine Entscheidung uber die zu ergreifenden Maßnah-men herbeizufuhren. Der Durchfuhrungslag schließlich erfasst den Zeitraumzwischen einer Beschlussfassung und der Umsetzung desselben.

Wie sich leicht vorstellen lasst, konnen diese Verzogerungen in ihrer Ge-samtheit dazu fuhren, dass eine an und fur sich richtige Maßnahme erst dannzu wirken beginnt, wenn die entsprechende Storung bereits verschwunden ist;so konnen beispielsweise in einer Boom–Phase zur Eindammung der inflati-onaren Tendenzen beschlossene kontraktive Maßnahmen erst in der Rezessionihre Wirkung entfalten und diese damit verstarken. Aus einer stabilisierenden,antizyklisch intendierten Politik kann daher unter Umstanden eine prozykli-sche werden. Nicht zuletzt deswegen kommt sog. ‘automatischen Stabilisa-toren’ wie beispielsweise der Einkommensteuer oder der Arbeitslosenversiche-rung eine wichtige Bedeutung zu, da diese auf sich andernde Konjunkturlagenautomatisch und in der erforderlichen Richtung reagieren. So verringert sichbei rucklaufigem Einkommen uber die Einkommenssteuer uno actu die Steuer-belastung der Wirtschaftssubjekte, wahrend sie in Zeiten der Hochkonjunktursteigt. Ebenso nehmen in der Rezession die Ausgaben der Arbeitslosenversi-cherung zu und ihre von den Wirtschaftssubjekten erhobenen Einnahmen ab,wahrend sich im Boom diese Verhaltnisse gerade umkehren. Somit liegt mitdiesen automatisch reagierenden Abgaben und Transferleistungen ein Regel-werk vor, das geeignet erscheint, die konjunkturellen Wechsellagen zu glatten.Als Problem bleibt aber, ob sie von ihrer Großenordnung her ausreichen, einehinreichend starke Gegenwirkung auf den Konjunkturverlauf zu entfalten.

Ist der Stabilisierungserfolg daher von zusatzlichen geld– oder fiskalpoliti-schen Maßnahmen abhangig, so erhebt sich die Frage, ob an die Stelle einerfallweisen Politik nicht besser eine Regelbindung treten sollte, um zumindestden Innenlag auszuschalten. Praktisch wurde dies bedeuten, dass bei Unter–oder Uberschreitung bestimmter okonomischer Kennziffern automatisch ent-sprechende Maßnahmen seitens der geld– oder finanzpolitischen Instanzen er-griffen werden mussten. Der Nachteil solcher Regeln ist allerdings u.a. darinzu sehen, dass in diesem Zusammenhang wichtige okonomische Großen wiebeispielsweise die verschiedenen Multiplikatoren im allgemeinen in der Zeitnicht konstant sind. Somit ware eine standige Anpassung der Regeln an diejeweils aktuellen Werte notwendig. Dies aber wurde wiederum entsprechendeLags hervorrufen, so dass eine solchermaßen modifizierte Regelbindung letzt-lich mit den gleichen Schwierigkeiten zu kampfen hatte wie eine diskretionarePolitik.

Sofern man aber auf eine solche, fallweise entscheidende Politik mit allihren genannten Schwachen weiterhin angewiesen ist, stellt sich als nachstesdie Frage, ob und ggfs. wie sich Fiskal– und Geldpolitik mit Blick auf dieverschiedenen Time–lags unterscheiden.

Dabei wird rasch erkennbar, dass die unter dem Innenlag zusammengefass-ten Wirkungsverzogerungen bei der Fiskalpolitik typischerweise großer seindurften als bei der Geldpolitik, da erstere normalerweise mit langer andau-ernden und kontrovers gefuhrten politischen Entscheidungsprozessen verbun-

Page 182: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.8 Probleme keynesianischer Globalsteuerung 169

den sind, wahrend sich das zustandige Gremium der Zentralbank regelmaßigzusammensetzt und im allgemeinen auch schneller zu einer Beschlussfassunggelangt.

Demgegenuber durfte der Außenlag bei der Geldpolitik hoher zu veran-schlagen sein, da solche Maßnahmen, wie beispielsweise eine Diskontsatzande-rung, nur indirekt wirken; so ist beispielsweise keineswegs sicher, ob dieGeschaftsbanken eine Senkung der Leitzinsen auch an ihre Kreditnehmer, al-so z.B. die Investoren, weitergeben. Fiskalpolitische Maßnahmen, so sie dennerst einmal beschlossen sind, durften damit verglichen relativ rasch wirken,da z.B. ein staatliches Ausgabenprogramm die Nachfrage unmittelbar erhoht.

Abschließend lasst sich festhalten, dass offensichtlich ein Dilemma bestehtzwischen der Notwendigkeit einer diskretionaren Fiskal– und Geldpolitik ei-nerseits und den mit ihr verbundenen Wirkungsverzogerungen andererseits.Erst recht ist vor diesem Hintergrund ein ‘Finetuning’ der okonomischen Ak-tivitat als außerst schwierig einzuschatzen.

3.8.5 Fazit

Wie wir in den vorausgegangenen Abschnitten gesehen haben, sind mit Blickauf eine Erweiterung des IS–LM–Ansatzes in Richtung Realitat eine ganzeReihe zusatzlicher Faktoren und Zusammenhange in dieses Modell einzubin-den, wobei die vorgestellte Auswahl naturlich keineswegs erschopfend ist. Da-bei ergaben sich im Zusammenhang mit der Permanenteinkommens–Theorie,der Lebenszyklushypothese, dem Barro–Ricardianischen Aquivalenztheoremund der Berucksichtigung von Wirkungsverzogerungen bei der Geld– und Fis-kalpolitik Einflusse, die traditionelle keynesianische Schlussweisen z.T. deut-lich abschwachten.

In Anbetracht der jeweils unterschiedlichen Politikimplikationen der ein-zelnen Effekte, gerade was die jeweilige quantitative Wirkung von Geld– undFiskalpolitik betrifft, drangt sich der Eindruck auf, dass die – qualitative –Diagnose der jeweiligen wirtschaftlichen Lage offenbar einfacher ist als die– quantitative – Therapie. Generell sollten samtliche vorgestellten Ansatzedaher eher als Denkmodelle aufgefasst werden und nicht als unmittelbarewirtschaftspolitische Handlungsanweisung.

Zum Schluss sei noch auf eine bemerkenswerte Eigenschaft verwiesen, dieallen bisher betrachteten Modellvarianten des IS–LM–Ansatzes gemeinsamwar: Zu jedem gegebenen Nominallohnsatz und somit jedem gegebenen Preis-niveau existierte bei gegebenen Werte aller ubrigen Parameter und Variablenstets (genau) ein Geldmengenvolumen, mit dem ein Output in Hohe der Voll-beschaftigungsproduktion herbeigefuhrt werden konnte. Somit erhebt sich dieFrage, wieso dieses Geldmengenvolumen zumindest mit Blick auf die mittle-re Sicht nicht bereitgestellt wird. An dieser Stelle mochten wir es jedoch beider Fragestellung bewenden lassen, da die Analyse der mittleren Sicht erst inKapitel 4 erfolgt.

Page 183: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

170 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

3.9 Diverse Zusatzuberlegungen

3.9.1 Geschaftsbanken und endogenes Geldangebot

Bisher waren wir implizit davon ausgegangen, dass der Geldschopfungspro-zess allein von der Zentralbank betrieben wird. Nun wollen wir einen wichti-gen Schritt auf die Realitat zugehen, indem wir einen Geschaftsbankensektoreinfuhren, wodurch, wie wir sehen werden, zum einen das Geldangebot en-dogenisiert wird und zum anderen auch Effekte wie eine Veranderung desMindestreserve– oder Refinanzierungssatzes in einem entsprechend erweiter-ten IS–LM–Rahmen analysierbar werden. Die hier nur kurze Darstellung ori-entiert sich wieder weitgehend an Dornbusch/Fischer (1995).

Um den Geschaftsbankensektor in unser bisheriges IS–LM–Modell zu in-tegrieren, benotigen wir zunachst eine neue Geldmengendefinition, zu der wirnun neben Bargeld (CU) auch die vom Publikum bei den Geschaftsbankengehaltenen Sichteinlagen (D) zahlen:

M = CU + D

Hierbei nehmen wir zusatzlich an, dass die privaten Nichtbanken Bargeld undDepositen in einem konstanten Verhaltnis zueinander halten wollen, gemaßdem sog. Bargeldkoeffizienten, welchen wir mit cu bezeichnen:

CU

D= cu = konst., 0 < cu < 1.

Demgegenuber setzt sich das Zentralbankgeld (H), das die Notenbank direktkontrollieren kann, aus dem Bargeld (CU) und den Reserven (RE) zusammen,die die Geschaftsbanken bei der Zentralbank unterhalten. Letztere bestehenaus der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestreserve und freien Liquiditatsre-serven. Bereits an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass sich somit diezur Geldmenge M zahlenden Sichteinlagen der direkten Kontrolle durch dieZentralbank entziehen, da es sich hierbei um (Buch–)geld handelt, welchesdie Geschaftsbanken in eigener Regie schaffen konnen. Hierin ist auch dieentscheidende Ursache fur die Existenz des (noch abzuleitenden) Geldmen-genmultiplikators zu sehen.

Eine weitere Frage besteht nun darin, welches Verhaltnis von Reserven(RE) und Sichteinlagen (D) seitens der Geschaftsbanken gewunscht wird,welches wir im folgenden mit re bezeichnen. Dieses hangt nun, wie sich intui-tiv leicht nachvollziehen lasst, von einer Reihe von Großen ab. Zunachst isthier der uns schon bekannte Nominalzinssatz fur Finanzanlagen, r, zu nen-nen, von dem wir annehmen konnen, dass er auch von den Banken fur die vonihnen vergebenen Kredite gefordert wird. Je hoher nun dieser Zinssatz ist, de-sto hoher sind konsequenterweise die Alternativkosten der Reservehaltung, dadiese im Falle von Barreserven nicht und im Falle von Guthaben beider Zen-tralbank vergleichsweise niedrig verzinst werden. Somit wird re also negativ

Page 184: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.9 Diverse Zusatzuberlegungen 171

von r abhangen. Eine weitere wichtige Große stellt der RefinanzierungssatzrR dar, zu dem die Geschaftsbanken bei der Notenbank Kredite aufnehmenkonnen. Je hoher dieser Satz ist, desto teurer ist diese Refinanzierung fur dieBanken, so dass es sich fur sie lohnt, durch entsprechend hohere Reservehal-tung die Wahrscheinlichkeit zu senken, auf diese Refinanzierungsmoglichkeitzuruckgreifen zu mussen. Folglich ist eine positive Abhangigkeit zwischen reund rR anzunehmen. Gleiches gilt auch in bezug auf den Mindestreserve-satz rM , wobei dessen Wirkung unmittelbar ist, da die Banken gezwungensind, einen entsprechenden Anteil ihrer Einlagen als Mindestreserve zu hal-ten. Schließlich ist noch die Unsicherheit (σ) der Banken uber die Einlagenzu–und –abflusse zu nennen. Je großer diese ist, desto großer ist auch die Gefahrfur die Bank, unerwarteten Bargeldforderungen ihrer Kunden nicht oder nurzu entsprechenden Refinanzierungskosten nachkommen zu konnen, so dassdie Reserven–Einlagen–Relation re auch positiv von σ abhangen durfte. Ins-gesamt ergibt sich somit:

re = re(r−, rR

+, rM

+, σ+), 0 < re < 1

Diese Reserven–Einlagen–Relation re gestattet es nun zusammen mit demBargeldkoeffizienten cu, die beiden Aggregate M und H in Abhangigkeit vonden Depositen D zu bestimmen, wobei die Kausalrelation naturlich umgekehrtzu sehen ist.

M = D + CU =(

1 +CU

D

)·D = (1 + cu) ·D

H = CU + RE =(

CU

D+

RE

D

)·D = (cu + re) ·D

Auflosen beider Gleichungen nach D und Gleichsetzen der entsprechendenTerme liefert sodann die Beziehung zwischen Geldmenge M und Zentralbank-geldmenge H:

M =1 + cu

cu + re·H = αm ·H,

wobei mit αm = 1+cucu+re der Geldmengenmultiplikator bezeichnet ist, der so-

wohl von cu als auch von re negativ abhangt:

αm = αm(cu−

, re−

)

In Anbetracht der Abhangigkeit der Reserven–Einlagen–Relation re vonr, rR, rM und σ ergibt sich fur αm:

αm = αm(r−, rR−

, rM−

, σ−, cu−

)

Hiermit ist die Erweiterung um den Geschaftsbankensektor komplett, undwir konnen uns jetzt wieder dem IS–LM–Modell zuwenden. Der entscheiden-de Unterschied zu seiner bisherigen Version besteht nun darin, dass wir bis-lang das Geldangebot mit der Zentralbankgeldmenge H identifiziert hatten.

Page 185: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

172 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

Jetzt sind beide Großen nur noch indirekt uber den Geldschopfungsmultipli-kator αm miteinander verbunden, der so gesehen nichts anderes ist als dieformale Entsprechung der ‘Zwischenschaltung’ der Geschaftsbanken zwischenZentralbank und Publikum (Nichtbanken). Zudem weist dieser Multiplikatoreine ganz entscheidende Eigenschaft auf: Er ist, unter anderem, vom Zinssatzr abhangig und damit von einer der beiden Großen, die im IS–LM–Modell en-dogen bestimmt werden! Damit aber wird die Geldmenge selbst zu einer endo-genen Variablen, wie auch die beiden folgenden Abbildung des Geldmarktesverdeutlichen, wobei sich Abbildung 3.34.a auf eine Erhohung der Zentral-bankgeldmenge und damit des Geldangebots und Abbildung 3.34.b auf eineErhohung der Geldnachfrage infolge eines gestiegenen Einkommens bezieht:

Abb. 3.34. Der Geldmarkt bei endogenem Geldangebot (m = M/p)

Wie Abbildung 3.34.a zeigt, hat eine Erhohung der Zentralbankgeldmengequalitativ gesehen dieselbe Wirkung wie bisher, nur dass der quantitativeEffekt je nach Abhangigkeit des Multiplikators αm vom Zinssatz r ein anderersein kann. Jedenfalls wird durch die monetare Expansion wie bisher fur jedesgegebene Einkommensniveau der geldmarktraumende Zinssatz gesenkt mitder Konsequenz einer Rechtsverschiebung (bzw. ‘Nach–unten–Verschiebung’)der LM–Kurve.

Demgegenuber zeigt die in Abb. 3.34.b dargestellte Erhohung der Geld-nachfrage, die wir uns als Reaktion auf ein gestiegenes Einkommen – et-wa infolge einer fiskalischen Expansion – vorstellen konnen, das eigentlichNeue an diesem erweiterten Ansatz. Wahrend sich die Wirkung bisher ineiner Erhohung des gleichgewichtigen Zinssatzes (auf r′′0 ) bei unverandert ge-bliebener Geldmenge erschopft hatte, kommt es nun aufgrund der positivenAbhangigkeit des Geldangebots vom Zinssatz auch zu einer Erhohung derGeldmenge. Dies wiederum hat zur Folge, dass die Zinssteigerung (auf r′0)jetzt schwacher ausfallt, als dies bei exogenem Geldangebot der Fall gewesen

Page 186: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.9 Diverse Zusatzuberlegungen 173

ware. Dementsprechend wird die LM–Kurve jetzt flacher verlaufen, was in derTendenz keynesianische Sichtweisen, beispielsweise hinsichtlich der Wirksam-keit von Fiskalpolitik, unterstutzen durfte.

Dass dies in der Tat der Fall ist, zeigt auch sehr schnell die formale Ablei-tung der LM–Kurve in diesem neuen Kontext. Wir erhalten namlich

M

p= αm(r, ·) · H

p= kY + h0 − h1r =

Md

p

als Geldmarktgleichgewichtsbedingung. Implizite Differentiation liefert dannfur die LM–Kurve:

dr

dY=

k

α′m(r, ·)Hp + h1

<k

h1

Somit verlauft die LM–Kurve tatsachlich flacher bzw. weist, umgekehrt be-trachtet, eine hohere Zinssensitivitat des Einkommens auf, als dies bei exoge-nem Geldangebot der Fall war.

Diese erweiterte IS–LM–Version gestattet es nun auch, Vorgange, wie wirsie von der Praxis her kennen, wie z.B. eine Erhohung des Refinanzierungs-satzes, im Rahmen dieses Modells nachzuvollziehen und auf ihre Konsequen-zen hin untersuchen zu konnen. Da namlich der Geldmengenmultiplikatorαm negativ vom Refinanzierungssatz rR abhangig ist, verschiebt sich also dieGeldangebotskurve nach links. Die Folge: Ein hoherer Gleichgewichtszinssatzauf dem Geldmarkt und eine Verringerung der Geldmenge M , wobei letz-tere durch eine entsprechende Verminderung der Depositen zustandekommt.Zu jedem Einkommen Y ergibt sich somit ein hoherer geldmarktraumenderZinssatz r: Die LM–Kurve verschiebt sich nach links, was einen Ruckgangdes gleichgewichtigen Einkommens und einen Anstieg des gleichgewichtigenZinsniveaus bewirkt. Die Konsequenzen sind also vergleichbar mit denen ei-ner Reduktion der Zentralbankgeldmenge: Das neue IS–LM–Gleichgewicht istdurch einen hoheren Zinssatz und ein niedrigeres Einkommen gekennzeichnet.

Ebenso ließen sich nun die Konsequenzen einer Veranderung des Mindest-reservesatzes oder des Bargeldkoeffizienten durchspielen, was wir an dieserStelle jedoch dem Leser zur Ubung uberlassen.

Insgesamt gesehen tritt damit jetzt neben den auf indirekten Konsum-ausgaben beruhenden Fiskalmultiplikator ein durch ganzlich andere Prozessebegrundeter Geldschopfungsmultiplikator, der aber wie der Fiskalmultiplika-tor zu ‘Multiplikatorunsicherheit’ Anlass geben kann, da die indirekten Effek-te einer Erhohung der Zentralbank-Geldmenge auf die Geldmenge M unterUmstanden ebenso schwer abschatzbar sind, wie die indirekten Effekte einerfiskalischen Expansion.

3.9.2 Die traditionelle neoklassische Synthese

Betrachten wir ruckblickend noch einmal das neoklassische und das Key-nes’sche Basismodell als Ausgangspunkte unserer Analyse, so ist ein wesent-licher Unterschied zwischen beiden Ansatzen sicherlich darin zu sehen, dass

Page 187: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

174 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

beim neoklassischen Modell in der Version mit flexiblem Nominallohn infol-ge des Verlaufs der ‘QT–Kurve’ stets (genau) ein Preisniveau existiert, beiwelchem Vollbeschaftigung herrschte, wohingegen dies mit Blick auf die senk-rechte AD–Kurve im Keynes–Modell nicht der Fall war. Ursache fur letztereswar ein uber den Bond–Markt vorgegebener Zinssatz, der uber die Investitio-nen und die Ersparnis das Einkommen bestimmte, selbst aber vom sonstigenwirtschaftlichen Geschehen unberuhrt blieb.

Im Vergleich dazu wurde im IS–LM–Modell uber die Zinsabhangigkeit derGeldnachfrage diese Lucke geschlossen mit der Konsequenz einer nun negativvom Preisniveau abhangigen aggregierten Nachfrage. Somit war die neoklassi-sche Welt zumindest insoweit wiederhergestellt, als es jetzt im Falle von Lohn-flexibilitat wieder ein Preisniveau gab, welches Vollbeschaftigung ermoglichte.Zwar blieben weiterhin gravierende inhaltliche Unterschiede zwischen beidenAnsatzen bestehen, wohl aber liefen beide auf den Vollbeschaftigungsoutputfur den Fall hinaus, dass Nominallohne und Preise auch in der kurzen Sichtflexibel waren und unendlich schnell reagierten. Ausnahmen hiervon bildetenlediglich die Situationen der Investitions– oder Liquiditatsfalle, die jedoch inder vorliegenden Form und mit Blick auf ihre empirische Relevanz nicht unbe-dingt als reprasentativ anzusehen sind. Daruber hinaus bleibt selbst in diesenExtremfallen eine Wirkung des Preisniveaus auf Einkommen und Beschafti-gung nicht aus, sofern, wie wir gesehen haben, das Realvermogen der Haus-halte einen (positiven) Einfluss auf den Konsum hat, so dass eine Senkungdes Preisniveaus eine Rechtsverschiebung der IS-Kurve zur Folge hat (Pigou–Effekt).

Von daher verwundert es nicht, dass im Zusammenhang mit dem IS–LM–Modell bzw. dem hieraus bei flexiblem Preisniveau resultierenden AS–AD–Zusammenhang haufig von einer ‘neoklassischen Synthese’ die Rede ist. DieFrage erhebt sich, ob somit die wesentlichen Einwande von Keynes gegen dieNeoklassik obsolet geworden sind, da eben Vollbeschaftigung im keynesiani-schen Modell doch durch Anpassungsprozesse im privaten Sektor erreichbarsein konnte. Gegen diese Sicht lassen sich jedoch zumindest zwei Einwandeins Feld fuhren, die zudem bereits den Blick auf Sachverhalte lenken, die imnachsten Kapitel – wo es um die Analyse der mittleren Frist geht – von Be-deutung sein werden.

So ist zum einen darauf zu verweisen, dass zwar sowohl der Keynes– alsauch der Realvermogens– (Pigou–) Effekt eine negative Abhangigkeit der ag-gregierten Nachfrage vom Preisniveau implizieren, gleichwohl aber auch ge-genlaufige Wirkungen denkbar sind. So vertrat bereits I. Fisher die Auffas-sung, dass neben Sachkapital (bzw. Anteilsrechten an selbigem) und Forderun-gen gegenuber dem Staat (Geld und ggfs. staatliche Bonds) auch Forderun-gen und Verbindlichkeiten innerhalb des privaten Sektors eine Rolle spielen,und zwar insoweit, als sie fur ein beliebig herausgegriffenes Wirtschaftssub-jekt fur die Bemessung seines individuellen Vermogens zweifelsohne relevantsind, auch wenn sie sich im Aggregat gerade gegenseitig aufheben. Sofern nunaber Schuldner eine hohere Ausgabenneigung haben als Glaubiger, wird ein

Page 188: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.9 Diverse Zusatzuberlegungen 175

Preisniveauruckgang, der neben der Zunahme des Realwerts der Forderungeneben auch eine entsprechende Erhohung der realen Verbindlichkeiten bewirkt,letztere ceteris paribus zu einer Rucknahme ihres Konsums veranlassen, dergroßer sein wird als der Mehrkonsum seitens der Glaubiger.50 Somit ist – perSaldo gesehen – auch ein negativer Realvermogenseffekt durchaus vorstellbar.Man beachte aber, dass dies nicht fur alle Werte des gesamtwirtschaftlichenPreisniveaus der Fall sein kann. Spatestens wenn man letzteres gedanklich ge-gen Null streben lasst, wird jedes Wirtschaftssubjekt, das auch nur uber einen10-Euro-Schein verfugt, “unendlich reich” – mit naheliegenden Auswirkungenauf den Konsum. Somit wird ab einem bestimmten Preisniveau abwarts derRealvermogenseffekt stets den Fisher-Effekt uberkompensieren.

Ein vollig anderer, aber in eine ahnliche Richtung wie der Fisher-Effektwirkender Zusammenhang kann sich ergeben, wenn – unter bestimmten Bedin-gungen – die erwartete Inflationsrate positiv mit dem aktuellen Preisniveauverbunden ist. Dieser fur die Analyse der mittleren Frist bedeutsame sog.Mundell–Effekt hat zur Folge, dass eine Senkung des momentanen Preisnive-aus zu einer geringeren erwarteten Inflationsrate und daher (ceteris paribus)zu einem hoheren erwarteten Realzins fuhrt, mit der Konsequenz, dass diehiervon abhangigen Investitionen51 zuruckgehen.

Ein weiteres Argument kann sich ergeben, wenn Veranderungen des No-minallohns nicht nur in bezug auf die aggregierte Angebotskurve , sondernauch bei der AD–Kurve berucksichtigt werden. Haben namlich, wie haufig an-genommen wird, Lohnempfanger eine hohere marginale Konsumneigung alsKapitaleigner, so kann bei gegebenem Preisniveau eine Nominallohnerhohung,die dann mit einem entsprechend hoheren Reallohn verbunden ware, zu einerSteigerung des Konsums und damit zu einer Verlagerung der IS–Kurve nachrechts fuhren, wodurch sich angesichts der Tatsache, dass dies bei jedem Preis-niveau der Fall ware, ebenfalls die AD–Kurve nach rechts bewegen wurde.

Zu beachten ist in diesem Fall jedoch, dass die resultierende Gleichge-wichtslage nach wie vor vom Schnittpunkt zwischen AD- und AS-Kurveabhangig ist. Bei Zugrundelegung einer neoklassischen Produktionsfunktionbedeutet dies aber zwingend, dass ein hoheres Beschaftigungsvolumen nur beieinem geringeren Reallohn moglich ist. Selbst wenn man also bei einer Nomi-nallohnerhohung einen expansiven Nachfrageeffekt bei gegebenem Preisniveauunterstellt und sich die AD-Kurve infolgedessen nach rechts verschiebt, muss-te der neue Schnittpunkt mit der (sich nach links verlagernden) AS-Kurvedurch einen geringeren Reallohn gekennzeichnet sein, sollte die Beschaftigungtatsachlich zunehmen. Da dies aber in Widerspruch zu der Annahme steht, einhoherer Reallohn wirke expansiv auf die Nachfrage, kann das Beschaftigungs-volumen nach einer Nominallohnerhohung bestenfalls unverandert bleiben.Die neue AD- und die neue AS-Kurve wurden sich dann also beim gleichen

50 Vgl. Felderer/Homburg (1984, S.205 ff.).51 In einer erweiterten Modellfassung kann dies gegebenenfalls auch den gesamtwirt-

schaftlichen Konsum betreffen.

Page 189: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

176 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

Output, aber einem hoheren Preisniveau schneiden. Geht man nun noch vonder Wirksamkeit des Keynes- und/oder Realvermogenseffekts aus, so wird dasneue Gleichgewicht sogar – wie bisher – durch einen geringeren Outputlevelgekennzeichnet sein; die letztgenannten Effekte fuhren dann bezuglich der ag-gregierten Nachfrage zu einer Uberkompensation des gestiegenen Reallohns.

Nicht anders sieht es bei Vorliegen einer horizontalen AS-Kurve aus, so wiesie bisher in diesem Buch weitestgehend angenommen wurde. Bei unverander-tem Markup-Faktor bleibt hier der Reallohn stets konstant – ganz egal, wiehoch oder wie niedrig der Nominallohn auch immer angesetzt werden mag.Im Schnittpunkt zwischen AD- und AS-Kurve kann somit ein hoherer Nomi-nallohn auch hier nicht expansiv wirken, auch wenn sich die AD-Kurve nachrechts verschiebt. Ein gegenteiliges Resultat ist allenfalls dann zu erwarten,wenn die Lohnsteigerung nicht an das Preisniveau weitergegeben wird, wasaber gleichbedeutend mit einer Absenkung des Markup-Faktors ware. Inwie-weit hiermit zu rechnen ist, kann aber nur bei expliziter mikrookonomischerBetrachtung des Entscheidungskalkuls eines beliebig herausgegriffenen Unter-nehmens ermittelt werden. Ohne auf die Einzelheiten einer solchen Erweite-rung naher einzugehen sei an dieser Stelle nur vermerkt, dass sich ein solchesResultat – wenn uberhaupt – nur unter sehr speziellen Voraussetzungen ergibt,was sowohl die theoretische als auch die praktische Relevanz des geschildertenSzenarios stark einschrankt. Nicht zuletzt ist zu beachten, dass selbst der ex-pansive Effekt einer Nominallohnerhohung (bei gegebenem Preisniveau) aufdie Nachfrage nicht zwingend ist, da dem expansiv wirkenden “Kaufkraftef-fekt” ein gegenlaufiger “Kosten”- beziehungsweise “Profitabilitatseffekt” aufdie Investitionsguternachfrage entgegensteht.

Dennoch bleibt festzuhalten, dass durch den IS-LM-Ansatz (selbst in Ge-stalt der “neoklassischen Synthese”) die Relevanz und Diskussion der geradeskizzierten Einflussfaktoren uberhaupt erst moglich geworden ist, und zwarinfolge der im Vergleich zum neoklassischen Say’schen Theorem alternativeSicht der Nachfrageseite.

Eine zweite Argumentationslinie, die zumindest von ihrem Grundgedan-ken her ebenfalls im nachsten Kapitel Berucksichtigung finden wird, betrifftdie Annahme einer sofortigen Lohn– und Preisanpassung, ohne die das IS–LM–Modell seinen Charakter als neoklasssische Synthese sofort verliert. Sindnamlich Lohne und Preise in der hier immer noch betrachteten kurzen Sichtfix, so sind es die Mengen, die sich anpassen mussen, wobei sich auf dem je-weiligen Markt dann typischerweise die ‘kurzere Seite’ durchsetzt. Eine Reak-tion der Preise und Lohne auf die entstandenen Ungleichgewichte findet dannerst beim Ubergang von einem Zeitpunkt zum nachsten statt. Diese Uberle-gungen bilden den wichtigsten Bestandteil sogenannter ‘nichtwalrasianischerRationierungsmodelle’, die – auch unter dem Begriff der ‘neokeynesianischenTheorie’ zusammengefasst – in den 70er Jahren entstanden und u.a. durch dieOkonomen R.W. Clower, R. Barro, H. Grossman, J.P. Benassy, J. Dreze undE. Malinvaud maßgeblich gepragt wurden.

Page 190: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.9 Diverse Zusatzuberlegungen 177

Bevor wir diese Uberlegungen in bezug auf unseren Modellrahmen imnachsten Abschnitt kurz skizzieren werden, sei abschließend noch einmal ver-merkt, dass unter diesem Blickwinkel das IS–LM–Modell in seiner bisherigenForm im Prinzip von beiden Seiten als gemeinsames ‘Obermodell’ angesehenwerden kann und der Unterschied zwischen neoklassischem und neokeynesia-nischem Denkansatz in der jeweils entgegengesetzten Beantwortung der Fragegesehen werden kann, was schneller reagiert: Preise oder Mengen.

3.9.3 Nichtwalrasianische Rationierungsmodelle

Sind nun Lohne und Preise in der betrachteten kurzen Frist – wie im IS-LM Modell unterstellt – als fix anzusehen, stellt sich als nachstes die Frage,welcher Output unter diesen Bedingungen nun produziert wird. Unter Beruck-sichtigung der bisher verwendeten linear–limitationalen Produktionsfunktionkommen hierfur drei Moglichkeiten in Frage, je nachdem, welche Große imkonkreten Fall die bindende Restriktion darstellt:

• der IS–LM–Gleichgewichtsoutput Y0, also der Ansatz, der bislang als gultigunterstellt worden ist,

• der arbeitsseitige Potentialoutput = Vollbeschaftigungsoutput Y = y · L,• der kapazitatsseitige Potentialoutput Y p = x ·K.

Insgesamt ergeben sich in bezug auf die Großenverhaltnisse 3! = 6 moglicheKonstellationen, wenn man die Situationen zunachst unberucksichtigt lasst,in denen jeweils zwei dieser Großen ubereinstimmen:

Y0 < Y < Y p (K1)Y0 < Y p < Y (K2)Y p < Y0 < Y (C1) (3.38)Y p < Y < Y0 (C2)Y < Y p < Y0 (I1)Y < Y0 < Y p (I2)

Graphisch lassen sich diese Situationen wie in Abb. 3.35 illustrieren, wobeijeweils p1 < p2 < p3 in bezug auf das Preisniveau gelten soll.

Somit ergibt sich bei gegebenem Y p und Y das (temporare) Gleichgewichtin Abhangigkeit vom Preisniveau, welches ceteris paribus Y0 bestimmt. Alter-nativ dazu konnte man auch das Nominallohnniveau nehmen, wenn man wei-terhin vom Markup–Pricing und konstanten Werten fur den Markup–Faktora und die Arbeitsproduktivitat y ausgeht.

Eine kompaktere, inhaltlich aber vollig aquivalente Darstellung ergibt sich,wenn man beispielsweise das Arbeitsangebot L und damit Y als gegeben an-nimmt und die sechs verschiedenen Konstellationen dann in einem (Y p, p)-Diagramm einfangt.

Page 191: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

178 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

Abb. 3.35. Rationierungsgleichgewichte in Abhangigkeit vom Preisniveau

Hierzu werden die drei verschiedenen Outputgroßen Y0, Yp und Y jeweils paar-

weise miteinander verglichen und der (Y p, p)–Raum jedesmal durch eine ent-sprechende Trennlinie in zwei Halbraume unterteilt:

Abb. 3.36. Unterteilungen des (Y p, p)–Raums

Die Trennlinien fur b) und c) ergeben sich dabei aus der Abhangigkeit desIS–LM–Gleichgewichtsoutputs Y0 vom Preisniveau p entsprechend Gleichung(3.29). Daher stimmt auch – formal gesehen – die Kurve in c) mit der sich ausdem IS–LM–Modell ergebenden AD–Kurve uberein.

Legt man nun die Abbildungen 3.36.a, 3.36.b und 3.36.c ubereinander, soergibt sich die Einteilung des (Y p, p)–Raums in sechs verschiedene Bereiche,sogenannte ‘Regime’, die gerade den eingangs vorgestellten Rationierungskon-stellationen entsprechen:

Page 192: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.9 Diverse Zusatzuberlegungen 179

Abb. 3.37. Die Regime im (Y p, p)–Raum

Vergleichen wir diese Einteilung mit Abbildung 3.8. aus Abschnitt 3.2, so istes offenbar das Regime (K1), welches wir dort (bislang nur) betrachtet haben.Angesichts der anderen Konstellationen stellt der jetzt vorliegende Rationie-rungsansatz deshalb offenbar eine Verallgemeinerung fruherer Uberlegungendar. Dies wird insbesondere dann ersichtlich, wenn wir auch die anderen Re-gime kurz auf ihren inhaltlichen Gehalt hin uberprufen.

Wahrend sich das Regime (K2) nur insofern von (K1) unterscheidet, alssich dort das Großenverhaltnis zwischen Y und Y p gerade umkehrt, wahrendY0 und damit die aggregierte Nachfrage beim gegebenen Preisniveau weiterhindie bindende Restriktion darstellt, weswegen (K1) und (K2) auch als ‘keyne-sianische’ Regime bezeichnet werden, stellt in (C1) und (C2) der kapazitats-seitige Potentialoutput Y p die ‘kurze Seite’ dar. Diese beiden, als ‘klassische’Regime bezeichneten Bereiche sind also durch Kapitalmangelarbeitslosigkeitgepragt, wobei die Bezeichnung dieser Konstellationen als ‘klassisch’ zunachstetwas unmotiviert erscheint. Eine mogliche Begrundung hierfur kann in un-serem Modellkontext einer linear–limitationalen Technologie darin gesehenwerden, dass diese Art von Arbeitslosigkeit auch in einem ansonsten neoklas-sischen Rahmen (Gultigkeit des Say’schen Theorems etc.) vorstellbar ware,also insbesondere nicht von einer defizitaren Nachfrage wie bei Keynes (1936)abhangig ist.

Die beiden Bereiche (I1) und (I2) schließlich stellen Regime der ‘unter-druckten Inflation’ dar, da hier zu wenig Arbeitskrafte vorhanden sind, umdie vorhandenen Kapazitaten auszulasten bzw. die Nachfrage zu bedienen.Dementsprechend sollten eigentlich Lohn– und Preissteigerungen, also inflati-onare Tendenzen, zu erwarten sein, die aber aufgrund der vorliegenden Lohn–und Preisstarrheiten in der kurzen Sicht nicht zustandekommen.

Der Punkt (Y , p0) schließlich reprasentiert ein walrasianisches Gleichge-wicht, in dem Y0 = Y = Y p gilt, somit samtliche Markte geraumt sind undzudem der Kapitalstock voll ausgelastet ist.

Page 193: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

180 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

Die entscheidende Frage ist nun, wie sich Lohne und Preise in der mittle-ren Sicht als Reaktion auf diese kurzfristigen Ungleichgewichtskonstellationenanpassen und wie sich moglicherweise auch die Kapazitaten infolge der getatig-ten – positiven oder negativen – Nettoinvestitionen verandern. Wahrend derzuletzt genannte Effekt erst in Kapitel 6 zum Tragen kommt, wird sich dasnachste Kapitel im wesentlichen mit der Lohn– und Preisdynamik und ih-ren Konsequenzen auseinandersetzen, wobei dort allerdings die hier noch un-berucksichtigte Dynamik der Inflationserwartungen hinzukommt. Des weite-ren werden wir uns dort ausschließlich im Keynesianischen Regime bewegen,wodurch zugleich demonstriert wird, dass ein Konjunkturzyklus keineswegsalle hier vorgestellten Bereiche durchlaufen muss.

3.9.4 Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung im IS–LM–Modell deroffenen Volkswirtschaft

Im folgenden sollen kurz die im IS–LM–Modell der offenen Volkswirtschaftstattfindenden Zahlungsstrome im Rahmen der Volkswirtschaftlichen Gesamt-rechnung (VGR) dargestellt werden. Die Darstellung erfolgt dabei in Kon-tenform52, wobei naturlich die Matrixform oder ein entsprechendes Flussdia-gramm (wie bei der Darstellung des Quesnayschen ‘Tableaus’ in Kapitel 1)ebenfalls denkbar waren. Zweck dieses Abschnitts ist es, die ublicherweise inLehrbuchern der Makrookonomik einleitend dargestellte ‘VolkswirtschaftlicheGesamtrechnung’ hier so zu prasentieren, dass sie genau mit der Reichwei-te des von uns benutzten gesamtwirtschaftlichen Modells zusammengeht. Siezeigt deshalb hier auf anderem Wege, welche empirisch relevanten Vorgangeaus der bisherigen Analyse entweder ausgeklammert worden sind oder durchgeeignete Buchungsprinzipien wie geschehen behandelt werden konnen.

Zunachst seien noch diejenigen Variablen definiert, die bei den bisherigenBetrachtungen nicht explizit vorgestellt wurden, fur den VGR–Zusammenhangjedoch wichtig sind:

FDf : Finanzierungsdefizit der UnternehmenFDg: Finanzierungsdefizit des StaatesFSh: Finanzierungsuberschuss der Haushalte∆Bj

i : Wertpapiere (Bonds), die vom Sektor i emittiert und vom Sektor jerworben werdenV : Vorleistungen innerhalb des UnternehmenssektorsIb: Bruttoinvestitionen (= Nettoinvestitionen + Abschreibungen)

Des weiteren sei darauf verwiesen, dass wir hier stets die nominellen Großenim Auge haben (auch wenn die Symbole fur die realen Großen der Ubersicht-lichkeit halber verwendet werden). Sofern das Ausland involviert ist, unterstel-len wir bereits eine entsprechende Umrechnung auf Basis des Wechselkurses.

52 Eine ahnliche Darstellung findet sich in Haslinger, Volkswirtschaftliche Gesamt-rechnung, 3. Auflage, 1984, S.35 f.

Page 194: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.9 Diverse Zusatzuberlegungen 181

In bezug auf letzteren wollen wir zudem zunachst Flexibilitat annehmen, umnicht noch zusatzlich Veranderungen des Devisenbestandes und damit die Zen-tralbank als weiteren Sektor berucksichtigen zu mussen. Der Fall fixer Wech-selkurse wird anschließend bei der Darstellung der Zahlungsbilanz betrachtet,wo die Berucksichtigung von Devisenbestandsveranderungen problemlos, d.h.ohne großen Aufwand, moglich ist. Ferner werden wir Zinszahlungen, egal vonwelcher Seite, der Einfachheit halber ebenso unberucksichtigt lassen wie in-direkte Steuern und Subventionen oder Kassenhaltung und Ersparnisbildungseitens der Unternehmen.

Im folgenden betrachten wir nun die jeweils relevanten Konten fur die bis-her unterschiedenen vier Sektoren Unternehmen, Haushalte, Staat und Aus-land, wobei wir bei letzterem alle In– und Outflows in einem einzigen, ‘aggre-gierten’ Konto zusammenfassen werden. Diese Kontendarstellungen verfolgenden Zweck, die bisherigen Uberlegungen auch aus Sicht der ‘Volkswirtschaft-lichen Gesamtrechnung’ zusammenzufassen, allerdings unter Weglassung allerBegrifflichkeiten dieser Gesamtrechnung, die bei unseren Modellbildungen kei-ne Rolle gespielt haben.53

Unternehmen

S Produktion HV VJ X

δK Ib

Y − δK CG

S Vermogensanderung HIb δK

FDf

S Finanzierung HFDf ∆Bh

f

Man sieht, dass im Sektor ‘Unternehmungen’ kein Einkommenskonto auf-gefuhrt ist. Dies korrespondiert zu der von uns bisher getroffenen Annahme,dass alle Unternehmenseinahmen (bis auf die Abschreibungen) an die Haus-halte transferiert werden (und erst dort versteuert werden).

Haushalte

S Einkommen HT Y − δKCSh

S Vermogensanderung HFSh Sh

S Finanzierung H∆Bh

g FSh

∆Bhf

∆Bha

∆M

Korrespondierend zur Darstellung des Unternehmenssektors ist im Haushalt-sektor unterstellt, dass dort keine produktiven Aktivitaten stattfinden, alsoauf die Darstellung des Produktionskontos dort verzichtet werden kann. Diesist sicherlich zunachst eine zulassige vereinfachende Annahme, die auch durcheine geeignete Erhebung der Daten und deren Zuordnung zu den einzelnen

53 Wie z.B. ‘indirekte Steuern’, Subventionen, etc. . .

Page 195: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

182 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

Sektoren gerechtfertigt werden kann.

Staat

S Einkommen HG TSg

S Vermogensanderung HFSg Sg

(= −FDg)

S Finanzierung HFDg —∆Bh

g

∆Bag

∆MS Ausland H

X J∆Ba

g ∆Bha

Wie im privaten Sektor wird auch im offentlichen Sektor von einem Produk-tionskonto und damit von produktiven Aktivitaten des Staates abgesehen.Eine solche Vorgehensweise ist auch hier als vereinfachende Annahme zu wer-ten und auch wieder zum Teil durch eine geeignete Erhebung der Daten undderen Zuordnung zu den einzelnen Sektoren rechtfertigbar. In bezug auf dieFinanztransaktionen mit dem Ausland wird vereinfachend angenommen, dassnur staatlich emittierte Wertpapiere international gehandelt werden. Andern-falls musste man beispielsweise eine detaillierte Aufspaltung des Gewinns derUnternehmen vornehmen um festzulegen, welcher Teil davon – via Zinszah-lungen – an die inlandischen Haushalte und welcher Teil ins Ausland fließt(und welcher gegebenenfalls noch in den Unternehmen selbst verbleibt). ZurBegrundung dieser Vereinfachung sei nochmals darauf verwiesen, dass sichdie hier vorgenommene Darstellung moglichst eng an die Gegebenheiten derbisher diskutierten Modelle anlehnen soll.

Zu beachten ist desweiteren, dass der angenommene flexible Wechselkursdazu fuhrt, dass einem Exportuberschuss X − J stets ein Nettokapitalex-port ∆Bh

a −∆Bag in gleicher Hohe gegenubersteht (bzw. einem Importuber-

schuss ein wertmaßig gleicher Nettokapitalimport). Dieser Sachverhalt wirdauch noch einmal deutlich, wenn man die gesamtwirtschaftliche Ersparnis Sbetrachtet, und zwar zum einen uber die Verwendungsseite der Produktionund zum anderen finanzierungsseitig. Produktionsseitig ergibt sich hierbei:

Y − δK = C + In + G + X − J

⇒ S = Y − δK − C −G = In + X − J,

wobei In fur die Nettoinvestition steht. Die Verwendung der Ersparnis derprivaten Haushalte liefert:

Page 196: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.9 Diverse Zusatzuberlegungen 183

Sh = ∆Bhg + ∆M + ∆Bh

f + ∆Bha

= ∆Bhg + ∆M + FDf + ∆Bh

a

= (FDg −∆Bag ) + (Ib − δK) + ∆Bh

a

= (−Sg −∆Bag ) + In + ∆Bh

a

⇒ S = Sh + Sg = In + ∆Bha −∆Ba

g .

Die gesamtwirtschaftliche Ersparnis zerfallt in einer offenen Volkswirtschaftalso in die Nettoinvestitionen und den Außenbeitrag, der bei flexiblen Wech-selkursen wertmaßig mit dem Saldo der Kapitalverkehrsbilanz ubereinstimmt.

In bezug auf die Finanzierungskonten ist es noch wichtig, ausdrucklichdarauf hinzuweisen, dass die Bestandsveranderungen bei den Finanzaktiva,in denen beispielsweise die Verwendung der Ersparnis der privaten Haushaltezum Ausdruck kommt, im IS–LM–Modell infolge der Verwendung von Walras’Gesetz der Bestande unberucksichtigt bleiben.

Wenden wir uns abschließend noch kurz der Zahlungsbilanz zu, in welcherauf der Habenseite die Zuflusse und auf der Sollseite die Abflusse an Devisen(in der Regel auf Jahresbasis) erfasst werden. Der Saldo gibt dann dement-sprechend die Devisenbestandsveranderung bei der Zentralbank an, sofern wirvon einer Devisenhaltung auch durch andere Sektoren absehen. Steht dieserSaldo, den wir mit ∆R bezeichnen, auf der Sollseite, sind die Devisenzuflussegroßer gewesen als die Abflusse, so dass sich der Devisenbestand der Zentral-bank erhoht hat. Entsprechend liegt eine Verringerung dieser Devisenreservenvor, wenn der Saldo ∆R auf der Habenseite steht. Wir verweisen an dieserStelle noch einmal darauf, dass dieser Saldo in der vorausgegangenen VGR–Betrachtung infolge der Annahme flexibler Wechselkurse gleich Null war.

In ihrer heutigen Form besteht die Zahlungsbilanz im wesentlichen ausfunf Teilbilanzen:54

1. LEISTUNGSBILANZ, bestehend aus• Handelsbilanz• Dienstleistungsbilanz• Erwerbs- und Vermogenseinkommen• Laufende Ubertragungen

2. VERMOGENSUBERTRAGUNGEN3. KAPITALBILANZ4. VERANDERUNG DER WAHRUNGSRESERVEN DER

ZENTRALBANK5. RESTPOSTEN

Hierbei besteht die erste Teilbilanz, die Leistungsbilanz, ihrerseits wiederumaus vier Unterbilanzen. Wahrend in der Handelsbilanz die Warenstrome zwi-schen Inland und Ausland (also Exporte und Importe) erfasst sind, beinhaltet

54 Eine ausfuhrliche Darstellung hierzu findet sich beispielsweise in Bartling/Luzius(2002), S. 279 ff.

Page 197: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

184 3 Keynesianische Beschaftigungstheorie: Die kurze Sicht

die Dienstleistungsbilanz beispielsweise Posten wie den Reiseverkehr. Fruherwurden hier auch die Kapitalertrage (z.B. Zinsen), die vom Ausland ins Inlandund umgekehrt transferiert wurden, verbucht; gemaß der neuen Zahlungsbi-lanzsystematik finden sich diese mittlerweile aber in dem eigens hierfur einge-richteten Teilkonto der Erwerbs- und Vermogenseinkommen, in welchem auchim Ausland erzielte Arbeitseinkommen der Inlander und im Inland erzielteArbeitseinkommen von Auslandern ihren Niederschlag finden. Die Bilanz derlaufenden Ubertragungen schließlich enthalt unilaterale Transfers zwischenInlandern und Auslandern beispielsweise Uberweisungen auslandischer Ar-beitskrafte in ihre Heimatlander und Leistungen des Inlandes an internatio-nale Organisationen.

Die nachste Teilbilanz der Vermogensubertragungen (die ebenfalls ein No-vum gegenuber der fruheren Zahlungsbilanzsystematik darstellt) beinhaltetim Gegensatz zu den laufenden Ubertragungen einmalige unilaterale Trans-fers von Vermogensgegenstanden wie etwa die Uberlassung von Gebauden anein anderes Land oder eine internationale Organisation, aber auch z.B. einenSchuldenerlass fur Entwicklungslander.

Eine weitere wichtige Teilbilanz stellt die Kapitalbilanz dar, welche samtli-che Kapitalimporte und Kapitalexporte des Inlands umfasst. Auch diese Teil-bilanz wird normalerweise weiter untergliedert, so etwa hinsichtlich verschie-dener Arten von Transaktionen (Direktinvestitionen, Portfolioinvestitionen,Investitionen in Finanzderivate, Kredite etc.) und innerhalb dieser Arten oftauch noch einmal hinsichtlich ihrer Fristigkeit (kurzfristiger versus langfristi-ger Kapitalverkehr).

Da im Falle nicht vollig flexibler Wechselkurse der Devisenmarkt (dessenAngebots- und Nachfrageseite sich gerade aus den Transaktionen in den ebenvorgestellten Teilbilanzen ergeben) im allgemeinen nicht im Gleichgewicht ist,resultiert aus den bisher genannten Aktivitaten i.a. ein Nettozufluss oder Net-toabfluss an Devisen. Dieser findet seinen Niederschlag in der Veranderung derWahrungsreserven der Zentralbank.

Die letzte Teilbilanz der “Restposten” dient gewissermaßen als “Auffang-becken” fur statistische Ermittlungsfehler und Buchungsprobleme im Zusam-menhang mit einer periodengerechten Abgrenzung der Geschaftsvorfalle.

Fur unsere Zwecke sind allerdings letztlich nur die Leistungsbilanz, dieKapitalbilanz und die Veranderung der Wahrungsreserven der Zentralbankvon Belang, wobei wir uns bei der Leistungsbilanz zudem auf die Handelsbi-lanz beschranken. Ein dementsprechend vereinfachtes Schema, das zudem dievon uns bisher benutzten Symbole enthalt, hatte dann in etwa den folgendenAufbau:

Abschließend sei noch auf eine wichtige Unterscheidung hingewiesen, diesich bei der Sozialproduktsberechnung durch die Einbeziehung der außenwirt-schaftlichen Verflechtungen ergibt, namlich die zwischen dem Inlands– unddem Inlanderkonzept, die sich im Unterschied zwischen Bruttoinlandsprodukt

Page 198: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

3.9 Diverse Zusatzuberlegungen 185

Tabelle 3.6. Die Zahlungsbilanz

S Zahlungsbilanz H

Handelsbilanz:J X

Kapitalbilanz:

∆Bha ∆Ba

g

Veranderung des Devisenbestandes der ZB:∆R

(BIP) und Bruttonationaleinkommen (BNE)55 niederschlagt. Die Differenzzwischen beiden Großen besteht in den Faktoreinkommen (also Arbeitsein-kommen und Kapitalertrage), die Inlander im Ausland bzw. Auslander imInland erwerben. Bezeichnen wir erstere mit FEi und letztere mit FEa, soergibt sich der Zusammenhang:

BIP + FEi − FEa = BNE

Die Umrechnung dieser Brutto- auf die entsprechenden Nettogroßen geschiehtin beiden Fallen in gewohnter Weise durch Abzug der Abschreibungen:

BIP − δK = NIP (Nettoinlandsprodukt)

BSP − δK = NNE (Nettonationaleinkommen),

wobei es sich jeweils um die entsprechenden Großen zu Marktpreisen han-delt. Der Abzug der indirekten Steuern und die Addition der Subventionen –die in unseren Modellen aber keine Rolle spielen – fuhrt dann zum Nettoin-landsprodukt bzw. Nettonationaleinkommen zu Faktorkosten. Das disponibleEinkommen der privaten Haushalte ergibt sich schließlich, wenn von diesenGroßen noch die direkten Steuern subtrahiert und gegebenenfalls staatlicheTransferzahlungen hinzuaddiert werden.

55 Hierbei handelt es sich um das fruhere Bruttosozialprodukt (BSP), das 1999 imZusammenhang mit der Einfuhrung des Europaischen Systems Volkswirtschaftli-cher Gesamtrechnungen entsprechend umbenannt wurde.

Page 199: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

4

Konventionelle Analysen von Inflation undWachstumsprozessen

Nachdem die Analyse der kurzen Frist in Kapitel 3 abgeschlossen wurde, stelltsich nun die Frage nach den Konsequenzen, die sich ergeben, wenn den Be-trachtungen ein langerer Zeithorizont zugrundegelegt wird. Inhaltlich geht esdabei in erster Linie um die Anpassungsprozesse bei denjenigen Großen, die inder kurzen Frist als konstant angenommen wurden. Das vorliegende Kapitelverfolgt nun das Ziel, die angesprochenen Sachverhalte zunachst in moglichsteinfacher und elementarer Form aufzuarbeiten und dabei insbesondere so weitwie moglich auf komplexere mathematische Hilfsmittel (wie etwa die Analysevon Differentialgleichungssystemen) zu verzichten. Es eignet sich daher vorallem fur solche Leser, die sich einen kurzen Uberblick uber die genannten Er-weiterungen verschaffen wollen und ebenfalls fur die Behandlung der entspre-chenden Sachverhalte im Rahmen von Bachelor-Studiengangen. Desweiterensoll hier vor allem der Stand der Betrachtungsweise herausgearbeitet werden,wie er auch in anderen Lehrbuchern zu finden ist, wie etwa in Mankiw (1994)oder Blanchard (2003). Die daruber hinausgehenden Erweiterungen im vorlie-genden Buch werden erst im letzten Abschnitt dieses Kapitels kurz angespro-chen. Eine detailliertere und anspruchsvollere Analyse der hier vorgestelltenThemen, wie sie etwa in Master-Studiengangen erfolgen kann, bleibt dann denKapiteln 5 und 6 vorbehalten, welche zudem so aufgebaut sind, dass sie auchohne vorherige Lekture von Kapitel 4 gelesen werden konnen.

Die bereits angesprochenen Erweiterungen der Kurzfristanalyse sollen hierprinzipiell in zwei Schritten erfolgen. In Abschnitt 4.1 wird der Zeitrahmennur dahingehend erweitert, dass Lohne und Preise auf temporare Ungleichge-wichtslagen reagieren konnen, wahrend der Kapazitatseffekt von Investitionenzunachst noch ausgeklammert bleibt. In einem zweiten Schritt wird dann inAbschnitt 4.2 auch letzterem Rechnung getragen, so dass jetzt der Kapital-stock als weitere dynamische Variable in Erscheinung tritt. In Anlehnung andas ubliche Vorgehen wird dabei allerdings eine bereits kurzfristig wirkendeLohn- und Preisanpassung unterstellt, so dass die Kapazitatsdynamik der ein-zige endogene Prozess ist, der an dieser Stelle betrachtet wird. Abschnitt 4.3bietet dann einen kurzen Ausblick auf diejenigen Erweiterungen, die in Kapi-

Page 200: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

188 4 Konventionelle Analysen von Inflation und Wachstumsprozessen

tel 5 und 6 vorgenommen werden. Dies betrifft insbesondere eine integrierteBetrachtung der kurzen, mittleren und langen Frist.

4.1 Textbuch-Inflationstheorie

In diesem Abschnitt soll, wie bereits angesprochen, der Frage nachgegangenwerden, wie Lohne und Preise auf kurzfristige Ungleichgewichtslagen (insbe-sondere am Arbeitsmarkt ) reagieren und welche Konsequenzen sich darausfur die mittlere Frist ergeben. In Unterabschnitt 4.1.1 sollen die entschei-denden neuen Bausteine vorgestellt und in ihrer Interaktion kurz beschrie-ben werden. Unterabschnitt 4.1.2 beschaftigt sich dann mit dem mittelfristi-gen Anpassungsprozess. Anschließend, in Unterabschnitt 4.1.3, wird dann dieFrage untersucht, welche Konsequenzen sich ergeben, wenn die Zentralbankversucht, mithilfe einer entsprechenden Geldpolitik die Arbeitslosenrate aufDauer niedrig zu halten.

4.1.1 Stabile Marktprozesse

Grundlage fur die weiteren Betrachtungen sei zunachst ein kurzfristiges IS-LM-Gleichgewicht mit bestehender Unterbeschaftigung. Eine erste, nahelie-gende, Frage besteht nun darin, wie mittelfristig der Nominallohn hierauf rea-giert. Rein intuitiv kann man sich hier bereits vorstellen, dass Lohnerhohun-gen im allgemeinen umso schwerer durchsetzbar sein durften, je hoher dieArbeitslosenrate ist. Auf empirischer Basis wurde diese Vorstellung bereits1958 eindrucksvoll durch eine Studie von A.W. Phillips bestatigt, der seinerAnalyse eine Zeitreihe fur Großbritannien von 1861 bis 1957 zugrundelegte(nahere Details hierzu in Kapitel 5). Eine solche “originare Phillipskurve” seiauch fur die folgenden Uberlegungen angenommen, allerdings der Einfachheithalber zunachst in linearisierter Form:

wt+1 = (−βw)(Ut − U), (4.1)

mit wt+1 = wt+1−wt

wtals Wachstumsrate des Nominallohns, βw > 0 als Anpas-

sungsgeschwindigkeit und Ut als Arbeitslosenrate, wobei U ein spater nochnaher zu betrachtendes Referenzniveau, die sogenannte “naturliche Arbeitslo-senrate”, darstellt. Aus Grunden der Anschaulichkeit ist der Zusammenhanghier zudem in zeitdiskreter Form dargestellt. Als nachstes ist nun zu klaren,welche Auswirkungen die Wachstumsrate der Lohne auf die Preise hat. Die-se Frage ist jedoch einfach zu beantworten, wenn man wie bisher von einerlinear-limitationalen Produktionsfunktion und Markup-Pricing ausgeht:

pt = (1 + a)wt

y. (4.2)

Bei Konstanz der Arbeitsproduktivitat y und des Markup-Faktors a ubersetztsich die Wachstumsrate der Lohne, wt+1, eins zu eins in die Wachstumsrate

Page 201: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

4.1 Textbuch-Inflationstheorie 189

des Preisniveaus pt+1, also die Inflationsrate: wt+1 = pt+1. Setzt man diesnun in (4.1) ein, so ergibt sich die sogenannte “modifizierte Phillipskurve” imSinne von Solow und Samuelson (1960):

pt+1 = (−βw)((Ut − U). (4.3)

Dieser Zusammenhang scheint zunachst eine Wahlmoglichkeit zwischen Ar-beitslosen- und Inflationsrate zu eroffnen. So kann offenbar ein geringes Maßan Arbeitslosigkeit durch eine hohere Inflationsrate “erkauft” werden (undumgekehrt). Allerdings stellt sich die Frage, ob der Zusammenhang in dervorliegenden Form wirklich uberzeugend ist: gesetzt den Fall, die aktuelle Ar-beitslosenrate Ut stimme zufalligerweise mit der “naturlichen” Rate U ube-rein, so wurde sich gemaß (4.1) eine Lohnsteigerungsrate von Null ergeben.Dies mag vernunftig erscheinen, solange die Wirtschaftssubjekte (insbesonde-re die Gewerkschaften, welche die Lohne mit den Unternehmen aushandeln)fur die Zukunft Preisstabilitat erwarten. In einer Situation aber, die vielleichtdurch hohe Inflationsraten und ebensolche Inflationserwartungen gekennzeich-net ist, ist ein solcher Ausgang wenig plausibel. Vielmehr ist zu erwarten,dass die Gewerkschaften einen Ausgleich fur die erwarteten Preissteigerungendurchsetzen wollen – und es angesichts des herrschenden Inflationsklimas auchkonnen. Dann aber wird die Lohnsteigerungsrate bei Ut = U nicht mehr Null,sondern pe

t+1 betragen (mit pet+1 als erwartetem kunftigen Preisniveau und

pet+1 = pe

t+1−pt

ptals der zum Verhandlungszeitpunkt erwarteten Inflationsra-

te). Eine in diesem Sinne “erweiterte Phillipskurve”, die im ubrigen auf M.Friedman (1968) zuruckgeht, hatte also folgendes Aussehen:

wt+1 = pt+1 = (−βw)((Ut − U) + pet+1. (4.4)

Dies fuhrt jedoch gleich zur nachsten Frage, namlich der, wie die Wirtschafts-subjekte ihre Inflationserwartungen bilden. Hier sei im folgenden von adapti-ven Erwartungen ausgegangen, d.h. die bisherigen Inflationserwartungen wer-den in einem bestimmten Maße an die bisherige Entwicklung angepasst:

pet+1 = pe

t + α(pt − pet )

= αpt + (1− α)pet (4.5)

Mit (4.4) und (4.5) stehen jetzt aber alle Informationen zur Verfugung, diezur Bestimmung der tatsachlichen Inflationsrate pt+1 beim Ubergang vomZeitpunkt t zum Zeitpunkt t + 1 benotigt werden. Als letztes ist jetzt nochzu fragen, welches Beschaftigungsniveau beziehungsweise welche Arbeitslo-senrate sich auf dieser Basis in der Folgeperiode t + 1 einstellt. Dieses ist –den bisher bereits getroffenen Festlegungen folgend – wiederum durch das IS-LM-Modell gegeben. Um nun das zu entwickelnde Modell hinsichtlich seinerKonsequenzen moglichst nahe an den “Mainstream” heranzufuhren, sei hiervon der “neoklassischen Extremversion” des IS-LM-Modells in Gestalt der so-genannten “Neoquantitatstheorie” ausgegangen. Sie ist durch die Annahme

Page 202: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

190 4 Konventionelle Analysen von Inflation und Wachstumsprozessen

einer zinsunelastischen Geldnachfrage mit der Konsequenz einer senkrechtenLM-Kurve gekennzeichnet. Formal lasst sie sich einfach durch die Gleichung

Mt · v = pt · Yt (4.6)

erfassen. In Analogie zur klassischen Quantitatstheorie geht sie von einer kon-stanten Umlaufgeschwindigkeit v aus, lasst aber im Unterschied zur Erstge-nannten bei kurzfristig konstanten Preisen eine Reaktion des Einkommens Yt

auf Geldmengenvariationen zu. Nach Yt aufgelost ergibt sich dann auch derfur die weiteren Betrachtungen entscheidende Zusammenhang:

Yt = v · Mt

pt(4.7)

Sofern also von einer Periode t zur nachsten (t + 1) die Geldmenge mit einerhoheren Rate wachst als das Preisniveau, wird der Output steigen, im um-gekehrten Fall dagegen abnehmen. Geht man desweiteren zunachst von einerin der Zeit konstanten Wachstumsrate der Geldmenge M aus, so entscheidetoffenbar die durch (4.4) und (4.5) festgelegte Preissteigerungsrate daruber, obin t + 1 der Output gegenuber der Ausgangsperiode t ansteigt, gleichbleibtoder sinkt. Uber die Produktionsfunktion wird damit auch gleich uber dieBeschaftigung in t + 1 mitentschieden, die ihrerseits aber uno actu die Ar-beitslosenrate Ut+1 festlegt und hieruber den Grundstein fur die Entwicklungin der ubernachsten Periode t + 2 legt. Schematisch lassen sich die bisherigenAblaufe folgendermaßen zusammenfassen:

IS-LM(Neo-Quantitäts-

theorie)

Produktions-funktion

Phillips-Kurve

Inflations-erwartungen

Adaptive

YtUt

pt+1

pet+1

^

^

pt+1 M^ ^>=<

t

t+1

t

t, t+1

t+1

t

Abb. 4.1. Wechselseitige Beeinflussung der mittelfristig variablen Großen im Zeit-ablauf

In Periode t wird also mithilfe der kurzfristig gegebenen Geldmenge Mt unddes ebenfalls kurzfristig festliegenden Preisniveaus pt uber die Neoquantitats-theorie (4.6) der Output Yt bestimmt. Die Produktionsfunktion ubersetzt die-sen in die aktuelle Arbeitslosenrate Ut, die ihrerseits im Zusammenspiel mit

Page 203: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

4.1 Textbuch-Inflationstheorie 191

den Inflationserwartungen pet+1 die Preissteigerungsrate zwischen der laufen-

den und der nachsten Periode (pt+1) festlegt. Letztere legt nun zusammen mitder (nach wie vor konstanten) Wachstumsrate der Geldmenge M das Output-niveau in der Periode t+1 fest (verschiebt also die LM-Kurve nach links oderrechts). Außerdem werden mithilfe von pt+1 die Inflationserwartungen aktua-lisiert. Damit sind nun wiederum alle Großen gegeben, die zur Bestimmungvon Ut+1 und pt+2 benotigt werden, so dass der “Zyklus” von vorne beginnenkann.

Die entscheidende Frage, die sich nun stellt, besteht naturlich darin, wel-cher Zeitpfad hierdurch generiert wird und insbesondere, ob dieser Prozessirgendwann einmal einem – sich selbst stets reproduzierenden – Ruhezustandzustrebt oder nicht. Diese Frage soll im nachsten Unterabschnitt beantwortetwerden.

4.1.2 Geldpolitisches Versagen

Bevor die zum Ende von Abschnitt 4.1.1 aufgeworfene Frage beantwortet wer-den kann, muss zunachst geklart werden, ob es einen entsprechenden Ruhezu-stand uberhaupt gibt und wodurch er gegebenenfalls charakterisiert ist. Dies-bezuglich fuhrt schon ein kurzer Blick auf die erweiterte Phillipskurve (4.4)zu einer weitreichenden Erkenntnis. Egal, wodurch ein langfristiges Gleichge-wicht auch immer im einzelnen gekennzeichnet sein mag, es ist ganz sichernicht moglich, dass auf Dauer die erwartete Inflationsrate von der tatsachli-chen abweicht. Somit muss in einem Zustand, der in der Zeit stabil sein soll,mit Sicherheit pe

t = pt∀t gelten. Dies geht gemaß (4.4) aber nur, wenn zugleichUt = U erfullt ist, die tatsachliche Arbeitslosenrate also mit ihrem “naturli-chen” Niveau ubereinstimmt. In einem langfristigen Gleichgewicht kann alsodie Arbeitslosenrate nie von dem Wert U abweichen. Jeder Versuch, etwa vonSeiten der Geldpolitik, die langfristige Arbeitslosenrate unter das Niveau U zudrucken, ist also von vorneherein zum Scheitern verurteilt! Mit der Arbeitslo-senrate ist aber uber die Produktionsfunktion zugleich der Output festgelegt,der somit langfristig ebenfalls eine Konstante darstellt.1 Dies wiederum be-deutet aber mit Blick auf die Neoquantitatstheorie (4.7), dass das Preisniveaumit derselben Rate wachsen muss wie die Geldmenge. Damit liegen die beidenwichtigsten Charakteristika eines langfristigen Gleichgewichts fest: Ut = Uund pt = M ∀t.

Es bleibt jedoch zu klaren, ob dieses Gleichgewicht langfristig uberhaupterreicht wird, ob also der in Abschnitt 4.1.1. beschriebene Prozess auf die-ses Gleichgewicht hinfuhrt oder nicht. Eine endgultige Antwort darauf mussjedoch der Analyse in Kapitel 5 vorbehalten bleiben, da Stabilitatsanalysennicht ohne weitergehende mathematische Hilfsmittel moglich sind. Es sei daheran dieser Stelle das Ergebnis einfach vorweggenommen: man kann zeigen, dass

1 Man beachte, dass Dinge wie Kapitalakkumulation oder technischer Fortschrittbei der hier betriebenen mittelfristigen Analyse noch keine Rolle spielen.

Page 204: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

192 4 Konventionelle Analysen von Inflation und Wachstumsprozessen

das Gleichgewicht unter den gemachten Annahmen in der Tat asymptotischstabil ist, die betrachtete Volkswirtschaft sich ihm also im Zeitablauf “belie-big genau” nahert. Allerdings kann es durchaus sein, dass sich dieses Ergebniserst nach einer Reihe von “Konjunkturzyklen” (mit abnehmender Amplitu-de) einstellt. Um ein wenig Intuition fur einen solchen Anpassungsprozess zuwecken, seien die einzelnen Phasen eines solchen Zyklus im folgenden kurzvorgestellt.

Abbildung 4.2. zeigt eine mogliche Entwicklung von Arbeitslosenrate undInflationsrate im Zeitablauf:

.

...

..

...

0

1

2

4

3

5

6

78

PC0 = PC1 (pe = µµµµ1 )

Ut

^

pt+1^

U

µµµµ1

µµµµ2

PC2

PC3

PC4

PC5

PC6

PC7

PC8

Inflationärer Boom

Stagflation Rezession

Erholung

Abb. 4.2. Konjunkturphasen wahrend des Anpassungsprozesses

Die Ausgangslage ist durch Punkt 0, eine wie eben beschriebene Gleichge-wichtslage, beschrieben; die Arbeitslosenrate befindet sich auf dem Niveau Uund die Inflationsrate entspricht der Wachstumsrate der Geldmenge, die imfolgenden mit der Variablen µ bezeichnet wird und im Punkt 0 den Wert µ1

hat. Abbildung 4.2 zeigt nun, wie die betrachtete Okonomie auf eine (einma-lige) Erhohung der Geldmengenwachstumsrate von µ1 auf µ2 reagiert.

Die erste Phase des jetzt einsetzenden Konjunkturzyklus ist durch diePunkte 1 und 2 beschrieben. In einem ersten Schritt bewirkt die erhohteWachstumsrate der Geldmenge, dass die Volkswirtschaft bei zunachst nochunveranderten Inflationserwartungen auf der alten Phillipskurve PC0 (mitPC fur “Phillips-curve”) nach links oben wandert (zu Punkt 1). Die sinkendeArbeitslosenrate heizt die Inflationsrate an, die ihrerseits zu hoheren Inflati-onserwartungen und einer dementsprechenden Verschiebung der Phillipskur-ve nach oben fuhrt. Da die Inflationsrate aber immer noch unter der neuenWachstumsrate der Geldmenge (µ2) liegt, steigt in der Folgeperiode gemaß

Page 205: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

4.1 Textbuch-Inflationstheorie 193

Neoquantitatstheorie (4.7) der Output weiter an, so dass die Arbeitslosenrateweiter zuruckgeht. Dies in Verbindung mit den bereits gestiegenen Inflations-erwartungen fuhrt zu einem weiteren Anstieg der Preissteigerungsrate (Punkt2 auf der neuen Phillipskurve PC2). Da der Ubergang von Punkt 1 zu Punkt2 somit durch U ↓ und p ↑ gekennzeichnet ist, kann man hier von einem“inflationaren Boom” sprechen, zumal die Arbeitslosenrate bereits unter demNiveau U liegt.

Nach einer gewissen Zeit wird dann aber die Inflationsrate die neue Wachs-tumsrate der Geldmenge µ2 uberschreiten mit der Folge eines Outputruck-gangs und eines dementsprechenden Anstiegs der Arbeitslosenrate. Dennochkommt es zu einer weiteren Steigerung der Inflationsrate, da die vorausgegan-genen Preissteigerungsraten entsprechend hohe Inflationserwartungen hervor-gerufen haben, die nun in die Lohnverhandlungen eingehen. Dementsprechendverschiebt sich die Phillipskurve weiter nach oben. Diese Kombination vonsteigender Arbeitslosigkeit und weiter steigender Inflationsrate, so wie sie bei-spielsweise beim Ubergang von Punkt 3 zu Punkt 4 zu beobachten ist, wirdublicherweise als “Stagflation”, also eine Mischung aus “Stagnation” und “In-flation”, bezeichnet.

Aufgrund der anhaltend uber der Geldmengenwachstumsrate liegendenInflationsraten kommt es im Zuge der weiteren Entwicklung zu einem immerweiteren Anstieg der Arbeitslosenrate (weiterhin vermittelt uber den neoquan-titatstheoretischen Zusammenhang), die somit beim Lohnfindungsprozess einstarkes Gegengewicht gegen die nach wie vor hohen Inflationserwartungendarstellt. Die Folge: die weitere Zunahme der Inflationsrate wird abgebremstund mit ihr auch die Zunahme der Inflationserwartungen. Damit aber fallenauch die Verschiebungen der Phillipskurve nach oben immer schwacher aus,bis sie schließlich nicht mehr ausreichen, um den uber die Arbeitslosenrateausgeubten Druck auf die Lohne (und hieruber auf die Preise) zu kompen-sieren. Damit entstehen schließlich Situationen wie die durch Punkt 5 und 6dargestellte. Hier sind die inflationaren Auftriebstendenzen bereits gebrochen,allerdings liegt die Preissteigerungsrate immer noch oberhalb von µ2, so dasses zu einem weiteren Anstieg der ohnehin schon oberhalb von U liegenden Ar-beitslosenrate kommt. Aus diesem Grunde kann diese Phase mit dem Begriffder “Rezession” beschrieben werden. Aufgrund der rucklaufigen Inflationsratenehmen aber auch die Inflationserwartungen ab, so dass sich die Phillipskurvewieder nach unten verschiebt (z.B. von PC5 nach PC6).

Irgendwann wird dann die Inflationsrate wieder unter die Geldmengen-wachstumsrate µ2 fallen mit der Folge, dass die Arbeitslosenrate zuruckgeht.Aufgrund der weiter abnehmenden Inflationserwartungen verschiebt sich diePhillipskurve weiter nach unten, so dass sich die ansteigende Beschaftigungnicht gleich wieder in eine hohere Preissteigerungsrate ubersetzt. In dieserPhase, wie sie etwa durch den Ubergang von Punkt 7 nach Punkt 8 gekenn-zeichnet ist, kann man von einer “Erholung” der Volkswirtschaft sprechen.

Somit ist man prinzipiell wieder am Ausgangspunkt angelangt, allerdingsmit dem Unterschied, dass sich die Okonomie jetzt bereits naher an ihrer

Page 206: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

194 4 Konventionelle Analysen von Inflation und Wachstumsprozessen

neuen Gleichgewichtslage (U ; µ2) befindet als im Punkt 0, so wie es auch inAbbildung 4.2 suggeriert wird. Auch wenn der eben beschriebene Zyklus inder Folge noch ein paar Mal durchlaufen wird, so ist doch die Distanz zudiesem Gleichgewicht nach jedem Durchgang geringer als zuvor; langfristigstrebt sie gegen Null.

4.1.3 Akzelerierende Inflation

Wie im vorangegangenen Abschnitt gezeigt, kann eine einmalige Erhohungder Wachstumsrate der Geldmenge die Arbeitslosenrate allenfalls kurzfristiggunstig beeinflussen; langfristig jedoch kehrt letztere stets auf ihr “naturli-ches” Niveau zuruck und das einzige Resultat einer expansiven Geldpolitikbesteht in einer Erhohung der gleichgewichtigen Inflationsrate. Andererseitskann sich die naturliche Arbeitslosenrate aber durchaus auf einem aus gesell-schaftspolitischer Sicht inakzeptabel hohen Niveau befinden, so dass sich dieFrage stellt, ob sich nicht doch durch geeignetes Eingreifen eine auch dauer-haft vorteilhaftere Situation erreichen lasst. Und auf den ersten Blick scheintAbbildung 4.2. tatsachlich eine Moglichkeit aufzuzeigen, wie die Arbeitslosen-rate nachhaltig auf einem Niveau unterhalb von U stabilisiert werden konnte.Offenbar muss spatestens zu dem Zeitpunkt, an dem die Inflationsrate dieWachstumsrate der Geldmenge ubersteigt, durch eine abermalige Erhohungdes Geldmengenwachstums, etwa auf einen Wert µ3 > µ2, den kontraktivenWirkungen der Preissteigerungsrate entgegengewirkt werden.

Allerdings zeigt sich bei naherer Betrachtung sehr schnell, dass damit diebereits bekannten Probleme nur hinausgezogert werden, denn fruher oderspater wird die Preissteigerungsrate auch den Wert µ3 erreichen und uber-steigen. Soll die Arbeitslosenrate weiterhin niedrig gehalten werden, so er-fordert dies offenbar eine weitere Erhohung der Geldmengenwachstumsrateauf ein Niveau µ4 > µ3. Der weitere Verlauf ist damit klar: nur durch fortge-setzte Erhohungen des Geldmengenwachstums und damit einhergehend immerhoheren Preissteigerungsraten kann eine Arbeitslosenrate unterhalb von U aufDauer aufrechterhalten bleiben. Der Preis fur eine niedrigere Arbeitslosenrateist also eine akzelerierende, also eine sich immer weiter beschleunigende, Infla-tion. Spatestens dann jedoch, wenn letztere das Stadium einer Hyperinflationerreicht hat, kann die Funktionsfahigkeit einer Volkswirtschaft ernsthaft be-eintrachtigt werden, etwa dadurch, dass die heimische Wahrung nicht mehrals Zahlungsmittel akzeptiert wird. Wahrscheinlich aber wird schon in einerweitaus fruheren Phase eine derartige Politik an die Grenzen der Akzeptanzstoßen. Dies aber kann nur bedeuten, die Wachstumsrate der Geldmenge zu-mindest auf einem bestimmten Level einzufrieren, moglicherweise sogar, sieim Zeitablauf wieder zu reduzieren. Damit aber kehrt die Arbeitslosenratelangfristig wieder auf das Niveau U zuruck.

Eine nachhaltige Politik zur Senkung einer hohen Sockelarbeitslosigkeitmuss also an anderer Stelle ansetzen. Konkret sind hierbei diejenigen Faktoren

Page 207: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

4.2 Textbuch-Wachstumstheorie 195

gemeint, welche die Hohe von U direkt beeinflussen, wie etwa das Lohnfor-derungsverhalten der Gewerkschaften. Nur dann, wenn auch bei niedrigerenArbeitslosenraten die Nominallohnerhohungen nicht uber die erwartete In-flationsrate2 hinausgehen, ist eine dauerhafte Senkung der Arbeitslosenratedenkbar. Eine Umverteilung des Einkommens zugunsten der Arbeitnehmer,die je nach konkreter Lage der Dinge und politischem Standpunkt eventuell alswunschenswert angesehen werden kann, sollte somit auf anderem Wege (etwaim Rahmen der Steuerpolitik) erfolgen, sollen langfristige “Kollateralschaden”in Form hoher Arbeitslosigkeit oder galoppierender Inflation vermieden wer-den.

4.2 Textbuch-Wachstumstheorie

Im folgenden soll nun die Analyse auf die lange Frist ausgedehnt werden,womit insbesondere gemeint ist, dass der Kapazitatseffekt von Investitionenjetzt explizit zu berucksichtigen ist. Um aber zum einen die nachfolgenden Be-trachtungen so einfach wie moglich zu halten und zum anderen die Analogiezu den einschlagigen Modellen in diesem Zusammenhang zu wahren, soll hier-bei von den gerade diskutierten mittelfristigen Anpassungsprozessen abstra-hiert werden. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass sich Lohne und Preisestets hinreichend schnell anpassen, um in jeder Periode ein Vollbeschaftigungs-gleichgewicht zu gewahrleisten. In Abschnitt 4.2.1 wird zunachst die einfachs-te denkbare Version der Langfristanalyse vorgestellt, in welcher sowohl einekonstante Arbeitsbevolkerung als auch ein gegebener Stand der Technik un-terstellt wird. Eine Integration des Bevolkerungswachstums erfolgt dann inAbschnitt 4.2.2. Aus Grunden der Anschaulichkeit wird in beiden Fallen wie-der ein zeitdiskreter Modellrahmen verwendet.

4.2.1 Kapitalakkumulation

Ausgangspunkt des im folgenden zu entwickelnden Solow–Modells ist eineVolkswirtschaft mit neoklassischer Produktionsfunktion F in den FaktorenArbeit Lt und Kapital Kt. Durch die zusatzliche Annahme der Linearhomo-genitat kann diese Produktionsfunktion auch in intensiver Form dargestelltwerden, wie schon an fruherer Stelle ausgefuhrt wurde:

F (Kt, Lt) = Lt · F (Kt

Lt, 1) = Lt · f(kt), (4.8)

wobei kt := Kt

Ltdie Kapitalintensitat bezeichnet und f(kt) den Pro–Kopf–

Output. Wird nun zunachst von einem zeitinvarianten Arbeitsinput, also Lt =

2 Im Falle technischen Fortschritts konnten die Lohnsteigerungen um dessen Ratehoher ausfallen.

Page 208: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

196 4 Konventionelle Analysen von Inflation und Wachstumsprozessen

L ∀t ausgegangen, so stimmt die Wachstumsrate von kt mit der von Kt

uberein:

kt+1 :=kt+1 − kt

kt=

1L

(Kt+1 −Kt)1L

Kt

=Kt+1 −Kt

Kt=: Kt+1 (4.9)

Entscheidend fur die weiteren Uberlegungen ist nun die bereits eingangs ge-nannte Annahme, dass stets der Vollbeschaftigungsoutput produziert wirdund dieser auch absetzbar ist. Die gesamte Ersparnis St wird also in vollerHohe am Kapitalmarkt angelegt und dort zu Investitionszwecken nachgefragt.Gleichung (4.9) lasst sich somit fortfuhren zu:

kt+1 − kt

kt=

Kt+1 −Kt

Kt=

It

Kt=

St − δKt

Kt=

St

Kt− δ (4.10)

Im Unterschied zum bisherigen Vorgehen in diesem Buch wird an dieser Stel-le davon ausgegangen, dass den Haushalten stets das gesamte Einkommenzufließt, letzteres also nicht bereits vorab um die Abschreibungen vermin-dert wird. Auf den Grund fur diese Abweichung von der bisherigen Praxiswird weiter unten kurz eingegangen. Die Ersparnis stimmt somit hier mitden Bruttoinvestitionen uberein. Zur Ermittlung der Nettoinvestitionen unddamit der Veranderung des Kapitalstocks muss die Ersparnis folglich um dieAbschreibungen δKt vermindert werden, so wie in Gleichung (4.10) geschehen.

Der letzte Schritt besteht nun in der Spezifizierung des Sparverhaltens.Hier wird von einer einkommensabhangigen Sparfunktion St = s · Yt =s · F (Kt, L) ausgegangen, die zudem das einzige keynesianische Element indiesem ansonsten rein neoklassischen Modell darstellt. Dies in (4.10) einge-setzt liefert dann:

kt+1 − kt

kt=

s · F (Kt, L)Kt

− δ = s · F (Kt, L)L

· L

Kt− δ

= s · f(kt) · 1kt− δ, (4.11)

woraus durch Multiplikation mit kt dann der endgultige Zusammenhang

kt+1 − kt = s · f(kt)− δkt, (4.12)

beziehungsweise

kt+1 = s · f(kt) + (1− δ)kt, (4.13)

resultiert. Grafisch lassen sich die letzten beiden Gleichungen wie folgt dar-stellen:3

3 An dieser Stelle wird zusatzlich noch die Gultigkeit der beiden sogenannten Inada-Bedingungen f ′(k) → ∞ fur k → 0 und f ′(k) → 0 fur k → ∞ angenommen.Die Steigung der Kurve im oberen Teil von Abbildung 4.3. strebt damit mitwachsendem kt gegen den Wert 1− δ.

Page 209: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

4.2 Textbuch-Wachstumstheorie 197

k t+1

k t

k t

k*

k*

k1k t+1 - k tk2

. . .45o

> > > < < <

s f (kt) - δδδδ kt

s f (kt) + (1-δδδδ) kt

Abb. 4.3. Gleichgewichtsbestimmung und Anpassungspfad im Solow–Modell

Die Volkswirtschaft strebt also im Zeitablauf einem stabilen Gleichgewichts-zustand zu, der durch die Kapitalintensitat k∗ und einen entsprechenden Wertfur den Pro–Kopf–Output gekennzeichnet ist. Zudem lassen sich mithilfe vonAbbildung 4.3. unmittelbar einige komparativ-statische Ergebnisse ableiten.So verschiebt beispielsweise eine hohere Sparneigung s die “(sf(k)+(1−δ)k)-Kurve” nach oben mit der Konsequenz einer hoheren gleichgewichtigen Ka-pitalintensitat k∗, wahrend eine hohere Abschreibungsrate den gegenteiligenEffekt hatte. Abschließend sei noch kurz die Begrundung nachgeliefert, wes-halb im Rahmen dieses Modells von der bisherigen Praxis abgewichen wur-de, das verfugbare Einkommen der Haushalte bereits um die Abschreibungenzu bereinigen. Wurde man namlich hier von einer Sparfunktion der FormSt = s · (Yt − δKt) ausgehen, so ware die sich ergebende Gleichgewichtslagedurch Y ∗ = δK∗ gekennzeichnet, d.h. das gesamte Einkommen wurde zurDeckung der Abschreibungen verwendet. Wurde man jedoch von vornehereinweitere Effekte wie das Bevolkerungswachstum oder technischen Fortschrittin die Analyse einbeziehen (was hier nur aus Vereinfachungsgrunden bisherunterlassen wurde), so wurde dieses Kuriosum sofort verschwinden.

4.2.2 Naturliches Wachstum

Die zuletzt angesprochenen Erweiterungsmoglichkeiten sollen hier kurz amBeispiel des Bevolkerungswachstums demonstriert werden. Dazu sei angenom-men, dass die Bevolkerung mit der konstanten Rate n im Zeitablauf wachst,also Lt = n ∀t gilt. Im Unterschied zum Vorgehen im vorangegangenen Ab-schnitt ist jetzt die Wachstumsrate der Kapitalintensitat kt = Kt

Ltneu zu

bestimmen, da jetzt auch der Nenner einem Wachstumsprozess unterliegt.

Page 210: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

198 4 Konventionelle Analysen von Inflation und Wachstumsprozessen

Hierzu empfiehlt es sich, in einem ersten Schritt die Wachstumrate von kt wiefolgt zu approximieren:

kt+1 =kt+1 − kt

kt≈ ln

(1 +

kt+1 − kt

kt

)= ln

(kt+1

kt

)

= ln(kt+1)− ln(kt), (4.14)

wobei die Approximation durch Anwendung der bekannten Naherungsformelfur den Logarithmus ln(1+x) ≈ x fur hinreichend kleine Werte von x zustan-dekommt, die hier lediglich von rechts nach links gelesen wurde. Als nachstesist jetzt der Zusammenhang

ln(kt) = ln(

Kt

Lt

)= ln(Kt)− ln(Lt) (4.15)

zu berucksichtigen, der sich direkt aus der Definition von kt und den bereitszuvor angewandten Rechenregeln fur Logarithmen ergibt. Da Gleichung (4.15)naturlich fur alle Werte von t und somit u.a. auch fur t + 1 gelten muss,lasst sich die Differenz zwischen ln(kt+1) und ln(kt) (und damit gemaß (4.14)approximativ die Wachstumsrate von kt) folgendermaßen berechnen:

ln(kt+1) = ln(Kt+1)− ln(Lt+1) | · 1ln(kt) = ln(Kt)− ln(Lt) | · (−1)

⇒ ln(kt+1)− ln(kt)︸ ︷︷ ︸≈ kt+1

= ln(Kt+1)− ln(Kt)︸ ︷︷ ︸≈ Kt+1

− (ln(Lt+1)− ln(Lt))︸ ︷︷ ︸≈ ˆLt+1 = n

(4.16)

Die Wachstumsrate von kt ergibt sich also approximativ aus der Differenzzwischen den Wachstumsraten von Kt und Lt. Dies aber bedeutet, dass Glei-chung (4.11) aus Abschnitt 4.2.1 nahezu unverandert ubernommen werdenkann; es ist lediglich auf der rechten Seite nun zusatzlich die Wachstumsratevon Lt, also n, in Abzug zu bringen. Anstelle von (4.12) bzw. (4.13) ergibtsich somit:

kt+1 − kt = s · f(kt)− (δ + n)kt, (4.17)

beziehungsweise

kt+1 = s · f(kt) + (1− δ − n)kt. (4.18)

Damit ist aber auch die grafische Reprasentation zur Bestimmung des Gleich-gewichts und des Anpassungsprozesses qualitativ von gleicher Gestalt wieAbbildung 4.3. in Abschnitt 4.2.1. Es ist lediglich zu berucksichtigen, dassdie Lage der Kurven jetzt eben auch von der Bevolkerungswachstumsrate nmitbeeinflusst wird, die in gleicher Weise wie die Abschreibungsrate δ aufdie Gleichgewichtslage einwirkt. Der wesentliche Unterschied zum Fall ohne

Page 211: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

4.3 Ausblick: Die Keynesianische Inflation- und Wachstumstheorie 199

Bevolkerungswachstum ist darin zu sehen, dass jetzt die Niveaugroßen Yt undKt auch im Gleichgewicht im Zeitablauf wachsen, und zwar beide mit der Ratedes Bevolkerungswachstums, n. Dies ergibt sich unmittelbar aus der Konstanzder Kapitalintensitat k = K

L und des Pro–Kopf–Outputs YL im Steady State.

Auch bezuglich des neuen Parameters n lasst sich nun eine komparativ-statische Untersuchung vornehmen. So bewirkt ein Anstieg der Bevolkerungs-wachstumsrate eine niedrigere Kapitalintensitat und damit auch einen gerin-geren Pro–Kopf–Output im neuen Steady State. Dies kommt daher, dass imalten Gleichgewicht die Ersparnis einer Periode nicht mehr ausreicht, um denKapitalstock mit der gleichen Rate wachsen zu lassen, mit der jetzt – nachder Erhohung von n – die Bevolkerung wachst. Infolgedessen nimmt nun dieKapitalintensitat solange ab, bis ein Wert erreicht ist, der in der Zeit aufrecht-erhalten werden kann.

Abschließend soll noch kurz auf einen Schwachpunkt der bisherigen Mo-dellstruktur hingewiesen werden, der darin besteht, dass – egal ob mitBevolkerungswachstum oder ohne – das Gleichgewicht stets dadurch charak-terisiert ist, dass der Pro–Kopf–Output konstant bleibt. Eine Veranderungdieser Große findet nur wahrend des Anpassungsprozesses statt. Dies lasstsich jedoch nur schwer damit in Einklang bringen, dass in der Realitat dasSozialprodukt pro Kopf auch langfristig zunimmt, zumindest in den meistenLandern. Der Grund fur diese Diskrepanz besteht darin, dass technischer Fort-schritt bisher nicht berucksichtigt worden ist. Bezieht man diesen (in geeigne-ter Form) in das Modell ein, so ergibt sich eine dynamische Gleichgewichtslage,in welcher sowohl Kapitalintensitat als auch Pro–Kopf–Output im Zeitablaufzunehmen. Durch eine Neudefinition der beteiligten Variablen lasst sich dasModell aber unter formalen Gesichtspunkten wieder in die gleiche Form wieim vorliegenden Abschnitt bringen. Die Details einer solchen Reformulierungdes Ansatzes mithilfe sogenannter “Effizienzeinheiten” werden in Kapitel 6naher beschrieben.

4.3 Ausblick: Die Keynesianische Theorie derBeschaftigung, der Inflation und des Wachstums

Wie die bisherigen Uberlegungen gezeigt haben, scheinen sich in der mittlerenund langen Frist stets die Angebotskrafte in einer Volkswirtschaft durchzu-setzen. Faktoren wie etwa die aggregierte Nachfrage und ihre Determinan-ten scheinen damit allenfalls kurzfristig von Bedeutung zu sein. Bei genauemHinsehen allerdings wird rasch deutlich, dass in beiden Fallen (also bei dermittelfristigen wie der langfristigen Erweiterung) bereits die kurze Frist garnicht durch das zuvor entwickelte IS-LM-Modell in seiner Normalform (imSinne von normal geneigter IS– und LM-Kurve) gekennzeichnet war. Von da-her kann es kaum verwundern, dass Nachfrageaspekte auch auf langere Sichtnicht zum Tragen kamen.

Page 212: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

200 4 Konventionelle Analysen von Inflation und Wachstumprozessen

Somit drangt sich die Frage auf, welche Konsequenzen sich bei einer kon-sequenten Weiterentwicklung des in Kapitel 3 entwickelten Modellrahmensergeben wurden. Fur die Analyse der mittleren Frist wurde dies bedeuten,dass anstelle der Neoquantitatstheorie von einer normal geneigten LM-Kurve(und somit einer variablen Umlaufgeschwindigkeit der Geldmenge) auszuge-hen ware. Wie im nachsten Kapitel naher ausgefuhrt wird, wurde dies allei-ne aber dennoch nicht wesentlich uber die bereits dargestellten Ablaufe hin-ausfuhren. Berucksichtigt man allerdings noch den Tatbestand, dass nicht nurdie Preisniveaudynamik, sondern auch die Investitionen von der erwartetenInflationsrate abhangen, so zeigt sich, dass die Stabilitat des mittelfristigenGleichgewichts nicht langer garantiert ist. Stattdessen sind jetzt konstanteZyklen um die mittelfristige Gleichgewichtslage nicht mehr auszuschließen.

Ahnliches gilt fur die Analyse der langen Frist, die ebenfalls von kurzfris-tigen IS-LM-Gleichgewichten ihren Ausgangspunkt nehmen musste. Ebensomusste sie den gerade angesprochenen mittelfristigen AnpassungsprozessenRechnung tragen, die naturlich im Wachstumskontext noch entsprechend zumodifizieren sind (etwa durch mogliche Einflusse des Auslastungsgrades derUnternehmen auf die Bestimmung des Preisniveaus). Wie in Kapitel 6 gezeigtwird, werden im Lichte dieser Erweiterungen monotone Anpassungsprozes-se wie im Rahmen des in Abschnitt 4.2 kurz angesprochenen Solow–Modellseher unwahrscheinlich. Stattdessen ergeben sich auch in der langen Frist eherzyklische Verlaufe.

Page 213: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

Teil II

Makrookonomik fur Fortgeschrittene

Page 214: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5

Keynesianische Inflationstheorie:Die mittlere Sicht

Wahrend wir im ersten Teil dieses Buches die Analyse und Schlussfolgerungenbzgl. der Funktionsweise einer modernen Volkswirtschaft und der Konsequen-zen von Geld- und Fiskalpolitik in der kurzen Frist darstellten, ist unser Zielin diesem zweiten Teil eine ausfuhrliche und konsistente Darstellung dieserZusammenhange fur die mittlere Frist zu liefern.

Die vorzunehmenden Erweiterungen der behandelten Kurz-Frist Modellewerden, wie wir sehen werden, weitreichende Konsequenzen haben, da vie-le Eigenschaften der analysierten kurzfristigen Gleichgewichte (egal ob dieseVoll- oder Unterbeschaftigunssituationen implizierten) der Tatsache geschul-det sind, dass sich einige Nominal- und Real-Großen wie der Nominallohn, dasPreisniveau und die erwartete Inflationsrate, nicht beliebig schnell anpassen(konnen). In den nun zu betrachtenden theoretischen Modellen der mittlerenFrist wird dies jedoch moglich sein, so dass neben stabilisierenden und de-stabilisierenden Effekten auch eine dynamische Ruhelage sichtbar wird, alsoeine Art spezielles temporares Gleichgewicht, dessen reale Großen wie Ein-kommen, Beschaftigung, Reallohn und reale Geldmenge auch angesichts dermittelfristigen Dynamik unverandert bleiben.

Weiterhin konstant gehalten werden in der Analyse dieses Kapitels indesdie Bestande der Produktionsfaktoren, also von Arbeitskraftepotential undKapital. Ihre Veranderungen in der Zeit – wie etwa Bevolkerungswachstumoder Zunahme des Kapitalstocks infolge der Nettoinvestitionen (Kapazitats-effekt) – werden Thema des 6. Kapitels sein.

Ein besonderer Schwerpunkt der Ausfuhrungen dieses Kapitels wird dieRolle der Erwartungen der Wirtschaftssubjekte, und insbesondere deren Er-wartungen bzgl. zukunftiger Inflationsentwicklungen sein. Wie wir sehen wer-den, wirft eine konsistente Einbindung ihrer Rolle in ein erweitertes IS-LMModell mit graduellen Lohn- und Preisanpassungen eine vollig andere Per-spektive auf die mittelfristige Dynamik einer Volkswirtschaft auf und machtdaruberhinaus deutlich, wie wichtig die Rolle des Staates (durch die adequateDurchfuhrung insbesondere von Geldpolitik) als Stabilisierungsfaktor ist.

Page 215: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

204 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

Im folgenden werden wir als Einstieg in die Analyse der mittleren Sichtzunachst das monetaristische Basismodell behandeln, welches, wie wir nochsehen werden, in vielem neoklassische Zuge tragt und im Endeffekt sogarals mittelfristige Erweiterung des neoklassischen Basismodells aufgefasst wer-den kann. Demgegenuber wird als nachstes ein IS–LM–Modell der mittlerenSicht (IS–LM–PC–Modell) vorgestellt, wobei sich die Darstellung zunachstan Dornbusch/Fischer (1995), orientieren wird. Dies, jedoch, wird nicht dasEnde unserer Ausfuhrungen darstellen, da, wie wir sehen werden, eine solcheErweiterung des IS-LM Modells von einem wesentlichen Sachverhalt, namlichvon der Rolle der Inflationserwartungen, abstrahiert. In einer entsprechendkorrigierten und um einen weiteren empirischen Sachverhalt angereichertenVersion des IS-LM Modells der mittleren Frist werden wir dann deutlich ma-chen, dass eine mittelfristige Analyse einer Volkswirtschaft nur umfassend seinkann, wenn die Dynamik der Inflationserwartungen der Wirtschaftssubjektevoll in das Modell integriert ist.

Als nachstes werden wir zwei Erweiterungen dieses Ansatzes diskutie-ren. Zum Einen werden wir, wie in neueren Textbucher wie Carlin Soskice(2005), die Rolle von Geldpolitik durch eine Zinssteuerungsregel anstatt dervorhin unterstellten Geldmengensteuerung diskutieren. Zum anderen werdenwir, durch die Unterscheidung zwischen einem kurz– und einem langfristigenZinssatz, die Komplexitat der Transmissionsmechanismen in einer modernenVolkswirtschaft verdeutlichen. Abschließend wird ein Alternativmodell vorge-stellt, welches sich von den vorangegangenen Ansatzen vor allem durch eineandere Art der Lohn– und Preisbestimmung unterscheidet und dadurch auchzu deutlich anderen Schlussfolgerungen gelangt. Damit soll u.a. demonstriertwerden, dass bestimmte, in der Makrotheorie wie in der wirtschaftspoliti-schen Diskussion haufig anzutreffende Argumentationsmuster keineswegs sozwangslaufig sind, wie mitunter suggeriert wird.

5.1 Output, Inflation und Inflationserwartungen:Grundbausteine

Mittelfristige Preis- und Mengendynamik im Sinne einer angebotsorientiertentheoretischen Sichtweise, wie z.B. im Mankiw (2003) und Blanchard/Illing(2006) zu finden ist, lasst sich am einfachsten anhand des monetaristischenBasismodells darstellen, da dieses auf nur wenigen elementaren Bausteinenberuht, die auch oft mit einfachen empirischen Regularitaten in Verbindunggebracht werden. Bevor dieses Modell in seinen wichtigsten Implikationenim folgenden untersucht werden wird, werden in den nachsten Abschnittenseine Bausteine eingefuhrt und diskutiert werden und werden wir Alterna-tiven zu diesen Strukturgleichungen darstellen. Diese werden in den darauf-folgenden keynesianischen Modifikationen des monetaristischen BasismodellsVerwendung finden, wo wir schrittweise verdeutlichen wollen, dass die Im-plikationen des letzteren auf viel zu engen Annahmen beruhen und deshalb

Page 216: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.1 Output, Inflation und Inflationserwartungen: Grundbausteine 205

bei einer keynesianischen Reformulierung der mittelfristigen Preis-Mengen-Dynamik erhebliche Veranderungen erfahren werden. Es ist wichtig, dass derLeser sich mit den folgenden Alternativvorstellungen zu Phillipskurve, OkunsGesetz und Inflationserwartungen sehr vertraut macht, damit Modellverande-rungen auf dieser Basis ihm jeweils schon gelaufig sind und die Modelltypendes gegenwartigen Kapitels keine Orientierungsschwierigkeiten hervorrufen.

5.1.1 Der Monetarismus und die Quantitatstheorie des Geldes

Wie wir bereits in den Betrachtungen zur Geld– und Fiskalpolitik im Rah-men des IS–LM–Modells gesehen haben, hangt deren jeweilige Wirksamkeitbei gegebenem Kassenhaltungskoeffizienten und gegebener marginaler Kon-sumneigung entscheidend von den Steigungen der beiden Kurven ab, die ih-rerseits nunmehr die jeweils unterstellte Zinselastizitat der Geld– und In-vestitionsguternachfrage widerspiegeln. Dabei gingen (fruh–) keynesianischeAnsatze von einer sehr flachen LM– und einer steilen IS–Kurve aus, was imtheoretischen Extremfall auf die Konstellation einer ‘Investitionsfalle’ (ver-tikale IS–Kurve) und einer ‘Liquiditatsfalle’ (horizontale LM–Kurve) hin-auslauft, wobei bereits jeweils eine der beiden Situationen ausreicht, um key-nesianische Ergebnisse in ‘Reinform’ (wie z.B. das Lohnparadox) zu erhalten.Entscheidend ist dabei in beiden Fallen ein Versagen des Zinsmechanismus,sei es, dass die Investitionen auf etwaige Zinsanderungen gar nicht reagieren(was z.B. in einer starken Rezession der Fall sein konnte, wo die Absatzer-wartungen der Investoren derartig schlecht sind, dass auch Verbesserungenauf der Finanzierungsseite in Form sinkender Kapitalkosten nicht ausreichen,um die Investitionstatigkeit zu beleben), sei es, dass Zinsanderungen infol-ge etwaiger Veranderungen der Geldmenge oder des Preisniveaus uberhauptnicht zustande kommen, weil bei einer Unterschreitung der Minimalverzin-sung kein Wirtschaftssubjekt (aus dem privaten Sektor) mehr bereit ware,Bonds zu halten mit der Konsequenz, dass ein bond– und geldmarktraumen-der Zinssatz unterhalb dieser Schwelle nicht existiert und der Zinssatz selbigesomit nicht unterschreiten kann. In den betrachteten Fallen erwies sich daherdie Geldpolitik als vollig wirkungslos, wohingegen Fiskalpolitik in voller Hohedes einfachen Multiplikators wirkte.

Genau die gegenteilige Situation ergibt sich hingegen, wenn infolge einersehr geringen Zinssensitivitat der Geldnachfrage die LM–Kurve nahezu ver-tikal und aufgrund einer sehr hohen Zinselastizitat der Gutermarktnachfragedie IS–Kurve nahezu horizontal verlauft. Hier hat Fiskalpolitik so gut wie kei-nen expansiven Effekt, wohl aber die Geldpolitik. Eine solche Konstellationdeutet bereits die Richtung an, in die monetaristische Ansatze mit Blick aufdie kurze Sicht (diese Einschrankung ist wichtig!) gehen. Dies soll im Folgen-den anhand einer Reformulierung der vorangegangenen Uberlegungen in Formder Fisher’schen Geldverkehrsgleichung verdeutlicht werden.

Diese stellt in ihrer allgemeinen Form,

M · v = p · Y, (5.1)

Page 217: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

206 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

die Beziehung zwischen Geldmenge M , Umlaufgeschwindigkeit v sowie Preis-niveau P und realem Output Y dar. Nach v aufgelost, definiert sie sehr an-schaulich die Umlaufgeschwindigkeit als nominales Transaktionsvolumen proGeldeinheit1 (p·Y

M ). Unter Zugrundelegung dieser Definition reprasentiert dieseGleichung trotz ihrer auffallenden Ahnlichkeit zur neoklassischen Quantitats-theorie einen Zusammenhang, der immer erfullt sein muss. Die Unterschiedein den bisher vorgestellten theoretischen Ansatzen schlagen sich dementspre-chend auch nicht in der Akzeptanz oder Ablehnung dieser Beziehung, sondernvielmehr darin nieder, welche Großen in dieser Gleichung jeweils als konstantbzw. von der Geldmenge unabhangig angesehen werden und welche nicht.

Die quantitatstheoretische Interpretation: Die erwahnte Quantitats-theorie nimmt eine konstante Umlaufgeschwindigkeit v in Gleichung (5.1) an.Betrachtet man das neoklassische Basismodell und unterstellt zudem eine je-weils sofortige Anpassung von Preisen und Lohnen (mit dem Resultat einerdurchgangig senkrechten Y s–Kurve), so ist weiterhin auch der reale OutputY bereits durch das Arbeitsmarktgleichgewicht vorherbestimmt, so dass inGleichung (5.1) nur noch die Geldmenge und das Preisniveau als Variablenubrigbleiben. Jede Veranderung der Geldmenge schlagt sich daher ausschließ-lich in einer prozentual gleichen Steigerung des Preisniveaus nieder, ohne anden realen Großen (realer Output, Beschaftigung und Reallohn) irgendetwaszu andern. Dies war das zentrale Resultat der klassischen Quantitatstheorie,welches auch unter den Bezeichnungen ‘klassische Dichotomie’ (Zweiteilungzwischen realem und monetarem Sektor), ‘Neutralitat des Geldes’ oder ‘Geld-schleier’ (Geld liegt wie ein Schleier uber dem realen Geschehen, ohne dieseszu beeinflussen) bekannt ist.

Die keynesianische Interpretation: Demgegenuber geht der keynesiani-sche Ansatz implizit von einer variablen Umlaufgeschwindigkeit aus. Steigtbeispielsweise infolge einer fiskalischen Expansion bei konstanter Geldmen-ge und konstantem Preisniveau der gleichgewichtige Output, so ist dies nachGleichung (5.1) nur bei einer gleichzeitigen Erhohung der Umlaufgeschwin-digkeit moglich. Bleibt demgegenuber bei Vorliegen der Liquiditatsfalle eineGeldmengenerhohung in Bezug auf das Gleichgewichtseinkommen wirkungs-los, so muss bei weiterhin konstantem Preisniveau eine entsprechende Senkungder Umlaufgeschwindigkeit die gestiegene Geldmenge gerade kompensieren.Ginge man dagegen – ahnlich wie die Quantitatstheorie – von einer – zumin-dest weitestgehend – konstanten Umlaufgeschwindigkeit aus, so musste eineErhohung der Geldmenge gemaß Gleichung (5.1) zwangslaufig eine Wirkungauf das nominale Einkommen p · Y haben.

Genau dies wird von Friedman und der maßgeblich durch ihn gepragtenmonetaristischen Denkweise angenommen. Zwar geht er nicht so weit, zu be-haupten, das Geldangebot sei die einzige Bestimmungsgroße des Nominalein-kommens – eine gewisse Variabilitat der Umlaufgeschwindigkeit wird also auch

1 Vgl. Malliaropulos (1994, S.3).

Page 218: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.1 Output, Inflation und Inflationserwartungen: Grundbausteine 207

von ihm zugestanden –, wohl aber sieht er das Geldangebot als dominierendenEinflussfaktor an, so dass die Unterstellung einer vollig konstanten Umlaufge-schwindigkeit als zulassige Approximation des Friedman’schen Ansatzes inter-pretiert werden kann.2 Im IS-LM-Kontext ergibt sich, wie bereits gesagt, einevergleichbare Konstellation im Fall einer senkrechten LM-Kurve, was auchformal sofort ersichtlich wird, wenn aus Gleichung (3.11) der zinsabhangigeBlock (h0 − h1r) entfernt wird. Ubrig bleibt als Geldmarktgleichgewichtsbe-dingung dann nur M/P = Md/P = kY, also ein rein quantitatstheoretischerZusammenhang. Wie bereits an fruherer Stelle ausgefuhrt, fuhrt Fiskalpoli-tik in diesen Situationen zu einem totalen Crowding-out, d. h. in Hohe derzusatzlichen Staatsausgaben werden uber die steigenden Zinsen private Inves-titionen verdrangt, so dass sich nur die Verwendung des Einkommens andert,nicht aber seine Hohe. Demgegenuber bewirkt eine Erhohung des Geldange-bots, beispielsweise eine Verdopplung desselben, auch eine Verdopplung desIS-LM-Gleichgewichtsoutputs und damit eine Verdopplung der aggregiertenNachfrage zum gegebenen Preisniveau.

Als nachstes stellt sich die Frage, wie sich der geschilderte nachfrageseitigeImpuls einer Erhohung des Geldangebots nun auf Preisniveau und Outputverteilt. Man erinnere sich, dass die klassische Quantitatstheorie, die durchFriedmans Annahmen einer (nahezu) konstanten Umlaufgeschwindigkeit zueinem guten Teil wiederhergestellt erscheint, diese Frage in Richtung auf eineausschließliche Wirkung auf das Preisniveau beantwortet. Beim monetaristi-schen Ansatz hingegen ist es von entscheidender Bedeutung, hier zwischen derkurzen und der langen Frist zu unterscheiden:

• Kurzfristig ergibt sich eine expansive Wirkung sowohl auf das Preisniveauals auch auf den Output, also in der Tendenz das gleiche Resultat, das sichbeim neoklassischen Basismodell im Falle eines fixen Nominallohns oderauch einem ‘gemaßigten’ keynesianischen Ansatz, d.h. bei Abwesenheiteiner Investitions- oder Liquiditatsfalle, ergabe, auch wenn die monetaris-tische Begrundung in diesem Zusammenhang eine andere ist.

• Langfristig gesehen verbleibt jedoch allein ein Preiseffekt, wahrend derOutput arbeitsmarktseitig durch die noch vorzustellende sogenannte ‘na-turliche Arbeitslosenrate (NAR)’ bestimmt ist. Langfristig ergibt sich so-mit wieder der klassische ‘Geldschleier’, allerdings – wie wir noch sehenwerden – in Gestalt einer sog. ‘Superneutralitat des Geldes’, die sich aufdie reale Wirkungslosigkeit der Wachstumsrate der Geldmenge anstelleihres Niveaus bezieht.

Die Grunde fur diese Unterscheidung zwischen kurz– und langfristigen Ef-fekten der Geldpolitik konnen erst im Zusammenhang mit der (erweiterten)Phillipskurve und der Art der Erwartungsbildung der Wirtschaftssubjekte(konkret der Arbeitnehmer) diskutiert werden. Dennoch lasst sich bereits an

2 Vgl. Froyen (1993, S.264), an dem sich auch die ubrigen Ausfuhrungen teilweiseorientieren.

Page 219: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

208 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

dieser Stelle noch eine weitere naheliegende Frage ansprechen: Wenn eine ex-pansive Geldpolitik kurzfristig reale Effekte hat, langfristig dagegen nicht,wird ein sich selbst uberlassener privater Sektor nach einem exogenen (alsoz.B. durch die Notenbank verursachten) monetaren Schock von selbst wiederzum langfristigen Gleichgewicht zuruckkehren oder nicht? Diese Frage wirdvom Monetarismus eindeutig bejaht, und damit wird bereits eine dem Keyne-sianismus diametral zuwiderlaufende Sichtweise deutlich: Ging letzterer davonaus, dass ein Schock nicht endogen und rasch verarbeitet wird, sondern – u.a.unterstutzt durch eine starke Instabilitat der Geldnachfragefunktion – langereDepressionslagen oder auch zyklische Schwankungen zur Folge haben kann,wobei ein solcher Schock zudem auch aus dem privaten Sektor selbst kom-men kann (z.B. uber die Investitionsnachfrage), geht der Monetarismus voneiner inharenten Stabilitat des privaten Sektors aus. Die Ursachen fur mogli-che Abweichungen vom ‘Normal– oder Potentialoutput’ (der nach Diskussionder Phillipskurve im Zusammenhang mit Okuns Gesetz naher erlautert wird)liegen nach dieser Auffassung somit nicht im privaten Sektor, sondern in einerunstetigen und damit verfehlten Geldpolitik der Notenbank und damit beimStaat3. Spatere Betrachtungen in diesem Kapitel werden indes zeigen, dassselbst bei Ubernahme wichtiger Bausteine des monetaristischen Basismodellsdieses Stabilitatsresultat keineswegs zwangslaufig ist.

Bevor abschließend noch auf eine praktische Anwendung der vorgestell-ten Neoquantitatstheorie eingegangen wird, sollen deren wesentliche Aussagennoch einmal stichpunktmaßig zusammengefasst werden:

1. Die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes ist (naherungsweise) konstant:

M · v = p · Y. (5.2)

Man beachte, dass sich hieraus in Wachstumsraten ausgedruckt M + v =M + 0 = p + Y ergibt, bzw. mit M =: µ und Y =: γ : µ = p + γ.Der monetaristischen Empfehlung folgend sei dabei die Wachstumsrateder Geldmenge als konstant angenommen (µ = µ), so dass mit

µ = p + γ (5.3)

der erste Baustein des spater zu diskutierenden monetaristischen Basis-modells vorliegt.

2. Ein monetarer Schock beeinflusst kurz- bis mittelfristig sowohl die Preiseals auch den Output, langfristig dagegen bleibt ein reiner Preiseffekt ubrig.

3. Der private Sektor ist inharent stabil, findet also nach einem exogenenSchock (sofern nicht permanent neue folgen) selbstandig zu seiner langfris-tigen Gleichgewichtslage zuruck. Insbesondere ist die Geldnachfragefunk-tion stabil, wohingegen die (Fruh–)Keynesianer von erratischen Schwan-kungen derselben ausgingen.

3 Konsequenterweise empfiehlt Friedman (1969, S.45-47) daher eine konstante, amWachstum des realen Outputs orientierte Wachstumsrate der Geldmenge, umeben solche Schwankungen von der Volkswirtschaft fernzuhalten.

Page 220: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.1 Output, Inflation und Inflationserwartungen: Grundbausteine 209

Exkurs: Die Quantitatstheorie in okonometrischen Modellen

Abschließend soll exemplarisch der Einfluss der neuen Quantitatstheorie aufdie praktische Geldpolitik aufgezeigt werden. Hierbei geht es um die Ge-stalt der entsprechenden Gleichung in okonometrischen Modellen, die vonNotenbanken in der Realitat verwendet werden, um daraus letztlich eine Be-ziehung zwischen gleichgewichtigem Preisniveau (p∗t ) und Geldmenge (Mt)abzuleiten und ihre kunftige Geldpolitik daran ausrichten zu konnen (sog.P–Stern–Konzepte). Die folgende Darstellung stutzt sich dabei auf Malli-aropulos (1994), der zunachst das ‘Federal–Reserve–Board–Modell’ und das‘Bundesbank–Modell’4 gegenuberstellt. Hierbei geht das FED–Modell vondem beschriebenen quantitatstheoretischen Ansatz aus, wobei, um eine lineareSchatzgleichung zu bekommen, die logarithmierte Version verwendet wird:

ln(Mt) = β0 + ln(pt) + ln(Yt) + ut.

Wahrend in diesem Modell also eine stationare Umlaufgeschwindigkeit (v∗ =−β0, vgl. das Folgende) angenommen wird, lasst sich in den meisten Industri-elandern ein negativer stochastischer Trend derselben beobachten. Deswegengeht die Bundesbank von einem leicht modifizierten Ansatz aus:

ln(Mt) = β0 + ln(pt) + β2 ln(Yt) + ut

Hat der Storterm ut den Erwartungswert Null, so hangt das gleichgewichtigePreisniveau in der folgenden Weise von Yt und Mt ab:

ln(p∗t ) = −β0 − β2 ln(Y ∗t ) + ln(Mt).

Y ∗t ist dabei der Potentialoutput, der sich uber eine Produktionsfunktion und

Zugrundelegung der ‘naturlichen’ Arbeitslosenrate in Abhangigkeit von Ar-beitskrafteangebot und Kapitalstock in t bestimmen lasst. Fur die gleichge-wichtige Umlaufgeschwindigkeit v∗ gilt via

ln(v∗t ) = ln(p∗t ) + ln(Y ∗t )− ln(Mt)

dann:ln(v∗t ) = −β0 + (1− β2) ln(Y ∗

t ).

Da der Potentialoutput nun einen steigenden Trend aufweist und β2 > 1gilt, wie empirische Tests ergeben haben, ist v∗t somit mit einem langfristigenAbwartstrend behaftet. Die extreme quantitatstheoretische Annahme einerstationaren Umlaufgeschwindigkeit ist hier also durch die Berucksichtigungdes langfristigen Trends abgeschwacht worden. Andererseits ist, wie die letz-te Gleichung gezeigt hat, die gleichgewichtige Umlaufgeschwindigkeit immernoch von der jeweiligen Geldmenge unabhangig.4 Vgl. dazu auch: Monatsbericht der Deutschen Bundesbank, Januar 1992: Zum Zu-

sammenhang zwischen Geldmengen- und Preisentwicklung in der BundesrepublikDeutschland.

Page 221: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

210 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

Hier geht nun Malliaropulos in seinem eigenen Modell noch einen Schrittweiter, indem er auch den Parameter fur das Preisniveau frei schatzt unddiesen nicht, wie die beiden anderen Ansatze, von vornherein auf den Wert 1fixiert. Somit gelangt er zu dem allgemeinen Ansatz

ln(Mt) = β0 + β1 ln(pt) + β2 ln(Yt) + ut,

der in Bezug auf das gleichgewichtige Preisniveau zu

ln(p∗t ) =1β1

(−β0 − β2 ln(Yt) + ln(Mt))

und hinsichtlich der gleichgewichtigen Umlaufgeschwindigkeit zu

ln(v∗t ) = −β0

β1+

(1− β2

β1

)ln(Y ∗

t )−(

1− 1β1

)ln(Mt)

fuhrt. Fur β1 > 1 hat nun eine Erhohung des Geldangebots sowohl einen(positiven) Preiseffekt als auch einen (negativen) Effekt auf die Umlaufge-schwindigkeit, wobei sich letzteres auch als Liquiditatsanstieg interpretierenlasst. Malliaropulos erklart das damit, dass Geldpolitik nicht nur einen lang-fristigen Einfluss auf die Guterpreise, sondern auch auf die Preise von Finanz-anlagen, z.B. Aktienkurse, hat und damit langfristig auch eine großere Liqui-ditat benotigt wird, um die damit verbundenen Transaktionen abzuwickeln.Im Unterschied zur Quantitatstheorie geht hier also eine monetare Expansionauch langfristig nicht zu 100% in die Preise, sondern wird teilweise durch eineSenkung der gleichgewichtigen Umlaufgeschwindigkeit ‘absorbiert’. Anderer-seits hat auch im Ansatz von Malliaropulos Geld keinen langfristigen realenEffekt, da der Potentialoutput Y ∗

t bereits uber die Produktionsfunktion unddas Faktorangebot bestimmt ist.

5.1.2 Die Lohn–Phillipskurve

Im vorigen Abschnitt haben wir darauf hingewiesen, dass aus monetaristischerSicht die kurz– und langfristigen Folgen einer Geldmengenerhohung getrenntzu betrachten sind und sich bezuglich ihres Ergebnisses deutlich unterschei-den. Den entscheidenden Beitrag zur Erklarung dieses Zusammenhangs – unddamit den nachsten Baustein des monetaristischen Basismodells – liefert diesog. ‘Phillipskurve’, die auf eine empirische Studie von A.W. Phillips zuruck-geht, die dieser uber den Zusammenhang zwischen der Wachstumsrate derNominallohne und der Arbeitslosenrate in Großbritannien erstellte und 1958veroffentlichte. Die Untersuchung umfasste den Zeitraum von 1861 bis 1957und lieferte folgendes Bild:5

5 Aus: A.W. Phillips (1958): The Relation Between Unemployment and the Rateof Change of Money Wage Rates in the United Kingdom, 1861 – 1957 (S.285).

Page 222: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.1 Output, Inflation und Inflationserwartungen: Grundbausteine 211

Abb. 5.1. Die Original-Phillips-Kurve

Hiernach besteht also ein negativer, nichtlinearer Zusammenhang zwischender Wachstumsrate des Nominallohns und der Arbeitslosenrate, wobei dieLohne bei einer Arbeitslosenrate von etwa 5,5% gerade konstant bleiben. Ne-ben dieser empirischen Korrelation waren es jedoch auch die Versuche einertheoretischen Fundierung, die zu einer raschen Verbreitung der Phillipskur-ve in okonomischen Modellen beitrugen. Eine der ersten Erklarungen dieserArt stammt von Lipsey (1960) und beruht zum einen auf der (naheliegen-den) Annahme, dass die Nominallohne infolge einer Uberschussnachfrage aufdem Arbeitsmarkt (die naturlich auch negativ sein kann) zu steigen beginnen,wobei zwischen dieser Steigerungsrate und der Uberschussnachfrage ein linea-rer Zusammenhang unterstellt wird. Demgegenuber wird von einer negativennichtlinearen Beziehung zwischen Uberschussnachfrage auf dem Arbeitsmarktund Arbeitslosenrate ausgegangen, wobei der Kurvenverlauf qualitativ demder Phillipskurve in Fig. 5.1. entspricht. Begrundet wird dieser Zusammen-hang damit, dass auch bei ‘Arbeitsmarktraumung’ eine positive Arbeitslo-senrate vorliegt (mit Blick auf die Original–Phillipskurve gerade 5,5%), dieeinfach daraus resultiert, dass aus diversen Grunden (Informations– oder Mo-bilitatsmangel) auch bei Vorliegen des gleichgewichtigen Lohnsatzes nicht alleoffenen Stellen besetzt werden konnen. Des weiteren wird unterstellt, dassauch bei hoher Uberschussnachfrage am Arbeitsmarkt , die sich so gesehenauch als Uberhang offener Stellen im Vergleich zur Zahl der Arbeitslosen inter-pretieren lasst, die Arbeitslosenrate zwar sinkt, aber nicht Null wird; dies er-klart den nichtlinearen Verlauf der Kurve. Substituiert man nun aufgrund deserwahnten positiven linearen Zusammenhangs die Uberschussnachfrage am

Page 223: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

212 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

Arbeitsmarkt durch die dadurch induzierten Lohnsteigerungen, erhalt mandie Phillipskurve.

Zu beachten ist, dass Lipsey selbst diese Uberlegungen zunachst in Bezugauf einen beliebig herausgegriffenen Teilarbeitsmarkt anstellte und anschlie-ßend eine Aggregation vornahm. Deswegen blieb bei ihm auch noch ein weite-rer Grund fur die simultane Existenz von Arbeitslosigkeit und offenen Stellenaußen vor, der in der Realitat neben den bereits erwahnten Informations– undMobilitatsdefiziten ebenfalls eine Rolle spielt, namlich das Auseinanderklaffenvon nachgefragter und vorhandener Qualifikationsstruktur der Arbeitskrafte.Zusammenfassend lasst sich jedoch sagen, dass auch bei Vorliegen eines gleich-gewichtigen Zustands der Okonomie ein gewisses Maß von Arbeitslosigkeitbesteht, welches friktioneller Natur ist; ob diese tatsachlich bei uber 5% an-gesiedelt werden sollte, sei dahingestellt. – Ein alternativer, aber ebenfallsrecht bekannter Ansatz zur theoretischen Fundierung der Phillipskurve istder von Hansen (1970), der vor allem die aus dem Vorhandensein von Infor-mationsmangeln resultierende Sucharbeitslosigkeit in den Mittelpunkt stellt6.

Im Folgenden wollen wir von einer linearisierten Version der Phillipskurveausgehen, die sich durch eine einfache Taylorapproximation an der Nullstelleder Phillipskurve ergibt, die auch als ‘naturliche Arbeitslosenrate (NAR)’ be-zeichnet und mit dem Symbol U versehen wird; das Etikett ‘naturlich’ kanndabei mit Blick auf die vorgenannten Begrundungen friktioneller Arbeitslo-sigkeit plausibilisiert werden.

Bereits an dieser Stelle sei aber ausdrucklich auf eine zusatzliche Eigen-schaft hingewiesen, die diese ‘naturliche’ Arbeitslosenrate im Hinblick auf dieResultate erlangen wird, die sich aus dem monetaristischen Basismodell erge-ben werden: Darin namlich wird dies zugleich jene Arbeitslosigkeit sein, gegendie die Okonomie langfristig konvergiert. Selbst wenn durch Modifikationendieses Modells permanente zyklische Schwankungen generiert werden konnen,bleibt die NAR in der Regel als zeitlicher Durchschnitt der Arbeitslosenrateerhalten, es sei denn, das jeweilige Modell sei in einer solchen Weise nichtli-near, dass sich daraus etwa unsymmetrische Schwankungen im Zeitpfad derArbeitslosigkeit ergeben. Man beachte den dramatischen Bedeutungswandelder NAR, der hiermit verbunden ist: Wahrend die im Zusammenhang mitdem Lipsey–Modell angesprochene friktionelle Arbeitslosigkeit in der Realitatzweifelsohne eine Rolle spielt und sich sicherlich auch nicht unter ein bestimm-tes Maß herabdrucken lasst, sind andererseits doch Zweifel daran angebracht,dass die gesamte, im zeitlichen Durchschnitt zu beobachtende Arbeitslosigkeitin westlichen Industrielandern ausschließlich hierin ihre Ursache findet. Genaudies wird aber von vielen Modellen suggeriert, bei denen die Steady–State–Arbeitslosenrate mit der Nullstelle der (Lohn–)Phillipskurve ubereinstimmt.Deswegen werden im Rahmen dieses Buches u.a. auch Ansatze Berucksichti-gung finden, die eine Abweichung dieser beiden Großen voneinander erlauben.

6 Vgl. hierzu auch Frisch (1980), in dem sich auch eine gute Darstellung des Lipsey–Ansatzes findet.

Page 224: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.1 Output, Inflation und Inflationserwartungen: Grundbausteine 213

Zunachst aber soll die Bedeutung der Phillipskurve fur das monetaristischeBasismodell weiter verfolgt werden, wobei man sich der soeben geschildertenProblematik aber bewusst bleiben sollte. Wahrend sich nach der erwahntenLinearisierung die Form

w = −βw(U − U) = βw(U − U) (5.4)

ergibt (mit βw als Anpassungsgeschwindigkeit), wurde von Friedman (1968)eingewandt, dass es mit Blick auf die Lohnverhandlungen notwendig sei, dieInflationserwartungen πe der Arbeitnehmer in die Bestimmung der Lohndy-namik mit aufzunehmen, so dass von einer entsprechend erweiterten Phillips-kurve auszugehen sei:

w = −βw(U − U) + πe

bzw.w = βw(V − V ) + πe (5.5)

mit V = 1−U als Beschaftigungsgrad und V = 1− U als dem zur naturlichenArbeitslosenrate korrespondierenden Beschaftigtengrad.

Auch wenn die Betrachtung des vollstandigen Modells und eine mathe-matisch exakte Analyse des monetaristischen Basismodells dem Abschnitt 5.2vorbehalten bleibt, kann das sich daraus ergebende Szenario bereits an dieserStelle in groben Zugen skizziert werden: Befindet sich in der Ausgangssituationdie betrachtete Okonomie in einem durch die NAR U gekennzeichneten Gleich-gewichtszustand, fuhrt eine monetare Expansion (Erhohung der Wachstums-rate der Geldmenge) seitens der Notenbank in einem ersten Schritt zu einerUberschussnachfrage am Gutermarkt. In Anbetracht der hierdurch moglichgewordenen Preissteigerungen lohnt sich fur die Firmen auch eine hohere Pro-duktion, so dass sie zum gegebenen Nominallohn mehr Arbeitskrafte nachfra-gen. Dies fuhrt gemaß Phillipskurve zu einem Anstieg der Geldlohne, der sei-nerseits die Arbeitnehmer veranlasst, mehr Arbeit anzubieten. Entscheidendfur das letztere ist, dass die Arbeitnehmer die Preiserhohungen erst mit einergewissen Verzogerung wahrnehmen, so dass sie zunachst einer Geldillusionerliegen, d.h. die gestiegenen Nominallohne falschlicherweise mit gestiegenenReallohnen gleichsetzen. Die – kurzfristige – Folge ist ein tatsachlicher An-stieg der Beschaftigung und der Inflation. Nach einer gewissen Zeit realisierendie Arbeitnehmer jedoch die gestiegene Inflationsrate und reagieren daraufgemaß Gleichung (5.5) mit erhohten Lohnforderungen bzw. einer Rucknah-me ihres Arbeitsangebots zum jeweils gegebenen Nominallohn. Infolgedessenbeginnt die Beschaftigung wieder zu sinken, bis die alte Arbeitslosenrate Uwieder erreicht ist. Ubrig bleibt lediglich eine gestiegene Inflationsrate, diegemaß Quantitatstheorie in Form von Gleichung (5.3) gerade der erhohtenWachstumsrate der Geldmenge entspricht.

Soweit zum Zusammenhang zwischen Lohnentwicklung und Arbeitslosen-rate. Mit Blick auf spatere Alternativmodelle sollen abschließend noch zweiweitere Modellierungen dieser Beziehung vorgestellt werden. So enthalt ein

Page 225: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

214 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

auf Rose (1990) zuruckgehender Ansatz eine Konvexkombination aus aktuel-ler, tatsachlicher Inflationsrate p und den Inflationserwartungen πe, in denensich so etwas wie ein mittelfristiges Inflationsklima widerspiegeln kann:

w = −βw(U − U) + κwp + (1− κw)πe

= βw(V − V ) + κwp + (1− κw)πe (5.6)

Hierbei kann der erste Summand, βw(V − V ), in Analogie zur ursprungli-chen Phillipskurve als ‘demand–pull–Term’ interpretiert werden, da eine das‘naturliche’ Maß ubersteigende Arbeitskraftenachfrage die Lohne nach oben‘zieht’. Demgegenuber stellt der zweite Summand, κwp, aus Sicht der Ar-beitnehmer die aktuelle Steigerung ihrer Lebenshaltungskosten dar, weswe-gen dieser Ausdruck auch als ‘cost–push–Term’ bezeichnet wird. Eine kleineUmformulierung von Gleichung (5.6), die auch dem von Rose (1990) formu-lierten Original entspricht, macht dabei den Unterschied zur Friedman’schenerweiterten Phillipskurve noch einmal besonders deutlich:

w = −βw(U − U) + πe + κw(p− πe) (5.7)

Wie ein Vergleich von (5.5) und (5.7) unmittelbar zeigt, unterscheiden sichbeide Gleichungen nur bezuglich des Terms κw(p− πe), der beim Ansatz vonRose hinzukommt. So gesehen lasst sich letzterer auch dahingehend interpre-tieren, dass sich hier auch die Abweichung der aktuellen Inflationsrate vonder erwarteten mit dem Gewicht κw unmittelbar in den Lohnforderungen derArbeitnehmer niederschlagt, diese also etwas schneller auf aktuelle Preisande-rungen reagieren als von Friedman unterstellt.

Eine Phillipskurve ganz anderer Art basiert auf einem Ansatz von Kuh(1967). Dieser bezieht sich auf eine weitere Beobachtung von Phillips (1958),die aus didaktischen Grunden bis jetzt unterschlagen wurde: Die Wachstums-rate der Lohne korrelierte nicht nur mit dem Niveau der Arbeitslosenrate,sondern auch – negativ – mit deren Zeitableitung. So fielen die Lohnsteige-rungen in einer Boom–Phase (→ Ruckgang der Arbeitslosigkeit ) starker undin einer Rezession (→ Anstieg der Arbeitslosenrate) schwacher aus als vonder Phillipskurve in ihrer bisherigen Form suggeriert. Abbildung 5.2. 7 ver-deutlicht diesen Zusammenhang:

Kuh geht dabei sogar von einem dominierenden Einfluss der zeitlichenVeranderungsrate der Beschaftigung aus und unterstellt den folgenden Zu-sammenhang:

w = βwV + p. (5.8)

Herleiten lasst sich dieser aus einer statischen Lohntheorie, derzufolge dienominale Lohnsumme w · Ld einen positiv vom aktuellen BeschaftigungsgradV abhangigen Anteil des nominalen Sozialprodukts p · Y bildet:

w · Ld = αw · (V/V )βw · p · Y ⇔ w = αw(V/V )βw · pY/Ld (5.9)7 Vgl. Frisch (1980, S.25).

Page 226: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.1 Output, Inflation und Inflationserwartungen: Grundbausteine 215

w

U=1-V

Abb. 5.2. Phillips-Kurve und Phillips-Loops

Damit folgt fur die Wachstumsrate des Nominallohns:

w = (V βw) + p + (Y/Ld) =βw · V βw−1 · V

V βw+ p + (Y/Ld)

= βwV + p + (Y/Ld) (5.10)

Ist – etwa infolge einer linear–limitationalen Produktionsfunktion – die Ar-beitsproduktivitat Y/Ld konstant und ihre Wachstumsrate somit gleich Null,ergibt sich hieraus gerade Gleichung (5.8).

Auch wenn die Konsequenzen dieses Ansatzes erst spater ersichtlich wer-den konnen, sei schon an dieser Stelle vermerkt, dass dieser in Verbindung miteiner bestimmten Art der Preisbildung insofern weitreichende Konsequenzenhat, als die Steady–State–Arbeitslosenrate nicht mehr mit der Nullstelle derLohn–Phillipskurve zusammenfallen wird, wodurch der bereits erwahnten Kri-tik am Konzept der NAR Rechnung getragen wird.

Denkbar ist schließlich auch eine Zusammenfassung der bisher vorgestell-ten Ansatze zur Nominallohndynamik in folgender Form:

w = βw(V − V ) + βwV + κwp + (1− κw)πe (5.11)

In dieser Allgemeinheit wird sie jedoch im weiteren Verlauf keine Verwendungfinden.

5.1.3 Der Output–Beschaftigungs–Zusammenhang:Okuns Gesetz

Wahrend im vorigen Abschnitt bei der Skizzierung der Effekte einer mo-netaren Expansion aus monetaristischer Sicht bereits unterschwellig eine posi-

Page 227: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

216 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

tive Korrelation zwischen Output und Beschaftigung unterstellt wird, was in-tuitiv auch naheliegt, soll dieser Zusammenhang nun explizit gemacht werden.Hier bedienen wir uns wieder einer linear-limitationalen Produktionsfunkti-on, wie sie bereits aus den Kapiteln 2 und 3 bekannt ist. Erinnert sei nocheinmal daran, dass mit Y = y · L der arbeitsseitige und mit Y p = x ·K derkapitalseitige Maximal– oder auch Potentialoutput gegeben ist, wobei wir beider in diesem Kapitel zu analysierenden mittleren Sicht weiterhin davon aus-gehen wollen, dass Y und Y p ubereinstimmen, d.h. im Falle des vollstandigenEinsatzes der beiden Faktorpotentiale eine effiziente Produktion vorliegt.

Unterstellen wir nun in Anlehnung an den vorangegangenen Abschnitt eine‘naturliche’ Arbeitslosenrate U(= 1− V ) und definieren hieruber Y ∗ = y · (V ·L) als ‘Normalauslastungsoutput’, so stimmt wegen Y = Y p der ‘naturlicheBeschaftigungsgrad’

V =V · L

L=

Y ∗/y

Y /y=

Y ∗

Y

mit dem ‘Normalauslastungsgrad’ des bestehenden Kapitalstocks

V c :=Y ∗

Y p=

Y ∗

Y

uberein. Daruber hinaus kann es selbstverstandlich vorkommen, dass die lau-fende Produktion von dem Normalauslastungsoutput Y ∗ abweicht, so dassdie jeweils aktuelle Produktion als Y = y · Ld mit Ld als tatsachlicher, vonder Nachfrageseite am Arbeitsmarkt her bestimmter Beschaftigung notiertwerden kann.

Wahrend hiermit bereits in einfachster Form der Zusammenhang zwischenOutput und Beschaftigung vorliegt, soll als nachstes ein Blick auf die sich dar-aus ergebenden zeitlichen Veranderungsraten geworfen werden, da wir dieseals dritten Baustein – neben Quantitatstheorie und Phillipskurve – fur dasmonetaristische Basismodell benotigen. Aus

V =Ld

L=

yLd

yL=

Y

Y=

(Y

Y p

)

fur den aktuellen Beschaftigungsgrad folgt unmittelbar

V = Y − Y = Y − Y p = γ − γ (5.12)

fur seine Wachstumsrate (mit γ = Y und γ = Y = Y p) und hieraus wie-derum V = V · V = V · (γ − γ) fur seine Zeitableitung. Dabei konnte dieWachstumsrate γ des Potentialoutputs mit Blick auf die mittlere Sicht auchNull gesetzt werden, was spater auch angenommen wird; zunachst aber wirdvon der allgemeinen Form ausgegangen, um spater die Erweiterung in einemwachstumstheoretischen Kontext zu erleichtern (wo Wachstum des Produk-tionspotentials dann eine Rolle spielen wird). Fur die Zeitableitung der Ar-beitslosenrate folgt aus der letzten Gleichung:

Page 228: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.1 Output, Inflation und Inflationserwartungen: Grundbausteine 217

U = 1− V → U = −V = (−V )(γ − γ).

Nimmt man an, dass der jeweilige Beschaftigungsgrad V nicht allzu stark vomWert 1 abweicht,8 lasst sich diese Beziehung auch in Form von

U = γ − γ (5.13)

approximieren. Dies hat den Vorteil, dass alle Differentialgleichungen des mo-netaristischen Basismodells linear sein werden, was die Analyse dieses dyna-mischen Systems nicht unwesentlich erleichtert.

Abschließend sei noch erwahnt, dass sich ein ahnlicher Zusammenhang wieder in (5.12) aus einem empirischen Ansatz von A. Okun (1970) ergeben hat,der auch unter der Bezeichnung ‘Okuns Gesetz’ in die Literatur eingegangenist. Dabei ging Okun von folgender Beziehung zwischen Y/Y p auf der einenund V/V auf der anderen Seite aus:

V/V = (Y/Y ∗)a. (5.14)

Ein Wachstum des Output–Verhaltnisses um 1% bewirkt danach eine Verande-rung des Beschaftigungsgrad–Verhaltnisses um a% . Zur empirischen Schatzungdieses Ansatzes nahm Okun an, dass der Normaloutput Y ∗ mit einer konstan-ten Wachstumsrate γ im Zeitablauf wachst, fur Y ∗

t somit Y ∗t = Y ∗

0 · eγt gilt.Somit ergab sich aus (5.14) die Beziehung

Vt = (Y a · V )/(Y ∗0 )a · eaγt,

was in logarithmierter Form

ln Vt = ln(V /(Y ∗0 )a) + a ln Yt − aγt (5.15)

lieferte mit ln(Yt) und t als unabhangigen Variablen und ln(Vt) als abhangi-ger; V wurde dabei mit 0,96, die ‘naturliche’ Arbeitslosenrate also mit 4%angesetzt. Die okonometrische Schatzung lieferte fur a einen Wert um 0,35,mit dessen Hilfe wiederum der Regressionskoeffizient fur t nach γ und derSchatzwert des ersten Summanden nach Y ∗

0 ‘aufgelost’ werden konnte.Leitet man nun (5.15) nach der Zeit ab, so ergibt sich gerade

V = a · (Y − γ) = a(γ − γ), (5.16)

also mit Ausnahme des Faktors a der gleiche Zusammenhang wie in (5.12).Inhaltlich bedeutet ein Parameterwert a von 0,35, wie Okun ihn heraus-

gefunden hatte, dass die Wachstumsrate der tatsachlichen Outputs die desNormaloutputs um ca. 3 Prozentpunkte ubersteigen muss, um den Beschafti-gungsgrad um 1% zu erhohen. Dieser ‘1:3’ –Zusammenhang stellt denn

8 Im Hinblick auf die nachfolgende empirische Form von Okuns Gesetz ware hierder Wert 0.96 angebrachter.

Page 229: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

218 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

auch den Kern dessen dar, was ublicherweise unter ‘Okuns Gesetz’ ver-standen wird. Demgegenuber liefert Gleichung (5.12) diesbezuglich einen‘1:1’–Zusammenhang, d.h. es reicht bereits ein Outputwachstum von einemProzentpunkt uber der Wachstumsrate des Potentialoutputs aus, um denBeschaftigungsgrad um 1% heraufzusetzen. Obwohl Gleichung (5.12) aus derAnnahme einer linear–limitationalen Produktionsfunktion resultiert und da-her mit Okuns Gesetz nicht direkt etwas zu tun hat (und sich zudem in demWert fur a von ihm unterscheidet), werden wir mit Blick auf die starke forma-le Ahnlichkeit im weiteren auch in Bezug auf (5.12) resp. (5.13) von ‘OkunsGesetz’ sprechen.

5.1.4 Aggregiertes Angebot und die Preis–Phillipskurve

Mit Blick auf die bisherigen Bausteine fehlt zu einem vollstandigen Makro-modell neben einer Festlegung der Erwartungsbildung vor allem noch eines:eine Theorie der Preisbildung.

Hier greifen wir wieder die Annahme des Markup-Pricings auf, die imZusammenhang mit der linear-limitationalen Produktionsfunktion die bereitsbekannte horizontale AS-Kurve liefert:

AS 2 : p = (1 + a)wLd/Y = (1 + a)w/y. (5.17)

Verbindet man nun dieses Markup–Pricing mit der Lohn–Phillipskurve (5.4)aus Abschnitt 5.1.2, so gelangt man zu der ‘modifizierten Phillipskurve’, dieauf Solow und Samuelson (1960) zuruckgeht und anstelle des ursprunglichenZusammenhangs zwischen Arbeitslosenrate und Nominallohnwachstum nuneine Beziehung zwischen Arbeitslosen– und Inflationsrate herstellt. Aus (5.17)folgt namlich unmittelbar9:

p = w (5.18)

In Verbindung mit (5.4) gewinnt man so:

p = −βw(U − U),

eine Gleichung, die einen Trade–off zwischen Arbeitslosigkeit und Inflationzum Ausdruck bringt und der wirtschaftspolitischen Instanz ein entsprechen-des ‘menue of choice’ zu offerieren scheint. Verwendet man dagegen die Fried-man’sche erweiterte Phillipskurve (5.5), so ergibt sich

p = −βw(U − U) + πe. (5.19)

Demnach existiert der geschilderte Trade–off nur so lange, wie die Inflations-erwartungen konstant bleiben, d.h. so lange sich eine erhohte tatsachliche In-flationsrate noch nicht in den Erwartungen niederschlagt. Da dies aber fruher

9 Bei variabler Arbeitsproduktivitat wurde der Zusammenhang p = w − y lauten.

Page 230: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.1 Output, Inflation und Inflationserwartungen: Grundbausteine 219

oder spater geschehen wird, muss langfristig gesehen p = πe und somit gemaß(5.19) U = U gelten. Wir erhalten somit die gleiche Zerlegung eines monetarenImpulses in einen kurzfristigen und einen langfristigen Effekt wie in Abschnitt5.1.2, nur jetzt in Bezug auf die aus den Lohnsteigerungen resultierendenPreissteigerungsraten. Da somit jeder Versuch, die Arbeitslosenrate mit geld-politischen Mitteln unter ihr ‘naturliches’ Niveau herabzudrucken, langfristigscheitern muss und stattdessen in einer erhohten Inflationsrate mundet, er-langt die NAR in diesem monetaristischen Kontext eine weitere Charakterisie-rung, namlich die einer die Inflation nicht beschleunigenden Arbeitslosenrate,kurz NAIRU (non–accelerating inflation rate of unemployment) genannt.

Gleichung (5.19) wird zudem diejenige Form sein, in welcher der Phillips-kurven–Zusammenhang (als zweiter Baustein) in unser monetaristisches Ba-sismodell Eingang finden wird. Im Rahmen des danach zu besprechendenDornbusch-Fischer Modells wird diese Gleichung unter Verwendung der inihr bereits unterstellten linear–limitationalen Produktionsfunktion lediglichin Abhangigkeit des Outputs anstelle der Arbeitslosenrate reformuliert:

p = −βw(U − U) + πe = βw(V − V ) + πe

= βw(Y − Y ∗)/(y · L) + πe = λ(Y − Y ∗) + πe. (5.20)

Wie die Umformungen zeigen, ist sie zu (5.19) vollig aquivalent.Analog zum Vorgehen in Abschnitt 5.1.2 sollen auch hier bereits einige Al-

ternativen zu obiger Preis–Phillipskurve, die an spaterer Stelle Verwendungfinden, kurz angesprochen werden. So besteht eine Variante in der Annahme,dass die Unternehmen ihren angestrebten Anteil am Sozialprodukt, sprich ihreangestrebte Gewinnquote Π∗, positiv vom Auslastungsgrad ihrer Kapazitatenabhangig machen: Π∗ = Π∗(V c/V c), wobei V c wieder fur die Normalauslas-tung steht (vgl. 5.1.3).

Die Veranderungsrate des Preisniveaus kann dann als abhangig von derDifferenz zwischen angestrebter und aktueller Profitquote sowie dem allgemei-nen inflationaren Klima πe aufgefasst und als Anspruchsinflation interpretiertwerden:

AS 3 : π = p = βp(Π∗(V c/V c)−Π) + πe, βp > 0. (5.21)

Dies ist ubrigens einer jener Bausteine, die zusammen mit der Kuh’schenLohn–Phillipskurve (5.9) zu einer nichtmonetaristischen Steady–State Ar-beitslosenrate fuhren werden. Die genauen Zusammenhange werden an spate-rer Stelle erlautert.

Eine andere Version wiederum ergibt sich als Pendant zu Roses (1990)Lohn–Phillipskurve (5.6):

AS 4 : π = p = βp(V c − V c) + κpw + (1− κp)πe. (5.22)

Page 231: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

220 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

Ahnlich wie (5.6) weist auch diese Gleichung einen ‘demand–pull’–Term,βp(V c − V c), und einen ‘cost–push’–Term, κww, auf, nur diesmal aus Sichtder Unternehmen. Man beachte, dass auch hier – wie bei (5.21) – der Auslas-tungsgrad der Kapazitaten, V c, in die Preisbildung einfließt. Im Unterschiedzum einfachen Markup–Pricing mit konstantem Aufschlagsfaktor a und infol-gedessen10 ebenfalls konstantem Reallohn w/p (vgl. Gleichung (5.17)) erlaubt(5.22) auch ein Schwanken des letzteren und hat diesbezuglich den gleichenEffekt wie ein vom Auslastungsgrad abhangiger Markup–Faktor. Diese vierteaggregierte Angebotsfunktion wird in Kapitel 5 Verwendung finden.

5.1.5 Inflationserwartungen

Wie wir bereits bei der Diskussion der erweiterten Phillipskurve im Rahmendes monetaristischen Szenarios gesehen haben, spielen Erwartungen (hier bzgl.der kunftigen Preisentwicklung) und die Art und Weise ihrer Bildung eineuberaus wichtige Rolle fur das Verhalten einer Okonomie im Zeitablauf undihrer Reaktion auf (exogene) Schocks. Wahrend wir uns an der entscheidendenStelle damit begnugten, von einer nicht naher spezifizierten Verzogerung inder Wahrnehmung der tatsachlichen Preissteigerungen durch die Arbeitneh-mer (mit der Konsequenz einer zeitweiligen Geldillusion) auszugehen, sollenhier nun die wichtigsten in der Literatur anzutreffenden Erwartungsbildungs-hypothesen kurz vorgestellt und ihre wesentlichen Implikationen angesprochenwerden. Dabei wird im ersten Schritt der besseren Anschaulichkeit wegen voneiner zeitdiskreten Version ausgegangen, im weiteren werden dann jedoch ih-re stetigen Entsprechungen verwendet (auch wenn der hierzu erforderlicheGrenzubergang nicht ganz unproblematisch ist). Im Folgenden sei mit πt dietatsachliche Inflationsrate und mit πe

t+1 die in t gebildete Inflationserwartungfur den Zeitpunkt t + 1 gegeben.

• Adaptive Erwartungen :

πet+1 = πe

t + α · (πt − πet )

= α · πt + (1− α) · πet , 0 < α < 1.

Die in t gebildete Inflationserwartung fur die Folgeperiode t+1 basiert alsoauf der bisherigen Erwartung πe

t , die in t−1 fur t gebildet wurde, korrigiertum den in t beobachteten Fehler (πt − πe

t ), wobei dieser mit dem Gewichtα in die neue Erwartungsbildung πe

t+1 eingeht. Alternativ lasst sich die-se Art der Erwartungsbildung auch als Konvexkombination aus bisherigerErwartung und aktueller Realisation darstellen. In dem Spezialfall α = 1reduziert sich diese Gleichung auf πe

t+1 = πt, wodurch die sogenannten‘statischen Erwartungen’ definiert sind; statisch in dem Sinne, dass derjeweils aktuelle Wert auch fur die Folgeperiode als gultig angesehen wird.Demgegenuber beinhalten adaptive Erwartungen , wie gleich gezeigt wird,

10 Bei gleichzeitigem Vorliegen einer linear–limitationalen Technologie.

Page 232: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.1 Output, Inflation und Inflationserwartungen: Grundbausteine 221

nicht nur die gerade aktuelle Preissteigerung, sondern auch samtliche Wer-te der Vergangenheit (wenn auch mit abnehmender Gewichtung), so dassadaptive Erwartungen mit Blick auf die Berucksichtigung der bisherigenEntwicklung ein Element des Lernens aufweisen. Dies wird rasch ersicht-lich, wenn man sich den Zeitpfad der Inflationserwartungen, beginnend beieinem Zeitpunkt t = 0, ansieht:

πe1 = (1− α)πe

0 + α · π0

πe2 = (1− α)πe

1 + α · π1 = (1− α)[(1− α)πe0 + απ0] + απ1

= (1− α)2πe0 + α(1− α)π0 + απ1

πe3 = (1− α)πe

2 + α · π2 = . . .

= (1− α)3πe0 + α(1− α)2π0 + α(1− α)π1 + απ2

...πe

t+1 = . . . = (1− α)t+1πe0 + α(1− α)tπ0 + α(1− α)t−1π1 + . . .

+α(1− α)πt−1 + απt

⇔ πet+1 = (1− α)t+1πe

0 +t∑

τ=0

α · (1− α)(t−τ) · πτ (5.23)

Wegen 0 < α < 1 kann fur große t der erste Summand vernachlassigtwerden, so dass die Inflationserwartung fur die nachste Periode, πe

t+1, alsgewogenes arithmetisches Mittel der bisherigen tatsachlichen Preissteige-rungsraten (mit geometrisch abnehmender Gewichtung der fruheren Zeit-punkte) erscheint.Der Ubergang zur zeitstetigen Betrachtungsweise kann nun durch einevariable Periodenlange h bewerkstelligt werden:

πet+h = πe

t + α(πt − πet ),

was sich mit α =: βπe · h dann auch so schreiben lasst:

πet+h − πe

t = (βπe · h) · (πt − πet )

⇔ πet+h − πe

t

h= βπe(πt − πe

t ).

Dies ergibt mittels eines geeigneten Grenzubergangs dann in stetiger Zeitden Ausdruck:

πe = βπe · (π − πe), (5.24)

wobei die Raten π, πe jetzt die Dimension ‘Kalenderzeit’ enthalten.Diese adaptive Erwartungsbildung liegt auch dem monetaristischen Ansatzzugrunde, so dass wir Gleichung (5.24) ebenfalls als Baustein des moneta-ristischen Basismodells im nachsten Abschnitt wiederfinden werden.

Page 233: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

222 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

• Rationale Erwartungen:Zuvor sei jedoch auf eine wichtige Kritik dieser Annahme hingewiesen. Wiewir bereits anhand von Gleichung (5.23), die sich ubrigens auch im steti-gen Kontext mit vergleichbarem Ergebnis reproduzieren lasst,11 gesehenhaben, bestand der Fortschritt der adaptiven im Vergleich zur statischenErwartungsbildung darin, dass nicht nur πt, sondern auch alle fruherentatsachlichen Preissteigerungen in die Erwartung des kunftigen WertesEingang finden. So gesehen konnte man sie auch als ‘dynamische Erwar-tungsbildung’ bezeichnen, da im Gegensatz zu den statischen Erwartun-gen nicht nur der aktuelle Wert, sondern auch so etwas wie eine aus derVergangenheit abgeleitete Prognose seiner Veranderung Berucksichtigungfindet.Genau hier setzt allerdings auch die Kritik an, die in Form der Hypotheseder sogenannten ‘Rationalen Erwartungen’ die Entwicklung der Makro-theorie entscheidend mitgepragt hat. Diese wirft der adaptiven Erwar-tungsbildung gerade ihre ausschließliche Vergangenheitsorientierung vor,wahrend sich in der Realitat auch Informationen uber kunftige Entwick-lungen finden lassen. So scheint es z.B. mit Blick auf die hier diskutiertenInflationserwartungen nicht recht einsichtig zu sein, warum beispielsweiseein – glaubwurdiges! – Statement der Notenbank zur kunftigen Geldpolitikkeinerlei Niederschlag in der erwarteten Preissteigerungsrate finden sollte.Daher geht die rationale Erwartungshypothese davon aus, dass die Wirt-schaftssubjekte alle zum gegebenen Zeitpunkt verfugbaren Informationen,die fur die zu prognostizierende Große von Bedeutung sind, berucksichtigenund ihre Erwartungen in Form des entsprechenden bedingten mathemati-schen Erwartungswertes bilden: πe = E(π|I), wobei I die zum Entschei-dungszeitpunkt vorhandene Informationsmenge reprasentiert.12 Wahrenddieser Ansatz in einem stochastischen Modell ‘nur’ bedeutet, dass die Indi-viduen bei ihrer Erwartungsbildung keine systematischen Fehler machen,also keine perfekte Voraussicht in jedem Zeitpunkt erfordert, ist genaudies die unausweichliche Folge in deterministischen Modellen, wie sie indiesem Buch verwendet werden; in Bezug auf die Inflationserwartungenmuss dann also stets πe = π = p gelten.John Muth, auf den die rationale Erwartungshypothese zuruckgeht, un-termauerte seine Argumentation noch mit dem Hinweis darauf, dass beiNichtnutzung vorhandener Informationen Gewinnmoglichkeiten fur dieje-nigen bestunden, die diese Informationen besitzen.13 Allein dieses zwingtaber bereits auch die ubrigen Agenten zur Berucksichtigung der verfugba-ren Informationen, wollen sie nicht aufgrund von – selbstverschuldeten! –Informationsasymmetrien am Markt den kurzeren ziehen.

11 Vgl. Sargent (1987, S.117).12 Vgl. Snowdon/Vane/Wynarczyk (1994, S.190).13 Vgl. die entsprechenden Ausfuhrungen in Felderer/Homburg (2005, S.261).

Page 234: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.1 Output, Inflation und Inflationserwartungen: Grundbausteine 223

So uberzeugend dieser Ansatz auch auf den ersten Blick ist, so hat aucher entscheidende Schwachen.14 Zum einen vernachlassigt er die Tatsache,dass die Beschaffung von Informationen im allgemeinen nicht kostenlosist, selbst wenn es sich nur um die Zeit handelt, die erforderlich ist, umsich offentlich zugangliche Informationen zu Gemute zu fuhren. Dann aberkann es im Rahmen einer Kosten–Nutzen–Analyse sinnvoll sein, auf einenTeil der verfugbaren Informationen zu verzichten. Da sich hierbei aberder Nutzenverlust durch unberucksichtigte Informationen nur dann exaktbeziffern ließe, wenn man diese Informationen eben doch berucksichtigenwurde, durfte man bei einer entsprechenden Abschatzung zudem auf heu-ristische Methoden angewiesen sein.Eine zweite, nicht minder schwere Kritik bezieht sich darauf, dass die ge-genwartig verfugbaren Daten nur unter Zugrundelegung eines okonomi-schen Modells eine Prognose gestatten. Genau hier liegt aber ein entschei-dendes Problem, da es das Modell, welches die Realitat immer und uberallkorrekt beschreibt, nicht gibt. Vielmehr existiert – und das sollte das vor-liegende Buch bereits an dieser Stelle hinreichend verdeutlicht haben – eineganze Reihe konkurrierender Ansatze, die sich sowohl in ihren Annahmenals auch in ihren Schlussfolgerungen mitunter erheblich unterscheiden. Aufwelches Modell sollte sich dann aber ein Individuum bei seiner Erwar-tungsbildung stutzen? Zwar konnte es versuchen, sich an der bisherigenempirischen Evidenz zu orientieren und notfalls, wenn hieraus kein ein-deutiger ‘Sieger’ hervorgeht, irgendeine gewichtete Durchschnittsbildungder durch die ‘besten’ Modelle bereitgestellten Prognosen vorzunehmen.Da aber, wie gesagt, jedes Modell auf einer ganz bestimmten Annahmen-konstellation basiert, kann deren Realitatsnahe und damit die Gute desModells durchaus im Zeitablauf schwanken, so dass nicht einzusehen ist,warum die Wirtschaftssubjekte im Mittel mit ihrer Prognose immer richtigliegen sollten. Hinzu kommt, dass selbst im Fall des Vorhandenseins eines‘richtigen’ Modells bereits kleinste Messfehler in den Daten zu deutlichenFehlprognosen fuhren konnen, vor allem, wenn das Modell nichtlineareStrukturen aufweist.Auf der anderen Seite unterstellt die rationale Erwartungshypothese nichtzwingend, dass die – zumindest im Mittel – richtigen Prognosen auch aufeiner zutreffenden Argumentationsgrundlage beruhen; selbstverstandlichkann man auch aus falschen Annahmen im Endeffekt die richtigen Schlusseziehen. Allerdings wirkt in diesem Fall die Annahme, dass trotzdem keinesystematischen Fehler gemacht werden, wenig uberzeugend. Somit ist mitBlick auf die Realitatsnahe die Annahme rationaler Erwartungen zumin-dest nicht unproblematisch.Dennoch soll nicht verschwiegen werden, dass es im Rahmen (makro)oko-nomischer Theoriebildung zumindest zwei gute Grunde fur diese Hypothe-se gibt: Zum einen uberwindet sie – wenn auch in sehr extremer Weise –

14 Vgl. fur das Folgende auch Snowdon/Vane/Wynarczyk (1994, S.191f.).

Page 235: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

224 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

die in der Tat nicht unbedingt plausible Ausblendung von Informationenuber die Zukunft, wie dies bei den adaptiven Erwartungen der Fall war.Und zum anderen hat sie den Vorteil, dass gut begrundbar ist, warumdie Wirtschaftssubjekte in dem jeweils betrachteten Modell ihre Erwar-tungen so bilden, wie sie sie bilden: Da sie keine systematischen Fehlermachen, besteht fur sie auch kein Anlass, an der Art und Weise ihrer Er-wartungsbildung irgendetwas zu andern. Genau dies aber ware der Fall,wenn sie sich infolge eines alternativen Erwartungsbildungsprozesses mitsystematischen Erwartungsfehlern konfrontiert sahen.Zusammenfassend lasst sich daher sagen, dass sich die Annahme ratio-naler Erwartungen im Rahmen eines okonomischen Modells durchaus gutvertreten lasst, vor allem, wenn man den Einfluss von (systematischen) Er-wartungsfehlern auf das okonomische Geschehen eliminieren will, um da-durch z.B. die Wirkungsweise anderer Faktoren besser isolieren zu konnen.Zudem ist die rationale Erwartungshypothese, wie wir noch sehen wer-den, trotz ihres vielfach weitreichenden, mitunter sogar dramatischen Ef-fekts auf die Dynamik eines Modells durchaus mit sehr unterschiedlichenAnsatzen und Denkrichtungen kompatibel. Zwingend ist sie auf der ande-ren Seite jedoch keineswegs.Dies verdeutlichen auch die folgenden alternativen Erwartungsbildungs-hypothesen, die ebenfalls vorausschauende Elemente erhalten, ohne aberandererseits zu perfekter Voraussicht – dem Pendant rationaler Erwartun-gen in deterministischen Modellen – zu fuhren:

• Asymptotisch rationale Erwartungen :

πe = βπe(µ− γ − πe) (5.25)

Hierbei werden die Inflationserwartungen jeweils in Bezug auf den lang-fristigen Durchschnitt (µ − γ) hin korrigiert. Dazu rufe man sich in Er-innerung, dass sich im Falle der langfristigen Gultigkeit der Quantitats-theorie die Inflationsrate gemaß Gleichung (5.3) als Differenz zwischenGeldmengen– und Outputwachstum ergibt (vgl. 5.1.1). Ist entsprechenddes NAR–Konzepts die Wachstumsrate des ‘Normaloutputs’ eine Konstan-te und betreibt die Notenbank eine monetaristische Geldpolitik (µ = µ),ergibt sich gerade (µ− γ) als Steady–State–Inflationsrate.

• Erwartungen gemaß dem p∗–Konzept der Bundesbank:

πe = βπe(p∗ − πe) mit p∗ = M − Y p (5.26)

Diese Gleichung unterscheidet sich von der vorangegangenen dadurch, dasssie sich auch auf den Fall anwenden lasst, dass sich die Notenbank nichtimmer strikt an eine konstante Geldmengenwachstumsrate halt, sondern –zumindest zwischenzeitlich – eine davon verschiedene Expansion M wahltund die Wachstumsrate des Potentialoutputs keine Konstante darstellt.

Page 236: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.2 Das monetaristische Basismodell 225

Somit stellt dieses Konzept eine Verallgemeinerung der asymptotisch ra-tionalen Erwartungen gemaß Gleichung (5.25) dar.

• Durchschnitt aus adaptiven und asymptotisch rationalen Erwar-tungen:

πe = βπe(qp + (1− q)p∗ − πe)= qβπe(p− πe) + (1− q)βπe(p∗ − πe), 0 < q < 1 (5.27)

Wie man unmittelbar erkennt, fuhrt dieser Mix aus den genannten Ansatzenfur das Gewicht q = 1 zu adaptiven und fur q = 0 zu asymptotisch ra-tionalen Erwartungen gemaß dem p∗–Konzept. Fur q = 1 und βπe → ∞wurden sich daruber hinaus statische Erwartungen ergeben, was zwar for-mal gesehen nicht schon ist, sich aber nichtsdestoweniger aus dem eingangsbeschriebenen Grenzubergang aus der diskreten zur stetigen Darstellungs-weise ergibt, da statische Erwartungen im diskreten Kontext ein α von 1und damit beim Ubergang zur stetigen Formulierung ein βπe in Hohe von1h erfordern.

5.2 Das monetaristische Basismodell

Auf Basis der vorausgegangenen Erorterungen starten wir zusammenfassendmit dem folgenden, in seiner Struktur noch sehr einfachen makrookonomi-schen Modell der mittleren Sicht und der Interaktion von Arbeitslosigkeit,Wachstum, Inflation und Inflationserwartungen, welches das Okuns Gesetz,die Phillipskurve in der von Friedman (1968) erweiterten Form, das Konzeptadaptiver Erwartungsbildung sowie die einfache Quantitatstheorie in Wachs-tumsratenformulierung zum Ausgangspunkt nimmt:

µ = p + γ • Quantitatstheorie (5.28)p = w = −βw(U − U) + πe • Phillipskurve (5.29)U = −(γ − γ) • Okun’s Gesetz (5.30)πe = βπe(p− πe) • adaptive Erwartungen (5.31)

Die vier endogenen Variablen dieses dynamischen Modells sind: p = π, die In-flationsrate, γ, die Wachstumsrate des Outputs, U , die Arbeitslosenrate undπe, die Inflationserwartungen, wahrend die Wachstumsrate der Geldmenge, µ,die naturliche Arbeitslosenrate U und die Wachstumsrate des Potentialout-puts γ als exogen gegeben betrachtet werden. Trotz seiner einfachen Gestalterfasst das obige Modell auch Wachstumsphanomene als Abweichungen vomTrendwachstum, also Phanomene, deren genauere Analyse aus keynesianischerSicht wir erst im nachsten Kapitel behandeln werden.

Page 237: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

226 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

Bevor wir uns nun den dynamischen Eigenschaften des obigen Systemszuwenden, wollen wir zunachst noch einmal kurz sowohl den Zusammenhangmit der Kurzfrist–Analyse in Kapitel 3 als auch die Erweiterungen derselbenubersichtsartig zusammenstellen, nicht zuletzt, um die Abgrenzung zwischenbereits Bekanntem und Neuem moglichst deutlich hervortreten zu lassen.

Die kurze Frist wird durch zwei Gleichungen bestimmt, namlich die Quan-titatstheorie und den Output–Beschaftigungszusammenhang. Obwohl wir dieQuantitatstheorie im Rahmen des neoklassischen Basismodells kennengelernthaben, wissen wir, dass sich ein analoger Zusammenhang ergibt, wenn wireinen Extremfall des IS–LM–Modells betrachten, namlich den einer vollig zin-sunelastischen Geldnachfrage, also einer senkrechten LM–Kurve. Es gilt somitwieder:

Mv = p · Y.

Im Gegensatz zum neoklassischen Basismodell mit flexiblen Nominallohnen istjetzt der Output Y aber nicht mehr durch die Vollbeschaftigungsproduktionvorherbestimmt, sondern Resultat der kurzfristig gegebenen Werte fur dieGeldmenge und das Preisniveau. Die Outputbestimmung der kurzen Frist isthier also durch einen Spezialfall des keynesianischen IS–LM–Modells gegeben.Die zu diesem Output gehorige Beschaftigung ergibt sich, wie gehabt, aus derlinear–limitationalen Produktionsfunktion:

Y = y · Ld = y · V · L.

Diese beiden Gleichungen kennzeichnen also das temporare Gleichgewichtund finden letztlich ihre Entsprechungen in den Gleichungen (5.28) und(5.30) des obigen Gleichungssystems, wobei dort der Output–Beschaftigungs–Zusammenhang nicht durch den Beschaftigtengrad, sondern sein Pendant, dieArbeitslosenrate, wiedergegeben ist (die in diesem Zusammenhang noch vor-genommene Approximation wurde in Abschnitt 5.1.3 ausgefuhrt, ist fur dasinhaltliche Verstandnis hier aber unwesentlich).

Soweit die kurze Frist, deren Modellierung also noch nicht uber bereitsbekannte Strukturen hinausfuhrt. Wenn wir jetzt aber die mittlere Sicht be-trachten wollen, so konnen wir die Annahme fixer Nominallohne und Preisenicht langer aufrechterhalten. Insbesondere gehen wir jetzt davon aus, dass diesich aus dem jeweiligen kurzfristigen Gleichgewicht ergebende Lage am Ar-beitsmarkt den Nominallohn verandert. So wird eine ‘unterdurchschnittliche’Arbeitslosenrate (U < U) dazu fuhren, dass die Arbeitnehmerseite Lohnfor-derungen erheben und auch durchsetzen kann, die uber den Inflationsaus-gleich (also die erwartete Inflationsrate) hinausgehen. Umgekehrt wird eine‘uberdurchschnittliche’ Arbeitslosenrate (U > U) bewirken, dass die Arbeit-nehmer erwartete Reallohneinbußen hinnehmen. Uber das Markup–Pricing,p = (1 + a)w

y , das wir ebenfalls von der bisherigen Kurzfristanalyse uber-nehmen, werden diese Lohnveranderungen 1 : 1 in die Preise uberwalzt. Diesfuhrt, nebenbei bemerkt, auch dazu, dass der tatsachliche Reallohn entgegenden Erwartungen der Arbeitnehmer, stets konstant bleibt.

Page 238: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.2 Das monetaristische Basismodell 227

Die soeben beschriebene Preisdynamik, die in obiger Gleichung (5.29)ihren Niederschlag gefunden hat, stellt somit die erste uber die kurzfristi-ge Analyse hinausgehende Erweiterung dar. Allerdings ist die Modellierungder mittleren Sicht damit noch nicht abgeschlossen, denn wie wir der so-eben beschriebenen Phillipskurve (5.29) entnehmen konnen, taucht bei derBestimmung der Preisdynamik noch die erwartete Inflationsrate auf. Da esnun hochst unrealistisch ware, anzunehmen, dass diese in der Zeit konstantbleibt, d.h. auf die tatsachlichen Preissteigerungen und deren Veranderungenuberhaupt nicht reagiert, muss zur Vervollstandigung unseres Modells nochetwas uber die zeitliche Veranderung der Inflationserwartungen πe ausgesagtwerden. Dies geschieht in Gleichung (5.31), welche die Veranderung der erwar-teten Inflationsrate von der Differenz zwischen ihrem jeweils aktuellen Wertund der tatsachlichen Preissteigerungsrate abhangig macht. Die Gleichungen(5.29) und (5.31) stellen also das im Vergleich zur bisherigen Kurzfristanalyseeigentlich Neue dar.

Da wir nun also gewissermaßen eine Sequenz von (kontinuierlich vielen)temporaren Gleichgewichtslagen in der Zeit betrachten, mussen wir in einemletzten Schritt noch die Quantitatstheorie (M · v = p · Y ) und den Output–Beschaftigungszusammenhang (Y = y · V ·L) in ihrer zeitlichen Veranderungdarstellen, was letztlich durch einfache Bildung von Wachstumsraten auf Ba-sis dieser beiden Gleichungen geschieht. Dies liefert uns Gleichung (5.32) und(5.33) in ihrer vorliegenden Form, wobei letztere noch die Steigerungsrate desPotentialoutputs, γ, enthalt, die allerdings in der hier betrachteten mittlerenSicht gleich Null gesetzt werden kann. Wenn wir sie im folgenden dennochexplizit ausweisen, so geschieht dies mit Blick auf spater (in Kapitel 6) vor-zunehmende langfristige Erweiterungen.

Nach diesen Voruberlegungen inhaltlicher Art wollen wir uns jetzt derAnalyse der Implikationen dieses Miniaturmodells der mittleren Sicht zuwen-den. Unser erstes Ziel ist es dabei, dieses Modell so zu reduzieren, dass wiruns ganz auf die Interaktion von Arbeitslosenrate U und Inflationsrate π = pkonzentrieren konnen. Zu diesem Zwecke differenzieren wir zunachst die Phil-lipskurve (5.29) nach der Zeit und eliminieren anschließend die dabei entste-henden Zeitableitungen U , πe von U, πe mit Hilfe der Gleichungen (5.30) und(5.31). Dies ergibt:

π = −βwU + πe

= βw(γ − γ) + βπe(π − πe)= βw(µ− γ − π)− βπeβw(U − U) (5.32)

Um die letzte Gleichung zu erhalten, haben wir zudem ausgenutzt, dass nachQuantitatstheorie (5.28) fur die Wachstumsrate γ der Ausdruck µ − π ver-wandt werden kann und die Abweichung der Inflationsrate von den Inflations-erwartungen π − πe gemaß Phillipskurve (5.29) proportional zur Abweichungder Arbeitslosenrate von der naturlichen Arbeitslosenrate U − U ist (mit demProportionalitatsfaktor βw). In entsprechender Weise ergibt sich – sehr viel

Page 239: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

228 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

einfacher – als U–Gesetz:

U = (−1)(γ − γ)= (−1)(µ− π − γ) (5.33)

Zusammengefasst haben wir damit das obige monetaristische Basismodell aufein linear inhomogenes Differentialgleichungssystem der Dimension 2 und Ord-nung 1 reduziert:

(Uπ

)=

(0 1

−βπeβw −βw

) (Uπ

)+

((−1)(µ− γ)βw(µ− γ) + βπeβwU)

)

= A

(Uπ

)+ b (5.34)

Dieses System erlaubt es, die dynamische Beziehung zwischen Arbeitslosenra-te U und Inflationsrate π autonom, d.h. rechnerisch befreit von den anderenendogenen Variablen des Modells, (πe, γ), zu untersuchen.

Der stationare Zustand U = 0, π = 0 oder Steady State15 dieses Modellsmittelfristiger Dynamik ist gemaß den obigen Formeln eindeutig bestimmt unddurch U0 = U und π0 = πe

o = µ− γ charakterisiert (sowie γ = γ). Eine Ruhe-position der Dynamik liegt deshalb nur vor, wenn die Arbeitslosenrate U gleichder naturlichen Arbeitslosenrate ist und die Inflationsrate gleichzeitig ihremTrendwert entspricht. Der Steady State der Dynamik ist damit eindeutig mo-netaristischer Natur, da in ihm kein tradeoff zwischen Arbeitslosigkeit undInflation existiert und die Inflationsrate durch die Geldmengenwachstumsra-te abzuglich der normalen Wachstumsrate der betrachteten Volkswirtschaftdeterminiert ist.

Die (lokale) asymptotische Stabilitat dieses Steady State ist daruber hin-aus unmittelbar ersichtlich, vgl. Abbildung 3.14., da

detA = βπeβw > 0 undspur A = −βw < 0

gilt. Die Eigenwertformel

λ1,2 = spur A/2±√

spur A2/4− detA

liefert daruber hinaus, dass die Eigenwerte der Matrix A komplexer Natursind, wenn der Ausdruck unter der Wurzel, also

β2w/4− βπeβw = βw(βw/4− βπe),

15 = −A−1b in abstrakter mathematischer Notation.

Page 240: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.2 Das monetaristische Basismodell 229

negativ ist. Es ist ersichtlich, dass dies fur kleine Anpassungsstarken bei Phil-lipskurve und Okuns Gesetz (bei gegebenem βe

π) oder fur flexible Inflations-erwartungen (bei gegebenem βw) der Fall ist. In diesen Fallen ist also derAnpassungsprozess an den Steady State zyklischer Natur (ein stabiler Wir-bel).16

Soweit zur formalen Analyse des Differentialgleichungssystems (5.34). Ausokonomischer Sicht wichtig ist aber daruber hinaus die phasendiagrammati-sche Darstellung der Interaktion von Arbeitslosenrate U und Inflationsrate π.Fur die partiellen Gleichgewichtskurven oder Isoklinen U = 0, π = 0 ergibtsich aus den obigen Formeln:

U = 0 : π01 = µ− γ

π = 0 : π02 = (−βπe)(U − U) + µ− γ

wobei U > 0 (U < 0) fur π > π01 (π < π01) gilt und π > 0 (π < 0) furπ < π02 (π > π02).

Die grafische Darstellung dieser Beziehungen liefert damit das folgendePhasendiagramm im (U, π)–Phasenraum:

Abb. 5.3. Das Phasenportrait des monetaristischen Basismodells (Man beachte,dass in dieser Abbildung µ > γ, also Steady State Inflation, unterstellt ist)

Dieses Bild vermag weder uber Stabilitat noch Zyklizitat der (U, π)–DynamikAufschluss zu geben, sondern zeigt lediglich die Anpassungsrichtung in dendurch die Isoklinen definierten vier Teilen des Phasenraums.

Gemaß dieser Anpassungsrichtungen lasst sich der Phasenraum okono-misch jedoch wie folgt charakterisieren:

16 Man vgl. hierzu Abschnitt 3.2.2.

Page 241: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

230 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

Abb. 5.4. Konjunkturphasen des monetaristischen Basismodells

Dieses Phasenbild zeigt, dass Phasen des Booms, wo Inflation mit stei-gender Beschaftigungsrate einhergeht, notwendig von Phasen der sog. Stag-flation (= Stagnation + Inflation) abgelost werden (U ↑ π ↑), in denen sichalso zwei ‘Ubel’ (Arbeitslosigkeit und Inflation) parallel zueinander entwi-ckeln. Diese Phase der Kombination zweier Negativentwicklungen ist jedochebenfalls nicht von Dauer, sondern fuhrt bei weiterhin zunehmender Arbeits-losigkeit schließlich zu einer Brechung der inflationaren Tendenzen und damitzu einer zuruckgehenden Inflationsrate. Ist schließlich der Punkt erreicht, wodie Inflationsrate unter ihren langfristigen Wert gesunken ist (π < µ − γ),so kommen gemaß Quantitatstheorie ubernormale Wachstumsraten zustande,und damit findet nach Okuns Gesetz ein Abbau der Arbeitslosigkeit (von ei-nem unnaturlich hohen Niveau aus) statt. Dieser Abbau der Arbeitslosigkeitmuss gemaß obigem Diagramm uber die naturliche Arbeitslosenrate hinaus-schießen (→ U < U) und bringt damit notwendigerweise wieder eine erneuteBoomphase zustande.

Wir haben damit die Dynamik in der obigen Darstellung so kommen-tiert, dass es zu einem bestandigen Uberschießen an den Gleichgewichtswertenµ− γ, U vorbei kommt. Gemaß unserer obigen mathematischen Uberlegungenwissen wir, dass dieser Prozess stets mit abnehmender Amplitude verlauft undauf der Voraussetzung βw < 4βπe beruht. Trifft letztere Annahme nicht zu,so gilt stattdessen, dass in den Teilbereichen I und III die geschilderten An-passungsvorgange direkt ins Gleichgewicht π0 = µ− γ, U0 = U hineinfuhren,ohne erneut Stagflationsphanomene oder Erholungstendenzen hervorzurufen.

Page 242: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.2 Das monetaristische Basismodell 231

5.2.1 Kurz-, mittel- und langfristige Implikationen desmonetaristischen Basismodells

Wir gehen im Folgenden davon aus, dass die Wirtschaft sich in ihrer Aus-gangslage in einem relativ inflationsfreien Steady State befindet, also z.B.durch πe

0 = p0 = µ − γ = 3%, γ0 = γ und U0 = U gekennzeichnet ist. DerParameter γ(= 3% z.B.), das Trendwachstum, ist als positiv unterstellt, wieauch die Wachstumsrate µ > γ der Geldmenge M (= 6%). Die Arbeitslosen-rate befindet sich auf ihrem naturlichen Niveau, welches hier zwar als exogengegeben unterstellt ist, z.B. = 6% , aber, obwohl Datum fur das Modell, keines-wegs als solches fur die Wirtschaftspolitik erkennbar sein muss. Statt dessenmag gelten, dass die wirtschaftspolitischen Instanzen nur 3% Arbeitslosigkeitals tolerierbar ansehen und auf Dauer hinnehmen wollen. Diese Einstellungmag mit der Einsicht verknupft sein, dass bei 3% Arbeitslosigkeit gewisseinflationare Tendenzen sich durchsetzen werden, also von einem trade-off zwi-schen Arbeitslosigkeit und Inflation ausgegangen wird. So lautete eine einfachepolitische Devise der fruhen siebziger Jahre: ‘Lieber 6% Inflation als 6% Ar-beitslosigkeit’, ware also damals z.B. 6% Inflation und 3% Arbeitslosigkeit derumgekehrten Konstellation wohl vorgezogen worden.17

Wir wollen im Folgenden zeigen, dass diese Vorstellung im Kontext desmonetaristischen Basismodells als dynamischer Vorstellung gesamtwirtschaft-licher Interdependenzen nur kurzfristig aufrecht erhaltbar und damit ‘kurz-sichtig’ ist. Mittelfristig wird in diesem Kontext eine solche Politik – wennsie nicht zu akzelerierender Inflation fuhrt – nicht nur Stagnationsprozesseauslosen, sondern zuvor sogar zu einem doppelten Ubel fuhren: Stagnationund Inflation oder, wie auch kurz stattdessen gesagt wird: Stagflation. Undlangfristig, so wird sich herausstellen, ist eine solche Politik rein inflationar,ohne dass es zu Verbesserungen bei der als zu hoch eingeschatzten Arbeitslo-senrate von 6% letztendlich gekommen ware.

Nehmen wir also an, dass die geldpolitische Instanz eine ‘Politik des leich-ten Geldes’ verfolgt und statt bisher 6% Wachstum bei der Geldmenge dieseWachstumsrate auf 9% heraufsetzt. Die Vorstellung dahinter mag sein, dassdies zu niedrigeren Zinsen und damit zu einer hoheren Wachstumsrate desBSP und zu einer niedrigeren Arbeitslosenrate fuhrt, eine Vorstellung, die hin-sichtlich des Zinsmechanismus im monetaristischen Basismodell kein direktesPendant hat. Um die kurzfristige Wirksamkeit einer solchen Wirtschaftspolitikdemonstrieren zu konnen, nehmen wir an, dass die Inflationserwartungen imRahmen dieser Frist stationar sind, also fur diese Zeitdauer im Modell des Ab-schnitts 5.1.5 quasi βπe = 0 und πe ≡ 3% erfullt ist. Die Inflationserwartungenbleiben deshalb auf ihren alten Steady State Niveau fixiert (πe

0 = µ− γ = 3%).Aufgrund der Anderung der Geldpolitik gilt aber nun µ′ = 9% > µ = 6%.

17 Die gewahlten Großenordnungen entsprechen nicht exakt den Großenordnungen,die in den 70er Jahren von Bundeskanzler Helmut Schmidt diesbzgl. genanntworden sind.

Page 243: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

232 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

Was sind die Konsequenzen einer solchen wirtschaftspolitischen Maßnahmebei statischen Inflationserwartungen?

Auf Basis der verbleibenden Modellgleichungen (5.28) – (5.30) des mone-taristischen Basismodells ergibt sich in diesem Fall

U = (−1)(µ′ − p− γ) = (−1)(µ′ + βw(U − U)− πe0 − γ)

= −βwU + [βwU − (µ′ − γ − πe0)].

Dies ist eine lineare Differentialgleichung in der einzigen Variablen U , die sichwie ublich wie folgt darstellen lasst:

Abb. 5.5. Kurzfristig expansive Geldpolitik

Der stationare Punkt dieser Differentialgleichung ist durch

U0 = U − µ′ − γ − πe0

βw< U (µ′ > γ + πe

0!)

gegeben und ist offensichtlich global asymptotisch stabil. Die Wende in derGeldpolitik hat den ursprunglich stabilen Punkt U durch den niedrigeren WertU0 ersetzt und gleichzeitig Krafte in Gang gesetzt, die die Wirtschaft von Unach U0 – ganz dem Wunsch der wirtschaftspolitischen Instanz entsprechend– fuhren. Wahrend dieses Ubergangsprozesses ist wegen πe ≡ πe

0 = 3% dieInflationsrate gemaß Gleichung (5.29) gegeben durch

p = −βw(U − U) + πe0 > 0 → p0 = −βw(U0 − U) + πe

0 = µ′ − γ

und sie steigt bestandig in Richtung ihres neuen stationaren Niveaus p0 =µ′ − γ = 6%. Fur die reale Wachstumsrate γ gilt wahrend dieses Ubergangs-prozesses nach Quantitatstheorie schließlich:

Page 244: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.2 Das monetaristische Basismodell 233

γ = µ′ − p → γ = µ′ − p0

d.h. sie wird anfanglich auf ein sehr hohes Niveau katapultiert und sinkt an-schließend bestandig gegen ihren Trendwert γ. Nichtsdestoweniger hat dieserProzess die Arbeitslosenrate von 6% auf z.B. U0 = 3% gedruckt (wenn βw = 1unterstellt wird). Damit hatte sich die von der Wirtschaftspolitik praferierteKombination U0 = 3% und p0 = 6% tatsachlich realisieren lassen.

Kann dies aber wirklich als persistente Lage der Okonomie verstandenwerden? Wir haben hier einen Zustand erreicht, wo fur die wirkliche Infla-tionsrate p0 = 6% gilt, wahrend die Inflationserwartungen (annahmegemaß)bei 3% verblieben sind. Es ist offensichtlich, dass ein solcher Zustand nichtvon Dauer sein kann. Die dargestellte Wirtschaftspolitik hat somit sicherlichnicht alle Konsequenzen ihres Handels bedacht.

Im Modellrahmen naheliegende Konsequenz ist, dass die Inflationserwar-tungen πe zu steigen beginnen (also eben doch βπe > 0 gilt). Die Berucksich-tigung dieses Sachverhalts wurde damit den im vorherigen Abschnitt darge-stellten zyklischen Anpassungsprozess hin zum wirklichen Steady State Wert:U0 = U = 6%, p0 = πe

0 = 6% in Gang bringen, was im Endresultat be-deutet, dass die Inflationsrate um 3% erhoht worden ist, ohne dass bei derArbeitslosenrate letztlich eine Verbesserung erzielt worden ware. Kurzfris-tig positive Wirtschaftsentwicklung wurde mittelfristig Stagflationsperiodenund dann Stagnation hervorrufen, bevor Erholungstendenzen den alten rea-len Zustand wieder herstellen (dieser mittelfristige Prozess mag sich – wegender dargestellten uberschießenden Reaktionen – mehrfach wiederholen). Dassdies das Endresultat ihres Handels ist, mag der wirtschaftspolitischen Instanzaber nicht bewusst sein. Statt dessen konnten die beobachteten Stagnations-tendenzen (d.h. ein erneuter Anstieg bei der Arbeitslosenrate U) sie dazu ver-anlassen, die expansive Geldpolitik zu wiederholen. Um diese Politik in ihrerextremen Konsequenz im vorliegenden Modell darzustellen, wollen wir anneh-men, dass sie dahingehend erfolgreich ist, die Arbeitslosenrate tatsachlich aufdem gewunschten Niveau U0 zu fixieren. In diesem Fall gilt (man vgl. dieGleichungen (5.28) – (5.31)):

U = 0[γ ≡ γ], U ≡ U0 : π = p = −βw(U0 − U) + πe, alsoπe = π = βπe(−βw(U0 − U)) = βπeβw(U − U0) > 0

d.h. es muss eine zeitliche Veranderung der Inflationsrate π und der Inflations-erwartungen πe erzeugt werden, die dem dann konstanten Term βπeβw(U−U0)entspricht. Da die Wachstumsrate γ daran gehindert wird, unter das Trend-niveau zu sinken (um zunehmende Arbeitslosigkeit auszuschalten), ja genauerγ sogar auf dem Niveau γ fixiert werden muss, folgt aus der Quantitatstheo-rie (5.28) dann zwangslaufig, dass die Wachstumsrate der Geldmenge µ jetztendogen sein muss, und zwar wie folgt: µ = π. Es folgt, dass diese Wachs-tumsrate – und mit ihr die Inflationsrate – bestandig steigen muss, soll in derTat U auf dem Niveau U0 < U gehalten werden.

Page 245: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

234 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

Besagt der erste Teil unserer Kurzfristanalyse, dass expansiv angelegteGeldpolitik nur erfolgreich sein kann, solange ihre inflationaren Folgen nichtgesehen werden, so fugt die obige Akzelerationsaussage hinzu, dass bei Wahr-nehmung dieser Folgen in der unterstellten adaptiven Form eine bestandigeBeschleunigung der Geldmengenexpansion betrieben werden muss, damit kei-ne stagnativen Tendenzen (U > 0) sich durchsetzen konnen. Es folgt, dassfruher oder spater sich die Einsicht durchsetzen wird, mit diesen akzelerieren-den Maßnahmen Schluß zu machen, um dem permanenten Anstieg der Inflati-onsrate Einhalt zu gebieten. Dies mag in Form einer vorsichtigen Kurskorrek-tur seitens der geldpolitischen Behorde geschehen oder auch – als Konsequenzvon Wahlen – durch einen radikalen Stimmungsumschwung in der wirtschaft-lichen Sichtweise. Die folgenden phasendiagrammatischen Darstellung stellendar, was die Folgen eines graduellen Wechsels in der Geldpolitik bzw. einessolchen radikalen Wechsels im Politikregime nach einer Phase akzelerieren-der Inflationsentwicklung im Rahmen des monetaristischen Basismodells seinwerden.

Abb. 5.6. Anti-inflationare Geldpolitik vom graduellen Typ

Dabei ist im ersten Fall unterstellt, dass die geldpolitische Behorde die Geld-mengenwachstumsrate auf einem wahrend der Akzelerationsphase erreichtenhohen Niveau

=µ einfriert und im zweiten Fall, dass im Sinne einer Radikalkur

die Wachstumsrate der Geldmenge µ auf µ = 0 heruntergesetzt wird.In Abbildungen 5.6. und 5.7. ist unterstellt, dass der Anpassungsprozess

des unregulierten monetaristischen Basismodells nicht oder nur geringfugigzum Uberschießen neigt (also der Parameter βπe relativ zu anderen Parame-tern hinreichend klein ist). Im ersten Fall gelingt es der Politikbehorde, dieakzelerierende Inflation zu stoppen und nach Phasen der Stagflation (I) und

Page 246: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.2 Das monetaristische Basismodell 235

Abb. 5.7. Anti-inflationare Geldpolitik vom ‘Cold Turkey’ Typ

Stagnation (II) auf einem hohen Niveau zu stabilisieren, jedoch ohne jeglichenbeschaftigungspolitischen Erfolg. Relativ moderate Phasen zunehmender Ar-beitslosigkeit mogen hier genugen, dieses Ziel zu erreichen, allerdings vielleichtnur als Zwischenstadium, da die erreichten hohen Inflationsraten weitere re-striktive Maßnahmen bei der Geldpolitik als erforderlich erscheinen lassenkonnen. Mit Hilfe weiterer Stagnationsphasen mag auf diese Weise in lang-wieriger Form der Inflationsprozess wieder auf sein Ausgangsniveau p0 = 3%zuruckgefuhrt werden. Dies ist der graduelle Weg, eine verfehlte Beschafti-gungspolitik im monetaristischen Basismodell wieder ruckgangig zu machen.

Die alternative Politik der zweiten Abbildung, auch ‘cold turkey’ genannt,fuhrt die Wachstumsrate der Geldmenge auf ‘0’ herunter und verlagert damitdie π = 0–Isokline weit nach unten. Die Wirtschaft in ihrer momentanenLage (Punkt A) gerat damit unmittelbar in den Stagnationsbereich, da beider herrschenden Inflation p wegen

=µ= 0 sehr negative Wachstumsraten γ =

−p erzeugt werden, die gemaß Okun–Gesetz die zeitliche Veranderung U derArbeitslosenrate U so stark hochschnellen lassen, dass π = −βwU + πe trotzInflationsmentalitat (πe > 0) unmittelbar negativ wird, d.h. die Inflationsrateπ zu sinken beginnt. Aufgrund der radikalen Verlagerung des Steady Stateshin zu U = U , π0 = −γ = −3% ist der Weg hin zu niedrigen Inflationsraten,der hier quasi einstufig vollzogen wird, von sehr hohen Arbeitslosenraten Ubegleitet, die erst in einer sehr spaten Phase des Prozesses wieder zu sinkenbeginnen [man vgl. Abbildung 5.7.].

Dieser Prozess ist um so langwieriger, je trager die Inflationserwartungenauf sich verandernde Inflationsraten reagieren (je kleiner der Parameter βπe

ist), also je mehr Inertia in Form der Entwicklung hinterherhinkender Erwar-tungsbildung in das System eingebaut ist und je schwacher die Lohnanpassung

Page 247: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

236 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

auf hohe Arbeitslosenraten reagiert.18 Okuns Gesetz U = (−1)(γ − γ) wirktdeshalb lange (γ = −π) in Richtung eines andauernden Anstiegs der Arbeits-losigkeit mit schwerwiegenden gesellschaftlichen Konsequenzen. Es stellt sichdie Frage, ob eine solche Politik des ‘cold turkey’ (sollte die Analyse des Wir-kungszusammenhangs korrekt sein) gesellschaftspolitisch akzeptiert werdenkann.

Das sich damit abzeichnende Dilemma zwischen ‘Gradualismus’ und ‘ColdTurkey’ kann hier nicht weiter vertieft werden, da dazu eine nahere Charak-terisierung des dynamischen Systems des letzten Abschnitts notig ware, diezu weit uber eine elementare Phasendiagramm–Analyse hinausgehen wurde.In Bezug auf die Eigenwertformel des Abschnitts 5.2

λ1,2 = −βw/2±√

β2w/4− βwβπe

sei hier deshalb nur noch kurz festgestellt, dass die Bedingungen

4βπe = βw und βw ↑

große negative Eigenwerte erzeugen, was impliziert, dass eine Anpassung anden Steady State dann rasch und monoton verlauft. Im Rahmen des vorlie-genden Modells konnte damit insbesondere Lohnflexibilitat (βw ↑) zu wenigerschwerwiegenden Anpassungsprozessen Anlass geben.

Fazit der bisherigen Analyse ist, dass in der kurzen Frist expansiv (U0 < U)angelegte Geldpolitik (µ ↑) tatsachlich expansiv sein kann, dass sie aber ihreEffekte nur mittels akzelerierender Inflation zeitlich ausdehnen kann, da siezur Erreichung ‘unnaturlich’ niedriger Arbeitslosenraten U0 < U bestandig fureine Inflationsrate π sorgen muss, die die nachhinkenden Inflationserwartun-gen ubertrifft. Wird diese Konsequenz nicht mehr gewunscht, so stellt sich jenach Starke des Gegensteuerns Stagflation und spater Stagnation oder gleicheine bedeutsame Stagnation ein, die die erreichten inflationaren Tendenzenbremst oder radikal umkehrt. Langfristig ist jede solche Geldpolitik neutral,da die reale Entwicklung wieder gegen den Wachstumstrend γ und die naturli-che Arbeitslosenrate U strebt, wahrend die Inflationsrate voll die Veranderungder Geldmengenwachstumsrate aufnimmt: p0 = µ− γ.

Es gibt alternative Formulierungen der Bildung von Inflationserwartungen,die die Reaktionsweise der Wirtschaft auf geldpolitische Anderungen stark bisradikal verandern konnen und die deshalb hier ansatzweise belegen sollen, wiewichtig die Art der Bildung von Erwartungen fur das Wirtschaftsgeschehenist:

1. Asymptotisch rationale Erwartungen : πe = βπe(µ− γ − πe),2. Rationale Erwartungen: πe = π.

18 Dies ist aus der zweiten Differentialgleichung π = βw(µ− γ− π)− βπeβw(U − U)ansatzweise ersichtlich.

Page 248: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.2 Das monetaristische Basismodell 237

Regressive Erwartungen schauen auf die Differenz zwischen Steady State Infla-tion π0 = µ− γ und momentaner Inflation p = π und korrigieren sich in Rich-tung dieser Diskrepanz. Asymptotisch rationale Erwartungen nehmen (indi-rekt) auf das sog. p∗–Konzept gewisser Zentralbanken Bezug, wonach die lang-fristige Entwicklung p∗ des Preisniveaus p quantitatstheoretisch durch Bezug-nahme auf den Potentialoutput Y p der Wirtschaft gegeben ist: p∗ = Mv/Y p.In Wachstumsraten ausgedruckt ist damit im gegenwartigen Modellkontextdie Veranderungsrate p∗ durch µ−γ gegeben (da v = konstant gilt). ErwarteteInflationsraten πe werden dann in Bezug auf diese Referenzgroße wie darge-stellt korrigiert. Rationale Erwartungen schließlich gehen davon aus, dass dieWirtschaftssubjekte die (Modell–)Welt, in der sie agieren mussen, durchschau-en und damit im Rahmen deterministischer Modelle, wie sie hier vorliegen,zu korrekten Inflationsprognosen kommen.

Die Konsequenzen der Annahme ‘rationaler Erwartungen’ πe = π sindim gegenwartigen Kontext radikal. Gemaß Phillipskurve (5.29) und Okunge-setz (5.30) kann sich die Wirtschaft dann nie aus ihren realen Steady StateWerten entfernen: U = U , γ = γ. Eine Erhohung der Wachstumsrate µ derGeldmenge M fuhrt dann also unmittelbar zu einer Anpassung der Inflati-onsrate p = µ − γ an ihren neuen Steady State Wert. Geld ist damit hierauch kurzfristig (super–)neutral und damit auch die kurzfristige Potenz ei-ner expansiv angelegten Geldpolitik (µ ↑) abhanden gekommen. RationaleErwartungen konnen somit Wirtschaftspolitik als vollig ineffektiv begreifbarwerden lassen. Ihre Unterstellung ist jedoch so lange problematisch, wie nichtder Lernmechanismus erfasst wird, als dessen Resultat sie zustandekommenkonnen.

Asymptotisch rationale Erwartungen liefern im gegenwartigen Kontexteine Differentialgleichung fur die Anpassung dieser Erwartungen, die vomRest des Geschehens unabhangig ist: πe = βπe(µ − γ − πe). Sie konvergie-ren damit monoton gegen den jeweils vorliegenden Steady State Wert derInflationsrate p und werden dabei von einem ebenfalls monotonen Anpas-sungsprozess der Arbeitslosenrate U an ihren Steady State Wert U begleitet:U = (−1)(µ− p− γ) = (−1)(µ− γ + βw(U − U)− πe).

Page 249: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

238 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

5.2.2 Monetaristisches und neoklassisches Basismodell:Ein Vergleich

Das neoklassische Basismodell des Kapitels 2, zusammenfassend dargestelltin Abschnitt 2.1.4, bestand in seiner ‘w-Version’ aus den folgenden vier Glei-chungen als Beschreibung der kurzen Frist

p = w/F ′(Ld) [ AS1, vgl. 5.1.4] (5.35)Y = F (Ld), F ′(Ld) > 0, F ′′(Ld) < 0 (5.36)p = vM/Y (5.37)

I(r) = S(r) [Bs(r) = Bd(r)] (5.38)

Dieses Modell verwendet, was die Angebotsseite angeht, die Grenzprodukti-vitatstheorie des Reallohns, hier dargestellt in der Form: Preis = Grenzkostender Produktion. Wir haben bei der Formulierung des einfachsten Keynes–Modells in Kapitel 2 und des keynesianischen IS–LM–Modells in Kapitel 3diese Theorie der Preisniveaubestimmung weiter vereinfacht, indem wir kon-stante Grenzprodukte der Arbeit annahmen (F ′(Ld) = const. , F ′′(Ld) = 0)und das Preisniveau durch einen Aufschlag auf die Lohnstuckkosten bestimm-ten. Diese Vereinfachung ist implizit auch im monetaristischen Basismodell(5.28) – (5.31) enthalten, wie wir bei der Diskussion der Phillipskurve in Ab-schnitt 5.1.2 gesehen haben. Mittels dieser Vereinfachung reformuliert lautetdas neoklassische Basismodell wie folgt:

p = (1 + a)wLd/Y = (1 + a)w/y [ AS2, vgl. 5.1.4] (5.39)Y = yLd (5.40)p = vM/Y (5.41)

I(r) = S(r) (5.42)

Fugt man nun diesem Modell die Lohn-Phillipskurve und die adaptive Infla-tionserwartungsbildung wie beim monetaristischen Basismodell hinzu

w = −βw(U − U) + πe = βw(V − V ) + πe (5.43)πe = βπe(p− πe) (5.44)

so erhalt man, wie wir gleich zeigen werden, ein dynamisches (mittelfristiges)Modell, welches von der Struktur her gesehen dem monetaristischen Basismo-dell vollig gleichwertig ist. Dieses Basismodell kann deshalb auch als Ausdeh-

Page 250: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.2 Das monetaristische Basismodell 239

nung der neoklassischen Analyse auf die mittlere Sicht begriffen werden, diedas, was wir dort in Abschnitt 2.1.3 als Lohn–Preis–Spirale angedeutet haben,exakt macht.19 Das monetaristische Basismodell dehnt daher vom Prinzip hergesehen die neoklassische Analyse des Unterbeschaftigungsgleichgewichts aufdie mittlere Sicht aus, indem es im Angesicht von Unterbeschaftigung dieTheorie der Lohnanpassung (als Lohn– und Preisinflation) und der Inflati-onserwartungen hinzufugt.

Zum Zwecke eines einfachen Vergleichs des Modells (5.28) – (5.31) mitdem obigen Modell (5.39) –(5.44) reformulieren wir zunachst Abschnitt 5.1.3folgend das Okungesetz (5.30) dergestalt, dass wir anstelle der Arbeitslosen-rate U = (L − Ld)/L den Beschaftigtengrad V = Ld/L = 1 − U verwenden(und von γ = 0 jetzt ausgehen). Im Kontext linear-limitationaler Produkti-onsfunktionen ohne technischen Wandel lautet das Okungesetz (5.30), wie wirgesehen haben, sehr einfach

V = V /V = Y = γ oder V = −U = γV, (5.45)

da die Produktionskoeffizienten y, x und die Ausstattung mit Produktionsfak-toren L, K hier noch konstante Großen sind (V = Ld/L = (Y/y)/L). Da dieGleichungen (5.39) und (5.40) unmittelbar wieder p = w und µ = p+γ = π+γimplizieren, lautet das um mittelfristige Aspekte erweiterte neoklassische Ba-sismodell (ohne Wachstumsaspekte20) des Kapitels 2 in kompakter Form wiefolgt:

µ = p + γ (5.46)p = π = βw(V − V ) + πe, V = 1− U, V = 1− U (5.47)

V = γ (5.48)πe = βπe(p− πe) (5.49)

Man beachte hierbei, dass das Saysche Gesetz I(r) = S(r) des neoklassischenBasismodells fur die mittelfristige Dynamik des Modells keine Rolle spielt,da gemaß diesem lediglich im Hintergrund sichergestellt wird, dass der quan-titatstheoretisch mogliche Output auch seine entsprechende Nachfrage findet.

Wir uberlassen es hier dem Leser, weiter zu prufen, dass das Modell (5.46)– (5.49) weitgehend mit dem Modell (5.28) – (5.31) identisch ist und zu gleich-lautenden Implikationen fuhrt. Wichtig fur uns ist hier nur, gezeigt zu haben,dass diese Variante der monetaristischen Theorie (und Kritik am Keynesianis-

19 Anstelle der zwei dynamischen Gleichungen des Abschnitts 2.1.3 fur Lohne undPreise haben wir hier stets gleichgewichtige Preise (in Bezug auf den Gutermarkt)vorliegen, die nunmehr mit Lohn- und Inflationserwartungsdynamik konfrontiertwerden.

20 Steady State: Vo = V , po = πeo = µ, γo = 0.

Page 251: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

240 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

mus) im Kern wiederum nur eine Ruckkehr zu prakeynesianischen Denkvor-stellungen darstellt, auch wenn mit den Gleichungen (5.43) und (5.44) vomPrinzip her wichtige Erganzungen der kurzfristigen Analyse hin zu ihrer mit-telfristigen Anwendung im Zuge der Debatte um den ‘hydraulischen Keyne-sianismus’ entstanden sind, die es in die keynesianische Theorie der mittlerenSicht ebenfalls zu integrieren gilt.

Ein prominenter Integrationswunsch ist auf Textbuch–Niveau durch dasLehrbuch zur Makrookonomik von Dornbusch und Fischer (1995) gegeben,das wir in Abschnitt 5.3.3 in seinem theoretischen Kern darstellen wollen.

5.2.3 Neuklassische Makrookonomik

Wie wir im vorangegangenen Abschnitt gesehen haben, lasst sich der moneta-ristische Ansatz als Ausdehnung des neoklassischen Basismodells auf die mitt-lere Sicht interpretieren. Dabei ist der Steady–State angebotsseitig uber die‘naturliche Arbeitslosenrate’ resp. den ‘Normalauslastungsoutput’ festgelegtund außerdem (lokal) asymptotisch stabil. Dies heißt, wie wir gesehen haben,jedoch nicht, dass nachfrageseitige Impulse, etwa infolge einer Erhohung derGeldmengenwachstumsrate, auch in der kurzen Sicht keinen Effekt hatten;nur langfristig gesehen kehren Output und Beschaftigung zu ihren ‘norma-len’ Niveaus zuruck. Diese verzogerte Anpassung hatte im wesentlichen zweiUrsachen:

• Die verzogerte Nominallohnanpassung infolge des Phillipskurven–Zusam-menhangs sowie

• die adaptive Erwartungsbildung mit der Konsequenz einer nur allmahli-chen Wahrnehmung der tatsachlichen Preissteigerungen durch die Wirt-schaftssubjekte.

Genau an diesen Punkten entzundete sich eine Kritik, die in Modellen ihrenNiederschlag fand, die unter der Bezeichnung ‘Neuklassische Makrookonomik’die Entwicklung der Volkswirtschaftslehre seit den 70–er Jahren stark be-einflusst haben. Als maßgebliche Vertreter dieser Richtung sind neben ihremInitiator Robert Lucas vor allem Thomas Sargent, Robert Barro, Edward Pres-cott, Neil Wallace und Patrick Minford zu nennen.

Ausgangspunkt des neuklassischen Ansatzes ist die bereits in Abschnitt5.1.5 erwahnte Kritik an der rein vergangenheitsorientierten adaptiven Er-wartungsbildung. Rationale Wirtschaftssubjekte, so die neuklassische Argu-mentation, lassen demgegenuber alle zum gegebenen Zeitpunkt erhaltlichenInformationen in ihre Erwartungsbildung einfließen und gelangen so zu Pro-gnosen, mit denen sie zumindest im Durchschnitt richtig liegen. Letzteremliegt die Annahme zugrunde, dass die Entscheidungstrager die Welt, in dersie leben, kennen und somit anhand ihrer modellmaßigen Beschreibung diefur sie wichtigen, sprich: handlungsrelevanten okonomischen Großen progno-stizieren. Auf die Problematik dieser Sichtweise wurde bereits hingewiesen.Akzeptiert man sie jedoch, konnen Erwartungsfehler eigentlich nur dadurch

Page 252: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.2 Das monetaristische Basismodell 241

auftreten, dass infolge von exogenen Schocks Anderungen bestimmter Varia-blen eintreten, die – da exogen – aus dem zugrundeliegenden Modellrahmennicht prognostizierbar waren.

Wie bereits im Zusammenhang mit dem monetaristischen Basismodell ge-zeigt wurde, hat diese Annahme weitreichende Konsequenzen. Vollzieht sichnamlich das Geschehen in der betrachteten Okonomie gemaß den Modellglei-chungen, fuhren rationale Erwartungen der Wirtschaftssubjekte zu perfekterVoraussicht der Inflationsrate und damit zu einer sofortigen Anpassung desentsprechenden Erwartungsterms in der Phillipskurve. Eine vorausgeseheneErhohung der Geldmengenwachstumsrate wurde sich somit unmittelbar ineiner entsprechenden Erhohung der Inflationsrate niederschlagen, ohne realeGroßen wie Output und Beschaftigung auch nur vorubergehend zu tangieren.

Allerdings weicht der neuklassische Ansatz noch in einem anderen Punktvon monetaristischen Vorstellungen ab, und zwar in Bezug auf die Lohn- undPreisanpassung. Um dies zu verdeutlichen, wollen wir etwas naher auf dasGeschehen am Arbeitsmarkt eingehen, wie es sich aus neuklassischer Sichtdarstellt. Dabei wird im Gegensatz zu unserer bisherigen Darstellungsweiseangenommen, dass das Arbeitsangebot positiv vom Reallohn abhangt. Be-grundet wird dies damit, dass die Arbeitnehmer eine Erwartung bezuglichdes kunftigen Reallohns bilden und den jeweils aktuellen damit vergleichen21.Eine intertemporale Nutzenmaximierung fuhrt dann zu dem Ergebnis, dassein aktueller Reallohn, der uber dem kunftig erwarteten liegt, die Arbeit-nehmer zu einem großeren Arbeitsangebot veranlasst, da sich der mit derArbeit verbundene Freizeitverzicht heute mehr lohnt als in der Zukunft. Dasumgekehrte Resultat ergibt sich dementsprechend, wenn der fur die Zukunfterwartete Reallohn den heutigen ubersteigt. In Bezug auf die Arbeitsnachfra-ge kann vereinfachend mit der Grenzproduktivitatstheorie (in Verbindung miteiner neoklassischen Produktionsfunktion) argumentiert werden, zumal neu-klassische Ansatze typischerweise von kompetitiven Markten ausgehen. So-mit ergibt sich aus dem Schnittpunkt von positiv geneigter Arbeitsangebots-funktion und negativ geneigter Arbeitsnachfragefunktion ein gleichgewichtigerReallohn und eine gleichgewichtige Beschaftigung, womit in diesem Kontextzugleich die ‘naturliche Beschaftigung’ definiert ist:Uber die Produktionsfunktion ergibt sich dann uber Y ∗ = F (L∗) der ‘Nor-malauslastungsoutput’. Wie aus Abbildung 5.8. unmittelbar folgt, ist die beiL∗ vorliegende ‘naturliche’ Arbeitslosenrate U = L−L∗

Lin voller Hohe frei-

williger Natur, da sie nur aus denjenigen Arbeitskraften besteht, die zumGleichgewichtsreallohn ω∗ nicht arbeiten wollen. Wie man ferner sieht, istdie dargestellte Situation am Arbeitsmarkt mit Ausnahme der Steigung derArbeitsangebotsfunktion mit dem Gleichgewicht im neoklassischen Basismo-dell bei flexiblem Nominallohn identisch. Da nun aber, wie bereits in unsererKritik an Engels ausgefuhrt, am Arbeitsmarkt nur uber den Nominallohn ver-handelt werden kann, wahrend sich das Preisniveau durch das Zusammenspiel

21 Vgl. dazu auch Snowdon/Vane/Wynarczyk (1994, S.194).

Page 253: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

242 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

Abb. 5.8. Der neuklassische Arbeitsmarkt

von Angebot und Nachfrage am Gutermarkt herausbildet, ist Abbildung 5.8.realistischerweise wie folgt zu modifizieren:

L

w

w

w

w

LL

L (p )

L (p )

L (p ) L (p )

L (p )

L (p )

1

2

3

1

2

3

1

2

3

*

s

s

sd

d

d

Abb. 5.9. Zur Nominallohndarstellung am Arbeitsmarkt

Je nach Preisniveau, das sich am Gutermarkt ergibt (hier exemplarischfur p1, p2 und p3 dargestellt), verschieben sich Angebots– und Nachfragekur-ve, die nunmehr vom Nominallohn w abhangig sind. Dabei spiegeln beideKurven zum jeweils gegebenen Preisniveau exakt den Zusammenhang ausAbbildung 5.8. wider. Dementsprechend gilt fur die sich ergebenden Gleich-gewichtslagen naturlich auch w1/p1 = w2/p2 = w3/p3 = ω∗. Entscheidend fur

Page 254: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.2 Das monetaristische Basismodell 243

dieses Ergebnis war, wie wir bereits im Zusammenhang mit dem neoklassi-schen Basismodell gesehen haben, eine sofortige Anpassung von Lohnen undPreisen.

Eine weitere wesentliche Voraussetzung besteht jedoch darin, dass die je-weils aktuellen Lohne und Preise auch unverzuglich von den Agenten wahr-genommen werden konnen. Hier nun weicht die Neuklassik von der neoklassi-schen Betrachtungsweise ab, indem sie davon ausgeht, dass sich im Gegensatzzum Nominallohn das Preisniveau der direkten Beobachtbarkeit durch dieArbeitnehmer entzieht. Letztere sind somit darauf angewiesen, diesbezuglicheine Erwartung zu bilden, und welcher Art diese sein wird, braucht angesichtsder vorausgeganenen Ausfuhrungen sicher nicht weiter erortert zu werden: So-fern keine – unvorhersehbaren – Schocks auftreten, werden die Arbeitsanbieterinfolge ihrer rationalen Erwartungsbildung genau dasjenige Preisniveau pro-gnostizieren, welches sich nachher auch tatsachlich ergeben wird. Dann aberkann auch die gleichgewichtige Beschaftigung nicht von L∗ abweichen.

Somit scheint die im Gegensatz zum neoklassischen Basismodell unvoll-standige Information der Arbeitnehmer in Bezug auf das jeweils aktuelle Preis-niveau auf den ersten Blick konsequenzenlos zu sein, da sie durch die perfekteAntizipation desselben vollstandig kompensiert wird. Anders sieht der Fall je-doch aus, wenn infolge unvorhersehbarer Ereignisse das laufende Preisniveauvon dem erwarteten abweicht. Denkbar ware in diesem Zusammenhang etwa,dass die Notenbank die Wirtschaftssubjekte mit einer plotzlichen Erhohungihrer Geldemission uberrascht. Wahrend nun die Firmen die resultierendenPreiserhohungen auf den Markten fur ihre Produkte beobachten konnen undsich als Reaktion darauf mit ihrer Arbeitsnachfragekurve nach rechts bewe-gen, verbleiben die Arbeitnehmer auf derjenigen Angebotskurve, die ihrer (inder Vorperiode gebildeten) Preiserwartung pe entspricht:22

Abb. 5.10. Arbeitsmarkt und Preisniveauerwartungen

22 Das Folgende entspricht auch in wesentlichen Punkten den Darstellungen in an-deren Textbuchern, so etwa Froyen (1993, S.319ff).

Page 255: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

244 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

Ob die ‘Nachfrageseite’ am Gutermarkt dabei quantitatstheoretischer oderkeynesianischer Natur ist, spielt fur das Ergebnis keine Rolle. Man beachtejedoch, dass die positive Neigung der Guterangebotsfunktion nur dadurch zu-stande kommt, dass die Arbeitsangebotskurve auf die stattfindende Preisande-rung nicht reagiert. Im neoklassischen Basismodell dagegen ware die Ange-botskurve auf dem Gutermarkt infolge der jederzeit perfekten Informationaller Agenten eine Senkrechte, und zwar unabhangig davon, ob das Arbeits-angebot positiv vom Reallohn abhangig ist oder nicht. Die sich demgegenuberim neoklassischen Kontext ergebende positive Abhangigkeit des Angebots vomlaufenden Preisniveau kommt daher ausschließlich durch Erwartungsirrtumerinfolge – auch fur rationale Agenten – unvorhersehbarer Ereignisse zustande,weshalb sie mitunter auch als Lucas’sche ‘surprise–supply–function’23 bezeich-net wird. In linearer Form lasst sie sich einfach als

Y = Y ∗ + α(p− pe), α > 0

angeben.24 Wie Abbildung 5.10. ferner zeigt, impliziert das dahinterstehendeModell, dass auch Beschaftigungsschwankungen infolge solcher Erwartungs-fehler stets mit einem Gleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt einhergehen. So-mit ist nicht nur die naturliche Arbeitslosigkeit, sondern auch jede davon ab-weichende Unterbeschaftigung freiwilliger Natur. Zwar lasst sich einwenden,dass im Falle eines negativen Nachfrageschocks der Teil der Arbeitslosigkeit,welcher das ‘naturliche’ Niveau ubersteigt, insofern von den Arbeitnehmernunerwunscht ist, als er unter vollstandiger Information nicht zustandekame.Nichtsdestoweniger liegt auch dieser Anstieg der Arbeitslosigkeit an einer be-wussten Zurucknahme des Arbeitsangebots durch die Arbeitnehmer, so dasseine Etikettierung als ‘unfreiwillig’ schwerfallen durfte.

Vergleichen wir nun Annahmen und Ergebnisse dieses Ansatzes mit demmonetaristischen Basismodell, so ist zunachst festzustellen, dass im Falle desAusbleibens exogener Schocks auch kurzfristig Output und Beschaftigungnicht von ihren ‘naturlichen’ Niveaus abweichen konnen. Auch Anderungender Geldmengenwachstumsrate haben, sofern von den Wirtschaftssubjektenvorausgesehen, keinerlei reale Effekte, sondern schlagen sich unmittelbar ineiner entsprechend hoheren Inflationsrate nieder. Sofern also eine bestimm-te Geldpolitik angekundigt und diese Ankundigung dann auch eingehaltenwird, bleiben Produktion und Beschaftigung davon vollig unberuhrt. Gleichesgilt selbstverstandlich auch fur die Fiskalpolitik oder jede andere denkbareEinflussnahme des Staates. Somit sind Versuche, durch geld– oder fiskalpo-litische Maßnahmen die Beschaftigung zu erhohen, mit Blick auf die perma-nente Arbeitsmarktraumung nicht nur vollig sinnlos, sondern auch praktischunmoglich.

Anders sieht es freilich aus, wenn unerwartete Anderungen staatlicher Po-litik vorgenommen werden. Dann ergeben sich in Analogie zum monetaris-23 Vgl. Snower/Vane/Wynarczyk (1994, S.195).24 Vgl. ebenda.

Page 256: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.2 Das monetaristische Basismodell 245

tischen Ansatz Output– und Beschaftigungseffekte, die jedoch sofort wiederverschwinden, sobald sich die Erwartungen an die veranderte Situation ange-passt haben. Im Gegensatz zum Monetarismus erfolgt die endogene Verarbei-tung eines exogenen Schocks also wesentlich schneller, da im neuklassischenModellrahmen weder die Verzogerungen bei der Erwartungsbildung noch eineverzogerte Lohnanpassung im Sinne der Phillipskurve vorkommen.

Letzteres wird daraus ersichtlich, dass die von der Neuklassik unterstellteArbeitsmarktraumung nur moglich ist, wenn der Nominallohn zu jedem Zeit-punkt frei beweglich ist. Wurde der Lohn demgegenuber entsprechend derPhillipskurve gebildet, ware er eine statisch exogene Variable mit allen – be-reits aus dem neoklassischen Basismodell bekannten – daraus resultierendenKonsequenzen. Insbesondere durfte dann fur eine sofortige Ruckkehr der Oko-nomie zum mittelfristigen Gleichgewicht (L∗, Y ∗) nach einem unerwartetenSchock die schnelle Anpassung der Erwartungen nicht mehr ausreichen. Manfuhre sich ferner vor Augen, dass die aus der Lohn–Phillipskurve abgeleitetePreis–Phillipskurve auf einer von den Unternehmen vorgenommenen Preis-setzung basierte, was angesichts der konkreten Form des Markup–Pricings imWiderspruch zur neuklassischen Annahme von Wettbewerbsmarkten steht.

Wahrend also, wie wir gesehen haben, auch unerwartete Anderungenstaatlicher Politik nur einen kurzfristigen Effekt haben und zudem auch alsunnotig erscheinen, konnte ihnen immer noch die Funktion zukommen, an-dere exogene Schocks wie z.B. unerwartete Anderungen von Importguterprei-sen oder Einbruche bei den privaten Investitionen durch geeignete, ebenfallsunerwartete Maßnahmen zu kompensieren. Dies wurde jedoch voraussetzen,dass der Staat diese Schocks im Gegensatz zum privaten Sektor vorhersehenkann, eine Vorstellung, fur die es zumindest aus neuklassischer Sicht uber-haupt keine Rechtfertigung gibt. An dem neuklassischen Resultat der ‘Policy–Ineffectiveness’ andert somit auch das Auftreten solcher Schocks nichts, derenUrsache nicht beim Staat liegt, zumal die rasche Ruckkehr der Okonomiezu ihrer ‘naturlichen’ Gleichgewichtslage durch rationale Erwartungen sowieLohn– und Preisflexibilitat sowieso gesichert ist.

Demgegenuber hat die Politik des Staates und hierbei insbesondere die derNotenbank durchaus einen Einfluss auf die Inflationsrate; schließlich ist diesofortige Absorption einer monetaren Expansion durch die Preise gerade dasSpiegelbild der realen (Super–)Neutralitat des Geldes. Im Umkehrschluss legtdas nun die Vermutung nahe, dass Reduktionen der Geldmengenwachstumsra-te, sofern sie angekundigt werden und glaubwurdig sind, sofort zu Senkungender Inflationsrate fuhren werden, ohne dadurch zunachst eine Rezession aus-zulosen, wie dies im monetaristischen Modell der Fall war. Insbesondere wurdesich eine Abwagung zwischen einer gradualistischen und einer ‘Cold–turkey’–Strategie erubrigen, da in keinem der beiden Falle irgendwelche negativenAuswirkungen auf Output und Beschaftigung eintreten und der Gradualis-mus die Herbeifuhrung der gewunschten Inflationsrate nur unnotig verzogernwurde. In der Realitat loste jedoch die restriktive Geldpolitik der Reagan–Administration ebenso wie die der Thatcher–Regierung Anfang der 80er Jahre

Page 257: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

246 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

tiefe Rezessionen aus, was von neuklassischer Seite allerdings damit begrundetwurde, dass diese Politik trotz ihrer Ankundigung vom privaten Sektor u.a.mit Blick auf das jeweilige Budgetdefizit des Staates nicht fur glaubwurdig ge-halten wurde.25 Im Kern bedeutet dies aber nichts anderes, als dass mangelndeGlaubwurdigkeit der Politik in den Augen privater Agenten dazu fuhren kann,dass deren Erwartungen, obwohl ‘rational’ gebildet, durchaus uber mehr alseinen nur kurzen Zeitraum hinweg falsch sein konnen; dann allerdings lasstsich die Behauptung der volligen realen Wirkungslosigkeit von Geld– und Fis-kalpolitik in dieser strikten Form offensichtlich nicht mehr halten.

Zusammenfassend lasst sich sagen, dass der neuklassische Ansatz letzt-lich auf das neoklassische Basismodell mit flexiblem Nominallohn in seinerursprunglichen Form zuruckfuhrt, wobei lediglich die Annahme vollkomme-ner Information zugunsten der Hypothese rationaler Erwartungen aufgegebensowie von einem positiv vom Reallohn abhangigen Arbeitsangebot ausgegan-gen wurde. Vor allem hinsichtlich der sofortigen Preis– und Lohnanpassungin Verbindung mit der Annahme kompetitiver Markte und der damit ver-bundenen jederzeitigen Marktraumung konnen daher gegen die neuklassischeMakrookonomik die gleichen Einwande ins Feld gefuhrt werden wie gegendas neoklassische Basismodell. Keynesianische Kritik, die hier ansetzt, ist al-so keineswegs obsolet, zumal auch die empirische Evidenz der neuklassischenTheorie zumindest fragwurdig erscheint26. Dies gilt naturlich ebenso in Be-zug auf den durchweg freiwilligen Charakter, den Arbeitslosigkeit unter dengenannten Annahmen hier zwangslaufig hat.

5.3 Die IS-LM-Variante des monetaristischenBasismodells

Vor dem Hintergrund der monetaristisch/neoklassischen Analyse der mitt-leren Sicht und ihrer Preis-Mengenanpassungsprozesse setzen wir jetzt diekurzfristige IS-LM Analyse des Kapitels 3 fort, indem wir Dornbusch/Fischer(1995) folgend dieses Modell um mittelfristige Aspekte erweitern und damitdynamisieren. Langfristige Aspekte, wo dann Wachstum der Produktionsfak-toren Berucksichtigung findet, werden bzgl dieses Modelltyps erst im nachstenKapitel in ihn integriert werden konnen.

5.3.1 Die dynamische AD-Kurve (DAD) und der Keynes-Effekt

Es gibt nicht viele Lehrbucher der Makrookonomik, die versuchen, auf Ba-sis des IS–LM–Schemas der Analyse kurzfristiger Unter– oder Uberbeschafti-gungssituationen eine geschlossene Darstellung der mittelfristig dadurch be-dingten Wirkungen auf die Lohn–Preis–Dynamik zu entwickeln. Ein promi-

25 Vgl. Snower/Vane/Wynarczyk (1994, S.203 f.).26 Vgl. ebenda, S.202.

Page 258: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.3 Die IS-LM-Variante des monetaristischen Basismodells 247

nentes Lehrbuch, das dies versucht, ist Dornbusch/Fischer (1995): Makrooko-nomik (6. Auflage). Im Folgenden soll versucht werden, die Darstellung dieserbeiden Autoren zur mittleren Sicht, also die Interaktion von dynamischer ag-gregierter Nachfragekurve wie auch Angebotskurve im Rahmen der von unsbenutzten zeitstetigen Modellierungen nachzuzeichnen, zu analysieren und imVergleich mit dem monetaristischen Basismodell zu bewerten [man vgl. hierzuin Dornbusch/Fischer (1995) die Kapitel 7, 8, 16 und 17].

Im Rahmen dieser Aufgabenstellung wenden wir uns zunachst der Nach-frageseite zu, also der Herleitung der dynamischen Nachfragekurve (DAD) ausdem IS–LM–Modell des Kapitels 2.

Gemaß Kapitel 3 und dem Abschnitt uber Zinseffekte wissen wir, dassdas IS–LM–Gleichgewicht hinsichtlich des Outputniveaus Y wie folgt mittelsder exogenen Großen und Parameter des IS–LM–Modells dieses Abschnittsausgedruckt werden kann:

Y =i1(M/p− h0)/h1 + io + i1π

e + G− c(T − δK) + δK

1− c + i1k/h1

= H(M/p, πe, G− cT ) = H(M/p, πe, F ), Hi > 0, i = 1, 2, 3.

Die zweite Gleichung zeigt in symbolischer Form, dass diese Darstellung be-sagt, dass der Gleichgewichts-Output Y eine Funktion der Realkasse, M/p,der Inflationserwartungen, πe und der fiskalpolitischen Parameter, G, T ist.Der Einfachheit halber haben wir hier die Wirkung von Steuern und Staats-ausgaben in aggregierter Form erfasst, F = G− cT und werden dementspre-chend im Folgenden nicht naher auf die Art der angewandten Fiskalpolitikeingehen, sondern nur auf F Bezug nehmen. Der gleichgewichtige Output desIS–LM–Modells hangt, wie wir aus Kapitel 3 wissen, positiv von RealkasseM/p und den Inflationserwartungen πe sowie vom Parameter F ab (expansi-ve Fiskalpolitik: G ↑ T ↓!). Die positive Abhangigkeit von M/p spiegelt densog. Keynes–Effekt wider:

p ↓→ M/p ↑→ r ↓→ I ↑→ Y ↑und die positive Abhangigkeit von πe, den sog. Mundell–Effekt :

πe ↑→ (r − πe) ↓→ I ↑→ Y ↑,wobei in der ersten Wirkungskette die Inflationserwartung πe als fix angese-hen wird und in der zweiten Wirkungskette der Nominalzins r, also die beidenEffekte gedanklich voneinander getrennt worden sind. In der wirklichen dy-namischen Analyse werden die beiden Effekte zusammenwirken und gemein-sam an der Reaktion des Outputs Y beteiligt sein. Man beachte schließlich,dass wir in diesem Kapitel nur mittelfristige Aspekte untersuchen wollen, alsoWachstumsphanomene ausgeklammert bleiben (K, L = konstant).

Die obige abstrakte Form der Darstellung des gleichgewichtigen OutputsY = H(M/p, πe, F ) ist sehr hilfreich bei der Herleitung der DAD–Kurve vonDornbusch/Fischer (1995, S.610):

Page 259: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

248 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

∆Y = φ(m− π) + η(∆πe) + σf ,

wo φ, η, σ gegebene Parameter sind, f fur die Anderung der Fiskalpolitik stehtund m die Wachstumsrate der nominellen Geldmenge, also unser µ, wieder-gibt. Das Kurzel ∆ bezeichnet den Differenzoperator, also ∆x = x−x−1. Wielasst sich nun eine solche dynamische Darstellung der AD–Kurve, also derAbhangigkeit der Gutermarkt–Gleichgewichtsposition und ihrer Veranderungvon Veranderungen der realen Geldmenge, der erwarteten Inflationsrate undder Fiskalpolitik F herleiten?

Differenzieren wir zu diesem Zweck die Y –Gleichung nach der Zeit, so folgt

Y = HM/p ··

(M/p) + Hπe · πe + HF · F= (HM/p · M/p)M/p + Hπe · πe + HF · F= (HM/p · M/p)(µ− π) + Hπe · πe + HF · F= φ(µ− π) + ηπe + σf , f = F . (5.50)

Bis auf den Sachverhalt, dass wir Zeitableitungen Y , πe anstelle von zeitli-chen Differenzen ∆Y, ∆πe verwenden, haben wir damit die DAD–Kurve vonDornbusch–Fischer hergeleitet, wobei den beiden Autoren folgend zusatzlichunterstellt worden ist, dass die auftretenden Ausdrucke HM/p ·M/p, Hπ,HF

konstant sind. Bis auf den ersten Ausdruck ist dies bei unserer explizitenFormel fur Y = H(., ., .) auch gerade der Fall. Es kann hier aber akzeptiertwerden, dass aus Grunden der Einfachheit im Folgenden mit φ(µ − π), φ =const. anstelle des eigentlich korrekten Ausdrucks φ(µ − π)M/p gerechnetwird.

In Bezug auf ihr Pendant zur obigen Gleichung (5.50) vermerken Dorn-busch/Fischer (1995) am Ende der Seite 610: ‘Im Text vereinfachen wir, indemwir die Veranderungen der erwarteten Inflationsrate ∆πe vernachlassigen.’ DieDAD–Kurve lautet damit:

Y = φ(µ− π) + σf . (5.51)

Sie erfasst damit den Keynes–Effekt und die Wirkung von Fiskalpolitik indynamischer Form.

5.3.2 Die dynamische AS-Kurve (DAS) und derOutput–Inflation–Tradeoff

Die dynamische Angebotskurve von Dornbusch/Fischer (1995) ist uns imPrinzip ebenfalls schon bekannt, da hierbei lediglich die Bausteine (5.39),(5.40), die wir auch im IS–LM–Modell vorfinden, mit der Lohn–Phillipskurvegeeignet zu verbinden sind und diese Kurve mit Aufschlags–Preiskalkulationund der einfachen Form des Okunschen Gesetzes bei linear-limitationaler Pro-duktionsfunktion zu einer Preis–Inflationsgleichung, die auf den Output Bezug

Page 260: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.3 Die IS-LM-Variante des monetaristischen Basismodells 249

nimmt, zusammenzufugen ist (man vgl. hierzu Abschnitt 5.1.3)). Wir beto-nen hier, dass durch diese Integration verschiedener Strukturgleichungen derMakrotheorie mehr als nur die Phillipskurve (vgl. Abschnitt 5.1.2) oder dieAngebotsseite der Unternehmungen (vgl. Abschnitt 5.1.4) involviert ist.

p = w = −βw(U − U) + πe

U = (L− Ld)/L = (L− Y/y)/L

U = (L− L∗)/L = (Y − Y ∗)/y/L, also

p = βw(Y − Y ∗)/(yL) + πe = λ(Y − Y ∗) + πe. (5.52)

Dies ist der Output–Inflation–Tradeoff des Dornbusch/Fischer–Modells dermittleren Sicht, in dem Lohninflation in Preisinflation und Arbeitslosenra-ten in Outputniveaus umformuliert worden sind. Man beachte hierbei, dassY = yL wie fruher den Vollbeschaftigungsoutput darstellt, wir also zur Dar-stellung des (fixen) Outputniveaus, welches der naturlichen ArbeitslosenrateU entspricht, ein anderes Symbol, Y ∗, benutzen mussten.

Dornbusch/Fischer (1995, S.582) integrieren schließlich in die Angebotssei-te des Modells eine einfache Form der adaptiven Inflationserwartungsbildung,die wir im zeitstetigen Modell jedoch so nicht vornehmen konnen und wirdeshalb den Prozess der Erwartungsbildung separat von der DAS–Kurve wiegewohnt durch

πe = βπe(p− π) (5.53)

erfassen wollen. Damit sind alle Bausteine fur die dynamische Analyse dermittleren Sicht des Dornbusch–Fischer (1995) Ansatzes dargestellt, wenn manvon ihrer separaten Analyse von Realzinseffekten momentan noch absieht.

5.3.3 Die ‘keynesianische’ Form des monetaristischen Basismodells

Wir haben im Abschnitt 5.2.2 das neoklassische Basismodell (5.39) – (5.44)der mittleren Sicht dargestellt und wollen uns hier einleitend fragen, was sichan diesem Modell durch die Vorgehensweise der beiden vorausgegangenen Ab-schnitte, also bei Dornbusch/Fischer (1995), geandert hat. Die Antwort hier-auf ist einfach, da sich bei den Gleichungen (5.39), (5.40) und (5.43), (5.44)keine Anderung ergeben hat, sondern lediglich die klassische Quantitatstheo-rie (5.41) und das klassische Saysche Gesetz (5.42) durch die interdependentekeynesianische IS–LM–Analyse der Zins– und Einkommensbestimmung

Y = c(Y − δK − T ) + i0 − i1(r − πe) + δK + G (5.54)M/p = kY + h0 − h1r (5.55)

ersetzt worden sind. Die Theorie des temporaren Gleichgewichts ist damit jetzteine andere, wahrend Produktionsfunktion, Preissetzungsverhalten, Lohndy-namik und Erwartungsbildung wie gehabt sind. Die Frage ist, was sich durch

Page 261: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

250 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

diese erneute ‘Verbesserung’ des neoklassischen Modells hin zu einem keyne-sianischen Modell an neuen Einsichten gewinnen lasst.27

Um diese Frage zu beantworten, wollen wir das Modell (5.51) – (5.53)

Y = φ(µ− π) + σf (5.56)π = λ(Y − Y ∗) + πe (5.57)

πe = βπe(p− πe) (5.58)

von Dornbusch–Fischer erneut auf zwei interdependente Differentialgleichun-gen reduzieren.

Zu diesem Zweck differenzieren wir zunachst die Gleichung (5.52) nachder Zeit: π = λY + πe (π = p) und setzen dann die Gleichungen (5.51),(5.53) in diese dynamische Beziehung ein: π = λφ(µ− π) + λσf + βπeλ(Y −Y ∗), wobei zudem erneut die Phillipskurven–Beziehung π − πe = λ(Y − Y ∗)zur Anwendung gekommen ist. Zusammen mit (5.51) erhalten wir damit daslineare Differentialgleichungssystem

Y = φ(µ− π) + σf (5.59)π = λφ(µ− π) + βπeλ(Y − Y ∗) + λσf (5.60)

in den beiden Variablen Output Y und Inflationsrate π.Stellt man diesen beiden Differentialgleichungen die Differentialgleichun-

gen (5.32), (5.33) in den Variablen U und π des monetaristischen Basismodellsgegenuber [U = −Y /(yL)!]:

U = −(µ− γ − π), π = βw(µ− γ − π) + βπeβw(U − U)

so ersieht man unmittelbar, dass bis auf die Variablentransformation U =(L−Y/Y )/L, die die Arbeitslosenrate U durch ihre Determinante, den volks-wirtschaftlichen Output Y , ersetzt und die Umbenennung der Parameter, for-mal gesehen, kein Unterschied besteht (wenn γ und f der Einfachheit hal-ber gleich ‘Null’ gesetzt werden). Das Dornbusch–Fischer IS–LM–Modell dermittleren Sicht muss deshalb alle im monetaristischen Basismodell erzieltenErgebnisse bestatigen. Die Einfugung der keynesianischen Theorie der effekti-ven Nachfrage als Beschrankung an den Output der Unternehmungen an Stel-le der puren Quantitatstheorie und des klassischen Sayschen Gesetzes scheintdeshalb fur die Analyse der mittleren Sicht konsequenzlos zu sein.

Gemaß Abschnitt 5.2 gilt (oder wurde gelten), dass der private Sektor(Haushalte und Firmen) asymptotisch stabil ist, also wie ein Shock–Absorberoder Stoßdampfer alle von außen kommenden Storungen letztlich – u.U. mit27 Man beachte allerdings, dass Dornbusch/Fischer (1995) den Einfluss der erwar-

teten Inflationsrate in ihrer Dynamisierung der Gleichungen (5.54) und (5.55)unterschlagen haben.

Page 262: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.3 Die IS-LM-Variante des monetaristischen Basismodells 251

zyklischen Schwankungen – abbaut. Expansiv angelegte Geldpolitik (µ ↑)wurde erneut expansiv wirken, aber leider nur kurzfristig. Mittel– und lang-fristig treten die in den fruheren Abschnitten geschilderten Stagnations– undStagflationstendenzen erneut und in gleicher Weise zutage. Und langfristig istsolche Geldpolitik ineffektiv oder neutral und erhoht damit letztlich nur die In-flationsrate π. Daruber hinaus gilt im jetzigen Modellaufbau auch, dass expan-sive Fiskalpolitik das gleiche Schicksal ereilt, was die mittelfristigen Beschafti-gungswirkungen angeht, da der Steady State des Modells (5.59), (5.60) durch

Y = 0, π = 0 : π0 = πeo = µ + σf/φ; Y = Y ∗

charakterisiert ist. Permanent expansiv angelegte Fiskalpolitik f > 0 [G −CT > 0] erhoht damit mittelfristig nur die Inflationsrate, beeinflusst aberletztendlich nicht die reale Seite des Systems. Daruber hinaus sind die Anpas-sungsprozesse naturlich die gleichen wie im neoklassisch orientierten moneta-ristischen Basismodell.

Das gleiche gilt ebenfalls in Bezug auf Angebotsschocks, die man sich indiesem Modellkontext als Veranderung des Markup-Faktors a vorstellen kann.Im Falle einer Erhohung dieses Faktors kommen als Ursache hierfur sowohlUmstande in Frage, die den Unternehmen die Realisierung einer hoheren Ge-winnspanne uber hohere Preise gestatten (z.B. Abnahme des Wettbewerbs-drucks), als auch externe Einflusse wie beispielsweise eine Erhohung der Im-portpreise, wie dies z.B. bei den Olpreisschocks der Fall war. Im Gegensatzzu einer permanenten Erhohung der Geldmengenwachstumsrate oder einer– ebenfalls permanenten – Erhohung der Staatsausgaben haben solche An-gebotsschocks jedoch nicht nur keinen Effekt auf den Steady-State-Output,sondern lassen selbst die langfristige Inflationsrate unangetastet, da die Va-riable a in den dynamischen Gleichungen (5.59) und (5.60) gar nicht mehrvorkommt. Die einzige nachhaltige Wirkung besteht in einer entsprechendenSenkung des Reallohns.

Auf der anderen Seite kann der Markup-Faktor a aber durchaus denAusgangspunkt fur interessante Modellerweiterungen bieten, indem man bei-spielsweise annimmt, dass seine Hohe von der jeweiligen konjunkturellen Lageabhangig ist. So kann man sich durchaus vorstellen, dass in einer Rezession dieKonkurrenz zwischen den Anbietern zunimmt und diese zu einer moderate-ren Preisgestaltung zwingt, wahrend die wachsenden Absatzmoglichkeiten ineinem Aufschwung gewisse Spielraume fur Preiserhohungen eroffnen. In gewis-sem Sinne ist ein solcher Zusammenhang in der aggregierten Angebotskurvevom Rose-Typ (AS 4) enthalten, die wir bereits in Abschnitt 5.1.4 kurz vorge-stellt hatten und die in Kapitel 5 wieder aufgegriffen wird. Der hier diskutierteEffekt war dort in dem ‘demand-pull’-Term βp(V c− V c) enthalten, wobei sichdie Variable V c auf den Auslastungsgrad des Kapitalstocks bezog. Jedoch istauch in diesem Fall nicht sichergestellt, dass sich der Gang der Dinge dadurchwesentlich verandern wird, zumal sich in der hier betrachteten mittleren Sichtwegen der Konstanz des Potentials an den Produktionsfaktoren Arbeit undKapital der Auslastungsgrad des letzteren,V c, und der Beschaftigungsgrad,

Page 263: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

252 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

V , parallel zueinander entwickeln werden und die angesprochene Erweiterungsomit die von der Lohndynamik ausgehenden (stabilisierenden) Wirkungennur noch verstarken durfte. Es folgt, dass auch im keynesianischen Kontextaktive Geld– und Fiskalpolitik große Probleme aufweist und ein ‘laissez–faire’in Bezug auf den stabilen privaten Sektor die bessere Alternative darstellt, essei denn, man findet einen Weg, langwierige Anpassungsprozesse desselben zubeschleunigen.

Man muss schlussfolgern (wirklich?), dass die Keynes’sche Revolution ge-gen das Saysche Gesetz eigentlich nur eine kleine Revolte gewesen sein kann,da sie zwar die Analyse der kurzen Sicht verbessert hat, aber mittelfristigund (dem Solow–Modell nach) auch langfristig nichts zu bieten hat, was nichtschon in elementarer neoklassischer oder monetaristischer Sichtweise darge-stellt und analysiert werden konnte. Angesichts dieses Ergebnisses muss mansich fragen, warum um den Keynes’schen Ansatz uberhaupt so viel Aufregungund Debatte entstanden ist.

5.3.4 Inflationserwartungen und Realzinseffekte: Der fehlendeMundell-Effekt

Wir haben schon mit Hilfe der Gleichungen (5.59), (5.60) gezeigt, dass daskeynesianisch fundierte Inflationsmodell von Dornbusch/Fischer vom gleichenTyp ist wie das monetaristische Basismodell. Anstelle der ArbeitslosenrateU = (L − Ld)/L, Ld = Y/y wird lediglich der Output Y als Maßstab furRichtung und Ausmaß der Anderung von gesamtwirtschaftlicher Aktivitatverwandt, also sozusagen ein positives Maß anstelle eines negativen Maßesderselben. Die Bewegung im (U, π)–Phasenraum andert damit ihren Dreh-sinn, wenn man an seiner Stelle den (Y, π)–Phasenraum verwendet. Im Fallder dynamischen Gleichungen (5.59), (5.60) ergibt sich als phasendiagramma-tische Darstellung des Geschehens das folgende Bild, dessen Herleitung (inAnalogie zu der Abbildung 5.3.) dem Leser als Ubung uberlassen bleibt:Dieses Bild korrespondiert unmittelbar zur Abb. 16.9. aus DornbuschFischer(1995, S.597), wobei jedoch zu beachten ist, dass dort im Rahmen eines zeitdis-kreten Modells argumentiert wird und als Erwartungsbildungsprozesses ein-fach πe = π−1 (statische Erwartungen als Grenzfall adaptiver Erwartungen)unterstellt ist. Dieser Fall entspricht im obigen Bild (grob gesagt) dem Falleiner sehr raschen Anpassung der Inflationserwartungen βπe ∼ ∞, also einerdort (fast) senkrechten π = 0–Kurve.

Dornbusch/Fischer (1995, S.597) komplettieren ihre grafische Darstellungder monetaristischen Sicht von Inflation, Stagflation und Stagnation wie folgtindem sie der Interaktion zwischen Output Y und Inflation π uber die IS–Kurve

Y = C(Y − δK − T ) + i0 − i1(r − πe) + δK + G (5.61)

die dadurch implizierte Bestimmung des erwarteten Realzinses hinzufugen.Man sieht dadurch ihren Erlauterungen nach, wie sich im oben dargestell-ten Konjunkturverlauf der Realzins und damit auf Basis der Dynamik der

Page 264: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.3 Die IS-LM-Variante des monetaristischen Basismodells 253

Y

Y=0.

.

Abb. 5.11. Die Dornbusch/Fischer Variante des monetaristischen Basismodells.(π = 0 : π = σf/φ + µ + (βπe/φ)(Y − Y ∗))

Y

Yr- e

r- e

ABC

Y YY BC A

A

BC

Y=0.

.

IS

Abb. 5.12. Konjunktur und Realzinseffekte im Dornbusch-Fischer Modell

Inflationserwartungenπe = βπe(π − πe),

die den beobachteten Bewegungen der Inflationsrate π folgen, auch der No-minalzins r = (r − πe) + πe entwickeln.

Diese Auffassung von der Bestimmung des Realzinses ist jedoch faktischwieder vom Typ des Sayschen Gesetzes, vgl. dazu insbesondere Abb. 2.26.,da hierdurch suggeriert wird, dass die Netto-Investitionen I = i0 − i1(r− πe)sich an jedes vorgegebene Outputniveau Y gemaß Gleichung (5.61) anpassenwerden, indem sie die durch die dann bereits gegebene, durch die Ersparnis

Page 265: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

254 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

S = Y − δK − c(Y − δK − T )− G

bedingte Gutermarktlucke fullen. Die Keynes’sche Kausalkette, vgl. insbeson-dere Abb. 2.21., steht damit wieder Kopf, alldieweil die Nachfrage sich hierwieder an das Angebot anpasst, so wie es das Saysche Gesetz will. Man siehterneut, wie die Neoklassik bemuht werden muss, um die monetaristische Sichtvon Arbeitslosigkeit und Inflation und der Rolle der Wirtschaftspolitik bei die-ser dynamischen Interaktion im scheinbar keynesianischen Kontext begrundenzu konnen.

Diese Vorgehensweise von Dornbusch/Fischer (1995) verwundert insofernsehr, da die Autoren, wie im Abschnitt uber die DAD–Kurve ausgefuhrt, dieim IS–LM–Kontext korrekte Vorgehensweise in einem Anhang (S.609/10) zurobigen Analyse doch selbst darstellen. Wie bei der Darstellung der DAD–Kurve in Abschnitt 5.3.1 gezeigt wurde, lautet deren vollstandige(re) Form

Y = φ(µ− π) + ηπe

wobeiφ = (i1/h1)α und η = i1α, α =

11− c + i1k/h1

gemaß der dort dargestellten Bestimmung des gleichgewichtigen Outputs Ygilt.28 Die dynamisch aggregierte Nachfragekurve muss neben dem Keynes–Effekt (−φπ) auch den Mundell–Effekt (+ηπe) enthalten, da φ und η nurbeide gleichzeitig positiv oder Null sein konnen.

‘Im Text vereinfachen wir, indem wir die Veranderungen der erwar-teten Inflationsrate ∆πe vernachlassigen.’ (Dornbusch/Fischer, 1995,S.610).

Genau diese Vereinfachung ist aber nicht moglich, da der Realzins r − πe alsGanzes in der aggregierten Nachfragekurve enthalten ist und nicht Nominal-zins r und erwartete Inflationsrate πe in separater Form oder in separierbarenAusdrucken.

Die dynamischen Gleichungen (5.59), (5.60), um den Mundell–Effekt er-weitert, lauten

Y = φ(µ− π) + ηπe = φ(µ− π) + ηβπeλ(Y − Y ∗)π = λY + πe = λφ(µ− π) + ληβπeλ(Y − Y ∗) + βπeλ(Y − Y ∗)

Dieses lineare Differentialgleichungssystem in den Variablen Y, π erfullt bzgl.seiner Systemmatrix A die Bedingungen

detA = φλβπe

spur A = ηβπeλ− λφ = −λ(φ− ηβπe).

28 Wir sehen hier vom Fiskalpolitikterm f ab (f = 0). Man vgl. zur obigen Y –Gleichung auch Dornbusch/Fischer (1995, S.610, Gleichung (16.A7)).

Page 266: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.3 Die IS-LM-Variante des monetaristischen Basismodells 255

Es ist damit global asymptotisch stabil, wenn η = 0, wie bei Dornbusch-Fischers Inflationsanalyse angenommen, gilt. Da aber gemaß obigem dieseAnnahme nur bei φ = 0 moglich ist (was keinen Sinn machen wurde), mussalso der Fall η > 0 als zutreffend unterstellt werden. Da Dornbusch/Fischer(1995), wie wir gesehen haben, zugleich aber adaptive Erwartungen, die nurdie unmittelbare Vergangenheit betreffen (πe = π−1), unterstellen, d.h. voneinem sehr (unendlich) großen Parameterwert βπe ausgehen, ist bei ihnen dieStabilitatsbedingung ηβπe < φ verletzt, das System also dann instabil.

Das in Abbildung 5.12. dargestellte Resultat der Dornbusch/Fischer (1995)Analyse ist somit dann in einem doppelten Sinne falsch. Zum einen kann dieRealzinsbewegung nicht als Anhang der Inflationsdynamik dargestellt werden,sondern ist in diesen Prozess zu integrieren, und zum anderen konvergiert derim oberen Teil von Abbildung 5.12. dargestellte dynamische Prozess unterden Annahmen von Dornbusch/Fischer (1995, Kap.16) nicht. Eine solch un-vollstandige Analyse ist leider auch in dem Lehrbuch von Olivier Blanchard(in deutscher Sprache als Blanchard / Illing (2006, Kap. 17)) zu finden, indem die Analyse der Rolle der Inflationserwartungen fur die wirtschaftlicheAktivitat nur in einer verbalen und nicht formalen Form erfolgt.

5.3.5 Fazit

Unser Fazit aus diesen Uberlegungen ist, dass es nicht hilfreich ist, die key-nesianische Nachfrageseite mit den aufgezeigten Ungenauigkeiten zu dynami-sieren, um damit Ergebnisse zu erzielen, die zwar den kontraktiv wirkendenKeynes–Effekt (Yp < 0) berucksichtigen, aber den gleichermaßen vorhande-nen expansiv wirkenden Mundell–Effekt (Yπ > 0) unterschlagen. Da sich,wie wir gesehen haben, die wirklich neuen Bausteine der Modelle dieses Ka-pitels auf die beiden Gleichungen (5.43) und (5.44) beschranken, ist es imIS–LM–Kontext die konsequenteste Vorgehensweise, diese beiden Bausteineder mittleren Frist, Lohn–Phillipskurve und adaptive Inflationserwartungen,dem kurzfristigen IS–LM–Modell aus Abschnitt 3.2 einfach hinzuzufugen undes als Ganzes, ohne Manipulationen an den es konstituierenden Gleichungen,zu analysieren. Die ganzen Debatten des momentanen Kapitals laufen des-halb auf eine klar umrissene Fragestellung von letztlich sehr eingegrenztemUmfang hinaus, namlich nach den analytischen Konsequenzen, wenn das IS–LM–Modell (3.7) – (3.20) aus Kapitel 3 um die beiden Gleichungen (5.43) und(5.44) erganzt wird. Der Untersuchung dieses elementar erweiterten Modellswollen wir uns im nachsten Abschnitt dieses Kapitels zuwenden.

Page 267: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

256 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

5.4 IS-LM-Analyse der mittleren Sicht:Das IS-LM-PC Modell

5.4.1 Das korrekt erweiterte IS-LM-Modell: Lohninflation undInflationserwartungen

In den vorangegangenen Abschnitten haben wir versucht zu verdeutlichen,dass eine mittelfristige Analyse von monetaren Volkswirtschaften nur hinrei-chend umfassend ist, wenn (jedoch nicht ausschließ lich) die Entwicklung derInflationserwartungen der Wirtschaftssubjekte in einer konsistenten Weise indas Modell miteinbezogen wird. Um unsere Darstellung einer Volkswirtschaftaus keynesianischer Sicht konsistent und geschlossen zu halten, bauen wir indiesem Abschnitt auf das IS-LM-Modell der kurzen Frist von Kapitel 3 auf.

Wie in Abschnitt 5.3 bereits gezeigt wurde, konnen die Losungen des li-nearen IS-LM Modells der kurzen Frist, siehe Gleichungen (3.7) – (3.20), inmathematisch expliziter Form ermittelt werden. Der Einfachheit halber wie-derholen wir hier diese expliziten Ausdrucke, welche als die sogenannte redu-zierte Form dieses Modells bezeichnet werden konnen:

Y =−c(T + δK) + i0 + i1(M/p− h0)/h1 + i1π

e + δK + G

1− c + i1k/h1

= α1 · (i1M/(ph1) + i1πe + const.), α1 > 0, (5.62)

r =k[−c(T + δK) + i0 + i1π

e + δK + G] + (1− c)(h0 − M/p)(1− c)h1 + i1k

= α2 · (i1kπe − sM/(ph1) + const.), α2 > 0, s = 1− c > 0. (5.63)

Wir erganzen diese beiden Gleichgewichtslosungen um die im Kapitel 3 ein-gefuhrte Markup-Pricing Theorie des Preisniveaus:

p = (1 + a)wLd/Y [p = π = w] (5.64)

und die einfache Beschaftigungsfunktion

Ld = Y/y. (5.65)

Diese Gleichungen zusammen stellen in kompakter Form die keynesianischeTheorie der kurzen Sicht dar, also des Einkommens, des Zinses, des Preisni-veaus und der Beschaftigung.

Um dieses IS-LM Modell der kurzen Frist auf die mittlere Frist zu er-weitern, fugen wir gemaß diesem Kapitel und Dornbusch/Fischer (1995)die Bestimmungsgleichung der Lohndynamik, vgl. (5.43), also die Lohn-Phillipskurve hinzu:

Page 268: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.4 IS-LM-Analyse der mittleren Sicht: Das IS-LM-PC Modell 257

w = −βw(U − U) + πe = βw(V − V ) + πe (5.66)

und die Hypothese adaptiver Inflationserwartungen

πe = βπe(p− πe) (5.67)

wobei fur Arbeitslosenrate U und den Beschaftigtengrad V gilt

V = 1− U = Ld/L = Y/Y [V = 1− U ]. (5.68)

Die Gleichungen (5.62) – (5.68) konstituieren das keynesianische Modell dermittleren Sicht, das wir im Folgenden auch kurz als das IS–LM–PC–Modellbezeichnen werden. Dieses Modell ist die konsequente Fortsetzung des in Ka-pitel 3 Begonnenen und ist nun auf seine dynamischen Implikationen hin zuuntersuchen.

Zu diesem Zweck vereinfachen wir zunachst die Darstellung des Modellsin etwas anderer Form als in der ublichen Art und Weise. Gleichungen (5.62),(5.64), (5.65) und (5.68) liefern zusammengenommen als expliziten Ausdruckfur den Beschaftigtengrad V :

V =−c(T + δK) + i0 + i1( My

(1+a)w − h0)/h1 + i1πe + δK + G

(1− c + i1k/h1)Y= V (w, πe), Vw < 0, Vπe > 0. (5.69)

Mittels dieses Ausdrucks ist es moglich, die obige Dynamik in ihrer ursprung-lichen Form zu belassen, d.h. mittels der dynamischen Variablen w (Nominal-lohn) und πe (Inflationserwartungen) darzustellen:

w = βw(V (w, πe)− V ) + πe (5.70)πe = βπeβw(V (w, πe)− V ), (5.71)

da gemaß Gleichung (5.64) und (5.65) wieder p− πe = w − πe = βw(V − V )gilt. Wir vermerken erneut, dass Vw < 0 fur den Keynes–Effekt steht (πe =const. ):

w ↑→ p ↑→ r ↑→ I ↓→ Y ↓→ Ld ↓→ V ↓und dass Vπe den Mundell–Effekt erfaßt (r = const. ):

πe ↑→ (r − πe) ↓→ I ↑→ Y ↑→ Ld ↑→ V ↑ .

Mit den obigen beiden Differentialgleichungen bewegen wir uns deshalb trotzanderer Symbolik auf bereits vertrautem Gelande. Die obige Darstellung vonV zeigt jedoch, dass dieses Differentialgleichungssystem jetzt nichtlinear ist, daPreise p und Lohne w auf den Nenner der Realkasse M/p einwirken. Abgesehenvon dieser Schwierigkeit haben wir aber wieder ein dynamisches System vomublichen Typ vorliegen.

Page 269: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

258 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

5.4.2 Dynamische Analyse des IS-LM-PC Modells

Um die gerade erwahnte Problematik, die die Nicht-Linearitat zwischen w undV fur die Darstellung des Modells impliziert, umgehen zu konnen, empfiehltes sich aus mathematischer Sicht die dynamische Analyse unseres IS-LM-PCModells in den Variablen m und πe durchzufuhren. Wie aus Gleichung (5.69)ersichtlich ist, ist die Abhangigkeit des Beschaftigtengrades V in Bezug auf dieVariablen Realkasse (in Lohneinheiten) und Inflationserwartungen: m = M/wund πe linear, die Nichtlinearitat im Geldlohn w also nur der diesbezuglichenNennerbildung M/w geschuldet.

Der Ubersicht wegen stellen wir die Gleichung (5.69) zudem in der folgen-den Form dar

V = a0 + a1m + a2πe (5.72)

wobei

a0 = α[−c(T + δK) + i0 − i1h0/h1 + δK + G]

a1 = αy

1 + a· i1h1

> 0

a2 = αi1 > 0

α =1

(1− c + i1k/h1)yL

gilt. Wir nehmen an, dass die Parameterwerte des Modells so sind, dassa0 < V gilt. Diese Annahme stellt sicher, dass der im Folgenden bestimm-te Steady–State–Wert von m0 positiv ist. Die Wahl von m als Zustandsva-riable empfiehlt sich im ubrigen auch aus inhaltlichen Grunden, da Outputund Beschaftigung im temporaren Gleichgewicht positiv von der Geldmengeund negativ vom Preisniveau und damit – uber das Markup-Pricing – vomNominallohn abhangen. Die Große m lasst sich somit gut als ‘Spannungsva-riable’ zwischen Geldversorgung einerseits und kostendruckbedingter Preis-bildung andererseits interpretieren, mit der Produktion und Beschaftigungpositiv zusammenhangen. Dies besagt, dass das Beschaftigungsproblem imkeynesianischen IS-LM Modell letztlich aus einer Disproportionalitat zwischenGeldmengenvolumen M einerseits und Lohnniveau andererseits w herruhrt,also die Veranderung von m in diesem Sinne anzeigt, ob sich die Lage amArbeitsmarkt entspannt (m ↑) oder verscharft (m ↓).

Nimmt man an, dass die Geldmenge M eine konstante Wachstumsrateµ aufweist (die auch Null sein kann), so lasst sich anstelle der dynamischenGleichung fur den Nominallohn w auch die dynamische Gleichung fur die Re-alkasse M/w verwenden, da dann m = µ− w gilt. Wir haben damit insgesamtgesehen ein dynamisches Modell mit zwei einfachen Bewegungsgleichung furdie Zustandsvariablen m,πe und einer linearen Gleichgewichtsbeziehung, diedie IS-LM–Theorie des Outputs und der Beschaftigung reprasentiert, vorlie-gen. Dieses System wird im folgenden auf seine dynamischen Eigenschaftenhin zu untersuchen sein.

Page 270: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.4 IS-LM-Analyse der mittleren Sicht: Das IS-LM-PC Modell 259

Betrachten wir zunachst den Fall einer stationaren Geldmenge M , alsoµ = M = 0. Aus der Definition von m = M/w folgt dann sofort m = −w undsomit

m = −βw(a0 + a1m + a2πe − V )− πe (5.73)

πe = βπeβw(a0 + a1m + a2πe − V ) (5.74)

als neuer Form des Differentialgleichungssystems (5.70), (5.71).Aufgrund der Tatsache, dass m und nicht m, also die Wachstumsrate und

nicht die zeitliche Veranderung von m auf der linken Seite von Gleichung5.73 zu finden ist, ist eine Fallunterscheidung bei der Bestimmung der SteadyStates des Dynamischen Systems notwendig. Im ersten, okonomisch relevan-ten Steady State (wo m > 0 gilt), finden wir durch Gleichsetzung beiderDifferentialgleichungen zu Null, m = 0, πe = 0, folgende Gleichgewichtswerte:

πe0 = 0,m0 = (V − a0)/a1 > 0.

Daruber hinaus ist aber auch noch m0 = 0, πe0 = (V − a0)/a2 ein von der

mathematischen Seite mogliches Steady State dieses Systems, wie die folgendeReformulierung von (5.73) fur diesen Fall zeigt:

m = −[βw(a0 + a1m + a2πe − V ) + πe]m.

Wie wir noch sehen werden wird diese auf dem ersten Blick vielleicht ehernicht notwendige Fallunterscheidung eine entscheidende Rolle fur die lokaleund globale Stabilitat dieses dynamischen Systems haben.

Bestimmen wir aber zunachst die Isoklinen m = 0 bzw. πe = 0 diesesSystems:

πe = 0 : πe =V − a0 − a1m

a2

m = 0 : πe =V − a0 − a1m

1/βw + a2

Damit ergibt sich fur das System (5.73), (5.74) das folgende PhasendiagrammFur die Jacobische (die Matrix der partiellen Ableitungen) im okonomischenSteady State gilt:

J =(−βwa1m0 −(βwa2 + 1)m0

βπeβwa1 βπeβwa2

)

Es folgt:detJ = βπeβwa1mo > 0 und

spur J = βwαi1

[βπe − y

1 + a· 1h1

m0

]>=<

0.

Page 271: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

260 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

Abb. 5.13. Mittelfristige IS-LM-PC Dynamik bei einem konstanten Geldmengen-angebot µ = 0

Man beachte hierbei, dass y1+a der dem Markup–Pricing zurechenbare Real-

lohn ω ist, vgl. (5.64) und (5.65). Es folgt somit

spur J < 0 ⇔ βπeh1 < ωm0 =(

M

p

)

o

.

Dies ist ein erstes wichtiges Resultat, da es besagt, dass die Dynamik (5.73),(5.74) nur dann lokal asymptotisch stabil ist, wenn die Zinssensitivitat derGeldnachfrage h1 und die Anpassungsstarke βπe bei den Inflationserwartun-gen hinreichend niedrig sind (also dann ein stabiler Knoten oder Wirbel re-sultiert). Schnelle adaptive Erwartungen und Nahe zur Keynes’schen Liqui-ditatsfalle machen somit die mittelfristige Dynamik des IS–LM–Modells lokalum den Steady State explosiv, erzeugen also einen instabilen Knoten oderWirbel.29 Wir behaupten hier nur, zeigen dies aber nicht, dass dann die Dy-namik des Systems, wenn sich selbst uberlassen, auch global explosiv ist, alsoaus okonomischer Sicht nicht lebensfahig ware.30

Aber selbst wenn die obigen Bedingungen fur lokale Stabilitat erfulltwaren, ist die dargestellte Dynamik nicht global stabil. Dies folgt aus derTatsache , dass im betrachteten System die Variable m, wenn sie ursprunglich

29 Es ist nicht schwer zu zeigen, dass die vier genannten Typen an lokaler Dynamiknacheinander alle auftreten, wenn die Anpassungsstarke βπe der Inflationserwar-tungen von Null aus gegen Unendlich geht.

30 Der interessierte Leser findet in Flaschel, Groh, Proano und Semmler (2007) eineausfuhrlichere Diskussion des IS-LM-PC Modells bzgl. seiner globalen Stabilitats-eigenschaften.

Page 272: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.4 IS-LM-Analyse der mittleren Sicht: Das IS-LM-PC Modell 261

positiv war, per Definition nie negativ werden kann. Da infolge die Ordina-te von der πe = 0− und der m = 0− Isoklinen nicht gekreuzt werden kann,verlauft die Dynamik des Systems, wenn dort angelangt, vertikal auf der Ordi-nate, wie in Abbildung 5.13. skizziert. Dies wiederum deutet auf die Existenzeiner sogenannten Separatrix (dargestellt in Abb. 5.13. durch die Linie S) hin,die den Phasenraum des Systems in einer stabilen und einer instabilen Regiontrennt. Wie in Abb. 5.13. skizziert, kann die Systemdynamik, wenn oberhalbder S–Linie angelangt, aus eigener Kraft nicht mehr eigenstandig in die stabileRegion unterhalb der S-Linie zuruckkehren. Dies folgt aus der Tatsache, dassim Phasenraum oberhalb der S-Separatrix πe und w immer weiter steigen,mit der Konsequenz dass m = M/w bestandig fallt. Dieses Sachverhalt stelltgenau eine nicht mehr endende w − p− πe–Spirale oder Inflationsspirale dar,die nur durch Eingriffe von außen noch gebremst werden kann.

Grundlage fur diese Inflationsspirale ist, dass in dieser Position der beiPreissteigerungen kontraktiv wirkende Keynes–Effekt, der eine solche Infla-tionstendenz bremsen konnte, den expansiv wirkenden Mundell–Effekt stei-gender Inflationserwartungen (auf die Investitionsnachfrage) nicht mehr kom-pensieren kann und dieser destabilisierende Effekt die weitere Entwicklungdominiert.

5.4.3 Dynamische Analyse des IS-LM-PC Modells mit einer‘geknickten’ Lohn-Phillips Kurve

So wie wir unser IS-LM-PC Modell formuliert haben, gibt es neben dem Be-reich des Phasenraums in dem eine nach oben gerichtete Lohn-Preis-Spiralepermanent wird (mit w ↑, p ↑, πe ↑ and m ↓) auch einen Bereich des Pha-senraums, in dem m ↑ und damit w ↓, wo also eine tatsachliche Lohn- undPreisdeflation moglich ist.

Schon Keynes (1936, Kap.2) wies jedoch auf den empirischen Sachverhalthin, dass es (nahezu) unmoglich ist, eine allgemeine Lohnsenkung zuwege zubringen. Und tatsachlich ist eine solche gesamtwirtschaftliche Lohndeflationin der realen Welt, oder zumindest in der Nachkriegszeit, nicht beobachtetworden.

Aus diesem Grund modifizieren wir die Lohn–Phillipskurve (5.66) wiefolgt:

w = max{βw(V − V ) + πe, 0}.

Die Phillipskurve ist daher im Mindesten als ‘kinked’ oder geknickt anzuset-zen, soll sie empirische Relevanz besitzen (vgl. dazu bereits Phillips (1958)).Dies ist eine wichtige Kritik des landlaufigen Gebrauchs der Phillipskurve.

Betrachten wir zunachst den Fall eines konstanten Geldangebots fur diesemodifizierte Modellspezifikation. In dem Bereich des Phasendiagrams wo msteigt und w damit sinkt (d.h. unterhalb der m = 0–Kurve), ist das dynami-sche System jetzt anders zu beschreiben, und zwar wie folgt

Page 273: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

262 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

m = −w = 0 (5.75)πe = βπe(0− πe) (5.76)

Diese Erganzung liefert unmittelbar die folgende modifizierte Situation furdas oben dargestellte Phasendiagramm:

Abb. 5.14. Mittelfristige IS-LM-PC Dynamik mit einer geknickten Phillips-Kurveund einem konstanten Geldmengenangebot µ = 0: Stabile Depressionsgleichgewichte

Die m–Dynamik (und mit ihr die von w = M/m) kommt damit linksvon m0 an der m = 0–Isokline zum Stillstand, da die Lohne nicht sinkenkonnen und damit lediglich noch die erwartete Inflationsrate im Hinblick aufdie jetzt vorliegende Lohn– und Preisstabilitat gegen Null konvergiert. DiePunkte A1, A2, A3, . . . sind damit stabile stationare Punkte des Geschehens,und sie verhindern jedenfalls, dass die Wirtschaft in eine moglicherweise insta-bile Deflationsspirale gerat, so wie sie Abbildung 5.13. noch zulasst. Problemist jetzt nur, dass fur m < m0 die Ungleichung V (m, 0) < V gilt [da Vm > 0und V (m0, 0) = V ]. Die Punkte A1, A2, A3, . . . stellen damit stabile Depressi-onslagen dar, wie sie Keynes vor Augen hatte, als er 1936 seine ‘AllgemeineTheorie’ veroffentlichte.

Was kann die Wirtschaftspolitik in solchen Situationen tun? Wie die Ab-bildungen 5.13. und 5.14. zeigen, kann das Herbeireden von Lohnsenkungen,abgesehen von deren Praktikabilitat, gefahrlich sein, da selbst in diesem ein-fachen Modell wegen des kontraktiven Mundell–Effekts von Deflationen ei-ne Erholungstendenz bei der Beschaftigung mit gefahrlichen Destabilisierun-gen einhergehen kann. Was sonst steht aber als wirtschaftspolitische Hand-lungsmoglichkeit zur Verfugung?

Es ist sicherlich einsichtig, dass expansive geld– oder fiskalpolitische Maß-nahmen in den oben dargestellten Depressionslagen unproblematisch sind, da

Page 274: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.4 IS-LM-Analyse der mittleren Sicht: Das IS-LM-PC Modell 263

sie dort keine Lohn– und Preissteigerungen verursachen konnen. Gemaß Glei-chung (5.62) erhohen sie aber den Output und damit die Beschaftigung derWirtschaft und wirken damit wirklich expansiv, indem sie die Ai–Punkte nachrechts verlagern.

Die Wirkungen solcher Maßnahmen mogen begrenzt sein, sie stellen aberdennoch erste Schritte in die richtige Richtung dar und konnten positive Im-pulse bei den Firmen auslosen, z.B. in Form eines Anstiegs der autonomenInvestitionen i0, der ebenfalls expansive Auswirkungen hat, wie wir wissen.

Es gibt noch einen verwandten, wichtigen Sachverhalt, der die in Abb. 5.14.dargestellte Situation entscharfen kann und in vielen dieser Situationen einenselbstandigen Aufschwung ermoglicht, wenn die Dynamik die m = 0–Linielinks von m0 kreuzt. Auch hier passt eine Beobachtung von Keynes (1936,Kap.2), namlich, dass Arbeiter sich vehement gegen eine allgemeine Senkungdes nominellen Lohnniveaus wehren mogen, dass sie aber eine Senkung ih-res Reallohns auf dem Wege der Erhohung des Preisniveaus bei gegebenemNominallohnniveau in bestimmten Situationen hinzunehmen bereit sind. Mitanderen Worten: Wir vermuten, dass sich die in Abbildung 5.14. dargestelltenDepressionstendenzen teilweise auflosen konnen, wenn die Wirtschaft (hiernoch ohne Wachstum) inflationare Tendenzen aufweist, also die GeldmengeM wie im monetaristischen Basismodell eine positive Wachstumsrate µ zuge-wiesen bekommt.

Die einfache Konsequenz dieser Annahme ist, dass m = M/w jetzt inWachstumsraten die Beziehung m = µ− w liefert, also Gleichung (5.73) jetztGleichung (5.75) folgend durch

m = µ− πe − βw(a0 + a1m + a2πe − V )

zu ersetzen ist. Die m = 0–Isokline lautet damit jetzt

πe =V + µ/βw − a0 − a1m

1/βw + a2

wahrend die alte m = 0–Isokline (unter ihr) weiterhin den Bereich bestimmt,wo dem Zustand am Arbeitsmarkt gemaß Lohnsenkungen hervorkommenmussten, aber nicht hervorkommen. Das letzte Phasendiagramm modifiziertsich bei Unterstellung von µ > 0 deshalb wie folgt:31

Das System findet jetzt selbstandig aus Depressionslagen zu einem Voll-beschaftigungspunkt (leicht oberhalb des Punktes B) zuruck, in dem die Infla-tion und die Inflationserwartungen (fast) Null sind. Die positive Wachstums-rate der Geldmenge impliziert dann, dass dieser Punkt kein stationarer Punktist, sondern das System aufgrund des Keynes-Effekts zu Uberbeschaftigungweiterschreitet. Damit ist die Ausgangslage fur eine neue Runde von Lohn–31 Abbildung 5.14. suggeriert die Existenz eines sog. Grenzzyklus, der zudem alle

Dynamik um sich herum attrahiert. Ein Beweis der Existenz und der Stabilitat so-wie die Bestimmung der genauen Form dieses Grenzzyklus sind jedoch nicht ohneProbleme und mussen deshalb hier aus Grunden der Einfachheit unterbleiben.

Page 275: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

264 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

Abb. 5.15. Mittelfristige IS-LM-PC Dynamik mit einer geknickten Phillips-Kurveund einer positiven Wachstumsrate der Geldmengenangebotes: Grenzzyklen undKorridorstabilitat (mo = V−ao−a2µ

a1, πe

o = µ jetzt)

und Preissteigerungen gegeben, die in einem zyklischen Verhalten wieder zudepressiven Lagen langs der w = 0 Kurve zuruckfuhren kann oder – insbe-sondere bei monotoner asymptotischer Stabilitat des Steady State – hin zuNormalbeschaftigung und der Inflationsrate π = µ fuhrt.

Betrachten wir nun die einzelnen Phasen dieses Konjunkturzyklus etwasgenauer. Dabei ist es zweckmaßig, sich noch einmal die inhaltliche Bedeu-tung der beiden dynamischen Variablen m und πe sowie ihren Einfluss aufdas temporare Gleichgewicht zu vergegenwartigen. Mit m = M

w ergab sichm = M − w = µ − w. Welchen Einfluss hatten nun die Geldmenge M undder Nominallohnsatz w auf das IS–LM–Gleichgewicht? Wie wir uns erinnern,verschiebt eine steigende Geldmenge die LM–Kurve nach rechts, fuhrt somitzu sinkenden Zinsen und einem hoheren Gleichgewichts–Output. In Bezugauf die Lohndynamik w ist nach wie vor zu beachten, dass sie sich uberdas Markup–Pricing in eine gleich hohe Preissteigerung ubersetzt (p = w).Somit fuhren Lohnsteigerungen zu gleich hohen Preissteigerungen, die ihrer-seits die LM–Kurve nach links verschieben mit dem Resultat hoherer Zinsen,geringeren Investitionen und geringerem gleichgewichtigen Einkommen. EineSteigerung der Geldmenge M und eine Steigerung der Lohne bewirken alsobeide eine Verschiebung der LM–Kurve, wenn auch in jeweils entgegengesetz-ter Richtung. Der hier relevante Wirkungszusammenhang ist also in beidenFallen nichts anderes als der Keynes–Effekt, so dass sich die Variable m ein-fach als Reprasentant desselben auffassen lasst. Ein steigendes m (gleichgultig,ob aus M ↑ oder w ↓ resultierend) bedeutet somit stets: Rechtsverschiebungder LM–Kurve, sinkende Zinsen, steigende Investitionen, hoheres Einkommen

Page 276: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.4 IS-LM-Analyse der mittleren Sicht: Das IS-LM-PC Modell 265

und hohere Beschaftigung. Letzteres ist auch unmittelbar Gleichung (5.72) zuentnehmen.

Demgegenuber steht die erwartete Inflationsrate, πe, fur den anderen unsbekannten Wirkungszusammenhang, namlich den Mundell–Effekt. So bewirkteine Erhohung von πe eine Verschiebung der IS–Kurve nach rechts, was zwarzu einem hoheren Nominalzinssatz im neuen Gleichgewicht fuhrt, der Realzins(r − πe) aber per Saldo dennoch gesunken ist mit der Folge hoherer Investi-tionen, hoherer Produktion und hoherer Beschaftigung.

Halt man nun eine der beiden dynamischen Variablen konstant und erhohtdie andere, ist dies somit stets mit steigender Produktion und steigenderBeschaftigung verbunden. In den Bereichen II und IV des Phasenraums, wosich m und πe gleichgewichtet bewegen, ergeben sich in Bezug auf letztge-nannte Großen also eindeutige Resultate; man kann auch sagen, dass sich hierKeynes– und Mundell–Effekt gegenseitig verstarken. Demgegenuber wirkenin den Sektoren I und III die beiden Effekte einander entgegengesetzt, wobeinahe der Null–Isokline des einen der jeweils andere dominiert. Mit Blick aufdie Entwicklungen der realen Großen wie Einkommen und Beschaftigung istferner zu beachten, dass rechts der πe = 0–Isokline V > V und links davondas Gegenteil vorliegt. Ferner steigt oberhalb der w–Isokline der Nominallohn,wahrend er unterhalb derselben gemaß der geknickten Phillipskurve konstantbleibt.

Nach diesen Vorbemerkungen ist es nun moglich, das Geschehen in deneinzelnen Abschnitten I – IV etwas naher zu beleuchten. Beginnen wir in demTeil des Sektors I, der unter der w = 0–Isokline liegt. In diesem Bereich fuhr-te bei konstanter Geldmenge (µ = 0) die Dynamik wegen der ausbleibendenLohnsenkungen zu einer stabilen Depressionslage, da durch die Lohnrigiditatauch das Preisniveau nicht sinken konnte und daher der belebende Keynes–Effekt ausblieb. Zudem sorgte die weiter sinkende Inflationsrate fur einen kon-traktiv wirkenden Mundell–Effekt und damit fur eine fortgesetzten Ruckgangvon Einkommen und Beschaftigung, der erst mit Erreichen der m–Achse zumStehen kam.

All diese Effekte wirken nun nach wie vor, werden jetzt aber konterkariertdurch eine positive Wachstumsrate der Geldmenge und einen dementspre-chend expansiv wirkenden Keynes–Effekt; dass dieser tatsachlich positiv ist,gewahrleisten die in diesem Bereich immerhin nicht steigenden Nominallohne.Da ebenso wie in der Ausgangssituation auch hier die Strecke [0, B] der m–Achse eine πe =–Isokline darstellt, wird jetzt spatestens in deren Nachbar-schaft der Keynes–Effekt dominieren, d.h. die durch die Geldmengenexpansionbewirkten Nominalzinssenkungen werden starker auf den fur die Investitionenrelevanten Realzinssatz (r− πe) durchschlagen als die jetzt nur noch schwachrucklaufigen Inflationserwartungen. Genau dies verhindert hier eine stabileDepressionslage, wie das noch bei konstant gehaltener Geldmenge der Fallwar.

All dies fuhrt dazu, dass Einkommen und Beschaftigung immer mehr zu-nehmen, bis schließlich letztere ein Niveau erreicht, ab dem der Nominallohn

Page 277: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

266 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

wieder zu steigen beginnt, die w = 0–Isokline also uberschritten wird. Werfenwir nun noch einmal einen kurzen Blick auf die beiden dynamischen Gleichun-gen

m = M − w = µ− w

πe = βπe(p− πe) = βπe(w − πe),

so wird unmittelbar ersichtlich, dass die eingetretene Lohninflation gegenlaufi-ge Effekte hat. Einerseits wird der weiterhin expansiv wirkende Keynes–Effektjetzt abgebremst (bleibt aber positiv, da wir uns noch links der m = 0–Isoklinebefinden), andererseits gilt gleiches aber auch mit Blick auf den immer nochkontraktiven Mundell–Effekt (πe < 0).

Hier sorgen die Lohnsteigerungen sogar mit dafur, dass schließlich dieπe = 0–Isokline und damit die Grenze zu Sektor II uberschritten wird, inwelchem der Mundell–Effekt jetzt uber eine steigende Inflationsrate in Be-zug auf Investitionen, Einkommen und Beschaftigung expansiv wirkt und indieser Eigenschaft mehr und mehr den durch die Lohnsteigerungen immerschwacher werdenden Keynes–Effekt dominiert. Dieser verschwindet schließ-lich vollig (m = 0), und die Okonomie tritt in den Sektor III ein.

In diesem Bereich nun wirkt der Keynes–Effekt kontraktiv, da die Lohn–und damit die Preissteigerungen großer sind als die Geldmengenwachstums-rate mit der Folge einer Linksverschiebung der LM–Kurve und dementspre-chend hoherem gleichgewichtigem Nominalzins. Investitionen, Output undBeschaftigung werden somit in ihrem Wachstum gehindert, welches jedochanfanglich aufgrund des weiterhin expansiv auf die Investitionen wirkendenMundell–Effekts noch positiv bleibt.

Die weitere Entwicklung lasst nun zwei Moglichkeiten offen. Entwederkommt es zu einer akzelerierenden Lohn–Preisspirale mit einer persisten-ten ‘Uberbeschaftigung’ (V > V ), eine Situation, in welcher der expansiveMundell–Effekt den Keynes-Effekt uberkompensiert. Oder es kehrt sich ir-gendwann das Krafteverhaltnis zwischen beiden Effekten um, und die Okono-mie strebt mit schwacher werdenden Steigerungen der tatsachlichen und er-warteten Inflationsrate wieder der ‘Normalauslastung’ zu, d.h. eine Rezessionsetzt ein. In diesem Fall wird fruher oder spater mit V = V die πe = 0–Isoklineerreicht, nach deren Uberschreitung die inflationaren Auftriebstendenzen ge-brochen sind.

Damit befinden wir uns bereits in Abschnitt IV, wo Keynes– und Mundell–Effekt wieder in die gleiche Richtung wirken, jetzt aber kontraktiv. Die Lohn–und damit zugleich die Preisinflation ist einerseits nach wie vor so hoch, dassdadurch die Geldmengenwachstumsrate uberkompensiert wird mit der Fol-ge eines negativen Keynes–Effekts, andererseits ist sie nicht hoch genug, umdie Inflationserwartungen weiter steigen und damit den Mundell–Effekt po-sitiv wirken zu lassen. Die Beschaftigung, die bereits unterhalb des NAIRU–Niveaus V liegt, nimmt weiter ab, bis schließlich der Punkt erreicht ist, wodie Lohnsteigerungen auf die Hohe der Geldmengenwachstumsrate abgesun-ken sind. Hier nun sorgt allein der Mundell–Effekt fur eine Fortdauer der

Page 278: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.4 IS-LM-Analyse der mittleren Sicht: Das IS-LM-PC Modell 267

Rezession, so dass die Okonomie nach Durchschreiten der m = 0–Isoklinewieder in den Abschnitt I eintritt.

In diesem Bereich sind nun ebenfalls im Prinzip zwei Verlaufe denkbar.Im ersten Fall erreicht die Okonomie schon oberhalb der w = 0–Isoklinedie Talsohle, und der jetzt wieder positive Keynes–Effekt dominiert das Ge-schehen gegenuber dem weiterhin kontraktiven Mundell–Effekt. Dann wirdirgendwann wieder die πe = 0–Isokline erreicht, und der bereits zuvor einge-tretene Aufschwung mundet in Sektor II wieder in einen Boom. Die andereMoglichkeit ist mit einer Dominanz des Mundell–Effekts und somit einer wei-teren Verscharfung der Rezession verbunden. Schließlich unterschreitet derBeschaftigungsgrad V sogar das Niveau, ab dem keine weiteren Lohnsteige-rungen mehr stattfinden und der Lohnsatz entsprechend der geknickten Phil-lipskurve konstant bleibt. Hier ist es dann wieder die positive Wachstumsrateder Geldmenge µ, die uber den Keynes–Effekt die Okonomie von einer stabilenDepressionslage bewahrt und schließlich einen neuen Aufschwung ermoglicht.

Dies sind die wirklichen Konsequenzen des Modellansatzes von Dorn-busch/Fischer (1995), wenn man ihren Uberlegungen hinzufugt, dass die zuverwendende Phillipskurve keine Lohndeflation zulassen darf. Die Ahnlich-keiten dieser Ergebnisse mit denen des monetaristischen Basismodells habendeutlich abgenommen, auch wenn es weiterhin Situationen gibt, in denen derinnere Steady–State des Modells lokal asymptotisch stabil ist (βπe ↓, h1 ↓),um diesen herum also wieder gedampfte Stagflationszyklen existieren.

Exkurs: Eine einfache grafische Darstellung desInstabilitatsproblems

Zur weiteren Veranschaulichung der erzielten (In–)Stabilitatsresultate wollenwir in diesem Anhang kurz den Extremfall des Vorliegens der Liquiditats-falle betrachten, also den Fall einer horizontalen LM–Kurve, die durch denerreichten minimalen Nominalzins rmin gekennzeichnet ist:In Abbildung 5.16. ist unterstellt, dass sich der gleichgewichtige Output Yunterhalb des zur NAIRU U = 1− V gehorigen Outputniveaus befindet: Y ∗ =V Ly > Y . Nehmen wir der Einfachheit halber an, dass die Ausgangslage durchIS gekennzeichnet war, also die Wirtschaft sich (bei Nullinflation w = p = 0)im Steady State befand. Ein kontraktiver Schock, z.B. eine Reduktion derautonomen Investitionen i0, verlagert anschließend die IS–Kurve, wie gezeigt,nach links. Es folgt:

p = w = βw(Y − Y ∗)/(yL) + 0 < 0,

d.h. Preise und Lohne beginnen zu sinken und werden von ihnen folgendenDeflationserwartungen πe < 0 begleitet. Die Konsequenz ist, dass auch derOutput Y

Y =−c(T + δK) + i0 − i1(rmin − πe) + δK + G

1− c

Page 279: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

268 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

Abb. 5.16. IS-LM-PC Dynamik: Liquiditatsfalle und Instabilitat

zu sinken beginnt, da der Mundell–Effekt +i1πe hier kontraktiv wirkt und

ein expansiv wirkender Zinssenkungseffekt (der Keynes–Effekt) nicht mehrverfugbar ist. Die Wirtschaft gerat damit in eine Deflationsspirale

w ↓ p ↓ πe ↓ Y ↓ w ↓↓ etc. ,

die im Kontext des vorliegenden Modells zum Kollaps fuhren muss, da sich dieIS–Kurve mehr und mehr nach links verlagert. Und erneut ist es die folgende,empirisch plausible Modifikation der Lohn–Phillipskurve:

w = max{βw(Y − Y ∗)/(yL) + πe, 0},

die diesen Prozess vollstandig verhindert und damit die Wirtschaft in derdepressiven Lage Y < Y ∗ belasst.

‘Die Arbeiter sind daher glucklicherweise, obschon unbewusst, instink-tiv vernunftigere Wirtschaftler als die klassische Schule, indem sie sichgegen eine Kurzung der Geldlohne wehren, die selten oder nie allge-meinen Charakter hat, . . . ’(Keynes, 1936, S.12).32

Wahrend Geldpolitik in der gezeigten Situation impotent ist, da sie keine Zins-senkung erreichen kann, kann eine dosierte Fiskalpolitik die IS–Kurve nachrechts so verlagern, dass (moglicherweise) weitere expansive Impulse entste-hen, die den Output Y wieder an Y ∗ heranfuhren.

Auch wenn diese Betrachtung auf der extremen Situation einer Liquiditats-falle basiert, so ist sie doch insofern von erheblicher Bedeutung, als sie die Ver-mutung starkt, dass auch im allgemeinen Fall des Abschnitts 5.4.1 eine Erho-

32 Man vgl. hierzu insbesondere Abschnitt 2.1.1.

Page 280: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.4 IS-LM-Analyse der mittleren Sicht: Das IS-LM-PC Modell 269

lung keineswegs sichergestellt ist, wenn sich die Okonomie erst einmal unter-halb der m = 0– und πe = 0–Isokline befindet und die Geldnachfrage hochgra-dig elastisch auf Zinsanderungen reagiert. Vielmehr scheint die Gefahr einerDeflationsspirale im Falle von Nominallohnsenkungen durchaus zu bestehen,was erhebliche Auswirkungen auf die Bewertung der nachfolgend eingefuhrtenLohnrigiditaten haben durfte. Wurden diese namlich eine mogliche Erholungverhindern, so ware Engels zwar nicht mit Blick auf seine Argumentation, wohlaber hinsichtlich seiner Schlussfolgerungen zumindest insoweit zuzustimmen,als er institutionelle Hemmnisse, die einer freien Lohnbewegung (nach unten)entgegenstehen, fur die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich macht.Demgegenuber erscheinen Lohnrigiditaten in einem vollig anderen Licht, wennsie zwar zu stabilen Depressionslagen fuhren, gerade dadurch aber eine weitereVerschlimmerung der Situation verhindern. Angesichts des so gesehen zumin-dest unsicheren Ausgangs konnen Lohnsenkungen, selbst wenn sie praktischdurchfuhrbar waren, durchaus ein Spiel mit dem Feuer sein.33

5.4.4 Moderne Geldpolitik: Direkte Zinssteuerung

Ein Vorwand gegen die aktuelle Relevanz des IS-LM-PC Modells in der ge-rade beschriebenen Form konnte die Tatsache sein, dass in den letzten funf-zehn Jahren ein faktischer Wechsel bzgl. der Art wie die Geldpolitik von denZentralbanken der meisten Industrielander durchgefuhrt wird stattgefundenhat. Wahrend in den 70er und 80er Jahren wichtige Zentralbanken wie dieDeutsche Bundesbank das Geldmengenangebot als Steuerungsvariable undPolitik-Ziel betrachtet haben, ist die gezielte Nutzung des kurzfristigen Zinsesals Politik-Variable seit den 90er Jahren sowohl in der Praxis als auch in derakademischen Literatur nach dem Aufsatz von Taylor (1993) immer mehr inden Vordergrund geruckt.

Dabei hat dieser Paradigmenwechsel eher ungewollt stattgefunden: Wasin Taylor’s (1993) Aufsatz als eine rein deskriptive Regel zur Nachvollzie-hung der Zinsreaktionen auf Inflations- und Outputentwicklungen dargestelltwurde, wurde durch eine Reihe von theoretischen Aufsatzen wie Rotem-berg/Woodford (1997)und Svensson (1999) zu einer normativen Regel ‘aufge-wertet’.

Obwohl die genaue Spezifikation von geldpolitischen Zinsregeln von Auf-satz zu Aufsatz variiert, beinhalten die Mehrheit solcher Regeln einen Termfur die Preisstabilitat (den sogenannten inflation gap) und eventuellerweiseeinen Term fur die okonomische Aktivitat (den sogenannten output gap).

Wir konnen diese Art von geldpolitischer Durchfuhrung in unserem IS-LM-PC Modell in einer relativ einfachen Weise einfuhren indem wir die bis-her benutzte geldpolitische Regel einer konstanten Wachstumsrate durch eine33 Anzumerken ist jedoch, dass sich diese Uberlegungen sich auf den Fall einer ge-

schlossenen Volkswirtschaft beziehen. Die Einfuhrung von internationalem Handelund Wettbewerbsfahigkeitseffekten kann jedoch zu anderen Schlussfolgerungen inunserem Modell fuhren.

Page 281: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

270 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

Zinsregel ersetzen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Realkasse m aus un-serem Model verschwindet, sondern dass wir die Kausalitat zwischen Geldan-gebot und Zinsrate umdrehen: In der jetzigen Fassung unseres Modells wirdnicht das Geldmengenangebot das aktuelle Zinsniveau bestimmen, sondernes wird sich dem von der Zentralbank festgelegten Zinssatz anpassen. In derTat wird heutzutage der kurzfristige Zinssatz von den Entscheidungstragernbei den Zentralbanken festgelegt und das dazu passende Geldangebot wirddementsprechend in dem Geldmarkt angegeglichen.34

Fur die Darstellung des IS-LM-PC Modells mit einer Taylor-Regel werdenwir von der folgenden Spezifikation ausgehen:

rT = ro + φπ(p− π) + φy(Y − Y ) (5.77)

Wie die Zinsregel hier formuliert ist, reagiert die Zentralbank mit einer Starkeφπ auf Abweichungen von der aktuellen Inflationsrate

p = βw(Y − Y )/(yL) + πe = βw(Y − Y ) + πe

von dem vorgegebenen Inflationsziel und mit einer Starke φy auf Abweichun-gen des aktuellen Produktionsniveau Y von dem NAIRU-entsprechenden Pro-duktionsniveau Y , wobei ro das gleichgewichtige Zinsniveau bezeichnet.

In der Literatur wird oft unterstellt, dass die Zentralbanken einen gewissenGradualismus bei der Bestimmung des kurzfristigen Zinssatzes betreiben –bekannt als interest rate smoothing – u.a. um ruckartige und allzu volatileZinsbewegungen zu vermeiden, die eventuell die Finanzmarkte destabilisierenwurde. Eine solche Strategie wurde durch die folgende Differentialgleichungdargestellt:

r = αr(rT − r). (5.78)

Die tatsachliche nominale Zinsrate r wurde also steigen, wenn die von derZentralbank erwunschte Zielrate rT uber die tatsachliche Zinsrate r liegt,und umgekehrt.

Um unsere Darstellung jedoch weiterhin auf nur zwei Dimensionen zu be-schranken nehmen wir an, dass die zeitliche Entwicklung der nominalen Ziel-Zinsrate durch die folgende dynamische Gleichung beschrieben wird

rT = αr(rT − ro)= αr(φπ(p− π) + φy(Y − Y )). (5.79)

Durch Einsetzung von Gleichung (5.77), der bereits eingefuhrten Taylor-Regelanstelle von der LM-Relation (das Geldmarkt-Gleichgewicht bei konstantemGeldangebot) in Gleichung (5.79) bekommen wir eine alternative Darstellungdes Gleichgewichts-Outputs aus der IS-Relation

34 Siehe Blanchard/Illing (2006, Kap. 25) fur eine didaktische Einfuhrung in dieGeldpolitik der EZB.

Page 282: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.4 IS-LM-Analyse der mittleren Sicht: Das IS-LM-PC Modell 271

Y =1

1− c

[−c(T + δK) + i0 − i1(rT − πe) + δK + G]

Y = d0 − d1(rT − πe). (5.80)

Um die Abhangigkeit des Gutermarkt-Gleichgewichtes und dessen Verande-rungen von Veranderungen in rT und πe zu untersuchen, leiten wir – wie imAbschnitt 5.3.1 – die IS-Gleichung nach der Zeit ab

Y = −d1rT + d1πe

= −d1αr(φπ(βw(Y − Y ) + πe − π) + φy(Y − Y ))

+d1βπe βw(Y − Y ) (5.81)

welche mit der schon bekannten Zeitableitung der erwarteten Inflationsrate,

πe = βπe βw

(Y − Y

)(5.82)

die zwei Gleichungen des neuen dynamischen Systems im (Y − πe)− Phasen-raum darstellen.

Die Jacobi–Matrix dieses modifizierten Systems um den Steady State ist

J =[

J11 J12

J13 J14

]

mit

J11 =∂Y

∂Y

∣∣∣∣∣GGW

= d1(βπe βw − αr(βwφπ + φy)) (5.83)

J12 =∂Y

∂πe

∣∣∣∣∣GGW

= −d1αrφπ < 0 (5.84)

J21 =∂πe

∂Y

∣∣∣∣GGW

= βπe βw > 0 (5.85)

J22 =∂πe

∂πe

∣∣∣∣GGW

= 0 (5.86)

Das System ist lokal asymptotisch stabil, wenn folgende Proposition gilt:

Proposition 5.1 Der Steady State des Systems (5.81) – (5.82) ist lokalasymptotisch stabil, wenn die Bedingung

αr(βwφπ + φy) > βπe βw (5.87)

erfullt ist.

Beweis:Bei Gultigkeit von Proposition 5.1 gilt fur das Steady State des Systems

Page 283: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

272 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

tr(J) = d1[βπe βw − αr(βwφπ + φy)] < 0

det(J) = d1βπe βwαrφπ > 0.

Das Steady State des Systems ist also asymptotisch stabil wenn αr(βwφπ +φy) > βπe βw, also wenn die Reaktion des nominalen Zinssatzes auf dieInflations- und/oder Produktionslucke hoher ist als der destabilisierendeMundell-Effekt von hoheren Inflationserwartungen.

Diese Schlussfolgerung ist auch ersichtlich durch die in Abb. 5.17. skizzier-ten Isoklinen

πe|Y =0 =1

αrφπ(βπe βw − αr(βwφπ + φy))(Y − Y ) + π

Y |πe=0 = 0.

Wie man anhand der Steigung der Isoklinen deutlich merken kann, bedingt dieErfullung von Proposition 5.1 sowohl die Stabilitat der Gutermarkt-Dynamik(der Y = 0−Isokline) als auch deren Steigung.

Y0Y =�Y Y=

0eπ =�

Abb. 5.17. Das IS-MR-PC Modell: Lokale Stabilitat durch aktive Geldpolitikαr(βwφπ + φy) > βπeβw

So ergibt sich im Falle von αr(βwφπ +φy) > βπe βw (skizziert in Abbildung5.17.), dass die Gutermarkt-Dynamik stabil ist und die Y = 0−Isokline einenegative Steigung hat. Dies fuhrt dazu, wie bereits erwahnt, dass die Dynamikdes Systems lokal asymptotisch stabil ist, so dass die Volkswirtschaft nacheinem Schock immer zum gleichgewichtigen Output Y = Y (bei πe = π =π) durch die aktive Geldpolitik der Zentralbank zuruckkehrt. Um dies zuverdeutlichen, da

Page 284: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.4 IS-LM-Analyse der mittleren Sicht: Das IS-LM-PC Modell 273

Y ↑ →

w ↑→ pπe ↑→ p−→

→ i ↑→ Y ↓→ w ↓→ p ↓→ πe ↓→ Y ↓

Wie es leicht anhand von Gleichungen (5.81) und (5.82) zu sehen ist, kommtdie Dynamik bzw. der Anpassungsprozess des Systems nur wieder zum Still-stand wenn die gleichgewichtige Situation

πe = p = π und Y = Y

wiederhergestellt ist.In Abbildung 5.18. zeigen wir, auf der anderen Seite, das Phasendiagramm

unseres Modells fur den Fall, dass der destabilisierende Mundell-Effekt vonsteigender Inflationserwartungen den stabilisierenden Effekt von der Geldpo-litik ubertrifft βπe βw > αr(βwφπ + φy). In diesem Fall gilt tr(J)¿0, was eininstabiles Steady State bedeutet. Diese Eigenschaft kann auch in Abbildung5.18. betrachtet werden. Wie dort verdeutlicht ist, fuhrt eine nicht genugendaktive Geldpolitik zur lokalen Instabilitat des Steady States, aufgrund derTatsache dass der destabilisierende Einfluss der Inflationserwartungen auf diewirtschaftliche Aktivitat nicht hinreichend kontrolliert wird.

Y

0Y =�

Y Y=

0eπ =�

Abb. 5.18. Das IS-MR-PC Modell: Lokale Instabilitat- wegen passiver Geldpolitikβwβπe > αr(βwφπ + φy)

In dieser Modellvariante vom IS-LM-PC der letzten Abschnitt, in der derGeldpolitik einer aktiveren Rolle zugestanden wird, ist diese tatsachlich ent-scheidend fur die Stabilitat des Systems, gegeben der destabilisierende Rolleder Inflationserwartungen. Wie wir gezeigt haben, kann die Geldpolitik furdie Stabilitat des Systems nur dann gewahrleisten, wenn sie hinreichend aktivbzw. aggressiv auf inflationare Entwicklungen reagiert.

Page 285: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

274 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

5.4.5 Kurz- und Langfrist-Zinsen im IS-LM-PC Modell

Wir haben im vorausgegangenen Abschnitt gesehen, dass die von den Moneta-risten behauptete asymptotische Stabilitat des privaten Sektors nur vorliegt,wenn die Bedingung

βπeh1 <

(M

p

)

0

im Steady State erfullt ist. Bei gegebener Anpassungsgeschwindigkeit βπe

der Inflationserwartungen wird diese Bedingung aber, wie wir gesehen ha-ben, spatestens dann verletzt, wenn wir uns in der Nahe der Liquiditatsfal-le befinden, also die LM–Kurve fast horizontal ist (h1 → ∞, ho = h1ro beih1/h0 = const., vgl. den Anhang des vorausgegangenen Abschnittes). Das ein-fache Gegenargument gegen dieses Instabilitatsergebnis ist empirischer Naturund besagt, dass eine Situation sehr hoher Zinsreagibilitat der Geldnachfragevon sehr exzeptioneller Natur ist und deshalb weitgehend ignoriert werdenkann. Die asymptotische Stabilitat des privaten Sektors und seine bestandigeFahigkeit, Shocks absorbieren und in Richtung auf seine Steady State Posi-tion abbauen zu konnen, ist damit im wesentlichen gegeben und somit diesegrundsatzliche Sichtweise der Monetaristen anscheinend auch im IS–LM–PC–Modell korrekt.

Wir wollen im Folgenden zeigen, dass eine solche Schlussfolgerung keines-wegs zwingend ist, sondern dass auch bei einer normal geneigten LM–Kurve(mit einer mittleren Steigung) bei nur maßvoll reagierenden Inflationserwar-tungen der Steady State unseres IS–LM–PC–Modells lokal instabil sein kann.Um dies bewerkstelligen zu konnen, mussen wir uns zunachst in Bezug aufdie Vermogensmarkte mit einer wichtigen Unterscheidung befassen, namlichmit der Trennung in kurz– und langfristige Zinssatze, der sog. Zinslucke.

Zu diesem Zweck wollen wir von einer etwas anderen – und moderneren –Herleitung der LM-Kurve ausgehen, als wir dies in Kapitel 3 getan haben, wowir noch gedanklich strikt zwischen einkommensabhangiger Transaktionskas-se (Md

T /p = kY ) und zinsabhangiger Spekulationskasse (MdS/p = h0 − h1r)

unterschieden haben. Demgegenuber ersetzen wir jetzt die Flexpreisbonds ausKapitel 3 durch eine Anlageart, die mit den Fixpreisbonds aus Kapitel 2 ver-gleichbar ist. Da eine solche Anlage aber einen Zins abwirft, ohne dabei einemKursrisiko zu unterliegen und zudem jederzeit wieder veraußert werden kann,ist sie so gesehen reiner Geldhaltung vorzuziehen, so dass die Abwagung zwi-schen diesen beiden Vermogensformen eigentlich zu einer gewunschten Geld-haltung von Null fuhren musste.

Dies andert sich jedoch in dem Augenblick, wo die Liquidation der ‘Fix-preisbonds’ (die man auch als Spareinlagen auffassen konnte) mit fixen Trans-aktionskosten – etwa in Form von Gebuhren, die die Banken verlangen, oderbestimmten Steuern – verbunden ist, die jedesmal anfallen, wenn eine solcheLiquidation vorgenommen wird. Eine ausschließliche Bondhaltung hatte dannzur Folge, dass zur Abwicklung des alltaglichen Zahlungsverkehrs in einer ge-gebenen Periode sehr oft Bonds zu verkaufen waren und dementsprechend oft

Page 286: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.4 IS-LM-Analyse der mittleren Sicht: Das IS-LM-PC Modell 275

die genannten Transaktionskosten anfielen. Somit besteht ein Trade-off zwi-schen dem Zinsertrag, den die Bonds bieten, und den Transaktionskosten, diesie verursachen: Je hoher der Teil des Vermogens ist, der in Form von Bondsgehalten wird, desto hoher ist zwar der Zinsertrag, umso ofter aber mussenBonds zu Geld gemacht werden und umso ofter fallen dementsprechend dieTransaktionskosten an.

Es ergibt sich somit ein ahnliches Entscheidungsproblem wie in der Be-triebswirtschaftslehre bei der Bestimmung des optimalen Lagerbestandes, wozwischen Kapitalkosten, d.h. entgangenen Kapitalertragen infolge der Kapi-talbindung durch die Lagerhaltung, und bestellfixen Kosten abzuwagen ist,unter denen man sich z.B. die in Rechnung gestellten Anfahrtskosten des Lie-feranten vorstellen kann. Dementsprechend fuhren obige Uberlegungen fur ge-gebenen Zinssatz und gegebene Transaktionskosten auch zu einem ahnlichenErgebnis wie der Ansatz von Andler/Harris bei der Bestimmung der optima-len Losgroße, nur dass es sich jetzt eben um den optimalen durchschnittlichen‘Lagerbestand’ an Geld handelt, der, wie sich zeigen ließe und wie es auchder Intuition entspricht, in der Tat negativ vom Zinssatz und positiv von denfixen Transaktionskosten und vom Einkommen, dem Transaktionsvolumen,abhangt. Bekannt geworden ist dieser auch in der Literatur so genannte ‘La-gerhaltungsansatz’ der Geldhaltung als ‘Baumol–Tobin–Modell’, dessen De-tails entweder bei diesen beiden Autoren selbst oder in einer Kurzfassung,z.B. McCallum (1989, S.48 ff.), nachgelesen werden konnen. Wir wollen esan dieser Stelle bei dieser kurzen inhaltlichen Skizzierung belassen und ab-schließend nur noch einmal betonen, dass auch aus diesem Ansatz heraus einepositiv vom Einkommen und negativ vom Zinssatz abhangige Geldnachfrageund damit der gleiche LM-Zusammenhang wie in Kapitel 3 resultiert, nur miteiner anderen inhaltlichen Begrundung.

Nehmen wir nun desweiteren an, dass fur die privaten Haushalte die ein-zige Alternativanlage zu Geld in verzinslichen Sparguthaben (oder ahnlichenBankeinlagen) besteht, und bei jeder Abhebung die genannten Transaktions-kosten anfallen. Sind sowohl diese als auch das Einkommen gegeben, hangt,wie eben ausgefuhrt, die Geldhaltung dann nur noch negativ von dem Zinssatzr ab, den die Banken auf die Guthaben zahlen. Diesen wollen wir im weiterenals kurzfristigen Zinssatz bezeichnen, da die Anlage ja jederzeit liquidisierbarist.

Demgegenuber stehen den Banken neben etwaigen freien Liquiditatsreser-ven sowohl kurz- als auch langfristige Anlagen zur Verfugung, wobei wir dieBetrachtung hier auf jeweils eine kurzfristige und eine langfristige Anlage-alternative beschranken wollen. Erstere konnen wir uns in Form der bereitserwahnten, u.U. vom Staat emittierten Fixpreisbonds vorstellen, wobei wirdavon ausgehen, dass diese den gleichen (kurzfristigen) Zinssatz abwerfen,den die Banken ihren Kunden fur ihre Sparguthaben gewahren. Durch dieseAnnahme wird nicht zuletzt sichergestellt, dass der kurzfristige Zinssatz auchaus Sicht der Banken ein Datum darstellt, diese sich also diesbezuglich alsPreisnehmer verhalten.

Page 287: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

276 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

Bei den langfristigen Anlagemoglichkeiten wollen wir uns auf langfristigeFirmenkredite (loans) konzentrieren, die sich von den Fixpreisbonds vor allemdarin unterscheiden, dass sie nicht jederzeit liquidisierbar sind, es also keinen‘Wiederverkaufsmarkt’ hierfur gibt und sich die Banken aus der eingegangenenVerpflichtung im allgemeinen auch nicht ohne weiteres vorzeitig losen konnen.Sofern fur diese Kredite ein uber die gesamte Laufzeit konstanter Nominal-zinssatz r∗ vereinbart wird (und davon gehen wir im folgenden aus), handeltes sich offensichtlich um einen langfristigen Zinssatz, der typischerweise vomkurzfristigen abweichen durfte. Bevor wir uns naher mit seiner Bestimmungbefassen, sollen die bisherigen Zusammenhange noch einmal kurz schematischzusammengefasst werden, wobei wir von einer Geldhaltung der Banken (Min-destreserve oder Uberschussreserven) der Einfachheit halber absehen:

Geld (zinslos)↗

PRIV. HAUSHALTE Firmenkredite↘ ↗ (langfristiger Zinssatz r∗)

Sparguthaben −→ BANKEN(kurzfristiger ↘Zinssatz r) Fixpreisbonds

(kurzfristiger Zinssatz r)

Aus der Differenz zwischen kurz- und langfristigem Zinssatz , der sogenannten‘Zinslucke’, ist nun aber eine Lucke der keynesianischen Theorie temporarerGleichgewichtslagen geworden. Denn wahrend der kurzfristige Zinssatz r, wieausgefuhrt, fur die Ableitung der LM-Kurve maßgebend ist, ist fur die Firmen-kredite und damit fur das Investitionsverhalten der Unternehmen der lang-fristige Zinssatz r∗ relevant, so dass uber

I = i0 − i1(r∗ − πe).

auch die IS-Kurve von letzterem abhangt. Wir haben damit das einfache, aberim Hinblick auf herkommliche Makrotheorie verbluffende Resultat, dass IS-und LM-Kurve nicht mehr in ein und demselben Diagramm untergebrachtwerden konnen.Bevor wir diesem Problem jetzt weiter nachgehen, soll festgestellt werden,dass das hier nur andeutungsweise Ausgefuhrte auf einem in Baily und Fried-man (1991) breit dargestellten makrotheoretischen Ansatz aufbaut, der nach-drucklich zur Lekture empfohlen wird. Baily/Friedman (1991) nutzen diesenAnsatz, um im Rahmen eines erweiterten sog. IS–ALM–Modells eine Rei-he von komparativ–statischen Uberlegungen durchzufuhren, wahrend wir imFolgenden versuchen werden, die Implikationen dieses Ansatzes fur die hiereingefuhrte dynamische IS–LM–PC–Analyse zu ermitteln.

Zur Erreichung dieses Ziels muss als erstes die hier aufgewiesene Zinsluckegeschlossen werden, aber naturlich nicht, wie dies in der ublichen Makrotheoriegeschieht, beseitigt werden. Dies kann hier nur in elementarer Form geschehen,sollte aber dennoch deutlich zeigen, dass die Unterscheidung in kurz– und

Page 288: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.4 IS-LM-Analyse der mittleren Sicht: Das IS-LM-PC Modell 277

LM(M/p)

IS( )e

r r

Y Y

*

Abb. 5.19. IS–LM–Analyse und die Zinslucke

langfristige Zinssatze sehr große Bedeutung fur die mittel– und langfristigeWirtschaftsentwicklung besitzt.

Betrachten wir einen Zeitraum der Lange n, n = 10 Jahre z.B., und einenKredit, der sich auf diesen Zeitrahmen bezieht. Fur diesen Zeitraum sei ei-ne Folge von kurzfristigen Zinssatzen gegeben, wobei r fur den momentanenZinssatz steht und re

2, . . . , ren fur die erwarteten Zinssatze der Folgeperioden.

Im Hinblick auf diese Zinsstruktur sollte im Gleichgewicht gelten

(1 + r∗)n = (1 + r)(1 + re2) . . . (1 + re

n)

Die Finanzierung eines Investitionsprojekts wurde dann uber kurz– oder lang-fristige Kredite gleich teuer zu stehen kommen. Gleichwohl wird ein Investorlangfristige Kredite zum Zinssatz r∗ vorziehen, da die Zinssatze re

2, . . . , ren nur

Vermutungen sind und deshalb ein erhebliches Investitionsrisiko darstellen.Langfristige Investitionsprojekte brauchen eine klare Kalkulationsbasis, wennsie mehr als reine Spekulationsgeschafte darstellen sollen.

Die obige Zinsformel ergibt fur den Zinssatz r∗ weiter umgeformt

n ln(1 + r∗) = ln(1 + r) + ln(1 + re2) + ... + ln(1 + re

n),

was naherungsweise liefert:

n · r∗ = r + re2 + ... + re

n = r + (n− 1)re ⇐⇒ r∗ =1n· r +

n− 1n

· re

wenn man der Einfachheit halber unterstellt, dass re2 = . . . = re

n = re gilt.35

35 Die Taylorreihenentwicklung von ln 1 + r um r = 0 lautet bis zum ersten Gliedln(1 + r) = 0 + 1

0+1· (r − 0) = r.

Page 289: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

278 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

Wir haben oben schon festgestellt, dass ein Investor die langfristige Fi-nanzierung zu r∗ einer sequentiellen Finanzierung zu r und dem, was sich inder Zukunft bei kurzfristigen Krediten tut, vorziehen wurde. Umgekehrt ge-sehen gilt naturlich, dass ein Kreditgeber lieber liquide bleiben mochte unddeshalb kurzfristige Kreditvergabe vorzieht. Es folgt, dass die Beziehung zwi-schen lang– und kurzfristigen Zinssatzen noch um eine sog. Liquiditatspramieζ, z.B. 3%, erganzt werden muss, die den Kreditgeber veranlasst, die fur ihnIlliquiditat bedeutende langfristige Kreditvergabe zu tatigen. Die Formel furdie Zinslucke r∗ − r lautet deshalb letztendlich bzgl. der von uns vorgenom-menen einfachen Approximation:

r∗ =1n

r +n− 1

nre + ζ = b1r + b0 (5.88)

In dieser Formel sind re und ζ als Shiftparameter aufzufassen, die die zukunftigerwartete Kurzfrist–Zinsstruktur zum Ausdruck bringen und die momentanerforderliche Liquiditatspramie in Bezug auf langfristige Kreditvergabe.

Die Gleichung (5.88) liefert nun die erforderliche Brucke zwischen IS– undLM–Kurve wie folgt:

r

rr

r

Y

Y

r

* r*

Y

Y

r

r r

r

r

45%

IS( )r (r)

LM(M/p)

e

o*

o

o

o

o

o

o*

Abb. 5.20. Das erweiterte IS–LM–Modell

Wir haben in dieser Grafik vier Shiftparameter mit aufgefuhrt: Den Mundell–Effekt πe, den Keynes–Effekt M/p und die soeben besprochenen Effekte von re

und ζ. Abbildung 5.20. zeigt mittels Fullung der Zinslucke ein simultanes IS–LM–Gleichgewicht, welches jetzt, wie schon gesagt, nicht mehr mittels eineseinfachen IS–LM–Diagramms wiedergegeben werden kann. Um dies dennochformal zur Bestimmung von Guter– und Geldmarktgleichgewicht zu ermogli-chen, muss die LM–Kurve, r(Y ), in die Gleichung (5.88) eingesetzt werden:

Page 290: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.4 IS-LM-Analyse der mittleren Sicht: Das IS-LM-PC Modell 279

r∗ =1n

r(Y ) +n− 1

nre + ζ. (5.89)

Die resultierende r∗(Y )–Funktion wollen wir im folgenden als LM∗–Kurvebezeichnen. Abbildung 5.21. zeigt mittels dieser LM∗–Kurve die Bestimmungdes langfristigen Zinssatzes r∗0 und des Outputs Y0, bei denen Guter– undGeldmarktgleichgewicht vorliegt.

r r

rY

r r

rY

IS( )

LM ( ,r , )

r (r)

o*

o o

*

*o

**

M_p

e*

e

Abb. 5.21. Das erweiterte IS-LM-Diagramm

Die angegebenen Vorzeichen bei den Shiftparametern bedeuten dabei Ex-pansion = Rechtsverschiebung bei + und Kontraktion = Linksverschiebungbei -. Naturlich gibt es implizit noch weitere Shiftparameter, so z.B. die Key-nes’sche Grenzleistungsfahigkeit des Kapitals als Ausdruck fur Gewinnerwar-tungen und die sog. Liquiditatspraferenz, die die Starke des Geldhaltungs-wunsches charakterisiert. Es ist bei dynamischen Analysen ublich, wenn auchnicht unproblematisch im Hinblick auf reale Prozesse, solche Shiftparameterwahrend des Ablaufs der Dynamik konstant zu halten.

Da wir die Investitionsfunktion jetzt mit I = i0 − i1(r∗ − πe) zu spezi-fizieren haben, liegt es nahe, auch die erwartete Inflationsrate als langfristigorientiert aufzufassen. Um dies zu ermoglichen, wollen wir die folgende elemen-tare Verallgemeinerung des fruheren adaptiven Erwartungsbildungsprozessesπe = βπe(p− πe) vornehmen:

πe = βπe((qp + (1− q)p∗)− πe) (5.90)= βπe(qp + (1− q)(µ− γ − πe)), q ∈ [0, 1]

Diese formale Erweiterung des fruheren Prozesses hat inhaltlich mehrere Vor-teile. Erstens integriert sie im Sinne des Abschnitts 5.1.5 uber das mone-taristische Basismodell mit dem Gewicht q ‘rationale Erwartungen’, da mit

Page 291: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

280 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

diesem Gewicht die korrekt antizipierte kurzfristige Inflationsrate p in die Be-einflussung von πe jetzt Eingang findet. Zweitens integriert sie im Sinne diesesAbschnitts auch die mittelfristige p∗–Prognose der Bundesbank (mit dem Ge-wicht 1− q). Der gewichtete Durchschnitt qp+(1− q)p∗ aus momentaner undim Trend zu erwartender Inflation ist somit jetzt die Referenz, in Bezug aufwelche die langfristige Inflationserwartung bestandig korrigiert wird. Wir ver-merken, dass die obige Formel fur die Anderung dieser Inflationserwartungenauch in der Form

πe = qβπe(p− πe) + (1− q)βπe(µ− γ − πe)

dargestellt werden kann. Es ist nicht schwer, die Modifikationen darzustel-len, die das Vorausgegangene fur die dynamische Analyse des vorherigen Ab-schnitts impliziert. Mittels der Kurzform r∗ = b1r + bo aus Gleichung (5.88)ergibt sich fur die LM∗–Kurve aus Gleichung (5.63):

r∗ = b1kY − M/p + h0

h1+ b0 (5.91)

und damit fur das IS–LM–Gleichgewicht (5.62), (5.63):

Y =−c(T + δK) + i0 + i1b1( M

p − h0)/h1 − i1b0 + i1πe + δK + G

1− c + i1b1k/h1(5.92)

r =k[−c(T + δK) + i0 + i1bo + i1π

e + δK + G] + (1− c)(h0 − Mp )

(1− c)h1 + i1kb1(5.93)

sowie naturlich wieder V = Y/(yL) gilt. Die ubrigen Gleichungen sind bis aufden Erwartungsmechanismus die alten, so dass damit jetzt die Dynamik

m = µ− βw(V − V )− πe, m = M/w

πe = βπeqβw(V − V ) + (1− q)βπe(µ− γ − πe)

zu untersuchen ist. Es ist nicht schwer, erneut zu zeigen, dass die Determinanteder Matrix J der partiellen Ableitungen im okonomischen Steady State erneutpositiv ist und dass sich fur die Spur dieser Matrix jetzt ergibt:

spur J = βwαi1

[qβπe − y

1 + a

1h1

m0b1

]− (1− q)βπe

mit α =1

(1− c + i1b1k/h1)yL> 0 und b1 = (1 + re)/n.

Die fur die lokale asymptotische Stabilitat notwendige und hinreichende Be-dingung ist damit jetzt erheblich komplizierter und lautet leicht reformuliert

Page 292: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.4 IS-LM-Analyse der mittleren Sicht: Das IS-LM-PC Modell 281

α(i1/h1)βw

[qβπeh1 − b1

(M

p

)

0

]− (1− q)βπe < 0

In dieser Formel sind die neuen Elemente im wesentlichen durch die Parame-ter q und b1 gegeben. Wir sehen, dass q ∈ (0, 1) die Chance fur die Erfulltheitdieser Ungleichung erhoht und damit Stabilitat um so wahrscheinlicher wird,je mehr vorausschauend die Erwartungen πe orientiert sind (q ↑). Andererseitsist b1 wesentlich kleiner als ‘Eins’ (z.B. ≈ 0.1 fur n = 10), somit die Moglich-keit lokaler Instabilitat damit deutlich wahrscheinlicher geworden. Sollte derAusdruck

qβπeh1 − b1

(M

p

)

0

> 0

sein, so entscheidet u.a. der Grad der Lohnflexibilitat (βw) jetzt mit daruber,ob die Spur negativ bleiben kann oder nicht und ist damit jetzt ebenfalls furdie lokale Stabilitat des Systems mitentscheidend (βw ↓!).

Zu betonen ist hier noch, dass unsere Formel (5.88) in ihrer einfachen‘Mechanik’ noch viel zu optimistisch sein kann. Es ist leicht vorstellbar, dassbeispielsweise die Erwartungen bezuglich der kunftigen kurzfristigen Zinssatzeoder die Liquiditatspramie von der jeweiligen konjunkturellen Situation oderder erwarteten Geldpolitik der Notenbank abhangen konnen36 mit allen sichdaraus ergebenden Folgen fur die Stabilitat der betrachteten Okonomie. Ins-besondere eine negative Abhangigkeit der Liquiditatspramie (und damit vonb0) von der jeweiligen gesamtwirtschaftlichen Lage – z.B. reprasentiert durchden Beschaftigungsgrad V oder die Kapitalauslastung V c – durfte geeignetsein, die jeweilige Konjunkturphase noch zu verscharfen und so zur Destabi-lisierung der Volkswirtschaft beitragen.

5.4.6 Fazit

Das Vorausgegangene hat gezeigt, dass im Unterschied zu monetaristisch /keynesianischen Ansichten lokale Instabilitat des Steady State der mittlerenSicht nicht unwahrscheinlich ist und auf dieser Basis sowohl persistente Zyklenwie Korridorstabilitat relevante Themenstellungen werden.

Insbesondere ist die bisherige Keynes’sche Wirkungs– und Ruckwirkungs-kette jetzt um den langfristigen Zinssatz r∗ erganzt worden, der sich zwischenkurzfristigen Zinssatz r und Investitionen schiebt:

r → r∗ → I → S → Y → L } kurzfristiger IS–LM–Zusammenhang

↑ ↓←−←− p ←−←− w ←−←− } mittelfristige Lohn–Preis–Dynamik

Im Vergleich zum kurzfristigen, durch das Geldmarktgleichgewicht gebildetenZinssatz r unterscheidet sich der fur die Investitionsentscheidungen der Un-ternehmen relevante langfristige reale Zinssatz r∗ − πe in dreierlei Hinsicht:36 Vgl. dazu Baily/Friedman (1991, S.250 ff).

Page 293: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

282 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

1. Die erwarteten kunftigen kurzfristigen Zinssatze fließen mit ein (in unse-rem Modell uber b0). Dabei werden vor allem fur die Zukunft erwarteteSteigerungen des kurzfristigen Zinssatzes den langfristigen nach oben trei-ben.

2. Als weiterer wesentlicher Faktor kommt die von den Anlegern verlangteLiquiditats– und Risikopramie (ebenfalls in b0 enthalten) hinzu.

3. Schließlich kommt noch die erwartete Inflationsrate zum Tragen, die denlangfristigen nominalen in den langfristigen realen Zinssatz transformiert.

In Bezug auf den letzten Punkt haben wir bereits bei der Diskussion desMundell–Effekts gesehen, dass die stabilisierende Wirkung des Keynes–Effekts(w ↓→ p ↓→ Y ↑) empfindlich gestort werden kann, wenn Preisveranderun-gen auch auf die erwartete Inflationsrate πe wirken: Sinkt letztere infolge einesPreisruckgangs, gehen wegen (r−πe) ↑ auch die Investitionen zuruck, so dassunsicher ist, welcher der beiden Effekte das Geschehen letztlich dominierenwird. Nominallohnsenkungen konnten also, entgegen ihrer erhofften stabili-sierenden Wirkung, ungunstigstenfalls auch das genaue Gegenteil bewirken,namlich eine Deflationsspirale in Gang setzen, eben weil die Ruckwirkungenrecht umwegig und komplex sind.

Diese Argumentation wird nun durch die Berucksichtigung der Zinsluckezusatzlich untermauert. Wie bereits ausgefuhrt, kann ein kleiner Wert fur denParameter b1 das System destabilisieren, was durch eine hohere Anpassungs-geschwindigkeit des Nominallohns, βw, noch begunstigt wurde. Hinzu kommt,dass das vorgestellte Modell noch eine Fulle von Erweiterungen zulasst, wiez.B. eine Endogenisierung der Zinserwartungen oder der Liquiditatspramie.Hierbei ware nicht auszuschließen, dass Veranderungen des kurzfristigen Zins-satzes ganz oder teilweise durch induzierte Anderungen bei den Zinserwar-tungen oder der Liquiditatspramie kompensiert oder sogar in ihr Gegenteilverkehrt werden.

5.5 Die NAIRU und der Verteilungskonflikt

Wir integrieren jetzt zum ersten Mal Probleme der Auslastung der Unter-nehmungen in die mittelfristige Preis-Mengen-Dynamik. Des weiteren werdenwir in Anlehnung an einen Aufsatz von Rowthorn (1980) demonstrieren, dassdurch eine alternative Sicht des Lohn-Preis-Sektors auch die – bisher exogenvorgegebene – Steady State Arbeitslosenrate endogenisiert werden kann.

5.5.1 Definitionen der NAIRU

Im Gegensatz zu den bisher behandelten Ansatzen, die von einer exogenvorgegebenen Steady–State–Arbeitslosenrate ausgingen, wird das im folgen-den zu besprechende Modell diese endogenisieren. Deshalb ist es wichtig,

Page 294: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.5 Die NAIRU und der Verteilungskonflikt 283

noch einmal kurz auf die mit der NAIRU verbundenen inhaltlichen Vorstel-lungen einzugehen. Wahrend die Abkurzung NAIRU selbst zunachst ledig-lich besagt, dass bei der entsprechenden Arbeitslosenrate keine Steigerungder Inflationsrate hervorgerufen wird (Non–Accelerating–Inflation–Rate–of–Unemployment), wurde in den vorangegangenen Modellen jeweils von einemganz speziellen Zusammenhang zwischen Arbeitslosenquote und Inflations-rate ausgegangen, namlich der – in Anlehnung an Friedman – erweitertenLohn–Phillipskurve w = βw(U − U) + πe und ihrer Modifikation a la So-low/Samuelson, die in Verbindung mit der Annahme des Markup–Pricings(und einer linear–limitationalen Produktionsfunktion) die Lohnsteigerungenin Steigerungen des Preisniveaus ubersetzte: p = w = βw(U − U) + πe.

Ausschlaggebend fur die Preisdynamik und auch fur die dynamische Ru-helage war somit neben den Inflationserwartungen einzig und allein die Lageam Arbeitsmarkt: Erst eine Arbeitslosenrate in Hohe von U konnte bewirken,dass Lohn– und damit auch Preissteigerungen nicht mehr uber die erwarteteInflationsrate hinausgingen. Auch die im Zusammenhang mit dem erweiter-ten mittelfristigen IS–LM–PC–Modell eingefuhrte ‘geknickte’ Phillipskurveanderte an diesem Zusammenhang letztlich nichts wesentliches, da im Falleeiner positiven Geldmengenwachstumsrate die Steady–State–Arbeitslosenrateauch hier mit U gegeben war.

Wie bereits bei der Diskussion der Lohn–Phillipskurve in Abschnitt 5.1.2im Vorfeld des monetaristischen Basismodells ausgefuhrt wurde, waren dieGrunde fur diese Arbeitslosenrate u.a. funktioneller Natur, also durch Infor-mations– und Mobilitatsmangel, Nichtubereinstimmungen zwischen angebote-ner und nachgefragter Qualifikationsstruktur, Suchprozesse und ahnliche Fak-toren bedingt, weswegen die NAIRU im Rahmen des Monetarismus mit dersogenannten ‘naturlichen Arbeitslosenrate’ (NAR) zusammenfiel. Friedmanselbst sah sie dementsprechend als eine Art walrasianischen Gleichgewichtszu-stand an, wenn in seinen konstituierenden Gleichungen die genannten AspekteBerucksichtigung finden.37

Eine andere Moglichkeit, die NAIRU zu definieren, scheint auf den erstenBlick die Preis–Phillipskurve zu eroffnen: Offensichtlich gilt bei U = U , dassp = πe erfullt ist, die tatsachliche Preissteigerungsrate also mit der erwartetenInflationsrate ubereinstimmt.

Da beide Definitionen der NAIRU jedoch auf der genannten Preis–Phillips-kurve aufbauen, sind sie offenbar ungeeignet fur Modelle mit einer alternati-ven Sicht des Lohn–Preis–Sektors, zu denen auch der nachfolgende Ansatz zuzahlen ist, wo die dynamische Ruhelage der Arbeitslosenrate nicht nur von derLage am Arbeitsmarkt , sondern auch vom Auslastungsgrad der Unternehmenabhangig ist, so dass die Friedman’sche ‘NAR’–Definition nicht mehr zutrifft.Daruber hinaus existieren auch Modelle, die trotz der Annahme kurzfristigperfekter Voraussicht hinsichtlich der Inflationsrate Zyklen erzeugen, so dassdie Bedingung p = πe nicht mehr auf den Steady–State beschrankt ist. Da-

37 Vgl. Friedman, M. (1968): The role of monetary policy.

Page 295: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

284 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

her empfiehlt sich eine moglichst weite Definition der NAIRU, worunter wirdementsprechend im folgenden einfach die ‘Steady–State–Arbeitslosenrate’verstehen wollen. Es sei noch einmal betont, dass dieser Begriff der NAIRUnun die verschiedensten inhaltlichen ‘Fullungen’ zulasst, also insbesonderenicht mehr an die monetaristische Interpretation als ‘naturliche’ Arbeitslo-senrate gebunden ist.

5.5.2 Eine alternative Sicht des Lohn–Preis–Sektors

Darstellungen des Lohn–Preis–Sektors oder, wie i.a. kurz gesagt wird, der ag-gregierten Angebotsseite AS differieren in der makrotheoretischen Literaturbetrachtlich und haben deshalb noch nicht die Standardisierung erfahren, wiesie bei der Nachfrageseite AD durch das IS–LM–Modell vorliegt. So haben wirauch in diesem Buch bisher zwei grundsatzliche Darstellungen der Angebots-seite kennengelernt, die Preisnehmertheorie des neoklassischen Basismodells2.1.2 und die Preissetzertheorie des Keynes’schen Basismodells 2.2.3 und derkeynesianischen IS–LM–Analyse der mittleren Sicht im vorausgegangenen Ab-schnitt.

Die Angebotsseite des neoklassischen Basismodells beruht, wie wir gesehenhaben, auf der Grenzproduktivitatstheorie der Beschaftigung und des Outputs

w/p = F ′(Ld), Y = F (Ld)

wonach preisnehmende Unternehmungen profitmaximierend bei abnehmen-den Grenzprodukten der Arbeit diejenige Beschaftigung Ld wahlen und da-mit dasjenige Produktionsprogramm Y durchfuhren, wo der Preis p (= Erlospro Outputeinheit) gleich den Grenzkosten dieser Einheit ist: p = wF ′(Ld).In mathematisch kompakter Form lasst sich diese Angebotstheorie wie folgtausdrucken:

AS1 : Y (p) = F ((F ′)−1(w/p)),

wenn man also die Umkehrfunktion (F ′)−1 der Ableitung F ′ der Produkti-onsfunktion F mit der Produktionsfunktion verknupft oder in diese einsetzt.Im neoklassischen Basismodell wurde diese Angebotsgleichung dann mit derQuantitatstheorie des Geldes konfrontiert: M v = pY 38 und mit ihr zusammenzur Bestimmung der temporaren Gleichgewichtsposition von Output Y undPreisniveau p benutzt. Es war und ist erneut ersichtlich, dass diese Gleich-gewichtspositionen vom Niveau des Nominallohns w abhangen, dessen Reak-tion bei Unterbeschaftigung im neoklassischen Basismodell unerklart blieb.Wir haben jedoch im Abschnitt 5.2 gesehen, dass das neoklassische Basis-modell, wie das monetaristische Basismodell, lediglich um eine Nominallohn–Phillipskurve (5.43) und das Bildungsgesetz der Inflationserwartungen (5.44)

38 Die man auch als AD–Kurve interpretiert hat, vgl. z.B. Froyen (1993, 4.1).

Page 296: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.5 Die NAIRU und der Verteilungskonflikt 285

erganzt werden muss, um die dynamische Interaktion von Quantitatstheorieund AS–Kurve im Zeitablauf darstellen zu konnen.

Die Angebotsseite des Keynes’schen Basismodells und seiner Erweiterungim hier vorausgegangenen Abschnitt ist formal gesehen deutlich einfacherals die des neoklassischen Basismodells, da die AS–Kurve hier einfach durchMarkup–Pricing bei konstanter Arbeitsproduktivitat beschrieben wird:

AS2 : p = (1 + a)wLd/Y, Y/Ld = y = konstant .

Diese Gleichung beschreibt Preissetzer–Verhalten und ist damit genau ge-nommen eine Angebotspreis–Kurve statt einer Angebots–Kurve. Auch dieseGleichung wurde um Phillipskurve (5.43) und Inflationserwartungen (5.44)erganzt, um damit die dynamische Interaktion des IS–LM–Nachfrageteils mitdieser Preisbildungstheorie im Zeitablauf zu analysieren.

Wir werden in diesem Abschnitt eine dritte Formulierung des Lohn–Preis–Sektors vorstellen, die es uns ermoglichen wird, eine Definition der NAIRUzu geben, die nicht der arbeitsmarktorientierten Sichtweise, wie sie durch diebisherigen Lohn–Phillipskurven reprasentiert wird, entspricht. Eine weitere(vierte) Formulierung des Lohn–Preis–Sektors wird in Kapitel 5 vorgestelltund diskutiert werden.

Wir haben bislang die Nominallohn–Phillipskurve in der folgenden Formpostuliert

w = −βw(U − U) + πe = βw(V − V ) + πe U = 1− V, U = 1− V .

Die Lohnsteigerungsrate w wird dabei insbesondere durch die Abweichung derArbeitslosenrate von der NAIRUrate U oder (in aquivalenter Form) von derAbweichung des Beschaftigtengrades V vom zur NAIRU gehorigen Beschaftig-tengrad V getrieben. Kuh (1967) hat in empirischen Untersuchungen jedochfestgestellt, dass Veranderungsraten V der Beschaftigtenrate u.U. signifikan-ter in der Erklarung der Lohnwachstumsrate w sein konnen als V selbst, alsostatt der obigen Phillipskurve auch die Beziehung w = βwV + p gelten konnte.Wir haben in 5.1.2 schon gesehen, dass auch Phillips (1958) Effekte der Ande-rung U der Arbeitslosenrate in seine Beobachtung mit eingeschlossen hatte.Im Folgenden wollen wir uns im Sinne der obigen Kuhschen Formulierung,vgl. hierzu auch Abschnitt 5.1.3, ganz auf diese Effekte konzentrieren.

Hintergrund der neuen Phillipskurve w = βwV + p ist, wie beim Markup–pricing p = (1 + a)wLd/Y , eine statische Lohntheorie der folgenden Form:

w = αw(V/V )βw · pY/Ld, αw, βw > 0

die besagt, dass das Lohnniveau sich je nach Lage am Arbeitsmarkt V/Vum einen Anteil αwpY/Ld an den Erlosen pro Arbeitseinheit pY/Ld herumbewegt. Da, wie in diesem Kapitel ublich, die Arbeitsproduktivitat Y/Ld = yals konstant angenommen wird, liefern die ublichen Wachstumsratenformelnaus dieser Niveaugleichung die oben vorgegebene Wachstumsratenbeziehung:

Page 297: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

286 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

w = βwV + p [ wegen αw, V , Y/Ld = 0].

Wir wollen im Folgenden jedoch von der obigen Niveaubeziehung ausgehen,die aber wie folgt reformuliert wird

u =wLd

pY=

ω

y= αw(V/V )βw . (5.94)

Diese Formulierung zeigt, dass die Lohnquote u, der Anteil der Lohne amSozialprodukt pY , eine einfache positiv geneigte Funktion des Beschaftigten-grades V in seiner Abweichung vom als normal erachteten BeschaftigtengradV ist. Dies ist die Lohntheorie des jetzt folgenden Modells.

Wir haben im monetaristischen Basismodell das Okungesetz, vgl. (5.30),wie folgt formuliert gehabt: U = −(γ − γ). Okun (1970) selbst hat – wie wirin Abschnitt 5.1.3 gesehen haben – bei seinen empirischen Untersuchungeneine zur Gleichung (5.94) typverwandte Niveauformulierung dieses Gesetzeszugrundegelegt:

V/V = αv(V c/V c)βv , αv, βv > 0.

Diese Formulierung besagt, dass die Abweichung V/V des BeschaftigtengradesV von dem als normal erachteten Beschaftigtengrad V positiv korreliert zurAbweichung der Auslastung V c = Y/Y p ∈ (0, 1) der Unternehmen von dembei ihnen als normal erachteten Auslastungsgrad V c. In kurzen Worten aus-gedruckt besagt dies, dass sich die Auslastungsgrade von Kapital und Arbeitin spezifischer Form parallel zueinander entwickeln.

Wir haben im Abschnitt uber das Okungesetz aber auch gesehen, dass dieAnnahme fixer Koeffizienten y, x in der Produktion (wie es in (5.94) unter-stellt ist) zusammen mit den vereinfachenden Annahmen Y = yL = Y p =xK, K = L = 0 fur das Okungesetz die Form

V = V c [αv = βv = 1, V = V c] (5.95)

impliziert [V = Ld/L, V c = Y/Y p]. In Wachstumsraten liefert diese Vereinfa-chung des Okungesetzes erneut:

V = V c = Y − Y p = γ (5.96)

Wir werden im Folgenden sowohl die Formulierung (5.95) wie auch (5.96)bei der Auswertung der neuen Modellbausteine dieses Abschnitts verwendenmussen.

Wir haben mit Gleichung (5.94) jetzt eine statische Reformulierung derfruheren dynamischen Phillipskurve (5.43) vorgenommen und wollen stattdes-sen jetzt eine dynamische Formulierung der Preisniveaubildung heranziehenanstelle der statischen Markup–Gleichung p = (1 + a)wLd/Y . Die Rollen vonstatischen und dynamischen Elementen in der ‘Lohn–Preis–Spirale’ werden

Page 298: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.5 Die NAIRU und der Verteilungskonflikt 287

damit also gerade ausgetauscht. Diese dynamische Formulierung lautet (vgl.5.1.5)

AS3 : p = π = βp(Π∗ −Π) + πe, βp > 0.

Die Inflationsrate p ist nach diesem Ansatz durch die Anspruchslucke Π∗−Πund die erwartete Inflationsrate (in Form einer Selbstreferenz) determiniert.Die Symbole Π∗,Π bezeichnen die von den Unternehmen angestrebte bzw.die de facto momentan erreichte Profitquote, den Anteil der Profite am So-zialprodukt. Es gilt also insbesondere Π = 1 − u, wo u gemaß obigem dieLohnquote ist.

Wie bei den Lohnen unterstellen wir auch hier, dass das Anspruchsniveauder Firmen Π∗ eine steigende Funktion des Auslastungsgrades, jetzt der Un-ternehmen, ist, und zwar erneut von der speziellen Form

Π∗ = αΠ∗(V c/V c)βΠ∗ , αΠ∗ , βΠ∗ > 0.

Im Unterschied zur statischen Lohngleichung passen die Unternehmen, wieoben gezeigt, die Preise verzogert in Richtung der Anspruchslucke Π∗ −Π =Π∗+u−1 an. Zusammengefasst liefert diese Preisniveaudynamik damit jetztdie Gleichung (vgl. dazu (5.94):

π = βp[αΠ∗(V c/V c)βΠ∗ + αw(V/V )βw − 1] + πe (5.97)

Diese Phillipskurve tritt an die Stelle der Phillipskurve (5.29) des monetaris-tischen Basismodells. Sie besagt, dass die relativen Auslastungsgrade V c/V c

und V/V von Kapital und Arbeit zusammen festlegen, ob die dadurch in-duzierten Anspruche Π∗, u an das Sozialprodukt und seine Verteilung mitdiesem kompatibel sind oder nicht. Damit hat insbesondere zum ersten Malder Auslastungsgrad der Unternehmungen Berucksichtigung in der mittelfris-tigen Analyse dieses Kapitels gefunden. Ist die Summe der angestrebten Ver-teilungsquoten Π∗ + u großer als ‘1’, so wird die faktische Inflationsrate uberdie erwartete hinausgetrieben, wahrend bei Π∗ + u < 1 das Umgekehrte gilt.Dies ist die neue Sicht des Lohn–Preis–Sektors, die wir der folgenden Analysezugrundelegen wollen.

Wir haben schon festgestellt, dass diese ‘neue Sichtweise’ mit einer ver-einfachten Formulierung des Okungesetzes (5.95), (5.96) einhergeht, die esuns nun gestattet, die Gleichung (5.97) auf den relativen Auslastungsgrad amArbeitsmarkt V/V wie folgt zu reduzieren:

π = βp(αΠ∗(V/V )βΠ∗ + αw(V/V )βw − 1] + πe (5.98)

Damit ist die endgultige Form einer Preis–Phillipskurve erreicht, die wie die-jenige des monetaristichen Basismodells nur noch die Variablen V = 1 − U

Page 299: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

288 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

und πe aufweist. Zusammen mit dem Okungesetz in der Formulierung (5.96)anstelle von Gleichung (5.30):

V = γ (5.99)

und zusammen mit den anderen Bausteinen des monetaristischen Basismo-dells, der Quantitatstheorie (5.28) und dem Bildungsgesetz der Inflationser-wartungen (5.31)

µ = γ + π, πe = βπe(π − πe) (5.100)

haben wir damit vier Gleichungen fur die vier Variablen V, γ, π, πe, die imwesentlichen mit den Gleichungen (5.28) – (5.31) des monetaristischen Ba-sismodells ubereinstimmen und die damit im wesentlichen Gleiches liefernwerden, allerdings mit einer wichtigen Neuerung, wie wir gleich sehen werden.

5.5.3 Monetaristische Dynamik bei nichtmonetaristischemSteady State

Das modifizierte monetaristische Standardmodell (5.98) – (5.100) lasst sichdurch Einsetzen gewisser Gleichungen auf die folgende Form reduzieren:

V = µ− βp(H(V/V )− 1)− πe (5.101)πe = βπeβp[H(V/V )− 1] (5.102)

wobei gilt:H(V/V ) = αΠ∗(V/V )βΠ∗ + αw(V/V )βw .

Anders als das Differentialgleichungssystem des monetaristischen Basismo-dells (dort in den Variablen U, π) ist dieses autonome Differentialgleichungs-system in den Variablen V, πe nicht mehr linear, und zwar wegen der Ver-wendung von V = V /V anstelle von V und wegen der Gestalt der FunktionH.

Bestimmen wir zunachst wieder den Steady State V0, πe0 dieses Systems:

V = πe = 0. Wie man sofort sieht, genugt dieser den Gleichungen H(V0/V ) =1 und πe

0 = µ, und er ist wegen der Monotonie der Funktion H eindeutigbestimmt. Da H(0) = 0 und H(∞) = ∞ gilt, existiert stets eine positiveLosung V0 von H(V0/V ) = 1. Wir wollen annehmen, dass die Parameter derFunktion H dergestalt sind, dass V0 ∈ (0, 1) erfullt ist.

Der Parameter V ist von Okun (1970) durch den Wert 0.96 festgelegt wor-den und als Messlatte fur ein spannungsfreies Wachstum der Volkswirtschaft,was inflationare Tendenzen angeht, angesehen worden. Die obige Steady StateBestimmung zeigt jedoch, dass dem Wert V0 diese Rolle zufallen sollte, wobeiaber die dazugehorige Steady State Inflationsrate π0 = πe

0 = µ je nach Geldpo-litik µ positiv, Null oder negativ sein kann. Fur diesen zur NAIRU–Definitionkorrespondierenden Beschaftigungsgrad V0(= 1− U0) gilt nun:

Page 300: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.5 Die NAIRU und der Verteilungskonflikt 289

V0

<=> V ⇔ αΠ∗ + αw

>=<

1.

Dies ist aus der strengen Monotonie der Funktion H und ihrer EigenschaftH(1) = απ∗ + αw unmittelbar ersichtlich. Die in diesem Modell endogen be-stimmte NAIRU U0 = 1−V0 bewegt sich damit unabhangig von der von Okun(1970) und anderen exogenen NAIRU–Vorstellungen festgelegten BenchmarkU = 1 − V . Sie ist, wie die obige Analyse zeigt, von den Großenordnun-gen der Parameter αw, αΠ∗ , βw, βΠ∗ abhangig und insbesondere großer alsU , wenn αΠ∗ + αw > 1 gilt, wenn also gewissermaßen die durchschnittlichenAnspruche von Kapital und Arbeit (bei Normalauslastung V ), wie sie durchdie Parameter αΠ∗ und αw reprasentiert werden, zu hoch sind, um bei demBeschaftigtengrad V miteinander kompatibel zu sein. Mehr ArbeitslosigkeitU0 = 1−V0 und mehr Unterauslastung U c

0 = 1−V c0 der Unternehmungen ist

dann im Steady State notig, um diese zu hohen Anspruchserwartungen vonArbeit und Kapital miteinander vertraglich zu machen, d.h. um eine konstan-te Inflationsrate π0 = πe

0 = µ zu ermoglichen. Wir haben damit auch, dass dieSituationen bei Kapital und Arbeit in dem Sinn interdependent sind, als eineeinseitige Anspruchserhohung von einer Seite (αΠ∗ ↑ oder αw ↑) stets zu Las-ten beider geht, also sich die Beschaftigungslage beider Produktionsfaktorendadurch verschlechtert.

Der Steady State dieser Revision des monetaristischen Basismodells istdamit, was die Beschaftigung der Produktionsfaktoren angeht, Resultat derStarke der Konfliktparteien im Verteilungskampf und nach obigem fur bei-de Seiten in Bezug auf die Auslastung um so gunstiger, je moderater diegemeinsamen Anspruche an das Sozialprodukt ausfallen. Diese Ansicht uberdas langfristige Verhalten einer kapitalistischen Okonomie ist grundsatzlichvon der Ansicht Friedmans zu diesem Sachverhalt verschieden, vgl. dazu Ab-schnitt 5.5.2 Sie eroffnet fur die auf langfristig hohe Beschaftigung von Kapi-tal und Arbeit ausgerichtete Wirtschaftspolitik ganz andere Perspektiven, alsdies die Laisser–faire Mentalitat des monetaristischen Ansatzes der naturli-chen Arbeitslosenrate suggeriert.

Wir haben schon betont, dass die Dynamik (5.101), (5.102) vom gleichenTyp ist wie die des monetaristischen Basismodells, so dass bis auf die neueAuffassung von der NAIRU U0 die sonstigen Eigenschaften des Modells diegleichen sein sollten wie dort. Fur die Matrix J der partiellen Ableitungen desSystems (5.101), (5.102) ergibt sich im Steady State

J =(−βpH

′/V · V0 V0

βπeβpH′/V 0

)=

(− −+ 0

)

also wegen det J > 0, spur J < 0 unmittelbar wieder lokale asymptotischeStabilitat. Und auch die Aussagen uber monotone vs. zyklische Anpassung anden Steady State sind die gleichen wie im monetaristischen Basismodell.

Im gegenwartigen Fall konnen wir daruber hinaus trotz der Nichtlinearitatdes Systems globale asymptotische Stabilitat fur alle positiven V und alle πe

Page 301: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

290 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

zeigen, und zwar so, dass wahrend der jeweiligen Konvergenz hin zum SteadyState nur positive Beschaftigungsgrade auftreten konnen. Die dazu notigenHilfsmittel werden dabei hier nur andeutungsweise vorgestellt werden, da diedahinterstehende Theorie der sog. Liapunov–Funktionen hier nicht detaillierterortert werden kann und soll.

Fur die angestrebte Beweisskizze zur globalen asymptotischen Stabilitatist es zunachst zweckmaßig, die dynamischen Gleichungen (5.101), (5.102)abstrakt wie folgt zu notieren:39

V = −g1(V )− g2(πe), g′1, g′2 > 0

πe = h(V ), h′ > 0

Mittels dieser Information bilden wir jetzt die Hilfsfunktion

H(V, πe) =∫ V

V0

h(V )/V dV +∫ πe

πe0

g2(πe)dπe

die fur alle V > 0 wohldefiniert ist. Da h′ und g′2 positiv sind, ist es nichtschwer zu zeigen, dass

H(V, πe) ≥ 0 gilt [= 0 ⇔ V = V0, πe = πe

0]

gilt. Die Funktion H ist somit bis auf den Steady State positiv. Und fur diezeitliche Ableitung H der Funktion H langs der Losungskurven V (t), πe(t)gilt gemaß den Differentiationsregeln der mehrdimensionalen Analysis:

H = HV · V + Hπe · πe

= h(V )/V · V + g2(πe) · πe

= h(V ) · V + g2(πe) · πe

= h(V ) · [−g1(V )− g2(πe)] + g2(πe) · h(V )= −h(V ) · g1(V )= −βπeβp[H(V/V )− 1]βp[H(V/V )− 1]< fur V 6= V0 ( sonst = 0).

Wir wissen somit, dass der Funktionswert von H langs der BahnkurvenV (t), πe(t) des dynamischen Systems bestandig abnimmt. Man kann zeigen,dass dieser Vorgang erst bei H = 0 zum Stillstand kommt, d.h. die Bahnkur-ven des dynamischen Systems mussen zum Steady State konvergieren, da nurdort H = 0 erfullt ist. Dies ist in aller Kurze der Beweis, dass alle Bahnkurvendes Systems vom Steady State V0, π

e0 attrahiert werden.

Wir beenden diese Untersuchung mit einer phasendiagrammatischen Dar-stellung des obigen dynamischen Systems (5.101), (5.102). Man beachte hier-bei, dass in diesem System die dynamischen Variablen V, πe anstelle der Zu-standsvariablen U = 1− V, π vorliegen. Der Bereich der Stagflation (U ↑ π ↑)ist damit im folgenden Diagramm nicht ohne weiteres ersichtlich.39 g1(V ) = βp(H(V/V )− 1), h(V ) = βπeβp(H(V/V )− 1 und g2(π

e) = πe − µ.

Page 302: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.5 Die NAIRU und der Verteilungskonflikt 291

Abb. 5.22. Monetaristische Dynamik bei nichtmonetaristischem Steady State

Wir betonen zum Abschluss erneut, dass die wesentliche Neuerung dieserAlternative zum monetaristischen Basismodell die Erklarung der NAIRU U0 =1 − V0 (und von U c

0 = 1 − V c0 !) ist. Alle anderen Schlussfolgerungen des

monetaristischen Modells sind hier, im Unterschied zum vorausgegangenenAbschnitt, unangetastet geblieben.

5.5.4 IS-LM-PC Dynamik und die nichtmonetaristische NAIRU

Ziel dieses Abschnitts ist es, das soeben fur das monetaristische BasismodellFormulierte in den Kontext des IS–LM–Modells und seine Dynamik einzube-ziehen, also die IS–LM–Analyse der mittleren Sicht des Abschnitts 5.4 mittelsdieses neuen Lohn–Preis–Sektors zu reformulieren. Ausgangspunkt fur einesolche Reformulierung ist erneut die Theorie der effektiven Nachfrage oder dieAD–Kurve (5.62) des IS–LM–Modells, erweitert um die Theorie der Zinslucke(5.92):

Y =−c(T + δK) + i0 + i1b1(M/p− h0)/h1 − i1b0 + i1π

e + δK + G

1− c + i1b1k/h1

= α · (i1b1M/(ph1) + i1πe + const.) (5.103)

die es jetzt mit dieser alternativen Lohn–Preis–Dynamik zu umgeben gilt.Da im IS–LM–Modell Wachstum erst im nachsten Kapitel zur Behandlungansteht, gehen wir hierbei erneut im Rahmen unserer linear–limitationalenProduktionsfunktion von den Daten

Y p = xK, Y = yL

aus, unterstellen der Einfachheit halber wieder Y p = Y und haben somiterneut die einfachste Formulierung des Okungesetzes

Page 303: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

292 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

V c = V = Ld/L = Y/(yL). (5.104)

Auf Basis dieser Beziehung, der Lohnbestimmung (5.94) und der Inflati-onstheorie (5.97) ergibt sich wie im Vorausgegangenen die folgende Preis–Phillipskurve

p = βp(αΠ∗(V/V )βΠ∗ + αw(V/V )βw − 1) + πe. (5.105)

Schließlich ist erneut die Erwartungsbildung adaptiv formuliert:

πe = βπe(p− πe). (5.106)

Dies ist bereits das neue IS–LM–Modell der mittleren Sicht mit, wie gesagt,dem Lohn–Preis–Sektor, der eine endogene Bestimmung der NAIRU erlaubt.Aus Vereinfachungsgrunden wollen wir bei der Betrachtung dieses Modells voneiner konstanten Geldmenge M ausgehen, so dass wegen der angenommenenrealen Wachstumsrate von ‘Null’ der Steady–State des Modells inflationsfreisein wird.

Gemaß (5.103) ist der Beschaftigtengrad in (5.104) eine lineare Funktionvon M/p und πe, was wie ublich den Keynes– und den Mundell–Effekt zumAusdruck bringt:

V = V (M/p, πe), V1, V2 > 0 oder besserV = V (p, πe), Vp < 0, Vπe > 0.

Eingesetzt in (5.105) und (5.106) ergibt sich damit jetzt das autonome (nicht-lineare) Differentialgleichungssystem

p = βp(H(V (p, πe)/V )− 1) + πe (5.107)πe = βπeβp(H(V (p, πe)/V )− 1) (5.108)

in den Zustandsvariablen p, πe, wobei die Funktion H wie im Vorausgegange-nen durch

H(V/V ) = αΠ∗(V/V )βΠ∗ + αw(V/V )βw (5.109)

definiert ist.Die lokale Stabilitatsanalyse ist vom gleichen Typ wie die in Abschnitt 5.4

durchgefuhrte und soll deshalb hier nur kurz angedeutet werden. Die Matrix Jder partiellen Ableitungen des obigen Systems lautet im Steady State (p0, π

e0):

J =(

βpH′Vp/V · p0 (βpH

′Vπe/V + 1)p0

βπeβpH′Vp/V βπeβpH

′Vπe/V

)=

(− +− +

)

Fur die Determinante dieser Matrix gilt wieder det J = −βπeβpH′Vp/V ·p0 >

0, da der Keynes–Effekt Vp < 0 impliziert. Und fur die Spur von J ergibt sicherneut:

Page 304: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.5 Die NAIRU und der Verteilungskonflikt 293

spur J = βpH′Vp/V · p0 + βπeβpH

′Vπe/V

= βpH′/V [Vpp0 + βπeVπe ]

also erneut das von Anpassungsstarke βπe der Inflationserwartungen abhangi-ge Kraftemessen von Keynes–Effekt Vp = Yp/(yL) und Mundell–Effekt Vπe =Yπe/(yL). Die Stabilitatsbedingungen sind deshalb so, dass sich die gesamteAnalyse des Abschnittes 5.4 hier wiederholen ließe, was jedoch nicht geschehensoll.

Stattdessen wollen wir uns auf das Neue der obigen Modellierung kon-zentrieren, d.h. wie im vorausgegangenen Abschnitt auf die Untersuchung derSteady–State Position dieses Modells. Sei also fur die Dynamik (5.107), (5.108)jetzt unterstellt, dass p = 0, πe = 0 gilt. Aus (5.108) folgt dann H(V/V ) = 1und damit aus (5.107) p0 = πe

0 = 0, d.h. der Steady–State ist in der Tat inflati-onsfrei. Die Gleichung (5.109) liefert dann wie im vorausgegangenen Abschnittgenau eine Losung V0 = −Ld

0/L = Y0/(yL) mit H(V0/V ) = 1, die jetzt wie-derum endogene NAIRU U0 = 1 − V0 und das dazugehorige OutputniveauY0 = V Y , Y = yL. Gleichung (5.103) schließlich ist bzgl. dieses Outputni-veaus nach p0 aufzulosen (πe

0 = 0), um schließlich damit das gleichgewichtigePreisniveau zu bestimmen. Wir wollen diese Auflosung hier nur mit ihremResultat wiedergeben:

p0 =b1i1M/h1

(1− c + i1b1k/h1)Y0 + c(T + δK)− δK − G− i0 + i1b1h0/h1 + i1bo

und uns im weiteren einer grafischen Analyse dieser Steady–State Bestimmun-gen zuwenden. Die folgende Darstellung von H(V/V ) basiert auf der Glei-chung (5.109) und die AD–Kurve ist durch (5.103) gegeben, wobei allerdingsdort der Steady–State πe = πe

0 = 0 eingesetzt werden muss.Das in Teil IV in Abbildung 5.23. dargestellte AD–AS–Schema entsprichtin seiner formalen Struktur dem des neoklassischen Basismodells bei Voll-beschaftigung und dem des Dornbusch–Fischer–Modells aus Abschnitt 5.3.(bei µ = 0). Der Unterschied zu letzterem besteht zum einen allerdings dar-in, dass im Anpassungsprozess die AD–Kurve von den Inflationserwartungenabhangt (den Mundell–Effekt aufweist) und damit dieser Anpassungsprozesskomplexer als der bei Dornbusch/Fischer ausgewiesene ist. Zum anderen – unddies ist das Hauptthema dieses Abschnitts – ist das Steady State Outputni-veau Y0 nicht mehr exogen durch die naturliche Arbeitslosenrate vorgegeben(das in Abschnitt 5.2.2. bestimmte Y ∗), sondern jetzt Resultat der Interaktionder Preis–Phillipskurve (5.105), in die Lohn-Phillipskurve (5.94) und OkunsGesetz (5.104) Eingang gefunden haben, mit dem Rest des IS-LM-PC Modells.

Um dies zu verdeutlichen, wollen wir kurz die Konsequenz erhohter An-spruche an das Sozialprodukt seitens der Arbeitgeber oder Arbeitnehmerbetrachten, d.h. annehmen, dass einer oder mehrere der ParameterwerteαΠ∗ , βΠ∗ , αw, βw sich erhohen. Die Konsequenz ist, dass die H(V/V )–Kurvein I sich nach oben verlagert, also Beschaftigtengrad V0 (und Auslastungs-grad V c

0 ) und mit ihm Beschaftigung Ld0 und Output Y0 sinken. Gemaß IV

Page 305: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

294 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

I

IIIII

IVH(V/V)

1

V

LL

Y

Y

p

AS

AD

V

V Y

Y

p

LLo

-

do

L- 1/y- o

od

ddo

o

Abb. 5.23. Die nichtmonetaristische NAIRU im IS-LM-PC Modell

impliziert dies ein steigendes Preisniveau, so dass die Steady–State Folgeneiner solchen aggressiveren Verteilungsauseinandersetzung eindeutig stagflati-onar sind.40 Die gesamtwirtschaftlichen Folgen steigender Anspruche an dasSozialprodukt sind damit eindeutig negativ. Aggressives Verhalten allein einerSeite im Tarifkonflikt allerdings senkt die Einkommensquote der anderen Seiteund erhoht die eigene, da konstante α’s und β’s bei sinkendem Auslastungs-grad dies fur die eine Seite unmittelbar implizieren und die Verteilungsquotensich zu ‘1’ summieren mussen. Offen bleibt hier allerdings, ob eine steigendeEinkommensquote bei rucklaufigem Gesamteinkommen auch eine Verbesse-rung des Einkommensniveaus der ‘aggressiven’ Seite bewirken kann.

Sicher demgegenuber ist, dass hochgeschraubte Anspruche beider Seiteneinen niedrigeren Beschaftigtengrad und eine niedrigere Auslastung der Un-ternehmen bedeuten, da diese hochgeschraubten Anspruche nur durch hohereUnterbeschaftigung beider Faktoren diszipliniert und mit dem zu verteilendenSozialprodukt kompatibel gemacht werden konnen.

5.5.5 Fazit

Verglichen mit seinen ‘Vorgangern’ stellt der zuletzt abgehandelte Modellan-satz sicherlich die ausgepragteste Gegenposition zum monetaristischen Basis-modell dar: Wahrend das – um den Mundell-Effekt und die Zinslucke erweiter-te – Dornbusch-Fischer-Modell bereits die Stabilitat des Steady State in Fragestellte, dieser selbst jedoch weiterhin monetaristischer Natur war, fuhrte derAnsatz uber den Verteilungskonflikt in Verbindung mit der Berucksichtigung

40 Wobei ‘stagflationar’ sich jetzt auf Veranderungen des Steady–State Preisniveausbezieht.

Page 306: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.6 Mittelfristige Analyse kleiner offener Volkswirtschaften 295

des Auslastungsgrades der Unternehmen auch diesbezuglich zu einer Ande-rung, da nun die Steady-State-Arbeitslosenrate, also die NAIRU, und die als‘normal’ empfundene Arbeitslosenrate, V , nicht langer ubereinstimmen.

Keynesianische Bedenken gegenuber den ‘Selbstheilungskraften’ des Mark-tes sind also auch mit Blick auf die mittlere Sicht anzumelden, zumal, wiewir gesehen haben, die Instabilitat des privaten Sektors zu explosiven Ent-wicklungen ebenso wie zu stabilen Depressionslagen fuhren kann. Somit er-gibt sich auch mittelfristig die Frage nach geeigneten wirtschaftspolitischenMaßnahmen, die in der Lage sind, die Volkswirtschaft zu stabilisieren undmoglicherweise sogar ihr durchschnittliches Aktivitatsniveau zu erhohen, wieansatzweise in den IS-LM-PC und IS-MR-PC Modellen gezeigt wurde.

Bevor wir nun zu der Analyse der langen Sicht (mit Wachstum der Pro-duktionsfaktoren L und K) in Kapitel 5 ubergehen, wollen wir zunachst nocheinen Blick auf diejenigen Veranderungen werfen, die sich gegenuber dem bis-her Ausgefuhrten im Falle einer offenen Volkswirtschaft ergeben. Anders ge-wendet erhebt sich die Frage, welche Modifikationen bei den entsprechendenAnsatzen aus Kapitel 3 auftreten, wenn diese um die mittelfristige Lohn-Preis-Dynamik erweitert werden.

5.6 Mittelfristige Analyse kleiner offenerVolkswirtschaften

5.6.1 Uberschießende Wechselkurse im IS–LM–PC Modell

Im vorausgegangenen Kapitels zur kurzfristigen Analyse haben wir Wech-selkursdynamik und die Dynamik von Wechselkurserwartungen im IS–LM–Modell bei fixiertem Guterpreis betrachtet. Wir haben dort herausgefunden,dass diese beiden Zusatze zur komparativ–statischen Analyse offener IS–LM–Modelle im wesentlichen nur die Analyse monotoner Anpassungsprozesse andurch Schocks veranderte Gleichgewichtspositionen hinzugefugt haben. Da-durch sind in diesem Rahmen ubliche verbale Vorstellungen uber solche Uber-gangsprozesse mathematisch prazisiert worden, aber keine neuen Phanome-ne entdeckt worden, die der Interaktion von Wechselkursdynamik und dies-bezuglichen Erwartungsbildungen zugerechnet werden konnten.

In einer sehr beachteten Arbeit hat Dornbusch (1976, 1980) gezeigt, dasseine solche dynamische Interaktion im Zusammenhang mit trager, guter-marktgesteuerter Preisdynamik kurzfristige Uberanpassung von Wechselkur-sen hinsichtlich der Gleichgewichtswerte eines IS–LM–Modells einer offenenVolkswirtschaft bewirkt, ein Resultat, das wir im IS–LM–Modell mit fixier-tem Preisniveau im vorausgegangenen Kapitel nicht nachweisen konnten. Dawir im gegenwartigen Kapitel Lohn– und Preis–Dynamik im IS–LM–Rahmenbreit untersucht haben, stellt sich nunmehr die Frage, ob diese Erweiterung desIS–LM–Modells auch Dornbuschs (1976) uberschießende Wechselkurse dar-stellen kann und worin der Grund fur solches Uberschießen, das wir in derTat jetzt finden werden, zu sehen ist.

Page 307: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

296 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

Dornbusch (1980, Kapitel 11) hat uberschießende Wechselkurse im Rah-men eines loglinearen Modells analysiert, wo wie bei uns in Kapitel 3, An-hang 5, Zinsparitat (βe = ∞) und regressive Erwartungen das Geschehenauf den internationalen Kapitalmarkten darstellen. Das nationale Zinsniveauwird durch eine sehr einfache Geldmarktgleichgewichtsbedingung ermittelt,die keine Bezuge zur aggregierten Nachfrage aufweist und damit den Zins auchunabhangig vom Wechselkurs ermittelt. Die aggregierte Nachfrage Y d spieltdagegen bei der Preisdynamik eine Rolle, die gemaß dem Gesetz von AngebotY und Nachfrage Y d in einfachster Form begrundet wird. Das Angebot Y istim Dornbusch Modell fixiert und durch den Normaloutput Y = yL bestimmt,wahrend die Guternachfrage Y d positiv vom realen Wechselkurs und negativvom nominalen Zinssatz r abhangt. Inflationserwartungen spielen in diesemAnsatz keine Rolle.

Wir wollen diesen Ansatz jetzt dahingehend reformulieren, dass wir nebenGeldmarktgleichgewicht auch ein Gutermarktgleichgewicht vom keynesiani-schen Typ unterstellen. Dieses Gleichgewicht Y weicht, wie in diesem Kapitelausfuhrlich untersucht, vom Normaloutput Y in der Regel ab und ruft danngemaß Phillipskurve Lohndynamik und Preisdynamik hervor, die an die Stelledes obigen Gesetzes von Angebot und Nachfrage tritt. Wir kombinieren da-mit jetzt die Dornbuschsche Wechselkursdynamik mit dem IS–LM–PC–Modelldieses Kapitels. Im Lichte von Kapitel 3, Anhang 5 bedeutet dies einfach, dendortigen Gleichungen die Gleichungen fur den Beschaftigtengrad, die Preis=Lohn–Dynamik und die Inflationserwartungen hinzuzufugen, was in der dor-tigen Notation das folgende Modell ergibt:41

Y = α[A1 + i1/h1 ·M/p + i1πe + vτ ], τ = epa/p (5.110)

V = Ld/L = Y/(yL) (5.111)p = βw(V − V ) + πe, βw > 0 (5.112)

πe = βπe(p− πe) = βπeβw(V − V ), βπe > 0 (5.113)r = α[k(A + i1π

e + vτ) + (1− c + j)(h0 −M/p)/h1] (5.114)e = βe(ra + ee − r), βe > 0 (5.115)

ee = βε(e0/e− 1), βε > 0 (5.116)

Da wir Konsequenzen des Mundell–Effekts (πe ↑↓) in diesem Kapitel ausfuhr-lich thematisiert haben und sich diese Konsequenzen auch im gegenwartigenKontext wieder nachweisen lassen, wollen wir diese Analyse hier der Einfach-heit halber nicht mehr wiederholen, sondern statt dessen bei der Behandlungdes obigen Modells von βπe = 0 (πe ≡ 0) ausgehen. Des weiteren und da-zu passend gehen wir hier von einer jeweils stationaren Geldmenge M aus(M = 0) und normieren das auslandische Preisniveau pa auf den Wert 1.Schließlich fassen wir die konstanten Großen dieses Modells wieder kurz inKoeffizienten α0, α1, α2, . . . zusammen, damit wir uns auf die qualitativen dy-namischen Eigenschaften des obigen Modells konzentrieren konnen, die nicht41 α = (1− c + i1k/h1 + j)−1.

Page 308: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.6 Mittelfristige Analyse kleiner offener Volkswirtschaften 297

vom okonomischen Hintergrund dieser konstanten Koeffizienten abhangen.Dies liefert die folgende Kurzform des obigen dynamischen Modells:

e = βe(ra + βε(e0/e− 1)− r), r = αe0 − αe

1M/p + αe2e/p (5.117)

p = βw(V − V ), V = αp0 + αp

1M/p + αp2e/p, (5.118)

Die Parameterwerte dieses Modells sind dabei alle als positive Großen an-nehmbar. Sie bringen zum Ausdruck, dass der Keynes-Effekt positiv auf dieBeschaftigtenrate einwirkt und negativ auf den nominalen Zinssatz, wahrendder reale Wechselkurs beide Großen positiv beeinflusst.

Der Steady State dieses Systems ist durch e = e0, ra = r0, V = Vgekennzeichnet. Wegen Y = Y = yL ist dabei das Preisniveau p0 aus derGeldmarkt–Gleichgewichtsbedingung M/p0 = kY + h0 − h1r

a ermittelbar,und zwar so, dass in dieser Sicht ‘langfristig’ Geld neutral ist, da eine multipli-kative Veranderung von M stets eine gleich große multiplikative Veranderungvon p0 bewirkt. Der Steady State Wert e0 wird auf dieser Basis durch dieGutermarkt–Gleichgewichtsbedingung ermittelt:

Y = c(Y − δK − T ) + i0 − i1ra + δK + G + X − J − jY + v

e0

p0.

Langfristig garantiert der Wechselkurs somit die Gleichheit von Normalout-put Y und aggregierter Nachfrage Y d, und zwar so, dass er sich ebenfalls pro-portional zu M (und p) verandert, falls eine solche Geldmengenveranderungdurchgefuhrt wird. Es folgt, dass der reale Wechselkurs τ0 = e0/p0 in diesemModelltyp stets von gleichem Wert ist, was in der Literatur mit dem Begriffder relativen Kaufkraftparitat verbunden wird. Man beachte hier, dass derlangfristige Wert des Wechselkurses gemaß der obigen Form regressiver Erwar-tungsbildung als den Wirtschaftssubjekten bekannt vorausgesetzt worden ist,was wegen der gerade festgestellten Beziehungen, dM/M = dp0/p0 = de0/e0,nicht unplausibel ist.

Fur das Folgende sei eine Steady State Losung e0, p0 des dynamischenSystems (5.117), (5.118) gegeben. Unser nachster Schritt besteht darin, dieIsoklinen p = 0, e = 0 und ihre Steigungseigenschaften um diese Steady StateLosung herum zu ermitteln.

Die p = 0–Isokline (V = V ) impliziert die folgende Beziehung zwischenWechselkurs e und Preisniveau p:

V = αp0 + αp

1M/p + αp2e/p

und somit fur die damit implizit definierte Funktion p(e):

0 = −(αp1M/p2)p′(e) + αp

2/p− (αp2e/p2)p′(e).

Aufgelost nach p′(e) ergibt diese Gleichung

p′(e) =αp

2/p

αp1M/p2 + αp

2/p · e/p=

1e/p + (αp

1M/p2)p/αp2

<1

e/p=

p

e

Page 309: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

298 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

Es folgt, dass diese Isokline eine positive Steigung aufweist, die aber stetskleiner ist als die Steigung des Fahrstrahls aus dem Ursprung an den jeweiligenIsoklinenwert.

Fur die e = 0–Isokline ergibt sich demgegenuber aus Obigem:

ra + βε(e0/e− 1)− αe0 + αe

1M/p− αe2e/p = 0

oder in KurzformH(e, p) = 0, He < 0, Hp < 0,

falls der Parameter v und damit αe2 hinreichend klein gewahlt wird, so dass der

Realkasseneffekt den realen Wechselkurseffekt auf den inlandischen Zinssatzdominiert.

Auf dieser Basis ergibt sich zusammengefasst bzgl. der gegebenen SteadyState Situation die folgende grafische Darstellung:

Abb. 5.24. Das Phasenportrait der Wechselkursdynamik im mittelfristigen IS–LM–PC–Modell

Wir haben in dieses Diagramm die Anpassungsrichtungen des Wechselkurses eund des Preisniveaus p eingezeichnet, die durch die oben diskutierten Isoklinenimpliziert werden. Oberhalb der p = 0–Isokline gilt gemaß Gleichung (5.117)fur die Inflationsrate p < 0 (und unterhalb entsprechend p > 0), d.h. dasPreisniveau passt sich in Richtung der p = 0–Isokline an. Entsprechendes giltauch bzgl. der Isokline e = 0 und Wechselkursanpassungen e, da ein steigenderWechselkurs e sowohl ee = βε(e0/e− 1) als auch −r sinken lasst.

Die Gleichungen (5.117), (5.118) zeigen daruber hinaus, dass eine mo-netare Expansion, M ↑, beide Isoklinen nach oben verschieben muss, also diefolgenden Veranderungen bewirkt:

Page 310: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.6 Mittelfristige Analyse kleiner offener Volkswirtschaften 299

p

p

e e e

e=0

p=0

.

.

e=0

p=0

.

.A B

C

p

ep /eo o

o o o' ''

o'

o

Abb. 5.25. Die Konsequenzen einer monetaren Expansion: M ↑, βe = ∞

In Abbildung 5.25. betrachten wir zunachst den Fall βe = ∞, der auf derperfekten Gultigkeit der Zinsparitat ra+ ee = r beruht und dem in Dornbusch(1980, Kap.11.4) Ausgefuhrten qualitativ gesehen entspricht (βπe = 0). Zujedem gegebenen Preisniveau p ist die Dynamik (5.117) global asymptotischstabil und fuhrt uns bei hohen Anpassungsgeschwindigkeiten βe sehr schnellund bei βe = ∞ unmittelbar durch einen Sprung des Wechselkurses von e0 zue′′0 und damit zum Punkt B in Abbildung 5.25. In diesem Punkt gilt e′′0 > e′0und damit ee < 0, r = ra + ee < ra. In Bezug auf den neuen langfristigenGleichgewichtswert des Wechselkurses e′0 haben wir damit eine uberschießendeAbwertung e′′0 − e0 > e′0 − e0 und damit einen doppelten expansiv wirkendenEffekt auf den gleichgewichtigen Output

Y = α[A1 + i1/h1 · M/p + ve/p],

den durch M ↑ (r ↓) hervorgerufenen Zinseffekt auf die Nettoinvestitioneni0− i1r und damit auf den gleichgewichtigen Output Y und den durch e ↑ be-wirkten ebenfalls positiv wirkenden Effekt uber den Außenbeitrag A = X−J .Diese Wirkungen auf Y ergeben nun, dass die ursprungliche Normalbeschafti-gung V = V sich in eine Situation der Uberbeschaftigung V > V wandelt, inder Lohne und Preise zu steigen beginnen. Da die Isokline e = 0 (wie gezeigt)eine fallende Kurve ist, bewirken solche Preissteigerungen, dass der Wechsel-kurs von seinem hohen Niveau e′′0 aus wieder zu fallen beginnt, dass somit dieAufwertungserwartungen ee < 0 zu sinken und der inlandische Zins r zu stei-gen beginnen. Dieser Prozess setzt sich so lange fort, wie die Preissteigerungenanhalten, also bis wieder V = V hergestellt worden ist. In diesem Punkt Cder obigen Abbildung gilt e = e′0, r = ra [e = 0] und ist der Output Y wiederauf den Normaloutput Y zuruckgegangen, als Konsequenz der Steigerungen

Page 311: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

300 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

des Preisniveaus p und der Ruckgange beim Wechselkurs e (man vgl. dazuGleichung (5.110)).

Diese Ereigniskette kann auch wie folgt dargestellt werden. ExpansiveGeldpolitik ist bei kurzfristiger Preisstarrheit gemaß Gleichung (5.114) er-folgreich und senkt das heimische Zinsniveau r unter den Weltzins ra. Hierbeiwird benotigt, dass der Parameterwert v hinreichend klein ist, so dass e = 0negativ geneigt ist und damit die den Zinseffekt begleitende Abwertung , e ↑,hinreichend groß ausfallt. Zins und Abwertungseffekt fallen damit so aus, dassee = r − ra < 0 eintritt, was zur Konsequenz hat, dass die Wirtschaftssub-jekte Aufwertungserwartungen hegen. Diese Aufwertungserwartungen werdendurch den mit dem Geldmengenschock unvorhergesehenen Abwertungsschockauch moglich, da die dabei erzielte Uberabwertung der e durch die dannausgelosten Preissteigerungen in einer Sequenz von Aufwertungen auf ihrenlangfristigen Wert e′0 zuruckgeschraubt wird, begleitet von regressiv beding-ten Aufwertungserwartungen. Dies ist das grundsatzliche Erklarungsmusterdes Dornbusch–Modells uberschießender Wechselkurse.

Wir wollen die Analyse jetzt auch fur den Fall durchfuhren, dass Kapi-talmobilitat zwar hoch, aber nicht perfekt ist, somit der Parameter βe < ∞(aber groß) ist. Fur diesen Fall ist zunachst die lokale Stabilitat des Differenti-algleichungssystems (5.117), (5.118) zu untersuchen. Die Matrix der partiellenAbleitungen J dieses Systems lautet im Steady State:

J =(−pβw(αp

1M/p2 + αp2e/p2) pβwαp

2/peβe(−αe

1M/p2 + αe2e/p2) eβe(−βεe0/e2 − αe

2/p)

)=

(− +? −

)

Da bei der Berechnung von detJ der zweite Term in J21 keine Rolle spielt,sondern sich gegen ein Produkt der Hauptdiagonale wegkurzt, gilt

detJ = det(− +− −

)> 0.

Da zugleich spur J < 0 gilt, haben wir somit:

Proposition 5.2 Der Steady State e0, p0 der Dynamik (5.117), (5.118) istlokal asymptotisch stabil.

Als nachstes stellt sich die Frage, ob dieser Steady State ein stabiler Wirbeloder ein stabiler Knoten ist (man vgl. dazu Abb. 3.14.). Fur hinreichend großeβe fallt die Antwort auf diese Frage leicht, da fur die Diskriminante ∆ danngilt:

∆ = ( spur J)2/4− detJ > 0,

da ihr erster Term eine quadratische Funktion von βe ist, wahrend der zweitenur linear von βe abhangt. Durch hinreichend große Wahl von βe ist damiterreichbar, dass ( spur J)2/4 > detJ gilt. In solchen Fallen ist also der SteadyState nicht von Fluktuationen von Wechselkurs e und Preisniveau p umgeben.

Page 312: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.6 Mittelfristige Analyse kleiner offener Volkswirtschaften 301

Abb. 5.26. Expansive Geldpolitik bei ausgepragter Kapitalmobilitat

Abbildung 5.26. verdeutlicht erneut das Uberschießen der Wechselkurse ein Bezug auf ihren langfristigen Gleichgewichtswert e′0, wobei dieses Uberschie-ßen um so kraftiger ausfallt, je hoher die Anpassungsstarke βe der Wechsel-kursdynamik ausfallt. In jedem Fall ist dabei jedoch die zu beobachtende Ab-wertung , e ↑, von Preisniveausteigerungen begleitet, die sich je nach Anpas-sungsgeschwindigkeit der Preise und der Wechselkurse, βp und βe, mehr oderweniger wahrend der Abwertungsphase entfalten konnen. Wenn die e = 0–Isokline erreicht wird, schlagt Abwertung der e in ihre Aufwertung um, bis mitweiteren Preisniveausteigerungen schließlich der ‘langfristige’ Zustand e′0, p

′0

erreicht wird. Diese Dynamik bestatigt deshalb die im Grenzfall βe = ∞ be-obachteten dynamischen Anpassungsmuster.

Bei hinreichend großer Anpassungsstarke βe ergeben sich damit die fol-genden Zeitreihenmuster bzgl. Wechselkurs– und Preisniveauanpassung.Fur Zins r und Output Y ergeben sich in Erganzung zu Abbildung 5.27. dieZeitpfade in Abb. 5.29.

Gemaß Gleichung (5.110) hangt der gleichgewichtige Output Y positivvom Wechselkurs e und negativ vom Preisniveau p ab, und fur den Zins-satz r gilt gemaß (5.114), dass dieser positiv sowohl auf e als auch auf preagiert (v wie bisher als hinreichend klein angenommen). Im Zeitpunkt desmonetaren Schocks, M ↑, sind beide Großen gemaß ihrer Bewegungsgesetze(5.117), (5.118) noch fixiert, weshalb (5.110) und (5.114) dann einen sprung-haften Anstieg beim Output und eine sprunghafte Zinssenkung – wie darge-stellt – implizieren. In der nachfolgenden Phase steigender Wechselkurse undsteigender Preise muss der Zinssatz notwendig wieder steigen, wahrend beimOutput je nach relativem Ausmaß von expansiven Wechselkurseffekten undkontraktiv wirkenden Preiseffekten ein weiterer Anstieg oder bereits eine Kon-traktion hin zum Normaloutput vorstellbar ist (Situation Ia bzw. Ib in der

Page 313: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

302 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

e

e

p

p

e(t)

p(t)

t

t

p

e

o'

o

o'

o

Abb. 5.27. Zur zeitlichen Entwicklung von Wechselkurs und Preisniveau

tY

r

t

I

II

Ia

IbII

Y(t)

r(t)

r(t)r-a

Abb. 5.28. Die Entwicklung der Gleichgewichtswerte von r und Y

obigen Grafik). Daruber hinaus ist vorstellbar, dass der Zinssatz r (und auchder Output Y ) bei dieser Anpassung an die Steady State Werte uberschießt,wie dies durch die Situationen II oben angedeutet worden ist.

Wir haben in Kapitel 3 gesehen, dass im ursprunglichen IS–LM–Modell dieobige Wechselkursdynamik keine uberschießenden Wechselkurseffekte auslosenkann, anders als im gerade diskutierten IS–LM–PC–Modell. Grundlage desUberschießens der Wechselkurse in letzterem Modell ist der Sachverhalt, dassausgehend vom Normaloutput Y und von Normalbeschaftigung L in dieserOkonomie expansive Geldpolitik Uberbeschaftigung erzeugt, die sich in ei-ner Lohn–Preis–Spirale fortpflanzt. Da diese Okonomie aufgrund des kontrak-

Page 314: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.6 Mittelfristige Analyse kleiner offener Volkswirtschaften 303

tiv wirkenden Keynes–Effektes wieder zur Normalbeschaftigung zuruckfindet,muss die bei hoher Kapitalmobilitat stattfindende Uberreaktion des Wechsel-kurses, e ↑↑, durch nachfolgende Aufwertungseffekte wieder ruckgangig ge-macht werden, da Geld ‘langfristig’ neutral ist und der Zinssatz r ebenfalls zuseinem Gleichgewichtsniveau ra zuruckfindet. Es folgt, dass die Uberreaktiondes Wechselkurses der Tatsache geschuldet ist, dass eine expansive Geldpo-litik eine ‘vollbeschaftigte’ Okonomie zur Uberbeschaftigung anregt, was sieder Modellphilosophie folgend besser unterlassen hatte.

Dieses Fazit wird weiter verdeutlicht, wenn man z.B. zur Analyse keynesia-nischer Depressionen auf Basis der geknickten Phillipskurve (vgl. Abbildung5.14. in Abschnitt 5.4.2)

w = max{βπe(V − V ), 0}zuruckkehrt und von einem Gleichgewichtswert V0 < V startet. DerartigeLohnrigiditat nach unten geht dann mit einem Preisniveau p = (1 + a)w/y >p0, also mit Y < Y einher. Die Preisdynamik (5.117) ist dann wieder ausge-schaltet, und fur die Wechselkursdynamik gilt dann:

e = βe(ra + βε(e0/e− 1)− αe0 + αe

1M/p− αe2e/p).

Diese Gleichung weist den Steady State Wert

ra = αe0 − αe

1M/p + αe2e0/p, d.h.

e0 =(ra − αe

0)p + αe1M

αe2

auf und liefert bzgl. diesem wieder unmittelbar die folgende Situation:Expansive Geldpolitik, M ↑, erhoht wieder den langfristigen Wechselkurs e0

und jetzt auch den langfristigen Gleichgewichtsoutput Y0:

M/p = kY0 + h0 − h1ra.

Der Anpassungsprozess an diese Situation ist gemaß Abbildung 5.29. durcheinen reinen Abwertungsprozess, e ↑, der e gekennzeichnet, der von ebenfallsmonotonen Zinssteigerungen

r(t) = αe0 − αe

1M/p + αe2e(t)/p

begleitet ist.42 Entsprechendes gilt fur den Output Y und den Beschaftigten-grad V :

V (t) = αp0 + αp

1M/p + αp2e(t)/p.43

Expansive Geldpolitik erreicht damit in dieser Situation ihr Ziel einer perma-nenten Steigerung der Beschaftigung durch eine permanente Abwertung der42 Zuruck zu ra.42 Dabei kann auch von trager Outputanpassung gemaß der Regel Y = βy(Y d − Y )

ausgegangen werden.

Page 315: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

304 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

e

e

e

o

Abb. 5.29. Wechselkursanpassung bei Unterbeschaftigungsgleichgewichten

e gegenuber dem $ , und dies ohne ein Uberschießen des Wechselkurses ubersein langfristiges Niveau e0 hinaus. Dieser Prozess lauft umso schneller ab, jehoher die Kapitalmobilitat und damit je hoher die Anpassungsstarke βe derWechselkurse ist, ohne dabei – wie gesagt – Anlass zu Uberreaktionen desWechselkurses zu geben.

Wir bemerken abschließend, dass die Rolle von Preis– und Wechselkur-sanpassungen hinsichtlich des ‘Uberschießens’ sich gerade vertauscht, wennder Fall vorliegt, dass βw sehr groß und βe sehr klein ist, also die Hierarchieder Anpassungsgeschwindigkeit genau vom umgekehrten Typ unterstellt ist.Eine derartige Hierarchie ist aber empirisch gesehen sehr unplausibel. Glei-chermaßen gilt jedoch, dass die bisherige Annahme βy = ∞ (Gutermarkt-gleichgewicht), vgl. dazu auch Kapitel 5, Anhang 4, nicht unproblematischist. Beim Ausbau der obigen Analyse sollte somit neben trage Lohnanpassung(βw << ∞) auch entsprechend trage Outputanpassung (βy << ∞) tretenund auf ihre Implikationen hin untersucht werden. Im keynesianischen Kon-text bedeutet dies, im Rahmen von Gutermarktungleichgewicht den Metz-lerschen Lageranpassungsprozess der Firmen in die obige dynamische Ana-lyse zu integrieren. Des weiteren sollte endliche (wenn auch hohe) Anpas-sungsgeschwindigkeit βe der Wechselkurse mit einer entsprechenden hohenAnpassungsgeschwindigkeit βr bei den nominellen kurzfristigen Zinsen ver-bunden werden (oder man sollte bei beiden Sachverhalten gleichermaßen vonGleichgewichtsbedingungen ausgehen), um auch hier keine problematischenHierarchien bei den unterstellten Anpassungsgeschwindigkeiten entstehen zulassen. Schließlich ware hier naturlich auch wieder der Fall reagierender Infla-tionserwartungen (βπe > 0) zu betrachten und diese Betrachtung mit den imZusammenhang mit der Zinslucke r∗ − r behandelten Instabilitatsproblemen

Page 316: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.6 Mittelfristige Analyse kleiner offener Volkswirtschaften 305

zu verbinden. Derartige Fortsetzungen der gebrachten Analyse der Wechsel-kursdynamik im IS–LM–PC Rahmen mussen hier jedoch unterbleiben.

Dornbusch/Fischer (1995, Kap.20) erganzen die Analyse dieses Abschnittszum einen um den Fall fixer Wechselkurse bei flexiblen Preisen, die demPhillipskurven–Mechanismus genugen. Dabei werden Anderungen der Wirt-schaftspolitik wie auch automatische Anpassungsmechanismen diskutiert, undes werden J–Kurven–Effekte sowie Hysterese–Probleme erortert. Ein weite-rer Abschnitt betrifft dort den monetaren Ansatz der Zahlungsbilanztheorie.Diese Sachverhalte sollen hier nicht dargestellt werden, weshalb der Leser andieser Stelle auf die Ausfuhrungen von Dornbusch/Fischer (1995) verwiesenwird. Schließlich behandeln Dornbusch/Fischer in Kapitel 20 ebenfalls denFall flexibler Wechselkurse und (bis zu einem gewissen Grade) flexibler Prei-se, zunachst ohne Wechselkursanderungserwartungen (βε = 0) und dann auchunter Einbeziehung derselben. Der Leser kann hier Erganzungen zu unserereher formal orientierten Analyse dieser Sachverhalte finden.44

5.6.2 Verzogerte Outputanpassung und Wechselkursdynamik

Wir haben im vorausgegangenen Abschnitt im Rahmen des mittelfristigen IS–LM–Modells, also bei gradueller Lohn– und Preisanpassung, die Dynamik derWechselkurse und diesbezugliche Erwartungsbildungen untersucht. Im Unter-schied zum IS–LM–Modell der kurzen Sicht (Anhang 4 und 5 in Kapitel 3),wo Lohne und Preise gegeben waren, ergaben sich hierbei nichtmonotone,uberschießende Wechselkursanpassungen fur den Fall, dass expansive Geld-politik zu Uberbeschaftigungssituationen (V > V ) fuhrte und damit Lohn–und Preissteigerungen in Gang setzte.

Grundlage fur dieses Ergebnis war, dass (auch im Grenzfall unendlichschneller Wechselkursanpassungen (βe = ∞)) der kurzfristige Wechselkursef-fekt e′′0−e0 nicht mehr mit dem letztendlichen Wechselkurseffekt e′0 > e0 uber-einstimmte (vgl. Abb. 3.31.a und 5.27., da die resultierende Outputexpansion(des Mundell–Fleming–Modells der kurzen Sicht des Kapitels 3, βe = ∞) inder jetzt vorliegenden mittleren Sicht nicht mehr ‘haltbar’ ist, sondern Lohn–und Preissteigerungen so lange Outputanpassungen bewirken, wie Y > Y gilt.Regressive Erwartungen, die den langfristig haltbaren Wechselkurs e′0 betref-fen, beziehen sich deshalb jetzt auf einen niedrigeren Wechselkurs e′0, als eraus den kurzfristigen Anpassungen im IS–LM–Modell bei gegebenen Preisenw, p resultierte: e′′0 . Dies bedeutet, dass bei e′′0 Aufwertungserwartungen in-duziert werden,45 die gemaß Abb. 3.32. des vorausgegangenen Abschnitts mitfaktischen Aufwertungseffekten zusammen mit Preis– und Zinssteigerungen(mit eventuellem Uberschießen) einhergehen, bis der Output Y auf sein Nor-malniveau zuruckgekehrt ist.

44 Man beachte hier, dass die zu Abbildung 5.28. gehorige Analyse auch den Grenz-fall βε = 0, ee = 0 erfasst.

45 ee = βε(e′0/e− 1) < 0.

Page 317: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

306 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

Die im kurzfristigen Kontext des Kapitels 3 letztendlich (oder via βe =∞ direkt) erzeugte Gesamtreaktion ist damit nicht die korrekte Kurzfrist–Reaktion des IS–LM–PC–Modells, da dieses einen anderen (niedrigeren) Gleich-gewichtskurs e′0 als das IS–LM–Modell aufweist und deshalb kurzfristig ee < 0und r < ra resultiert, anstelle von ee = 0 und r = ra (bei βe = ∞, man vgl.erneut Kapitel 3, Anhang 5). Es folgt, dass die Analyse des Anhangs 4 und5 in Kapitel 3 (die gangige Mundell–Fleming–Analyse kleiner offener Volks-wirtschaften bei flexiblen Wechselkursen) unzutreffend ist, da sie die Kon-sequenzen von erzeugten Uberbeschaftigungssituationen bei regressiven Er-wartungen nicht korrekt darstellt. Wir haben aber gesehen, dass sie im Fallevon Unterbeschaftigungssituationen korrekt sein kann, falls Nominallohnrigi-ditaten Lohn–Preis–Anpassungen nach unten verhindern.

IS–LM–PC–Analyse offener Volkswirtschaften stellt damit eine Verbesse-rung der IS–LM–Analyse dar, weist aber ihrerseits noch Probleme auf, diein diesem Abschnitt besprochen und behoben werden sollen. Diese Problemebetreffen primar die Hierarchie der Anpassungsgeschwindigkeiten bei Preisenund Mengen bei der IS–LM–PC–Analyse. Hier galt bislang (man vgl. denvorausgegangenen Abschnitt) die folgende symbolisch gefasste Rangordnung:

βw << βe ≤ ∞ = βy, βr.

Lohnanpassungen sind bisher als mehr oder weniger trage (βw << ∞) aufge-fasst worden, Wechselkursanpassungen als sehr schnell oder unendlich schnell,und auf Guter– und Geldmarkt war stets Gleichgewicht unterstellt worden,was bedeutet, dass Output– und Zinsanpassung unendlich schnell vonstattengehen (βy, βr = ∞).

Im Hinblick auf das tatsachliche Funktionieren von Arbeits–, Guter–,Vermogens– und Devisenmarkte konnte jedoch die folgende Rangfolge derobigen Anpassungsstarken zutreffender sein:

0 < βw < βy < βr ≤ βe ≤ ∞.

Dies deshalb, weil Lohnanpassungen aufgrund institutioneller Gegebenheitenrelativ trage auf Arbeitsmarktungleichgewichte reagieren und Anpassungender Produktionsrate Y an Nachfrageveranderungen zwar schneller getatigtwerden konnen, aber ebenfalls nicht mit sehr hoher Geschwindigkeit vonstat-ten gehen. Zins– und Wechselkursanpassung sind demgegenuber aufgrund derdahinterstehenden Marktorganisation als rasch ablaufend ansehbar, so dassim Extremfall eher βw, βy << ∞, βr, βe = ∞ als die Hierarchie des IS–LM–PC–Modells bzgl. dieser Anpassungsgeschwindigkeiten fur eine Analyse derbetroffenen Markte adaquat sein sollte. Im folgenden soll nun gepruft wer-den, was sich an der Analyse des IS–LM–PC–Modells andert, wenn letztereHierarchie an Anpassungsstarken bei ihm unterstellt wird. Wir werden dabeijetzt auch wieder Inflationserwartungen und den durch sie hervorgerufenenMundell–Effekt auf die Guternachfrage und damit auf die Beschaftigung undInflation in die Analyse einbeziehen.

Page 318: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.6 Mittelfristige Analyse kleiner offener Volkswirtschaften 307

Zunachst ist aber neu und damit auszugestalten, wie Outputanpassungenbei Gutermarktungleichgewicht mit endlicher Anpassungsstarke vonstattengehen. Hier soll erneut und der Einfachheit halber der dynamische Multipli-katorprozess, wie er in den Abschnitten 3.2 und 3.3 dargestellt worden ist,Anwendung finden. Im um den Außenhandel erweiterten Gutermarkt kanndieser dynamische Multiplikator wie folgt formuliert werden:

Y = βy[(c− j− 1)Y − c(δK + T )+ i0− i1(r−πe)+ δK + G+ X− J + vepa/p](5.119)

wobei der Zinssatz r mittels Geldmarktgleichgewicht wie ublich durch

r = (kY + h0 − M/p)/h1 (5.120)

gegeben ist, also ebenfalls vom Outputwert Y abhangt. Die eckige Klammer inGleichung (5.119) ist der rechnerische Ausdruck fur die UberschußnachfrageY d − Y = C + I + δK + G + X − J − Y des IS–LM–Modells der Abschnitte3.4, 3.6.

Die obige Outputdynamik, die sich also an der Uberschußnachfrage amGutermarkt orientiert, wird (wie im IS–LM–PC–Modell gelaufig) durch Lohn–Preis–Anpassungen w = p und Inflationserwartungen πe wie folgt erganzt:

p = βw(V − V ) + πe, V = Y/(yL), (5.121)πe = βπe(p− πe) = βπeβw(V − V ). (5.122)

Neu ist in diesem Zusammenhang nur, dass der Beschaftigtengrad V mit demOutput Y nicht mehr durch Gutermarktgleichgewicht bestimmt wird, sondernwie oben dargestellt durch eine zeitlich verzogerte Anpassung des Outputs anden Stand der gesamtwirtschaftlichen Guternachfrage Y d.

Was den außenwirtschaftlichen Teil des Modells betrifft, so gehen wir (obi-gem folgend) von der Gultigkeit der Zinsparitatsbedingung aus (βe = ∞):

ra + ee = r (5.123)

und bei den Wechselkurserwartungen wieder von regressiven Erwartungen derForm

ee = βε(e0/e− 1) (5.124)

mit e0 als Steady State Wert des Wechselkurses e unter den momentanenModellrahmenbedingungen. Die Parameterkonstellation βy < ∞, βe = ∞ istdamit im wesentlichen das Neue gegenuber der IS–LM–PC–Analyse offenerVolkswirtschaften des vorausgegangenen Abschnitts.

Zur Ermittlung der Implikationen des dergestalt modifizierten IS–LM–PC–Modells untersuchen wir zunachst den Gleichgewichtsteil dieses Modellsmittels der Gleichungen (5.120), (5.123) und (5.124). In (5.123) eingesetztergeben dieses Gleichungen

ra + βε(e0/e− 1) = (kY + h0 − M/p)/h1

Page 319: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

308 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

Diese Gleichung kann nach dem Wechselkurs e, der mit Zinsparitat, regressi-ven Erwartungen und Geldmarktgleichgewicht kompatibel ist, aufgelost wer-den:

e =βε

βε + (kY + h0 − M/p)/h1 − rae0.

Wir setzen hierbei voraus, dass der Nenner in diesem Ausdruck im relevan-ten okonomischen Bereich großer Null ist, was z.B. durch geeignete Wahl derAnpassungsstarke βε der Wechselkurserwartungen sichergestellt werden kann.Man ersieht, dass der laufende Wechselkurs e negativ vom momentanen Preis–und Outputniveau, p, Y , abhangt: e(Y, p), e1, e2 < 0. Auf Basis dieser Bezie-hung ergibt sich als autonomes dynamisches System in den ZustandvariablenY, p, πe fur das Modell (5.119) – (5.124):

Y = βy

[(c− j − 1− i1

k

h1

)Y +

i1h1

M

p+ i1π

e + ve(.)pa

p+ const

](5.125)

p = βw[Y/(yL)− V ] + πe, (5.126)πe = βπeβw[Y/(yL)− V ]. (5.127)

Man sieht, dass die anspruchsvolle Gleichung dieses Systems durch die Guter-marktdynamik (5.125) geliefert wird, wahrend die Gleichungen (5.126), (5.127)jetzt in einfacher Form nur von den Zustandsvariablen Y, πe abhangen. Da dasModell des vorausgegangenen Abschnitts durch βy = ∞ (bei βe = ∞) zuruck-gewonnen werden kann, ist der Steady State des Systems (5.125) – (5.127)derselbe wie im vorausgegangenen Abschnitt und braucht deshalb hier nichterneut untersucht zu werden. Geandert hat sich die Dynamik um diesen Stea-dy State herum, die es jetzt zu analysieren gilt.

Im vorliegenden Fall ist dies trotz nunmehr dreier Differentialgleichungeneinfach, da die Matrix J der partiellen Ableitungen des Systems (5.125) –(5.127) am Steady State die folgende Vorzeichenstruktur aufweist:

J =

J11 J12 J13

J21 J22 J23

J31 J32 J33

=

− − ++ 0 ++ 0 0

.

Proposition 5.3 (Routh–Hurwitz–Bedingungen fur lokale asymptotische Sta-bilitat)

Der Steady State Y0, p0, π0 des Systems (5.125) – (5.127) ist lokal asym-ptotisch stabil genau dann, wenn gilt:

a) spur J < 0 und det J < 0

b) J1 + J2 + J3 =∣∣∣∣J22 J23

J32 J23

∣∣∣∣ +∣∣∣∣J11 J13

J31 J33

∣∣∣∣ +∣∣∣∣J11 J12

J21 J22

∣∣∣∣ > 0

c) ( - spur J)(J1 + J2 + J3) + det J > 0.

Beweis: Gantmacher (1971, S.168 ff.)

Bemerkung: Das charakteristische Polynom der Matrix J lautet mittels die-ser Kennzahlen der Matrix J :

Page 320: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.6 Mittelfristige Analyse kleiner offener Volkswirtschaften 309

λ3 + a1λ2 + a2λ + a3 = λ3 − spur J · λ2 + (J1 + J2 + J3)λ− detJ.

Es hat somit im Stabilitatsfall nur positive Koeffizienten a1, a2, a3, diedann zudem auch noch a1a2 − a3 > 0 erfullen (mussen).

Fur die obige spezielle Form der Matrix J ergibt sich unmittelbar:

spur J = J11 < 0det J = J12J23J31 < 0

J1 = 0J2 = −J31J13 < 0J3 = −J12J21 > 0

Im Lichte des obigen Stabilitatskriteriums ist deshalb nur J2 < 0 ein Problem.Aus okonomischer Sicht gilt es naturlich zu verstehen, warum dies der Fall ist.Dazu sind die Eintrage Jik in der obigen Matrix jetzt auf ihren okonomischenHintergrund hin zu untersuchen.

Wir ersehen aus Gleichung (5.125), dass J11 < 0 die Stabilitatsbedingungdafur ist, dass der dynamische Multiplikatorprozess am Gutermarkt fur sichgenommen asymptotisch stabil ist: Y d

Y < 1(YY < 0). Dies besagt wie im key-nesianischen 45o–Diagramm, dass die Nachfragefunktion bei Y –Variationenschwacher als Y reagiert und sie damit flacher als die 45o–Linie ist.46 Wir ha-ben des weiteren in (5.125) wegen J12 < 0 wieder den stabilisierenden Keynes–Effekt, i1/h1 · M/p, der jetzt durch die negative Reaktion des realen Wechsel-kurses, τ = e(Y, p)pa/p, auf Preisniveauerhohungen noch verstarkt wird. Undschließlich haben wir wieder J13 = βyi1 > 0, den Mundell–Effekt, von demwir wissen, dass er destabilisierend wirkt. Die weiteren partiellen AbleitungenJik in der Matrix J , die nicht Null sind, J21, J23, J31 > 0, besagen einfach,dass Outputsteigerungen und Steigerungen bei den Inflationserwartungen dieInflationsrate p und die Inflationserwartungen πe positiv beeinflussen.

Damit folgt fur die obige formale Analyse als Interpretationsmoglichkeit:

spur J < 0 : Der stabile dynamische Multiplikatorprozess.detJ < 0 : Der stabilisierende Keynes–Effekt: J12 < 0.

J3 > 0 : Der stabilisierende Keynes–Effekt: J12 < 0.

J2 < 0 : Der destabilisierende Mundell–Effekt: J13 > 0.

Um Outputanpassungen erweitert haben wir damit wieder die ublichen, dieStabilitat des IS–LM–PC–Modells bedingenden Effekte in ihrer typischenWirksamkeit vorliegen, da die begleitenden Wechselkurseffekte e(Y, p), e1, e2 <0 mit sonstigen Output– und Preisniveaueffekten parallel gehen.

Proposition 5.4 Der Steady State des Systems (5.125) – (5.127) ist lokalasymptotisch stabil, wenn die Anpassungsstarke βπe der Inflationserwartungenhinreichend klein ist.46 Man beachte hierbei, dass der Wechselkurs e ebenfalls negativ auf Outputverande-

rung reagiert.

Page 321: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

310 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

Beweis: βπe = 0 impliziert J2 = 0 und det J = 0, aber J3 > 0, spur J < 0 so,dass in diesem Falle die Routh–Hurwitz–Bedingungen b), c) von Proposition5.4 erfullt sind. Aus Stetigkeitsgrunden sind diese Bedingungen deshalb auchfur alle βπe hinreichend nahe bei Null erfullt.

Bemerkung: Setzt man den Parameter βπe schrittweise hoch, so wird J2

negativer und negativer, wahrend J3 konstant bleibt. Die Bedingung J1 +J2 + J3 > 0 wird deshalb fur hinreichend große βπe verletzt sein, was im-pliziert, dass der Steady State von (5.125) – (5.127) dann nicht mehr lokalasymptotisch stabil ist. Da det J stets ungleich Null ist, kann dies nur er-reicht werden, indem komplexe Eigenwerte mit negativem Realteil zu einempositiven Realteil uberwechseln, da alle Eigenwerte stets von Null verschiedensein mussen (det J = λ1λ2λ3). Es folgt, dass das System seine Stabilitat nurmittels Schwingungen verlieren kann, also in diesem Bereich zu Konjunktur-schwankungen Anlass gibt.

Wir haben im Hinblick auf das nichtlineare Differentialgleichungssystem(5.125) – (5.127) bislang die lokale asymptotische Stabilitat des Steady Statesuntersucht, ohne diesen selbst bestimmt zu haben. Anders als im vorausge-gangenen Abschnitt haben wir dabei keine einschrankenden Annahmen uberden Parameter v machen mussen und haben jetzt auch endogene Inflations-erwartungen (πe 6= 0) in die Analyse einbezogen. Im Hinblick auf Dornbuschs(1976) Problem uberschießender Wechselkurse (vgl. den vorausgegangenenAbschnitt) ist aber primar die kurzfristige und die langfristige Reaktion derendogenen Variablen des Modells von Interesse und nicht so sehr der Anpas-sungspfad, der uns vom kurz– zum langfristigen Gleichgewicht fuhrt (und derhier auf drei sich dann anpassenden Variablen p, πe, Y beruht).

Die okonomisch relevante langfristige Position wird durch Y = p = πe =0, p 6= 0 beschrieben. Die Gleichungen (5.125) – (5.127) liefern auf dieserBasis47 Y0 = Y , πe

0 = 0 und mittels der Zinsparitat bei hier stationaren Wech-selkurserwartungen (e = e0):

r0 = ra = (kY0 + h0 − M/p0)/h1 (5.128)

den Steady State Wert fur das Preisniveau p.48 Der Steady State Wert e0,der die Grundlage fur die regressive Erwartungsbildung abgibt, wird eindeutigdurch die Gutermarktgleichgewichtsbedingung bestimmt, die im Steady Statewie folgt lautet:

Y0 = c(Y0−δK−T )+i0−i1(ra−πe0)+δK+G+X−J−jY0+ve0p

a/p0 (5.129)

Gleichung (5.128) besagt, dass die Realkasse M/p uber alle Steady Stateshinweg konstant sein muss, und Gleichung (5.129) besagt dasselbe fur den

47 Y /(yL) = V .48 w0 = p0y/(1 + a).

Page 322: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

5.6 Mittelfristige Analyse kleiner offener Volkswirtschaften 311

Wert des realen Wechselkurses e/p. In Wachstumsraten ausgedruckt liefertdies

dM

M=

dp0

p0

(=

dw0

w0

)=

de0

e0,

d.h. langfristig gilt hier wie im vorausgegangenen Abschnitt die Neutralitatdes Geldes (da Y0 = Y und ro = ra von Geldmengenveranderungen nichtbetroffen werden) und die Aussage der relativen Kaufkraftparitatentheorie.Dieser letzte Sachverhalt rechtfertigt auch Kenntnis von e0, die bei der Bil-dung der regressiven Erwartungen bei den Wirtschaftssubjekten unterstelltworden war, da die langfristige Reaktion des Wechselkurses auf Geldmengen-veranderungen hier eben sehr einfacher Natur ist.

Insgesamt haben wir damit, dass die langfristigen Implikationen des ge-genwartigen Modells die gleichen sind wie im IS–LM–PC–Modell des vorhe-rigen Abschnitts. Dies ist insofern leicht verstandlich, da das gegenwartigeModell zum einen das vorherige Modell als Grenzfall aufweist (βy = ∞) undim allgemeinen sein Vorgangermodell nur um verzogerte Outputanpassung derFirmen erweitert hat, was fur die Steady–State–Bestimmung selbst belanglosist.

Die Kurzfristanalyse ist jedoch von der des vorausgegangenen Abschnittsverschieden, da der Outputwert Y jetzt bei jedem monetaren Schock dM < 0zunachst konstant ist. Die unmittelbare Reaktion findet am Geldmarkt statt,wo bei gegebenem Outputniveau und Preisniveau der Nominalzins sinkenmuss, um die Geldnachfrage mit dem Geldangebot wieder kompatibel zu ma-chen. Es folgt r < ra (wenn vorher ein Steady State mit r = ra vorgelegenhat). Die Konsequenz dieses Zinsdifferentials ist, dass eine Aufwertungser-wartung ee < 0 erzwungen wird, da anderenfalls die Zinsparitatsbedingungverletzt ware:49 ra + ee = r. Damit folgt als Bestimmungsgleichung fur dieunmittelbare Reaktion des Wechselkurses e

βε(e0/e− 1) = ra − r < 0 : e > e0,

wobei hier e0 den neuen langfristigen Gleichgewichtswert des Wechselkursesdarstellt. Der Wechselkurs e uberschießt deshalb sein langfristiges Ziel e0. DasAusmaß dieser Uberabwertung der e ist dabei durch

e =βε

βε + ra − r=

11 + (ra − r)/βε

, r =kY + h0 − M/p

h1

gegeben und damit lediglich von Geldmarktparametern und βε abhangig (beigegebenem Output- und Preisniveau).

Es folgt, dass die expansive Geldpolitik im doppelten Sinne erfolgreich ist,da sie durch Zinssenkungen die Investitionsguternachfrage und aufgrund derAbwertung die Nettoexporte erhoht, was beides als Zunahme der aggregiertenNachfrage am Gutermarkt erscheint.49 Der monotone Prozess, der solche Aufwertungserwartungen erzeugt, ist in Abb.

3.32. dargestellt worden (βe →∞).

Page 323: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

312 5 Keynesianische Inflationstheorie: Die mittlere Sicht

War vor dem monetaren Schock ein Steady State gegeben, so kommt esjetzt in der mittleren Sicht aufgrund der drei Bewegungsgesetze fur Output,Preisniveau und Inflationserwartungen zu Steigerungen dieser Großen und da-mit auch wieder zu Zinssteigerungen und Aufwertungen der e, die langfristigauf eine mehr oder weniger komplizierte Art die wieder auf das Niveau Y ,den Normaloutput der Wirtschaft, zuruckfuhren. Wie oben gezeigt, gilt diesnaturlich nur, wenn der Parameter βπe , die Anpassungsstarke bei den Inflati-onserwartungen, nicht zu groß ist und damit der tendenziell destabilisierendeMundell–Effekt nicht erfolgreich ist. Schließlich gilt, dass weitere monetareSchocks, die im Verlaufe eines solchen Anpassungsprozesses erfolgen, nicht soeinfach wie Storungen eines Steady States zu analysieren sind, da dabei sehrunterschiedliche Momentansituationen vorliegen konnen.

Anmerkung 1: Dornbuschs (1976) Aufsatz zu uberschießenden Wechselkur-sen verwendet anstelle des dynamischen Systems (5.125) – (5.127) das folgendeeinfache (walrasianische) Anpassungsverhalten des Preisniveaus p:

p = βp(Y d(e−, p−, r−, M

+)− Y ),

wobei aufgrund von Geldmarktgleichgewicht und Zinsparitat bei ihm zusatz-lich wieder Funktionen e(p) und r(p) herleitbar sind, die e′ < 0, r′ > 0 erfullen.

Anmerkung 2: Die keynesianische Outputanpassungsregel (5.125), der sog.dynamische Multiplikatorprozess, ist ebenfalls noch Vereinfachung eines kom-plexeren Mengenanpassungsprozesses der Firmen, der unfreiwillige Lager-veranderungen aufgrund von Irrtumern beim erwarteten Absatz und korrigie-rende geplante Lagerveranderungen bei den Unternehmungen thematisierenmusste.

Anmerkung 3: Unterstellt man anstelle von regressiven Wechselkursande-rungserwartungen myopisch perfekte Voraussicht ee = e, so erhalt man uberdie Zinsparitat

ra + e = r = (kY + h0 − M/p)/h1 oder

e = (kY + h0 − M/p)/h1 − ra = e(Y+

, p+)

Es ist bzgl. dieser, zum System (5.125) – (5.127) dann hinzukommenden vier-ten Differentialgleichung nicht schwer zu zeigen, dass die Matrix der partiellenAbleitungen im Steady State dieses Systems eine negative Determinante auf-weist. Die Routh–Hurwitz Bedingungen der Dimension 4 besagen dann, dassder Steady State in diesem Falle stets lokal instabil sein muss. Aufgrund derNichtlinearitat des vorliegenden Differentialgleichungssystems sind aber glo-bale Aussagen uber das dynamische Verhalten der Variablen Y, p, πe, e dannpraktisch kaum moglich.

Page 324: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

6

Keynesianische Wachstumstheorie:Die lange Sicht

6.1 Wachstumstheorie im Gefolge von Keynes’‘Allgemeiner Theorie’

Bevor wir in diesem Kapitel zu einer Integration von Wachstumsaspekten indie keynesianische IS-LM-PC Analyse ubergehen werden, wollen wir in die-sem Abschnitt zwei keynesianisch orientierte wachstumstheoretische Ansatzebetrachten, die im Gefolge und auf Basis der Keynes’schen Theorie des tem-poraren Gleichgewichts (der Multiplikatortheorie) entstanden sind, die In-stabilitatsanalyse kapitalistischer Wachstumsprozesse von Harrod (1939) undden stagnationstheoretischen Ansatz von Domar (1946). Diese Ansatze wer-den anschließend mit dem sog. neoklassischen Wachstumsmodell konfrontiertwerden, welches von Solow (1956) als Kritik des Harrodschen Ansatzes kon-zipiert worden war. Wir werden sehen, dass diese Kritik Solows nicht gutfundiert ist, da sein Modell anstelle des Keynes’schen Multiplikatorprozes-ses der Bestimmung von Einkommen und Produktion (auf Basis gegebenenInvestitionsverhaltens) wieder zum Sayschen Gesetz (bei Vollbeschaftigungdes Faktors Arbeit) zuruckkehrt und damit eine keynesianische Analyse vonWachstum und Stabilitat qua Annahme einfach ausblendet.

Trotz dieses Sachverhalts ist das Solowsche Wachstumsmodell das Wachs-tumsmodell der Literatur geworden und dies mit einem gewissem Recht,da es in einfachster Weise eine Reihe stilisierter Fakten des Wachstums er-klaren kann und sich problemlos einer Vielzahl von Verallgemeinerungen an-passt. Demgegenuber ist das Harrodsche und das Domarsche Wachstumsmo-dell nicht nennenswert weiterentwickelt worden, wobei ein Grund dafur daringesehen werden kann, dass die in diesen Modellen thematisierten Auslastungs-probleme beim Kapitalstock und ein darauf gegrundetes Investitionsverhaltensich nicht in einfacher Weise auf Produktionsfunktionen, die stetige Faktor-substitution erlauben, ausdehnen lassen. Solche Auslastungsprobleme sind inder Makrotheorie und erst recht in der makrookonomischen Wachstumstheorieselten einer akzeptablen Modellierung zugefuhrt worden.

Page 325: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

314 6 Keynesianische Wachstumstheorie: Die lange Sicht

Wir werden deshalb nach diesen einleitenden Abschnitten uber Harrod-sche, Domarsche und Solowsche Wachstumstheorie ebenfalls nicht mit solchenProblemen starten, sondern zunachst auf Basis des Kapitels 4 und des dortbreit eingefuhrten IS-LM-PC Modells der mittleren Sicht uns dem Sachver-halt nahern, dass Produktionsfaktoren und der von ihnen erzeugte Output inder Regel einem Wachstumstrend unterliegen, den es auch aus Sicht dieserModellierung zu erklaren gilt. Dabei wird es im wesentlichen darum gehen,die Krafte zu beschreiben, die das Wachstum des Faktors Arbeit und des Fak-tors Kapital bedingen und daraus das Wachstum des Outputs (und spater desPotentialoutputs) herzuleiten. Wir werden sehen, dass dadurch die Analyseder mittleren Sicht im wesentlichen um ein Bewegungsgesetz (der relativenFaktorausstattung) angereichert werden wird.

6.1.1 Harrod– und Domarsche Wachstumstheorie: AkzelerierendesWachstum und persistente Depression

Wenden wir uns zunachst Harrods (1939) Analyse des befriedigenden Wachs-tums auf des Messers Schneide zu. Zu diesem Zweck vereinfachen wir die IS-LM-PC Analyse des vorherigen Kapitels in radikaler Weise, um uns eben ganzauf Wachstumsphanomene konzentrieren zu konnen. Wir nehmen in diesemAbschnitt deshalb an, dass die folgenden Parameter

G, T , δ, i1, βw, βπe

des IS-LM-PC Modells alle gleich Null gesetzt sind. Es gibt damit im Folgen-den keine explizite Betrachtung des Staatssektors, keine Ersatzinvestitionenund keine Zinsabhangigkeit der Nettoinvestitionen sowie starre Preise undLohne und damit auch keine Inflationserwartungen. Als Konsequenz dieserAnnahmen gilt die keynesianische Multiplikatortheorie in der folgenden ein-fachst moglichen Form:

Y =1sI =

11− c

I [Y = cY + I, I = io].

Gemaß der Annahmen von Kapitel 3 und 4 ist diese Multiplikatortheorie vordem Hintergrund einer linear-limitationalen Produktionsfunktion

Y = min{xK, yLd}angesiedelt, wo x, y wie gewohnt die als konstant angenommenen Faktorpro-duktivitaten von Kapital und Arbeit bezeichnen und K, Ld die von den Firmeneingesetzten Mengen dieser Produktionsfaktoren. In diesem einfachen Modell-rahmen erhalt man eine Darstellung von Harrods Analyse der Instabilitat ka-pitalistischer Wachstumsprozesse, wenn man als neue Investitionserklarungjetzt die sog. Akzeleratorhypothese uber das Investitionsverhalten einfuhrt,was wir in grober Anlehnung an Harrod (1939) in der folgenden einfachenForm tun wollen:

Page 326: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

6.1 Wachstumstheorie im Gefolge von Keynes’ ‘Allgemeiner Theorie’ 315

I/K = βγ(Y/K − Y p/K), βγ > 0= βγ(V c − 1)Y p/K = xβγ(V c − 1), V c = Y/Y p.

Wir wollen das Datum x = Y p/K hier als ‘normale Kapitalproduktivitat’interpretieren, die unter– und (bis zu einem gewissen Grade) uberschrittenwerden kann. Die soeben definierte Große V c = Y/Y p ≥ 1 kann damitals Auslastungsgrad des Kapitalstocks aufgefasst werden, wobei ihr Wert ‘1’Normalauslastung signalisiert. Die obige Investitionsformel besagt deshalb,dass die Investitionsanstrengung der Unternehmungen, d.h. hier die Wachs-tumsrate des Kapitalstocks γk = K/K = K = I/K bei UberauslastungV c > 1 (Y/K > Y p/K) steigt und bei Unterauslastung desselben fallt, wasals ein erster Zugang zur kapazitatsgesteuerten Investitionstheorie sicherlichnicht unplausibel ist. Kombiniert mit der Keynes’schen MultiplikatortheorieY = I/s ergibt sich aus dieser neuen Sichtweise uber das Investitionsverhaltenals fundamentale Bewegungsgleichung fur dieses Multiplikator - Akzelerator -Modell:

V c = V c/V c = Y − Y p = I − K = I/K = xβγ(V c − 1).

Dies ist eine nichtlineare autonome Differentialgleichung fur die Dynamik desAuslastungsgrades V c der Unternehmungen. Grafisch dargestellt gilt fur dieseDifferentialgleichung die folgende Situation:

Abb. 6.1. Harrod: Instabiles Wachstum

Es folgt in bekannter Weise, dass Abweichungen vom Normalauslastungsgrad(1) die Tendenz haben, sich zu verstarken. Die Interaktion von kapazitatsbe-dingtem akzelerierenden Investitionsverhalten mit den keynesianischen Multi-plikatorwirkungen der Investitionen am Gutermarkt fuhrt somit zu sich selbstverstarkenden Expansions- oder Kontraktionsprozessen bei der Auslastungder Firmen.

Page 327: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

316 6 Keynesianische Wachstumstheorie: Die lange Sicht

Die obige dynamische Beziehung liefert daruberhinaus die folgenden wachs-tumstheoretischen Aussagen:

1. Gilt Normalauslastung V c = 1, so ist γk = I/K konstant und wegenx = Y/K = Y p/K = x, I = sY gleich der Wachstumsrate γw = sx. Diesesteady–state Wachstumsrate heißt bei Harrod die befriedigende Wachs-tumsrate (warranted rate of growth).

2. Investieren die Unternehmen mit der Rate γw = sx, d.h. gilt I/K = γw,so folgt Y/K = x und damit Y = Y p oder V c = 1, d.h. die Unternehmenwerden dazu angeregt, diese Investitionsrate beizubehalten. Dies erklartdie Namensgebung bei dieser speziellen Wachstumsrate, die dann das uni-forme Wachstum von Y = Y p sowie K, I charakterisiert.

3. Da (wie gesehen) Abweichungen des Auslastungsgrades V c von 1 die Ten-denz haben, sich zu verstarken, ist der Pfad des befriedigenden Wachstumsvon zentrifugalen Kraften umgeben (wegen Y − Y p = βγ x(V c − 1)). DieAbweichungen der tatsachlichen Wachstumsrate von der befriedigendenwerden deshalb mit der Zeit immer großer (Wachstum auf des MessersSchneide).

4. Nur durch Zufall stimmt die befriedigende Wachstumsrate γw = sx mitder naturlichen Wachstumsrate n1 der Arbeitsbevolkerung uberein.1

Dieses einfache Multiplikator-Akzelerator-Modell der Harrodschen Wachs-tumstheorie weist damit auf zwei gravierende Probleme kapitalistischer Markt-wirtschaften hin, erstens die Instabilitat des Wachstumsprozesses solcher Oko-nomien und zweitens das Fehlen eines offensichtlichen Mechanismus, der einfur Vollbeschaftigung in der Zeit adaquates Wachstum des Kapitalstocks undder Produktion hervorbringt.

Diese keynesianische Theorie der Guternachfrage und der Investitionenstellt damit die doppelte Frage, was die zentrifugalen Krafte des Wachs-tumsprozesses in Grenzen halt, also nur einen gewissen Wachstumskorridorzulasst, und des weiteren, was die Investitionstatigkeit in ihrer Interaktionmit der volkswirtschaftlichen Ersparnis S = sY und dem Output–Kapital–Verhaltnis x so beeinflusst, dass ein mit dem Bevolkerungswachstum gleich-schrittiges Wachstum von Kapital und Output erzeugt wird.

Im Unterschied zu Harrods (1939) Instabilitatsanalyse fragt Domar (1946)zunachst nur nach den Bedingungen, die ein Wachstumsprozess erfullen muss,bei dem die Auslastung der Unternehmungen unverandert bleibt, wo also ins-besondere Vollauslastung in der Zeit erhalten bleibt. Diese Frage stellt sichfur ihn aufgrund des dualen Charakters der Investitionen, einerseits aus Sichtder Multiplikatortheorie Einkommen und Produktion in ihrer Hohe zu deter-minieren: Y = 1

sI und andererseits die produktiven Kapazitaten der Firmenauszuweiten: K = I, Y p = xK. Hintergrund dieses Ansatzes ist erneut die An-nahme einer linear-limitationalen Produktionsfunktion wie im Harrod-Modell.

1 Wobei fur die Rate des technischen Wandels n2 hier der Einfachheit halber derWert 0 angenommen worden ist.

Page 328: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

6.1 Wachstumstheorie im Gefolge von Keynes’ ‘Allgemeiner Theorie’ 317

Das Symbol Y p steht damit erneut fur den mit dem gegenwartigen Kapital-stock K erzeugbaren Normaloutput, wahrend Y den gemaß keynesianischerTheorie moglichen Absatz der Firmen bezeichnet. Der gegenwartige Auslas-tungsgrad der Unternehmungen ist damit wieder durch V c = Y0/Y p gegeben.

Vollauslastung V c ≡ 1 verlangt Y = Y p in jedem Zeitpunkt und impli-ziert damit I/s = xK sowie auch mittels Y = Y p : I/s = xK = xI, alsoK/K = I/K = sx und I = I/I = sx. Der Kapitalstock und die Investi-tionen mussen also mit der exogen vorgegebenen Rate sx wachsen, soll derKapitalstock in der Zeit voll ausgelastet bleiben. Nur in dieser Situation istder durch die Investitionen generierte Einkommenseffekt Y = I/s genausogroß wie der Kapazitatseffekt und wachsen Y und Y p mit der Rate sx. Esfolgt, dass eine solche Okonomie – unabhangig von den Entwicklungen beimProduktionsfaktor Arbeit – zum Wachstum ‘verurteilt’ ist, wenn Probleme furdie Vollauslastung des Kapitalstocks vermieden werden sollen. Die Analogie zuHarrods Aussagen uber die befriedigende Wachstumsrate sind offensichtlich,auch wenn bei Domar nicht von einer Hypothese uber das Investitionsverhal-ten ausgegangen worden ist, um dieses Resultat zu erhalten.

Um zu verdeutlichen was passiert, wenn diesem Wachstumszwang nichtGenuge getan wird, sei jetzt angenommen, dass die Investitionen nur mit derRate γ = I mit 0 < γ < sx wachsen. Fur den Auslastungsgrad V c der Unter-nehmungen ergibt sich damit mittels der bekannten Wachstumsratenformelnund auf Basis von Y = 1

sI:

V c/V c = V c = Y − Y p = I − K = γ− (I/Y ) · (Y p/K) · (Y/Y p) = γ− sx ·V c,

also jetzt eine Differentialgleichung von dem folgenden qualitativen Typ:

Abb. 6.2. Domar: Stabile Depressionslagen

Wie schon von analogen Fallen her bekannt folgt in dieser Situation unmittel-bar, dass der gleichgewichtige Auslastungsgrad V c

0 dieser Dynamik im okono-

Page 329: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

318 6 Keynesianische Wachstumstheorie: Die lange Sicht

misch relevanten Bereich global asymptotisch stabil, also globaler Attraktorist.

Dieser Auslastungsgrad, gegen den die Wirtschaft hier strebt, berechnetsich wie folgt:

V c = 0 = γ − sxV c0 , d.h. V c

0 = γ/(sx).

Fur γ = sx/2 folgt damit z.B., dass die Auslastung der Unternehmen langfris-tig auf 50% absinken wird, wenn die Wachstumsrate der Investitionen I nurhalb so groß wie die erforderliche Wachstumsrate sx ist. Wachstumsschwachebei den Investitionen kann im Rahmen dieses Ansatzes somit dramatischeKonsequenzen fur die Wirtschaft haben. Der Zwang zu ausreichendem Wachs-tum ist damit in elementarer und drastischer Form dargestellt.

Harrods Analyse instabiler Wachstumsprozesse und Domars Aussagenuber stabile Depressionslagen konnen in elementarer (verbaler) Weise zu ei-ner Theorie des zyklischen Wachstums zusammengefugt werden, also zu ei-ner Synthese von Konjunktur- und Wachstumsdynamik. Dazu stellen wir unszunachst vor, dass Uberauslastung der Unternehmen im Ausgangspunkt vor-liegt, was gemaß Harrod zu einem sich selbst tragenden, ja sogar sich beschleu-nigenden Aufschwungsprozess fuhrt. Das so erzeugte dynamische Wachstumwird auf Dauer die Wachstumsrate der Erwerbsbevolkerung uberschreiten unddamit zu Engpassen am Arbeitsmarkt wie auch an anderen Faktormarktenfuhren. Allmahlich resultierende Steigerungen bei den Faktorkosten senkendie Profitabilitat der getatigten Investitionen und implizieren (in Erganzungder oben diskutierten Investitionsdeterminanten) eine in der Tendenz nach-lassende Investitionstatigkeit. Gemaß der Multiplikatortheorie fuhrt dies zuBremseffekten bei der Entwicklung des Absatzes und damit der Auslastungder Unternehmungen. Diese Entwicklung bestarkt den Eindruck nachlassen-der Wirtschaftsdynamik und veranlasst die Firmen, ihre Investitionen mehrund mehr einzuschranken, was im Gefolge (erneut gemaß Multiplikatortheo-rie) ihren Absatz mehr und mehr bremst. Dieser Stockungsprozess im Wirt-schaftswachstum setzt sich solange fort, bis der Punkt erreicht ist, wo auchdie Kapitalmarkte auf die sich abzeichnende Flaute reagieren – mit einemAnstieg des fur die Investoren relevanten Marktzinssatzes aufgrund steigen-der Liquiditatspraferenz der Kreditgeber. Wenn dies in ausreichend starkenAusmaß geschieht, ist eine ausgepragte Depression die Folge.

Nimmt man in einer solchen Situation dem Domar–Modell folgend an,dass sich die Investionen bzw. ihre Wachstumsrate auf einem niedrigen Ni-veau stabilisieren konnen (aufgrund des Zwangs, gewisse Investitionsprojekteweiterfuhren zu mussen), so folgt gemaß diesem Ansatz, dass sich die Wirt-schaft bei einem niedrigen Auslastungsgrad stabilisieren wird. Wir habenoben gesehen, dass es endogene Mechanismen geben kann, die einen dyna-mischen Wachstumsprozess zum Erlahmen kommen lassen und einen (obe-ren) Wendepunkt im Konjunkturgeschehen herbeifuhren konnen. Gibt es aberauch in der stabilen Depressionslage des Domar–Ansatzes modellexogene Zu-satzkrafte, die aus dieser Depressionslage wieder herausfuhren konnen? Eine

Page 330: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

6.1 Wachstumstheorie im Gefolge von Keynes’ ‘Allgemeiner Theorie’ 319

mogliche Vorstellung dieser Art kann sich darauf berufen, dass in der Depres-sion einerseits die Entwicklung der Faktorkosten sich wieder umkehren wirdund zudem unprofitabel gewordenes Realkapital vernichtet wird, also die Ab-schreibungsrate des Kapitalstocks durch Firmenzusammenbruche signifikantnach oben geht. Das verbleibende Kapital wird also allmahlich sowohl vonder Profitabilitat wie auch von der Nachfrageseite her besseren Bedingun-gen ausgesetzt sein und somit auch die Investitionstatigkeit sich allmahlichwieder beleben. Die Folge ist, dass der Multiplikatorprozess wieder verstarktzum Absatz der Unternehmungen beitragt. Es kann sein, dass dadurch derPunkt erreicht wird, wo die Liquiditatspraferenz sich zuruckentwickelt undfolglich auch von dieser Seite her fur die Investoren die Signale fur einen neu-en Aufschwung gesetzt werden. Dies ist in aller Kurze die Skizze einer aufAspekten bei Keynes (1936),2 Harrod (1939) und Domar (1946) aufbauendenKonjunktur- und Wachstumstheorie, die die Existenz wiederkehrender Wirt-schaftszyklen primar aus dem Investitionsgeschehen heraus begrundet.3 Essollte offensichtlich sein, dass Basis solcher Uberlegungen Keynes’ Negationdes Sayschen Gesetzes ist und notwendig sein muss. Daruber hinaus gilt aber,dass die Theorie der Investitionsdeterminanten (bislang nur r∗ − πe und V c)noch wesentlich grundlicher angegangen werden muss, soll wirklich eine ge-schlossene Theorie des Konjunkturgeschehens (seiner Auf- und Abschwungeund deren Wendepunkte) sowie der daraus resultierenden Wachstumsprozessemoglich werden. Dies wird in diesem Buch nur ansatzweise geschehen konnen.

6.1.2 Solowsche Wachstumstheorie

Wenden wir uns jetzt noch der neoklassischen Wachstumstheorie zu, die aufdem Solow–Modell4 des wirtschaftlichen Wachstums beruht. In diesem Modellwird in Anlehnung an Harrod und Domars Modellierungen von einer keyne-sianischen Konsum– bzw. Sparfunktion der Form

S = s(Y − δK) = (1− c)(Y − δK)

2 Keynes (1936, Kap. 22) hat das Verhalten der Investoren als die zentrale Ursachedes Konjunkturzyklus herausgestellt und den Nachfrage– und Kapazitatseffektder Investitionen – im Zusammenhang mit dem Zinsmechanismus – fur den Auf-schwung und sein Ende wie auch fur den Abschwung und dessen Wende hin zueinem neuen Aufschwung verantwortlich gemacht.

3 Der Multiplikator-Akzelerator Ansatz ist von Hicks (1950) auf Basis gegebenerWachstumstrends zu einer umfassenden Konjunktur- und Wachstumstheorie aus-gebaut worden, die den Kern der Theorie der Wirtschaftsschwankungen bis zumBeginn der siebziger Jahre ausmachte. Die monetaristische Kritik des Keynesia-nismus hat diesen Ansatz dann aber seiner theoretischen Bedeutung beraubt undstattdessen das Inflationsproblem in den Vordergrund theoretischer Analysen tre-ten lassen.

4 Solow (1956).

Page 331: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

320 6 Keynesianische Wachstumstheorie: Die lange Sicht

als Grundlage der stattfindenden Kapitalakkumulation ausgegangen.5 Wieaber wird die Nachfragelucke Y − δK − C = S = s(Y − δK) im SolowschenWachstumsmodell geschlossen? Einfach per Definition: I ≡ S = s(Y − δK),d.h. alle Ersparnis wird automatisch zur (Direkt–)Investition. Dies ist dieeinfachste Version von Says Gesetz, wo nicht einmal eine explizite Betrach-tung des Zinssatzes r vonnoten ist, um Sparplane und Investitionsplane zurDeckung zu bringen. Die nachfolgende Wachstumstheorie ist damit trotz derVerwendung einer keynesianischen Sparfunktion in ganz entscheidender Weiseneoklassisch und damit angebotsorientiert. Defizitare Guternachfrage in be-zug auf irgendeinen und insbesondere den Vollbeschaftigungsoutput Y ist hierper Definition ausgeschlossen.

Die entscheidende Neuerung des Solow-Modells gegenuber den Modellendes vorausgegangenen Abschnittes ist die Annahme von Substitutionsmoglich-keiten beim Einsatz der Produktionsfaktoren Kapital K und Arbeit L, alsodie Annahme einer neoklassischen Produktionsfunktion wie im neoklassischenBasismodell des Kapitels 2. Damit sollte laut Solow (1956) die entscheidendeFlexibilitat gegeben sein, die das Problem des Wachstums auf des MessersSchneide vermeidbar werden lasst. Um diese neoklassische Wachstumstheoriein ihrer Reichweite hier kurz darzustellen, nehmen wir wie in Abschnitt 2.1des Kapitels 2 an,6 dass die unterstellte neoklassische Produktionsfunktionden dort diskutierten technischen Wandel aufweist, also von der Form

Y = F (K, Len2t)

ist. Arbeit L wachst mit der naturlichen Rate n1 : L = L(0)en1t und KapitalK gemaß der unterstellten Sparfunktion mit der Rate

K = K/K = S/K = s(Y − δK)/K = s(Y/K − δ).

In Erganzung zur obigen Unterstellung des Sayschen Gesetzes nimmt dasSolow–Modell schließlich an, dass Arbeit (und Kapital) stets vollbeschaftigtsind und damit die Faktorangebote in jedem Zeitpunkt den tatsachlichen Out-put determinieren.

Diese Bausteine reichen bereits aus, den Wachstumspfad dieses Modellseindeutig zu bestimmen. Zu diesem Zweck ist das Rechnen in intensivenGroßen, also in geeigneten Relationen, erforderlich. Die folgenden Definitionengesamtwirtschaftlicher Großen in intensiver Form

k = K/(Len2t), y = Y/(Len2t), l = 1/k

sind dabei besonders nutzlich. Sie stellen die Kapitalintensitat k, die Arbeits-intensitat l und die Arbeitsproduktivitat y im Sinne der VGR dar, aber in5 Wie beim Harrod– und Domar–Modell sehen wir hier vom Staatssektor ab.6 Ausfuhrliche Darstellungen der neoklassischen Produktionsfunktion in extensiver

und in intensiver Form findet der Leser in Sargent (1987, Kap. 1/5) und in Jones(1975).

Page 332: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

6.1 Wachstumstheorie im Gefolge von Keynes’ ‘Allgemeiner Theorie’ 321

sog. Effizienzeinheiten gemessen, wo der arbeits(leistungs)vermehrende tech-nische Wandel mit in Rechnung gestellt wird. Bzgl. solcher Relationen ergibtsich dann sofort [k = k/k]:

k = K − n1 − n2 = s(Y/K − δ)− (n1 + n2)= sF (1, Len2t/K)− (sδ + n1 + n2)= sF (1, 1/k)− (sδ + n1 + n2) und somit

k = sf(k)− (sδ + n1 + n2)k, f(k) = F (k, 1).

Die Entwicklung der Kapitalintensitat wird in dieser Wachstumstheorie damitdurch eine einzige Differentialgleichung beschrieben, die sich grafisch wie folgtdarstellen lasst:

Abb. 6.3. Steady State und Stabilitat im Solow–Modell des wirtschaftlichen Wachs-tums

Wie inzwischen gelaufig ist, ist die globale asymptotische Stabilitat der k–Dynamik in bezug auf den Steady State Wert k0 wieder unmittelbar ausdieser Grafik erkennbar. Die Entwicklung der Faktorangebots-Relation k =K/L verlauft damit zwangslaufig so, dass sie stets gegen ein und denselbenstationaren Wert k0 strebt. Fur diesen langfristigen Gleichgewichtswert ko giltdabei:7

7 Die nachstehende Behauptung H ′ < 0 folgt unter Verwendung der Quotienten-regel der Differentialrechnung unmittelbar aus der Eigenschaft f ′(ko)ko < f(ko)der neoklassischen Produktionsfunktion in der obigen intensiven Form.

Page 333: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

322 6 Keynesianische Wachstumstheorie: Die lange Sicht

H(ko) =f(ko)

ko= δ +

n1 + n2

s, H ′ < 0 also ko = H−1(δ + (n1 + n2)/s).

Es folgt, dass die langfristige Kapitalintensitat k0 negativ von den Modellpa-rametern δ, n1, n2 und positiv vom Parameter s abhangt.

Der auf temporaren Vollbeschaftigungslagen basierende Anpassungspro-zess der Kapitalintensitat an ihren langfristigen Wert basiert jedoch allein aufder Dynamik der Faktorangebote und hat damit kaum etwas mit der Evolu-tion temporarer Gleichgewichte des Keynes’schen Basis–Modells des Kapitels2 und der darauf aufbauenden Wachstumstheorie von Harrod und Domar ge-mein. Angenommene Flexibiltat in der Verwendung der ProduktionsfaktorenK und L geht hier einher mit dem Verzicht auf eine eigenstandige Investitions-hypothese und auf dadurch bedingte Unterbeschaftigung. Das Solow–Modellist damit als Kritik des Harrodschen Instabilitatstheorems ungeeignet.

Trotz solcher Kritik kann man aber der Auffassung sein, dass die langfris-tige Position des Solow–Modells eine brauchbare Darstellung des Steady Statekapitalistischer Marktwirtschaften liefert, da sich langfristig die Angebotsseitedurchsetzen wird, also sich folgende Beziehungen einstellen werden:

y0 = f(k0), k0, y0 = const.

Y = K = n1 + n2, L = n1.

Aus n1 + n2 = s(f(k0)/k0 − δ) = s((Y/L)o/(K/L)o − δ) = s((Y/K)o −δ) = s(xo − δ) folgt daruberhinaus, dass die naturliche Wachstumsrate mitder befriedigenden Wachstumsrate s(x − δ) dieses Modells im Steady Stateubereinstimmen muss, also der diesbezugliche fundamentale Gegensatz desHarrod-Modells ebenfalls verschwunden ist.8 Aufgrund der angenommenenVollbeschaftigung des Faktors Arbeit ist dieses Ergebnis aber nicht weiterverwunderlich.

Die neoklassische makrookonomische Verteilungstheorie (vgl. Kapitel 2.3)liefert dazu passend

ω = n2, ρ = const.

Das Solowsche neoklassische Wachstumsmodell liefert damit einen theoreti-schen Rahmen fur die in Abschnitt 2.1 des Kapitels 2 diskutierten Wachs-tumsbeziehungen, und es zeigt damit auch, dass diese nur durch sehr einseitigorientierte Annahmen einfach zu begrunden sind.9 Inwieweit solche Beziehun-gen in einem keynesianischen Kontext gelten konnen, bleibt hier noch abzu-warten. Ersichtlich sollte jedoch sein, dass ein Abrucken vom Sayschen Gesetz,wie es die korrekte Analyse von monetaren Okonomien (mit Geld und Bondsals Finanzaktiva) verlangt, eine erhebliche Schwierigkeit bei der Analyse ihres8 Wobei im Solow Modell zusatzlich noch technischer Wandel und Abschreibung

Berucksichtigung gefunden hat, also bei einem direktem Vergleich mit dem HarrodModell dieses Kapitels die Raten n1, δ gleich Null zu setzen sind.

9 Die Details des Solowschen Modells des wirtschaftlichen Wachstums sind in Man-kiw (1994, Kap. 3/4) ausfuhrlich dargestellt.

Page 334: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

6.2 Das IS-LM-PC Modell als Wachstumsmodell 323

langfristigen Verhaltens darstellen durfte und deshalb Schritt fur Schritt zuentwickeln ist.

6.1.3 Fazit: Textbucher – Endstation Solow–Modell?

Zum Abschluss dieses einleitenden Teils zur keynesianischen Wachstums- undKonjunkturtheorie wollen wir festhalten, dass – von ganz wenigen Ausnahmenabgesehen (Textbucher, die sich nur dem Marktraumungsansatz verpflichtetfuhlen) – die Lehrbuchliteratur fast durchgangig die kurze Sicht auf Basis key-nesianischer IS-LM-Analyse, eventuell mit zeitweiligen Regimewechseln verse-hen,10 darstellt und analysiert, also insbesondere im Rahmen einer monetarenOkonomie. In der langen Sicht herrscht dagegen das realwirtschaftlich ori-entierte Solowsche Wachstumsmodell vor, ohne dass erklart wird, wie des-sen Steady State, geschweige denn dessen Anpassungsprozess an den SteadyState, auf Basis der IS-LM Analyse zustandekommen kann. Diese Lehrbuchersuggerieren somit lediglich, dass die lange Sicht monetarer Okonomien vomIS-LM Typ rein neoklassisch und realwirtschaftlich orientiert verstanden wer-den kann, ohne dafur einen Beweis oder eine ausreichend plausible Erklarunganzubieten. Die korrekte Antwort auf diesen Sachverhalt kann aber nur sein,die keynesianische IS-LM-PC Analyse der mittleren Sicht um Wachstumspro-zesse und die Sicht der langen Sicht anzureichern, um damit zu prufen, wie derSteady State und die Dynamik um ihn herum im Falle einer solchen Geldwirt-schaft aussieht. Dies ist das Thema der jetzt folgenden Abschnitte, die damiteine konsequente Fortfuhrung unserer Analyse der kurzen Sicht (Kapitel 3)und der mittleren Sicht (Kapitel 4) darstellen.

6.2 Das IS-LM-PC Modell als Wachstumsmodell

6.2.1 Bekannte Strukturen und neue Aspekte

Aufbauend auf dem unvollstandig spezifizierten kurz– und mittelfristigen Mo-dell von Dornbusch/Fischer (1995), vgl. hier 4.2, haben wir in Abschnitt 4.3untersucht, was die wirklichen Konsequenzen dieses IS–LM–PC Modells sind,wenn man den Mundell–Effekt Yπe > 0 nicht willkurlich aus diesem Modellherausstreicht, wenn man berucksichtigt, dass die IS–Kurve uber das Investi-tionsverhalten mit dem langfristigen Zinssatz r∗ zu verbinden ist, wahrend inder LM–Kurve der kurzfristige Zinssatz r Verwendung findet (r∗ = b1r + b0,vgl. 4.3.3) und wenn man die Lohn–Phillipskurve dahingehend verbessert,dass Lohndeflation bei ihr ausgeschlossen wird. Dies alles sind aus empi-rischen Grunden zwingende Erganzungen der Modellierung der mittelfristi-gen Inflation–Output–Dynamik bei Dornbusch/Fischer (1995), die dort ein-fach fehlen. Deshalb scheint ein global asymptotisch stabiles sog. DAD–DAS–

10 Man vergleiche hierzu Abschnitt 3.6.2.

Page 335: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

324 6 Keynesianische Wachstumstheorie: Die lange Sicht

Modell dort11 das Endergebnis der Analyse zu sein, welches im keynesiani-schen Gewande detailgenau die im monetaristischen Basismodell erzielten Er-gebnisse widerspiegelt (Abschnitt 4.1). Diese Ergebnisse wirken plausibel, ein-fach und in ihrer Plastizitat sehr uberzeugend, haben allerdings den Nachteil,dass sie im allgemeinen inkorrekt sind, wie wir in 4.3 auf Basis der obigennotwendigen Erganzungen zu Dornbusch/Fischer (1995) der mittleren Sichtzeigen konnten.

Wir wollen in diesem Kapitel diese mittelfristige IS–LM–PC Analyse aufdie lange Sicht ausdehnen. Beim Ubergang von der kurzen zur mittleren Sichthaben wir in Kapitel 3 die Parameter: Geldlohn w, Inflationserwartungen πe

und Geldmenge M des kurzfristigen Modells durch zwei Bewegungsgesetzeund eine Politikregel erklart und damit endogenisiert.12

Beim Ubergang von der mittleren zur langen Sicht sollen jetzt auch Wachs-tumsprozesse (bei den Produktionsfaktoren und beim Output) in die Analysedes IS–LM–PC Modells aufgenommen werden. Wir werden daher die bishe-rigen Daten: Kapitalstock K, Arbeitsangebot L und die fiskalpolitischen Pa-rameter G und T jetzt endogenisieren, d.h. durch Bewegungsgesetze in ihrerzeitlichen Entwicklung beschreiben und damit in die Ablaufanalyse einbezie-hen. Diese Erweiterung der Untersuchung ergibt sich im großen und ganzenin naturlicher Weise aus den bereits bekannten Strukturen und den in derLiteratur ublichen Endogenisierungen der obigen Großen. Wie wir gesehenhaben ist diese Vorgehensweise jedoch nicht die in der (Lehrbuch-) Literaturubliche Vorgehensweise, so dass die im folgenden erzielten Implikationen nichtzum Standard in der makrookonomischen Wachstumsliteratur gezahlt werdenkonnen.13

Gehen wir zunachst auf die Veranderungen ein, die im Wachstumskontextan unserer bisherigen IS–LM–PC Analyse vorgenommen werden mussen. Diefolgenden Gleichungen beschreiben in ihrer Gesamtheit die dann notwendigenAnderungen, wobei wir aber fur die Zwecke dieses Buches einige Vereinfa-chungen vorgenommen haben, die im folgenden noch kurz zu begrunden seinwerden.14

11 Vgl. hier Abschnitt 4.212 Durch die Phillipskurve, adaptive Erwartungen und eine konstante Wachstums-

rate der Geldmenge.13 Eine Ausnahme hiervon bildet Sargents (1987, Kap.5) ‘Dynamische Analyse eines

keynesianischen Modells’, die die Interaktion von Keynes–Effekt, Mundell–Effekt,Phillipskurve, NAIRU und Inflationserwartungen im Kontext eines monetarenWachstumsmodells einerseits zwar formuliert, aber andererseits in wesentlichenPunkten unanalysiert lasst.

14 Da das Arbeitsangebot jetzt einer zeitlichen Veranderung unterworfen ist, entfalltin diesem Kapitel insbesondere der Querstrich uber dem Buchstaben L, wird alsodie Beschaftigtenrate jetzt durch V = Ld/L wiedergegeben.

Page 336: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

6.2 Das IS-LM-PC Modell als Wachstumsmodell 325

Md/p = kY + (h0 − h1r)W, W = K statt Md/p = kY + h0 − h1r (6.1)I/K = i0 + i1(ρ− (r∗ − πe)) statt I = i0 − i1(r∗ − πe) (6.2)

G = gK, T = tK statt G = G, T = T (6.3)

K = K/K = I/K statt K = K (6.4)

L = L/L = n statt L = L (6.5)n = βn(i0 − n), βn > 0 statt n = 0 (6.6)

Gleichung (6.1) verdeutlicht, dass die bisherige Geldnachfragefunktion, was ih-re Zinskomponente angeht, im Wachstumskontext eine vom jeweiligen Standder Vermogens- akkumulation abhangige Bezugskomponente aufweist undaufweisen muss, die wir hier durch das Realvermogen, approximiert durch denRealwert des Kapitalstocks, wiedergeben. Dies geschieht hier deshalb so, ummoglichst eng an der von Dornbusch/Fischer (1995, S.127) benutzten Geld-nachfragefunktion auch im Wachstumskontext bleiben zu konnen. Entspre-chendes gilt fur die Investitionsnachfrage I, die naturlich jetzt relativ zumvorhandenen Kapitalstock zu formulieren ist und in die wir eine hier exoge-ne normale Ertragsrate ρ des Kapitals als Bezugsgroße fur die realen Zinsenr∗−πe aufgenommen haben. Diese Reinterpretationen der bisherigen Parame-terwerte h0, h1, i0, i1 sind notig, da K, W jetzt keine exogenen Großen mehrsind und ‘Profitabilitat’ zumindest als Parameter ρ im InvestitionsverhaltenBerucksichtigung finden sollte.15 Im Wachstumskontext konnen des weiterendie Staatsausgaben G und Pauschalsteuern T nicht mehr konstant sein. Wiebei Geldpolitik (M = µ) wollen wir uns hier mit einfachsten Politikregeln auchbei der Fiskalpolitik begnugen: G/K = const = g und T/K = const = tund das Studium entwickelter Politikszenarien einer spateren Analyse uber-lassen.

Die bisherigen Modifikationen haben lediglich gewisse Verhaltensweisender Wirtschaftssubjekte an Wachstumsprozesse angepasst und dies, wie ge-sagt, fur die Zwecke des Folgenden in moglichst einfacher Form. Die beidenneuen, jetzt folgenden Gleichungen sind dagegen zwingende einfache Erwei-terungen des IS–LM–PC Modells. Im keynesianischen Kontext wachst derKapitalstock gemaß den Investitionsplanen der Unternehmungen (K = I)und das Arbeitsangebot mit einer noch zu spezifizierenden Rate n. Im So-low Modell, vgl. 2.3.2, und anderen neoklassischen Wachstumsmodellen ist esublich, diese Wachstumsrate n als exogen gegeben aufzufassen und fur denFall, dass zwischen Ersparnis S und Investitionen I unterschieden wird, denParameter i0 der obigen Investitionsfunktion I/K durch n festzulegen, vgl.hierzu z.B. Sargent (1973) und Sargent (1987, Kap.5). Im Steady State giltdann K = I/K = L = n und deshalb fur die realen Ertragsraten auf langfris-tige Bonds und Kapital r∗ − πe = ρ. Eine einfache Formulierung des Prozes-

15 Wir betonen hier, dass W zumindest eigentlich noch die Realkasse M/p umfassensollte und ρ eigentlich eine Modellvariable ist, vgl. dazu den spateren Abschnittuber Reallohneffekte.

Page 337: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

326 6 Keynesianische Wachstumstheorie: Die lange Sicht

ses, gemaß dem die Wachstumsrate der Arbeitsbevolkerung Eingang in dasInvestitionsverhalten der Unternehmungen findet (was zunachst als paradoxerscheinen mag), ist die folgende:

i0 = βi0(n− i0), βi0 > 0.

Diese Regel besagt, dass sich der oben unerklarte Trendterm bei den Inves-titionen I/K an den am Arbeitsmarkt erzielten Zuwachsen orientiert unddementsprechend sich anpasst. Im Grenzfall βi0 = ∞ gilt stets i0 = n, unddamit ergibt sich die im Wachstumsrahmen gewunschte neoklassische Inves-titionsfunktion als

I/K = n + i1(ρ− (r∗ − πe)).

Wir wollen im Folgenden diesen Sachverhalt gerade umgekehrt sehen, da wirdie autonome Investition i0 pro Kapitaleinheit als die wirklich unabhangigeVariable betrachten wollen (gewissen ‘animal spirits’ folgend) und unterstellenwerden, dass sich das Arbeitsmarktgeschehen durch Zu– oder Abgange amArbeitsmarkt an diesen Trendterm anpasst, so wie oben in (6.6) formuliert.Und analog zum Grenzfall βi0 = ∞ vereinfachen wir dies fur die Zwecke diesesBuches durch die Annahme βn = ∞, was erneut n = i0 impliziert (mit einerHintergrunddynamik, die n an i0 anpasst und nicht umgekehrt).

Anstelle von (6.5), (6.6) wird also im Folgenden einfach die Gleichung

n = i0 (6.7)

Verwendung finden. Dies ist nicht schlechter, aber unter Umstanden auch nichtviel besser als die umgekehrte Annahme i0 = n(io → n), die im neoklassischenKontext oft Verwendung findet.

Damit haben wir die Anpassung des IS–LM–PC Modells an Wachs-tumsphanomene vollzogen und mussen das derart nur elementar erweiterteModell analog zur Vorgehensweise im Solow–Modell jetzt fur Analysezweckeaufbereiten, d.h. insbesondere seine extensive Darstellung auf intensive Formbringen, also zu geeigneten Relativgroßen oder Wachstumsrelationen uberge-hen. Betrachten wir dazu zunachst erneut das IS–LM–Gleichgewicht Y, r, vgl.die Gleichungen (5.92), (5.93) in 4.3:

Y =i1b1(

Mp− h0)/h1 + i1π

e + δK + G− c(T + δK) + i0 + i1(ρ− b0)

1− c + i1k + ki1b1(6.8)

r =(1− c)(h0 − M

p) + i1kπe + k[δK + G + i0 + i1(ρ− b0)− c(T + δK)]

(1− c)h1 + ki1b1(6.9)

Gemaß der obigen Reformulierung (6.1), (6.2) von Geldnachfrage– und Inves-titionsfunktion sind jetzt anstelle von h0, h1, i0, i1 die Werte h0K, h1K, i0K, i1Kzu verwenden, so dass die Bezugsgroße K jetzt an vielen Stellen in den beidenGleichungen (6.8), (6.9) auftaucht. Mittels der Relationen

x = Y/K, m = M/(pK)

Page 338: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

6.2 Das IS-LM-PC Modell als Wachstumsmodell 327

ergeben diese beiden Gleichungen damit letztendlich in der neuen Notation:

x =i1b1(m− h0)/h1 + i1π

e + δ + g − c(t + δ) + i0 + i1(ρ− b0)

1− c + i1kb1/h1(6.10)

= α0 + α1m + α2πe, α1, α2 > 0

r =(1− c)(h0 −m) + i1kπe + k[δ + g + i0 + i1(ρ− b0)− c(t + δ)]

(1− c)h1 + ki1b1(6.11)

= β0 − β1m + β2πe, β1, β2 > 0

Dies sind die kurzfristigen IS–LM–Gleichgewichtswerte x, r (bei zu jedem Zeit-punkt gegebenem Kapitalstock K), ausgedruckt als Funktionen der Realkassepro Kapitaleinheit m und der Inflationserwartungen πe. Man beachte, dass dieVorzeichen vor den Parametern dieser Variablen erneut wieder den Keynes–Effekt und den Mundell–Effekt jetzt in bezug auf die Variablen x, das Output–Kapital–Verhaltnis, und (wie gewohnt) r, den Nominalzins, zum Ausdruckbringen.

Die kurze Frist (6.10), (6.11) wird gemaß Kapitel 4 erganzt um die dyna-mischen Gleichung der mittleren Frist, vgl. 4.3.1

p = w = βw(V − V ) + πe (6.12)πe = βπe(p− πe) (6.13)

M = µ = const (6.14)

und die langfristigen (neuen) Beziehungen

K = i0 + i1(ρ− (r∗ − πe)), i0 = L = const. (6.15)

sowie die neuen konstanten Parameter t, g zur Kennzeichnung von fiskalpoliti-schen Maßnahmen im jetzigen Wachstumskontext. Wir erinnern an die Defini-tionen von V = Ld/L = Y/y/L und die Gleichung fur r∗ = b0 +b1r. Damit istdie Erweiterung der IS–LM–PC Dynamik um Wachstumsaspekte abgeschlos-sen. Wir betonen, dass technischer Wandel hier noch keine Berucksichtigunggefunden hat.

6.2.2 Das IS–LM–PC–Wachstumsmodell in intensiver Form

Die folgende Analyse der Wachstumsdynamik des soeben eingefuhrten Mo-dells verwendet die folgenden dynamischen Zustandsvariablen

l = L/K, die Vollbeschaftigungs–Arbeitsintensitatm = M/(pK), die Realkasse pro Kapitaleinheitπe = pe, die Inflationserwartungen.

Page 339: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

328 6 Keynesianische Wachstumstheorie: Die lange Sicht

Bzgl. dieser Variablen erhalt man aus den Gleichungen (6.10) – (6.15) wegenl = L− K, m = M − p− K:16

l = −i1(ρ− (r∗ − πe)) (6.16)

m = µ− βw(V − V )− πe − i0 + l (6.17)πe = βπe(βw(V − V )) (6.18)

mit

V = Y/(yL) = x/(yl) und r∗ = b0 + b1r

und x, r wie in den Gleichungen (6.10), (6.11):

x = α0 + α1m + α2πe, r = β0 − β1m + β2π

e.

Durch Einsetzen dieser Beziehungen in die Gleichungen (6.16) – (6.18) erhaltman ein autonomes Differentialgleichungssystem der Dimension 3 in den Va-riablen l, m, πe, welches zudem bis auf die Verwendung von Wachstumsratenl, m anstelle von Zeitableitungen l, m und bis auf den Quotienten

V =α0 + α1m + α2π

e

yl

in den Zustandsvariablen l, m, πe linear ist. Die in V ihren Ausdruck finden-den Nichtlinearitaten m/l, πe/l sind allerdings nicht unbedingt als geringfugiganzusehen.

Untersuchen wir als erstes die Frage nach der Existenz eines okonomischgehaltvollen Steady States (l, m > 0) der Dynamik (6.16) – (6.18). Es gilthier:

Proposition 6.1 Es gibt genau einen Steady State der Dynamik (6.16) –(6.18) mit l 6= 0, m 6= 0. Dieser ist charakterisiert durch:

V0 = V

πe0 = µ− i0

r∗0 = ρ + πe0 = ρ + µ− i0

r0 = (r∗0 − b0)/b1 = (ρ + µ− i0 − b0)/b1

x0 =g − ct + i0

1− c+ δ [= α0 + α1m0 + α2π

e0]

m0 = kx0 + h0 − h1r0 [= (β0 − r0 + β2πe0)/β1]

l0 = x0/(yV ) [ld0 = x0/y]

16 Man beachte, dass L = i0 gilt. Man beachte des weiteren, dass in die Berechnungvon ρ auch eine Art Risikopramie Eingang gefunden haben mag.

Page 340: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

6.2 Das IS-LM-PC Modell als Wachstumsmodell 329

Bemerkung: Hinsichtlich der vorliegenden Parameter nehmen wir an,

1. g ≥ ct2. r0 = (ρ + µ− i0 − b0)/b1 > 03. m0 = kx0 + h0 − h1r0 > 0

Die erste Annahme impliziert xo > 0 und stellt mit den beiden anderenAnnahmen zusammengenommen sicher, dass alle Steady-State-Werte okono-misch gehaltvoll sind.

Zum Beweis von Proposition 6.1: Die ersten vier Steady State Gleichun-gen sind elementare Konsequenz der Bedingungen: l = 0(l 6= 0), m = 0(m 6= 0)und πe = 0. Die Gleichung fur x0 reprasentiert Steady State Gutermarkt-gleichgewicht

xo = c(xo − δ − t) + io + δ + g,

die fur m0 Geldmarktgleichgewicht, und die letzten beiden Gleichungen folgenunmittelbar aus der Bedingung V0 = V der langfristigen Gleichgewichtsposi-tion.

Das dynamische System, das es um die obige Steady- State-Position herumzu analysieren gilt, lautet, auf die Zustandsvariablen l, m, πe reduziert:

l = −i1[ρ− b0 − b1(β0 − β1m + β2πe) + πe], (6.19)

m = µ− βw[(α0 + α1m + α2πe)/(yl)− V ]− πe − i0 + l, (6.20)

πe = βπeβw[(α0 + α1m + α2πe)/(yl)− V ]. (6.21)

Wir werden in den folgenden Abschnitten zunachst die oben nachgewieseneSteady-State-Situation in ihren Eigenschaften naher untersuchen, um darananschließend Stabilitatseigenschaften dieses gleichformigen Wachstumspfadeszu bestimmen. Dabei werden allerdings nur elementar erreichbare Ergebnissein die Betrachtung einbezogen werden.

6.2.3 Steady-State-Analyse

Wir haben in Proposition 6.1 die okonomisch relevante langfristige Steady-State-Position unseres IS–LM–PC Wachstumsmodells bestimmt und wollenderen Eigenschaften jetzt naher untersuchen. Dabei wollen wir als wichtigeKennziffern des Steady State auch noch den Pro–Kopf–Output y0 und denprivaten Pro–Kopf–Konsum c0 ausweisen, die sich aus den in Proposition 6.1angegebenen Werten sehr leicht wie folgt bestimmen lassen:

y0 = Y/L = (Y/K)/(L/K) = x0/l0 = V y

c0 = c(Y − δK − T )/L = c(Y − δK − T )/(L/K)= c(x0 − δ − t)/l0 = c(x0 − δ − t)(yV )/x0

Page 341: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

330 6 Keynesianische Wachstumstheorie: Die lange Sicht

Diese Darstellung impliziert, dass der Pro–Kopf–Konsum c0 sich positiv mitdem Output–Kapital–Verhaltnis x0 verandert (bei konstantem c). Bezuglichdieser und der fruheren Steady-State-Werte beschreibt Tabelle 6.1., wie die-se langfristigen Gleichgewichtspositionen von den Parametern des Modellsabhangen.

Tabelle 6.1. Die komparative Dynamik des keynesianischen Wachstumsmodells

V i0 i1 ρ µ b0 b1 h0 h1 k δ g t c y

V0 + 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

w = p = πe0 0 - 0 0 + 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

x0 0 + 0 0 0 0 0 0 0 0 + + - + 0

ld0 0 + 0 0 0 0 0 0 0 0 + + - + -

l0 - + 0 0 0 0 0 0 0 0 + + - + -

r∗0 0 - 0 + + 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

r0 0 - 0 + + - - 0 0 0 0 0 0 0 0

m0 0 + 0 - - + + + - + + + - + 0

y0 + 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 +

c0 + + 0 0 0 0 0 0 0 0 - + - + +

Die in Tabelle 6.1. dargestellten Reaktionen der Steady-State-Werte auf dieParameterwerte des Modells sind i.a. leicht ermittelbar und sollen jetzt inihren wichtigsten Ergebnissen erortert und veranschaulicht werden. Fur dieseZwecke hilfreich ist die folgende Grafik.

In dieser Grafik bestimmen die IS– oder Gutermarktgleichgewichtskurveund die Zins = Profit–Bedingung KK jeweils eigenstandig das gleichgewichti-ge Output–Kapital–Verhaltnis x0 und den Steady State Wert des kurzfristigenZinssatz r0, wahrend die LM–Kurve – anders als bei der Kurzfristanalyse desKapitels 3 – sich hier so anpassen muss, dass sie durch den Schnittpunkt vonIS– und KK–Kurve verlauft. Auf diese Art wird zu bereits determinierten x0

und r0 die Steady-State-Realkasse pro Kapitaleinheit m0 bestimmt.Es ist unmittelbar ersichtlich, dass die in der IS–Kurve auftretenden Para-

meter die Determinanten des langfristigen Output–Kapital–Verhaltnisses x0

darstellen, welches dementsprechend rein nachfrageseitig festgelegt ist. Furdie Abhangigkeit von x0 von der marginalen Konsumneigung c bekommt mandurch Differentation:

dx0

dc=−(δ + t)(1− c)− (δ + g − c(δ + t) + i0)(−1)

(1− c)2

=g − t + i0(1− c)2

> 0

aufgrund der oben getroffenen Annahmen, d.h. eine Erhohung der marginalenKonsumneigung wirkt wie in der kurzfristigen Analyse expansiv. Und hin-sichtlich einer Variation der exogenen Ausgaben– bzw. Steuergroßen g, i0 und

Page 342: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

6.2 Das IS-LM-PC Modell als Wachstumsmodell 331

Abb. 6.4. Steady-State Gleichgewichtskurven

t gilt wie in der kurzfristigen Analyse die Multiplikatorformel:

dx0

dg=

dx0

di0=

11− c

unddx0

dt= − c

1− c.

Der reale Steady State des fortgefuhrten IS–LM–PC–Modells ist also ebenfallsvon keynesianischen und nicht von neoklassisch/monetaristischen Aspektengepragt.

Geldpolitik in Form einer geanderten Wachstumsrate µ der Geldmenge isthier in dem Sinne superneutral, als durch sie zwar die Inflationsraten p0, w0

und die nominellen Zinsen r∗0 , r0 positiv sowie die Realkasse pro Kapitalein-heit m0 negativ beeinflusst werden, aber dabei alle realen Großen, auch derRealzins, invariant bleiben.

Des weiteren ist festzustellen, dass der Wohlstandsindikator y0, der Outputpro Kopf, hier nur von der NAIRU U = 1 − V und der gegebenen Arbeits-produktivitat y = Y/Ld abhangt, das Modell in dieser Hinsicht als noch ganzeng festgelegt zu interpretieren ist. Fur den anderen Wohlstandsindikator c0,den Pro–Kopf–Konsum, ergibt sich daruber hinaus eine positive Abhangigkeitvom Investitionstrend i0 sowie von g und c und eine negative Abhangigkeitvon t (und δ).

Schließlich bleibt zu vermerken, dass der Beschaftigtengrad V0 – andersals im Modell des Abschnitts 4.4 – noch rein exogen determiniert ist und sichdie Steady-State- Inflationsrate durch die Rate des monetaren Wachstums µund des Trends beim Kapitalstockwachstum i0 ermittelt (als Differenz dieserbeiden Großen). Damit sind die wesentlichen Steady-State-Aussagen unseresWachstumsmodells ermittelt.

Basis dieser Aussagen waren insbesondere die Daten µ, g, t, die in einfachs-ter Art und Weise geld– und fiskalpolitische Regeln im Wachstumskontextzum Ausdruck bringen. Es ist sicherlich unumganglich, bei einer (in diesemBuch nicht mehr geleisteten) Neureflexion des hier vorgelegten Modells eine

Page 343: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

332 6 Keynesianische Wachstumstheorie: Die lange Sicht

gehaltvollere Behandlung der staatlichen Wirtschaftspolitik in einer wachsen-den Wirtschaft vorzunehmen. Im gegenwartigen Text wurde dadurch aller-dings der mit einfachen Mitteln behandelbare Rahmen gesprengt werden.

Des weiteren gibt es auf der Unternehmensseite zwei als exogen gegebenunterstellte Parameter, die diesen Charakter nur vorubergehend haben sollten:der Trendterm i0 bei den Investitionen und der Wachstumsrate des Kapital-stocks und die Referenzprofitrate ρ. Betont sei hier nochmals, dass wir hinterder Vorgabe des Trendterms i0 in einfachster Form einen Anpassungsmecha-nismus vom Typ

n = βn(i0 − n), i0 exogen

sehen, der die Zuwachse am Arbeitsmarkt in Richtung der autonomen Wachs-tumsrate des Kapitalstocks anpasst. Diese autonomen Investitionen pro Ein-heit Kapital werden hier als der eigentliche Motor des Wachstumsgeschehensangesehen. Das Geschehen am Arbeitsmarkt (auf dessen Angebotsseite) hathier keinen Einfluss auf diesen Investitionsfluss und ist hier als sich an die-sen Trend anpassende Variable zu sehen (βn = ∞ : n = i0 im Extrem derobigen Steady State Analyse). Naturlich ist letztendlich auch der Parameteri0 zu endogenisieren und zu erklaren, was jedoch kein einfaches Unterfangendarstellt. Es ist aber unsere Ansicht, dass i0 die zentrale Determinante desWachstumsprozesses darstellt, also solange nichts Besseres zu ihrer Bestim-mung vorliegt, sie als ‘mathematisch unabhangige’ Große der Gesamtdynamikangesehen werden sollte.

Die in der Neoklassik im Wachstumskontext ubliche (implizite) Sichtweiseist demgegenuber

i0 = βi0(n− i0), n exogen,

d.h. das Investitionsgeschehen passt sich letztendlich an das Arbeitsmarktge-schehen an, wobei i.a. ebenfalls der Extremfall βi0 = ∞ : i0 = n unterstelltwird. Eine derartige Sichtweise der Abhangigkeit zwischen dem Wachstumbeim Faktor Kapital und beim Faktor Arbeit halten wir fur weniger uberzeu-gend als die obige alternative Sicht. Welche Wahl man aber hier auch treffenmag, die obige Steady State Analyse und ihre komparative Statik gilt in bei-den Fallen, nur dass im zweiten Fall der Parameter n anstelle des Parametersi0 dann in Tabelle 6.1. stehen muss.

Wir haben in Kapitel 4, Abschnitt 4.3, das um den Mundell–Effekt Yπe > 0vervollstandigte Modell der mittleren Sicht ausfuhrlich diskutiert und es auchum eine einfache Version des Zusammenhangs zwischen Kurz– und Langfrist-zinssatzen erganzt: r∗ = b1r + b0. Wir haben des weiteren in diesem KapitelWachstum der Produktionsfaktoren K = I/K und L = n = i0 in der einemkeynesianischen IS–LM–Modell angemessenen Weise hinzugefugt und die In-vestitionsfunktion sowie die Geldnachfragefunktion in einfachster Form an denSachverhalt einer wachsenden Wirtschaft angepasst. Schließlich sind Geld–und Fiskalpolitik jetzt durch µ, g, t anstelle von M, G, T charakterisiert, alsoebenfalls moglichst einfach fur eine wachsende Wirtschaft reformuliert wor-den. Bis auf die neue, noch exogene Große ρ, die Referenzprofitrate in der

Page 344: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

6.2 Das IS-LM-PC Modell als Wachstumsmodell 333

Investitionsfunktion, ist damit das grundlegende makrookonomische Modellvon Dornbusch–Fischer (1995) der kurzen und mittleren Sicht nur systema-tisch zuendegefuhrt worden und damit die obige Steady-State-Analyse als diezum DAD–DAS–Modell dieser Autoren gehorige lange Sicht zu bezeichnen(mit i0 := n moglicherweise). Ihr mittelfristiges IS–LM–PC Modell muss alsodergestalt eine im wesentlichen zwingende Ausformulierung erfahren.

Dornbusch–Fischer (1995, Kap.10) prasentieren losgelost von einem sol-chen Ausbau ihres Modells das neoklassische Solow–Modell, vgl. hier Ab-schnitt 2.3.2, als Wachstumstheorie, also eine rein reale, keine Nachfrage-beschrankungen kennende Angebotstheorie des wirtschaftlichen Wachstumsals Sicht der langen Frist. Auf der Grundlage der Abb. 6.3. dieses Kapitelsliefert diese Wachstumstheorie die folgende Tabelle komparativ–dynamischerEffekte:

Tabelle 6.2. Die komparative Dynamik des Solow–Modells

s c = 1− s δ n1 n2

x0 = (Y/K)o - + + + +

l0 = (L/K)o - + + + +

k0 = (K/L)o = 1/lo + - - - -

y0 = (Y/L)o = f(ko) + - - - -

c0 = (C/L)o = cf(ko) ± ∓ - - -

Diese Ergebnisse sind leichter ersichtlich, wenn man die Solowsche SteadyState Beziehung, vgl. erneut Abschnitt 2.3.2, wie folgt reformuliert:

sf(ko) = (sδ + n1 + n2)ko ⇔ (sδ + n1 + n2)/s = f(ko)/ko,

f(ko) = F ((K/L)o, 1)

⇔ (sδ + n1 + n2)/s = f(lo),

f(l)o = F (1, (L/K)o)

⇔ ko = f−1(δ + (n1 + n2)/s)

wobei x = f(l) = F (1, L/K), l = L/K wie y = f(k), k = K/L die neoklas-sische Produktionsfunktion in intensiver Form wiedergibt und f wie f einesteigende Funktion, jetzt der Arbeitsintensitat l anstelle des reziproken Wertsk = 1/l, der Kapitalintensitat, ist. Wir betonen, dass die uneindeutigen Er-gebnisse beim Pro–Kopf–Konsum co (in Effizienzeinheiten ausgedruckt) bzgl.der Variation der Konsum- und Sparneigung c, s der Tatsache geschuldet sind,dass die Basis des Pro–Kopf–Konsums, der Pro–Kopf–Output yo gerade um-gekehrt zur Erhohung der Konsum- und Sparneigung reagiert.

Tabelle 6.2. der komparativen dynamischen Effekte im Solow Modell zeigtdurch ihren Umfang an, dass das Solow Modell des wirtschaftlichen Wachs-tums ein sehr eingeschranktes Modell gegenuber dem in Tabelle 6.1. dargestell-

Page 345: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

334 6 Keynesianische Wachstumstheorie: Die lange Sicht

ten monetaren Wachstumsmodell, zeigt aber zugleich auch, dass das Solow–Modell zwei Bausteine aufweist, die im IS–LM–PC Wachstumsmodell nochkeine Berucksichtigung gefunden haben, namlich Substitutionsmoglichkeitenin der Produktion, reprasentiert durch eine neoklassische Produktionsfunkti-on Y = F (K,L), und Harrod–neutraler technologischer Wandel, reprasentiertdurch die Wachstumsrate n2 des Pro–Kopf–Outputs y = Y/L (n1 = n). Wirwerden auf diese weiterfuhrenden Bausteine des Solow Modells im Folgendennoch zuruckkommen mussen.

Das oben Festgestellte soll deshalb hier nur kurz verdeutlichen, dass neo-klassische und keynesianische Wachstumstheorie in ihrer Reichweite deutlichvoneinander verschieden sind. Dennoch muss hier auch zugestanden werden,dass die Steady States des Solow– und des IS–LM–PC Wachstumsmodellseine Reihe von Gemeinsamkeiten aufweisen. Diese kommen besonders deut-lich hervor, wenn man in ersterem Modell n2 = 0 annimmt und in letzteremg = t = 0, also auf gewisse Besonderheiten der jeweiligen Modellbildung ver-zichtet. Auf dieser Basis ergibt sich dann die folgende Vergleichstabelle 6.3:

Tabelle 6.3. Das Solow– und das IS–LM–PC Modell im Vergleich

IS-LM-PC Modell Solow Modell

xo = δ + io/(1− c) xo = δ + n/(1− c), n = n1

lo = xo/(yV ) lo = (f)−1(xo)

ko = 1/lo ko = 1/loyo = y yo = f(ko)

co = cy co = cf(ko)

Ein wesentlicher Unterschied ist demnach die Bestimmung der langfristigenWachstumsrate des Systems (investitionsseitig durch den Trendterm io odervom Arbeitsmarkt her durch die exogenen Zuwachse an diesem Markt mit derRate n). In aller Einfachheit formuliert ist dies sicherlich ein fundamentalerUnterschied zwischen der Keynes’schen Theorie der effektiven Guternachfrageund ihren konjunktur- und wachstumstheoretischen Implikationen (man vgl.hierzu die kurze Darstellung von Keynes’ Notes on the Trade Cycle in Ab-schnitt 6.1.1) und der neoklassischen Theorie des wirtschaftlichen Wachstums.Die gewinnorientierte Unabhangigkeit der Investitionsplanung vom angebots-seitigen Arbeitsmarktgeschehen sollte unseres Erachtens Ausgangspunkt derAnalyse sein, wobei sich beim Fortgang der Untersuchung durchaus Einflussedes Arbeitsmarktes auf das Investitionsgeschehen ergeben mogen. Dies abereben als Konsequenz einer solchen Analyse und nicht wie im Solow Modelldurchgangig auf Basis von Vollbeschaftigungsannahmen. Von der IS-LM Ana-lyse der kurzen Frist herkommend ist dafur kein Anlass gegeben.

Ein weiterer, oft als wichtig erachteter Unterschied liegt darin begrundet,dass auf der linken Seite Tabelle 6.3., nach Festlegung des Output-Kapital

Page 346: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

6.2 Das IS-LM-PC Modell als Wachstumsmodell 335

Verhaltnisses xo sich alle restlichen Beziehungen auf Basis der unterstelltenfixen Koeffizienten in der Produktion ergeben. Auf der rechten Seite ist dem-gegenuber Faktorsubstitution unterstellt und sind damit die restlichen Zu-sammenhange von der neoklassischen Produktionsfunktion in intensiver Formmitbestimmt. Wir werden im Folgenden sehen, dass dieser Modellunterschiednicht sehr wesentlich ist.

6.2.4 Stabilitatsanalyse

Wie wir in Abschnitt 2.3.2 gesehen haben, weist das neoklassische Angebots-modell einer wachsenden Volkswirtschaft neben einer einfachen komparativenDynamik auch ein extrem einfaches Anpassungsverhalten an seinen SteadyState auf, in Form eines global stabilen monotonen Annaherungsprozesses derKapitalintensitat k = K/L an ihren Steady-State-Wert k0. Auch hier wird sichjetzt zeigen, dass dieser Prozess keine Parallele im IS–LM–PC Wachstumsmo-dell keynesianischer Auspragung findet, auch wenn man, wie wir es spater nochkurz darstellen wollen, Substitution zwischen Kapital und Arbeit gemaß ei-ner neoklassischen Produktionsfunktion anstelle der linear–limitationalen Pro-duktionsfunktion dieses Modells zulasst.

Bevor wir mit der Stabilitatsanalyse beginnen, wollen wir kurz auf dafurwichtige komparativ–statische und komparativ–dynamische Resultate einge-hen, die das in Tabelle 6.1. Dargestellte vertiefen.

Proposition 6.2 Fur die Steady-State-Werte der diversen Zinssatze des IS-LM-PC-Wachstumsmodells gelten die folgenden komparativ-dynamischen Aus-sagen:

dr∗0/dµ = 1, d(r∗0 − πe0)/dµ = 0

dr0/dµ = 1/b1, d(r0 − πe0)/dµ = (1− b1)/b1

Proposition 6.2 betrifft zunachst die Steady-State-Nominalzinseffekte r∗0 , r0

einer Veranderung der Wachstumsrate µ der Geldmenge. Wir sehen, dasssich der langfristige Zinssatz um genau den Betrag, um den die Steady StateInflationsrate w0 = p0 = πe

0 = µ ansteigt, erhoht und somit die Inflationvoll in diese Nominalzinsen uberwalzt wird. Der Realzins r∗0 − πe

0 verbleibtdamit unberuhrt auf seinem alten Niveau. Dieses Neutralitatsergebnis wirdin der Literatur nach Irving Fisher der Fisher–Effekt genannt, vgl. dazu auchDornbusch–Fischer (1995, S.602).

In der Beziehungr∗0 = b1r0 + b0

zwischen kurz– und langfristigen Zinssatzen durfte gemaß dem in 4.3.3 Her-geleiteten, vgl. Gleichung (4.68), i.a. b1 < 1 zutreffen. Es folgt, dass derFisher–Effekt nicht gleichzeitig bei den kurzfristigen Zinssatzen zutrifft, dadort gemaß Obigem i.a. dr0/dµ > 1, also d(r0 − πe

0)/dµ > 0 gilt.

Page 347: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

336 6 Keynesianische Wachstumstheorie: Die lange Sicht

Die Beweise dieser Behauptungen sind gemaß dem bei Proposition 6.1Ausgefuhrten elementar und werden deshalb hier ubergangen.

Im Vergleich zu diesen komparativ–dynamischen Uberlegungen gehort dieUntersuchung von Effekten der Anderung von Inflationserwartungen πe aufdie oben betrachteten Zinssatze in den Bereich der Kurzfrist–Analyse oder derkomparativen Statik, da langfristig πe zu den endogenen Variablen gehort. ImRahmen dieser Kurzfrist–Analyse gilt nun:

Proposition 6.3 Sei b1 < 1. Dann gilt:

dr∗/dπe < 1, d(r∗ − πe)/dπe < 0.

Kurzfristig uberwalzen sich Inflationserwartungen πe nicht 1 : 1 in den lang-fristigen Nominalzins r∗, sondern lassen diesen um weniger als die Inflations-erwartung ansteigen, was impliziert, dass der erwartete Realzins r∗ − πe beieinem Anstieg der Inflationserwartungen fallt.

Zum Beweis: Gemaß Gleichung (6.11) gilt dr/dπe = β2 = i1k/((1− c)h1 +b1i1k) < 1/b1, also dr∗/dπe = b1 · dr/dπe < 1.

Auf dieser Basis folgt fur die Jacobi–Matrix J der partiellen Ableitungender rechten Seite des dynamischen Systems (6.19) – (6.21) im Steady State:17

Proposition 6.4 Am Steady State gilt fur das System (6.19) – (6.21):

a.) ll = 0, lm = −i1b1β1 < 0, lπe = −i1(−b1β2 + 1) < 0b.) ml > 0, mm < 0, mπe < 0c.) πe

l < 0, πem > 0, πe

πe > 0

d.h. die damit gebildete Matrix J hat die folgende Vorzeichenstruktur:

J =

0 − −+ − −− + +

Mathematisches Lemma:a.) Bezuglich der Eigenwerte λ1, λ2, λ3 solcher Matrizen J gilt:

detJ = λ1 · λ2 · λ3

spur J = λ1 + λ2 + λ3

b.) Der stationare Punkt des dynamischen Systems (6.19) – (6.21) ist lokalasymptotisch stabil genau dann, wenn fur die Eigenwerte λi, i = 1, 2, 3seiner Jacobischen Matrix J gilt

Re λ1, Re λ2, Re λ3 < 0.

17 Man beachte hier, dass diese Ableitungen sich zum Teil auf Wachstumsraten-gleichungen beziehen, also zur Ermittlung der Jacobischen J des dazugehorigenDifferentialgleichungssystems die betreffende Zeile der Matrix J noch mit demNenner der jeweiligen Wachstumsrate zu multiplizieren ist.

Page 348: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

6.2 Das IS-LM-PC Modell als Wachstumsmodell 337

c.) Notwendige Bedingungen fur solche lokale asymptotische Stabilitat sind:

spur J < 0, det J < 0.

Proposition 6.5 Sei βπe > 0. Dann gilt: det J < 0.

Beweis: Bei der Berechnung von Determinanten durfen ihre Zeilen (undderen Vielfache) von anderen Zeilen abgezogen werden, ohne dass sich dadurchder Wert der Determinante andert. Aus (6.19) – (6.21) ist somit – aufgrund derin diesen Gleichungen sich wiederholenden Terme – ersichtlich, dass Gleichung(6.20) auf die Form m = const − πe gebracht werden kann, ohne dass diesdie Systemdeterminate der betrachteten dynamischen Systeme verandert. DieDeterminante von J kann somit durch den Ausdruck

det

0 − −0 0 −− + +

ermittelt werden. Die Determinante einer solchen Matrix ist aber stets negativ.

Proposition 6.6 Sei βπe = 0. Die Matrix

J =

0 − −+ − −0 0 0

hat zwei Eigenwerte mit negativem Realteil und weist als dritten Eigenwertλ3 = 0 auf.

Man kann damit feststellen, dass bei statischen Inflationserwartungen πe =const = πe

0 die Subdynamik der Variablen l,m lokal asymptotisch stabil ist.Dies sollte nicht verwundern, da βπe = 0 gerade den Mundell–Effekt xπe > 0ausschaltet und somit der Keynes–Effekt xm < 0 : mm < 0 das Ergebnisdominiert.

Proposition 6.7 Sei βπe > 0, aber hinreichend nahe an 0. Dann gilt:

Re λ1, λ2, λ3 < 0, d.h.

das Gesamtsystem (6.19) – (6.21) ist dann lokal asymptotisch stabil.

Beweis: Kleine positive Parameterwerte βπe lassen das Ergebnis von Propo-sition 6.6 hinsichtlich Re λ1, Re λ2 weiterhin Bestand haben, da die Eigen-werte einer Matrix stetig von deren Komponenten abhangen. Wegen βπe > 0gilt aber jetzt det J = λ1λ2λ3 < 0. Dies ist aber nur bei λ3 < 0 moglich, egal,ob λ1, λ2 reell oder konjugiert komplex sind.

Page 349: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

338 6 Keynesianische Wachstumstheorie: Die lange Sicht

Proposition 6.8 Fur hinreichend großen Parameterwert βπe ist der SteadyState von (6.19) – (6.21) lokal instabil.

Beweis: Fur die Spur der Matrix J gilt im Steady State:

spur J = −βwα1/(yl0) + lm + βπeβwα2/(yl0)

wobei lm = −i1b1β1 < 0 gilt. Fur hinreichend kleine βπe ist damit diese Spurnegativ, wahrend sie fur hinreichend große βπe wegen βw, α2, y, l0 > 0 positivwerden muss.

Es folgt, dass der Steady State mit steigender Anpassungsstarke bei denInflationserwartungen seine Stabilitat verlieren muss. Dies ist auf Basis des inKapitel 4 Dargestellten sicherlich nicht verwunderlich, da steigendes βπe dieStarke des destabilisierenden Mundell–Effekts zunehmen lasst.

Geometrisch gesprochen bedeutet dies, dass die Eigenwerte der Matrix Jgrob das folgende Verhalten zeigen mussen, da wegen det J = λ1λ2λ3 < 0 einEigenwert 0 unmoglich ist:18

Abb. 6.5. Eigenwertverlagerungen bei einem Anstieg des Parameters βπe

Der Stabilitatsverlust kann somit nur mit komplexen Eigenwerten einhergehenund ist damit notwendig von zyklischer Natur.

Wir konnen damit im großen und ganzen feststellen, dass sich die Resulta-te der mittelfristigen Analyse des Kapitels 4 auf wachsende Volkswirtschaftenubertragen lassen. Gemeinsamkeiten mit dem global stabilen, monotonen An-passungsprozess des Solowschen Wachstumsmodells sind deshalb i.a. nicht zuerwarten.

Dieses Ergebnis lasst sich noch weiter zuspitzen, wenn man fur die Anpas-sung der naturlichen Wachstumsrate n der Arbeitsbevolkerung an das Wachs-tum des Kapitalstocks sogar18 λ1 der konjugiert komplexe Eigenwert.

Page 350: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

6.2 Das IS-LM-PC Modell als Wachstumsmodell 339

n = βn(I/K − n)

unterstellt und der Einfachheit halber wieder das Extrem βn = ∞ : n = I/Kbetrachtet. Dann folgt unmittelbar

l = n− K = n− I/K = 0,

so dass das Arbeitsangebot dann einfach wie der Kapitalstock (sich an dessenWachstum stets anpassend) wachst. Das dynamische System (6.19) – (6.21)reduziert sich dann zu:19

m = µ− βw[(α0 + α1m + α2πe)/(yl0)− V ]− πe − i0

πe = βπeβw[(α0 + α1m + α2πe)/(yl0)− V ]

fur das sich die obige Analyse genau wie in Kapitel 4 auf zweidimensionaleBasis vereinfacht wiederholen lasst.

Es gibt eine weitere radikal ‘vereinfachte’ Situation, bei der die oben ge-schilderten Stabilitatsprobleme vermieden werden konnen. Diese Situation istdurch eine Ruckkehr zur im Hinblick auf den Mundell–Effekt unvollstandi-gen Modellierung von Dornbusch/Fischer (1995) gekennzeichnet, die wir in4.2 detailliert betrachtet haben und die hier in den Kontext einer wach-senden Okonomie zu ubertragen ist. Im Modell von Dornbusch–Fischer giltb0 = 0, b1 = 1, ρ = 0 und, ganz wichtig, β2 = α2 = 0 [kein Mundell–Effekt],was aber auch bedeutet, dass πe in Gleichung (6.19) ganz entfallt. Die Jaco-bische J im Steady State von (6.19) – (6.21) lautet dann qualitativ gesehen

J =

0 − 0+ − −− + 0

Bei einer solchen Matrix J gilt weiterhin det J < 0 und stets spur J < 0,d.h. die obigen notwendigen Bedingungen fur lokale asymptotische Stabilitatkonnen dann nie verletzt werden.

6.2.5 Fazit

In diesem Abschnitt haben wir die mittelfristige Analyse des IS–LM–PC–Modells auf die lange Frist ausgedehnt, indem wir Bevolkerungswachstum undden Kapazitatseffekt der Investitionen, also das Wachstum des Kapitalstocks,in die Betrachtung aufgenommen sowie die Guter– und Geldmarktgleichge-wichtsbedingung in geeigneter Weise modifiziert haben. Ziel war es u.a., zuuberprufen, inwieweit sich die Ergebnisse mit denen des Solow–Modells inUbereinstimmung bringen lassen oder nicht.

19 l = l0 d.E.h.

Page 351: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

340 6 Keynesianische Wachstumstheorie: Die lange Sicht

In bezug auf den Steady State ist diesbezuglich festzuhalten, dass ein we-sentlicher Unterschied zum Solow–Modell darin zu sehen ist, dass die lang-fristige Wachstumsrate des Systems im IS–LM–PC–Modell durch das als un-abhangig angesehene Trendwachstum der Investitionen festgelegt ist, wahrendim neoklassischen Kontext von Solow die Wachstumsrate der Bevolkerung die-se Funktion ausubte (ggfs. zuzuglich der exogenen Rate des technischen Fort-schritts). Daruber hinaus haben im IS–LM–PC–Wachstumsmodell auch dieFiskalpolitikvariablen g und t einen Einfluss auf reale Steady–State–Variablen,wie beispielsweise den Pro–Kopf–Konsum c0.

Hinsichtlich der Stabilitatseigenschaften des Steady States stellte sich her-aus, dass in Analogie zur Analyse der mittleren Sicht das System seine asym-ptotische Stabilitat (in zyklischer Weise) verliert, wenn die Anpassungsge-schwindigkeit der Inflationserwartungen, βπe, hinreichend groß ist mit derFolge eines starken destabilisierenden Mundell–Effekts. Im Gegensatz zumSolow–Modell ist im IS–LM–PC–Kontext anstelle eines stetigen Wachstums-pfads also eher mit einem zyklischen Wachstum zu rechnen, und dies bezeich-nenderweise umso mehr, je schneller die Wirtschaftssubjekte ihre Inflations-erwartungen korrigieren.

6.3 Lohn- und Preisdynamik: Die Reallohn–Wirkungskette

6.3.1 Problematische Aspekte des IS–LM–PC Wachstumsmodells

Wie wir aus Abschnitt 2.3.2 des zweiten Kapitels wissen und wie auch soebenwieder deutlich geworden sein sollte, ist das Solow–Modell des wirtschaftlichenWachstums ein reines Angebotsmodell in dem Sinne, dass in ihm Kapital Kund Arbeit L stets20 im absoluten Sinne vollbeschaftigt sind, also die Wirt-schaft auch stets ihren maximalen oder absoluten Potentialoutput produziert.Vom Arbeitsmarkt getrieben wachst die Wirtschaft mit der naturlichen (bio-logischen) Rate n:21

Y0 = K0 = L = n

und es ist lediglich das Steady State Output–Kapital–Verhaltnis x0 von einemNachfrageelement abhangig

x0 = (Y/K)0 = δ +n

1− c,

der keynesianischen marginalen Konsumneigung c, wahrend das Verhaltnisk0 = (K/L)0 = 1/l0 durch die Substitutionsmoglichkeiten in der Produktionpassend zu x0 bestimmt wird, man vgl. Tabelle 6.3.

20 Im Steady State wie auch im Anpassungsprozeß dahin.21 Die Rate des technischen Fortschritts n2 = 0 der Einfachheit halber.

Page 352: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

6.3 Lohn- und Preisdynamik: Die Reallohn–Wirkungskette 341

Demgegenuber hat das IS–LM–PC Wachstumsmodell fixe Koeffizientenin der Produktion y = Y/Ld, x = Y p/K, wobei Ld die zum OutputniveauY gehorige Beschaftigung bezeichnet und Y p den zu K gehorigen absolu-ten Potentialoutput. Im Sinne des NAIRU–Beschaftigtengrades V ist Arbeitim Steady State vollbeschaftigt, aber dies eben nicht im absoluten Sinn, daU = 1− V als Vollbeschaftigungs–Arbeitslosenrate den Steady State charak-terisiert: ld0/l0 = (Ld/L)0 = V .

Abseits vom Steady State gilt im IS–LM–PC Modell jedoch, dass das tem-porare IS–LM–Gleichgewicht (6.10), (6.11) in jedem Zeitpunkt den Output Y[und das Output–Kapital Verhaltnis x = Y/K] und damit die BeschaftigungLd = Y/y determiniert, die dann i.a. von der Normalbeschaftigung V L ab-weicht. Momentane Lagen im IS–LM–PC Modell sind damit i.a. durch Unter–oder Uberbeschaftigung gekennzeichnet (Ld < V L bzw. V L < Ld ≤ L) undhaben die im Vorausgegangenen diskutierten dynamischen Konsequenzen.

Diese Darstellung sollte den aufmerksamen Leser aber spatestens jetztstutzen lassen und die Frage aufwerfen, was eigentlich auf seiten der Un-ternehmungen bei der Auslastung des Kapitalstocks im IS–LM–PC Kontextals Sachverhalt vorliegt. Aus keynesianischer Sicht sollte es keineswegs aufVerwunderung stoßen, dass es hier neben Auslastungsschwankungen am Ar-beitsmarkt auch Auslastungsvariation beim Kapitalstock geben muss. Diesezeigen sich kurzfristig in der Tatsache, dass der IS–LM–Output Y in Glei-chung (6.8) i.a. nicht mit dem Potentialoutput Y p = xK ubereinstimmt und,was viel gravierender ist, dass das Auslastungsverhaltnis x = Y/K auch imSteady State nicht dem technologisch vorgegebenen Ausbringungsverhaltnisx = Y p/K entsprechen muss:

x0 = δ +g − ct + i0

1− c6= x.

Diese Sachverhalte wurden sowohl im Dornbusch/Fischer Modell des Ab-schnitts 4.2 als auch in unserem Ausbau dieses Modells zum vollen IS–LM–PCWachstumsmodell vollig ignoriert. Letzteres Modell kann deshalb noch nichtals vollstandig spezifiziert angesehen werden. In Erganzung zum Auslastungs-grad am Arbeitsmarkt V = Ld/L und seinem NAIRU–Niveau V = L∗/Ldefinieren wir auf Basis des Festgestellten

V c = Y/Y p und V c = Y ∗/Y p

den Auslastungsgrad V c der Unternehmungen und sein als exogen angesehe-nes Normalniveau V c ∈ (0, 1). Zu jedem gegebenen Arbeitsangebot L undPotentialoutput Y p gehort damit in jedem Zeitpunkt eine ‘Normalbeschafti-gung’ L∗ und ein Normaloutput Y ∗, wobei jedoch nicht Y ∗ = yL∗ zu geltenbraucht, also Vorgange am Arbeitsmarkt nicht mit Vorgangen in der Auslas-tung der Firmen gleichgeschaltet sein mussen. Dies zeigt sich insbesondere imfolgenden Ausdruck

V c = Y/Y p =yLd

L· L

K· K

Y p= (y/x)V l, (6.22)

Page 353: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

342 6 Keynesianische Wachstumstheorie: Die lange Sicht

der besagt, dass ein Vergleich der Entwicklung von V c und V vom variablenVerhaltnis l = L/K der Faktormengen L/K abhangt, die sich unabhangigvoneinander entwickeln konnen.

Auf Basis des Obigen geht es somit jetzt um die Frage, welche Konse-quenzen die beobachtete Situation x 6= x0 6= x, V c 6= V c fur die mittel– undlangfristige Dynamik haben sollte. Unsere einfache Schlussfolgerung hier ist,dass die bisherige Preisbildungsregel

p = (1 + a)w/y, d.h. ω = y/(1 + a)

zu revidieren ist und Auslastungsprobleme der Firmen deshalb bei der Preis-bildung eine Rolle spielen sollten. Damit durfte der Reallohn ω seinen bis-herigen exogen gegebenen Charakter verlieren und im Konjunkturablauf zuschwanken beginnen, was sicherlich nicht unplausibel ist. Und schließlich giltfur die jeweilige Ertragsrate ρ auf Kapital

ρ =Y − δK − ωLd

K= x(1− ω/y)− δ. (6.23)

Es folgt, dass auch diese Rate nicht mehr, wie in diesem Kapitel in der Formu-lierung der Investitionsfunktion geschehen, exogen vorgegeben werden kann.

Es gilt somit jetzt, die Variablen Auslastung V c = x/x, Reallohn ω undProfitrate ρ in das IS–LM–PC Wachstumsmodell einzubeziehen.

6.3.2 Eine allgemeine Fassung des Lohn–Preis–Sektors

Bis auf die isolierte Analyse einer endogenen Bestimmung der Steady-State-Arbeitslosenrate U0 = 1 − V0 und Unterauslastung U c

0 = 1 − V 0c in der Pro-

duktion in Abschnitt 4.4 des Kapitels 4 sind wir in diesem Kapitel und demvorausgegangenen Kapitel durchgangig von einer Preissetzung der folgendeneinfachen Form ausgegangen (vgl. dazu auch 4.1.4):

AS2 : p = (1 + a)wLd/Y = (1 + a)w/y.

Das Preisniveau wird hier bestimmt durch einen konstanten Aufschlagssatz1+a auf die Lohnstuckkosten wLd/Y bei konstanter Arbeitsproduktivitat y =Y/Ld. Diese Regel erlaubte die Identifikation von Preis– und Lohninflationp = w, was bei der Behandlung dynamischer mittelfristiger Prozesse oft eineangenehme und nutzliche Vereinfachung dargestellt hat. Diese Vereinfachunghat jedoch den gravierenden Nachteil, dass sie annimmt, dass der Reallohnω in der mittleren und langen Frist konstant ist: ω = y/(1 + a), und zwareinfach aufgrund des Preissetzungsverhaltens der Unternehmungen, so dassdiese damit das Reallohnniveau vollstandig kontrollieren.

Es ist aber eine einfache empirische Tatsache, dass Nominallohn w undPreisniveau p sich nicht vollig gleichartig entwickeln, sondern in gewissem Um-fang eine Eigendynamik entfalten. Und aus theoretischer Sicht ist es außerdem

Page 354: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

6.3 Lohn- und Preisdynamik: Die Reallohn–Wirkungskette 343

sehr unbefriedigend zu sehen, dass gemaß Okuns Gesetz die Auslastungsgradevon Arbeit und Kapital, V und V c, konjunkturellen Schwankungen unterwor-fen sind, aber nur der Beschaftigtengrad V gemaß Phillipskurve Effekte auf dieLohngestaltung ausubt, wahrend ein paralleler Einfluss von V c, des Auslas-tungsgrades in der Produktion, auf die Preisgestaltung der Unternehmungengemaß der obigen Aufschlagskalkulation qua Annahme ausgeschlossen ist.

Diesen Mangel gilt es jetzt zu beheben, was in Form der folgenden dyna-mischen Preisbildungsgleichung geschehen soll:22

AS4 : p = βp(V c − V c) + κpw + (1− κp)πe, (6.24)

man vgl. dazu auch Abschnitt 4.1.4 in Kapitel 4.Diese Gleichung enthalt obiges Markup–Pricing als Spezialfall (βp =

0, κp = 1 : p = w), jedoch jetzt in der allgemeineren Form, dass nur ein Teilκp ∈ [0, 1] des momentanen Lohnkostendrucks w unmittelbar in die Preisin-flation eingeht, nunmehr verkoppelt mit einem Inflationsterm, der die mit-telfristige Inflationsentwicklung in Form von Erwartungen erfasst. Im SteadyState sollte V c = V c und p = w = πe gelten, was aufgrund der Wahl derGewichte κp, 1 − κp mit der obigen Gleichung (6.24) kompatibel ist. Außer-halb des Steady States existiert aber nicht nur kostendruckgetriebene Inflati-on, κpw + (1− κp)πe, sondern ist auch ein Nachfragesog–Term, βp(V c − V c),gegenwartig, der die bei gegebener Nachfragesituation Y resultierende Auslas-tung V c der Unternehmungen in ihrer Abweichung von der exogen gegebenenNormalauslastung Vc berucksichtigt, vgl. hierzu erneut Abschnitt 4.1.4.

Gleichung (6.24) ist vom Typ einer Phillipskurve, hier allerdings bezo-gen auf die Guterpreisentwicklung p. Es ist plausibel, die Lohn–Phillipskurveparallel zu der obigen Preis–Phillipskurve zu formulieren:

w = βw(V − V ) + κwp + (1− κw)πe, (6.25)

was noch nicht die allgemeinste Form einer solchen Phillipskurve ist, wiewir in Abschnitt 4.1.3 gesehen haben. Die Terme p, πe stehen erneut furKostendruck–Komponenten (jetzt in bezug auf die Lebenshaltungskosten pder Lohnempfanger), und V − V kennzeichnet wie ublich die Nachfragesitua-tion am Arbeitsmarkt .

Diese beiden dynamischen Gleichungen beschreiben die ‘Lohn–Preis–Spirale’bereits in einer sehr allgemeinen Form. Sie sind wie ublich durch eine Hy-pothese uber die Bildung von Inflationserwartungen zu erganzen, damit dieBeschreibung des Lohn–Preis–Sektors vollstandig wird:23

22 Man vgl. hierzu auch die Modellierung des Lohn-Preis-Sektors in Rose (1980), andie sich unsere Darstellung dieses Sektors anlehnt, mit der sie aber nicht identischist.

23 Vgl. hierzu auch Abschnitt 4.1.6 in Kapitel 4.

Page 355: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

344 6 Keynesianische Wachstumstheorie: Die lange Sicht

πe = βπe([qp + (1− q)(µ− i0)]− πe)= qβπe(p− πe) + (1− q)βπe(µ− i0 − πe). (6.26)

Wir werden im Folgenden erneut nur den Spezialfall q = 1 als adaptiv gebil-dete Inflationserwartungen behandeln. Wir bemerken erneut, dass das grund-legende keynesianische IS–LM–PC Modell des Abschnitts 4.3 auf den Annah-men

κw = 0, βp = 0, κp = 1 und q = 1

beruhte, also durch einen Grenzfall der jetzt folgenden Uberlegungen wieder-gewonnen werden kann.

Die Gleichungen (6.24), (6.25) lassen sich wie folgt in eine Theorie derReal lohndynamik uberfuhren. Zunachst folgt aus ihnen

p− πe = βp(V c − V c) + κp(w − πe)w − πe = βw(V − V ) + κw(p− πe)

Dies ist ein lineares Gleichungssystem in den Variablen p − πe, w − πe derForm (

1 −κp

−κw 1

)(p− πe

w − πe

)=

(βp(V c − V c)βw(V − V )

)

Zur weiteren Behandlung dieses Systems wollen wir im Folgenden stets an-nehmen:Annahme: κp, κw ∈ [0, 1], κpκw < 1.Diese Annahme schließt aus, dass κp = κw = 1 gilt, also eine volle Uberwalzungder Lohne in die Preise:

p = βp(V c − V c) + w

und der Preise in die Lohne

w = βw(V − V ) + p

stattfindet, was eine problematische Extremversion der Lohn–Preis–Spiraledarstellen wurde. Die Reallohndynamik, ω = w − p, ware dann sowohl durchden Arbeitsmarkt isoliert als auch (isoliert) durch den Gutermarkt determi-niert und damit nur bei Gleichschaltung dieser beiden Markte ohne Wider-spruch. Wie angenommen, soll dieser Fall aber im Folgenden ignoriert werden.

Unter dieser Annahme lautet die Losung des obigen Gleichungssystems:(

p− πe

w − πe

)=

11− κpκw

(1 κp

κw 1

)(βp(V c − V c)βw(V − V )

)

oder ausgeschrieben:

p− πe = κ[βp(V c − V c) + κpβw(V − V )] (6.27)w − πe = κ[κwβp(V c − V c) + βw(V − V )] (6.28)

Page 356: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

6.3 Lohn- und Preisdynamik: Die Reallohn–Wirkungskette 345

mit κ = (1 − κpκw)−1. Zieht man von (6.28) Gleichung (6.27) ab, so ergibtsich schließlich als Dynamik des Reallohns ω = w/p:

ω = w − p = κ[(1− κp)βw(V − V )− (1− κw)βp(V c − V c)] (6.29)

Die Gleichungen (6.26), (6.27) und (6.29) stellen die Beschreibung der Dy-namik des Lohn–Preis–Sektors dar, die wir im Folgenden verwenden wol-len. Sie sind Ausdruck der dynamischen Theorie des Angebotspreises (6.24),der Lohninflationsgleichung (6.25) und der vorwarts– und ruckwartsschauen-den Inflationserwartungen (6.26). Und sie besagen, dass Abweichungen derLohn– und Preisinflation, w und p, von den mittelfristigen Inflationserwar-tungen πe mit unterschiedlichen Gewichten jeweils simultan und positiv durchArbeitsmarkt– und Gutermarktungleichgewicht, V −V und V c−V c, bestimmtwerden, wahrend die Entwicklung ω des Reallohns ω positiv vom Arbeitsmark-tungleichgewicht und negativ vom Gutermarktungleichgewicht abhangt.

6.3.3 IS-LM-PC Dynamik: Eine erneute Betrachtung

Das Vorausgegangene hat gezeigt, dass die Modellbildung des Abschnitts 6.1.1dieses Kapitels erganzungsbedurftig ist, und zwar zum einen um eine Theorieder Reallohndynamik der Gestalt

ω = κ[(1− κp)βw(V − V )− (1− κw)βp(V c − V c)] (6.30)

zu erhalten, die auch Auslastungsprobleme am Gutermarkt und deren Einflussauf das Preisniveau, den Nenner des Reallohns berucksichtigt. Parallel zudieser Betrachtungsweise der Reallohndynamik hat sich als Theorie der Preis–Inflation ergeben

p = κ[βp(V c − V c) + κpβw(V − V )] + πe

anstelle der bisherigen Gleichung24

p = w = βw(V − V ) + πe.

Auch die Dynamik des Preisniveaus ist jetzt sowohl von einer Nachfragesog–Komponente V c − V c als auch einer Kostendruck–Komponente V − V , dieuber die Lohninflation wirkt, abhangig.

Fur die Bildung von Inflationserwartungen gilt deshalb jetzt die Gleichung

πe = βπe(p− πe) = βπeκ[βp(V c − V c) + κpβw(V − V )]. (6.31)

Die Akkumulationsgleichung (6.16) des Abschnitts 6.1.2 bleibt im wesentli-chen unverandert:24 p 6= w jetzt!

Page 357: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

346 6 Keynesianische Wachstumstheorie: Die lange Sicht

l = −i1(ρ− (r∗ − πe)), (6.32)

da jetzt lediglich von einer endogen bestimmten Profitrate ρ = x(1−ω/y)− δausgegangen wird an der Stelle der bisherigen exogenen Rate ρ. Und schließlichgilt fur die Dynamik der Realkasse m = M/(pK) jetzt aufgrund der obigenInflationstheorie, man vgl. Gleichung (6.17):

m = µ− κ[βp(V c − V c) + κpβw(V − V )]− πe − i0 + l (6.33)

Diese Gleichungen sind um die temporaren Gleichgewichtsbeziehungen furx, r und r∗ zu erganzen und bilden damit jetzt ein um die Reallohndy-namik erweitertes vierdimensionales dynamisches System anstelle des bis-herigen dreidimensionalen Systems fur die Variablen l,m, πe [Man beachte:V = x/(yl), V c = x/x].

Bei der Bestimmung der temporaren Gleichgewichtswerte x und r [r∗ =b1r + b0!] genugt es, bei deren bisheriger Darstellung (6.10), (6.11) zu beruck-sichtigen, dass dort jetzt von ρ = ρ = x(1 − ω/y) − δ ausgegangen werdenmuss. Dies besagt, dass zur Bestimmung von x der Term x(1−ω/y) ebenfallsauf die linke Seite der Gleichung (6.10) zu schaffen ist, bevor der Nenner in(6.10) gebildet werden kann.

Es ergibt sich damit:

x =i1b1(m− h0)/h1 + i1π

e + δ + g − c(t + δ) + i0 − i1(δ + b0)1− c + i1kb1/h1 − i1(1− ω/y)

(6.34)

und entsprechend fur den Zinssatz r:

r =(1− c)(h0 −m) + i1kπe + k[δ + g + i0 − i1(δ + b0)− c(t + δ)]

(1− c)h1 + i1kb1 − i1k(1− ω/y), (6.35)

man vgl. Gleichung (6.11).Neben Keynes–Effekt xm > 0 (xp < 0!) und Mundell–Effekt xπe > 0 haben

wir damit jetzt einen weiteren Effekt auf das gleichgewichtige Output–KapitalVerhaltnis x:

xω < 0.

Wir wollen diesen Effekt in Anlehnung an Roses (1967) Analyse der Real-lohndynamik den Rose–Effekt nennen, der dort zum Ausdruck brachte, dassdie aggregierte Uberschuss-Nachfrage negativ vom Reallohnniveau abhing,wahrend dasselbe hier fur das IS–LM–Gleichgewicht x = Y/K gilt. DieserEffekt spiegelt die orthodoxe Position in der Wirtschaftspolitik wider, nachder Reallohnsteigerungen primar als Kostensteigerungen wirken und damiteinen negativen Effekt auf die aggregierte Nachfrage (auf dem Wege uber dieInvestitionsguternachfrage) und auf das Gutermarktgleichgewicht ausuben.

Page 358: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

6.3 Lohn- und Preisdynamik: Die Reallohn–Wirkungskette 347

Zusammengefasst sind damit die Auslastungsgrade V, V c von Arbeit undKapital nicht nur dem Keynes– und Mundell–Effekt ausgesetzt, sondern auchdem Reallohneffekt, wodurch die Reallohndynamik mit den restlichen dyna-mischen Gleichungen verbunden wird. Zudem wirkt in Gleichung (6.32) dieReallohndynamik uber die Ertragsrate des Kapitals ρ = x(1 − ω/y) − δ,ρ′(ω) = xω(1 − ω/y) − x/y < 0 negativ auf die Investition und Kapitalak-kumulation ein

K = i1(ρ− (r∗ − πe)) + i0

und damit positiv auf die Wachstumsrate l des Verhaltnisses l = L/K, wiedies aus Gleichung (6.32) ersichtlich ist.

Dergestalt ist letztendlich die Dynamik unseres IS–LM–PC Wachstums-modells, wenn man alle seine Komponenten zufriedenstellend aufeinander ab-stimmt, also alle ihm innewohnenden Ungleichgewichtskomponenten in ihrenKonsequenzen voll ausbuchstabiert. Neben Keynes– und Mundell–Effekt istdann der Rose–Effekt zur Kenntnis zu nehmen, und es ist zu berucksichtigen,dass i.a. sowohl der Faktor Kapital als auch der Faktor Arbeit unter– oderuberausgelastet sein wird und diese beiden Ungleichgewichte zusammen denGang der Handlung bestimmen werden. Es folgt aber auch, dass ein solchesvollstandiges IS–LM–PC Wachstumsmodell fur die Zwecke dieses Buches be-reits zu komplex ist und deshalb in seinen dynamischen Implikationen hiernur unter stark vereinfachenden Annahmen untersucht werden kann. Es istgleichwohl wichtig, die ganze Komplexitat eines hier noch elementaren key-nesianischen Modells der kurzen, mittleren und langen Sicht zur Kenntniszu nehmen, um daran erkennen zu konnen, wann in wirtschaftspolitischenArgumentationen zu unzulassigen Vereinfachungen gegriffen wird. Dabei istes insbesondere wichtig, die drei wichtigsten Einwirkungen der dynamischenVariablen

p oder m = M/(pK), πe und ω = w/p

auf die Outputentwicklung gedanklich als partielle Wirkungsketten wie folgtvoneinander trennen zu konnen:

Keynes–Effekt: p ↑ (m ↓) → r ↑→ r∗ ↑→ I ↓→ Y ↓,Mundell–Effekt: πe ↑→ (r∗ − πe) ↓→ I ↑→ Y ↑,Rose–Effekt: ω ↑→ ρ ↓→ I ↓→ Y ↓ .

Die Lohn–Preis–Interaktion ist damit auf ceteris paribus Basis gedanklichin drei Teilmechanismen aufgegliedert worden, den Preis–Zins–Mechanismus,den Inflationserwartungs–Mechanismus und den Reallohnmechanismus derkeynesianischen Theorie von Output und Beschaftigung und der dazu kor-respondierenden Auslastungsgrade von Kapital und Arbeit. In der dynami-schen Analyse des um den Lohn–Preis–Sektor erweiterten keynesianischenIS–LM–Wachstumsmodells greifen diese Mechanismen naturlich ineinanderund bedingen damit in ihrer jeweiligen Große gemeinsam den Gesamteffektund damit einhergehende mogliche Stabilitatsszenarien.

Page 359: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

348 6 Keynesianische Wachstumstheorie: Die lange Sicht

6.3.4 Faktorsubstitution im IS-LM-PC–Modell

Wertet man das obige allgemeine IS–LM–PC Modell auf seine Steady-State-Ruheposition hin aus, so stoßt man auf ein Problem, welches ein direktesPendant im einfachen Solowschen Wachstumsmodell bei linear–limitationalerProduktionsfunktion hat. Im Solow–Modell gilt bei dieser Produktionsfunk-tion x0 = x = const. (und y = y = const. ), aber andererseits vom Guter-markt her gesehen: x0 = δ + n/(1 − c). Es ist offensichtlich, dass diese bei-den Bedingungen sich widersprechen konnen und damit in dieser Situationdas Solow–Modell keine Steady-State-Position besitzt. Dies ist auch deshalbplausibel, weil bei der unterstellten rigiden Sparfunktion S = s(Y p − δK) dieWachstumsrate des Kapitalstocks durch K/K = S/K = s(x− δ) gegeben ist,wahrend das Arbeitsangebot mit der davon unabhangigen Rate n wachst. EinVollauslastungs–Steady–State ist deshalb nicht mehr moglich, und das Solow-Modell benotigt damit einen zusatzlichen Freiheitsgrad, soll es unter diesenBedingungen wie gehabt funktionieren.

Im obigen IS–LM–PC Modell gilt insofern Ahnliches, als dort die Ausbrin-gung pro Kapitaleinheit x0 allein vom Gutermarktgleichgewicht her gesehenim Steady State wie folgt wieder determiniert ist:

x0 = c(x0 − δ − t) + i0 + δ + g, d.h.

x0 =g − ct + i0

1− c+ δ,

da wegen l = 0 die zusatzlichen ertragsratengesteuerten Investitionen i1(ρ −(r∗ − πe)) im Steady State verschwunden sind. Im Steady State wird aberauch V c = V c gelten, d.h. x0 = V cx, was erneut einen Widerspruch zurobigen Steady State Gutermarktgleichgewichtsbedingung ergibt. Auch hiermuss ein Freiheitsgrad her oder eine zusatzliche Variable eingefuhrt werden,die diesen Widerspruch in der Bestimmung von x0 auflosen kann.

Es kann als glucklicher Umstand angesehen werden, dass dieser Wider-spruch sich wie im Solow Modell durch die Hineinnahme von Substituti-onsmoglichkeiten in der Produktion losen lasst und wir damit zugleich einefruhere Ankundigung einlosen konnen, namlich das IS–LM–PC Wachstums-modell auf die gleiche Verallgemeinerungsstufe wie das Solow–Modell zu stel-len.25

Wie sollte in einem keynesianischen Kontext eine neoklassische Produkti-onsfunktion Berucksichtigung finden? Unsere einfache Antwort ist, dass sie,wie es sein sollte, das Maß fur den Potentialoutput zu liefern hat, allerdingsjetzt nicht mehr in einem rein technologischen Sinn wie bei einer linear–limitationalen Produktionsfunktion.

Gemaß unserer Gleichung (6.30) fur die Reallohndynamik ist dieser in je-dem Zeitpunkt ein Datum, wird aber in der Zeit durch die Ungleichgewichts-positionen an Arbeits– und Gutermarkt beeinflusst und verandert. Was ist die25 Die Hineinnahme von Harrod–neutralem technischem Wandel mit der Rate n2

wird weiter unten Berucksichtigung finden.

Page 360: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

6.3 Lohn- und Preisdynamik: Die Reallohn–Wirkungskette 349

maximale Ausbringung der Unternehmungen, deren Technologie durch eineneoklassische Produktionsfunktion gegeben ist und die mit einem gegebenenReallohn konfrontiert sind?

Man konnte dieses Maximum arbeitsmarktorientiert durch Y p = F (K,L)definieren, wo K den momentanen Kapitalstock und L das momentane Ar-beitsangebot bezeichnet, d.h. man wurde dann Y p als den Vollbeschaftigungs-output definieren. Aber was ist der Fall, wenn das Grenzprodukt der ArbeitFL(K, L) in einer solchen Situation kleiner als der Reallohn ω ist? Wir wissenaus Abschnitt 2.1 aus Kapitel 2, dass eine solche Situation kein Gewinnma-ximum darstellt, da dann die realen Kosten an der Produktionsgrenze großersind als die realen Ertrage und sich durch Einschrankung der Produktion dieGewinne erhohen lassen. Die maximal von den Unternehmen zugelassene Pro-duktion Y p und Beschaftigung Lp ist damit durch die Grenzproduktivitats-theorie determiniert, und zwar ganz im Sinne von Kapitel 2 wie folgt:

ω = FL(K, Lp), Y p = F (K, Lp).

In intensiver Form bedeutet dies

ω = f(lp), lp = Lp/K und xp = f(lp), xp = Y p/K26

oder lp = (f ′)−1(ω) = G(ω) und xp = f((f ′)−1(ω)) = H(ω), wobei G undH fallende Funktionen des Reallohns ω sind. Der in bezug auf ein solchesProfitmaximum in der Produktion bezogene Auslastungsgrad der Unterneh-mungen V c lautet damit in bezug auf den aktuellen Output Y und die aktuelleBeschaftigung Ld wie folgt:

V c = x/xp = Y/Y p = F (K, Ld)/F (K, Lp)

ist also vom Prinzip her genauso wie zuvor definiert, nur dass jetzt das Maßfur Vollauslastung xp anders als fruheres x endogen bestimmt ist und mitsteigendem Reallohn ω sinkt, da die profitmaximale Produktion sich dannverringert.

Unsere Preisinflations–Phillipskurve verandert sich durch diese Reformu-lierung des maximalen Auslastungsgrades außerlich nicht, außer dass V c, wieoben gesehen, nun von x und ω (uber xp) abhangt:

p = βp(V c − V c) + κpw + (1− κp)πe.

Sie besagt weiterhin, dass die Unternehmen die Preise kostenorientiert (w, πe

folgend) verandern und auch vor Erreichung der Vollauslastung V c = 1nachfragesog–bedingt Preisinflation gefordert wird, wenn der als normal er-achtete Auslastungsgrad Vc < 1 uberschritten wird.

Mittels dieser Reinterpretation der Preis–Phillipskurve (6.24) gestaltet sichnun die Bestimmung des Steady States der Dynamik (6.30) – (6.33) wie folgt:

26 K zeigt hier an, dass der Kapitalstock K momentan eine gegebene Große ist.

Page 361: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

350 6 Keynesianische Wachstumstheorie: Die lange Sicht

Alle vier Gleichungen gleich Null gesetzt, zeigt unmittelbar, dass dies nurder Fall sein kann, wenn simultan

V0 = V , V c0 = V c, πe

0 = µ− i0, ρ0 = r∗0 − πe0

erfullt ist. Des weiteren wissen wir nach obigem schon, dass dann das IS–Gleichgewicht durch

x0 =g − ct + i0

1− c+ δ, ld0 = f−1(x0) (6.36)

gegeben ist. Es folgt, dass die Steady-State-Werte

xp0 = x0/V c, xp

0 = f(lp0), f ′(lp0) = ω0

ρ0 = x0 − δ − ω0ld0 , r∗0 = ρ0 + πe

0, r0 = (r∗0 − b0)/b1,

m0LM= kx0 + h0 − h1r0 und l0 = ld0/V

sich sukzessive auseinander bestimmen lassen, wenn man die oben gelistetenprinzipiellen Steady-State-Vorgaben berucksichtigt. Im Vergleich zu Proposi-tion 6.1 aus Abschnitt 6.1.2 ist jetzt die Bestimmung von xp

0, ω0 und ρ0 hin-zugekommen, die die Abkehr von rigidem Reallohn, fixer Profitrate und fixenKoeffizienten in der Produktion widerspiegeln. Daruber hinaus ist lediglichdie Beschaftigung pro Kapitaleinheit ld0 jetzt mittels der Produktionsfunktionx0 = f(ld0) anstelle von yld0 = x0 vorzunehmen.

Wir haben damit die Steady–State-Analyse um Reallohn– und Profitabi-litatseffekte sowie neoklassische Faktorsubstitution erweitert, ohne dass sichetwas fundamental Neues ergeben hat. Die Variablen x0, l

d0 , V0, π

e0, l0 werden

faktisch wie zuvor (qualitativ gesehen) bestimmt, die Variable V c0 unmittelbar

durch Vc und die jetzt neuen Variablen xp0, l

p0 , ω0, ρ0 bedeuten lediglich, dass

die Effekte auf die nominellen Großen r∗0 , r0 und m0 sowie auf den Realzinsr∗0 − πe

0 umfassender geworden sind.Wichtig ist jedoch, dass die neue Reallohnvariable im Steady State in nicht

ganz einfacher Weise durch

ω0 = f ′((f)−1(x0/V c))

zu x0 = (g−ct+i0)/(1−c)+δ zu bestimmen ist und eine fallende Funktion vonx0 darstellt. Wir bemerken, dass sich daraus zumindest im Falle Vc = 1 einepositive Abhangigkeit von ρ0 von x0 herleiten lasst, also eine Steigerung in derwirtschaftlichen Aktivitat die Profitrate steigen lasst. Dies sind die wesentli-chen Erganzungen zur Tabelle 6.1. aus Abschnitt 6.1.3., die durch die wichtigeEinbeziehung von Reallohneffekten, Profitabilitatsgesichtspunkten und (dieseerganzend) Substitutionssachverhalten entstehen.

Page 362: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

6.4 Reale Konjunkturzyklen und endogenes Wachstum 351

Wir bemerken abschließend noch, dass die im Solow Modell schließlichnoch vorhandene Verallgemeinerung auf Harrod–neutralen technischen Wan-del, vgl. Tabelle 6.2., durch Erweiterung der Produktionsfunktion F auf denTyp

Y p = F (K, Len2t)

in der in Kapitel 2, Abschnitt 2.3.2 dargestellten Weise geschehen kann unddamit das Solow–Modell ganz als Substruktur in dem damit gegebenen IS–LM–PC Wachstumsmodell enthalten ist.

6.4 Reale Konjunkturzyklen und endogenes Wachstum

6.4.1 Die neoklassische Theorie realer Konjunkturzyklen

Wie bereits in Abschnitt 4.1.9 ausgefuhrt, bildete sich in den 70–er Jahren mitder Neuen Klassischen Makrookonomik eine Gegenrichtung sowohl zur key-nesianischen als auch zur monetaristischen Sichtweise okonomischer Ablaufeheraus. Bedingt durch die beiden Annahmen sofortiger Marktraumung zu je-dem Zeitpunkt und rationaler Erwartungen der Wirtschaftssubjekte warenim neuklassischen Modellrahmen Schwankungen der wirtschaftlichen Akti-vitat nur noch als Resultat unerwarteter Geldmengenveranderungen denkbar.Anfang der 80–er Jahre jedoch wurden hieran sowohl aus theoretischer alsauch aus empirischer Sicht Zweifel laut, die schließlich zu alternativen Er-klarungsansatzen der nach wie vor beobachtbaren Konjunkturzyklen fuhrten.Diese mundeten in die sog. ‘Real business cycle’–Theorie, als deren wichtigsteReprasentanten u.a. E. Prescott, F. Kydland, R. Barro, C. Nelson und C.Plosser zu nennen sind.

Der Grundgedanke dieses neuen Ansatzes ist darin zu sehen, dass im Ge-gensatz zu den angesprochenen ‘money surprise’–Modellen a la Lucas nichtmehr Geldmengenvariationen, sondern reale Angebotsschocks als Motor kon-junktureller Schwankungen betrachtet wurden. Im Vordergrund steht hierbeidie Wachstumsrate des technischen Fortschritts, von der angenommen wird,dass sie Zufallsschwankungen unterliegt. Bevor auf den konkreten Zufallsme-chanismus eingegangen wird, soll zunachst der Zusammenhang mit bereits be-kannten Ansatzen hergestellt werden, insbesondere mit dem IS–LM–Modell,das sich wie ein roter Faden durch die meisten bisher vorgestellten Denk-ansatze gezogen hat: So war es, wenn auch in jeweils sehr unterschiedlicher Artund Weise, nicht nur in keynesianischen Modellen vertreten, sondern lag eben-so monetaristischen und neuklassischen Betrachtungsweisen zugrunde. Ebensowie letztere geht auch die Real-Business-Cycle–Theorie von rationalen Erwar-tungen und permanenter Marktraumung aus. Da letzteres eine unendlich hohePreisanpassungsgeschwindigkeit voraussetzt, passt sich die LM–Kurve in ihrerLage zu jedem Zeitpunkt so an, dass sie die IS–Kurve im Vollbeschaftigungs-punkt schneidet. Dieser ist jedoch keine feststehende Große mehr, sondern

Page 363: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

352 6 Keynesianische Wachstumstheorie: Die lange Sicht

verschiebt sich infolge der genannten technologischen Schocks. Ein expan-siv wirkender Technologieschock wurde also beispielsweise den Vollbeschafti-gungsoutput von YV B nach Y ′

V B verlagern:

Abb. 6.6. Wirkung eines expansiven Technologieschocks in einem RBC-Modell

Technologisch bedingte Schwankungen des Outputs bewirken also nur Ande-rungen der Produktivitat pro Arbeiter und gegebenenfalls Anderungen des Ar-beitsangebots, nicht dagegen Schwankungen im Beschaftigungsgrad, da stetsVollbeschaftigung herrscht. Dies unterstreicht nachdrucklich die inhaltlicheVerwandtschaft der Real-Business-Cycle–Theorie (RBC) zur Neuklassik, der-zufolge Schwankungen in der Beschaftigung ebenfalls stets ein Vollbeschafti-gungsphanomen darstellten, d.h. in Schwankungen des Arbeitsangebots ihreUrsache hatten.

In bezug auf diesen letzteren Aspekt ist der Hinweis wichtig, dass Neu-klassik wie RBC–Theorie von der Annahme einer intertemporalen Substitu-tion des Arbeitsangebots ausgehen, was bedeutet, dass in Phasen, in denender Reallohn uber demjenigen Niveau liegt, welches von den Arbeitnehmernals normal erachtet wird, das Arbeitsangebot steigt und im Falle eines unter-durchschnittlichen Reallohns zuruckgeht. Da aber auch in diesem intertempo-ralen Kontext zwischen dem geschilderten Substitutionseffekt und dem entge-gengesetzt wirkenden Einkommenseffekt zu unterscheiden ist, muss noch dieFrage geklart werden, welcher der beiden Effekte dominiert. Hierbei geht dieRBC–Theorie davon aus, dass im Falle eines transitorischen positiven Tech-nologieschocks und eines entsprechend hoheren Reallohns der Substitutions-effekt uberwiegt, wahrend bei einer permanenten Erhohung der Wachstums-rate des technischen Fortschritts der zweite Effekt die Oberhand gewinnt.Daruber hinaus ist von Barro eine positive Abhangigkeit des Arbeitsangebotsvom Realzins in die Diskussion gebracht worden, so dass die in Abbildung6.6. dargestellten ‘Vollbeschaftigungsgeraden’ auch eine positive Neigung auf-

Page 364: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

6.4 Reale Konjunkturzyklen und endogenes Wachstum 353

weisen konnten. Wir wollen diese Verfeinerungen hier nicht weiter vertiefen,verweisen in diesem Zusammenhang aber auf die sehr gute Darstellung in demBuch von Snowdon/Vane/Wynarczyk (1994), an dem sich auch die vorliegen-den Ausfuhrungen weitestgehend orientieren.

Als nachstes ist nun die Frage zu klaren, wieso Technologieschocks in derLage sein konnen, zyklische Outputschwankungen zu generieren. Eine solcheMoglichkeit besteht, wenn der Output einem Random–walk (mit Drift) folgt,sich also in der folgenden Weise notieren lasst:

Yt = dt + Yt−1 + ut

mit dt als Drift–Term und ut als Storgroße mit Erwartungswert Null. Genauein solcher Zusammenhang wurde von Nelson und Plosser27 durch empirischeStudien bestatigt, wonach in bezug auf die allgemeinere Gleichung

Yt = dt + bYt−1 + ut

die Hypothese, dass b = 1 gilt, Y also eine Einheitswurzel besitzt, nicht ver-worfen werden konnte.

Inhaltlich hat dieses Ergebnis weitreichende Konsequenzen. Ein b in Hohevon 1 bewirkt namlich, dass ein einmaliger Schock einen permanenten Einflussauf den Output hat und somit unmittelbar seinen Trend beeinflusst.28 Diesaber bedeutet, dass es sich bei den beobachtbaren Schwankungen des Out-puts, also den Konjunkturzyklen, nicht um periodische Abweichungen voneinem konstanten Trend handelt, sondern um Schwankungen dieses Trendsselber. Hierin unterscheidet sich die RBC–Theorie denn auch von allen zuvorbehandelten Denkrichtungen, in denen Konjunkturzyklen stets als Schwan-kungen um einen fest vorgegebenen Wachstumspfad in Erscheinung traten.Demgegenuber ist eine Trennung zwischen Konjunkturtheorie und Wachs-tumstheorie aus RBC–Sicht nicht mehr moglich.

Die Politikimplikationen der RBC–Theorie ahneln stark denjenigen, diesich aus neuklassischen Ansatzen ergeben, insbesondere, was Output– undBeschaftigungsschwankungen angeht, die, da stets freiwilliger Natur, keinerleistaatlicher ‘Korrektur’ bedurfen. Der Hauptunterschied zwischen beiden Rich-tungen liegt, wie bereits erwahnt, darin, welche Ursachen fur diese Schwan-kungen ins Feld gefuhrt werden. Wahrend die Neuklassik unvorhergeseheneUnstetigkeiten im Geldangebot dafur verantwortlich macht, ist Geld in denRBC–Ansatzen vollig neutral. Das ‘Policy–Ineffectiveness’–Resultat der Neu-klassik findet somit in der RBC–Theorie quasi seine Vollendung, da Geld imGegensatz zu neuklassischen, monetaristischen und erst recht keynesianischenSichtweisen auch kurzfristig keinerlei reale Wirkungen entfaltet.

Was den empirischen Befund betrifft, so ist zum einen festzuhalten, dassdas Verhalten des Outputs als Random-walk mit Drift heutzutage weitest-gehend als stilisiertes Faktum angesehen werden kann und somit technolo-gische Schocks, so sie denn auftreten, einen permanenten Einfluss ausuben.27 Vgl. Nelson/Plosser (1982).28 Vgl. auch hier Snowdon/Vane/Wynarczyk (1994, S.241 ff.).

Page 365: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

354 6 Keynesianische Wachstumstheorie: Die lange Sicht

Dies bedeutet im Umkehrschluss jedoch nicht, dass sich die zu beobachtendenOutputschwankungen ausschließlich auf Zufallsschwankungen des technischenFortschritts zuruckfuhren lassen. Vor allem stellt sich die Frage, ob derartigeSchocks nicht auch von der Nachfrageseite ausgehen konnen. Betrachtet maneinmal in einem einfachen AS–AD–Diagramm die unterschiedliche Wirkungvon Nachfrage– und Angebotsschocks,29 so wird schnell ersichtlich, dass dieinduzierten Preisreaktionen jeweils gegensatzlich ausfallen. Abbildung 6.7.azeigt die Auswirkungen eines positiven Angebotsschocks im RBC–Kontext,weswegen hier die AS–Kurve auch vertikal verlauft. Abbildung 6.7.b stelltdemgegenuber die Wirkung eines positiven Nachfrageschocks in einem keyne-sianischen Modellansatz dar, in dem aufgrund kurzfristiger Nominallohnrigi-ditaten die AS–Kurve einen steigenden Verlauf hat.

Abb. 6.7. a) Positiver Angebotsschock im RBC-Kontext. b) Positiver Nachfrage-schock in einem keynesianischen Modell

Wie man sieht, impliziert der RBC–Ansatz ein antizyklisches und der Key-nesianische Ansatz ein prozyklisches Verhalten des Preisniveaus. Dementspre-chend ist der empirische Befund hier naturlich von besonders großem Interesse,scheint andererseits aber nicht eindeutig zu sein, was den Schluss nahelegt,dass in der Realitat wohl beide Arten von Schocks eine Rolle spielen.

Ein ahnliches Problem ergibt sich bei der Frage, ob sich der Reallohnpro– oder antizyklisch verhalt. Der zu beobachtende leicht prozyklische Ver-lauf wirft indes fur die meisten makrookonomischen Modelle Probleme auf.In bezug auf die RBC–Ansatze ist in diesem Zusammenhang festzuhalten,dass diese nur dann mit dem empirischen Befund ubereinstimmen, wenn dasArbeitsangebot sehr stark auf Veranderungen des Reallohns reagiert.

29 Vgl. Snowdon/Vane/Wynarczyk (1994, S.260).

Page 366: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

6.4 Reale Konjunkturzyklen und endogenes Wachstum 355

Abschließend lasst sich sagen, dass der RBC–Theorie sicherlich das Ver-dienst zukommt, aufgezeigt zu haben, dass Konjunkturschwankungen auchdurch vollig andere Krafte verursacht werden konnen, als dies in monetaristi-schen oder keynesianischen Erklarungsansatzen der Fall ist. Auf der anderenSeite sind gegen diese Richtung die gleichen Kritikpunkte anzumerken wiein bezug auf den neuklassischen Ansatz, insbesondere was die Annahme so-fortiger Marktraumung und die Hypothese rationaler Erwartungen angeht.Sicherlich ist kunftig Angebotsschocks eine großere Aufmerksamkeit zu wid-men als bisher; ob sie als alleinige Erklarung konjunktureller Schwankungenausreichen, bleibt dagegen fraglich.

6.4.2 Keynesianische Theorie realer Konjunkturzyklen: EinAusgangspunkt

Wir gehen in diesem Abschnitt d.E.h. wieder von einer linear–limitationalenProduktionsfunktion mit den Daten x = Y p/K und y = Y/Ld aus. Ange-nommen sei aber, dass die Wahl der Technik (mittels hier implizit gehaltenerSubstitutionsprozesse) so stattgefunden hat, dass fur den Steady-State-Wertxo die doppelte Gleichung

x0 = c(x0 − δ − t) + i0 + δ + g = xVc

erfullt ist. Diese Voraussetzung erspart uns die explizite Behandlung vonSubstitutionsprozessen, wie sie in den vorausgegangenen Abschnitten durch-gefuhrt worden ist.

Wir wollen im Folgenden den realen Sektor, also die Reallohn-Wachstums-dynamik ω, l vom monetaren Sektor abkoppeln, um dieses Subsystem frei vonKeynes– und Mundell–Effekten, die wir in Kapitel 4 explizit untersucht haben,studieren zu konnen. Dies geschieht hier auf Basis der Annahmen

b1 = 0 : r∗ = b0 und βπe = ∞ : πe = µ− i0,

aus denen folgt, dass der Realzins r∗ − πe jetzt ein Datum der Analyse ist.Es ist offensichtlich, dass dadurch ein extremer Grenzfall der gesamten Dy-namik betrachtet wird. Die Frage aber, wie der Keynes–Effekt (b1 > 0) undder Mundell–Effekt (βe

π < ∞) diesen realwirtschaftlichen Wachstums– undVerteilungsprozess beeinflussen, muss aufgrund der Komplexitat des dann zubetrachtenden Systems hier offen bleiben.

Gemaß Abschnitt 6.2.3 lautet das zu untersuchende dynamische Systemunter den obigen Annahmen wie folgt [man vgl. dazu die Gleichungen (6.30),(6.32) in 6.2.3]:

ω = κ[(1− κp)βw(V − V )− (1− κw)βp(V c − V c)] (6.37)

l = −i1(ρ− b0 + πe0) (6.38)

Die auftretenden Variablen V, V c und ρ sind dabei jetzt wieder einfach durch

Page 367: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

356 6 Keynesianische Wachstumstheorie: Die lange Sicht

V = x/(yl), V c = x/x und ρ = x(1− ω/y)− δ

gegeben, wobei das IS–LM Gleichgewicht x gemaß obiger Annahmen jetzteinfach durch

x =i1π

e0 + δ + g − c(δ + t) + i0 − i1(δ + b0)

1− c− i1 + i1/y · ω = x(ω), x′ < 0

bestimmt ist. Wir setzen fur das Folgende voraus, dass 1− c− i1 > 0 gilt, wasimpliziert, dass die Funktion x(ω) fur alle ω > 0 wohldefiniert ist: x(∞) = 0.

Wie ublich nehmen wir an, dass die Parameterwerte, die den Zahler imvorstehenden Bruch bestimmen, so sind, dass dieser Zahler positiv ist, worausx(0) > 0 folgt. Das IS–LM–gleichgewichtige Output–Kapital–Verhaltnis x istdamit eine streng fallende Funktion des Reallohns ω in den Grenzen [0, x(0)].Es folgt, dass auch die Profitrate ρ = x(1 − ω/y) − δ eine fallende Funktiondes Reallohns ist

ρ′(ω) = x′(ω)(1− ω/y)− x/y,

mindestens solange ω ≤ y gilt,30 solange also der Reallohn das Pro–Kopf–Produkt y nicht ubertrifft, was aus okonomischen Grunden eine absoluteGrenze fur eine zulassige Einkommensverteilung darstellt.

Der (innere)31 Steady State der Wachstumsdynamik (6.37), (6.38) ergibtsich durch Nullsetzen dieser Gleichungen als:

l = 0 : ⇒ i1(·) = 0 ⇒ x = x0 = x

⇒ x(1− ω0/y) = δ + πe0 − b0

⇒ ω0 = y(1− δ + πe0 − b0

x) = (y/x)(x + b0 − δ − πe

0)

l = 0, ω = 0 : ⇒ V0 = V = (x/y)/l0 ⇒ l0 = x/(yV ).

Dieser Steady State ist unter empirisch plausiblen Annahmen strikt positiv.

Proposition 6.9 Fur die Matrix J der partiellen Ableitungen des Differen-tialgleichungssystems (6.37), (6.38) gilt im Steady State:

J11 = [κ((1− κp)βw/(yl0)ω0 − (1− κw)βpω0/x)]xω

J12 = −κ(1− κp)βw(x0/y)ω0/l20 < 0 fur κp < 1J21 = −i1ρ

′(ω0)l0 < 0J22 = 0

Es folgt det J > 0 und spur J = J11.

Zum Beweis: Elementar. Man beachte beim Beweis, dass das System (6.37),(6.38) erst auf die Form ω = . . . , l = . . . gebracht werden muss, was beim30 Der Anteil der Lohne am BSP ist bei y = ω gleich 1!31 ω0 > 0, l0 > 0.

Page 368: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

6.4 Reale Konjunkturzyklen und endogenes Wachstum 357

Differenzieren der rechten Seiten die Anwendung der Produktregel verlangt.Diese wird jedoch im Steady State sehr vereinfacht, da stets einer der bei ihrauftretenden Summanden gleich Null sein muss.

Proposition 6.9 zeigt, dass der okonomisch gehaltvolle Steady State unsererWachstumsdynamik (6.37), (6.38) lokal asymptotisch stabil ist, genau dann,wenn

(1− κp)βw − (1− κw)βp > 0

ist, da wegen xω < 0 (und yl0 = x) genau dann J11 < 0 gilt. Wie bei unsererStabilitatsanalyse in Abschnitt 6.1.4 verliert das System bei

βHw =

1− κw

1− κpβp (κp < 1)

seine Stabilitat auf zyklische Art und Weise, da wegen det J > 0 die zwei jetztnur noch vorhandenen Eigenwerte λ1, λ2 wie dort an diesem ParameterwertβH

w die imaginare Achse von links nach rechts passieren, wenn βw unter dasNiveau von βH

w von oben kommend sinkt. Das System verliert somit seinelokale asymptotische Stabilitat, wenn die Lohnflexibilitat βw in bezug auf dasArbeitsmarktungleichgewicht V − V hinreichend stark abnimmt oder, um-gekehrt gesehen, wenn zu gegebenem βw die Preisflexibilitat βp hinreichendstark zunimmt (> 1−κp

1−κpβw). Man ersieht, dass diese Aussagen auf der Be-

trachtung von Situationen mit κp < 1, κw < 1 beruhen, also auf Situationen,wo die laufende Kostendrucksituation p, w bei Lohnempfangern bzw. Firmennicht voll auf die Wachstumsrate der Lohne bzw. der Preise durchschlagt, vgl.hierzu Abschnitt 6.2.2. Gilt stattdessen κw = 1, κp < 1, so ist der SteadyState ω0, l0 stets stabil, wahrend er im umgekehrten Fall κw < 1, κp = 1 stetsinstabil ist.32 Als okonomisches Fazit bekommen wir damit insgesamt, dassin dem betrachteten Modell Lohnflexibilitat gut und Preisflexibilitat schlechtfur lokale Stabilitat ist.

Dieses im Grundsatzlichen orthodoxe Resultat ist insofern nicht verwun-derlich, als es auf der orthodoxen Position beruht, dass der gleichgewichtigeOutput Y (und damit das Output–Kapital–Verhaltnis x) negativ vom Real-lohn ω abhangt, da der Reallohn nur als Kostenfaktor (bei den Investitionen)auftritt. Unterbeschaftigung und Unterauslastung der Firmen fuhrt dann beitragen Lohnen und sehr flexiblen Preisen zur folgenden Reallohnanpassung

w ↓, p ↓↓⇒ ω ↑⇒ x ↓,

also zu einer falschen, die Depression verscharfenden Anpassung von Reallohnω und Output/Kapital-Verhaltnis x.

Da Lohnflexibilitat fur Stabilitat forderlich ist, wollen wir hier zum ersten(und einzigen) Mal eine nichtlineare Reaktionshypothese in unsere Modellie-rung wirtschaftlicher Dynamik einbeziehen, mit der im Falle lokaler Insta-bilitat globale Stabilitat, d.h. die Begrenztheit der Dynamik in einem oko-32 Der Fall κw = κp = 1 ist gemaß fruherem aus der Betrachtung ausgeschlossen.

Page 369: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

358 6 Keynesianische Wachstumstheorie: Die lange Sicht

nomisch relevanten Teil des (ω, l)–Phasenraums sichergestellt werden kann.Diese Annahme lautet grafisch wiedergegeben wie folgt:

Abb. 6.8. Nichtlineare Nachfragesog–Wirkungen in der Lohn–Phillipskurve

Diese Beziehung tritt an die Stelle der linearen Beziehung βw(V − V ). Sie be-sagt, dass die Lohne w nahe am Steady State V relativ inflexibel sein mogen,dass ihre Flexibilitat aber zunimmt, je weiter man sich vom Steady Stateentfernt und dass sie in der Nahe der Beschaftigungsgrade Va, Vb sehr flexi-bel (unendlich flexibel d.E.h.) auf Unterbeschaftigung V < V (w ↓) bzw. aufUberbeschaftigung V > V (w ↑) reagieren.

Wir wollen im Folgenden die Situation untersuchen, wo der Steady Statelokal instabil ist, wo also

βp > βw(V ) · 1− κp

1− κw, κw < 1

erfullt ist. Zu zeigen wird sein, dass bei Annahme von κp < 1 diese lokale Insta-bilitat global gesehen zu einer endogenen Konjunktur innerhalb der GrenzenVa < Vb des Beschaftigtengrades V fuhrt, also persistente Zyklen dann vorlie-gen, die alle anderen dynamischen Verlaufe attrahieren. Eine Beweisfuhrungin diese Richtung kann hier allerdings nur mit grafischen, mathematisch nichtganz zwingenden Argumenten durchgefuhrt werden, da eine formale Anwen-dung des sog. Theorems von Poincare–Bendixson hier aus Grunden der Ein-fachheit unterbleiben muss.

Bestimmen wir zu diesem Zweck zunachst die partiellen Gleichgewichts-kurven oder Isoklinen dieses nichtlinearen autonomen Differentialgleichungs-systems fur die Variablen ω und l. Sie lauten (κw, κp < 1):

Page 370: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

6.4 Reale Konjunkturzyklen und endogenes Wachstum 359

ω = 0 : βw(V ) =1− κw

1− κpβp(V c − V c), d.h.

V =x

yl= β−1

w

(1− κw

1− κpβp(V c − V c)

)oder

l =x/y

β−1w ( 1−κw

1−κpβp(x

x − V c))

l = 0 : ρ = b0 − πe0, x = c(x− δ − t) + i0 + δ + g, d.h.

x = x und ω0 =y

x(x + b0 − δ − πe

0)

Die erste Isokline ist im Falle κw < 1 eine Funktion von x und damit vonω, deren Steigung unklar ist. Im Falle κw = 1 ist, wie wir wissen, der SteadyState lokal asymptotisch stabil, was einen Fall reprasentiert, den wir hier nichtbetrachten wollen (β−1

w (0) = V : l = x/(yV )).Neben diesen beiden Isoklinen sind fur die grafische Darstellung die fol-

genden beiden Hilfskurven sehr wichtig:

V = Va : l =x/y

Va, V = Vb : l =

x/y

Vb, x = x(ω), x′ < 0.

Gemaß der obigen nichtlinearen Gestalt des Nachfragesog–Terms der Lohn–Phillipskurve gilt bei V = Va:

ω = w − p << 0 (= −∞)

und bei V = Vb:ω = w − p >> 0 (= +∞),

da die Lohnreaktion dann auf jeden Fall die Preisreaktion dominiert. DieseSachverhalte liefern wegen x′(ω) < 0, x(0) > 0, x(∞) = 0 die folgende phasen-diagrammatische Darstellung. Man beachte hierbei, dass aufgrund der Formder βw–Funktion

x/y

Vb< l =

x/y

β−1w ( 1−κw

1−κpβp(

x(ω)x − V c))

<x/y

Vb

erfullt sein muss, die ω = 0–Isokline somit ‘irgendwie’ zwischen den KurvenV = Va und V = Vb verlaufen muss. Die eingetragenen Anpassungsrichtungenfur ω und l sind gemaß Obigem und aus den Gleichungen (6.37), (6.38) leichtersichtlich.

Das folgende Phasendiagramm suggeriert, dass die Reallohn–Arbeitsinten-sitats–Interaktion den dunkel unterlegten Teil des Phasendiagramms nichtverlassen kann und damit in diesem Bereich von persistenter zyklischer Natursein muss.Eine detaillierte mathematische Erorterung der hinter Abb. 6.9. stehendenBeziehungen liefert daruberhinaus (ohne dass wir dies hier zeigen konnen)

Page 371: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

360 6 Keynesianische Wachstumstheorie: Die lange Sicht

Abb. 6.9. Das Phasendiagramm des realen keynesianischen Wachstumsmodells

Abb. 6.10. Ein Beschaftigungszyklus vom Rose(1967)–Typ

im gepunkteten Bereich die Existenz eines sog. Grenzzyklus und damit diefolgende Situation:

Abbildung 6.10. stellt einen geschlossenen Orbit im ω, l–Phasenraum dar,der alle anderen zulassigen Bahnkurven in diesem Phasenraum attrahiert. Al-le Dynamik wird also nach einer gewissen Zeit in der Nahe dieses persistentenZyklus verlaufen und somit dann im wesentlichen mit diesem deckungsgleichsein. Dies sollte aufgrund des in Abb. 6.9. Dargestellten intuitiv klar sein,wobei aufgrund der in Abb. 6.8. gezeigten Gestalt fur βw(V ) auch einleuch-tend sein konnte, dass dieser attrahierende Zyklus eindeutig bestimmt ist unddamit wirklich global asymptotisch stabil ist (fur alle okonomisch relevantenStartsituationen). Anstelle eines global stabilen Steady States ω0, l0 haben wirhier somit einen lokal instabilen Steady State vorliegen, der von einer persis-tenten Schwingung umgeben ist. Damit ist ein dynamisches Modell gegeben,

Page 372: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

6.4 Reale Konjunkturzyklen und endogenes Wachstum 361

das aus sich heraus, ohne exogene Shocks zu benotigen, einen Konjunkturzy-klus generiert.

6.4.3 Endogenes Wachstum im neoklassischen Wachstumsmodell

Blicken wir noch einmal auf das in Abschnitt 6.1.2 behandelte neoklassischeSolow–Modell zuruck, in welchem wir technischen Wandel explizit berucksich-tigt haben, so war dieser dort exogen gegeben, was angesichts seiner Schlussel-rolle, die er in bezug auf wohlfahrtsrelevante Großen wie das Pro–Kopf–Einkommen und – noch entscheidender – den Pro–Kopf–Konsum im SteadyState dieses Modells spielt, unbefriedigend erscheinen muss. Denn, wie wir unserinnern, war die Wachstumsrate der zuletzt genannten Variablen im SteadyState gerade durch die Rate des technischen Fortschritts bestimmt. Nicht min-der unbefriedigend muss aus theoretischer Sicht der Umstand erscheinen, dassdie Wachstumsrate beispielsweise des Pro–Kopf–Outputs unabhangig von derErsparnisbildung und Investitionstatigkeit in der betrachteten Okonomie ist;das Wachstum des Wohlstandes eines Landes erscheint demnach durch Wahl-handlungen der Wirtschaftssubjekte nicht beeinflussbar zu sein (und auchnicht durch Maßnahmen der Regierung).

Hinzu kommen Probleme auf empirischer Ebene, die gemaß Mankiw (1994)auf drei Ebenen anzusiedeln sind. Zum einen konnen im Rahmen des Solow–Modells die international beobachtbaren Unterschiede in der Sparquote unddem Bevolkerungswachstum nicht die gewaltigen Unterschiede im Pro–Kopf–Einkommen erklaren. Zum anderen wird die Konvergenzrate, also die Ge-schwindigkeit, mit der eine Okonomie ihrem jeweiligen Steady–State zu-strebt, durch das Solow–Modell systematisch uberschatzt. Schließlich muss-ten gemaß Solow–Modell gerade unterentwickelte Volkswirtschaften, derenSteady–State–Werte in bezug auf Kapitalintensitat und Output pro Effizi-enzeinheit also im internationalen Vergleich als stark unterdurchschnittlicheinzustufen sind, sehr hohe Kapitalrenditen aufweisen, was einen enormenKapitalfluss von den hochentwickelten zu den unterentwickelten Landern in-duzieren musste; beides jedoch ist in der Realitat zumindest nicht in denentsprechenden Ausmaßen beobachtbar.

Zwar ist bei all diesen Betrachtungen zu berucksichtigen, dass die Schatzungeiner Schlusselvariablen, namlich der Elastizitat des Outputs pro Effizienzein-heit in bezug auf die Kapitalintensitat pro Effizienzeinheit gemaß Grenzpro-duktivitatstheorie uber die Gewinnquote erfolgte, was angesichts der in diesemBuch bereits angefuhrten Vorbehalte gegenuber der Grenzproduktivitatstheo-rie nicht unproblematisch ist. Auf der anderen Seite ist es aber das Solow–Modell selbst, das auf dieser Annahme basiert, so dass bei einer empirischenUberprufung desselben die genannte Annahme gerechtfertigt ist. Die Ergeb-nisse belegen daher klar, dass einige Implikationen des Solow–Modells mitempirischen Beobachtungen nicht in Ubereinstimmung zu bringen sind.

Angesichts dieser theoretischen und empirischen Defizite wurden nun seitungefahr Mitte der 1980er Jahre Anstrengungen unternommen, die auf eine

Page 373: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

362 6 Keynesianische Wachstumstheorie: Die lange Sicht

Endogenisierung der Rate des technischen Fortschritts abzielten. Obwohl diezahlreichen Ansatze33, die sich dieser Thematik widmen, inhaltlich z.T. starkdifferieren, lassen sich doch zumindest zwei Merkmale nennen, die sich invielen dieser Modelle in der einen oder anderen konkreten Ausformulierungfinden lassen:

• Zum einen die Existenz einer ‘Produktionsfunktion’ fur Technologie bzw.Humankapital

• zum anderen das Vorhandensein positiver externer Effekte des in einerGesellschaft insgesamt vorhandenen Wissens bzw. Technologie–Levels.

Hierbei reichen die ersten Ansatze zuruck bis in die sechziger Jahre. So thema-tisieren Modelle von Arrow (1962), Sheshinski (1967) und anderen die genann-ten Externalitaten, wahrend Uzawa (1965), Phelps (1966) und Shell (1967) ihrAugenmerk auf die Technologie–Produktionsfunktion richteten. Allerdings istes nur der Ansatz von Uzawa, der eine konstante Rate des technischen Fort-schritts unabhangig vom Bevolkerungswachstum ermoglicht.

Die neueren Ansatze unterscheiden sich von ihren Vorgangern nun vor al-lem darin, dass sie versuchen, die hinter den Innovationen stehenden mikrooko-nomischen Entscheidungsgrundlagen offenzulegen. Dies betrifft zum einen diejeweils nutzenoptimale Entscheidung der Wirtschaftssubjekte uber die Auf-teilung ihres Einkommens auf Konsum und Ersparnis sowie daruber, wievielZeit auf die Akkumulation von Humankapital verwendet werden soll. Zum an-deren geht es, soweit externe Effekte des technologischen Standes mit im Spielsind, um die Frage nach dem Patentschutz in der jeweils betrachteten Volks-wirtschaft, dessen Umfang maßgeblich daruber entscheidet, inwieweit sich eintechnologischer Vorsprung fur die einzelne Firma in Form einer zumindestzeitweiligen Monopolstellung auszahlt.

Im folgenden wollen wir kurz ein solches Modell in seinen Grundzugen be-trachten, welches sowohl eine Technologie–Produktionsfunktion vom Uzawa–Typ als auch Externalitaten in einer ahnlichen Form enthalt, wie sie Romer(1986) in einem seiner Modelle verwendet hat. Die Synthese selber stammtvon Lucas (1988). Mit der Variablen A wird im folgenden der Stand der Tech-nik bezeichnet, mit L1 der Arbeitsinput im Produktionssektor und mit L2 dieim Technologiesektor geleistete Arbeit. Letzterer ist durch folgende Produk-tionsfunktion gekennzeichnet:

A = η(L2

L),

wobei η eine Konstante ist. Der Guterproduktion liegt folgende Beziehungzugrunde:

Y = Kβ(AL1)1−βAγ ,

33 Eine Ubersicht findet sich u.a. in Schneider/Ziesemer (1994), woran sich auch dievorliegenden Ausfuhrungen in weiten Teilen orientieren.

Page 374: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

6.4 Reale Konjunkturzyklen und endogenes Wachstum 363

wobei Aγ gerade fur den positiven externen Effekt des technischen Wissens-standes steht und A·L1 die Anzahl der jeweils direkt eingesetzten Effizienzein-heiten im Produktionssektor darstellt. Die Praferenzen der Wirtschaftssubjek-te sind durch eine intertemporale Nutzenfunktion, etwa der folgenden Form34

U =∫ ∞

0

e−ρt c(t)1−σ

1− σdt

gegeben, mit c(t) als Pro–Kopf–Konsum im Zeitpunkt t, mit ρ als Diskontfak-tor und σ als Maß, mit dem sich die intertemporale Substitutionselastizitatermitteln lasst. In dieser Nutzenfunktion spiegelt sich also der Trade–off zwi-schen heutigem und kunftigem Konsum wider. Die Wirtschaftssubjekte versu-chen nun, ihren Konsumpfad c(t) sowie den Anteil der im Produktionssektoreingesetzten Arbeitszeit, u(t) := L1(t)

L(t) , so zu wahlen, dass die Zielfunktion U

maximiert wird. Mit dem Ergebnis, also den optimalen Zeitpfaden c∗(t) undu∗(t), ist dann auch die Wachstumsrate A des Humankapitals bzw. Techno-logiestandes bestimmt.

Im Unterschied zum Solow–Modell ist diese Rate des technischen Fort-schritts jetzt also Resultat eines dynamischen Optimierungskalkuls der Wirt-schaftssubjekte. Ware demgegenuber das Einsatzverhaltnis u = L1

L eine Kon-stante und ferner γ = 0 (keine Externalitat), so lage das Solow–Modell wiederin seiner ursprunglichen Form vor. Geandert hat sich somit nicht die Konstanzder Wachstumsrate im Steady State, sondern ihre Herleitung aus individuellenWahlhandlungen der Wirtschaftssubjekte.

Ein weiterer Punkt ist es wert, in diesem Zusammenhang Erwahnung zufinden. Da im ursprunglichen Solow–Modell von einer exogen gegebenen Spar-quote ausgegangen wurde, die ubrigens das einzig ‘keynesianische’ Element indiesem ansonsten vollstandig neoklassischen Kontext darstellt, war der SteadyState im allgemeinen ineffizient, da in ihm der entscheidende Wohlstandsin-dikator, namlich der Pro–Kopf–Konsum (bzw. sein in geeigneter Weise abdis-kontierter Barwert), ublicherweise nicht maximal war. Die Endogenisierungder Konsum– und damit auch der Sparentscheidung im Lucas–Modell sorgtnun dafur, dass auch dieser letzte Schonheitsfehler aus der ansonsten harmo-nischen neoklassischen Welt verschwindet. Die ‘goldene Regel der Akkumu-lation’, die im Solow–Modell Bedingungen fur einen effizienten Steady–Stateliefert, ist also im Lucas–Modell stets erfullt, zumindest solange die Externa-litat (Aγ) des technologischen Wissens unberucksichtigt bleibt.

Ist diese Externalitat jedoch vorhanden, (γ > 0), ergibt sich erneut eineIneffizienz, da im Unterschied zu einem ‘Social planner’ die einzelnen Wirt-schaftssubjekte bei ihrer Nutzenmaximierung den externen Effekt ihrer je-34 Wir verwenden hier der Anschaulichkeit halber eine ‘CIES (constant inter-

temporal elasticity of substitution)’–Nutzenfunktion in Anlehnung an Schnei-der/Ziesemer (1994). Die von Lucas selbst verwendete Nutzenfunktion sieht dem-gegenuber wie folgt aus: U =

∫∞0

e−ρt 11−σ

[c(t)1−σ−1]N(t)dt mit N(t) als gesam-tem Arbeitsinput im Zeitpunkt t.

Page 375: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

364 6 Keynesianische Wachstumstheorie: Die lange Sicht

weils individuellen Humankapitalbildung als verschwindend gering ansehenund daher die aggregierte Externalitat als exogen gegebene Große betrachten.Lucas unterscheidet dementsprechend zwischen einem ‘optimalen’ und einem‘gleichgewichtigen’ Wachstumspfad. Formal gesehen gilt in beiden Fallen derfolgende dynamische Optimierungsansatz:

U(c(t)) → maxc(t),u(t)

!

u.d.N.:

K = Y − C = Kβ(AuL)1−β ·Bγ − c · L,

A = η(1− u) ·A.

Die erste Nebenbedingung definiert die Akkumulation physischen Kapitals ge-maß Say’schem Theorem uber die Differenz zwischen Einkommen und Kon-sum, also die Ersparnis. Durch die zweite Nebenbedingung wird mit Hilfeder Technologie–Produktionsfunktion die Akkumulation des Humankapitalsbestimmt. Die Kontrollvariablen sind der Konsum c(t) und der auf die Guter-produktion verwandte Teil u(t) der gesamten Arbeitsleistung L, die exogengegeben ist und bei Lucas mit einer konstanten Rate im Zeitablauf wachst.Zielfunktion ist der vom Konsumzeitpfad abhangige Nutzen. Obwohl dieseralso nicht direkt von der zweiten Kontrollvariablen, u(t), beeinflusst wird, hatdiese Variable dennoch einen indirekten Effekt, da in dem Maße, wie Arbeit inden Technologiesektor umgeleitet wird, Ressourcen aus der laufenden Guter-produktion abgezogen werden, und daher in dem jeweils gegebenen Zeitpunktdie Gutermenge sinkt, die auf Konsum und Ersparnis aufgeteilt werden kann.

Soll nun die ‘optimale’ Losung ermittelt werden, so ist die bisher nochunerklarte Variable B in der ersten Nebenbedingung gleich A zu setzen. Beider ‘gleichgewichtigen’ Losung ist demgegenuber zunachst ein beliebiger Zeit-pfad B(t) hierfur anzusetzen, so dass die ermittelte Losung (c∗(t), u∗(t)) vondessen jeweiliger Wahl abhangt. Erst im Anschluss an die Optimierung istB(t) dann so zu bestimmen, dass der resultierende Zeitpfad A(t) mit B(t)ubereinstimmt, sich also eine konsistente Losung in dem Sinne ergibt, dassdie Wirtschaftssubjekte, die B(t) ja als exogen betrachten, ihre quantitativeEinschatzung dieser Große in jedem Zeitpunkt auch bestatigt finden.

Sofern nun der Parameter σ in der konkreten Funktionsvorschrift fur Ugroßer als ein bestimmter kritischer Wert ist, kann gezeigt werden, dass die‘optimale’ Wachstumsrate von A großer ist als die ‘gleichgewichtige’. Da beieinem sich selbst uberlassenen privaten Sektor sich aber der ‘gleichgewichtige’Pfad ergeben wird, induziert die Externalitat eine Abweichung vom sozia-len Optimum, die sich in einer entsprechend geringeren Rate des technischenFortschritts niederschlagt.

Zu bemerken ist ferner, dass in beiden Fallen die jeweilige Wachstumsratepositiv von η, der Effektivitat von Investitionen in Humankapital, und negativvon ρ, der Diskontrate, abhangt. Des weiteren gilt, ebenfalls in beiden Fallen,die folgende Beziehung:

Page 376: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

6.4 Reale Konjunkturzyklen und endogenes Wachstum 365

K − L =1− β + γ

1− β· A.

Dies bedeutet, dass bei Abwesenheit externer Effekte (γ = 0) die Wachstums-rate des Kapitalstocks pro Kopf im Steady State mit der Rate des technischenFortschritts ubereinstimmt, ganz so, wie wir es bereits aus dem Solow–Modellher kennen (wenn wir dort, der Einfachheit halber, die Abschreibungsrategleich Null setzen). Liegt demgegenuber eine Externalitat des technologischenWissensstandes (γ > 0) vor, so ist die Pro–Kopf–Wachstumsrate des Kapital-stocks großer als die Rate des technischen Fortschritts. Gleiches gilt fur denPro–Kopf–Konsum, der im Steady State stets mit der Wachstumsrate desPer–capita–Kapitalstocks ubereinstimmt. Dieses Ergebnis werden wir auchim nachsten Abschnitt wiederfinden, wo wir versuchen werden, diesen Ansatzendogenen Wachstums in das IS–LM–PC–Modell der langen Sicht zu ubert-ragen.

6.4.4 Endogenes Wachstum im IS-LM-PC Modell

Ausgehend von unseren Betrachtungen im vorangegangenen Abschnitt stelltsich nun die Frage, inwieweit endogenes Wachstum auch in unser IS–LM–PC–Modell eingebaut werden kann. Hierzu wollen wir den Ansatz von Lucas (1988)verwenden, der, wie bereits ausgefuhrt, eine Technologie–Produktionsfunktiona la Uzawa (1965) und das Vorhandensein positiver externer Effekte des vor-handenen technologischen Wissens in der Tradition von Romer (1986) mitein-ander verbindet.35 Formal ergeben sich hierdurch die folgenden beiden Glei-chungen:

A = η(L2

L) ·A ⇔ A = η · L2

L(Technologie–Prod.fkt.), (6.39)

Y = Kβ · (A · L1)1−β ·Aγ (Guter–Prod.fkt. mit Externalitat) . (6.40)

Die Variable A steht dabei wieder fur den Stand des Wissens bzw. der Tech-nologie, L1 ist die Anzahl der in der Guterproduktion Beschaftigten und L2

die Anzahl der im Technologiesektor Tatigen. Wahrend, wie ausgefuhrt, beiLucas die Kapitalakkumulation uber die Maximierung einer intertemporalenNutzenfunktion lauft, ist diese im IS–LM–PC–Modell bereits uber die Investi-tionsfunktion gegeben. Desweiteren wollen wir annehmen, dass das Verhaltnisder tatsachlich eingesetzten Arbeitsmengen Ld

1 und Ld2 zueinander stets kon-

stant ist:Ld

2

Ld1

= const. =: h, (6.41)

wobei h aus empirischen wie inhaltlichen Grunden als hinreichend klein an-zunehmen ist (h ≈ 1

100 ). Damit ist der Block an Neuerungen aber auch schon

35 Vgl. Schneider/Ziesemer (1994, S.16/17).

Page 377: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

366 6 Keynesianische Wachstumstheorie: Die lange Sicht

komplett, und wir konnen nun darangehen, diesen in das langfristige IS–LM–PC–Modell in der bisher umfassendsten Version des Abschnitts 6.3.4 zu in-tegrieren. Zuvor jedoch ist es zweckmaßig, die neuen Gleichungen (6.39) –(6.41) noch etwas umzuformen, um sie anschließend moglichst nahtlos in denubrigen Modellkontext einfugen zu konnen. So folgt aus Gleichung (6.41):

V =Ld

1 + Ld2

L= (1 + h)

Ld1

L⇔ Ld

1

L=

11 + h

· V (6.42)

bzw.Ld

2

L=

11 + 1

h

· V. (6.43)

Aus (6.43) und (6.39) folgt dann:

A = η · Ld2

L= η · 1

1 + 1h

· V =: η · V. (6.44)

Gleichung (6.40) lasst sich ferner wie folgt umschreiben:

Y = Kβ · (A · Ld1)

1−β ·A(1−β)· γ1−β = Kβ · (A 1−β+γ

1−β · Ld1)

1−β . (6.45)

Unter dem Ausdruck A1−β+γ1−β ·Ld

1 =: Ed1 wollen wir im folgenden die Anzahl der

Effizienzeinheiten verstehen, die im Guterproduktionssektor eingesetzt wer-den. Zu beachten ist, dass (bei geg. Ld

1) die Zahl der Effizienzeinheiten infolgetechnischen Fortschritts (A > 0) hier aufgrund der Externalitat (Aγ) starkerzunimmt, als wir dies von Harrod–neutralem technischem Fortschritt aus demSolow–Modell kennen.

Zu einem gegebenen Zeitpunkt ist die Gesamtzahl aller verfugbaren Effizi-enzeinheiten mit A

1−β+γ1−β ·L gegeben, wobei wir im folgenden der Einfachheit

halber von einer konstanten Bevolkerung ausgehen wollen. Die arbeitsange-botsseitige Arbeitsintensitat leff , jetzt bezogen auf die Anzahl der Effizienzein-heiten, definiert sich dann wie folgt:

leff =A

1−β+γ1−β · LK

. (6.46)

Entsprechend ist mit A1−β+γ1−β · V · L die jeweils beschaftigte Anzahl von Effi-

zienzeinheiten gegeben.Die Vollbeschaftigungs–Arbeitsintensitat in Effizienzeinheiten leff tritt

nun an die Stelle von l, der Arbeitsintensitat in ‘physischen Einheiten’ im bis-herigen IS–LM–PC–Modell. Aus Gleichung (6.46) folgt fur die Wachstumsratevon leff :

leff =1− β + γ

1− β· A + L− K =

1− β + γ

1− βA− K

In Verbindung mit (6.44) ergibt dies:

Page 378: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

6.4 Reale Konjunkturzyklen und endogenes Wachstum 367

leff =1− β + γ

1− β· η · V − K.

Setzen wir nun noch die Investitionsgleichung (6.2) unseres bisherigen IS–LM–PC–Modells fur K ein, so folgt:

leff =1− β + γ

1− β· η · V − [i0 + i1(ρ− (r∗ − πe))]. (6.47)

Bevor nun das Differentialgleichungssystem in seiner neuen Form angegebenwerden kann, ist zunachst noch der Wert fur den Parameter η zu bestimmen,der, wie wir gleich sehen werden, nicht frei gewahlt werden kann, wenn dasSystem steady–state–fahig sein soll. Aus x = Y

K und dementsprechend x =Y − K ergibt sich namlich mit Blick auf Gleichung (6.45):

x = Y − K = β · K + (1− β + γ)A + (1− β)Ld1 − K

= (1− β)(Ld1 − K) + (1− β + γ)A.

Aus (6.42) folgt: Ld1 = 1

1+h · L · V ⇒ Ld1 = V . Dies in vorstehende Gleichung

eingesetzt liefert:

x = (1− β)(V − K) + (1− β + γ)A. (6.48)

Da im Steady State x = 0 und V = 0 erfullt sein muss, folgt aus (6.48):

0 = −(1− β)(K)0 + (1− β + γ)(A)0 ⇔ (A)0 =1− β

1− β + γ(K)0. (6.49)

Wegen K = i0 + i1(ρ − (r∗ − πe)) und ρ0 = r∗0 − πe im Steady State ergibtsich:

(A)0 =1− β

1− β + γ· i0. (6.50)

Gemaß (6.44) gilt aber außerdem: A = η ·V , was fur den Steady State (A)0 =η · V0 = η · V impliziert. Dies liefert nun zusammen mit (6.50)

(A)0 = η · V =1− β

1− β + γ· i0 ⇒ η =

(1− β)(1− β + γ) · V · i0 (6.51)

Dies eingesetzt in (6.47) ergibt fur die Wachstumsrate von leff schließlich:

leff =(

V

V− 1

)i0 − i1(ρ− (r∗ − πe)) (6.52)

Diese Bestimmungsgleichung fur leff unterscheidet sich von derjenigen fur lim bisherigen Modellrahmen gerade durch den Term (V

V− 1)i0, der jetzt neu

hinzugekommen ist.

Page 379: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

368 6 Keynesianische Wachstumstheorie: Die lange Sicht

Da wir leff jetzt zudem auf die Anzahl der Effizienzeinheiten beziehen,ist konsequenterweise im folgenden auch der Reallohn als Reallohn pro Effi-zienzeinheit festzulegen, den wir mit ωeff bezeichnen wollen. Seine Dynamikkann dann aus dem bisherigen IS–LM–PC–Kontext 1:1 ubernommen werden.Analog zu den Gleichungen (6.30) – (6.33) ergibt sich jetzt folgendes System:

ωeff = κ[(1− κp)βw(V − V )− (1− κw)βp(V c − V c)] (6.53)πe = βπeκ[βp(V c − V c) + κpβw(V − V )] (6.54)

leff = (V

V− 1)i0 − i1(ρ− (r∗ − πe)) (6.55)

m = µ− κ[βp(V c − V c) + κpβw(V − V )]− πe − i0 − i1(ρ− (r∗ − πe)) (6.56)

In volliger Analogie zum bisherigen IS–LM–PC–Modell ohne technischen Fort-schritt kann nun sehr schnell gezeigt werden, dass das System (6.53) – (6.56)tatsachlich eindeutig bestimmt ist, wenn man noch den temporaren IS–LM–Block sowie die Produktionsfunktion und die Bestimmung des Potentialout-puts mit hinzunimmt. Da wir im vorliegenden Fall den Vorteil einer konkretenProduktionsfunktion haben, wollen wir dies kurz durchrechnen, nicht zuletzt,um die vielleicht etwas abstrakt anmutenden Zusammenhange in Abschnitt6.3.4 noch ein wenig zu verdeutlichen.

Aus (6.10) folgt fur das IS–LM–Gleichgewicht in allgemeiner Form:

x = α0 + α1m + α2πe + α3 · ρ, α1, α2, α3 > 0.

Die Profitrate ergibt sich uber:

ρ =Y − δK − ω · Ld

K= x− δ − ω · L

K· V = x− δ − ωeff · Leff

K· V

mit Leff als arbeitsangebotsseitige Anzahl an Effizienzeinheiten. Somit folgt:

ρ = x− δ − ωeff · leff · V, (6.57)

so dass sich fur x ergibt:

x = α0 + α1m + α2πe + α3(x− δ − ωeff leff V )

⇔ (1− α3x) = α0 + α1m + α2πe − α3(δ + ωeff leff V )

⇔ x = α0 + α1m + α2πe − α3(δ + ωeff leff V ) (6.58)

mit α1, α2 und α3 > 0. Gleichung (6.58) liefert also die nachfrageseitige Out-putbestimmung a la IS–LM. Gleichzeitig lasst sich x aber mit Hilfe von (6.45)

Page 380: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

6.4 Reale Konjunkturzyklen und endogenes Wachstum 369

auch produktionsseitig bestimmen (wobei inhaltlich naturlich klar ist, dasssich die Produktion jeweils der durch (6.58) bestimmten Nachfrage anpasst):

x =Y

K=

(A

1−β+γ1−β · Ld

1

K

)1−β

Aus (6.42) folgte: Ld1 = 1

1+h · V · L, was in vorstehende Gleichung eingesetzt

x =

11+hV LA

1−β+γ1−β

K

1−β

=(

11 + h

)1−β

· V 1−β · (leff )1−β

liefert. Mit h := 11+h ergibt sich:

x = (h)1−βV 1−β(leff )1−β (6.59)

Gleichsetzen von (6.58) und (6.59) liefert dann:

(h)1−βV 1−β(leff )1−β = α0 + α1m + α2πe − α3(δ + ωeff leff V )

⇔ (h)1−β · (leff )1−β · V 1−β + α3ωeff leff · V = α0 + α1m + α2π

e (6.60)

Da außer V hierin neben den Modellparametern nur noch die dynamisch en-dogenen Variablen leff , ωeff ,m und πe vorkommen, die in jedem konkretenZeitpunkt gegeben sind, liegt mit (6.60) eine Bestimmungsgleichung fur Vvor. Da die linke Seite eine strikt monoton steigende Funktion in V darstelltund fur V ∈ [0,∞) alle nichtnegativen reellen Zahlen annehmen kann, ist beieiner positiven rechten Seite eine eindeutige Losung fur V gewahrleistet. Sinn-vollerweise sind dann die Modellparameter so zu wahlen, dass V < 1 gesichertist.

Setzen wir den ermittelten Beschaftigungsgrad V nun wieder in Gleichung(6.58) ein, so erhalten wir umgehend das zugehorige x. Damit wiederum ergibtsich uber Gleichung (6.57) die Profitrate ρ. Aus Gleichung (6.11) folgt fernerfur den kurzfristigen Zinssatz r:

r = β0 − β1m + β2πe + β3ρ, β1, β2, β3 > 0.

Den soeben ermittelten Wert fur ρ eingesetzt liefert diese Gleichung dannsofort den entsprechenden Wert fur r, der wiederum uber r∗ = b0 + b1r denlangfristigen Nominalzinssatz r∗ festlegt.

Mit Ausnahme von V c sind nun bereits alle ubrigen Variablen aus (6.53)– (6.56) (V, ρ und r∗) mit Hilfe der durch das System fur jeden Zeitpunktbestimmten dynamischen Variablen ωeff , πe, leff und m berechnet worden.Fur den Auslastungsgrad des Kapitalstocks, V c, gilt wie bisher: V c = x

xp

mit x als IS–LM–seitig bestimmtem tatsachlichen Output und xp als profit-seitig, d.h. uber die Grenzproduktivitatsregel, abgeleitetem Potentialoutput.

Page 381: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

370 6 Keynesianische Wachstumstheorie: Die lange Sicht

Da sich der Reallohn. ωeff , wie gesagt, auf jeweils eine Effizienzeinheit be-zieht, ist die Produktionsfunktion folgerichtigerweise auch nach der Anzahlder Effizienzeinheiten abzuleiten. Ist mit

Y p = Kβ(A1−β+γ1−β · Lp

1)1−β = Kβ(Ep

1 )1−β (6.61)

der zu bestimmende Potentialoutput und mit Ep1 die zugehorige Anzahl an

Effizienzeinheiten gegeben, so folgt:

dY p

dEp1

= ωeff ⇔ (1− β)Kβ(Ep1 )−β = (1− β)

(K

Ep1

= ωeff ,

woraus sichEp

1

K=

(1− β

ωeff

) 1β

(6.62)

ergibt.Aus xp = Y p

K folgt uber (6.61):

xp =Y p

K= Kβ−1 · (Ep

1 )1−β =(

Ep1

K

)1−β

,

was zusammen mit (6.62)

xp =(

1− β

ωeff

) 1−ββ

(6.63)

liefert. Uber V c = xxp ist dann auch die letzte statisch endogene Variable

bestimmt; V c ist, wie zuvor auch, eine Konstante.Betrachten wir anschließend den Steady State des Systems (6.53) – (6.56),

so ergibt sich unmittelbar, dass mit Ausnahme der Tatsache, dass ωeff0 und

leff0 sich jetzt jeweils auf die Effizienzeinheiten beziehen, rein formal alles beimalten geblieben ist, womit zugleich nachgewiesen ware, dass eine Integrati-on endogenen Wachstums in das langfristige IS–LM–PC–Modell problemlosmoglich ist. Inhaltlich ergibt sich jedoch ein neuer Aspekt, wenn man Glei-chung (6.50) betrachtet: Demnach hangt die Steady–State–Wachstumsratedes technischen Fortschritts, (A)0, proportional von der Wachstumsrate desKapitalstocks, (K)0 = i0, ab. In dem Spezialfall γ = 0, also einer Situationohne Externalitat, wurden beide Raten sogar exakt ubereinstimmen.

Rein formal gesehen ergabe sich dann ein vergleichbares Resultat wie beidem fruher betrachteten endogenen Bevolkerungswachstum n, nur dass es hiereben der technische Fortschritt ist, der sich dem Trendwachstum des Kapital-stocks anpasst. Ahnliches gilt fur den Pro–Kopf–Output y = x · K

L , fur dessenWachstum sich y = x+ K− L ergibt. Da die Bevolkerungszahl L jetzt annah-megemaß konstant ist und im Steady State wegen x = x0 zudem x = 0 gelten

Page 382: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

6.4 Reale Konjunkturzyklen und endogenes Wachstum 371

muss, ergibt sich jetzt y = (K)0 = i0. Gleiches gilt auch fur den Pro–Kopf–Konsum C

L = CK · K

L . Hieraus folgt ( CL ) = ( C

K )+K−L, und wegen L = 0 sowie

( CK )0 = c(x0− δ− t) ergibt sich im Steady State letztlich ( C

L )0 = K0 = i0. Dabei γ = 0, wie gesagt, zudem i0 = (A)0 gilt, folgt hieraus die bereits aus demneoklassischen Solow–Modell bekannte Tatsache, dass Pro–Kopf–Output undPro–Kopf–Konsum im Steady State mit der Rate des technischen Fortschrittswachsen. Dort allerdings passte sich die Wachstumsrate des Kapitalstocks anden exogen gegebenen technischen Fortschritt an, wahrend die Kausalitat imvorliegenden Fall genau umgekehrt ist. Man beachte ferner, dass ein hohererWert fur i0 sowohl die Steady–State–Wachstumsrate des technischen Fort-schritts (A)0 als auch die Investitionsquote ( I

Y )0 = i0x0

= i0g−ct+i0

1−c +δsteigen

lasst, was gut zur positiven empirischen Korrelation zwischen beiden Großenpasst.36

Analog zum Lucas–Modell des vorangegangenen Abschnitts bleibt aller-dings auch hier die Wachstumsrate (A)0 bei Vorhandensein einer positivenExternalitat des Standes der Technik (γ > 0) hinter dem Wachstum des Pro–Kopf–Kapitalstocks zuruck, welches aufgrund der angenommenen konstantenBevolkerungszahl gleich der Wachstumsrate des gesamten Kapitalstocks ist.Gleiches gilt fur den Pro–Kopf–Output und den Pro–Kopf–Konsum, derenWachstumsrate wieder mit der des Per–capita–Kapitalstocks ubereinstimmtund daher ebenfalls die Rate des technischen Fortschritts ubertrifft.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass in der vorliegenden Erweiterung desIS–LM–PC–Modells im Vergleich zum Lucas–Modell noch ein Aspekt fehlt,namlich eine endogene Bestimmung von Ld

2Ld , also dem Anteil der im Tech-

nologiesektor Beschaftigten an der gesamten Beschaftigtenzahl. Zuvor jedochware das Modell in seiner bisherigen Form auf seine dynamischen Implikatio-nen hin zu uberprufen. Bereits dies durfte zumindest einen nicht uninteressan-ten Tatbestand offenlegen, namlich ein konjunkturabhangiges Schwanken derRate des technischen Fortschritts, da diese gemaß Gleichung (6.44) positivabhangig vom Beschaftigungsgrad V ist. Somit wurden Konjunkturschwan-kungen von Schwankungen des technischen Fortschritts begleitet, wobei dieKausalitat jetzt aber genau umgekehrt ware wie bei den in Abschnitt 6.4.1vorgestellten RBC–Ansatzen.

6.4.5 Fazit

Wir haben in diesem Kapitel Ansatze zu einer keynesianisch orientiertenWachstumstheorie dargestellt und ausgebaut und mit ihren neoklassischenAlternativen verglichen. Dabei sollte deutlich geworden sein, dass dem Inves-titionsverhalten der Unternehmungen, welches vom Sparverhalten der Haus-halte zu trennen ist, eine zentrale Bedeutung zukommt. Zum einen deshalb,

36 Vgl. Mankiw (1994, S.302).

Page 383: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

372 6 Keynesianische Wachstumstheorie: Die lange Sicht

weil die Investitionen einen dualen Charakter aufweisen, da sie zugleich De-terminante der effektive Guternachfrage und uber ihren Kapazitatseffekt auchDeterminante des potentiellen Angebots der Unternehmungen sind. Und zumanderen mussen nach Keynes’scher Theorie37 die Investitionen als im wesent-lichen unabhangige Variable des in diesem Buch erfassten Makrogeschehensund seiner Interdependenzen angesehen werden, die nur z.T. von Zinsentwick-lung sowie Preis- und Lohninflation beeinflusst werden und daher auch nurbedingt durch wirtschaftspolitische Maßnahmen steuerbar sind.

Diesem Sachverhalt wurde in diesem Kapitel nur in sehr vorlaufiger FormRechnung getragen, indem wir einen Teil der Investitionen mit einem exoge-nen Wachstumstrend versehen haben. Aber selbst diese grobe Annahme ist inunseren Augen deutlich relevanter als ihre neoklassische Alternative, bei derdie Investitionen, wenn sie uberhaupt als eigenstandige Große Berucksichti-gung finden, einen exogenen Trendterm hinzugefugt bekommen, der durchdie naturliche Wachstumsrate (der Arbeitsbevolkerung) bestimmt ist (wie esz.B. in Sargent (1987, Kap.5) geschieht). Gleichwohl kann das in diesem Ka-pital als Alternative zum neoklassischen Wachstumsmodell Vorgestellte nurals Beginn einer keynesianischen Konjunktur- und Wachstumstheorie angese-hen werden. IS-LM-Wachstumstheorie ist ein sehr vernachlassigtes Gebiet derMakrookonomik (ganz zu schweigen von einer keynesianischen Theorie endo-genen Wachstums, vgl. hier Abschnitt 6.4.4) und das nicht erst heutzutage,wo die keynesianische IS-LM Analyse (oder allgemeiner gesprochen: die Ana-lyse des Zusammenwirkens von Vermogens- und Gutermarkten) nicht mehrim Zentrum makrookonomischer Forschung steht.

Dieses Buch hat versucht, auf Lehrbuchniveau dieser Entwicklung mit ei-ner ausgebauten IS-LM-Analyse der kurzen, mittleren und langen Frist zu be-gegnen, also ihr eine keynesianische Theorie temporarer Gleichgewichte undihrer Entwicklung in der Zeit entgegenzustellen. Weiterentwicklungen des hierentwickelten Ansatzes zu einer keynesianischen monetaren Wachstumstheo-rie findet der Leser in Chiarella/Flaschel (1996a) und in Chiarella/Flaschel(1996b), wo diese Wachstumstheorie sowohl auf den Fall kleiner offener Volks-wirtschaften erweitert wird38 wie auch fur den Fall interagierender OkonomienReformulierung findet.

Wir hoffen, dass dieses Buch gezeigt hat, dass auf Basis der ublichen IS-LM-Modellierung der kurzen Frist gehaltvolle Analyse sowohl der mittlerenSicht als auch der langen Sicht moglich ist, die den auf Inflationserwartungenbezug nehmenden und die Lohn-Preis-Dynamik verkomplizierenden Mundell-Effekt nicht einfach aus der Analyse ausblendet und die nicht einfach behaup-tet, dass die lange Sicht (eines IS-LM Wachstumsmodells) durch das neoklas-sische Modell des wirtschaftlichen Wachstums gut reprasentiert wird, sonderndie diese unbewiesene Behauptung begrundet in Zweifel zieht.

37 Vgl. hierzu insbesondere 6.1.1.38 Auch im Lichte eines kleinen makrookonometrischen Modells fur die australische

Volkswirtschaft.

Page 384: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

7

Ausblick:Gereifter Keynesianismus

In diesem abschließenden Kapitel werden wir Entwicklungen der Makrookono-mik und insbesondere der Konjunktur- und Inflationstheorie darstellen, auchwas eigene Arbeiten angeht, die seit der ersten Auflage dieses Buches statt-gefunden haben und die unseres Erachtens dazu gefuhrt haben, dass es heutezwei grundlegende, einerseits strukturell gesehen sehr verwandte Ansatze undModellierungen keynesianischer Theorie gibt, die aber andererseits aufgrundihrer unterschiedlichen Behandlung der Erwartungsbildung der Wirtschafts-subjekte an Arbeits- und Gutermarkten diametral entgegengesetzte Losungs-strategien zur Ermittlung ihrer Modellimplikationen entwickelt haben. Dieresultierenden Konjunkturtheorien mit perfekter Rationalitat einerseits bzw.graduellen Ungleichgewichtsverhaltens andererseits, weisen deshalb fast nichtsan Gemeinsamkeiten auf. Sie sind deshalb im Grundsatzlichen als im Prinzipgenauso kontrar zueinander stehend einzuschatzen, wie es der Fall war, alsdas helio- und geozentrische Bild des Universums der Kopernikanischen Sichtder Planetenbewegungen gegenuberstand.

Wir wollen und konnen hier nicht auf eine Aufarbeitung des Paradigmen-wechsels in der wissenschaftlichen Sicht des Universums und der Planeten-bewegungen eingehen, sondern verweisen den Leser an dieser Stelle nur aufdie unten genannte Quelle fur einen Einstieg in dieses Thema. Daruberhin-aus gilt auch, dass Analogien und Unterschiede zu einem moglichen, ahnlichgelagerten Paradigmenwechsel in der Sicht der gesamtwirtschaftlichen Funkti-onsweise kapitalistischer Okonomien sehr sorgfaltig reflektiert werden mussen,was jenseits der Moglichkeiten dieses abschließenden Kapitels ist. Die Rolledes hier Festgestellten ist deshalb mehr die eines Anstoßes zur weiteren Refle-xion solcher Vergleiche im Lichte der Konjunkturtheorien, die wir in diesemKapitel kurz kontrastieren werden.1 Wie beim geozentrischen Weltbild mag eszudem eine Frage der Zeit und der Konjunktur von Konjunkturtheorien sein,

1 Einen andersartigen Ansatz mit gleicher Intention findet der Leser in Taylor(2004).

Page 385: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

374 7 Ausblick: Gereifter Keynesianismus

die Klarheit uber den hier thematisierten Paradigmenvergleich (der auch aufder Mikroebene ein Pendant aufweist) schafft.

Abb. 7.1. Das ptolemaische Weltbild und seine Uberwindung (aus Wikipedia,30.3.2007)

Wir werden im Folgenden zunachst Keynes’ Sichtweise des Konjunkturzyklusdarstellen, um damit dem Leser einen Eindruck zu vermitteln, wie er auf Basisseiner kurzfristig orientierten Sicht der Theorie der Beschaftigung, des Zinsesund des Geldes Konjunkturgeschehen systematisiert und analysiert hat. Key-nes fundiert seine Erorterung und Analyse des ’Trade Cycle’ auf drei zentrale‘Parameter’ seiner Analyse der kurzen Frist, das Konsumverhalten, das Inves-titionsverhalten und die Geldnachfrage betreffend: Die Parameter c, i1, h1 desKapitels 3, also die Konsumneigung, und die Zinsreagibilitat der Investitionensowie der Geldnachfrage. Die Keynes’sche Sicht des Konjunkturphanomensgeht davon aus, dass diese drei Parameter, bei ihm: die marginale Konsumnei-gung, die Grenzleistungsfahigkeit des Kapitals und die Liquiditatspraferenz,sich systematisch innerhalb des Konjunkturzyklus verschieben, so dass damitdieser Zyklus aus ihren aufeinander bezogenen Veranderungen erklart werdenkann.

7.1 Keynes’ ‘Notes on the Trade Cycle’

Dieser Abschnitt dient dem Zweck, den Leser an die Anwendung der Key-nes’schen Theorie der kurzen Sicht auf die mittlere (und lange) Sicht her-anzufuhren, in dem wir hier kurz einige Kernaussagen seiner ‘Notes on theTrade Cycle’ (Keynes, 1936, Kap.22) vorstellen und kommentieren. Sie sollenbelegen, dass es aus Sicht von Keynes systematische Grunde gibt, die in –

Page 386: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

7.1 Keynes’ ‘Notes on the Trade Cycle’ 375

wirtschaftshistorisch gesehen – spezifisch verknupfter Weise die Auf- und Ab-schwunge des Konjunkturzyklus jeweils erklaren helfen konnen. Naturlich istes empfehlenswert, das Kapitel 22 der ‘Allgemeinen Theorie’ in seiner Ganzezu studieren, um verdeutlicht zu bekommen, wie das Zusammenspiel der Kern-parameter von Keynes’ Analyse der kurzen Sicht Auf- und Abschwunge undderen Wendepunkte verstandlich werden lasst. Daruberhinaus sei der Leser aufdie Abschnitte zum Harrod– und Domar–Modell verwiesen, wo es zu prufengilt, inwieweit diese Wachstums- und Stagnationstheorien sich mit der Key-nes’schen Sicht von Boom und Depression verbinden lassen.

Since we claim to have shown in the preceding chapters what determi-nes the volume of employment at any time, it follows, if we are right,that our theory must be capable of explaining the phenomena of theTrade Cycle.If we examine the details of any actual instance of the Trade Cycle,we shall find that it is highly complex and that every element in ouranalysis will be required for its complete explanation. In particular weshall find that fluctuations in the propensity to consume, in the stateof liquidity-preference, and in the marginal efficiency of capital have allplayed a part. But I suggest that the essential character of the TradeCycle and, especially, the regularity of time-sequence and of durationwhich justifies us in calling it a cycle, is mainly due to the way inwhich the marginal efficiency of capital fluctuates. The Trade Cycleis best regarded, I think, as being occasioned by a cyclical changein the marginal efficiency of capital, though complicated and oftenaggravated by associated changes in the other significant short-periodvariables of the economic system. (Keynes, 1936, S.313)

In bezug auf das Phanomen des Konjunkturzyklus fahrt Keynes dann fort:

By a cyclical movement we mean that as the system progresses in, e.g.the upward direction, the forces [p.314] propelling it upwards at firstgather force and have a cumulative effect on one another but graduallylose their strength until at a certain point they tend to be replaced byforces operating in the opposite direction; which in turn gather forcefor a time and accentuate one another, until they too, having reachedtheir maximum development, wane and give place to their opposite.We do not, however, merely mean by a cyclical movement that upwardand downward tendencies, once started, do not persist for ever in thesame direction but are ultimately reversed. We mean also that thereis some recognisable degree of regularity in the time-sequence andduration of the upward and downward movements.There is, however, another characteristic of what we call the TradeCycle which our explanation must cover if it is to be adequate; na-mely, the phenomenon of the crisis the fact that the substitution ofa downward for an upward tendency often takes place suddenly and

Page 387: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

376 7 Ausblick: Gereifter Keynesianismus

violently, whereas there is, as a rule, no such sharp turning-point whenan upward is substituted for a downward tendency.

Die Theorie des Konjunkturzyklus bei Keynes ist somit charakterisiert durcheine systematische Anwendung seiner Theorie der kurzen Sicht, der Theoriedes Zinses, des effektiven Einkommens und der Beschaftigung (und deren Er-klarung mittels der zugrundeliegenden Fundamentalparameter c, i1, h1) undliest sich auf dieser Basis in ihren Grundzugen wie folgt:

I can best introduce what I have to say by beginning with the laterstages of the boom and the onset of the ‘crisis’.We have seen above that the marginal efficiency of capital depends,not only on the existing abundance or scarcity of capital-goods andthe current cost of production of capital-goods, but also on currentexpectations as to the future yield of capital-goods. In the case of du-rable assets it is, therefore, natural and reasonable that expectationsof the future should play a dominant part in determining the scale onwhich new investment is deemed advisable. But, as we have seen, thebasis for such expectations is very precarious. Being based on shif-ting and unreliable evidence, they are subject to sudden and violentchanges.Now, we have been accustomed in explaining the “crisis” to lay stresson the rising tendency of the rate of interest under the influence of theincreased demand for money both for trade and speculative purposes.At times this factor may certainly play an aggravating and, occasio-nally perhaps, an initiating part. But I suggest that a more typical,and often the predominant, explanation of the crisis is, not primarilya rise in the rate of interest, but a sudden collapse in the marginalefficiency of capital.The later stages of the boom are characterized by optimistic expec-tations as to the future yield of capital-goods sufficiently strong tooffset their growing abundance and their rising costs of productionand, probably, a rise in the rate of interest also. It is of the natureof organized investment markets, under the influence of purchaserslargely ignorant of what they are buying and of speculators who aremore concerned with forecasting the next shift of market sentimentthan with a reasonable estimate of the future yield of capital-assets,that, when disillusion falls upon an over-optimistic and over-boughtmarket, it should fall with sudden and even catastrophic force. Moreo-ver, the dismay and uncertainty as to the future which accompaniesa collapse in the marginal efficiency of capital naturally precipitatesa sharp increase in liquidity-preferenceand hence a rise in the rate ofinterest. Thus the fact that a collapse in the marginal efficiency ofcapital tends to be associated with a rise in the rate of interest mayseriously aggravate the decline in investment. But the essence of thesituation is to be found, nevertheless, in the collapse in the marginal

Page 388: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

7.1 Keynes’ ‘Notes on the Trade Cycle’ 377

efficiency of capital, particularly in the case of those types of capitalwhich have been contributing most to the previous phase of heavynew investment. Liquidity-preference, except those manifestations ofit which are associated with increasing trade and speculation, does notincrease until after the collapse in the marginal efficiency of capital.It is this, indeed, which renders the slump so intractable. Later on,a decline in the rate of interest will be a great aid to recovery and,probably, a necessary condition of it. But, for the moment, the col-lapse in the marginal efficiency of capital may be so complete thatno practicable reduction in the rate of interest will be enough. If areduction in the rate of interest was capable of proving an effectiveremedy by itself; it might be possible to achieve a recovery withoutthe elapse of any considerable interval of time and by means moreor less directly under the control of the monetary authority. But, infact, this is not usually the case; and it is not so easy to revive themarginal efficiency of capital, determined, as it is, by the uncontrolla-ble and disobedient psychology of the business world. It is the returnof confidence, to speak in ordinary language, which is so insuscepti-ble to control in an economy of individualistic capitalism. This is theaspect of the slump which bankers and business men have been rightin emphasizing, and which the economists who have put their faith ina ppurely monetaryrremedy have underestimated.This brings me to my point. The explanation of the time-element inthe trade cycle, of the fact that an interval of time of a particularorder of magnitude must usually elapse before recovery begins, is tobe sought in the influences which govern the recovery of the marginalefficiency of capital. There are reasons, given firstly by the lengthof life of durable assets in relation to the normal rate of growth ina given epoch, and secondly by the carrying-costs of surplus stocks,why the duration of the downward movement should have an order ofmagnitude which is not fortuitous, which does not fluctuate between,say, one year this time and ten years next time, but which showssome regularity of habit between, let us say, three and five years........................ When once the recovery has been started, the mannerin which it feeds on itself and cumulates is obvious. But during thedownward phase, when both fixed capital and stocks of materials arefor the time being redundant and working-capital is being reduced,the schedule of the marginal efficiency of capital may fall so low thatit can scarcely be corrected, so as to secure a satisfactory rate ofnew investment, by any practicable reduction in the rate of interest.Thus with markets organised and influenced as they are at present,the market estimation of the marginal efficiency of capital may suffersuch enormously wide fluctuations that it cannot be sufficiently offsetby corresponding fluctuations in the rate of interest. Moreover, thecorresponding movements in the stock-market may, as we have seen

Page 389: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

378 7 Ausblick: Gereifter Keynesianismus

above, depress the propensity to consume just when it is most needed.In conditions of laissez-faire the avoidance of wide fluctuations inemployment may, therefore, prove impossible without a far-reachingchange in the psychology of investment markets such as there is noreason to expect. I conclude that the duty of ordering the currentvolume of investment cannot safely be left in private hands. Keynes(1936, S.315 – 320)

Das hier Zitierte liefert einen komplizierten und variantenreichen Ausgangs-rahmen zur Analyse des Konjunkturgeschehens, der in der Konjunkturtheoriefast vollig vernachlassigt worden ist. Insbesondere die systematische Variationder Kernparameter des Keynes’schen ‘Trade Cycles’ ist naturlich modellmaßigund auch empirisch nur sehr schwer zu erfassen und auch im Wesentlichennoch nicht erfasst worden. Es ist deshalb sehr von Interesse, diesen Ausgangs-punkt einer Theorie des Konjunkturzyklus mit der Entwicklung dieser Theorienach dem Erscheinen von Keynes’ (1936) ‘Allgemeiner Theorie’ zu kontrastie-ren und zu vergleichen, was im Folgenden in knapper und eingegrenzter Formgeschehen soll.

7.2 Neoklassische Synthesen: Keynes und die Klassik

Die erste Aufarbeitung der Kontroverse und auch Synthese zwischen Keynes(1936) und den ’Klassikern’ hat bereits Hicks (1937) geliefert und damit ins-besondere die sogenannte IS-LM Analyse aus der Taufe gehoben. Zu diesemSachverhalt findet man auf der Webpage der Keynes-Gesellschaft2 die folgen-den weiterfuhrenden Ausfuhrungen:

Die ersten Versuche, die zentrale Aussage von Keynes, dass es auchbei flexiblen Preisen und Lohnen keine automatische Ruckkehr zurVollbeschaftigung gibt, durch den Pigou-Effekt auszuhebeln, wurdenbis in die 50er Jahre von den Keynesianern entschieden abgewehrt undkonnten sich nicht durchsetzen. Dies anderte sich in der nachsten Dis-kussionsrunde, in der es darum ging, die Theorie von Keynes mit dertraditionellen Preis- und Werttheorie in Ubereinstimmung zu bringen.

Ausloser dieses erneuten Versuchs, Keynes in die neoklassische Weltzuruckzuholen, war zum einen das Buch von Don Patinkin (1956),,Money, Interest und Prices“ mit dem viel sagenden Untertitel ,,AnIntegration of Monetary and Value Theory“ und zum anderen die For-derung nach einer Mikrofundierung der Makrookonomie; dafur sollteallerdings nur die neoklassische Mikrookonomie dienen, die auch der,,Allgemeinen Gleichgewichtstheorie“ zugrunde liegt.

2 http://www.keynes-gesellschaft.de/Hauptkategorien/Neoklassische-

Uminterpretation/NeoklassischeSynthese.html

Page 390: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

7.2 Neoklassische Synthesen: Keynes und die Klassik 379

In seinem Buch hat Patinkin seine Position zur ,,General Theory“von Keynes bezuglich der Wirkungen flexibler Preise deutlich modi-fiziert: Er ersetzt den Pigou-Effekt, den der Schuldner-Effekt direktkompensieren kann, durch den Real-balance-effekt bzw. Realkassenef-fekt. Dieser beruht nur noch auf der Steigerung des realen Wertes desBestandes an Bargeld; diesem steht kein Schuldner gegenuber, der aufden gestiegenen Realwert seiner Schulden reagieren musste, sonderndie Zentralbank.

Was die Wirkung des Realkasseneffektes betrifft, so trennt Patinkin– ohne dies deutlich zu sagen – zwischen der wirtschaftspolitischenund der wirtschaftstheoretischen Ebene. Auf die Wirtschaftspolitikgemunzt schreibt er in der 1. Auflage von 1956 und unverandert inder veranderten 2. Auflage von 1965 (S. 237 bzw. S. 339): “..,even ifmonetary policy could definitely restore the economy to full employ-ment, there would still remain the crucial question of the length oftime it would need. There would still remain the very real possibili-ty that it would necessitate subjecting the economy to an intolerablylong period of dynamic adjustment: a period during which wages, pri-ces, and interest would continue to fall, and – what is most important– a period during which varying numbers of workers would continueto suffer from involuntary unemployment.”

Fur die theoretische Ebene erklart er im unmittelbar anschließendenAbsatz, ,,der Realkasseneffekt zwinge die Keynesianer, die klassischeBehauptung zu akzeptieren, es bestunden stabilisierende Krafte, de-nen es am Ende gelingt, das Einkommen auf das Vollbeschaftigungs-niveau zu heben“ (unsere Ubersetzung).

Von den drei moglichen Interpretationen der Keynes’schen Theorie,die Patinkin 1958 formuliert hatte (s. die vorangehende Rubrik), be-schrankt er sich jetzt auf diejenige, die der klassischen Theorie amnachsten kommt und damit so nahe, dass man sie kaum noch als key-nesianisch bezeichnen kann.

Auch bei diesem Zitat ist dem Leser naturlich empfohlen, den Text der Web-page der Keynes-Gesellschaft in Ganze zu lesen. Fur unsere Zwecke reicht eshier jedoch hin, von diesem Ausgangspunkt aus das vollstandige Kernmodellder alten neoklassischen Synthese,3 so wie es in Sargent (1987) seine viel-leicht detaillierteste formale Behandlung gefunden hat, darzustellen und zukommentieren. Neben diesem Textbuch (Kapitel 1 bis 5) sei hier empfohlendie klassischen Arbeiten von Hicks (1937) und Patinkin (1965) als Lekture

3 Die neue neoklassische Synthese wird spater in diesem Kapitel kurz behandeltund mit der alten Synthese verglichen werden.

Page 391: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

380 7 Ausblick: Gereifter Keynesianismus

heranzuziehen sowie die Kapitel 2 und 3 von Snowden, Vane und Wynarczyk(1994): A Modern Guide to Macroeconomics.

7.3 Textbook-Keynesianismus: Das logische Versagender alten neoklassischen Synthese

In diesem Abschnitt prasentieren und untersuchen wir kurz das traditionelleAS-AD Modell der alten Neoklassischen Synthese. Diese Synthese integriertdas Hicks’sche IS-LM Modell des Teils III dieses Buches mit dem moneta-ristischen Basismodell des Teils V und dem neoklassischen Modell des wirt-schaftlichen Wachstums, das wir zu Beginn des Teils VI dargestellt hatten.Keynesianische IS-LM Analyse wird damit um eine Lohn-Phillipskurve er-weitert (die Preis-Inflationserwartungen a la Friedman enthalt) und um dieAS-Kurve des Solow-Modells (wie sie entsteht, wenn die Nominallohne kurz-fristig rigide sind). Die AS-Kurve ist von Keynes (1936, S.17) ausdrucklichakzeptiert worden (wenn auch kausal anders interpretiert worden), so dassdiese neoklassische Komponente der keynesianischen AS-AD Theorie als Bau-stein des Gesamtmodells in dieser Hinsicht gerechtfertigt zu sein scheint. Wirwerden in diesem Abschnitt jedoch zeigen, dass die dahinterstehende, vomTyp her walrasianische Beziehung (Preisniveau=Grenzkosten in der Produk-tion) die Achillesferse dieser Form der AS-AD Synthese darstellt und nichtso sehr die neoklassische Darstellung der Produktions- und Wachstumsseitedes angestrebten IS-LM-WPC Wachstumsmodells. Kurz gesagt bedeutet dieKeynes’sche Akzeptanz des ersten klassischen Postulats (Preis=Grenzkosten)den Syntheseversuch zwischen kompetitiven Preisbildungen und Keynes’schenNachfrage- und Einkommensrestriktionen, der an der Inkompatibilitat diesergrundverschiedenen Theoriegebilde scheitert.

7.3.1 Das Modell der alten neoklassischen Synthese

Das Modell, das wir in diesem Unterabschnitt betrachten wollen, kann als diekanonische Synthese oder Integration aller Lehrbuchdarstellungen betrachtetwerden, die davon ausgehen, dass das IS-LM Modell in angemessener Weise diekurze Sicht, das monetaristische Inflationsmodell in grundsatzlicher Weise diemittlere Frist und das Solow Modell im Prinzip die lange Frist beschreibt. Wirwerden aber hier erneut sehen, dass das Zusammenfugen des IS-LM Modells,des monetaristischen Basismodells und des neoklassischen Wachstumsmodellskeine konsistente AS-AD-PC Wachstumstheorie liefert, somit darauf kein ‘in-tegrated view’, wie in Blanchard (2006, S.xiv) behauptet, aufgebaut werdenkann.

Page 392: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

7.3 Das logische Versagen der alten neoklassischen Synthese 381

Das Keynesianische AS-AD Modell (der alten Neoklassischen Synthese),auf dem Sargents (1987) Analyse myopisch perfekter Inflationserwartungenaufsetzt, besteht aus den folgenden Modellbausteinen:4

Y = F (K, Ld) (7.1)w/p = FL(K, Ld) (7.2)

C = c(Y − T − δK), 1 > c > 0, τ = T/K = const. (7.3)I/K = i((FK(K,Ld)− δ)− (r − πe)) + n, i > 0 (7.4)

Y = C + I + δK + G, γ = G/K = const. (7.5)M = pmd(Y, r) (7.6)M = n (7.7)w = βw(Ld/L− 1) + πe, βw > 0 (7.8)πe = p+ (7.9)L = n = const. (7.10)K = I/K (7.11)

Dieser Modellrahmen modifiziert das Neoklassische Wachstumsmodell, indemer von temporar fixen Nominallohnen ausgeht und auch die Koordination vonim Prinzip voneinander unabhangigem Spar- und Investitionsverhalten in sei-nem temporaren Gleichgewichtsblock verlangt. Dieser IS-LM Teil des Modellsist gegenuber dem auch in diesem Buch benutzten konventionellen Rahmendieser temporaren Gleichgewichtsposition dahingehend erweitert, als noch an-genommen wird, dass Investitionen auch von der Rendite des eingesetztenKapitals abhangen, genauer gesagt in diesem Modell von dem Uberschussder aktuell erzielten Profitrate uber den erwarteten Realzins.5 Diese Erweite-rung des IS-LM Modells integriert somit gewissermaßen die Ertragsrate desKapitals im Solowschen Wachstumsmodell mit den Kosten der Investitiondes IS-LM Modells. Damit ist die Verbindung der Modellierung der langenmit der der kurzen Sicht hergestellt und es genugt jetzt, die mittlere Sicht,d.h. die Inflationsdynamik uber eine konventionelle Lohn-Phillipskurve ein-zufugen, die in monetaristischer Tradition akzeleratorhaft erwartungserwei-tert ist, also mit adaptiven oder rationalen Preisinflations-Erwartungen addi-tiv versehen ist. Dies ist im Prinzip die Einfugung der mittleren Sicht, d.h. desmonetaristischen Basismodells, wie wir es im Teil V des Buches diskutiert ha-ben, nur dass jetzt die Grenzkostentheorie (7.2) anstelle von Markup-Pricing

4 Die dabei benutzten Annahmen uber exogenes Trendwachstum n = M = (I/K)o

und exogene Fiskalparameter τ, γ sind hier nur der Einfachheit halber ubernom-men worden.

5 Die mikrookonomische Herleitung einer solchen Investitionsfunktion findet manin Sargent (1987). Fur die Geldnachfragefunktion md(Y, r) wird im Folgenden dieGestalt Y exp(−αr) unterstellt werden.

Page 393: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

382 7 Ausblick: Gereifter Keynesianismus

uns vom Lohnniveau zum Preisniveau fuhrt, also walrasianisch-kompetitiveFirmen unterstellt werden. Dieser geringfugig wirkende Unterschied wird je-doch in gewissen Idealsituationen das Modellverhalten drastisch andern unduns letztlich zu der Schlussfolgerung fuhren, dass diese Art der Synthese desKeynesianismus, des Monetarismus und der neoklassischen Wachstumstheoriezum Scheitern verurteilt ist, da die Textbuchdarstellung von Blanchard (2006)und ihre zahlreichen z.T. sehr prominenten Vorganger keinen Weg hin zu einerintegrierten Darstellung von Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum zuliefern in der Lage sind.

In bezug auf das Buch von Blanchard (2006) sollte jedoch festgehaltenwerden, dass es hier primar versaumt die ihm eigene Sicht der Interaktion vonLohnen und Preisen systematisch in das obige Modell – als Alternative zukompetitiven Gutermarkten – einzubauen, wodurch die noch darzustellendenImplikationen der traditionellen AS-Kurve vermieden werden konnten. Aller-dings wurde dies auch bedeuten, dass der destabilisierende Mundell-Effektdes Teils 5 unseres Buches zur Kenntnis genommen werden musste und dassdaruberhinaus das Solow Modell mit nichtkompetitiven Guter- und Arbeits-Markten in einer Geldwirtschaft abzuhandeln ware, was keine triviale, son-dern eine anspruchsvolle Modellvariation darstellt. Wir werden dies im Ver-laufe dieses Kapitels mit unser Sicht der Lohn-Preis-Spirale durchfuhren undzeigen, dass dies ein hochdimensionales dynamische Modell impliziert, dass al-lerdings in seinen grundsatzlichen Implikationen auch in einem ’intermediatetextbook’ dargestellt werden kann und das die Aussagen der konventionel-len Textbuchanalyse von Beschaftigung, Inflations- und Wachstumsprozessennicht unterstutzt.

Das obige AS-AD Wachstumsmodell wird in Sargent (1987) dadurch kom-plettiert, dass der Markt fur staatliche Wertpapiere und der Aktienmarktder Firmen uber Walras’ Gesetz der Bestande und die Annahme der perfek-ten Substituierbarkeit hinsichtlich dieser beiden Finanzaktiva in den Modell-Hintergrund verwiesen werden, was in der Tat geht, wenn man eine Ruck-wirkung der Ertrage auf diese Finanzaktiva auf Konsum und Investition aus-klammert und zudem der Einfachheit halber auch annimmt, dass sowohl Pau-schalsteuern abzuglich staatlicher Zinszahlungen als auch die Staatsausgabenpro Kapitaleinheit konstant gehalten werden, also Fiskalpolitik auf der Ebeneder Solowschen Intensivform durch gegebene Parameterwerte gekennzeichnetist.

Die etwas ungewohnte Annahme im obigen Modell mag jedoch die An-nahme (7.9) sein, die besagt, dass myopisch perfekte Voraussicht (die Rechts-ableitung des Preisniveaubewegung) die Erwartungsbildung der Wirtschafts-subjekte in Phillips-Kurve und Investitionsfunktion charakterisiert. Diese An-nahme verscharft jedoch nur die Ergebnisse der Analyse (schneller) adaptiverErwartungen, man siehe hierzu Chiarella, Flaschel und Franke (2005, Kap.2),und bringt deshalb die dortige Instabilitatsanalyse nur schneller und radikalerauf den Punkt. Außerdem ist diese Annahme naturlich im Sinne der Hypo-these rationaler Erwartungen einfach die ’more fashionable one’ und deshalb

Page 394: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

7.3 Das logische Versagen der alten neoklassischen Synthese 383

in ihren Implikationen gegebenenfalls von mehr Interesse als der Fall eineradaptiven Revision von Guterpreis-Inflationserwartungen. Wir werden jedochzeigen, dass das obige Modell bei rationalen Erwartungen nicht mehr in lo-gisch konsistenter Weise gelost werden kann und damit als historisch uberkom-men anzusehen ist. Dies ist naturlich eine starke Aussage, da damit gangigeTextbuch-Praxis (die traditionelle ’Synthese’ aus Keynes, Friedman und So-low der obiges Modell in der ublichen Weise parzellierenden Art) ebenfalls alsuberkommen anzusehen ist. Es genugt somit, wenn dies zutrifft, anstelle einerausfuhrlichen Analyse das obige Modell diesbzgl. nur kurz auszuwerten, um esdann ad acta legen zu konnen. Insbesondere unterstellen wir hierbei, dass derLeser aufgrund der anderen Teile diese Buches mit den Komponenten diesesModells bereits sehr vertraut ist und wir uns deshalb im Folgenden auf dasWesentliche konzentrieren konnen.

7.3.2 Intensive Form und Steady State Bestimmung

Um die Existenz eines Steady State des obigen Modells zu gewahrleisten, derals Startpunkt und Referenzpunkt benotigt wird, nimmt man ublicherweisean, dass die neoklassische Produktionsfunktion konstante Skalenertrage auf-weist und auch die Geldnachfragefunktion md(·, r) homogen vom Grade 1 inder Transaktionskassennachfrage ist. Dann lassen sich alle extensiven Varia-blen durch Teile durch den Kapitalstock K in intensive Variable uberfuhren,wo sie mit entsprechenden Kleinbuchstaben bezeichnet werden. Man erhaltauf intensiver Ebene die folgenden zum Solow Modell verwandten Modellglei-chungen, vgl. Sargent (1987, S.114):6

y = f(ld), f′(ld) > 0 (7.12)

w/p = f′(ld), f

′′(ld) < 0 (7.13)

c = c(y − τ − δ), τ = const. (7.14)

K = i(f(ld)− f′(ld)ld − δ − (r − πe)) + n (7.15)

y = c + K + n + δ + γ, γ = const. (7.16)ml = y exp(−αr), m = M/L, l = L/K (7.17)M = n (7.18)w = βw(ld/l − 1) + πe, l = L/K (7.19)πe = p+ (7.20)

l = n− K = −i(·) (7.21)

Fur den Steady State des Modells gilt zunachst aufgrund der getroffenen Tren-dannahmen, dass es im Steady State keine Inflation gibt und dass die realenGroßen alle mit der Rate des naturlichen Wachstums wachsen:6 Man beachte hier, dass die Relationen t, g als Parameter im betrachteten Modell

behandelt werden.

Page 395: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

384 7 Ausblick: Gereifter Keynesianismus

w = πe = p = 0, K = Ld = Y = n.

Im Detail ergibt sich fur den Steady State ansonsten:

yo =n + γ + δ − c(δ + τ)

1− c, ldo = f−1(yo) = lo (e = 1),

was das Output-Kapital Verhaltnis und die Arbeitsintensitat angeht (die dem-nach nachfragedeterminiert sind). Und fur die Einkommensverteilung ergibtsich auf dieser Basis im Steady State:

ωo = f ′(lo), ro = yo − δ − ωolo.

Fur die im Steady State gehaltene Realkasse ergibt sich schließlich: mo =kyo exp(−αrr

o).Wir haben in diesem Modell – neben dem Einfluss des exogen gegebe-

nen naturlichen Wachstumstrends – eine keynesianisch orientierte Bestim-mung des Output-Kapital Verhaltnisses yo, die uber die Produktionsfunktiondie Arbeitsintensitat lo bestimmt, aus der dann der Reallohn als Grenzpro-dukt der Arbeit an dieser Stelle ermittelt werden kann. Im gewissen Sinne istdies die ‘Kausalkette’ des Keynes’schen Ansatzes, allerdings auf die SteadyState Position der Wirtschaft bezogen. Die Steady State Lage der Wirtschaftwird andererseits gegenuber dem Solow Modell nur um fiskalische Parametererganzt, aber nicht fundamental verandert.

So wie das Modell jetzt reformuliert worden ist, weist es drei dynamischeVariablen auf, den Reallohn ω, die Arbeitsintensitat l und das Preisniveau p,welches allerdings in der vorliegenden Modellformulierung noch in impliziterForm beschrieben ist. Die beiden folgenden Unterabschnitte dieses Abschnittswerden die dynamischen (Nicht-)Interaktionen zwischen diesen drei Zustands-variablen jetzt Schritt fur Schritt analysieren und zeigen, dass das Modell inder vorliegenden Form keinerlei keynesianische Schlussfolgerungen mehr zu-lassen wird.

7.3.3 Neoklassische reale Wachstumsdynamik

Die grundlegende Beobachtung in bezug auf die Annahme myopisch perfekterVoraussicht ist, dass Gleichung (7.19) dann wie folgt umgeformt werden kann:

ω = βw(ld/l − 1), ω = w/p. (7.22)

Dies liefert eine erste Differentialgleichung zur Behandlung der Anpassungs-prozesse dieses AS-AD-PC Wachstumsmodells. Und fur die Zustandsvariablel = n − K ergibt sich aufgrund der Gleichungen (7.12), (7.14), (7.16) and(7.21) als zweite Differentialgleichung:

l = n− [f(ld)− c(f(ld)− τ − δ)− γ − δ] (7.23)

Page 396: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

7.3 Das logische Versagen der alten neoklassischen Synthese 385

Invertierung der Gleichung (7.13): ld = (f′)−1(ω) ergibt damit, dass (7.22),

(7.23) ein autonomes nichtlineares Differentialgleichungssystem in den Zu-standsvariablen ω und l darstellt (da – gemaß Sargent (1987, Kap.5) – dieVariablen τ and γ als gegeben unterstellt sind). Dieses System kann wie ublichgelost werden, wenn die Startbedingungen gegeben sind. Daruberhinaus kannman uber Olechs Theorem (oder mittels Liapunov-Funktionen) leicht zei-gen, dass der Steady State dieser Kerndynamik des betrachteten AS-AD-PCModells global asymptotisch stabil ist, da die Jacobi–Matrix J des Systems(7.22),(7.23) qualitativ gesehen wie folgt charakterisiert werden kann

J =(− −

+ 0

)

und zwar im gesamten positiven Orthanten des IR 2. Fur jeden gegebenen Vek-tor (ω0, l0) ∈ IR 2

+ an Anfangsbedingungen (zum Zeitpunkt t = t0) haben wirdeshalb einen eindeutig bestimmten positiven Losungspfad (ω(t), l(t)), t0 ≤t < ∞, der gegen (ωo, lo) fur t →∞ konvergiert.

Das erreichte Resultat zeigt somit, dass der sich Realteil des Modells un-ter myopisch perfekter Voraussicht von der AD-Kurve separieren lasst undzu einer Verallgemeinerung des neoklassischen Wachstums-Modells fuhrt, diedas Solow Modell des Kapitels 6 um eine Reallohn-Phillipskurve (also Re-allohnrigiditaten) erweitert und damit interessanter werden lasst. Außer dermarginalen Konsumneigung ist dabei jedoch nichts mehr von der AD-Seite desModells prasent, also die neoklassische Wachstumstheorie zwar realistischer,aber eben nicht keynesianischer geworden, sondern genauso angebotsorientiertwie das Solow Modell selbst geblieben ist.

Die Unterstellung der ublichen (positiv geneigten) AS-Kurve der Textbucherverselbstandigt sich also im Kontext einer gegebenen Reallohn-Phillipskurvevon der AD-Seite des AS-AD-PC Modells zu einer Wirtschaftsdynamik, dievom Investitionsverhalten der Firmen und von der Liquiditatspraferenz derHaushalte vollig unabhangig ist. Was aber bleibt dann als Konsequenz fur die-se Verhaltensfunktionen und die damit (uber IS-LM Gleichgewicht) definierteAD-Kurve, dem Textbuchbaustein, der den Keynesianismus reprasentierensoll? Um dies in einfacher und durchsichtiger Form zu bestimmen, nehmenwir jetzt fur den soeben diskutierten realen Anpassungsprozess an, dass erzum Abschluss gekommen ist, die Realseite der Okonomie sich also im SteadyState befindet.

7.3.4 Nominelle Anpassungsprozesse und die Methode derrationalen Erwartungen

Im Steady State des Realteils des Modells gelten die Beziehungen: I/K =SK = n, i(·) = 0, ergibt sich also folglich als Konsequenz dieser IS-Beziehung:

p = r − ρo, ρo = yo − δ − ωolo (7.24)

Page 397: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

386 7 Ausblick: Gereifter Keynesianismus

Und in Bezug auf die LM-Kurve ergibt sich mittels der unterstellten CaganGeldnachfragefunktion:

r = (ln p + ln yo − ln(M/K))/α, (7.25)

wobei wegen K = n der Ausdruck ln(M/K) in der Zeit konstant ist. Ineinan-der eingesetzt ergibt sich damit:

d ln p/dt = (ln p + ln yo − ln(M/K))/α− ρo or q = q/α + const. (7.26)

Dies ist eine lineare Differentialgleichung in der Zustandsvariablen q = ln pund der stationaren Losung ln po = αρo − ln yo + ln(M/K)), aus der sichein positiver Wert des Steady State Preisniveaus po ermitteln lasst. Dieserstationare Punkt ist jedoch offensichtlich global instabil und liefert damitdas Ergebnis, dass der Realteil des Modells global stabil und der Nominalteildes Modells total instabil ist, eine Implikation des betrachteten IS-LM-PCWachstumsmodells, die mit Keynes’ Sicht des Trade Cycle, die wir am An-fang dieses Kapitels kurz betrachtet haben, nicht mehr gemein hat, da wederdie marginale Effizienz des Kapitals noch die Liquiditatspraferenz hier realAuswirkungen haben und zudem der Preisniveau-Anpassungsprozess jenseitsdes Steady State total explosiv ist.

Allerdings ist dieses Ergebnis auch aus Sicht der neoklassischen Wachs-tumstheorie kein akzeptables Resultat. Der Ausweg der Neoklassik aus dieserSituation ist seit Sargent und Wallace (1973) von der Art, dass instabiles Ver-halten dadurch unterbunden wird, dass man dementsprechende Variable alsnicht pradeterminiert ansieht und ihr Verhalten als nicht-explosiv einfordert.Konkret heißt dies, dass man nach beschrankten Losungen der obigen Diffe-rentialgleichung sucht, ohne eine Anfangsbedingung zu fordern. Daruberhin-aus wird ihre Eindeutigkeit gefordert, um eine determinierte Reaktion dieserLosungen bei exogenen Schocks des gegebenen dynamischen Systems zu er-halten. Durch dieses Postulat werden aus der Vielfalt der Pfade der myopischperfekten Voraussicht solche Pfade herausgefiltert, wo das – in unserem Falle– Preisniveau unmittelbar dem Schock folgend auf einen (der Hoffnung nach:eindeutigen) Wert springt, von dem aus es keinerlei explosiver Tendenz mehrunterliegt. Im Falle nichtantizipierter Schocks heißt dies im vorliegenden Fall,dass das Preisniveau unmittelbar in seinen neuen Steady State Wert sprin-gen muss, wenn dieser sich uberhaupt andert (was nur bei Schocks, die Mbetreffen der Fall ist, wenn wir die Annahme der Stationaritat der Einfach-heit halber im Realteil des Modells weiterhin beibehalten). Die Geldmenge istdamit in diesem Kontext wirklich nur als Schleier zu verstehen, der keinerleireale Effekte bewirken kann.

Die Resultate dieses Abschnitts liefern damit Klassik pur im Rahmen derkeynesianischen Variante der alten neoklassischen Synthese, so wie sie in Sar-gent (1987, Kap.1) begrundet wird und auch in diesem Buch im Kontextder kurzen Frist betrachtet worden ist. Dieses Resultat wird aber letztlicherzielt, indem man die Ausgangsbedingungen des Modells (7.1) – (7.11) ge-eignet außer Kraft setzt und damit in der Tat zur klassischen Variante der

Page 398: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

7.3 Das logische Versagen der alten neoklassischen Synthese 387

alten neoklassischen Synthese zuruckkehrt, also deren bekannte Neutralitats-aussagen der keynesianischen Variante dieser neoklassischen Synthese einfachunterschiebt. Wenn gemaß der Logik der rationalen Erwartungen das Preis-niveau direkt in seinen neuen Steady State Wert springen kann, so muss auchdas Nominallohn-Niveau eine solche Bewegung ausfuhren konnen, da die er-mittelte Reallohn-Phillipskurve keine Sprunge beim Reallohn zulasst. Damitist aber die eingangs unterstellte Nominallohnrigiditat qua Annahme wiederaufgehoben worden, d.h. die keynesianischen Variante der alten neoklassi-schen Synthese durch Modellanderung außer Kraft gesetzt worden. Dies istdas logische Versagen der alten neoklassischen Synthese, die sie nicht nurals uberholt, sondern auch noch als inkonsistent formuliert kennzeichnet. Derhier dazu betrachtete Fall myopisch perfekter Voraussicht ermoglicht dieseSchlussfolgerung in besonders plastischer Weise. Sie gilt aber in modifizierterForm auch im Falle adaptiver Erwartungen, wi z.B. in Chiarella, Flaschel undFranke (2005) gezeigt wird. Wir werden im nachsten Unterabschnitt diesesKapitels den zentralen Grund fur das logische Versagen der alten neoklassi-schen Synthese ermitteln und den Ausweg aus dieser Situation aufzuzeigenversuchen.

7.3.5 Schlussfolgerungen

Wir haben in den vorausgegangenen Unterabschnitten gesehen, dass der Aus-gangspunkt der dargestellten Dichotomisierung des keynesianischen AS-ADModells das Zusammentreffen der AS-Theorie dieses Ansatzes (Preis = Grenz-kosten bei abnehmenden Grenzertragen) mit der bei myopisch perfekter Vor-aussicht durch die Lohn-Phillipskurve implizierten Reallohn-Dynamik ist. DieNominallohn-Phillipskurve ist nun einerseits ein empirisch validiertes Kon-zept, dass auch beim Ignorieren von myopischen Erwartungsfehlern theore-tisch sinnvoll verwendbar bleiben sollte. Demgegenuber hat die negative Kor-relation zwischen Reallohn und Beschaftigung, die die Grenzproduktivitats-theorie (also die Bedingung Preis = Grenzkosten) erzeugt schon bald nachKeynes (1936) Zweifel an ihrer empirischen Gultigkeit hervorgerufen. Gleich-wohl ist dieser Ansatz, der als Resultat von Gewinnmaximierung bei Preis-nehmerverhalten auch heute noch aus theoretischer Sicht oft benutzt wird,fester Bestandteil der makrookonomischen Literatur geblieben, was sich imHinblick auf keynesianische AS-AD Analyse auf diesbzgl. klare Worte vonKeynes (1936, S.17) berufen kann:

In emphasising our point of departure from the classical system, wemust not overlook an important point of agreement. For we shall main-tain the first postulate as heretofore, subject only to the same quali-fications as in the classical theory; and we must pause, for a moment,to consider what this involves.It means that, with a given organisation, equipment and technique,real wages and the volume of output (and hence of employment) are

Page 399: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

388 7 Ausblick: Gereifter Keynesianismus

uniquely correlated, so that, in general, an increase in employmentcan only occur to the accompaniment of a decline in the rate of realwages. Thus I am not disputing this vital fact which the classicaleconomists have (rightly) asserted as indefeasible. In a given stateof organisation, equipment and technique, the real wage earned by aunit of labour has a unique (inverse) correlation with the volume ofemployment. Thus if employment increases, then, in the short period,the reward per unit of labour in terms of wage-goods must, in general,decline and profits increase. This is simply the obverse of the familiarproposition that industry is normally working subject to decreasingreturns in the short period during which equipment etc. is assumed tobe constant; so that the marginal product in the wage-good industries(which governs real wages) necessarily diminishes as employment isincreased. So long, indeed, as this proposition holds, any means ofincreasing employment must lead at the same time to a diminutionof the marginal product and hence of the rate of wages measured interms of this product.

In gewissem Sinne hat Keynes damit selbst den Grundstein fur das geradebetrachtete logische Versagen der alten neoklassischen Synthese gelegt, in-dem er eine Marginalbedingung, die aus dem Kontext von Preisnehmerver-halten resultiert, in einen guternachfragebeschrankten Kontext eingebundenhat. Am Gutermarkt rationierte Unternehmungen, die diese Signale auch ver-arbeiten, konnen nicht als preisnehmende Wirtschaftseinheiten begriffen undmodelliert werden und mussen deshalb in der einen oder anderen Form alsPreissetzer behandelt werden. Es folgt, dass das grundlegende neoklassischeModell des Wirtschaftswachstum, das Solow Modell, nicht mit der keynesia-nischen IS-LM Analyse oder AD Theorie synthetisierbar ist, so wie dies vieleLehrbucher der Makrookonomik suggerieren, so ganz explizit das ansonstensehr lesenswerte Textbuch von Blanchard (2006).7 Eine grenzkostenorientiertePreisniveau-Theorie ist also aus einem keynesianischen Kontext herauszuneh-men, was bei Blanchard (2006) in der kurzen und mittleren Sicht im Prinzipauch geschieht, aber eben bei seiner Betrachtung der langen Sicht nicht inangemessener Weise Berucksichtigung findet. Derartiges AS-AD Denken istnicht rettbar, da es walrasianische Aspekte in ein einkommensrestringierteskeynesianisches Modell (oder umgekehrt) zu integrieren versucht. Dieses lo-gisches Scheitern eines unangemessenen Syntheseversuchs ist im Folgendender Ausgangspunkt zur Betrachtung alternativer Moglichkeiten, eine Keynes’(1936) Theorie der effektiven Guternachfrage berucksichtigende Analyse vonBeschaftigung, Inflation und Wachstum zu formulieren.

7 Das – wie wir gesehen haben – allerdings bei der Behandlung von Inflationser-wartungen einiges zu wunschen ubrig lasst.

Page 400: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

7.4 Determinierheits-Probleme der neuen neoklassischen Synthese 389

7.4 Der Neu-Keynesianismus:Determiniertheits-Probleme der neuen neoklassischenSynthese

Seit geraumer Zeit ist der sogenannte Neu-Keynesianische und, im allgemei-nen, der Dynamic Stochastic General Equilibrium (DSGE) Ansatz immermehr in den Mittelpunkt der akademischen Diskussion uber wirtschaftspo-litische Fragen geruckt und somit quasi der Standard-Modellrahmen fur diemakrookonomische Analyse moderner Volkswirtschaften geworden.

Dieser Modellierungsansatz, dessen Hauptmerkmal die konsistente Mikro-fundierung der Entscheidungen aller Akteure in einer Volkswirtschaft ist, ba-siert auf den folgenden drei Annahmen:

• Rationale Erwartungen aller Wirtschaftssubjekte bzgl. vergangener, aktu-eller und zukunftiger Entwicklungen

• Intertemporaler Nutzen- und Profit-Maximierung aller Agenten• Imperfekter Wettbewerb in den Markten.

Obwohl miteinander konsistent und in sich geschlossen, ist die Motivationbzw. die Rechtfertigung dieser Annahmen jedoch unterschiedlich: Wahrenddie erste Annahme aus der rational expectations revolution der 70er Jahreentstammt und einen systematischen Fehler in der Erwartungsbildung derWirtschaftssubjekte per Definition ausschliesst, entspricht die zweite Annah-me dem Anspruch der Literatur aus den letzten dreißig Jahren, jegliches Ver-halten der Wirtschaftssubjekte als “mikrofundiert”, d.h. als das Ergebnis vonNutzen/Profitmaximierung, darzustellen.

Diese ersten zwei Annahmen, Rationale Erwartungen und IntertemporaleOptimierung, erwiesen sich jedoch in Modellen mit perfektem Wettbewerb– den sogenannten Real Business Cycles (RBC) Modellen von Kydland undPrescott8 – als unzureichend wenn es darum ging, mit ihrer Hilfe wichtigestilisierte Fakten von Inflation, Arbeitslosigkeit und Output zu erklaren.

Erst die Einfuhrung von imperfektem, monopolistischem Wettbewerb inden Gutermarkten – mit Firmen als Preissetzer – in fruheren Neu-Keynesia-nischen Modellen wie in Blanchard und Kiyotaki (1987) ermoglichte dieMangel des RBC Ansatzes bis zu einem gewissen Grad zu beheben und diesentheoretischen Rahmen mehr in Einklang mit der Empirie zu bringen.

Da der Neu-Keynesianische Ansatz in einer didaktischen und ausfuhrlichenArt in verschiedenen Lehrbuchern wie Walsh (2003), Carlin und Soskice (2006)und Arnold (2006) dargestellt und diskutiert wird, empfehlen wir dem Leserdie Lekture dieser Werke und beschranken uns hier darauf, einige Mangeldieses theoretischen Modellrahmens zu erlautern und zu diskutieren.

Wir nehmen hier gleich einen Modelltyp, in dem sich sowohl Lohne alsauch das Preisniveau verzogert anpassen, zum Einen um der im vorausgegan-genen Abschnitt untersuchten nicht uberzeugenden Asymmetrie bei Lohnen

8 Kydland und Prescott (1982).

Page 401: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

390 7 Ausblick: Gereifter Keynesianismus

(verzogerte Anpassungsprozesse) und Preisen (unmittelbare vollstandige An-passung) aus dem Wege zu gehen und zum Anderen, da das in Textbuchernverwandte ‘Baseline New Keynesian Model’ gerade die umgekehrte Asymme-trie verwendet, also von verzogerten Anpassungsprozessen bei Preisen undvollstandiger momentaner Anpassung bei Lohnen ausgeht, ein Ansatz, derdas Gegenteil der traditionellen Asymmetrie darstellt und der als Ubergangvon neuklassischer Modellbildung zu Neu-Keynesianischer verstanden werdenkann.

Als theoretischer Ausgangspunkt und sozusagen baseline DSGE Modellan-satz kann der von Erceg et al. (2000) dargestellte Rahmen angesehen werden.In diesem grundsatzlichen ‘New Keynesian Model with staggered wage andprice setting’ (der Keynesianischen Version der Neuen Neoklassischen Syn-these) wird angenommen, dass sowohl Firmen als auch Haushalte monopo-listische Preis- bzw. Nominallohnsetzer sind, da sie differenzierte Guter bzw.Arten von Arbeit anbieten. Daruberhinaus wird dort angenommen, dass injeder Periode nur eine Fraktion von Firmen und Haushalten ihre Preise bzw.Lohne reoptimieren kann, wie modelliert z.B. in Calvo (1983).9

Die loglineare Approximation dieses Lohn- und Preissetzungsverhaltensliefert eine Lohn- und eine Preis-Phillips-Kurve Gleichung die, verknupft miteiner dynamischen IS-Kurve und einer (hier noch statischen) Zinssteuerungs-Regel, siehe Woodford (2003, S.225ff.), in einem Periodenmodell mit der Pe-riodenlange h, wie folgt dargestellt wird:

πwt

WPC= Et(πwt+h) + βwyh ln Yt − βwωh ln ωt, πw

t =wt − wt−h

wt−hh(7.27)

πpt

PPC= Et(πpt+h) + βpyh ln Yt + βpωh ln ωt, πp

t =pt − pt−h

pt−hh(7.28)

ln YtIS= Et(lnYt+h)− αyih(it − i0 − Et(π

pt+h)) (7.29)

itTR= i0 + βipπ

pt + βiy ln Yt (7.30)

In diesen Gleichungen bezeichnen wir mit πpt die annualisierte Preis-Inflationsrate

zum Zeitpunkt t, die in diesem Modell mit der Frequenz h durch einenTeil der Firmen upgedatet wird. Diese gegenwartige Inflationsrate hangt invorausschauender Weise von der ihr nachfolgenden erwarteten InflationsrateEt(π

pt+h) ab sowie dem momentanen Output Gap ln Yt, was als neukeynesia-

nisches Analogon zu einer konventionellen Phillipskurve verstanden werdenkann. Da hier auch Lohne verzogerter Anpassung unterworfen sind, kommtin dieser Phillipskurve uber ihre Mikrofundierung noch der Logarithmus desReallohns ω mit einem positiven Vorzeichen hinein, was im Lichte unserer

9 Dieses theoretische Konstrukt, welches jedoch ad hoc eingefuhrt wird, ermoglicht,dass eine gewisse Persistenz in dem aggregierten Preisniveau im Modell vorhandenist.

Page 402: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

7.4 Determinierheits-Probleme der neuen neoklassischen Synthese 391

spateren Alternativmodellbildung von Interesse sein wird. Die staggered wagePhillipskurve ist in analoger Weise aufgebaut, so dass die momentane Lohnin-flation πw

t auch hier von der zukunftig erwarteten Lohninflation Et(πpt+h)

abhangt und wieder positiv vom Output Gap und negativ vom Reallohn-Gapln ωt. Auch die IS-Kurve lnYt ist vorwartsschauend und hangt – wie auchsonst ublich – negativ vom erwartetem Realzins it − i0 − Et(π

pt+h) ab. Die

Zinssteuerungsregel it ist von einem konventionell ublichen Typ, wobei manhier beachten muss, dass das Inflationsziel der Zentralbank als Null angenom-men worden ist und auch der Logarithmus des stationaren Outputwerts Nullist.

Wir werden im Folgenden nur den deterministischen Grundfall dieses Mo-delltyps diskutieren, was uns erlaubt, den Erwartungsoperator Et zu eli-minieren. Daruberhinaus werden wir die folgenden Kurzel benutzen: yt =ln Yt, θt = ln ωt = ln wt− ln pt. Fur die Veranderung der Variablen θt impli-ziert dies

θt+h − θt = lnwt+h − ln pt+h − (lnwt − ln pt)= = ln wt+h − ln wt − (ln pt+h − ln pt)

≈ hwt+h − wt

wth− h

pt+h − pt

pth= hπw

t+h − hπwt+h

als Beziehung zwischen dieser Veranderung und den annualisierten Lohn- undPreis-Inflationsraten. Diese approximative Beziehung wie auch das Faktum,dass das Modell in loglinearisierter Form dargestellt ist, legt nahe, dass diePeriodenlange h, mit der das Modell iteriert wird, genugend klein gewahltwerden sollte, im Einklang mit dem empirischen Faktum, dass der Prozess derDatenerzeugung ein taglicher ist und auch der Prozess der Datenermittlungmit zunehmender Frequenz vonstatten geht. Im Fazit heißt dies, dass – beimZugrundeliegen von annualisierten Inflations- und Zinsraten, das Modell mitder Schrittweite h = 1/365 zu iterieren ware.

Das obige Modell reprasentiert – in einfacher Form – ein implizites Dif-ferenzengleichungssystem. Mit Hilfe der TR und der PPC Gleichungen kannes aber schnell in ein explizites System von Differenzengleichungen wie folgttransformiert werden:

πwt+h = πw

t − βwyhyt + βwωhθt

πpt+h = πp

t − βpyhyt − βpωhθt

yt+h = yt + αyih(βipπpt + βiyyt − πp

t + βpyhyt + βpωhθt)θt+h = θt + h(πw

t+h − πpt+h)

= θt + h[πwt − βwyhyt + βwωhθt − (πp

t − βpyhyt − βpωhθt)]

Wir gehen hier davon aus, dass ein Periodenmodell mit kleiner Schrittweite hdie Eigenschaften seines zeitstetigen Grenzfalls besitzen sollte, man vgl. bzgl.der Details dazu Asada et al. (2007). Wir bekommen damit als vereinfachteEndform des Ausgangsmodells das folgende 4D Differentialgleichungssystem:

Page 403: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

392 7 Ausblick: Gereifter Keynesianismus

πw = −βwyy + βwωθ

πp = −βpyy − βpωθ

y = αyi(βipπp + βiyy − πp)

θ = πw − πp

Da das gegenwartige Modell nur vorausschauende Variable aufweist, ist esgemaß der Methode der rationalen Erwartungen – wie im vorausgegangenenAbschnitt das Preisniveau – nach vorne gerichtet zu losen und zwar in eindeu-tiger Weise. Das impliziert, dass alle Eigenwerte der Jacobi–Matrix J dieseslinearen Modells instabil sein mussen, da es sonst mehr als nur den Ruck-sprung in den Steady State als begrenzte Systemreaktion aufweisen wurde,also im Sprachgebrauch der New Keynesian zu Indeterminiertheit Anlass gibt.Die zur Debatte stehenden 4 Eigenwerte sind die Wurzeln λ der folgenden 4DEigengleichung:

det(λI − J) = det

λ

1 0 0 00 1 0 00 0 1 00 0 0 1

0 0 −βwy βwω

0 0 −βpy −βpω

0 αyi (βip − 1) αyiβiy 01 −1 0 0

Die Matrix J impliziert die gewunschte totale Instabilitat des Steady Statedes Modells genau dann, wenn die Matrix Q = −J nur Wurzeln mit negativemRealteil aufweist, d.h., wenn die Matrix Q asymptotische Stabilitat des SteadyState impliziert:

Q =

0 0 βwy −βwω

0 0 βpy βpω

0 αyi (1− βip) −αyiβiy 0−1 1 0 0

Fur das charakteristische Polynomial der Matrix Q mussen wir deshalb zeigen,vgl. Asada, Chiarella, Flaschel and Franke (2003, Mathematical Appendix):

λ4 + a1λ3 + a2λ

2 + a3λ + a4 : a1, a3, a4 > 0, a1a2a3 − a21a4 − a2

3 > 0

Diese Bedingungen implizieren dann auch, dass a2 > 0, a1a2 − a3 > 0 gilt.Asada et al. (2007) zeigen aber, dass die Matrix Q stets eine instabile Wurzel,also die Matrix J stets eine stabile Wurzel besitzt. Es gibt damit wenigstenseine Bahnkurve im Phasenraum des betrachteten dynamischen Systems, diegegen den Steady State konvergiert, d.h., alle Punkte dieses Orbits kommenals Ansprungstelle bei der Methode der rationalen Erwartungen in Frage. DieReaktion des Systems ist somit nicht eindeutig bestimmbar (was den deter-ministischen Grundfall angeht) und das Modell daher nicht aussagefahig. Wirerhalten damit das Resultat, dass das Grundmodell der New Keynesians in

Page 404: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

7.5 IS-LM-2PC Ungleichgewichtsanalyse: ’Baseline’ Szenarien 393

der obigen Form nicht tragfahig ist und deshalb aus der Betrachtung aus-geschlossen werden muss, solange wie nicht eine Modifikation des Modells(insbesondere seiner Taylorregel) gefunden wird, die die Anzahl der instabilenWurzeln von J in Ubereinstimmung mit der Anzahl der vorwartsschauendenVariablen bringt.

Wenn wir hatten zeigen konnen, dass das Modell determiniert ist, ware einanderer Sachverhalt aus Sicht von Keynes (1936, Kap.22) jedoch zum Problemgeworden. In diesem Fall ware wieder der Steady State die einzige Ansprung-stelle nach exogenen Schocks des Systems gemaß der Methode der rationalenErwartungen geworden, d.h. die systematische, deterministische Reaktion desModells ware dann vollig trivial. Dies steht im krassen, nicht mehr zu uber-bietenden Kontrast zu den Aussagen von Keynes uber den Konjunkturzyklus,die wir am Anfang dieses Kapitels kurz diskutiert haben. Es ergibt sich somitim Fazit, dass die Bezuge des Grundmodells der New Keynesians zur GeneralTheory von Keynes ausgesprochen vage (da praktisch strukturlos) sind unddass daruberhinaus das ‘Baseline’ Modell dieses Ansatzes noch keine verlass-liche (determinierte) Form besitzt, also dieser Ansatz aus zweierlei Sicht inFrage zu stellen ist. Daruberhinaus gilt, dass dieses New Keynesian BaselineModell, da es rein vorwartsschauend ist, praktisch keine Schwerkraft bei derBekampfung von Inflationsgefahren besitzt.

Wir betrachten deshalb im nachsten Abschnitt eine alternative Modellie-rung keynesianischer Lohn-Preis Dynamik, die formal gesehen starke Ahnlich-keiten mit der in diesem Abschnitt betrachteten neukeynesianischen Dynamikaufweist, die aber aufgrund ihrer andersartigen Erwartungsbildungshypothe-sen (modellkonsistent statt rational) vollig andere Eigenschaften besitzt.

7.5 IS-LM-2PC Ungleichgewichtsanalyse: ’Baseline’Szenarien

Wir stellen in diesem Abschnitt zunachst ein keynesianisches Modell vor, dassich eng am Modell des vorausgegangenen Abschnitts orientiert, das aber eineLohn-Preis-Spirale formuliert, bei der der Kostendruck (neben dem Nachfra-gedruck) im Arbeitsmarkt – die Lebenshaltungskosten – aus dem Gutermarktresultiert und umgekehrt der Kostendruck am Gutermarkt (die Lohnkosten)sich aus dem Arbeitsmarkt ergibt. Wir erhalten damit eine uberkreuz ver-knupfte Lohn-Preis Dynamik mit angenommener perfekter Voraussicht auf dieim Kommen begriffenen Kostenterme und mit einer neuklassischen Datierungbei den Erwartungstermen anstelle einer neukeynesianischen strikt vorwarts-schauenden Datierungsweise. Im darauffolgenden Unterabschnitt werden wirdiese Lohn-Preis Spirale dann in das Modell der alten neoklassischen Synthe-se des Abschnitts 7.3 einbauen, um damit dann aufzeigen zu konnen, dassdie festgestellten Konsistenzprobleme damit uberwunden werden konnen. Ei-ne Weiterentwicklung der keynesianischen Variante der alten neoklassischen

Page 405: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

394 7 Ausblick: Gereifter Keynesianismus

Synthese beseitigt damit im Zusammenhang mit der Grenzproduktivitats-theorie festgestellte Mangel dieser Variante und fuhrt sie in eine Form uber,die sie als an ihren Problemen gereift erscheinen lasst und die die klassischeVariante der alten neoklassischen Synthese, den Fall perfekt flexibler Preiseund Lohne, als – wie schon von Keynes (1936, Kap.1) behaupteten – extremenund unrealistischen Spezialfall erkennbar werden lasst.

7.5.1 Die Lohn-Preis Spirale im dynamischen AD-Modell

In diesem Unterabschnitt schlagen wir eine Modifikation des ‘New KeynesianBaseline’ Modells vor, die zeigen wird, dass es dann – trotz vorwartsschau-ender modell-konsistenter Erwartungen – in der traditionellen Art mit nurpradeterminierten Variablen gelost werden kann, also keine Annahme braucht,die aus allen modell-konsistenten Entwicklungspfaden der Volkswirtschaft ineinem ansonsten instabilen Umfeld dem Anspruch nach eine einzige stabileLosung durch einen eindeutigen Sprung der Okonomie auf diesen Losungs-pfad aussondern muss. Im direkten Vergleich zum Ansatz der New Keynesiansdes vorherigen Abschnitts lautet die von uns angestrebte Modellstruktur wiefolgt:

πwt+h = πp

t+h + βwyyt − βwωθt, πwt+h = (wt+h − wt)/(wth) (7.31)

πpt+h = πw

t+h + βpyyt + βpωθt, πpt+h = (pt+h − pt)/(pth) (7.32)

yt+h = yt − hαyi(it − πpt+h − i0) (7.33)

it = i0 + βipπpt + βiyyt (7.34)

In bezug auf den Einfluss der Preisinflation auf die Lohninflation (und v.v)nehmen wir hier zusatzlich an, dass er nicht nur temporarer (myopisch perfek-ter) Natur ist, sondern auch durch Systemtragheiten beeinflusst wird. DieseTragheiten messen wir im Modell durch einen Index, den wir als Inflations-klima πc

t+h bezeichnen wollen, und der zum Ausdruck bringt, dass die Wirt-schaftssubjekte sich nicht nur an temporaren Geschehen orientieren, sondernauch das Umfeld der ablaufenden Inflationsprozesse berucksichtigen. Zum Bei-spiel gehen damit temporare Lohninflationsschocks nicht unmittelbar und inGanze in die Preisinflationsrate ein, sondern werden durch das Umfeld dieserSchocks abgemildert. Es ist naheliegend anzunehmen, dass sich Umfeldeinflußeadaptiv weiter entwickeln, also im Lichte der aktuellen Entwicklung upgedatetwerden, so z.B. durch den ublichen adaptiven Prozess

πct+h = πc

t + hβπc(πpt − πc

t ) (7.35)

Auf dieser Basis definieren wir dann die noch undefinierten Variablen πpt+h,

πwt+h des obigen Modells durch die Ausdrucke:

πpt+h = αpπ

pt+h + (1− αp)πc

t+h, πwt+h = αwπw

t+h + (1− αw)πct+h (7.36)

Page 406: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

7.5 IS-LM-2PC Ungleichgewichtsanalyse: ’Baseline’ Szenarien 395

mit αp,αw∈(0,1).In stetiger Zeit kann das obige dynamische Modell dann wie folgt darge-

stellt werden [wenn man die Ausdrucke πwand πp zur Darstellung der mo-mentanen Lohn- und Preis-Inflationsraten (der rechtsseitigen Ableitung vonln w und ln p) benutzt:

πw = αwπp + (1− αw)πc + βwyy − βwωθ

πp = αpπw + (1− αp)πc + βpyy + βpωθ

y = −αyi((βip − 1)πp + βiyy

πc = βπc(πp − πc)θ = πw − πp

Die ersten zwei Gleichungen dieses dynamischen Modells lassen sich leichtbzgl. der zwei Variablen πw-πc, πp-πc explizit losen und ergeben (mit α= 1

1−αpαw):

πw − πc = α[βwyy − βwωθ + αw(βpyy + βpωθ)]πp − πc = α[βpyy + βpωθ + αp(βwyy − βwωθ)]πw − πp = α[(1− αp)(βwyy − βwωθ)− (1− αw)(βpyy + βpωθ)]

Wir erhalten also:

πw = πw(y, θ) + πc, πwy > 0, πw

θ

>−<

0

πp = πp(y, θ) + πc, πpy > 0, πp

θ

>−<

0

πw − πp = θ(y, θ), θy

>−<

0, θθ < 0

Im Hinblick auf θy, der Abhangigkeit der Wachstumsrate des Reallohns vonder okonomischen Aktivitat, nehmen wir an – im Einklang mit dem, was uberdie Prozyklizitat der Reallohne bekannt ist – dass diese partielle Ableitungpositiv ist. Das zu untersuchende dynamische System lautet dann:

y = −αyi((βip − 1)(πp(y, θ) + πc) + βiyy)πc = βπcπp(y, θ)θ = θ(y, θ)

und es weist den selben Steady State wie das zuvor betrachtete neukeynesia-nische Modell auf. Fur die Jacobi–Matrix J dieser Dynamik ergibt sich hieraber im Falle einer aktiven geldpolitischen Regel (βip>1):

J =

− − ?+ 0 ?+ 0 −

Page 407: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

396 7 Ausblick: Gereifter Keynesianismus

Wenn man die linearen Abhangigkeiten der betrachteten Dynamik in ihrerJacobischen geeignet ausnutzt, erhalt man fur das charakteristische Polynomder Matrix J :

λ3 + a1λ2 + a2λ + a3, a1, a2, a3 > 0.

Des weiteren taucht der Parameter αiy nur und zwar positiv in a1,a2 auf.Indem man ihn hinreichend groß wahlt, kann man somit auch die Bedingunga1a2-a3> 0 sicherstellen. Dies und mehr wird in Asada et al. (2007) im De-tail gezeigt und liefert mittels dieser sog. Routh-Hurwitz Bedingungen dieAussage, dass die untersuchte Dynamik global asymptotisch stabil ist. Diesekurzen Ausfuhrungen mussen hier genugen, um zu verdeutlichen, dass dasvorliegende dynamische Modell ganz andere Eigenschaft aufweist, als das ihmvorausgeschickte New Keynesian Makromodell. Seine Losungskurven sind un-ter bestimmten Annahmen uber die Parameter des Modells konvergent, ohnees irgendwelcher Auswahlkriterien uber Anfangsbedingungen bedarf. Es gibtParameterkonstellationen, insbesondere was die Anpassungsstarke des Infla-tionsklimas angeht, wo die Dynamik zu gedampften Schwingungen ubergehtund schließlich uber konzentrische Orbits (durch eine sog. degenerierte Hopf-Bifurkation) zu explosivem Verhalten fuhrt. Details dazu findet der Leser inAsada et al. (2007). Des Weiteren lasst sich zeigen, dass solche Stabilitatsver-luste insbesondere durch Lohnrigiditaten nach unten begrenzt werden konnenund somit persistente Konjunktur aus globalen Aspekten und Begrenzern her-geleitet werden kann.

Wir schlussfolgern, dass es ein zum neukeynesianischen Modell struktur-verwandtes Modell mit traditionellen Bausteinen gibt, das bereits im determi-nistischen Setup eine gehaltvolle Theorie des Konjunkturzyklus impliziert (mitgedampften oder sogar persistenten Schwingungen in volkswirtschaftlicher Ak-tivitat und Inflationsdynamik) im strikten Unterschied zum Modell der NewKeynesians mit sowohl staggered wage als auch staggered price setting. Indiesem Modell haben wir sowohl den Realzinskanal der konventionellen key-nesianischen IS-Analyse vorliegen wie auch eine Reallohn Wirkungskette, dieallerdings verschiedene Verlaufsmuster zeigen kann, wie aus den weiter obenfestgestellten Uneindeutigkeiten bei den Vorzeichen in der reduzierten Formdes Modells hervorgeht.

Es gibt somit eine Alternative zur Theorie der New Keynesians, die inder Tradition der alten neoklassischen Synthese in ihrer keynesianischen Aus-pragung steht und die trotz der Annahme myopisch perfekter Voraussichtdie diskutierten Fehler der alten Synthese vermeidet. Im nachsten, das Kapi-tel im Wesentlichen abschließenden Abschnitt werden wir dies anhand diesesAusgangs-Modells noch zeigen und damit sehen, wie dieses organisch hin zu ei-nem konsistenten dynamischen AD-AS Modell weiterentwickelt werden kann,anstelle des vollstandigen Bruchs, den die New Keynesians im Hinblick aufdie alte neoklassische Synthese vollzogen haben. Wir werden dabei der Klar-heit und Vergleichbarkeit wegen im folgenden Unterabschnitt zum Gebraucheiner konventionellen LM-Kurve zuruckkehren (anstelle der Verwendung ei-

Page 408: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

7.5 IS-LM-2PC Ungleichgewichtsanalyse: ’Baseline’ Szenarien 397

ner Taylor Zinssteuerungsregel) und auf die Reallohneffekte in der Lohn- undPreis-Phillipskurve verzichten, da diese erst durch einen Ansatz von Blanchardund Katz (1999) mikrofundiert und damit in die konventionelle Diskussion derBestimmungsgrunde der Lohn-Preis Dynamik eingefuhrt worden sind.

7.5.2 Das gereifte altkeynesianische AD-AS Modell

Das AD-AS Modell, das wir in diesem Abschnitt kurz darstellen wollen, be-ruht auf dem Modell, das in Asada et al. (2006a,b) breit diskutiert worden ist.Wir verweisen deshalb den Leser hier auf diesen Artikel hinsichtlich weitererDetails zu dem im Folgenden Dargestellten. Das Modell kann als Realisati-on der Integrationsbemuhungen von Blanchard (2006) angesehen werden, wasdie kurze, mittlere und lange Sicht angeht und ist im Grundsatzlichen mit dervon Blanchard (2006) angestrebten Reformulierung des AS Seite der keyne-sianischen Okonomik vereinbar. Es synthetisiert auch die Ansatze, die wir indiesem Buch in den Kapiteln 3, 5 und 6 verfolgt haben und liefert damit dengeeigneten Abschluss fur dieses Buch.

Wir starten wie zuvor von der Gegebenheit einer Lohn- und einer Preis-Phillipskurve, jetzt aber frei von der uniformen Verwendung eines einzigenOutput-gaps in sowohl der Lohn- als auch der Preisdynamik. Stattdessen ver-wenden wir in bezug auf den Arbeitsmarkt jetzt den Beschaftigungsgap V − Vund in bezug auf den Gutermarkt den Kapazitatsauslastungsgap V c − V c,wobei die jeweiligen Referenzgroßen die NAIRU des Arbeitsmarktes und dieNAIRU des Gutermarktes reprasentieren. Das Inflationsklima πc spielt hier-bei die gleiche Rolle wie im vorherigen Abschnitt und wird weiter unten durcheinen adaptiven Anpassungsprozess bestimmt werden.

w = βw(e− e) + κwp + (1− κw)πc,

p = βp(u− u) + κpw + (1− κp)πc.

Diese Gleichungen lassen sich als 2 lineare Gleichungen in den Unbekann-ten w − πc und w − πc hinschreiben und ergeben aufgelost dann die beidenfolgenden marktuberspannenden Phillipskurven (in sog. reduzierter Form),die in signifikanter Weise das ubliche Szenario einer einzigen konventionellenPhillipskurve in reduzierter Form (die rein arbeitsmarktorientiert ist) verall-gemeinern.

w = κ[βw(e− e) + κwβp(u− u)] + πc,

p = κ[βp(u− u) + κpβw(e− e)] + πc,

Voneinander abgezogen liefern diese beiden Gleichungen als Bewegungsgesetzfur den Reallohn ω = w/p :

ω = κ[(1− κp)βw(e− e)− (1− κw)βp(u− u)], κ = 1/(1− κwκp).

Page 409: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

398 7 Ausblick: Gereifter Keynesianismus

Wir betonen hier, dass das Inflationsklima bei dieser Bestimmungsgleichungfur die Wachstumsrate des Reallohns keine Rolle spielt (sich weggekurzt hat).Wir betonen auch, dass die Phillipskurven in reduzierter Form auf einer jeweilsspezifischen Mixtur aus Arbeitsmarkt- und Gutermarkt-Daten beruhen undeben in diesem Sinne als marktuberspannend anzusehen sind.

Fur die Entwicklung des Inflationsklimas nehmen wir wie im vorherigenUnterabschnitt an, dass es einem adaptiven Anpassungsmechanismus unter-liegt, d.h. hier insbesondere, dass gilt:

πc = βπc(π − πc), π = p.

Neben diesen Klimaprozess wollen wir hier zur Vereinfachung der statischenBeziehungen des Modells noch einen gleichartigen Prozess, der das Investiti-onsklima bestimmt, stellen und zwar:

εc = βεc(ε− εc), ε = ρ + p− r,

der von vollig analoger Natur ist. Das Investitionsklima (welches spater bei derFormulierung der Investitionsfunktion Verwendung finden wird) folgt damitder aktuellen ‘Risikopramie’ ε = ρ − (r − p)), dem Uberschuss der aktuellenProfitrate ρ uber den aktuellen Realzins r−p, mit einer gewissen Verzogerung,die durch die Anpassungsstarke βεc gemessen wird. Investitionen sind auf die-ser Basis formuliert relativ regular in ihrem Verhalten, was aber durch einezusatzliche Abhangigkeit vom Auslastungsgrad der Firmen verandert werdenkann. Im Moment gehen wir jedoch einfach von einer Investitionsfunktion desTyps I/K = i(εc) + n anstelle der in Abschnitt 7.3 verwandten Investitions-funktion I/K = i(ε) + n aus.

Wir haben damit alle Elemente eingefuhrt, die zu einer Uberwindung derin Abschnitt 7.3 dargestellten extremen Eigenschaften des konventionellenAS-AD Modells (bei myopisch perfekter Voraussicht) der alten neoklassischenSynthese benotigt werden. Das Modell basiert jetzt auf gradueller Lohn- undPreisanpassung und einer gewissen Tragheit, was Kostendruck und Uber-schussrenditen angeht. Bei Sargents (1987) ursprunglicher Modellierung Key-nesianischer AS-AD Dynamik galt βεc , βπc , βp = ∞ und Vc = 1, was bedeutetdas nur gegenwartige Inflationsraten und Uberschussrenditen die Evolutionder Okonomie bestimmen und dass die Guterpreise perfekt flexibel sind, sodass die Auslastung der Unternehmen stets optimal ist. Dieser hypothetischeGrenzfall hat jedoch wenig gemein mit den Eigenschaften des Modells diesesUnterabschnitts und ist deshalb von in die Irre fuhrender Art, insbesonderewenn er auf aktuelles okonomisches Geschehen Anwendung findet.

Dies bringt uns zu einem Punkt, wo noch eine Definition und ihre Er-klarung erforderlich wird, namlich das in diesem Modell (in dem wir eine neo-klassische Produktionsfunktion im Hintergrund haben) verwandte Konzeptdes Auslastungsgrades der Firmen. Wir haben hier die Situation stetiger Fak-torsubstitution zu verbinden mit dem keynesianischen Gedanken, dass auchFirmen – wie das Arbeitsangebot – Leerkapazitaten aufweisen konnen (oder

Page 410: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

7.5 IS-LM-2PC Ungleichgewichtsanalyse: ’Baseline’ Szenarien 399

uberbeschaftigt sein konnen). Der tatsachliche Gebrauch des Kapitalstocks Kist in diesem keynesianischen Modellansatz naturlich durch den aktuellen Out-put Y bestimmt. Als Maß des potentiellen Outputs Y p(ω) werden wir hier denzu laufenden Preisen und Lohnen bestimmten profit-maximierenden Outputverwenden. Die Kapazitatsauslastung der Firmen ist somit durch Y/Y p(ω) zudefinieren und deshalb bestimmt durch:10

V c = Y/Y p mit Y p = F (K, Lp), ω = FL(K, Lp).

wobei Y durch den IS-LM Gleichgewichtsblock in der ublichen Weise zu be-stimmen ist. Wir haben in der Preis-Phillipskurve als normale Rate der Ka-pazitatsauslastung eine Rate von kleiner als 1 unterstellt und nehmen daherhierbei an, dass der Nachfragedruck am Gutermarkt zu Preisinflation fuhrt,bevor der gegenwartig profitmaximale Output erreicht wird. Die Idee hinterdieser Annahme ist, dass im Kontext von imperfektem Wettbewerb auf demGutermarkt die Firmen die Preise anheben, bevor die marginalen GewinneNull geworden sind. Wir haben damit das Resultat, dass die Keynes’sche Ak-zeptanz des Preis=Grenzkosten-Postulats in der kurzen Frist nicht erfullt istund im Steady State (in der langen Frist) nur angenahert gilt.

Es gibt noch einen anderen Weg, die imperfekte Preisanpassung, die wirhier modelliert haben, zu motivieren. Aus Grunden der Einfachheit unterstel-len wir im Folgenden den Fall einer Cobb-Douglas-Produktionsfunktion, alsoY = KαL1−α. Gemaß obigem bekommen wir damit

p = w/FL(K, Lp) = w/[(1− α)Kα(Lp)−α]

Dies definiert fur gegebene Lohne und Preise die potentielle (maximale)Beschaftigung der Firmen. In ahnlicher Weise definieren wir das kompetitivePreisniveau durch das Niveau pc so dass

pc = w/FL(K, Ld) = w/[(1− α)Kα(Ld)−α].

gilt. Auf Grund dieser Definitionen erhalt man dann die Beziehung

p

pc=

(1− α)Kα(Ld)−α

(1− α)Kα(Lp)−α= (Lp/Ld)α.

Mittels dieser Ausdrucke erhalten wir durch die Definitionen von Ld, Lp undihrer Implikation Y/Y p = (Ld/Lp)1−α eine Formel, die das obige Preisverhalt-nis in Beziehung setzt zur in diesem Abschnitt weiter oben definierten Aus-lastungsrate V c des Kapitalstocks K:

p

pc= (

Y

Y p)−α1−α or

pc

p= (

Y

Y p)

α1−α = (V c)

α1−α .

10 In intensiver Form ergibt dies V c = y/yp mit yp = f((f ′)−1(ω)) in bezug auf dieNotation des Abschnittes 7.3.

Page 411: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

400 7 Ausblick: Gereifter Keynesianismus

Somit erhalten wir (fur V c = 1), dass eine nach oben gerichtete Anpassungdes Auslastungsgrades des Kapitalstocks hin zu seiner Vollauslastung posi-tiv korreliert ist mit einer nach unten gerichteten Anpassung des aktuellenPreisniveaus hin zum kompetitiven Preisniveau und vice versa. Im Spezialfallα = 0.5 wurden wir insbesondere als reformulierte Preisdynamik die folgen-de Gleichung bekommen (man vgl. Gleichung 7.37, wobei u durch (pc/p)o)ersetzt wird):

p = βp(pc/p− (pc/p)o) + κpw + (1− κp)πc.

Dies korrespondiert deutlich zur ‘New Phillips Curve’ der New Keynesians,soweit die Wiedergabe von Nachfragedruck-Termen betroffen ist, die dortebenfalls auf Abweichungen von den realen Lohngrenzkosten umgeformt bzw.durch diese erklart werden. Preisinflation ist folglich ansteigend, wenn diekompetitiven Preise (und damit die nominalen Lohngrenzkosten) oberhalb deraktuellen liegen und im Gegenfall abnehmend (wobei wir hier von konstantgehaltenen Kostendruck-Termen ausgehen). Dies zeigt dass unsere Definitionund Interpretation der Auslastungsrate des Kapitalstocks im Falle einer neo-klassischen Produktionsfunktion eng verwandt ist mit dem Verstandnis vonNachfragedruck, wie sie bei den New Keynesians anzutreffen sind. Zu beachtenist hierbei jedoch, dass wir als Normalauslastung einen Wert, der kleiner als1 ist, unterstellt haben, somit die Preise zu steigen beginnen, bevor wir – vonunten kommend – das kompetitive Preisniveau erreicht haben. Des weiterenzeigt sich hier erneut, was von Keynes’ Akzeptanz der Grenzproduktivitats-theorie ubrig geblieben ist (die er inzwischen sicherlich auch in Richtung einerTheorie monopolistischen Wettbewerbs oder verwandter Ansatze umformu-liert hatte).

Wir bemerken kurz, dass der Steady State der hier betrachteten Keyne-sianischen Dynamik derselbe ist, wie der AS-AD Dynamik, die wir in Ab-schnitt 7.3 betrachtet haben (allerdings jetzt erganzt durch εc

o = 0, V co =

V c, Vo = V , ypo = yo/V c

o , lpo = f−1(ypo)). Des weiteren mussen die obigen dyna-

mischen Gleichungen naturlich durch diejenigen, die unmodifiziert gebliebensind, erganzt werden. Die intensive Form aller damit resultierenden statischenund dynamischen Beziehungen ist weiter unten dargestellt. Die Modifikationendes AS-AD Modells des Abschnitts 7.3, die wir in diesem Abschnitt durch-gefuhrt haben, implizieren im Grundsatzlichen, dass es nicht mehr einer Di-chotomie unterliegt und dass es keine Notwendigkeit mehr gibt, die inhaltlichkaum motivierte Sprung-Variable Technik der Rationalen Erwartungsschuleanwenden zu mussen. Wir haben jetzt nicht mehr mit Zustandsvariablen zuarbeiten, die als nicht pradeterminiert angesehen werden mussen, um das dy-namische System gehaltvoll losen zu konnen, sondern konnen stattdessen dasSystem auf die folgenden funf pradeterminierten Zustandsvariablen reduzie-ren, die in der ublichen historischen Weise (auf Basis gegebener Anfangsbe-dingungen) miteinander interagieren: Der Reallohn, die Realkasse pro Kapi-taleinheit, die Vollbeschaftigungs-Arbeitsintensitat, sowie die Ausdrucke furdas Inflations- und das Investitionsklima.

Page 412: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

7.5 IS-LM-2PC Ungleichgewichtsanalyse: ’Baseline’ Szenarien 401

Zusammengefasst besteht das dynamische AS-AD Modell dieses Abschnittsalso aus den folgenden funf Bewegungsgesetzen:

ω = κ[(1− κp)βw(ld/l − e)− (1− κw)βp(y/yp − u)], (7.37)

l = −iεc, (7.38)m = −p− iεc, (7.39)πc = βπc(p− πc), (7.40)εc = βεc(ρ + p− r − εc) (7.41)

in denen die Preis-Phillipskurve in ihrer reduzierten Form

p = κ[βp(y/yp(ω)− u) + κpβw(ld/l − e)] + πc

zur Vervollstandigung des Systems einzusetzen ist. Des Weiteren ist das vor-liegende dynamische System noch durch die folgenden statischen Beziehungenfur den aktuellen und den potentiellen Output (pro Kapitaleinheit) und dieZinsrate sowie die Profitrate zu erganzen:

y =1

1− c[iεc + n + g − t] + δ + t,

yp = f((f ′)−1(ω)), F (1, Lp/K) = f(lp) = yp, FL(1, Lp/K)) = f ′(lp) = ω,

ld = f−1(y),r = ro + (h1y −m)/h2,

ρ = y − δ − ωld,

Diese Beziehungen mussen in die funf Differentialgleichungen noch geeigneteingesetzt werden, damit man ein autonomes Differentialgleichungssystem be-kommt. Dieses System ist in naturlicher oder intrinsischer Form zudem einnichtlineares Differentialgleichungssystem.

Fur dieses Modell lasst sich wieder zeigen, dass es im Bereich modera-ter Anpassungsstarken asymptotisch stabil ist, aber in zyklischer Weise seineStabilitat verliert, wenn bestimmte Parameter, insbesondere die Anpassungs-geschwindigkeit des Inflationsklimas, hinreichend hoch werden. Lohnstarrhei-ten nach unten – aber auch andere Verhaltens-Nichtlinearitaten genugendweit weg vom Steady State der Dynamik – ermoglichen es dann aber in derRegel, die Systemdynamik im okonomisch relevanten Teil des Phasenraumesbegrenzt zu halten, indem dadurch eine persistente Schwingung (ein Grenzzy-klus) oder sogar eine irregulare Konjunkturdynamik (ein seltsamer Attraktor)erzeugt wird.

In Abhangigkeit von der Art der Nichtlinearitat in der Lohn-Phillipskurve,man vgl. dazu Rose (1967), kann sich dabei auch ergeben, dass der irregulareAttraktor in einem Depressionsbereich unterhalb des Steady States gerat (sie-he Abb. 7.2.) und dort verbleibt, wenn der Nominallohn dort wieder flexibel

Page 413: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

402 7 Ausblick: Gereifter Keynesianismus

Abb. 7.2. Komplexe deterministische Makrodynamik

wird (und partiell Lohndeflation auftritt) und die Aufschwunge zu schwachsind, um aus diesem Bereich wider herausfuhren zu konnen. Der Leser kannaber an dieser Stelle hinsichtlich solcher Sachverhalte nur auf die Literaturverwiesen werden, so insbesondere auf Asada et al. (2006a,b), Chen et al.(2006) und als Ausgangspunkt fur diese Arbeiten auf Chiarella und Flaschel(2000).

Zusammenfassend wollen wir hier feststellen, dass wir in diesem abschlie-ßenden Abschnitt des Buches eine Modellierungsstufe bei keynesianischer AS-AD Theorie erreicht haben, die deutlich komplexer, aber auch deutlich ausge-wogener und uberzeugender ist als die asymmetrische Modellierung des Lohn-Preis-Moduls der alten neoklassischen Synthese in ihrer keynesianischen Aus-pragung. Wir haben nunmehr 5 statt nur 3 Bewegungsgleichungen in derFormulierung der Dynamik eines solchen Systems, mochten hierbei aber be-tonen, dass solche Bewegungsgesetze oft leichter zu analysieren sind als es beiweniger Bewegungsgesetzen, aber verschlungeneren Gleichgewichtsbeziehun-gen der Fall sein kann. Myopisch perfekte Voraussicht hat im jetzt vorliegen-den Modellierungskontext keine systemsprengende Wirkung mehr (wie diesim Abschnitt 7.3 der Fall war). Auslastungsgradschwankungen beim FaktorArbeit wie auch beim Faktor Kapital sind nunmehr in angemessener Weiseintegriert (und existieren Seite an Seite trotz der Unterstellung einer neo-klassischen Produktionsfunktion). Wir haben nunmehr graduelle Lohn- undPreisanpassungen mit Kostendruckausdrucken, die sowohl vorwarts als auch

Page 414: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

7.5 IS-LM-2PC Ungleichgewichtsanalyse: ’Baseline’ Szenarien 403

ruckwarts ausgerichtet sind und die die Unterscheidung zwischen temporarenund permanenten Inflationsschocks gestatten. Das Modell weist eine eindeuti-ge innere Steady State Position auf, um die herum (oder auch unter der) Kon-junkturschwankungen persistenter Art generiert werden konnen, die kurzfris-tige Output und Zinseffekte mit mittelfristigen Inflationsmustern integrieren.Unsere gereifte AS-AD-PC Wachstumsdynamik weist damit eine Vielfalt vonFeatures auf, vgl. hierzu insbesondere Chiarella, Flaschel und Franke (2005),die deutlich naher an Keynes’ (1936) Analyse des ‘Trade Cycles’ liegen (vgl.hierzu 7.1) als es bei der alten neoklassischen Synthese der Fall gewesen ist.So wie das Modell jetzt reformuliert vorliegt, weist es neben dem hinreichendbekannten Realzinskanal auch eine (eigentlich bekannte, aber) in der theo-retischen Analyse oft ignorierte Reallohn Wirkungskette auf. Neben destabi-lisierenden Mundell-Effekten haben wir in unserem gereiften AS-AD Modellnunmehr auch die Moglichkeit adverser (aber auch normaler) Rose (1967)Reallohn-Effekte, man vgl. hierzu die folgende Abb. 7.3. und hinsichtlich derGrundlagen fur solche Feedback-Muster auch erneut Chiarella und Flaschel(2000). Das Modell weist also nunmehr die Interaktion von drei Feedback-Mustern auf, den bekannten stabilisierenden Keynes-Effekt und den durchden gleichen Kanal wirkenden Mundell-Effekt (der – wie wir in Kapitel 5gesehen haben – die stabilisierende Wirkung des Keynes-Effekts aushebelnkann) und jetzt den distributiv orientierten Rose-Effekt, den wir in Kapitel 6schon kennengelernt haben. Da wir ausgehend vom Modell der alten neoklas-sischen Synthese nur den Fall betrachtet haben, wo die aggregierte Nachfrageuber das Investitionsverhalten der Firmen negativ vom Reallohn abhangt, al-so profitgefuhrt ist, haben wir in diesem Kontext nur zwei Auspragungen desRose-Effekts, eine stabilisierende, wenn die Lohnflexibilitat die Preisflexibi-litat dominiert und eine destabilisierende im umgekehrten Fall. Im Falle einerlohngefuhrten Okonomie, wo der positive Konsumeffekt von Reallohn-Ande-rungen den negativen Investitionseffekt dominiert, finden wir dann naturlichgerade entgegengesetzte Stabilisierungsmuster.

Damit wollen wir aber nun die Analyse von keynesianischen Modellen, diedie kurze, mittlere und lange Sicht wirklich integrieren, beenden und verweisenden Leser auf Chiarella, Flaschel und Franke (2005), d.h. auf einen dies aus-bauenden Analyserahmen, der erneut die Schwachen sowohl der alten wie auchder neuen neoklassischen Synthese zum Ausgangspunkt nimmt, um dann einekeynesianische Theorie des ungleichgewichtigen Wachstums (mit Blanchardund Katz (1999) Error Correction und Zinssteuerungsregel wie hier im Ab-schnitt 7.4) durch Erweiterung des obigen Modells zu formulieren, die zudemfur die US-Okonomie erfolgreich kalibriert werden kann.

Im Lichte der Erorterung des vorliegenden Kapitels bleibt damit nur nochdie Frage, ob in der zukunftigen Entwicklung keynesianischer Makrotheorieder stochastische Ansatz der New Keynesians oder der um stochastische Ele-mente erweiterte Ansatz eines gereiften, aber dennoch traditionellen Keyne-sianismus die geeignetere Strategie darstellt, um empirisch gehaltvolle Aus-

Page 415: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

404 7 Ausblick: Gereifter Keynesianismus

Asset Markets:

DepressedGoods Markets

DepressedLabor Markets

wages

prices

Der Mundell-Effekt:

aggregate demand

REALinterestrate

investment

Further

Further

rising interest rates?

The Multiplier!(+durables)

Asset Markets:

DepressedGoods Markets

DepressedLabor Markets

wages

prices

REALbalances

Der Keynes-Effekt:

interest rates

investment

aggregate demand

The Multiplier!

Recovery!

Recovery!

(+durables)

Asset Markets:

DepressedGoods Markets

DepressedLabor Markets

wages

prices

Ein Adverser Reallohn-Effekt:

interest rates

investment

aggregate demand

Further

Further

REALwages

consumption

?Asset Markets:

DepressedGoods Markets

DepressedLabor Markets

wages

prices

Ein Normaler Reallohn-Effekt:

interest rates

aggregate demand

Recovery

REALwages

?

(faster)

Profit-led economy

Recovery

Abb. 7.3. Feedbackmuster der gereiften traditionellen keynesianischen Makrody-namik

sagen uber Wirtschaftsentwicklung und deren wirtschaftspolitische Beeinflus-sung machen zu konnen.

Keynesian AS-AD, quo vadis?

Page 416: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

Teil III

Ubungsmaterialien

Page 417: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

8

Ubungsaufgaben

8.1 Ubungsaufgaben 1

Die folgenden Fragen beziehen sich auf den in Kapitel 2 diskutierten Text vonWolfram Engels:

1. Ermitteln Sie die theoretischen Aussagen von W. Engels zu den Ur-sachen von ‘Arbeitslosigkeit’ (seine Diagnose) und versuchen Sie daraus eineinheitliches Bild zu erstellen. Prufen Sie, ob Engels stets miteinander kon-sistente Aussagen macht. Trennen Sie dabei in Aussagen, die sich auf Nomi-nallohne und solche, die sich auf Reallohne, die Kaufkraft der Nominallohne,beziehen.

2. Konnen Sie mittels des in der Mikrotheorie Gelernten eine formale odergrafische Analyse dieser ‘Theorie der Arbeitslosigkeit’ erstellen, die mittelsNominallohnen argumentiert? Welche wichtige Annahme wird in der Mikro-theorie bei einer solchen Analyse gemacht?

Konnen Sie demgegenuber mittels des in der Mikrotheorie Gelernten eineformale oder grafische Analyse dieser ‘Theorie der Arbeitslosigkeit’ erstellen,die mittels Reallohnen argumentiert? Auf welchen Fundamenten beruht dieseTheorie?

Was musste eine dem Problem der Arbeitslosigkeit sich stellende Arbeit-nehmerschaft in diesem Kontext bewerkstelligen konnen?

3. Besagen die auf Seite 6 des Textes von W. Engels angefuhrten Zitatewirklich dasselbe?

4. Wie lauten auf Basis der betrachteten Diagnose der Ursachen von Ar-beitslosigkeit von W. Engels seine Therapievorschlage? Auf welche der obigenModellvarianten beziehen sich diese Vorschlage?

5. Das ‘Saysche Gesetz’ besagt in einfachen Worten, dass jedes gesamtwirt-schaftliche Guterangebot sich eine entsprechend hohe Guternachfrage selbstschafft (deren Struktur nicht unbedingt stets der des Angebots entsprechen

Page 418: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

408 8 Ubungsaufgaben

muss). Versuchen Sie diese Aussage zu untermauern oder zu entkraften. Wasist W. Engels Haltung in bezug auf das Saysche Gesetz?

Losungsskizzen

1. Die zentrale Ursache fur Arbeitslosigkeit ist nach W. Engels ein im Ver-gleich zur Produktivitat zu hoher Lohnsatz, wobei er in bezug auf letzterenin seinen Aussagen abwechselnd den Nominallohn und den Reallohn meint.So sagt er z.B. mit Blick auf den Nominallohn:

”An fast allen Markten sinkt der Absatz, wenn die Preise steigen. Wenn Bana-nen, Teppichboden oder Eisenbahnfahrten teurer werden, dann werden weni-ger Bananen, Teppichboden oder Eisenbahnfahrten abgesetzt. Fur Arbeit giltdasselbe. Wenn die Lohne steigen, dann sinkt die Nachfrage nach Arbeits-kraften.“ (Vgl. S.8),wahrend er hinsichtlich des Reallohns ausfuhrt:

”In ihrer einfachsten Form besagt die Lohnformel, dass die Reallohne umden Produktivitatszuwachs steigen konnen, wenn im Ausgangszeitpunkt Voll-beschaftigung herrscht und wenn Vollbeschaftigung erhalten werden soll.“(Vgl. S.13).Solange sich die Produktivitat nicht andert, kann die Arbeitslosigkeit alsonur durch Reallohnsenkungen behoben werden (vgl. S.7 und vorangegangenesStatement), wobei Engels’ Ausfuhrungen bezuglich des Nominallohns damitnur dann in Einklang zu bringen sind, wenn zusatzlich entweder ein fixesPreisniveau unterstellt wird (welches Nominallohnsenkungen 1:1 in Reallohn-senkungen transferiert) oder im Falle flexibler Preise anderweitig sichergestelltist, dass die Preise im Gefolge einer Senkung des Nominallohns prozentualschwacher fallen als dieser.

2. Grundlage: partialanalytisches Marktgleichgewicht fur ein Gut i (z.B.Bananen). pi : Preis fur Gut i; xi : Menge des Gutes i. Wichtige Annahmehierbei: Konstanz aller ubrigen Preise pj 6= pi (→ ceteris-paribus-Analyse).Variationen dieser anderen Preise wurden die Angebots- und Nachfragefunk-tion fur Gut i in Abb. 8.1 i.a. verschieben.

Von Engels wird diese Analyse nun auf den Arbeitsmarkt ubertragen, dasGut i also einfach durch das Gut ”Arbeit“ und der Preis pi durch den Nomi-nallohn w ersetzt.Demgegenuber: Herleitung der Arbeitsnachfragekurve in Abhangigkeit vomReallohn ω uber Profitmaximierung preisnehmender Firmen:

Gewinn = pY − wLd = pF (Ld)− wLd → max!

⇒ pF ′(Ld) = w ⇔ F ′(Ld) = w/p = ω (Grenzproduktivitatsregel bei K = K)

Aufgrund der Eigenschaften der unterstellten neoklassischen Produktions-funktion (F ′ > 0, F ′′ < 0) ergibt sich hieraus eine fallende Arbeitsnach-fragefunktion in Abhangigkeit vom Reallohn: Ld′(ω) < 0.

Page 419: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

8.1 Ubungsaufgaben 1 409

Abb. 8.1.

Das Arbeitsangebot ließe sich aus einem Nutzenmaximierungskalkul der Haus-halte herleiten, bei dem es um die optimale Aufteilung der Zeit (z.B. eines Ta-ges) auf Arbeit (→ Lohneinkommen) und Freizeit geht. Je nach dem, ob dabeider Substitutions- oder der Einkommenseffekt einer Reallohnvariation domi-niert, ergibt sich daraus ein positiv oder negativ vom Reallohn ω abhangigesArbeitsangebot. Der Einfachheit halber kann man auch von einem reallohnun-elastischen Arbeitsangebot ausgehen, was dann gerade den Fall reprasentiert,in dem sich die beiden genannten Effekte die Waage halten.

In letzterem Fall folgt fur den Arbeitsmarkt:

Abb. 8.2.

Arbeitslosigkeit setzt hier also das Vorhandensein eines zu hohen Reallohns(etwa ω1) voraus, so dass die Arbeitnehmerschaft zur Uberwindung der Un-terbeschaftigung in der Lage sein musste, den Reallohn ω zu senken.

3. Im Unterschied zum Statement von L. von Mises, in dem ein Kausalzu-sammenhang zwischen Hohe des Reallohns und Beschaftigung unterstellt wird,behauptet Keynes lediglich eine Parallelitat zwischen Reallohn- und Beschafti-gungsentwicklung (auch wenn dies im vorliegenden, dem Zusammenhang ent-zogenen Zitat nicht unbedingt leicht zu erkennen ist). Wie an spaterer Stellenoch deutlich wird, stellt die Reallohnbestimmung bei Keynes nur das letzte

Page 420: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

410 8 Ubungsaufgaben

Glied einer Wirkungskette zur Ermittlung von Einkommen und Beschaftigungdar.

4. Therapievorschlage von Engels (vgl. S.7 und S.13 ff.):

• Zuruckbleiben der Nominallohnsteigerungen hinter der Summe aus Pro-duktivitatsfortschritt und Preisinflation

• Erhohung der Sachkapitalrendite im Vergleich zu den Kapitalkosten (wasnaturlich auch durch Lohnzuruckhaltung zu erreichen ist, da dies ceterisparibus die Sachkapitalrendite erhoht), um dadurch die Investitionstatig-keit anzuregen, die ihrerseits fur eine hohere Produktivitat sorgt.

Grundlage fur diese Empfehlungen bildet also u.a. das ‘Reallohn - Arbeits-markt -Diagramm’ aus Aufgabe 2, wobei wie im Statement von L. von Misesvon einem Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen Hohe des Reallohnsund Beschaftigungsniveau ausgegangen, die Grafik also von der Ordinate hinzur Abszisse gelesen wird.

5. Eine Begrundung fur das Saysche Theorem kann darin gesehen werden,dass niemand sich der Muhe der Guterproduktion unterziehen wird, wenn ernicht beabsichtigt, sich mit dem Verkaufserlos irgendetwas zu kaufen. Auf deranderen Seite scheint dieser Zusammenhang zwischen Produktion und Nach-frage in dem Augenblick in Frage gestellt zu sein, wo ein Teil des Einkommensgespart und somit der (direkten) Guternachfrage entzogen wird. Sofern dieseErsparnis jedoch am Kapitalmarkt angelegt wird und ein flexibler Zinssatzfur eine entsprechend hohe Kreditnachfrage sorgt, fließt dieser Teil des Ein-kommens dann letzten Endes doch in die Guternachfrage, so dass auch hierdie Gultigkeit des Sayschen Theorems aufrechterhalten bleibt. Anders sieht esaber offenbar aus, wenn bestimmte Wirtschaftssubjekte wie z.B. die privatenHaushalte beabsichtigen, einen Teil der (geplanten) Ersparnis in Form vonGeld zu halten bzw. die Geldhaltung daraus resultiert, dass aus irgendwel-chen Grunden nicht die gesamte Ersparnis am Kapitalmarkt angelegt werdenkann; dann wird der dem entsprechende Teil des (erwarteten) Einkommenseffektiv der Nachfrage am Gutermarkt entzogen.

Engels geht jedoch prinzipiell von der Gultigkeit des Sayschen Theoremsaus, das er in seinen Ausfuhrungen auf S.10/11 auch recht anschaulich be-schreibt. Nichtsdestoweniger scheint er mit Blick auf das Geschehen am Kapi-talmarkt aber auch Ungleichgewichtskonstellationen (”Storungen“ infolge von

”Konjunkturschwankungen“) fur moglich zu halten.

8.2 Ubungsaufgaben 2

1.a) Reproduzieren Sie die beiden Versionen des neoklassischen Basismodellsanhand seiner Bestimmungsgleichungen. Welche Variablen sind jeweils endo-gen, welche exogen? Diskutieren Sie insbesondere die zugrundeliegenden An-nahmen bzgl.– der Produktionstechnologie, der Marktform auf den Gutermarkten und des

Page 421: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

8.2 Ubungsaufgaben 2 411

sich darausergebenden Optimierungskalkuls der Unternehmen

– der Rolle des Geldes in der betrachteten Okonomie– des Geschehens auf dem Kapitalmarktb) Versuchen Sie, das sich ergebende Gleichgewicht auf Basis der Modellglei-chungen grafisch herzuleiten.c) Gesetzt den Fall, der Preisbildungsprozess startet bei einem p0 > pGG mitpGG als Gleichgewichtspreis. Wie lasst sich die bestehende Ungleichgewichts-situation inhaltlich erklaren? Was spricht fur eine Anpassung des Preisniveausan seinen Gleichgewichtswert pGG? Welche Annahme liegt dieser Anpassungzugrunde?

2. Spielen Sie die Konsequenzen der folgenden Veranderungen (statisch)exogener Variabler im Rahmen einer komparativ-statischen Analyse fur beideModellversionen durch:a) Erhohung der Geldmenge (M ↑)b) lokale Parallelverschiebung der Produktionsfunktion nach obenc) Erhohung des Arbeitsangebots (L ↑)d) Rechtsverschiebung der Sparfunktion (S(r) ↑ ∀r > 0)e) Was bewirkt in der Modellvariante mit fixem Nominallohn eine Senkungdesselben (w ↓)?Nutzen Sie dabei die in 1 b) hergeleiteten grafischen Zusammenhange. Versu-chen Sie aber auch jeweils eine kurze inhaltliche Begrundung fur die Resultatezu geben.

3. Welche Implikationen bzgl. des Problems der Arbeitslosigkeit ergebensich aus dem neoklassischen Basismodell? Diskutieren Sie dabei auch den Be-griff der ”unfreiwilligen Arbeitslosigkeit“ und uberlegen Sie, welche moglichenUnterschiede sich dabei ergeben konnen, je nachdem, ob man sich dabei aufein einzelnes Individuum oder auf die Arbeitnehmerseite im Aggregat bezieht.

4. Multiple-choice-Aufgabe:Gegeben sei ein Gleichgewicht bei Unterbeschaftigung in der ”w-Variante“des neoklassischen Basismodells. Infolge einer Veranderung der Zahlungsge-wohnheiten kommt es zu einer Senkung der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes(um ein Prozent). Gleichzeitig reduziert die Notenbank die Geldmenge (umden gleichen Prozentsatz). Desweiteren erhoht sich das Angebot an Arbeits-kraften. Dann gilt:a) Dies ist ohne Bedeutung fur Output und Beschaftigung, da sich die erstenbeiden Effekte gerade gegenseitig aufheben und das Arbeitsangebot bei schonbestehender Unterbeschaftigung sowieso keine Rolle spielt.b) Die Arbeitslosenrate U = (L− Ld)/L steigt an, wahrend Preisniveau undGrenzprodukt der Arbeit sinken.c) Reallohn und durchschnittliche Arbeitsproduktivitat Y/Ld steigen, dieBeschaftigung geht zuruck und der Vollbeschaftigungsoutput steigt.d) Zinssatz und Preisniveau steigen, wohingegen Output und Beschaftigungsinken.

Page 422: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

412 8 Ubungsaufgaben

Losungsskizzen

1.a)

Ld = Ld(w/p) = (F ′)−1(w/p)Y = F (Ld) = F ((F ′)−1(w/p))

pY = vM

I(r) = S(r)

Dies sind die Modellgleichungen fur den Fall flexibler Nominallohne. Exogenvorgegeben sind v, M und L, endogen w, p, Ld und Y, wobei aufgrund dervollkommenen Preis- und Lohnflexibilitat Ld = L gilt und der resultierendeOutput somit sein Vollbeschaftigungsniveau erreicht.

Bei fixem Nominallohn ist w durch w zu ersetzen, endogen bleiben jetztalso nur p, Ld und Y, wobei Ld und Y jetzt typischerweise von ihren Voll-beschaftigungswerten abweichen werden.

Produktionstechnologie: Neoklassische Produktionsfunktion mit den ubli-chen Eigenschaften, insbesondere

• positive, aber abnehmende Grenzertrage• konstante Skalenertrage.

Marktform: Vollkommene Konkurrenz, d.h. der Preis stellt fur die Unterneh-men ein Datum dar, woraus sich die Preis=Grenzkosten-Regel ergibt. Rolledes Geldes:

• Recheneinheit• Transaktionsmittel• kein Wertaufbewahrungsmittel.

Bei flexiblen Lohnen und Preisen resultiert hieraus die ”Neutralitat des Gel-des“, d.h. reale Großen wie Y, Ld und ω = w/p werden durch die Geldmengenicht beeinflusst. Bei fixem Nominallohn dagegen hat Geld reale Effekte.

Kapitalmarkt: Die gesamte Ersparnis wird dort angelegt, und ein vollig fle-xibler Zinssatz bringt Sparplane der Haushalte und Investitionsplane der Un-ternehmen in Einklang. Der Nachfrageausfall durch die Ersparnis am Guter-markt wird also gerade durch eine entsprechend hohe Investitionsguternach-frage geschlossen (Say’s Gesetz).

b) AS-Kurve: dYdp = d

dpF (Ld(w/p)) = F ′(.)Ld(.)(−w/p2). Wegen F ′(.) > 0

und Ld′ < 0 folgt: dYdp > 0 bzw. dp

dY > 0 bei fixem Nominallohn. Da umge-kehrt bei flexiblem Nominallohn der Reallohn ω = w/p stets sein arbeitsmark-traumendes Niveau annimmt, ist in diesem Fall Y vollig preisunelastisch bzw.p vollig einkommensunelastisch.

QT-Kurve: pY = M v ⇒ p = MvY (Hyperbel). Hieraus folgt:

c) M reicht bei gegebenem v nicht aus, um alle Transaktionen abzuwickeln.Obwohl Say’s Gesetz nach wie vor gilt, kommt es zu technischen Storungen im

Page 423: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

8.2 Ubungsaufgaben 2 413

Abb. 8.3.

Zirkulationsprozess, vergleichbar mit einem Motor, der zuwenig Ol hat. Furdie Unternehmen außert sich dies in Absatzproblemen (trotz Say’s Gesetz !),was sie dazu veranlasst, ihre Preise zu senken. Eine wichtige Annahme da-bei ist, dass keine Transaktionen stattfinden, bevor der Preissenkungsprozessabgeschlossen ist.

2.a) Verschiebung der QT-Kurve nach rechts. Bei flexiblem Nominallohnsteigt neben diesem nur das Preisniveau, bei fixem Nominallohn steigen Preise,Output und Beschaftigung. Letzteres ist dadurch bedingt, dass wegen w diePreissteigerungen den Reallohn senken und damit mehr Beschaftigung fur dieUnternehmen profitabel machen.

b) Verschiebung der AS-Kurve nach rechts, da zu jedem Preisniveau zwardie gleiche Anzahl an Arbeitskraften beschaftigt wird wie zuvor, diesem Ar-beitsinput jetzt aber eine hohere Produktionsmenge zugeordnet wird. Beiflexiblen Nominallohnen kommt es zu p ↓ und Y ↑. Da nach wie vor Voll-beschaftigung herrscht und sich L nicht verandert hat, muss auch ω = w/pkonstant geblieben sein, so dass w prozentual gleich wie p gefallen sein muss.Bei fixem Nominallohn folgt dagegen: p ↓, Y ↑, ω = (w/p) ↑ (wegen p ↓) ⇒Ld ↓ .

c) Bei flexiblem Nominallohn verschiebt sich die AS-Kurve nach rechts.Die Folge: p ↓, Y (= Y ) ↑, Ld = L ↑⇒ ω ↓ . Die Nominallohne mussen al-so starker fallen als das Preisniveau, damit das hohere Arbeitsangebot vonden Unternehmen auch nachgefragt wird. Bei fixem Nominallohn erhoht sichlediglich Y , also der Vollbeschaftigungsoutput. Die Werte fur p, Y, ω und Ld

bleiben dagegen unverandert, da sich weder AS- noch QT-Kurve verschieben.d) In beiden Fallen folgt lediglich r ↓, was aber fur die ubrigen Variablen

des Modells ohne Bedeutung ist, da dem Zinssatz außer der Kapitalmark-traumung keine weitere Funktion zukommt.

e) Verschiebung der AS-Kurve nach rechts mit der Folge p ↓, Y ↑, (w/p) ↓, Ld ↑ . Das Preisniveau fallt also weniger stark als w, woraus uber ω ↓ derpositive Beschaftigungseffekt resultiert.

3. Bei flexiblen Nominallohnen herrscht stets Vollbeschaftigung. (Lage ei-ne positive Abhangigkeit des Arbeitsangebots vom Reallohn vor, ergabe sich

Page 424: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

414 8 Ubungsaufgaben

zwar Arbeitslosigkeit, die aber freiwillig ware, weil die Arbeitslosen zum herr-schenden Reallohn nicht arbeiten wollen.) Bei fixem Nominallohn hingegenexistieren Arbeitskrafte, die beim herrschenden Reallohn arbeiten wollen, aberkeine Stelle finden. Aus Sicht des einzelnen Arbeitslosen handelt es sich alsodurchaus um unfreiwillige Arbeitslosigkeit, wenn man davon ausgeht, dass eraufgrund institutioneller Gegebenheiten (Tarifvertrage, Gesetze etc.) keinenEinfluss auf w hat. Anders sieht es jedoch aus, wenn man die Arbeitnehmersei-te als Aggregat betrachtet. Da sie uber die Gewerkschaften einen Einfluss aufdie Hohe des Nominallohns hat, resultiert die vorliegende Arbeitslosigkeit ausder Weigerung der Arbeitnehmer, Nominallohnsenkungen hinzunehmen undkann aus diesem Blickwinkel betrachtet als ”freiwillig“ bezeichnet werden.

4. M ↓ und v ↓ verschieben beide die QT-Kurve nach links. Die Folge:p ↓, ω ↑, Ld ↓, Y ↓ . Aufgrund der fallenden Grenzertrage des Faktors Arbeithat letzteres (bei gegebenem Kapitalstock) eine Erhohung der durchschnittli-chen Arbeitsproduktivitat Y/Ld zur Folge, wie man sich auch leicht grafischveranschaulichen kann. Da wegen L ↑ auch der Vollbeschaftigungsoutput Yansteigt, ist c) die richtige Antwortvorgabe.

8.3 Ubungsaufgaben 3

1.a) Leiten Sie die Kausalkette des Keynes’schen Basismodells grafisch herund versuchen Sie sie inhaltlich zu erlautern.b) Worin unterscheidet sich die Argumentationskette von der des neoklassi-schen Basismodells in seiner ”w-Version“?

2. Fuhren Sie komparativ-statische Analysen bezuglich folgender exogenerVeranderungen durch und vergleichen Sie die Ergebnisse mit denen, die sichin den entsprechenden Fallen in der ”w-Variante“ des neoklassischen Basis-modells ergaben.a) Erhohung der Investitionsneigung (I(r) ↑ ∀r > 0)b) Erhohung der Sparneigung (S(Y, r0) ↑ ∀Y > 0)c) Senkung des Nominallohns (w ↓)d) Erhohung des Arbeitsangebots (L ↑).

3. Welche Annahmen sind im Keynes’schen Basismodell entscheidend, umSay’s Gesetz aus den Angeln zu heben?

4. Multiple-choice-Aufgabe:Welche Aussage in bezug auf das Keynes’sche Basismodell ist zutreffend?a) Eine Erhohung der Sparneigung fuhrt zwar uber die Bondnachfrage zu ei-nem niedrigeren Zinssatz, lasst jedoch Investitionen, Einkommen und Beschafti-gung unverandert.b) Eine Senkung der Bondnachfrage zu jedem Zinssatz fuhrt zu niedrigerenInvestitionen, einem niedrigeren Output und hoherer Arbeitslosigkeit.c) Unterbeschaftigung kann in diesem Modellrahmen nur entstehen, wennzusatzlich eine linear-limitationale Produktionsfunktion angenommen wird.

Page 425: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

8.3 Ubungsaufgaben 3 415

d) Eine Erhohung der Investitionsbereitschaft bei jedem Zinssatz lasst die Er-sparnis steigen. Gemaß Sparparadox mussen dann aber Output und Beschafti-gung zuruckgehen.

Losungsskizzen

1.a) Bezuglich der grafischen Herleitung vergleiche man die entsprechendeAbbildung in Kapitel 2. Inhaltlich betrachtet wird am Bondmarkt zuerst derGleichgewichtszinssatz ermittelt, der seinerseits die Hohe der Investitionenfestlegt. Diese wiederum bestimmen die Hohe der gleichgewichtigen Ersparnis(I = S), die ihrerseits aufgrund ihrer Einkommensabhangigkeit den Gleichge-wichtsoutput determiniert. Uber die Produktionsfunktion wird dann in einemletzten Schritt die zugehorige Beschaftigung ermittelt.

b) Wahrend im neoklassischen Basismodell (nach Abschluss einer unend-lich schnellen Preisanpassung) der Output letztlich uber den Arbeitsmarktbestimmt wird, wird, wie in a) bereits ausgefuhrt, das Keynes’sche Basismo-dell vom Bondmarkt her geschlossen.

2.a) I ↑⇒ S(Y ) ↑⇒ Y ↑⇒ Ld ↑ . I ↑ hat jetzt also einen expansi-ven Effekt, wahrend es im neoklassischen Basismodell nur die Aufteilung desbereits bestimmten Gleichgewichtsoutputs veranderte, ansonsten aber volligwirkungslos blieb.

b) Da sich an I nichts andert, muss im Gleichgewicht auch das tatsachli-che Sparvolumen konstant bleiben (Sparparadox). Aufgrund der Einkom-mensabhangigkeit der Ersparnis ist der Gleichgewichtsoutput jetzt niedriger.Im neoklassischen Basismodell dagegen hatte eine Erhohung der Sparneigungdie gleiche qualitative Wirkung wie eine Erhohung der Investitionsneigung(vgl. a)).

c) Da w bei der Bestimmung des Gleichgewichtsoutputs uberhaupt nichtvorkam, andert sich letzterer auch infolge von w ↓ nicht (Lohnparadox). Imneoklassischen Basismodell dagegen hatte eine Nominallohnsenkung expansiveEffekte auf Output und Beschaftigung.

d) Dies hat weder hier noch im neoklassischen Basismodell (in der w-Version) irgendeine Auswirkung auf die modellendogenen Variablen. Nur dieArbeitslosenrate steigt aufgrund des großer gewordenen Arbeitskraftepoten-tials.

3. Es handelt sich um die Einkommensabhangigkeit der Ersparnis in Ver-bindung mit der Tatsache, dass i.a. nicht mehr die gesamte Ersparnis amBondmarkt angelegt wird, sondern ein Teil in die Geldhortung fließt.

4. Eine Senkung der Bondnachfrage erhoht r, dies fuhrt zu I ↓ und uberS(Y, r) = I(r) zu Y ↓ und Ld ↓. Letzteres lasst die Arbeitslosigkeit ansteigen.Also ist b) die richtige Antwort.

Page 426: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

416 8 Ubungsaufgaben

8.4 Ubungsaufgaben 4

1.a) Leiten Sie auf Basis der Modellgleichungen aus der Vorlesung die IS- undLM-Kurve grafisch und analytisch her und zeichnen Sie anschließend beide inein Diagramm. Was beschreiben diese Kurven inhaltlich?b) Was hat sich gegenuber dem Keynes’schen Basismodell geandert?c) Wodurch sind Situationen jeweils oberhalb und unterhalb jeder der beidenKurven gekennzeichnet (Begrundung)? Welche Reaktionen von Einkommenund Zinssatz sind in den entsprechenden Bereichen zu erwarten?

2. Bestimmen Sie die Konsequenzen der folgenden Parametervariationenfur Y und r im IS-LM-Modell:a) Erhohung der Sparneigung (s = 1− c ↑)b) Erhohung des autonomen Investitionsterms (i0 ↑)c) Senkung der Zinsreagibilitat der Investitionen (i1 ↓)d) Erhohung der Einkommensabhangigkeit der Geldnachfrage (k ↑)e) Senkung der Zinssensitivitat der Geldnachfrage (h1 ↓)

3. Leiten Sie aus dem IS-LM-Modell durch parametrische Preisvariati-on die AD-Kurve her. Zeichnen Sie anschließend in das gleiche Diagrammdie bereits aus dem Keynes’schen Basismodell bekannte AS-Kurve (linear-limitationale Produktionsfunktion, Markup-Pricing) ein. Gibt es wieder einLohnparadox?

4. Multiple-choice-Aufgabe:Berechnen Sie das simultane Geld- und Gutermarktgleichgewicht fur die fol-genden Parameterwerte:c = 0.75; δ = 0.1; K = 14000; T = G = 810; i0 = 1014; i1 =40; πe = 0.05;k = 0.032; h0 = 995; h1 = 1500; M

p = 970; p = 35.Im Gleichgewicht sind dann folgende Werte richtig:

a) Reales Bruttosozialprodukt = 6250; Realzinssatz = 0.1;reale Ersparnis = 1562.5

b) Realer Konsum = 3030; reale Nettoinvestitionen = 1008;Nominalzinssatz = 0.1

c) Reales Bruttosozialprodukt = 6250; reale Nettoinvestitionen = 1010;nominale Geldnachfrage = 970

d) Reales Nettosozialprodukt = 4850; Nominalzinssatz = 0.15;reale Bruttoinvestitionen = 2410.

Losungsskizzen

1.a) IS-Kurve: Y = C + I + δK + G (Gutermarktgleichgewicht)Verhaltensfunktionen eingesetzt liefert:

r = −1− c

i1Y +

(1− c)δK + G− cT + i0 + i1πe

i1

Page 427: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

8.4 Ubungsaufgaben 4 417

LM-Kurve: (M/p) = (Md/p) = kY + h0 − h1r

⇒ r =k

h1Y +

h0 − (M/p)h1

Abb. 8.4.

IS: {(r, Y ) ∈ R2| Gutermarkt im Gleichgewicht}LM: {(r, Y ) ∈ R2| Geldmarkt im Gleichgewicht}

b) Gegenuber dem Keynesschen Basismodell wurde eine konkrete Geld-nachfragefunktion Md = Md(Y, r) eingefuhrt mit der Folge eines nunmehrendogenen Zinssatzes r.

c)

Abb. 8.5.

1: Uberschussangebot auf dem Gutermarkt =⇒ Y ↓Uberschussangebot auf dem Geldmarkt =⇒ r ↓

2: Uberschussangebot auf dem Gutermarkt =⇒ Y ↓Uberschussnachfrage auf dem Geldmarkt =⇒ r ↑

3: Uberschussnachfrage auf dem Gutermarkt =⇒ Y ↑Uberschussnachfrage auf dem Geldmarkt =⇒ r ↑

4: Uberschussnachfrage auf dem Gutermarkt =⇒ Y ↑Uberschussangebot auf dem Geldmarkt =⇒ r ↓

Page 428: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

418 8 Ubungsaufgaben

2.a) Drehung der IS-Kurve bei Y = T + δK; steilerer Verlauf. Folge fur Y >T + δK : Y0 ↓, r0 ↓. Wegen r0 ↓ folgt aber I(r0) ↑, so dass im Endeffekt uberS = I ein hoheres Sparvolumen resultiert.

b) Parallelverschiebung der IS-Kurve nach rechts. Folge: Y0 ↑, r0 ↑.c) Drehung der IS-Kurve bei r = πe; steilerer Verlauf. Folge fur r > πe :

r0 ↑, Y0 ↑.d) Drehung der LM-Kurve nach oben. Folge: r0 ↑, Y0 ↓.e) Drehung und Verschiebung der LM-Kurve nach oben. Folge: r0 ↑, Y0 ↓.3. Eine sukzessive Erhohung des Preisniveaus verschiebt die LM-Kurve

immer weiter nach links. Die Folge: r0 ↑, Y0 ↓. Somit ergibt sich eine negativeAbhangigkeit des Gleichgewichtsoutputs Y0 vom Preisniveau p. Die AD-Kurveist daher negativ geneigt. Die AS-Kurve (p = (1 + a)w/y) ist eine Parallelezur Abszisse.

Abb. 8.6.

Ein fallender Nominallohn verschiebt die AS-Kurve nach unten. Aufgrundder negativen Neigung der AS-Kurve hat dies eine Erhohung des Outputsund damit der Beschaftigung zur Folge (Keynes-Effekt). Das Lohnparadoxgilt jetzt also nicht mehr.

4. IS-Kurve: Y = C + I + δK + G = ... = 6274− 160rLM-Kurve: (M/p) = (Md/p) ⇒ ... ⇒ Y = (1/0.032)(−25 + 1500r)Daraus folgt:Reales BSP = Y0 = 6250Reales NSP = Y0 − δK = 6250− 1400 = 4850r0 = 0.15Reale Nettoinvestitionen = 1014 -40(0.15 - 0.05) = 1010Reale Bruttoinvestitionen = Reale Nettoinvestitionen + Abschreibungen =1010 + 1400 = 2410Also ist d) die richtige Antwort.

Page 429: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

8.5 Ubungsaufgaben 5 419

8.5 Ubungsaufgaben 5

1.a) Formulieren Sie das IS-LM-Modell als dynamisches System, indem Sie dasEinkommen in geeigneter Weise auf die Uberschussnachfrage am Gutermarktund den Zinssatz auf die Uberschussnachfrage nach Geld reagieren lassen. Wasstellen IS- und LM-Kurve aus mathematischer Sicht dar?b) Uberprufen Sie anhand der Spur und der Determinante der Systemmatrixdie Stabilitat des IS-LM-Gleichgewichts.c) Fur welche Parameterwerte ergibt sich eine monotone, fur welche eine zy-klische Konvergenz? In welcher Weise hangt die Beantwortung dieser Fragevon den Anpassungsgeschwindigkeiten ab?

2.a) Berechnen Sie auf Basis der Gleichungen des IS-LM-Modells explizitdie Gleichgewichtswerte fur Y und r. Zeigen Sie, dass diese sich in der Form

Y = φM

p+ ηπe + ξ

r = σM

p+ τ πe + %

angeben lassen. Woraus setzen sich die Koeffizienten φ, η, ξ, σ, τ und % zusam-men?b) Vergleichen Sie auf dieser Grundlage nacheinander die Effekte einer Geld-mengenerhohung, einer Preisniveausenkung und einer Erhohung der erwarte-ten Inflationsrate auf Y0 und r0.c) Welchen Einfluss haben diese Effekte auf die Lage der IS-, LM- und AD-Kurve?

3. Multiple-choice-Aufgabe:Gehen Sie von dem AS-AD-Modell aus Aufgabe 3. auf Ubungsblatt 4 aus. Wel-che Konsequenzen hat eine Erhohung des Markup-Faktors a auf die Gleich-gewichtswerte des Einkommens Y , des Nominalzinssatzes r, der InvestitionenI, der realen Transaktionskasse Md

T /p und der Ersparnis S?

a) Y ↑, r ↓, I ↑, MdT /p ↑, S ↑

b) r ↑, Y ↓, S ↓, MdT /p ↓, I ↓

c) MdT /p ↑, I ↓, Y ↓, r ↑, S ↓

d) S ↑, r ↑, I ↓, MdT /p ↑, Y ↑

Losungsskizzen

1.a) Uberschussnachfrage auf dem Gutermarkt:

Page 430: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

420 8 Ubungsaufgaben

Y d − Y = C + I + δK + G− Y

= (c− 1)Y − i1r − c(δK + T ) + i0 + i1πe + δK + G

=⇒ Y = βY (Y d − Y )= βY [(c− 1)Y − i1r − c(δK + T ) + i0 + i1π

e + δK + G]

Uberschussnachfrage auf dem Geldmarkt:

Md

p− M

p= kY + h0 − h1r − M

p

=⇒ r = βr

(Md

p− M

p

)= βr[kY − h1r + h0 − (M/p)]

IS-Kurve entspricht Y = 0-IsoklineLM-Kurve entspricht r = 0-Isokline.

b) spJ = βY (c− 1)− βrh1 < 0detJ = βY βr[(1− c)h1 + i1k] > 0

Der Steady State ist also (global) asymptotisch stabil.c) 4∆ = sp2 − 4det = ... = [βY (1− c)− βrh1]2 − 4βY βri1k

Es folgt: Eine (hinreichend starke) Erhohung von βY , (1− c), βr und h1 fuhrtzu 4∆ > 0 und damit zu einer monotonen Konvergenz, wohingegen eine starkeErhohung von i1 und k 4∆ < 0 und damit eine zyklische Konvergenz nachsich zieht.

2.a)

Y0 =i1

(1− c)h1 + i1k

M

p+

i1h1

(1− c)h1 + i1kπe

+h1[(1− c)δK + G− cT + i0]− i1h0

(1− c)h1 + i1k= φ

M

p+ ηπe + ξ

r0 =−(1− c)M/p

(1− c)h1 + i1k+

i1kπe

(1− c)h1 + i1k

+k[(1− c)δK + G− cT + i0] + (1− c)h0

(1− c)h1 + i1k

= σM

p+ τ πe + %

b) M ↑ bzw.p ↓=⇒ Y0 ↑, r0 ↓πe ↑=⇒ Y0 ↑, r0 ↑c) M ↑=⇒ Verschiebung der LM- und der AD- Kurve nach rechts

p ↓=⇒ Verschiebung der LM-Kurve nach rechts; Bewegung entlang der AD-Kurve nach unten.πe ↑=⇒ Verschiebung der IS- und der AD-Kurve nach rechts.

3. a ↑=⇒ p = (1+a)w/y ↑ (Parallelverschiebung der AS-Kurve nach oben)p ↑=⇒ Y ↓, r ↑=⇒ I ↓=⇒ S ↓

Page 431: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

8.6 Ubungsaufgaben 6 421

Y ↓=⇒ (MdT /p) ↓

Also ist b) die richtige Antwort. Die aufgezeigte Wirkungskette spiegelt imubrigen nichts anderes als den Keynes-Effekt wider.

8.6 Ubungsaufgaben 6

1. Gegeben sei das IS-LM-Modell fur den Fall zinsunelastischer Investitionen(i1 = 0).a) Wie sieht jetzt die IS-Kurve aus?b) Welchen Effekt hat unter diesen Bedingungen eine Erhohung der Geldmen-ge?c) Um wieviele Einheiten steigt das Gleichgewichtseinkommen, wenn die In-vestitionen dauerhaft um eine Einheit zunehmen? Wie hoch ist die gesamteEinkommenssteigerung nach t = 4 Perioden, wenn die Zunahme der Investi-tionen in t = 0 einsetzt und die marginale Konsumneigung c den Wert 0.75hat?d) Stellen Sie den durch die Erhohung der Investitionsausgaben initiierten An-passungsprozess zum neuen Gleichgewicht grafisch, z.B. im ”45◦-Diagramm“,dar.e) Welchen Effekt hat eine einmalige Erhohung der Staatsausgaben (bei Kon-stanz aller ubrigen Parameter)? Berucksichtigen Sie bei Ihrer Antwort diezeitliche Dimension der Betrachtung.f) Durch welchen (in dem Modell nicht betrachteten) Zusammenhang konntees in e) zu einer dauerhaften Expansion kommen?g) Was bewirkt eine permanente Erhohung der Staatsausgaben in der Zeitund insgesamt?h) Was andert sich gegenuber g) bei einer vollstandigen Steuerfinanzierungder Staatsausgabenerhohung? Wieso kommt selbst hier eine expansive Wir-kung auf das Einkommen zustande?i) Ist neben dem Fall zinsunelastischer Investitionen noch eine andere Kon-stellation denkbar, bei der sich die gleichen Resultate ergeben wurden?

Gehen Sie bei den Fragen c), d), e), g) und h) von einem Einkommens-Ausgaben-Lag (Robertson-Lag) von einer Periode aus.

2. Multiple-choice-Aufgabe:Ersetzen Sie in dem Modell aus Aufgabe 1 die Pauschalsteuern T durch ei-ne proportionale Einkommensteuer tY, t ∈ (0, 1). Berechnen Sie auf dieserBasis den Staatsausgabenmultiplikator und die Ableitung des staatlichen Bud-getdefizits BD nach dem Steuersatz t. Die richtigen Ergebnisse lauten:

a) dY0

dG= 1

1−c+ct ;dBDdt = 1−c

1−c(1−t)Y0

b) dY0

dG= 1

1−c(1−t) ;dBDdt = c−1

1−c(1−t)Y0

Page 432: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

422 8 Ubungsaufgaben

c) dY0

dG= c

1−c(1−t) ;dBDdt = 1−c

1−c(1−t)Y0

d) dY0

dG= c

1−c(1−t) ;dBDdt = c−1

1+c(1−t)Y0

Losungsskizzen

1.a) Die IS-Kurve verlauft jetzt senkrecht.b) M ↑ fuhrt jetzt ausschließlich zu r ↓, was wegen i1 = 0 aber keinerlei

Auswirkungen auf I und Y hat.c)

∆Y0 =1

1− c∆i0

4∑t=0

∆Yt = ∆i0

4∑t=0

ct =1− c4+1

1− c∆i0 =

1− 0.755

0.25· 1 = 3.05.

d)

Abb. 8.7.

e)

Abb. 8.8.

Page 433: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

8.7 Ubungsaufgaben 7 423

Also: Zuerst expansiver Effekt, dann durch die Wiederzurucknahme derStaatsausgabenerhohung kontraktiver Prozess zuruck zum alten Gleichge-wicht (Strohfeuereffekt).

f) Falls z.B. die einmalige Staatsausgabenerhohung die Investitionstatig-keit dauerhaft anregt (Initialzundung). Die Investitionen mussten dann aller-dings u.a. auch von Y abhangen.

g) Es ergabe sich die gleiche Wirkung wie bei einer dauerhaften Erhohungder Investitionen, also das gleiche Szenario wie unter c) bzw. d).

h) ∆G ↑= ∆T ↑=⇒ ∆Y = 11−c∆G + −c

1−c∆T = 1 ·∆G (bzw. 1 ·∆T )Es ergibt sich also ein abgeschwachter, aber immer noch positiver expansiverEffekt. Der Grund fur letzteres ist darin zu sehen, dass der Staat im Unter-schied zu den Haushalten nicht spart, d.h.:

• ∆T fuhrt nur zu einem Nachfrageeinbruch in Hohe von c∆T• ∆G erhoht die Nachfrage dagegen um den vollen Betrag.

i) Eine Liquiditatsfalle (horizontale LM-Kurve) wurde die gleichen Resul-tate liefern.

2.

T = tY =⇒ Y = c(Y − δK − tY ) + i0 + δK + G

=⇒ Y0 =1

1− c(1− t)[i0 + (1− c)δK + G]

=⇒ dY0

dG=

11− c(1− t)

BD = G− tY0

=⇒ dBD

dt= 0− (Y0 + t

dY0

dt) = ... =

c− 11− c(1− t)

Y0

Also ist b) die richtige Antwort.

8.7 Ubungsaufgaben 7

1. Gegeben sei das IS-LM-Modell in Standardform.a) Welche Wirkung hat eine permanente Erhohung der Staatsausgaben auf dasGleichgewichtseinkommen Y0 und den Gleichgewichtszinssatz r0? VergleichenSie den Multiplikator mit demjenigen aus Aufgabe 1 g) des vorigen Ubungs-blatts. Worin liegt der Unterschied begrundet?b) Stellen Sie den Anpassungsprozess hin zum neuen Gleichgewicht fur denFall einer unendlich hohen Anpassungsgeschwindigkeit des Zinssatzes dar undversuchen Sie ihn inhaltlich zu kommentieren.c) Wie haben sich Ersparnis und Investitionen verandert?d) Welche Hohe hat jetzt der Multiplikator fur eine steuerfinanzierte Staats-ausgabenerhohung (dG = dT )?

Page 434: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

424 8 Ubungsaufgaben

2. a) Wie wirkt sich eine Erhohung der Geldmenge aus und wie kommtdiese Wirkung zustande? Bestimmen Sie auch hier den Multiplikator underlautern Sie den Anpassungsprozess.b) Bestimmen Sie den Multiplikator einer geldfinanzierten fiskalischen Expan-sion (dG = dM).c) Vergleichen Sie das Ergebnis mit Aufgabe 1 a) und d). Wodurch ist dieunterschiedliche Wirkung zu erklaren?

3. Multiple-choice-Aufgabe:Mit Blick auf die moglichen Extremfalle im IS-LM-Kontext ist die folgendeFeststellung zutreffend (da jeweils nur auf eine Kurve Bezug genommen wird,ist hinsichtlich der anderen Normalform unterstellt):

a) Bei einer horizontalen LM-Kurve wirkt Fiskalpolitik in Hohe des Multi-plikators 1

1−c ; bei einer horizontalen IS-Kurve erhoht eine Geldmengenexpan-sion den Output um 1

kp∆M .

b) Bei einer vertikalen IS-Kurve ist Geldpolitik in bezug auf den Outputwirkungslos; bei einer vertikalen LM-Kurve erhoht eine expansive Fiskalpoli-tik den Output in Hohe des Multiplikators 1

1−c .

c) Bei einer vertikalen IS-Kurve fuhrt expansive Fiskalpolitik zu einem to-talen Crowding-out, welches jedoch durch eine ebenfalls expansive Geldpolitikganz oder teilweise verhindert werden kann.

d) Bei einer horizontalen IS-Kurve wirkt Geldpolitik in Hohe des Multipli-kators 1

kp ; bei einer vertikalen LM-Kurve steigert eine Geldmengenerhohungden Output um ∆M

1−c .

Losungsskizzen

1.a)

G ↑ =⇒ Y0 ↑, r0 ↑dY

dG=

11− c + i1k/h1

<1

1− c(bei senkrechter IS-Kurve)

Der Unterschied kommt durch die Zinseffekte zustande, die die Investitionenzuruckgehen lassen (partielles Crowding-out).

Page 435: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

8.7 Ubungsaufgaben 7 425

b)

Abb. 8.9.

Y d ↑⇒ Y d > Y ⇒ Y ↑⇒ MdT /p ↑⇒ Bd ↓⇒ pb ↓⇒ r ↑⇒ I(r) ↓⇒ Y d ↓

solange, bis die Uberschussnachfrage auf dem Gutermarkt verschwunden ist.c) I ↓=⇒ [S = Sp ↑ +Sg ↓] ↓d)

dY0

dG

∣∣∣∣dG=dT

=1− c

1− c + i1k/h1< 1 (Ursache wieder Zinseffekte)

2.a)

Abb. 8.10.

M ↑=⇒ Y0 ↑, r0 ↓Zuerst kommt es durch die anfangliche Zinssenkung zu einer starken Erhohungder Investitionsnachfrage und hieruber zu einer Uberschussnachfrage amGutermarkt. Dann folgt ein Prozess wie unter b) hin zum neuen Gleichge-wicht.

dY0

dM=

i1/(ph1)1− c + i1k/h1

Page 436: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

426 8 Ubungsaufgaben

b)

dY0

dG

∣∣∣∣dG=dM

=1 + i1/(ph1)

1− c + i1k/h1>

11− c + i1k/h1

>1− c

1− c + i1k/h1

c) Der Multiplikator bei Geldfinanzierung ist nach b) also großer als derbei Bondfinanzierung und dieser wiederum großer als bei Steuerfinanzierung.Ursache:

• bei Geldfinanzierung noch Zinssenkungseffekt• bei Bondfinanzierung keine Zinssenkungen• bei Steuerfinanzierung keine Zinssenkungen und Reduktion des disponi-

blen Einkommens der Haushalte.

3. Bei einer horizontalen LM-Kurve gibt es keine Zinseffekte, so dass G ↑ mitdem Multiplikator 1/(1− c) wirkt (vgl. Ubungsaufgaben 6, Aufgabe 1.c) undi)). Bei einer horizontalen IS-Kurve kommt es ebenfalls nicht zu Zinsanderun-gen, so dass aus der Geldmarktgleichgewichtsbedingung M/p = kY +h0−h1rfolgt: ∆Y = (1/kp)∆M . Also ist a) die richtige Antwort.

8.8 Ubungsaufgaben 8

1. Gegeben sei das IS-LM-Modell mit zinsunelastischen Investitionen und Au-ßenhandel.a) Bestimmen Sie mithilfe der Funktionen fur A und (S − i0) grafisch dasGutermarktgleichgewicht.b) Erlautern Sie in Analogie zu Aufgabe 1.g) auf Ubungsblatt 6 den zeit-lichen Verlauf einer permanenten (und schuldenfinanzierten) Staatsausgabe-nerhohung und vergleichen Sie das Endergebnis mit dem des IS-LM-Modellsohne Außenhandel. Wodurch ist der Unterschied zu erklaren?c) Wie verandert sich der Außenbeitrag?

2. Gehen Sie nun vom Fall zinsabhangiger Investitionen und eines Regimesfixer Wechselkurse bei Berucksichtigung vollkommener Kapitalmobilitat aus.a) Diskutieren Sie unter Zuhilfenahme des IS-LM-Diagramms die Wirkun-gen einer expansiven Fiskalpolitik sowohl hinsichtlich der ablaufenden Anpas-sungsprozesse als auch bezuglich des Endeffekts.b) Fuhren Sie die gleichen Uberlegungen wie in a) jetzt in bezug auf eineexpansive Geldpolitik durch.

3. Gegeben sei nun der Fall flexibler Wechselkurse. Stellen Sie fur dieseSituation die gleichen Uberlegungen wie in Aufgabe 2 an und vergleichen Siedie Ergebnisse.

4. Multiple-choice-Aufgabe:Fur das IS-LM-Modell einer kleinen offenen Volkswirtschaft mit zinsabhangi-gen Investitionen ist die folgende Aussage zutreffend:

Page 437: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

8.8 Ubungsaufgaben 8 427

a) Bei flexiblen Wechselkursen unterscheidet sich das neue Gleichgewichtnach einer Erhohung der Staatsausgaben vom alten u.a. durch einen geringe-ren Außenbeitrag, eine hohere Geldmenge und einen hoheren Devisenbestandder Zentralbank.

b) Bei fixen Wechselkursen unterscheidet sich das neue Gleichgewicht nacheiner Erhohung der Geldmenge vom alten u.a. durch ein hoheres Einkommen,eine Verringerung des Devisenbestandes der Zentralbank und einen hoherenAußenbeitrag.

c) Bei flexiblen Wechselkursen unterscheidet sich das neue Gleichgewichtnach einer Erhohung der Geldmenge vom alten u.a. durch ein hoheres Ein-kommen, einen niedrigeren Außenbeitrag und eine Verringerung des Devisen-bestandes der Zentralbank.

d) Bei fixen Wechselkursen unterscheidet sich das neue Gleichgewicht nacheiner Steuersenkung vom alten u.a. durch ein hoheres Einkommen, einen nied-rigeren Außenbeitrag und einen hoheren Devisenbestand der Zentralbank.

Losungsskizzen

1.a)

A = X − J = X − J − jY ; S − i0 = s(Y − δK − T ) + T − G− i0

Abb. 8.11.

b)n∑

t=1

∆Yt = ∆G

n−1∑t=0

(c− j)t =1− (c− j)n

1− (c− j)∆G

Bei |c− j| < 1 folgt:

Page 438: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

428 8 Ubungsaufgaben

limn→∞

n∑t=1

∆Yt = ∆G limn→∞

1− (c− j)n

1− (c− j)=

11− c + j

∆G

Der Unterschied zur geschlossenen Volkswirtschaft ist darin zu sehen, dass sichein Teil der Einkommenserhohung in einer erhohten Importnachfrage nieder-schlagt, der Nachfrage nach dem inlandischen Gut also verlorengeht.

c)dA

dG= (−j)

dY

dG= (−j)

11− c + j

< 0

2.a)

Abb. 8.12.

Wirkungskette: G ↑⇒ Y ↑, r ↑⇒ r > ra ⇒ Nettokapitalimport ⇒Uberschussangebot an Dollar ⇒ Zentralbank muss Dollar aufkaufen ⇒M ↑ Dieser Prozess dauert so lange, bis das Zinsdifferential wieder verschwun-den ist.

b)

Abb. 8.13.

Wirkungskette: M ↑⇒ Y ↑, r ↓⇒ r < ra ⇒ Nettokapitalexport ⇒Uberschussnachfrage nach Dollar ⇒ Zentralbank muss Dollar verkaufen ⇒

Page 439: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

8.8 Ubungsaufgaben 8 429

M ↓ Dies setzt sich solange fort, bis wieder r = ra gilt und das alte Gleichge-wicht wiederhergestellt ist.

3.a)

Abb. 8.14.

Wirkungskette: G ↑⇒ Y ↑, r ↑⇒ r > ra ⇒ Nettokapitalimport ⇒Uberschussangebot an Dollar ⇒ e ↓⇒ A ↓ so lange, bis wieder r = ra

gilt und das alte Gleichgewicht wieder erreicht ist.b)

Abb. 8.15.

Wirkungskette: M ↑⇒ Y ↑, r ↓⇒ r < ra ⇒ Nettokapitalexport ⇒Uberschussnachfrage nach Dollar ⇒ e ↑⇒ A ↑ so lange, bis im neuenGleichgewicht r = ra erreicht ist.Wahrend also bei fixen Wechselkursen Fiskalpolitik effektiv und Geldpolitikineffektiv ist, kehren sich diese Verhaltnisse im Falle flexibler Wechselkursegerade um.

Page 440: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

430 8 Ubungsaufgaben

4. Antwort d) ist richtig, da eine Steuersenkung in diesem Modellrahmendie gleiche qualitative Wirkung hat wie eine Staatsausgabenerhohung und sichdaher die gleichen Effekte wie unter 2.a) ergeben.

8.9 Ubungsaufgaben 9

1.a) Berechnen Sie, zunachst mithilfe der ublichen Ableitungsregeln oder loga-rithmischer Differentiation, die Wachstumsraten fur die folgenden Funktionen:z(t) = x(t) · y(t); z(t) = x(t)

y(t) (y(t) 6= 0 ∀t); z(t) = (x(t))a.

Welche allgemeinen Regeln ergeben sich?b) Berechnen Sie unter Anwendung dieser Regeln nun die Wachstumsratender folgenden Variablen:M = kpY ; V

V=

(YY ∗

)a(mit Y ∗ = γ); p = (1+a)wLd

Y (Y/Ld = y); ω =w/p.

2. Herleitung der vier Bestimmungsgleichungen des monetaristischen Ba-sismodells:a) Betrachten Sie zunachst das IS-LM-Modell fur den Fall einer normal geneig-ten IS- und einer vertikalen LM-Kurve. Wie lasst sich unter diesen Bedingun-gen der Zusammenhang zwischen Geldmenge und Einkommen formalisieren?Woran erinnert dieser Zusammenhang? Woraus setzt sich unter diesen Bedin-gungen die Wachstumsrate der Geldmenge zusammen?b) Leiten Sie unter Verwendung der erweiterten (Nominallohn-)Phillipskurveund des Markup-Pricings bei einer linear-limitationaler Technologie die Preis-Phillipskurve her.c) Welcher Zusammenhang zwischen der Wachstumsrate des Beschaftigungs-grades und der des Outputs folgt aus der linear-limitationalen Technologie,wenn zusatzlich Y (= yL) = Y p(= xK) und ˆY = Y p = γ angenommen wird?Wie lasst sich vor diesem Hintergrund die Zeitableitung der Arbeitslosenrateapproximieren? Welchen Zusammenhang liefert im Vergleich dazu das Gesetzvon Okun?d) Was sind adaptive Inflationserwartungen und wie lasst sich der Fall per-fekter Voraussicht daraus herleiten?

3. Multiple-choice-Aufgabe:Welche der folgenden Aussagen fur das monetaristische Basismodell (mit ad-aptiven Inflationserwartungen) ist zutreffend?

a) Die Einbeziehung von πe in die Phillipskurve fuhrt dazu, dass langfris-tig U nicht von U abweichen kann.

b) Geld ist in diesem Modellrahmen auch kurzfristig vollig neutral.

c) Eine hohere Geldmengenwachstumsrate (µ) fuhrt zu einer geringeren

”naturlichen“ Arbeitslosenrate (U).

Page 441: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

8.9 Ubungsaufgaben 9 431

d) Die adaptiven Erwartungen fuhren zusammen mit den ubrigen Modell-gleichungen in jedem Zeitpunkt zu perfekter Voraussicht der Inflationsrate.

Losungsskizzen

1.a)

ln z = ln(xy) = ln x + ln y =⇒ d ln z

dt=

z

z= z = x + y

ln z = ln(x/y) = ln x− ln y =⇒ z = x− y

ln z = ln(xa) = a ln x =⇒ z = ax

b)

M = ˆk + p + Y = p + Y

(V/V ) = a (Y/Y ∗) = a(Y − Y ∗) = a(γ − γ)

p = (1 + a) + w + ˆy = w

ω = w − p

2.a)

∆(M/p) = k∆Y Analogie zur Quantitatstheorie:M(1/k) = pY =⇒ M = p + Y = p + γ

b)

w = (−βw)(U − U) + πe (erweiterte Lohn- Phillipskurve)p = (1 + a)w/y =⇒ p = w = (−βw)(U − U) + πe

c)

V =Ld

L=

yLd

yL=

Y

Y⇒ V = Y − ˆY = γ − γ

=⇒ V = V (γ − γ)U = 1− V ⇒ U = −V = −V (γ − γ) ≈ (−1)(γ − γ)

Aus Okuns Gesetz ergab sich demgegenuber:V = a(γ − γ) mit a ≈ 0.35.

d) Adaptive Erwartungen:

• im diskreten Kontext: πet+1 = απt + (1− α)πe

t

• im stetigen Kontext: πe = βπe(π − πe).

Page 442: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

432 8 Ubungsaufgaben

Ubergang zu perfekter Voraussicht (πe = π):

πe = βπe(π − πe) ⇔ πe

βπe

= π − πe ⇒ 0 = limβπe→∞

πe

βπe

= π − πe.

3. Antwort a) ist richtig, da die Inflationserwartungen πe in der Lohndynamikdafur sorgen, dass sich die Phillipskurve im Zeitablauf verschiebt und daherlangfristig der Trade-off zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation aufgehobenist.

8.10 Ubungsaufgaben 10

1.a) Fassen Sie noch einmal die auf dem vorigen Ubungsblatt hergeleitetenvier Bestimmungsgleichungen des monetaristischen Basismodells zusammen.b) Reduzieren Sie nun dieses System auf zwei Differentialgleichungen in denVariablen π und U.c) Wodurch ist der Steady State dieses Systems gekennzeichnet?d) Zeigen Sie, dass der Steady State lokal asymptotisch stabil ist.

2.a) Zeichnen Sie das Phasenportrat des in Aufgabe 1 analysierten Sys-tems.b) Ordnen Sie den sich ergebenden vier Teilbereichen des Phasenraums dieKonjunkturphasen Boom, Stagflation, Stagnation und Erholung zu (mit Be-grundung).c) Vollziehen Sie anhand des Phasenportrats die Konsequenzen einer Erhohungder Geldmengenwachstumsrate (µ ↑) nach und erlautern Sie die Ablaufe kurz.Gehen Sie dabei auch auf das sog. Kurzfrist-Theorem und das Akzelerations-theorem und die dabei zugrundegelegten Annahmen ein.d) Was andert sich bei perfekter Voraussicht der Inflationsrate anstelle vonadaptiven Erwartungen?

3. Multiple-choice-Aufgabe:Gegeben sei die folgende konkrete Spezifizierung des monetaristischen Basis-modells:

µ = p + γ mit µ = 0.05p = −0.56(U − U) + πe mit U = 0.04U = −(γ − γ) mit γ = 0πe = 0.13(p− πe)

Der Steady State des sich hieraus ergebenden zweidimensionalen Systems ista) monoton instabilb) zyklisch stabilc) monoton stabild) zyklisch instabil

Page 443: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

8.10 Ubungsaufgaben 10 433

Losungsskizzen

1.a)

µ = p + γ

p = −βw(U − U) + πe

U = −(γ − γ)πe = βπe(p− πe)

b)

U = (−1)(µ− γ − π)π = βw(µ− γ − π)− βπeβw(U − U)

c)

Steady State: U = 0 ⇐⇒ π0 = µ− γ

π = 0 ⇐⇒ U0 = U

d) spJ = −βw < 0, detJ = βπeβw > 0Der Steady State ist also global asymptotisch stabil.

2.a)

Abb. 8.16.

b)

1. Stagnation (da U ↑, π ↓)2. Erholung (da U ↓, π ↓)3. Boom (da U ↓, π ↑)4. Stagflation (da U ↑, π ↑)

Page 444: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

434 8 Ubungsaufgaben

c)

Abb. 8.17.

Der alte Steady State wird durch µ ↑ zu einem temporaren Gleichgewicht ineiner Boom-Phase. Der zunachst expansive Effekt (U ↓) erschopft sich lang-fristig (d.h. im neuen Gleichgewicht) jedoch in einer hoheren Inflationsrate,wahrend die Arbeitslosenrate auf ihr ”naturliches“ Niveau zuruckkehrt. EinU0 < U ließe sich demgegenuber nur bei einer bestandigen Steigerung vonµ, also einer gleichmaßigen Beschleunigung des Geldmengenwachstums unddamit nur um den Preis einer akzelerierenden Inflation erreichen.

d) Wegen πe = π in diesem Fall fuhrt jeder (monetare) Schock sofort zumneuen Gleichgewicht. Geld ist hier also auch kurzfristig superneutral.

3. Die reduzierte Form ergibt sich aus Aufgabe 1.b). Fur ∆ folgt daraus:∆ = sp2/4− det = βw(βw/4− βπe)βw = 0.56, βπe = 0.13 =⇒ ∆ > 0.Der Steady State ist also monoton stabil.

8.11 Ubungsaufgaben 11

1.a) Listen Sie die Bausteine auf, aus denen das IS-LM-PC-Modell zusam-mengesetzt ist.b) Begrunden Sie, ohne die entsprechenden Formeln explizit hinzuschreiben,warum im IS-LM-Modell der kurzen Frist ein (affin-)linearer Zusammenhangzwischen Y und den beiden Variablen M/p und πe besteht:

Y = β0 + β1(M/p) + β2πe

c) Warum gilt ein analoger Zusammenhang in bezug auf die Abhangigkeit desBeschaftigungsgrades V von m := M/w und πe : V = a0 + a1m + a2π

e?d) Welche Effekte konnen durch die Variablen m und πe erfasst werden?e) Leiten Sie nun unter Verwendung der in c) angegebenen Gleichung aus den

Page 445: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

8.11 Ubungsaufgaben 11 435

Modellbausteinen ein zweidimensionales Differentialgleichungssystem in denVariablen m und πe her.

2.a) Bestimmen Sie die Nullisoklinen fur m und πe unter der vereinfachen-den Annahme von µ = 0. Worauf ist besonders zu achten?b) Zeichnen Sie die Nullisoklinen in den (m,πe)−Phasenraum ein und skizzie-ren Sie die Bewegungsrichtungen der Dynamik in den jeweiligen Teilraumen.c) Bestimmen Sie fur jeden dieser Teilbereiche, ob der Nominallohn w steigtoder fallt und ob der Beschaftigungsgrad V großer oder kleiner als V ist.

3. Multiple-choice-Aufgabe:Gehen Sie von dem in 1.e) hergeleiteten Differentialgleichungssystem fur dasIS-LM-PC-Modell aus. Der okonomisch relevante Steady State wird (lokal)instabil, wenna) die Anpassungsstarke bei den Inflationserwartungen, βπe , einen bestimmtenWert uberschreitetb) die Anpassungsgeschwindigkeit des Nominallohns, βw, einen bestimmtenWert unterschreitetc) die Anpassungsstarke bei den Inflationserwartungen, βπe , einen bestimmtenWert unterschreitetd) die Anpassungsgeschwindigkeit des Nominallohns, βw, einen bestimmtenWert uberschreitet.

Losungsskizzen

1.a)

1. IS-LM-Modell der kurzen Frist2. Linear-limitationale Produktionsfunktion3. Markup-Pricing4. Erweiterte Lohn-Phillipskurve5. Adaptive Inflationserwartungen

b) Y hangt linear von πe und r ab (IS-Kurve) und r linear von Y und M/p.Dann muss Y auch linear von M/p und πe abhangen. (Vgl. auch Ubungsauf-gaben 5, Aufgabe 2.a)).

c) Aufgrund des Markup-Pricings (p = (1 + a)w/y) ist m := M/w einelineare Transformation von M/p. Dann lasst sich Y auch wie folgt schreiben:

Y = β0 + β1y

1 + am + β2π

e

Fur V folgt dann:

V = Ld/L = yLd/yL = Y/yL = a0 + a1m + a2πe

d) m : Keynes-Effekt (m ↑→ r ↓→ I ↑→ Y ↑)πe : Mundell-Effekt (πe ↑→ (r − πe) ↓→ I ↑→ Y ↑)

Page 446: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

436 8 Ubungsaufgaben

e)

m = M/w =⇒ m = M − w = µ− βw(V − V )− πe

= µ− βw(a0 + a1m + a2πe − V )− πe

=⇒ m = [µ− βw(a0 + a1m + a2πe − V )− πe]m

πe = βπe(π − πe) = βπe(p− πe) = βπe(w − πe)= βπe(βw(V − V ) + πe − πe) = βπeβw(a0 + a1m + a2π

e − V )

2.a)

m = 0 =⇒ (i) m = 0 oder(ii) µ − βw(a0 + a1m + a2π

e − V )− πe = 0

µ = 0 =⇒ ... =⇒ πe01 =

V − a0 − a1m

1/βw + a2

Es gibt also zwei m = 0−Isoklinen !

πe = 0 =⇒ πe02 =

V − a0 − a1m

a2

b)

Abb. 8.18.

c) Aus 1.e) folgt:

m = −w (bei µ = 0), d.h.

m>

<0 ⇐⇒ w

<

>0

πe>

<0 ⇐⇒ V

>

<V

Page 447: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

8.12 Ubungsaufgaben 12 437

Also:

1. w ↑, V > V2. w ↓, V > V3. w ↓, V < V4. w ↑, V < V

3. Aus dem in 1.e) angegebenen Differentialgleichungssystem folgt fur dieJakobi-Matrix J :

spJ = βw[βπea2 −m0a1]detJ = βπeβwa1m0 > 0

Fur βπe > a1a2

m0 wird die Spur also positiv und der Steady State damit (lokal)instabil. Also ist Antwort a) richtig.

8.12 Ubungsaufgaben 12

1.a) Rekapitulieren Sie Annahmen und Konsequenzen des Domar-Modells. Inwelcher Beziehung steht es zum Keynes’schen Modell der kurzen Frist?b) Welcher Modellbaustein ist zu verandern (und in welcher Weise), um vomDomar-Modell zum Harrod-Modell zu gelangen?c) Gegeben sei das Harrod-Modell mit I/K = 3 · (V c − 1). Wie hoch ist dieWachstumsrate des Kapitalstocks, K, im Steady State, wenn die Sparneigung25 % und βg = 15 betragt?

2.a) Skizzieren Sie die Annahmen des Solow-Modells mit positiver Ab-schreibungsrate δ und positivem Bevolkerungswachstum n1 und leiten Sie dieDynamik der Kapitalintensitat k = K/L her.b) Warum taugt das Solow-Modell nur bedingt zur Kritik des Ansatzes vonHarrod?c) Gegeben seien die folgenden Daten fur das Solow-Modell:F (L,K) = 3 · L0.5K0.5; s = 0.1; δ = 0.1; n1 = 0.09. Bestimmen Sie, obbei einer Kapitalintensitat von k = 2 der Pro-Kopf-Output y steigt, fallt oderkonstant bleibt.

3. Multiple-choice-Aufgabe:Gegeben sei folgende Produktionsfunktion: F (L,K) = 1.4 · L2/3K1/3. DasWachstum des Arbeitsangebots betrage n1 = 0.05, die Abschreibungsrateδ = 0.1 und die Konsumneigung c = 0.8. Fur den Steady State des Solow-Modells ergeben sich dann die folgenden Werte fur die Kapitalintensitat k0,den Pro-Kopf-Output y0 und die Pro-Kopf-Ersparnis:

a) k0 = 4; y0 = 2.22; Pro-Kopf-Ersparnis = 0.44

b) k0 = 8; y0 = 2.8; Pro-Kopf-Ersparnis = 0.56

Page 448: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

438 8 Ubungsaufgaben

c) k0 = 4; y0 = 2.22; Pro-Kopf-Ersparnis = 0.364

d) k0 = 8; y0 = 2.8; Pro-Kopf-Ersparnis = 0.4

Losungsskizzen

1.a) Einkommensbestimmung uber vereinfachtes Keynes-Modell der kurzenFrist:Y0 = 1

sI (Einkommenseffekt der Investitionen).Jetzt zusatzlich: I = K (Kapazitatseffekt der Investitionen).

Y p = xK; V c =Y0

Y p=

(1/s)IxK

⇒ V c = I − K = I − I

K= I − sY0

(1/x)Y p= I − sxV c

Mit I = γ folgt daher: V c = γ − sxV c.Steady State: V c

0 = 0 und V c0 = γ

sx .Der zweite Steady State ist stabil und im Falle γ < sx ergibt sich somit einestabile Depressionslage.

b) Ubergang zu Harrod-Modell: I jetzt variabel.

(I/K) = βg(Y/K − Y p/K) = βg

(Y

K

K

Y p− 1

)Y p

K= ... = βgx(V c − 1)

⇒ V c = (I/K) = βgx(V c − 1)

Steady State: V c0 = 0 und V c

0 = 1.Der zweite Steady State reprasentiert Vollauslastung, ist aber instabil (”Wachs-tum auf des Messers Schneide“).

c) Im Steady State gilt: K = sx; s = 0.25; x =?Es gilt: (I/K) = βgx(V c − 1) = 3(V c − 1)

=⇒ βgx = 3 =⇒ x = 3/βg; βg = 15 =⇒ x = 0.2

=⇒ K = sx = 0.05.

2.a) Solow-Modell:

• Keynesianische Sparfunktion: S = s(Y − δK)• Gultigkeit von Says Gesetz: S ≡ I• Vollbeschaftigung zu jedem Zeitpunkt• Neoklassische Produktionsfunktion Y = F (K, L)• Bevolkerungswachstum: L = n1

Page 449: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

8.12 Ubungsaufgaben 12 439

Mit k := K/L und f(k) = (1/L)F (K, L) folgt:

k = K − L =K

K− n1 =

I

K− n1 =

s(Y − δK)K

− n1

=⇒ k = kk = kK

L= sf(k)− sδk − n1k

= sf(k)− (sδ + n1)k

b) Da stets die Gultigkeit des Sayschen Theorems vorausgesetzt wird, wer-den Probleme defizitarer Nachfrage per Annahme bereits ausgeschlossen.

c)

F (K, L) = 3L0.5K0.5 =⇒ f(k) = 3k0.5 =⇒ f(2) = 3√

2k = sf(k)− (sδ + n1)k

= 0.1 · 3√

2− (0.1 · 0.1 + 0.09) · 2 > 0=⇒ k ↑ =⇒ y = f(k) ↑ .

3. f(k) = 1.4k1/3

Steady State: sf(k0) = (sδ+n1)k0 ⇐⇒ 0.2 ·1.4 ·k1/30 = (0.2 ·0.1+0.05)k0

=⇒ k0 = 8 =⇒ y0 = f(k0) = 1.4 · 81/3 = 2.8(S/L)0 = s(y0 − δk0) = 0.2(2.8− 0.1 · 8) = 0.4

Also ist d) die richtige Antwort.

Page 450: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

9

Multiple-Choice Klausuraufgaben

9.1 Multiple Choice: Ein eindeutiges Klausurprinzip

9.1.1 Vorbemerkungen

Diese Klausur basiert auf dem Lehrbuch ‘Keynesianische Makrookonomik. Un-terbeschaftigung, Inflation und Wachstum’ der Autoren dieses Beitrags (ersteAuflage). In diesem Lehrbuch wird das kurzfristige IS-LM-Modell der kon-ventionellen Lehrbuchliteratur in der einfachen linearen Form, wie es z.B. inDornbusch/Fischer (1995) breit dargestellt ist, und ohne Bruch als Basis derAnalyse der mittleren und der langen Frist herangezogen und entsprechendweiterentwickelt.

In der mittleren Frist bedeutet dies, wie bei Dornbusch-Fischer (1995),dass folgende Elemente dem Modell der kurzen Frist hinzuzufugen sind:

• eine Bestimmungsgleichung fur die Lohndynamik (die um Inflationserwar-tungen erweiterte Phillipskurve)

• eine Bestimmungsgleichung fur das Preisniveau (Aufschlagspreisbildungmit einem konstantem Aufschlagssatz)

• eine Bestimmungsgleichung fur die Bildung von Inflationserwartungen(z.B. adaptive Erwartungsbildung).

Diese Erweiterung ist identisch mit der bei Dornbusch/Fischer (1995) vor-genommenen Erweiterung der kurzen Frist, nur dass bei diesen Autorender beim Investitionsverhalten auftretende Realzinseffekt (der sogenannteMundell-Effekt) in unzulassiger Form in einen Nominalzins-Effekt (der Basisdes sogenannten Keynes-Effekts) und einen nachgelagerten Inflationserwar-tungseffekt auf die Investitionen zerlegt wird, der nicht mehr auf die mit-telfristige Interaktion von Output, Inflation und Inflationserwartungsbildungzuruckwirkt. Das von Dornbusch/Fischer (1995) unterstellte Investitionsver-halten erlaubt aber keine solche Separation dieser beiden Effekte, d.h. dieAnalyse von Dornbusch/Fischer (1995) muss dahingehend korrigiert werden,dass Keynes- und Mundell-Effekt notwendigerweise stets simultan auftreten.

Page 451: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

442 9 Multiple-Choice Klausuraufgaben

Eine solche, vom Aufwand her gesehen geringfugige und zudem offensicht-liche Korrektur hat jedoch weitreichende Konsequenzen fur die mittelfristi-ge Lohn-Preis-Dynamik. Der stabilisierende Keynes-Effekt von Preisniveau-erhohungen bekommt einen Widerpart im destabilisierenden Effekt steigenderInflationserwartungen, was neben monoton oder zyklisch verlaufenden Anpas-sungen hin zum Gleichgewicht nunmehr auch von diesem wegfuhrende Ver-laufsmuster ermoglicht. Und selbst wenn die Lohn-Preis-Dynamik in der Naheihres Gleichgewichts (lokal) stabilisierend wirkt, kann man jetzt zeigen, dasssie diese Eigenschaft nie global aufweist. Als Konsequenz ergeben sich eineganze Reihe von weiterfuhrenden und gleichwohl elementaren dynamischenUberlegungen, die hier jedoch nicht weiter dargestellt werden konnen. DieseKorrektur der Inflationsanalyse von Dornbusch/Fischer (1995) fuhrt zu demin unserem Lehrbuch sogenannten IS-LM-PC-Modell.1

Die langfristige Analyse ergibt sich auf Basis des gewahlten Ausgangspunk-tes durch Hinzufugen der Wachstumsgesetze fur die Produktionsfaktoren Ka-pital und Arbeit zum IS-LM-PC-Modell, also ebenfalls durch eine elementareErweiterung des Modells um zusatzliche endogene, vom Modell erklarte Va-riablen. Dies besagt wiederum, dass herkommliche Lehrbucher der Makrooko-nomik hier eine Bruchstelle aufweisen, da sie in der Regel behaupten, dass dielangfristigen Anpassungs- und Gleichgewichtsmuster des IS-LM-Modells sichdurch die Dynamik, die das angebotsorientierte Solowsche Wachstumsmodellgeneriert, abbilden oder annahern lassen. Ein Beweis einer solchen Sichtweiseist unseres Wissens nach in der Literatur nicht existent.

Aus der bisherigen Darstellung von Kernargumenten unseres Lehrbuchsist ersichtlich, dass es sich hierbei nicht durchweg um Lehrinhalte des Grund-studiums handeln kann, sondern dass dieser Text, ahnlich wie das Lehrbuchvon U. Westphal (1994) als studienbegleitender Text angelegt worden ist.2

Fur die nachfolgende Grundstudiumsklausur ist deshalb nur der Kern dermittelfristigen Analyse, der auch eine Konfrontation des IS-LM-PC-Modellsmit dem sog. monetaristischen Basismodell umfasst, relevant. Der wachstums-theoretische Teil, der neben dem Solow-Modell und den Ansatzen von Harrodund Domar auch eine detaillierte Darstellung der Wachstumstheorie des IS-LM-PC-Modells enthalt, ist demgegenuber eher auf das Hauptstudium hinausgerichtet.

Aus dem Dargestellten geht hervor, dass diese Klausur auch Fragen bein-haltet, die in der Makroliteratur unublich sind. Dies aber spiegelt lediglich dieTatsache wider, dass viele Fragestellungen in der makrookonomischen Theorie

1 Wobei hier PC (als Abkurzung von ‘Phillips-Curve) fur den Lohn-Preis-Sektoroder das PC-Modul steht.

2 Wir fugen hier an, dass unseres Erachtens das Lehrbuch von Westphal (1994)viele Paralellitaten mit unserem Buch aufweist, jedoch anstelle eines engen in sichstimmigen Modellrahmens durch die ihm eigene, wichtige empirische Orientierungeher die Vielfalt der unterstellbaren Verhaltensweisen der Wirtschaftssubjektebetont.

Page 452: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

9.1 Multiple Choice: Ein eindeutiges Klausurprinzip 443

kontrovers diskutiert werden, woran sich auch in Zukunft wohl nichts anderndurfte.

Zum Abschluss sei hier noch einmal betont, dass die in den verschiedenenAufgaben erfragten Sachverhalte keine Wissensfragen darstellen, sondern inder Regel kurzen Modellierungsskizzen (auf dafur beigelegten, nicht zu bewer-tenden Leerseiten) erfordern , aus denen sich dann grafisch oder analytischdie Antwort erschließen lassen sollte. Man hatte also auch die richtige Ant-wort in der Form: ‘Zeigen Sie, dass abfragen konnen, steht dann allerdingsvor der Aufgabe, zu beurteilen, ob die gelieferte Antwort, ganz oder halb odernoch weniger richtig formuliert worden ist, ein oft nur sehr schwer uber al-le gegebenen Losungsdarstellungen richtig zu entscheidender Sachverhalt. Indieser Hinsicht ist eine Multiple Choice Frage absolut trennscharf in der Be-wertung, aber eben leider auch sehr gnadenlos im Hinblick auf die Moglichkeitvorhandenen Teilwissens.

9.1.2 Multiple-Choice Klausur

Von den jeweils angegebenen 4 Antworten ist stets genau eine richtig. Un-ter realen Klausurbedingungen kann dabei z.B. von folgendem Punkteschemaausgegangen werden:

richtig = +1 Punkt, kein Kreuz = 0 Punkte, falsch = -0,5 Punkte.

Die Existenz von Maluspunkten ist dabei in dem hier vorliegenden Umfangder Fragen vollig ausreichend, bei großer Unsicherheit uber die Antwort de-ren Nichtbeantwortung lohnend zu machen. Es ist deshalb hier eine rationaleStrategie, nur Fragen zu beantworten, bei denen man sich relativ sicher ist.Eine Reihe von Anregungen fur eine solche Klausurform haben wir von Dr.Matthias Raith erhalten, dem wir dafur danken und der naturlich fur die hiervorgelegte Form der Klausur keine Verantwortung tragt.

Klausurfragen und Antworten:1. Im neoklassischen Basismodell mit flexiblen Nominallohnen bewirkt ei-

ne hohere Investitionsneigunga) kurzfristig in bezug auf Gleichgewichtseinkommen und Preisniveau nichtsb) ein hoheres Gleichgewichtseinkommen bei niedrigerem Preisniveauc) ein hoheres Gleichgewichtseinkommen bei hoherem Preisniveaud) ein niedrigeres Gleichgewichtseinkommen bei hoherem Preisniveau

1a!: Im neoklassischen Basismodell ist die Zinstheorie dem Rest des Mo-dells nachgelagert.

2. Im neoklassischen Basismodell mit fixem Nominallohn und bereits be-stehender Arbeitslosigkeit bewirkt ein Anstieg der Umlaufgeschwindigkeit desGeldes u.a.a) einen Anstieg des Preisniveaus, der Beschaftigung und der Geldmengeb) eine Abnahme des Preisniveaus sowie einen Anstieg des Outputs und des

Page 453: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

444 9 Multiple-Choice Klausuraufgaben

Zinssatzesc) einen Anstieg des nominalen Sozialprodukts, der Ersparnis sowie eine Ab-nahme des Nominallohnsd) eine Abnahme des Reallohns sowie einen Anstieg des Outputs und desPreisniveaus

2d!: Gemaß Quantitatstheorie steigt das Preisniveau, was bei gegebenemNominallohn den Reallohn senkt und uber die Grenzproduktivitatstheorie dieBeschaftigung und den Output erhoht.

3. Fur das neoklassische Basismodell mit fixem Nominallohn seien folgen-de konkrete Werte gegeben:M · v = p · Y mit M = 50 und v = 4 (Quantitatstheorie)p = 0.001 · Y 2 · w mit w = 0.2 (aggregiertes Angebot)Das gleichgewichtige Einkommen und das gleichgewichtige Preisniveau betra-gen:a) Y = 150; p = 2b) Y = 100; p = 4c) Y = 100; p = 2d) Y = 150; p = 4

3c!: Es sind hier 2 Gleichungen mit 2 Unbekannten in elementarer Weisezu losen.

4. Auf welchen Wert muss die Geldmenge in Aufgabe 3 steigen, wenn dasEinkommen verdoppelt werden soll?a) 200b) 400c) 600d) 800

4b!: Analog. Die Antwort hangt nicht von der Antwort in 3. ab.5. Im Keynes’schen Basismodell bewirkt eine Senkung des Nominallohns

a) ein hoheres Einkommen, eine hohere Beschaftigung und ein niedrigeresPreisniveaub) ein hoheres Einkommen und eine hohere Beschaftigung bei unverandertemPreisniveauc) einen Ruckgang von Einkommen, Beschaftigung und Preisniveaud) einen Ruckgang des Preisniveaus bei gleichbleibendem Einkommen undunveranderter Beschaftigung

5d!: Im Keynes’schen Basismodell wird das Preisniveau als letztes Gliedeiner Kausalkette bestimmt und ubt damit keinen Feedback auf die restlichenendogenen Großen des Modells aus.

6. Gegeben seien die folgenden Gleichungen fur das Keynes’sche Basismo-dell:

Page 454: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

9.1 Multiple Choice: Ein eindeutiges Klausurprinzip 445

S(r, Y ) = −30 + 50r + 0.25Y

I(r) = 65− 150r

Bd = −50 + 7000r

Bs = 950− 3000r

Das Gleichgewichtseinkommen Y0 betragta) 150b) 200c) 300d) 450

6c!: Aus den letzten beiden Gleichungen berechnet man den Gleichge-wichtszins und aus der Gleichheit von I und S daran anschließend das Gleich-gewichtseinkommen.

7. Das Keynes’sche Basismodell liefert einea) vollig preisunelastischeb) unendlich preiselastischec) negativ vom Preisniveau abhangiged) positiv vom Preisniveau abhangigeaggregierte Nachfrage.

7a!: Die aggregierte Nachfragekurve (der Gleichgewichtswert von Y ) desKeynes-Modells ist, wie z.B. Aufgabe 6 zeigt, nicht vom Preisniveau abhangig.

8. Gegeben sei das Keynes’sche Basismodell mit einer linear-limitationalenProduktionsfunktion und Markup-Pricing. Eine Erhohung des Markup-Faktorsa hat zur Folge, dassa) das Preisniveau sinkt und der Reallohn sowie das Einkommen konstantbleibenb) das Preisniveau steigt, der Reallohn sinkt und das Einkommen konstantbleibtc) das Preisniveau und der Reallohn konstant bleiben und das Einkommensinktd) das Preisniveau steigt, der Reallohn sinkt und das Einkommen steigt

8b!: Erneut ist die Bestimmung des Preisniveaus letztes Glied in der Argu-mentationskette. Es steigt mit dem Markup Faktor, d.h. der Reallohn sinkt,ohne dass sich sonst etwas andert.

9. Die LM-Kurve ist die Menge aller Kombinationen ausa) Zinssatz und Einkommen, bei denen der Gutermarkt geraumt istb) Preisniveau und Einkommen, bei denen der Geldmarkt geraumt istc) Preisniveau und Einkommen, bei denen der Gutermarkt geraumt istd) Zinssatz und Einkommen, bei denen der Geldmarkt geraumt ist

9d!: Eine reine Definitionsfrage.

Page 455: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

446 9 Multiple-Choice Klausuraufgaben

10. Im Bereich oberhalb der IS- und unterhalb der LM-Kurve herrschta) ein Uberschussangebot auf dem Gutermarkt und eine Uberschussnachfrageauf dem Geldmarktb) ein Uberschussangebot auf dem Gutermarkt und ein Uberschussangebotauf dem Geldmarktc) eine Uberschussnachfrage auf dem Gutermarkt und ein Uberschussangebotauf dem Geldmarktd) eine Uberschussnachfrage auf dem Gutermarkt und eine Uberschussnach-frage auf dem Geldmarkt

10a!: Rechts von der IS-Kurve herrscht bei einer marginalen Konsumnei-gung kleiner als eins Uberschussangebot und unterhalb der LM-Kurve auf-grund der fur ein Gleichgewicht auf dem Geldmarkt zu niedrigen Zinsen Uber-schussnachfrage nach Geld.

11. Im IS-LM-Modell (der kurzen Frist) fuhrt ein Anstieg der erwartetenInflationsrate zua) einem niedrigeren Einkommen und einem hoheren Nominalzinssatzb) einem hoheren Einkommen und einem niedrigeren Nominalzinssatzc) einem hoheren Einkommen und einem hoheren Nominalzinssatzd) einem niedrigeren Einkommen und einem niedrigeren Nominalzinssatz

11c!: Ein Anstieg der erwarteten Inflationsrate verschiebt die IS-Kurvenach rechts.

12. Im IS-LM-Modell (der kurzen Frist) gilt im Falle zinsunelastischer In-vestitionen fur den Staatsausgabenmultiplikator bei ausgeglichenem Budget(dG = dT )a) dY/dG < 1b) dY/dG = 1c) dY/dG > 1d) dY/dG = 0

12b!: Das Haavelmo-Theorem.13. Gegeben sei das folgende, vereinfachte IS-LM-Modell:

C = 0.8(Y − T ), T = 100;I = 200− 200(r − πe), πe = 0.05;G = 100;Y = C + I + G (Abschreibungsrate δ = 0)

Md

p= 0.5Y + 700− 4500r;

M

p= 525; p = 3

Page 456: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

9.1 Multiple Choice: Ein eindeutiges Klausurprinzip 447

Fur das simultane Geld- und Gutermarktgleichgewicht ergeben sich dann diefolgenden Werte:a) Reales Einkommen = 1500; Realzins = 0.2b) Reales Einkommen = 1000; Nominalzins = 0.1c) Reales Einkommen = 1000; Nominalzins = 0.15d) Reales Einkommen = 1500; Realzins = 0.1

13c!: Diese Aufgabe wird gelost durch Aufstellen der IS- und LM-Gleichung,also auf Basis zweier linearer Gleichungen in den zwei Unbekannten Einkom-men und Zins.

14. Im IS-LM-Modell von Aufgabe 13 belauft sich die nominale gesamt-wirtschaftliche Ersparnis aufa) 180b) 540c) 200d) 600

14b!: Auch ohne Kenntnis der Losung von Aufgabe 13 lasst sich diese Frageaufgrund folgender Uberlegung beantworten: Die Definition der gesamtwirt-schaftlichen Ersparnis lautet S = Y − C − G. Nur bei Y=1000 ist einer dervier angegebenen Werte moglich, namlich pS = 540. Man beachte, dass nachder nominalen Ersparnis (pS), nicht der realen Ersparnis (S) gefragt wurde!

15. Im IS-LM-Modell (der kurzen Frist) fuhrt eine Steuersenkung zua) einem Ruckgang des Sozialprodukts, einer Erhohung der Investitionen undeiner niedrigeren Ersparnis der privaten Haushalteb) einem Anstieg des Sozialprodukts, einem Ruckgang der Investitionen undeiner hoheren Ersparnis der privaten Haushaltec) einem Anstieg des Sozialprodukts, einer Erhohung der Investitionen undeiner hoheren Ersparnis der privaten Haushalted) einem Ruckgang des Sozialprodukts, einer Verminderung der Investitionenund einer niedrigeren Ersparnis der privaten Haushalte

15b!: Eine Pauschalsteuersenkung wirkt expansiv und steigert damit dieprivate Ersparnis aufgrund der unterstellten Form der Konsumfunktion undzudem auch die Nominalzinsen, was wiederum bei gegebenen Inflationser-wartungen die Investitionen reduziert. Wichtig: Ein Teil der Ersparnis derprivaten Haushalte wird zur Deckung des staatlichen Defizits verwendet.

16. Bei einem Uberschussangebot an Devisena) muss die Zentralbank, wenn sie den Wechselkurs konstant halten will, De-visen verkaufen, wodurch es zu einer Ausweitung der inlandischen Geldmengekommtb) muss die Zentralbank, wenn sie den Wechselkurs konstant halten will, De-visen ankaufen, wodurch es zu einer Reduktion der inlandischen Geldmengekommtc) kommt es bei flexiblen Wechselkursen zu einer Aufwertung der inlandischen

Page 457: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

448 9 Multiple-Choice Klausuraufgaben

Wahrungd) kommt es bei flexiblen Wechselkursen zu einer Abwertung der inlandischenWahrung

16c!: Klar! Die Frage bezieht sich auf Grundwissen.17. Im IS-LM-Modell einer kleinen offenen Volkswirtschaft ist

a) Geld- und Fiskalpolitik bei fixen Wechselkursen ineffektivb) Geldpolitik bei flexiblen und Fiskalpolitik bei fixen Wechselkursen ineffek-tivc) Geld-und Fiskalpolitik bei flexiblen Wechselkursen ineffektivd) Geldpolitik bei fixen und Fiskalpolitik bei flexiblen Wechselkursen ineffek-tiv

17d: Bei dieser wie den folgenden Fragen zur offenen Volkswirtschaft wirdstets perfekte internationale Kapitalmobilitat sowie die Nichtanwendung vonSterilisierungspolitik seitens der Zentralbank unterstellt. Bei fixen Wechsel-kursen wird dann z.B. eine Geldmengenausdehnung und damit einhergehen-de Zinssenkung durch erzwungene Devisenverkaufe der Zentralbank wiederruckgangig gemacht. Bei flexiblen Wechselkursen dagegen wird eine fiskali-sche Verschiebung der IS-Kurve durch gegenlaufige Wechselkurseffekte wiederaufgehoben.

18. Im IS-LM-Modell einer kleinen offenen Volkswirtschaft fuhrt bei fle-xiblen Wechselkursen eine Geldmengenerhohung zua) einer Abwertung der inlandischen Wahrung und einem hoheren Sozialpro-duktb) einer Aufwertung der inlandischen Wahrung und einem hoheren Sozialpro-duktc) einer Abwertung der inlandischen Wahrung und einem gleichbleibendenSozialproduktd) einer Aufwertung der inlandischen Wahrung und einem gleichbleibendenSozialprodukt

18a!: Eine Geldmengenerhohung hat die Tendenz, die Nominalzinsen zusenken und dadurch ein Zahlungsbilanzdefizit herbeizufuhren, was durchWechselkurserhohungen, d.h. eine Abwertung, beseitigt wird. Die Konsequenz:Steigerung des Außenbeitrags und hieruber des Sozialprodukts.

19. Das monetaristische Basismodell geht von einera) stets konstantenb) zinsabhangigenc) langfristig, aber nicht kurzfristig konstantend) langfristig steigendenUmlaufgeschwindigkeit pY/M des Geldes aus.

19a!: Gemaß der Konstruktion dieses Modells in Flaschel/Groh (1996).

Page 458: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

9.1 Multiple Choice: Ein eindeutiges Klausurprinzip 449

20. Gegeben sei das auf zwei Differentialgleichungen reduzierte monetaris-tische Basismodell in der folgenden Form:

U = π − (µ− γ) mit µ = 0.02 und γ = 0π = −0.1U − 0.4π + 0.4(µ− γ) + 0.1U mit U = 0.05

Im vorliegenden konkreten Fall ist der Steady Statea) monoton stabilb) zyklisch stabilc) monoton instabild) zyklisch instabil

20b!: Fur die Systemmatrix J des Modells gilt in der dargestellten Situa-tion: spurJ < 0, det J > 0 und (spurJ)2 < 4 det J .

21. Im monetaristischen Basismodell (bei adaptiven Inflationserwartun-gen) befinde man sich zunachst im Steady State. Eine Erhohung der Wachs-tumsrate der Geldmenge bewirkt danna) kurzfristig eine hohere Inflationsrate, langfristig ausschließlich eine niedri-gere Arbeitslosenrateb) kurzfristig eine niedrigere Arbeitslosenrate, langfristig ausschließlich eineniedrigere Inflationsratec) kurzfristig eine hohere Inflationsrate, langfristig ausschließlich eine hohereArbeitslosenrated) kurzfristig eine niedrigere Arbeitslosenrate, langfristig ausschließlich einehohere Inflationsrate

21d!: Der monetare Impuls teilt sich kurzfristig in einen expansiven Out-puteffekt und eine Steigerung der Inflationsrate auf, wahrend Geld in diesemModell langfristig superneutral ist.

22. Der Mundell-Effekt besagt, dassa) eine Erhohung des Preisniveaus den Nominalzins erhoht, dadurch die In-vestitionen zuruckgehen und Einkommen und Beschaftigung sinkenb) eine Erhohung der erwarteten Inflationsrate die LM-Kurve nach links ver-schiebt, dadurch die Investitionen zuruckgehen und Einkommen und Beschafti-gung sinkenc) eine Erhohung des Preisniveaus den Reallohn senkt und dadurch Einkom-men und Beschaftigung steigend) eine Erhohung der erwarteten Inflationsrate den Realzins senkt, dadurchdie Investitionen zunehmen und Einkommen und Beschaftigung steigen

22d!: Ausgehend von einem exogenen Anstieg der Inflationserwartungenfindet eine expansiv wirkende Rechtsverschiebung der IS-Kurve statt, die zwarden Nominalzins erhoht, aber aufgrund gestiegener Investitionstatigkeit denRealzins gesenkt haben muss.

Page 459: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

450 9 Multiple-Choice Klausuraufgaben

23. Das IS-LM-PC-Modell beinhaltet die folgenden Bausteine:a) IS-LM-Modell der kurzen Frist, Quantitatstheorie, Phillipskurve, neoklas-sische Produktionsfunktion, Markup-Pricingb) IS-LM-Modell der mittleren Frist, Lohn-Phillipskurve, linear-limitationaleProduktionsfunktion, Markup-Pricing, Say’sches Theoremc) IS-LM-Modell der kurzen Frist, adaptive Inflationserwartungen, konstanteKapitalauslastung (Y/K), Markup-Pricing, Phillipskurved) IS-LM-Modell der kurzen Frist, Lohn-Phillipskurve, Markup-Pricing, ad-aptive Inflationserwartungen, konstante Arbeitsproduktivitat

23d!: Gemaß der in der Einleitung geschilderten Form des IS-LM-PC-Modells.

24. Das IS-LM-PC-Modell unterscheidet sich vom monetaristischen Basis-modell u.a. dadurch, dassa) im IS-LM-PC-Modell der okonomisch relevante Steady State im allgemei-nen nicht mehr lokal asymptotisch stabil istb) im IS-LM-PC-Modell von der Quantitatstheorie des Geldes ausgegangenwirdc) im IS-LM-PC-Modell nicht mehr vom Markup-Pricing ausgegangen wirdd) im IS-LM-PC-Modell eine hinreichend niedrige Anpassungsstarke bei denadaptiv gebildeten Inflationserwartungen zu lokaler Instabilitat fuhrt

24a!: Im IS-LM-PC-Modell geht der Keynes-Effekt negativ und der Mundell-Effekt positiv in die Spur der Systemmatrix ein, was bei hinreichend starkerAnpassungsstarke der Inflationserwartungen eine positive Spur und damit In-stabilitat ergibt.

25. Gegeben sei das bereits auf zwei Differentialgleichungen in den Varia-blen m(= M/w) und πe reduzierte IS-LM-PC-Modell:

m = [µ− βw(V − V )− πe] ·mπe = βπeβw(V − V )

mit V = a0 + a1m+ a2πe. Bezuglich des Phasenportrats ist die folgende Aus-

sage richtig:a) Oberhalb der m = 0-Isokline sinkt m, unterhalb der πe = 0-Isokline sinktπe.b) Oberhalb der m = 0-Isokline steigt m, oberhalb der πe = 0-Isokline steigtπe.c) Unterhalb der m = 0-Isokline steigt m, unterhalb der πe = 0-Isokline steigtπe.d) Unterhalb der m = 0-Isokline steigt πe, oberhalb der πe = 0-Isokline sinktm.(Mit der m = 0-Isokline ist hier naturlich nicht die triviale – die Ordinate –gemeint).

Page 460: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

9.2 Multiple Choice Klausurbeispiele 451

25a!: Hier ist das Phasendiagramm des angesprochenen dynamischen Sys-tems unter Verwendung von partiellen Gleichgewichtskurven, sog. Isoklinen,zu skizzieren und daraus 25a zu deduzieren.

Diese Klausur ist in leicht modifizierter Form am Ende der Vorlesungszeitdes Wintersemesters 1995/96 an der Universitat Bielefeld gestellt worden.Bei maximal 25 moglichen Punkten wurde die folgende Bewertungsskala ver-wendet. Die dritte Spalte dieser Tabelle zeigt die prozentual dabei erzieltenErgebnisse.

Note Punkte Prozent der Teilnehmer1 22,5 – 25 7,142 18 – 22 26,793 13,5 – 17,5 28,574 10,5 – 13 20,545 0 – 10 16,96

9.2 Multiple Choice Klausurbeispiele

Von den im Nachfolgenden jeweils angegebenen 4 Antworten ist stets genaueine richtig. Unter realen Klausurbedingungen kann z.B. von folgendem Punk-teschema ausgegangen werden:

richtig = +1 Punkt, kein Kreuz = 0 Punkte, falsch = -0,5 Punkte.

Die Klausuren 1a und 1b beziehen die IS-LM-PC Analyse des funften Kapitelsund die Harrod-Domar-Solow Debatte uber die Grundlagen der Wachstums-theorie ein (des damaligen Diplomstudiengangs), wahrend die Klausuren 2aund 2b nur im Hinblick auf Teil I des Buches konzipiert worden sind (demBachelor-Studiengang entsprechend).

9.2.1 Version 1a (1996)

1. Im neoklassischen Basismodell mit flexiblen Nominallohnen bewirkt einehohere Investitionsneigunga) kurzfristig in bezug auf Gleichgewichtseinkommen und Preisniveau nichtsb) ein hoheres Gleichgewichtseinkommen bei niedrigerem Preisniveauc) ein hoheres Gleichgewichtseinkommen bei hoherem Preisniveaud) ein niedrigeres Gleichgewichtseinkommen bei hoherem Preisniveau

2. Im neoklassischen Basismodell mit fixem Nominallohn und bereits be-stehender Arbeitslosigkeit bewirkt ein Anstieg der Umlaufgeschwindigkeit desGeldes u.a.a) einen Anstieg des Preisniveaus, der Beschaftigung und der Geldmengeb) eine Abnahme des Preisniveaus sowie einen Anstieg des Outputs und des

Page 461: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

452 9 Multiple-Choice Klausuraufgaben

Zinssatzesc) einen Anstieg des nominalen Sozialprodukts, der Ersparnis sowie eine Ab-nahme des Nominallohnsd) eine Abnahme des Reallohns sowie einen Anstieg des Outputs und desPreisniveaus

3. Fur das neoklassische Basismodell mit fixem Nominallohn seien folgen-de konkrete Werte gegeben:M · v = p · Y mit M = 50 und v = 4 (Quantitatstheorie)p = 0.001 · Y 2 · w mit w = 0.2 (aggregiertes Angebot)Das gleichgewichtige Einkommen und das gleichgewichtige Preisniveau betra-gen:a) Y = 150; p = 2b) Y = 100; p = 4c) Y = 100; p = 2d) Y = 150; p = 4

4. Auf welchen Wert muss die Geldmenge in Aufgabe 3 steigen, wenn dasEinkommen verdoppelt werden soll?a) 200b) 400c) 600d) 800

5. Im Keynes’schen Basismodell bewirkt eine Senkung des Nominallohnsa) ein hoheres Einkommen, eine hohere Beschaftigung und ein niedrigeresPreisniveaub) ein hoheres Einkommen und eine hohere Beschaftigung bei unverandertemPreisniveauc) einen Ruckgang von Einkommen, Beschaftigung und Preisniveaud) einen Ruckgang des Preisniveaus bei gleichbleibendem Einkommen undunveranderter Beschaftigung

6. Gegeben seien die folgenden Gleichungen fur das Keynes’sche Basismo-dell:

S(r, Y ) = −30 + 50r + 0.25Y

I(r) = 65− 150r

Bd = −50 + 7000r

Bs = 950− 3000r

Das Gleichgewichtseinkommen Y0 betragta) 150b) 200

Page 462: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

9.2 Multiple Choice Klausurbeispiele 453

c) 300d) 450

7. Das Keynes’sche Basismodell liefert einea) vollig preisunelastischeb) unendlich preiselastischec) negativ vom Preisniveau abhangiged) positiv vom Preisniveau abhangigeaggregierte Nachfrage.

8. Gegeben sei das Keynes’sche Basismodell mit einer linear-limitationalenProduktionsfunktion und Markup-Pricing. Eine Erhohung des Markup-Faktorsa hat zur Folge, dassa) das Preisniveau sinkt und der Reallohn sowie das Einkommen konstantbleibenb) das Preisniveau steigt, der Reallohn sinkt und das Einkommen konstantbleibtc) das Preisniveau und der Reallohn konstant bleiben und das Einkommensinktd) das Preisniveau steigt, der Reallohn sinkt und das Einkommen steigt

9. Die LM-Kurve ist die Menge aller Kombinationen ausa) Zinssatz und Einkommen, bei denen der Gutermarkt geraumt istb) Preisniveau und Einkommen, bei denen der Geldmarkt geraumt istc) Preisniveau und Einkommen, bei denen der Gutermarkt geraumt istd) Zinssatz und Einkommen, bei denen der Geldmarkt geraumt ist

10. Im Bereich oberhalb der IS- und unterhalb der LM-Kurve herrschta) ein Uberschussangebot auf dem Gutermarkt und eine Uberschussnachfrageauf dem Geldmarktb) ein Uberschussangebot auf dem Gutermarkt und ein Uberschussangebotauf dem Geldmarktc) eine Uberschussnachfrage auf dem Gutermarkt und ein Uberschussangebotauf dem Geldmarktd) eine Uberschussnachfrage auf dem Gutermarkt und eine Uberschussnach-frage auf dem Geldmarkt

11. Im IS-LM-Modell (der kurzen Frist) fuhrt ein Anstieg der erwartetenInflationsrate zua) einem niedrigeren Einkommen und einem hoheren Nominalzinssatzb) einem hoheren Einkommen und einem niedrigeren Nominalzinssatzc) einem hoheren Einkommen und einem hoheren Nominalzinssatzd) einem niedrigeren Einkommen und einem niedrigeren Nominalzinssatz

Page 463: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

454 9 Multiple-Choice Klausuraufgaben

12. Im IS-LM-Modell (der kurzen Frist) gilt im Falle zinsunelastischer In-vestitionen fur den Staatsausgabenmultiplikator bei ausgeglichenem Budget(dG = dT )a) dY/dG < 1b) dY/dG = 1c) dY/dG > 1d) dY/dG = 0

13. Gegeben sei das folgende, vereinfachte IS-LM-Modell:

C = 0.8(Y − T ), T = 100;I = 200− 200(r − πe), πe = 0.05;G = 100;Y = C + I + G (Abschreibungsrate δ = 0)

Md

p= 0.5Y + 700− 4500r;

M

p= 525; p = 3

Fur das simultane Geld- und Gutermarktgleichgewicht ergeben sich dann diefolgenden Werte:a) Reales Einkommen = 1500; Realzins = 0.2b) Reales Einkommen = 1000; Nominalzins = 0.1c) Reales Einkommen = 1000; Nominalzins = 0.15d) Reales Einkommen = 1500; Realzins = 0.1

14. Im IS-LM-Modell von Aufgabe 13 belauft sich die nominale gesamt-wirtschaftliche Ersparnis aufa) 180b) 540c) 200d) 600

15. Im IS-LM-Modell (der kurzen Frist) fuhrt eine Steuersenkung zua) einem Ruckgang des Sozialprodukts, einer Erhohung der Investitionen undeiner niedrigeren Ersparnis der privaten Haushalteb) einem Anstieg des Sozialprodukts, einem Ruckgang der Investitionen undeiner hoheren Ersparnis der privaten Haushaltec) einem Anstieg des Sozialprodukts, einer Erhohung der Investitionen undeiner hoheren Ersparnis der privaten Haushalted) einem Ruckgang des Sozialprodukts, einer Verminderung der Investitionenund einer niedrigeren Ersparnis der privaten Haushalte

Page 464: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

9.2 Multiple Choice Klausurbeispiele 455

16. Bei einem Uberschussangebot an Devisena) muss die Zentralbank, wenn sie den Wechselkurs konstant halten will, De-visen verkaufen, wodurch es zu einer Ausweitung der inlandischen Geldmengekommtb) muss die Zentralbank, wenn sie den Wechselkurs konstant halten will, De-visen ankaufen, wodurch es zu einer Reduktion der inlandischen Geldmengekommtc) kommt es bei flexiblen Wechselkursen zu einer Aufwertung der inlandischenWahrungd) kommt es bei flexiblen Wechselkursen zu einer Abwertung der inlandischenWahrung

17. Im IS-LM-Modell einer kleinen offenen Volkswirtschaft ista) Geld- und Fiskalpolitik bei fixen Wechselkursen ineffektivb) Geldpolitik bei flexiblen und Fiskalpolitik bei fixen Wechselkursen ineffek-tivc) Geld-und Fiskalpolitik bei flexiblen Wechselkursen ineffektivd) Geldpolitik bei fixen und Fiskalpolitik bei flexiblen Wechselkursen ineffek-tiv

18. Im IS-LM-Modell einer kleinen offenen Volkswirtschaft fuhrt bei fle-xiblen Wechselkursen eine Geldmengenerhohung zua) einer Abwertung der inlandischen Wahrung und einem hoheren Sozialpro-duktb) einer Aufwertung der inlandischen Wahrung und einem hoheren Sozialpro-duktc) einer Abwertung der inlandischen Wahrung und einem gleichbleibendenSozialproduktd) einer Aufwertung der inlandischen Wahrung und einem gleichbleibendenSozialprodukt

19. Im IS-LM-Modell einer kleinen offenen Volkswirtschaft fuhrt eineErhohung des autonomen Teils der Investitionen bei fixen Wechselkursen zua) einem gleichbleibenden Einkommen, einer gleichbleibenden Geldmenge undeiner Senkung des Außenbeitragsb) einer Erhohung des Einkommens und der Geldmenge und einer Erhohungdes Außenbeitragsc) einer Erhohung des Einkommens, einer gleichbleibenden Geldmenge undeinem gleichbleibenden Außenbeitragd) einer Erhohung des Einkommens und der Geldmenge und einer Senkungdes Außenbeitrags

20. Das monetaristische Basismodell geht von einera) stets konstantenb) zinsabhangigen

Page 465: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

456 9 Multiple-Choice Klausuraufgaben

c) langfristig, aber nicht kurzfristig konstantend) langfristig steigendenUmlaufgeschwindigkeit pY/M des Geldes aus.

21. Gegeben sei das auf zwei Differentialgleichungen reduzierte monetaris-tische Basismodell in der folgenden Form:

U = π − (µ− γ) mit µ = 0.02 und γ = 0π = −0.1U − 0.4π + 0.4(µ− γ) + 0.1U mit U = 0.05

Im vorliegenden konkreten Fall ist der Steady Statea) monoton stabilb) zyklisch stabilc) monoton instabild) zyklisch instabil

22. Im monetaristischen Basismodell (bei adaptiven Inflationserwartun-gen) befinde man sich zunachst im Steady State. Eine Erhohung der Wachs-tumsrate der Geldmenge bewirkt danna) kurzfristig eine hohere Inflationsrate, langfristig ausschließlich eine niedri-gere Arbeitslosenrateb) kurzfristig eine niedrigere Arbeitslosenrate, langfristig ausschließlich eineniedrigere Inflationsratec) kurzfristig eine hohere Inflationsrate, langfristig ausschließlich eine hohereArbeitslosenrated) kurzfristig eine niedrigere Arbeitslosenrate, langfristig ausschließlich einehohere Inflationsrate

23. Der Mundell-Effekt besagt, dassa) eine Erhohung des Preisniveaus den Nominalzins erhoht, dadurch die In-vestitionen zuruckgehen und Einkommen und Beschaftigung sinkenb) eine Erhohung der erwarteten Inflationsrate die LM-Kurve nach links ver-schiebt, dadurch die Investitionen zuruckgehen und Einkommen und Beschafti-gung sinkenc) eine Erhohung des Preisniveaus den Reallohn senkt und dadurch Einkom-men und Beschaftigung steigend) eine Erhohung der erwarteten Inflationsrate den Realzins senkt, dadurchdie Investitionen zunehmen und Einkommen und Beschaftigung steigen

24. Das IS-LM-PC-Modell unterscheidet sich vom monetaristischen Basis-modell u.a. dadurch, dassa) im IS-LM-PC-Modell der okonomisch relevante Steady State nicht mehrglobal asymptotisch stabil istb) im IS-LM-PC-Modell von der Quantitatstheorie des Geldes ausgegangen

Page 466: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

9.2 Multiple Choice Klausurbeispiele 457

wirdc) im IS-LM-PC-Modell nicht mehr vom Markup-Pricing ausgegangen wirdd) im IS-LM-PC-Modell eine hinreichend niedrige Anpassungsstarke bei denadaptiv gebildeten Inflationserwartungen zu lokaler Instabilitat fuhrt

25. Die Dynamik im IS-LM-PC-Modell wird beeinflussta) nur vom Mundell-Effektb) nur vom Keynes-Effektc) vom Keynes- und vom Mundell-Effektd) von keinem dieser beiden Effekte

Losungen: 1.a), 2.d), 3.c), 4.b), 5.d), 6.c), 7.a), 8.b), 9.d), 10.a), 11.c), 12.b),13.c), 14.b), 15.b), 16.c), 17.d), 18.a), 19.d), 20.a), 21.b), 22.d), 23.d), 24.a),25.c).

9.2.2 Version 1b (1996)

1. Im neoklassischen Basismodell mit flexiblen Nominallohnen kommt es zueiner Erhohung der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes. Die Folge ista) ein hoheres reales Sozialprodukt und ein steigendes Preisniveaub) ein gleichbleibendes reales Sozialprodukt und ein steigendes Preisniveauc) ein niedrigeres reales Sozialprodukt und ein steigendes Preisniveaud) ein gleichbleibendes reales Sozialprodukt und ein gleichbleibendes Preisni-veau

2. Gegeben sei das neoklassische Basismodell mit fixem Nominallohn inder folgenden Form:

M · v = p · Y (Quantitatstheorie)p = 0.02 · w · Y (aggregiertes Angebot)

Wie hoch muss bei einem Nominallohn w in Hohe von 5 und einer Umlaufge-schwindigkeit v von 4 die Geldmenge M sein, um ein gleichgewichtiges Preis-niveau p in Hohe von 10 sicherzustellen?a) 250b) 300c) 350d) 400

3. Gegeben sei das neoklassische Basismodell mit fixem Nominallohn undbereits bestehender Unterbeschaftigung. Eine Senkung des Nominallohns hatim neuen Gleichgewichta) eine hohere reale Geldmenge, ein hoheres reales Sozialprodukt und einehohere reale Ersparnis zur Folgeb) einen niedrigeren Reallohn, ein hoheres Preisniveau und einen hoheren

Page 467: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

458 9 Multiple-Choice Klausuraufgaben

Zinssatz zur Folgec) ein niedrigeres Preisniveau, einen niedrigeren Reallohn und ein hoheres rea-les Sozialprodukt zur Folged) eine hohere reale Geldmenge, einen niedrigeren Reallohn und ein hoheresnominales Sozialprodukt zur Folge

4. Im Keynes’schen Basismodell mit linear-limitationaler Produktionsfunk-tion und Markup-Pricing kommt es zu einer Erhohung des Nominallohns. Diesbewirkt, dassa) das Preisniveau und der Zinssatz steigen und das Realeinkommen zuruck-gehtb) die Sparneigung zuruckgeht und das Realeinkommen und die Beschafti-gung steigenc) das Preisniveau steigt und die Beschaftigung sowie der Zinssatz konstantbleibend) das Investitionsvolumen sinkt und das Realeinkommen und die Beschafti-gung zuruckgehen

5. Gegeben seien die folgenden Gleichungen fur das Keynes’sche Basismo-dell:

S(r, Y ) = −46 + 40r + 0.2Y

I(r) = 53− 20r

Bd = −20 + 2000r

Bs = 505− 1500r

Das Gleichgewichtseinkommen Y0 betragta) 200b) 250c) 300d) 450

6. In bezug auf das Keynes’sche Basismodell mit linear-limitationaler Pro-duktionsfunktion und Markup-Pricing ist die folgende Aussage zutreffend:a) Die Wirkungsrichtung einer Senkung des Nominallohns auf das reale Sozi-alprodukt ist die gleiche wie die einer Steigerung der Arbeitsproduktivitatb) Eine Senkung des Gleichgewichtszinssatzes am Bondmarkt und eine Ver-minderung des Markup-Faktors haben die gleiche qualitative Wirkung auf dieBeschaftigungc) Ein Ruckgang der Investitionen und ein Ruckgang der marginalen Sparnei-gung haben die gleiche qualitative Wirkung auf die Beschaftigungd) Die Wirkungsrichtung eines Anstiegs der Konsumneigung auf das realeSozialprodukt ist die gleiche wie die eines Ruckgangs des Preisniveaus.

7. Gegeben sei das folgende, vereinfachte IS-LM-Modell:

Page 468: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

9.2 Multiple Choice Klausurbeispiele 459

C = 0.75(Y − T ), T = 200;I = 220− 400(r − πe), πe = 0.05;G = 200;Y = C + I + G (Abschreibungsrate δ = 0)

Md

p= 0.2Y + 470− 3200r; p = 2

Welchen Wert muss das Geldangebot M haben, um ein reales Gleichgewicht-seinkommen Y0 in Hohe von 1000 zu ermoglichen?a) M = 350b) M = 700c) M = 1050d) M = 1400

8. Gegeben sei das IS-LM-Modell der kurzen Frist fur den Fall vollig zin-sunelastischer Investitionen (i1 = 0). Die marginale Konsumneigung betrage0.75. Wie hoch ist (unter Zugrundelegung eines Einkommens-Ausgaben-Lagsvon einer Periode) die kumulierte Einkommenssteigerung nach t = 3 Peri-oden, wenn die Investitionen in t = 1 um ∆i0 = 4 Einheiten zunehmen undanschließend auch auf dem hoheren Niveau verbleiben?a)

∑3t=1 ∆Yt = 3.50

b)∑3

t=1 ∆Yt = 5.25c)

∑3t=1 ∆Yt = 7.50

d)∑3

t=1 ∆Yt = 9.25

9. Bei einer vertikalen LM-Kurve und einer normal geneigten IS-Kurve imIS-LM-Modell der kurzen Frista) liegt eine Liquiditatsfalle vorb) fuhrt eine expansive Fiskalpolitik zu einem totalen Crowding-outc) ist expansive Geldpolitik nur in Verbindung mit einer ebenfalls expansivenFiskalpolitik effektivd) fuhrt eine Steuererhohung zu einem Ruckgang des Einkommens

10. Man vergleiche im IS-LM-Modell der kurzen Frist die Multiplikatoref-fekte einer steuer-, einer schulden- und einer geldfinanzierten Staatsausgabe-nerhohung. Es gilt:a) Der Multiplikator ist bei Schuldenfinanzierung am großten.b) Der Multiplikator ist bei Geldfinanzierung genauso groß wie bei Steuerfi-nanzierung.c) Der Multiplikator hat bei Steuerfinanzierung stets den Wert 1.d) Der Multiplikator ist bei Geldfinanzierung großer als bei Schuldenfinanzie-rung.

Page 469: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

460 9 Multiple-Choice Klausuraufgaben

11. Im IS-LM-Modell der kurzen Frist kommt es zu einem (exogenen)Preisanstieg und einer (ebenfalls exogenen) Erhohung der erwarteten Infla-tionsrate. Dennoch bleibt das reale Gleichgewichtseinkommen konstant. Beiunveranderten Verhaltensfunktionen des privaten Sektorsa) bedeutet dies, dass bei unveranderter Fiskalpolitik der Nominalzins um dengleichen Betrag wie die erwartete Inflationsrate gestiegen sein muss.b) bedeutet dies, dass bei unveranderter Fiskalpolitik die Geldmenge um dengleichen Prozentsatz wie das Preisniveau gestiegen sein muss.c) bedeutet dies, dass bei unveranderter Fiskalpolitik die Geldmenge prozen-tual starker gestiegen sein muss als das Preisniveau.d) ist dies vollig unmoglich, wenn die Fiskalpolitik unverandert bleibt.

12. Im IS-LM-Modell einer kleinen offenen Volkswirtschaft werden dieSteuern gesenkt. Dies fuhrt im neuen Gleichgewichta) bei fixen Wechselkursen zu einem hoheren realen Sozialprodukt und einerErhohung des Devisenbestandes der Zentralbank.b) bei flexiblen Wechselkursen zu einem gleichbleibenden realen Sozialproduktund einer Abwertung der inlandischen Wahrung.c) bei fixen Wechselkursen zu einem gleichbleibenden realen Sozialproduktund einer Erhohung des Devisenbestands der Zentralbank.d) bei flexiblen Wechselkursen zu einem hoheren realen Sozialprodukt undeiner Aufwertung der inlandischen Wahrung.

13. Im IS-LM-Modell einer kleinen offenen Volkswirtschaft mit fixen Wech-selkursen reduziert die Zentralbank die Geldmenge. Diese Maßnahmea) muss durch hohere Staatsausgaben ausgeglichen werden, wenn das realeGleichgewichtseinkommen konstant bleiben soll.b) fuhrt zu einem niedrigeren realen Gleichgewichtseinkommen, was durchFiskalpolitik nicht zu verhindern ist.c) erfordert keine fiskalpolitischen Aktivitaten, wenn das reale Gleichgewicht-seinkommen konstant bleiben soll.d) darf nur in Verbindung mit einer Steuersenkung durchgefuhrt werden, wenndas reale Gleichgewichtseinkommen konstant bleiben soll.

14. Im IS-LM-Modell einer kleinen offenen Volkswirtschaft mit flexiblenWechselkursen fuhrt eine Erhohung der Staatsausgaben im neuen Gleichge-wicht zua) einem hoheren realen Sozialprodukt und einem hoheren Außenbeitrag.b) einem unveranderten realen Sozialprodukt und einem niedrigeren Außen-beitrag.c) einem niedrigeren realen Sozialprodukt und einem unveranderten Außen-beitrag.d) einem hoheren realen Sozialprodukt und einem unveranderten Außenbei-trag.

Page 470: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

9.2 Multiple Choice Klausurbeispiele 461

15. Akzelerierende Inflation kommt im monetaristischen Basismodell dannzustande, wenna) die Anpassungsgeschwindigkeit des Nominallohns hinreichend groß ist.b) die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes oberhalb eines ‘kritischen Wertes’liegt.c) die Zentralbank versucht, die Arbeitslosenrate auf Dauer unter ihrem‘naturlichen’ Niveau zu stabilisieren.d) die Anpassungsstarke bei den Inflationserwartungen hinreichend niedrig ist.

16. Gegeben sei das auf zwei Differentialgleichungen reduzierte monetaris-tische Basismodell in der folgenden Form:

U = π − (µ− γ) mit µ = 0.03 und γ = 0π = −0.18U − 0.9π + 0.9(µ− γ) + 0.18U mit U = 0.06

Im vorliegenden konkreten Fall ist der Steady Statea) monoton stabilb) zyklisch stabilc) monoton instabild) zyklisch instabil

17. Welche der folgenden Aussagen bezuglich des monetaristischen Basis-modells ist falsch?a) Die langfristige Arbeitslosenrate kann nicht durch eine hohere Anpassungs-geschwindigkeit der Nominallohne gesenkt werden.b) Eine langfristig niedrigere Inflationsrate ist ohne eine Reduktion der Geld-mengenwachstumsrate nicht moglich.c) Die konstante Umlaufgeschwindigkeit des Geldes hat zur Folge, dass Geldweder kurz- noch langfristig die Produktion beeinflusst.d) Die Verwendung einer linear-limitationalen Produktionsfunktion und desMarkup-Pricings bewirken eine Konstanz des Reallohns.

18. Das IS-LM-PC-Modell beinhaltet die folgenden Bausteine:a) IS-LM-Modell der kurzen Frist, Quantitatstheorie, Phillipskurve, neoklas-sische Produktionsfunktion, Markup-Pricingb) IS-LM-Modell der mittleren Frist, Lohn-Phillipskurve, linear-limitationaleProduktionsfunktion, Markup-Pricing, Say’sches Theoremc) IS-LM-Modell der kurzen Frist, adaptive Inflationserwartungen, konstanteKapitalauslastung (Y/K), Markup-Pricing, Phillipskurved) IS-LM-Modell der kurzen Frist, Lohn-Phillipskurve, Markup-Pricing, ad-aptive Inflationserwartungen, konstante Arbeitsproduktivitat

19. Gegeben sei das bereits auf zwei Differentialgleichungen in den Varia-blen m(= M/w) und πe reduzierte IS-LM-PC-Modell:

Page 471: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

462 9 Multiple-Choice Klausuraufgaben

m = [µ− βw(V − V )− πe] ·mπe = βπeβw(V − V )

mit V = a0 + a1m+ a2πe. Bezuglich des Phasenportrats ist die folgende Aus-

sage richtig:a) Oberhalb der m = 0-Isokline sinkt m, unterhalb der πe = 0-Isokline sinktπe.b) Oberhalb der m = 0-Isokline steigt m, oberhalb der πe = 0-Isokline steigtπe.c) Unterhalb der m = 0-Isokline steigt m, unterhalb der πe = 0-Isokline steigtπe.d) Unterhalb der m = 0-Isokline steigt πe, oberhalb der πe = 0-Isokline sinktm.(Mit der m = 0-Isokline ist hier naturlich nicht die triviale – die Ordinate –gemeint).

20. Gegeben seien wieder die beiden Differentialgleichungen aus Aufgabe19., jetzt mit der Vereinfachung µ = 0. Mit m0 und πe

0 seien die Werte derbeiden dynamischen Variablen im okonomisch relevanten Steady State gege-ben. Eine Erhohung der Staatsausgaben G und damit ein großerer Wert fura0 fuhrt dann zua) einem großeren Wert fur m0 und einem großeren Wert fur πe

0.b) einem kleineren Wert fur m0 und einem unveranderten Wert fur πe

0.c) einem großeren Wert fur m0 und einem kleineren Wert fur πe

0.d) einem unveranderten Wert fur m0 und einem großeren Wert fur πe

0.

21. Gegeben sei das Harrod-Modell mit Y = 11−cI, c = 0.9 als realisier-

tem Output und Y p = 0.5 ·K als Potentialoutput. Das Investitionsverhaltensei mit I/K = 1.25(Y/K−Y p/K) beschrieben. Im Steady State wachst dannder Kapitalstock K mit der Ratea) K = 0.025b) K = 0.040c) K = 0.050d) K = 0.065

22. Gegeben sei folgende Produktionsfunktion: F (K,L) = 1.2 · L2/3K1/3.Die Abschreibungsrate δ sei Null und das Bevolkerungswachstum n1 = 0.045.Wie hoch muss im Solow-Modell mit diesen Daten die Sparneigung s sein, umim Steady State einen Pro-Kopf-Output y0 in Hohe von 2.4 zu erreichen?a) s = 0.10b) s = 0.15c) s = 0.20d) s = 0.25

Page 472: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

9.2 Multiple Choice Klausurbeispiele 463

23. Wenn im Solow-Modell bei einer Abschreibungsrate von δ = 0 dasBevolkerungswachstum sinkt, hat diesa) eine hohere Kapitalintensitat und eine hohere Wachstumsrate des Kapital-stocksb) eine niedrigere Kapitalintensitat und eine unveranderte Wachstumsrate desKapitalstocksc) eine hohere Kapitalintensitat und eine niedrigere Wachstumsrate des Ka-pitalstocksd) eine niedrigere Kapitalintensitat und eine niedrigere Wachstumsrate desKapitalstocksim neuen Steady State zur Folge.

24. Das Say’sche Theorem gilt u.a.a) im monetaristischen Basismodell und im IS-LM-PC-Modell.b) im IS-LM-Modell der kurzen Frist und im monetaristischen Basismodell.c) im IS-LM-Modell der kurzen Frist und im Domar-Modell.d) im neoklassischen Basismodell und im Solow-Modell.

25. ‘Eine hohere Sparneigung fuhrt zu einem niedrigeren realen Sozialpro-dukt.’ Diese Aussage trifft u.a. zu ima) neoklassischen Basismodell bei fixem Nominallohn, im Keynes’schen Basis-modell und im IS-LM-Modell der kurzen Frist.b) Keynes’schen Basismodell, im IS-LM-Modell der kurzen Frist und imSolow-Modell.c) Keynes’schen Basismodell, im IS-LM-Modell der kurzen Frist und im IS-LM-Modell einer kleinen offenen Volkswirtschaft bei fixen Wechselkursen.d) monetaristischen Basismodell, im Harrod-Modell und im Solow-Modell.

Losungen: 1.b), 2.a), 3.c), 4.c), 5.d), 6.a), 7.b), 8.d), 9.b), 10.d), 11.a), 12.a),13.c), 14.b), 15.c), 16.a), 17.c), 18.d), 19.a), 20.b), 21.c), 22.b), 23.c), 24.d),25.c).

9.2.3 Version 2a (2006)

1. Das neoklassische Basismodell bei fixem Nominallohn liege in der folgen-den konkreten Form vor:

M · v = p · Y (Quantitatstheorie)Y = F (Ld) = 20·

√Ld (Neoklassische Produktionsfunk-

tion)

Wie hoch muss bei einem Nominallohn w in Hohe von 8 und einer Umlauf-geschwindigkeit v von 6 die Geldmenge M sein, um ein gleichgewichtigesPreisniveau p in Hohe von 12 sicherzustellen?¤ a) M = 500¤ b) M = 550

Page 473: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

464 9 Multiple-Choice Klausuraufgaben

¤ c) M = 600¤ d) M = 650

2. Im neoklassischen Basismodell mit flexiblem Nominallohn wird die Geld-menge erhoht. Die Folge ist¤ a) Ein hoheres nominales Sozialprodukt, ein unveranderter Zinssatz

und eine unveranderte Beschaftigung.¤ b) Ein gleichbleibendes reales Sozialprodukt, ein niedrigerer Zinssatz

und eine unveranderte Beschaftigung.¤ c) Ein gleichbleibendes nominales Sozialprodukt, ein unveranderter

Zinssatz und eine unveranderte Beschaftigung.¤ d) Ein hoheres reales Sozialprodukt, ein niedrigerer Zinssatz und eine

hohere Beschaftigung.

3. Im Keynes’schen Basismodell mit linear-limitationaler Produktionsfunkti-on und Markup-Pricing kommt es zu einer Senkung des Markup-Faktors.Dies bewirkt, dass¤ a) die Sparneigung steigt und das Realeinkommen und die Beschafti-

gung zuruckgehen.¤ b) das Preisniveau sinkt und die Beschaftigung sowie der Zinssatz kon-

stant bleiben.¤ c) das Preisniveau und der Zinssatz sinken und das Realeinkommen

ansteigt.¤ d) das Investitionsvolumen steigt und das Realeinkommen und die

Beschaftigung zunehmen.

4. Im Keynes’schen Basismodell mit linear-limitationaler Produktionsfunk-tion und Markup-Pricing kommt es zu einer Erhohung des Nominallohnsund zu einem Anstieg der Arbeitsproduktivitat. Die Folge ist¤ a) ein hoherer Reallohn und eine gleichbleibende Beschaftigung.¤ b) ein niedrigerer Reallohn und eine hohere Beschaftigung.¤ c) ein hoherer Reallohn und eine niedrigere Beschaftigung.¤ d) ein niedrigerer Reallohn und eine gleichbleibende Beschaftigung.

5. Gegeben sei das IS-LM-Modell (einer geschlossenen Volkswirtschaft) furden Fall vollig zinsunelastischer Investitionen. Die marginale Konsumnei-gung betrage 0.75. Wie hoch ist (unter Zugrundelegung eines Einkommens-Ausgaben-Lags von einer Periode) die kumulierte Einkommenssteigerungnach t = 3 Perioden, wenn die Investitionen in t = 1 um ∆i0 = 4 Einheitenzunehmen und anschließend auch auf dem hoheren Niveau verbleiben?¤ a)

∑3t=1 ∆Yt = 3.50

¤ b)∑3

t=1 ∆Yt = 5.25¤ c)

∑3t=1 ∆Yt = 7.50

Page 474: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

9.2 Multiple Choice Klausurbeispiele 465

¤ d)∑3

t=1 ∆Yt = 9.25

6. Im IS-LM-Standardmodell (einer geschlossenen Volkswirtschaft) kommtes zu einer Erhohung des Kassenhaltungskoeffizienten. Dies fuhrt zu einerneuen Gleichgewichtslage mit¤ a) hoherem Einkommen und einer hoheren Nachfrage nach Transakti-

onskasse.¤ b) hoherem Einkommen und einer niedrigeren Nachfrage nach Transaktions-

kasse.¤ c) geringeren Einkommen und einer geringeren Nachfrage nach Trans-

aktionskasse.¤ d) geringeren Einkommen und einer hoheren Nachfrage nach Transak-

tionskasse.

7. Im IS-LM-Modell (der kurzen Frist) mit normal geneigten Kurven gilt furden Staatsausgabenmultiplikator bei ausgeglichenem Budget (dG = dT ):¤ a) dY

dG> 1

¤ b) dYdG

= 1¤ c) dY

dG< 1

¤ d) dYdG

= 0

8. Gegeben sei das folgende, vereinfachte IS-LM-Modell:

C = 0.8(Y − T ), T = 150;I = 190− 200(r − πe), πe = 0.05;G = 150;Y = C + I + G (Abschreibungsrate δ = 0)

Md

p= 0.5Y + 700− 4500r;

M

p= 525; p = 4

Fur das simultane Geld- und Gutermarktgleichgewicht ergeben sich danndie folgenden Werte:¤ a) Nominales Einkommen = 4000; Realzins = 0.1¤ b) Reales Einkommen = 1000; Nominalzins = 0.1¤ c) Nominales Einkommen = 1000; Realzins = 0.15¤ d) Reales Einkommen = 1500; Nominalzins = 0.2

9. Bei welcher der nachfolgend aufgefuhrten Konstellationen im IS-LM-Modell (einer geschlossenen Volkswirtschaft) gilt unter sonst jeweils nor-malen Bedingungen das “Sparparadox”? Es gilt

Page 475: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

466 9 Multiple-Choice Klausuraufgaben

¤ a) bei einer horizontalen IS-Kurve, aber auch bei einer horizontalenLM-Kurve.

¤ b) bei einer horizontalen IS-Kurve, aber auch bei einer vertikalen LM-Kurve.

¤ c) bei einer vertikalen IS-Kurve, aber auch bei einer vertikalen LM-Kurve.

¤ d) bei einer vertikalen IS-Kurve, aber auch bei einer horizontalen LM-Kurve.

10. Im IS-LM-Modell einer kleinen offenen Volkswirtschaft mit perfekter in-ternationaler Kapitalmobilitat wird die Geldmenge erhoht. Bei flexiblenWechselkursen fuhrt dies mit Blick auf das neue Gleichgewicht zu¤ a) einem hoheren Investitionsvolumen.¤ b) einer hoheren gesamtwirtschaftlichen Ersparnis.¤ c) einer unveranderten Beschaftigung.¤ d) einer Aufwertung der inlandischen Wahrung.

11. Im IS-LM-Modell einer kleinen offenen Volkswirtschaft mit perfekter in-ternationaler Kapitalmobilitat werden die Steuern gesenkt und die Geld-menge erhoht. Im neuen Gleichgewicht ist das Einkommen gesunken. Diesist¤ a) sowohl bei fixen als auch bei flexiblen Wechselkursen¤ b) nur bei fixen Wechselkursen¤ c) nur bei flexiblen Wechselkursen¤ d) weder bei fixen noch bei flexiblen Wechselkursenmoglich.

12. Im Vergleich zum IS-LM-Modell (einer geschlossenen Volkswirtschaft) inStandardform fuhrt die zusatzliche Berucksichtigung des Realvermogens-effekts in der Konsumfunktion dazu, dass jetzt¤ a) eine Senkung des Preisniveaus bei einer unendlich zinselastischen

Geldnachfrage expansiv auf das reale Sozialprodukt wirkt.¤ b) eine Steuersenkung bei einer vollig zinsunelastischen Geldnachfrage

expansiv auf das reale Sozialprodukt wirkt.¤ c) eine Erhohung der Staatsausgaben bei unendlich zinselastischen In-

vestitionen expansiv auf das reale Sozialprodukt wirkt.¤ d) eine Reduktion der Geldmenge bei vollig zinsunelastischen Investi-

tionen expansiv auf das reale Sozialprodukt wirkt.

13. Im IS-LM-Modell (einer geschlossenen Volkswirtschaft) kommt es auf-grund veranderter Zahlungsgewohnheiten zu einer Senkung des Bargeld-koeffizienten (cu ↓). Dies bewirkt u.a.¤ a) ein hoheres Geldangebot (Ms ↑) und ein hoheres reales Sozialpro-

dukt (Y ↑).

Page 476: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

9.2 Multiple Choice Klausurbeispiele 467

¤ b) ein hoheres Geldangebot (Ms ↑) und ein niedrigeres reales Sozial-produkt (Y ↓).

¤ c) ein niedrigeres Geldangebot (Ms ↓) und ein hoheres reales Sozial-produkt (Y ↑).

¤ d) ein niedrigeres Geldangebot (Ms ↓) und ein niedrigeres reales So-zialprodukt (Y ↓).

14. Im monetaristischen Basismodell ist die Phase der Stagflation u.a. gekenn-zeichnet durch¤ a) eine steigende, aber noch unterhalb der NAIRU liegende Arbeits-

losenrate, eine steigende Inflationsrate sowie sinkende Inflationserwar-tungen.

¤ b) eine steigende, aber noch unterhalb der NAIRU liegende Arbeitslo-senrate, eine steigende Inflationsrate sowie steigende Inflationserwar-tungen.

¤ c) eine fallende und unterhalb der NAIRU liegende Arbeitslosenrate,eine steigende Inflationsrate sowie steigende Inflationserwartungen.

¤ d) eine fallende, aber noch oberhalb der NAIRU liegende Arbeitslo-senrate, eine sinkende Inflationsrate sowie sinkende Inflationserwar-tungen.

15. Im monetaristischen Basismodell wird die Wachstumsrate der Geldmengevon 4% auf 6% erhoht. Im neuen Steady State¤ a) ist die reale Geldmenge M

p genauso hoch wie im alten Steady State.¤ b) ist die reale Geldmenge M

p um 50% hoher als im alten Steady State.¤ c) ist die reale Geldmenge M

p um 50% niedriger als im alten SteadyState.

¤ d) wachst die reale Geldmenge Mp um 2 Prozentpunkte schneller als

im alten Steady State.

16. Gegeben sei das Solow-Modell mit neoklassischer und linear-homogenerProduktionsfunktion F (K,L) und den Parametern s (marginale Sparnei-gung), δ (Abschreibungsrate) und n1 (Wachstumsrate der Bevolkerung),von denen alle strikt positiv seien. Im Steady State betragt dann dieWachstumsrate des Kapitalstocks (K)¤ a) Null¤ b) sδ + n1

¤ c) n1

¤ d) s− n1

Losungen: 1c, 2a, 3b, 4c, 5d, 6d, 7c, 8a, 9d, 10b, 11d, 12a, 13a, 14b, 15a,16c.

Page 477: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

468 9 Multiple-Choice Klausuraufgaben

9.2.4 Version 2b (2006)

1. Das neoklassische Basismodell bei fixem Nominallohn liege in der folgen-den konkreten Form vor:

M · v = p · Y (Quantitatstheorie)Y = F (Ld) = 20·

√Ld (Neoklassische Produktionsfunk-

tion)

Wie hoch muss bei einem Nominallohn w in Hohe von 8 und einer Umlauf-geschwindigkeit v von 6 die Geldmenge M sein, um ein gleichgewichtigesPreisniveau p in Hohe von 12 sicherzustellen?¤ a) M = 500¤ b) M = 550¤ c) M = 600¤ d) M = 650

2. Im neoklassischen Basismodell mit flexiblem Nominallohn wird die Geld-menge erhoht. Die Folge ist¤ a) Ein hoheres nominales Sozialprodukt, ein unveranderter Zinssatz

und eine unveranderte Beschaftigung.¤ b) Ein gleichbleibendes reales Sozialprodukt, ein niedrigerer Zinssatz

und eine unveranderte Beschaftigung.¤ c) Ein gleichbleibendes nominales Sozialprodukt, ein unveranderter

Zinssatz und eine unveranderte Beschaftigung.¤ d) Ein hoheres reales Sozialprodukt, ein niedrigerer Zinssatz und eine

hohere Beschaftigung.

3. Im Keynes’schen Basismodell mit linear-limitationaler Produktionsfunkti-on und Markup-Pricing kommt es zu einer Senkung des Markup-Faktors.Dies bewirkt, dass¤ a) die Sparneigung steigt und das Realeinkommen und die Beschafti-

gung zuruckgehen.¤ b) das Preisniveau sinkt und die Beschaftigung sowie der Zinssatz kon-

stant bleiben.¤ c) das Preisniveau und der Zinssatz sinken und das Realeinkommen

ansteigt.¤ d) das Investitionsvolumen steigt und das Realeinkommen und die

Beschaftigung zunehmen.

4. Im Keynes’schen Basismodell mit linear-limitationaler Produktionsfunk-tion und Markup-Pricing kommt es zu einer Erhohung des Nominallohnsund zu einem Anstieg der Arbeitsproduktivitat. Die Folge ist¤ a) ein hoherer Reallohn und eine gleichbleibende Beschaftigung.¤ b) ein niedrigerer Reallohn und eine hohere Beschaftigung.¤ c) ein hoherer Reallohn und eine niedrigere Beschaftigung.

Page 478: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

9.2 Multiple Choice Klausurbeispiele 469

¤ d) ein niedrigerer Reallohn und eine gleichbleibende Beschaftigung.

5. Gegeben sei das IS-LM-Modell (einer geschlossenen Volkswirtschaft) furden Fall vollig zinsunelastischer Investitionen. Die marginale Konsumnei-gung betrage 0.75. Wie hoch ist (unter Zugrundelegung eines Einkommens-Ausgaben-Lags von einer Periode) die kumulierte Einkommenssteigerungnach t = 3 Perioden, wenn die Investitionen in t = 1 um ∆i0 = 4 Einheitenzunehmen und anschließend auch auf dem hoheren Niveau verbleiben?¤ a)

∑3t=1 ∆Yt = 3.50

¤ b)∑3

t=1 ∆Yt = 5.25¤ c)

∑3t=1 ∆Yt = 7.50

¤ d)∑3

t=1 ∆Yt = 9.25

6. Im IS-LM-Standardmodell (einer geschlossenen Volkswirtschaft) kommtes zu einer Erhohung des Kassenhaltungskoeffizienten. Dies fuhrt zu einerneuen Gleichgewichtslage mit¤ a) hoherem Einkommen und einer hoheren Nachfrage nach Transakti-

onskasse.¤ b) hoherem Einkommen und einer niedrigeren Nachfrage nach Trans-

aktionskasse.¤ c) geringeren Einkommen und einer geringeren Nachfrage nach Trans-

aktionskasse.¤ d) geringeren Einkommen und einer hoheren Nachfrage nach Transak-

tionskasse.

7. Im IS-LM-Modell (der kurzen Frist) mit normal geneigten Kurven gilt furden Staatsausgabenmultiplikator bei ausgeglichenem Budget (dG = dT ):¤ a) dY

dG> 1

¤ b) dYdG

= 1¤ c) dY

dG< 1

¤ d) dYdG

= 0

8. Gegeben sei das folgende, vereinfachte IS-LM-Modell:

C = 0.8(Y − T ), T = 150;I = 190− 200(r − πe), πe = 0.05;G = 150;Y = C + I + G (Abschreibungsrate δ = 0)

Md

p= 0.5Y + 700− 4500r;

M

p= 525; p = 4

Page 479: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

470 9 Multiple-Choice Klausuraufgaben

Fur das simultane Geld- und Gutermarktgleichgewicht ergeben sich danndie folgenden Werte:¤ a) Nominales Einkommen = 4000; Realzins = 0.1¤ b) Reales Einkommen = 1000; Nominalzins = 0.1¤ c) Nominales Einkommen = 1000; Realzins = 0.15¤ d) Reales Einkommen = 1500; Nominalzins = 0.2

9. Bei welcher der nachfolgend aufgefuhrten Konstellationen im IS-LM-Modell (einer geschlossenen Volkswirtschaft) gilt unter sonst jeweils nor-malen Bedingungen das “Sparparadox”? Es gilt¤ a) bei einer horizontalen IS-Kurve, aber auch bei einer horizontalen

LM-Kurve.¤ b) bei einer horizontalen IS-Kurve, aber auch bei einer vertikalen LM-

Kurve.¤ c) bei einer vertikalen IS-Kurve, aber auch bei einer vertikalen LM-

Kurve.¤ d) bei einer vertikalen IS-Kurve, aber auch bei einer horizontalen LM-

Kurve.

10. Im IS-LM-Modell einer kleinen offenen Volkswirtschaft mit perfekter in-ternationaler Kapitalmobilitat wird die Geldmenge erhoht. Bei flexiblenWechselkursen fuhrt dies mit Blick auf das neue Gleichgewicht zu¤ a) einem hoheren Investitionsvolumen.¤ b) einer hoheren gesamtwirtschaftlichen Ersparnis.¤ c) einer unveranderten Beschaftigung.¤ d) einer Aufwertung der inlandischen Wahrung.

11. Im IS-LM-Modell einer kleinen offenen Volkswirtschaft mit perfekter in-ternationaler Kapitalmobilitat werden die Steuern gesenkt und die Geld-menge erhoht. Im neuen Gleichgewicht ist das Einkommen gesunken. Diesist¤ a) sowohl bei fixen als auch bei flexiblen Wechselkursen¤ b) nur bei fixen Wechselkursen¤ c) nur bei flexiblen Wechselkursen¤ d) weder bei fixen noch bei flexiblen Wechselkursenmoglich.

12. Im Vergleich zum IS-LM-Modell (einer geschlossenen Volkswirtschaft) inStandardform fuhrt die zusatzliche Berucksichtigung des Realvermogens-effekts in der Konsumfunktion dazu, dass jetzt¤ a) eine Senkung des Preisniveaus bei einer unendlich zinselastischen

Geldnachfrage expansiv auf das reale Sozialprodukt wirkt.

Page 480: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

9.2 Multiple Choice Klausurbeispiele 471

¤ b) eine Steuersenkung bei einer vollig zinsunelastischen Geldnachfrageexpansiv auf das reale Sozialprodukt wirkt.

¤ c) eine Erhohung der Staatsausgaben bei unendlich zinselastischen In-vestitionen expansiv auf das reale Sozialprodukt wirkt.

¤ d) eine Reduktion der Geldmenge bei vollig zinsunelastischen Investi-tionen expansiv auf das reale Sozialprodukt wirkt.

13. Im IS-LM-Modell (einer geschlossenen Volkswirtschaft) kommt es auf-grund veranderter Zahlungsgewohnheiten zu einer Senkung des Bargeld-koeffizienten (cu ↓). Dies bewirkt u.a.¤ a) ein hoheres Geldangebot (Ms ↑) und ein hoheres reales Sozialpro-

dukt (Y ↑).¤ b) ein hoheres Geldangebot (Ms ↑) und ein niedrigeres reales Sozial-

produkt (Y ↓).¤ c) ein niedrigeres Geldangebot (Ms ↓) und ein hoheres reales Sozial-

produkt (Y ↑).¤ d) ein niedrigeres Geldangebot (Ms ↓) und ein niedrigeres reales So-

zialprodukt (Y ↓).

14. Im monetaristischen Basismodell ist die Phase der Stagflation u.a. gekenn-zeichnet durch¤ a) eine steigende, aber noch unterhalb der NAIRU liegende Arbeits-

losenrate, eine steigende Inflationsrate sowie sinkende Inflationserwar-tungen.

¤ b) eine steigende, aber noch unterhalb der NAIRU liegende Arbeitslo-senrate, eine steigende Inflationsrate sowie steigende Inflationserwar-tungen.

¤ c) eine fallende und unterhalb der NAIRU liegende Arbeitslosenrate,eine steigende Inflationsrate sowie steigende Inflationserwartungen.

¤ d) eine fallende, aber noch oberhalb der NAIRU liegende Arbeitslo-senrate, eine sinkende Inflationsrate sowie sinkende Inflationserwar-tungen.

15. Im monetaristischen Basismodell wird die Wachstumsrate der Geldmengevon 4% auf 6% erhoht. Im neuen Steady State¤ a) ist die reale Geldmenge M

p genauso hoch wie im alten Steady State.¤ b) ist die reale Geldmenge M

p um 50% hoher als im alten Steady State.¤ c) ist die reale Geldmenge M

p um 50% niedriger als im alten SteadyState.

¤ d) wachst die reale Geldmenge Mp um 2 Prozentpunkte schneller als

im alten Steady State.

16. Gegeben sei das Solow-Modell mit neoklassischer und linear-homogenerProduktionsfunktion F (K,L) und den Parametern s (marginale Sparnei-

Page 481: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

472 9 Multiple-Choice Klausuraufgaben

gung), δ (Abschreibungsrate) und n1 (Wachstumsrate der Bevolkerung),von denen alle strikt positiv seien. Im Steady State betragt dann dieWachstumsrate des Kapitalstocks (K)¤ a) Null¤ b) sδ + n1

¤ c) n1

¤ d) s− n1

Losungen: 1c, 2a, 3b, 4c, 5d, 6d, 7c, 8a, 9d, 10b, 11d, 12a, 13a, 14b, 15a,16c.

Page 482: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

Literaturverzeichnis

1. Abel, A. and B. Bernanke (2005): Macroeconomics. New York: Pearson.2. Ackley, G. (1964): Macroeconomic Theory. New York: Macmillan.3. Arnold, L. (2006): Makrookonomik. Eine Einfuhrung in die Theorie der

Guter-, Arbeits- und Finanzmarkte. Tubingen: Mohr Siebeck.4. Arrow, K. (1962): The economic implications of learning by doing. Review of

Economic Studies, 29, 155 – 173.5. Asada, T., C. Chiarella, P. Flaschel and R. Franke (2003): Open Econo-

my Macrodynamics : An Integrated Disequilibrium Approach. Berlin: Springer.6. Asada, T., Chen, P., Chiarella, C. and P. Flaschel (2006a): AD-AS and

the Phillips curve. A baseline disequilibrium approach. In: C. Chiarella, P. Fla-schel, R. Franke and W. Semmler (eds.): Quantitative and Empirical Analysis ofNonlinear Dynamic Macromodels. Contributions to Economic Analysis (SeriesEditors: B. Baltagi, E. Sadka and D. Wildasin). Amsterdam: Elsevier.

7. Asada, T., Chen, P., Chiarella, C. and P. Flaschel (2006b): Keynesiandynamics and the wage-price spiral: A baseline disequilibrium model. Journalof Macroeconomics , 28, 90 – 130.

8. Baily, M.N. und P. Friedman (1991): Macroeconomics, Financial Markets,and the International Sector. Boston: Irwin.

9. Barna, T. (1975): Quesnay’s Tableau in Modern Guise. The Economic Jour-nal, 85, 485 – 496.

10. Barro, R. (1990): Macroeconomics, 3. Auflage. New York: John Wiley.11. Barro, R. (1994): The Aggregate-Supply / Aggregate-Demand Model. Eastern

Economic Journal, 20, 1 – 6.12. Barro, R. und V. Grilli (1994): European Macroeconomics. London: Mac-

millan.13. Bartling, H. und F. Luzius (2002): Grundzuge der Volkswirtschaftslehre, 14.

Auflage. Munchen: Verlag Vahlen.14. Blanchard, O.J. and N. Kiyotaki (1987): Monopolistic Competition and

the Effects of Aggregate Demand. American Economic Review, 77/4, 647 - 66.15. Blanchard, O.J. and S. Fischer (1989): Lectures on Macroeconomics. Cam-

bridge, Mass.: The MIT Press.16. Blanchard, O. and X. Katz (1999): Wage dynamics. Reconciling theory and

evidence. American Economic Review. Papers and Proceedings, 69 – 74.

Page 483: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

474 Literaturverzeichnis

17. Blanchard, O. (2006): Macroeconomics, 4. Auflage. New Jersey: PrenticeHall.

18. Blanchard, O. und G. Illing (2006): Makrookonomie, 4. Auflage. Munchen:Pearson Studium.

19. Calvo, G. (1983): Staggered Prices in a Utility Maximizing Framework. Jour-nal of Monetary Economics, 12/3, 383 – 98.

20. Carlin, W. und D. Soskice (2005): Macroeconomics. Imperfections, Institu-tions and Policy. Oxford: Oxford University Press.

21. Chen, P., Chiarella C., Flaschel, P. and W. Semmler (2006): KeynesianMacrodynamics and the Phillips Curve. An estimated baseline macro-modelfor the U.S. economy (with ). In: C. Chiarella, P. Flaschel, R. Franke and W.Semmler (Eds.): Quantitative and Empirical Analysis of Nonlinear DynamicMacromodels. Contributions to Economic Analysis 277 (Series Editors: B. Bal-tagi, E. Sadka and D. Wildasin), Elsevier, Amsterdam, 2006, 229 – 284.

22. Chiarella, C. und P. Flaschel (1996a): Keynesian Monetary Growth Dyna-mics. Macrofoundations. Buchmanuskript: Universitat Bielefeld / UTS Sydney(erschienen als Chiarella and Flaschel (2000)).

23. Chiarella, C. und P. Flaschel (1996b): Keynesian Monetary Growth Dyna-mics in Open Economies. Buchmanuskript: Universitat Bielefeld / UTS Sydney(erschienen als Asada et al. (2003).

24. Chiarella, C. and P. Flaschel (2000): The Dynamics of Keynesian Moneta-ry Growth: Macro Foundations. Cambridge, UK: Cambridge University Press.

25. Chiarella, C., Flaschel, P. and R. Franke (2005): Foundations for a Dise-quilibrium Theory of the Business Cycle. Qualitative Analysis and QuantitativeAssessment. Cambridge, UK: Cambridge University Press.

26. Crouch, R. (1972): Macroeconomics. New York: Harcourt Brace Jovanovich.27. Domar, E.D. (1946): Capital expansion, rate of growth, and employment.

Econometrica, 14, 137 – 147.28. Donges, J.B., W. Hamm, W. Moschel, M.J.M. Neumann und O. Sievert

(1995): Arbeitslosigkeit und Lohnpolitik - Die Tarifpolitik in der Bewahrungs-probe. Frankfurter Institut: Argumente zur Wirtschaftspolitik, Nr. 52.

29. Dornbusch, R. (1976): Expectations and exchange rate dynamics. Journal ofPolitical Economy, 84, 1161 – 76.

30. Dornbusch, R. (1980): Open Economy Macroeconomics. New York: BasicBooks.

31. Dornbusch, R. und S. Fischer (1995): Makrookonomik, 6. Auflage. Munchen:Oldenbourg.

32. Engels, W. (1984): Arbeitslosigkeit. Woher sie kommt und wie man sie behebenkann. Frankfurter Institut: Schriftenreihe, 5.

33. Erceg, C., D.W. Henderson and A.T. Levin (2000): Optimal monetary po-licy with staggered wage and price contracts. Journal of Monetary Economics,46, 281 - 313.

34. Felderer, B. und S. Homburg (2005): Makrookonomik und Neue Makrooko-nomik, 9. Auflage. Berlin: Springer.

35. Flaschel, P. und G. Groh (1996): Keynesianische Makrookonomik. Unter-beschaftigung, Inflation und Wachstum. Erste Auflage. Heidelberg: Springer.

36. Flaschel, P., Groh, G., Proano, C. and W. Semmler (2007): Topics inApplied Macrodynamic Theory. In: S. Mitnik, and W. Semmler (eds.): DynamicModeling and Econometrics in Economics and Finance. Heidelberg: Springer,forthcoming.

Page 484: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

Literaturverzeichnis 475

37. Friedman, M. (1957): A Theory of the Consumption Function. Princeton, NJ:Princeton University Press.

38. Friedman, M. (1968): The Role of Monetary Policy. American Economic Re-view, 58, 1 – 17.

39. Friedman, M. (1969): The optimum quantity of money. In: M. Friedman(1969): The Optimum Quantity of Money and Other Essays. Chicago: Aldi-ne Publishing Company.

40. Frisch, H. (1980): Die neue Inflationstheorie. Gottingen: Vandenhoeck & Ru-precht.

41. Froyen, R. (1993): Macroeconomics. Theories and Policies, 2. Auflage. NewYork: Macmillan.

42. Gantmacher, F.R. (1971): Matrizenrechnung, Teil II: Spezielle Fragen undAnwendungen. Berlin: VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften.

43. Hall, R.E., Taylor, J.B. and D. Papell (2005): Macroeconomics. EconomicGrowth, Fluctuations and Policy. New York: Norton.

44. Hansen, B. (1970): Excess demand, unemployment, vacancies and wages.Quarterly Journal of Economics, 84, 1 –23.

45. Harrod, R. (1939): An essay in dynamic economic theory. The EconomicJournal, 49, 14 – 33.

46. Haslinger, F. (1984): Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, 4. Auflage.Munchen: Oldenbourg.

47. Hens, T. and C. Strub (2004): Grundzuge der analytischen Makrookonomie.Heidelberg: Springer.

48. Hicks, J. (1937): Mr. Keynes and the ‘Classics’: A suggested interpretation.Econometrica, 5, 147 – 159.

49. Hicks, J. (1950): A Contribution to the Theory of the Trade Cycle. Oxford:Oxford University Press.

50. Hofmann, W. (1971): Theorie der Wirtschaftsentwicklung. Vom Merkantilis-mus bis zur Gegenwart. Berlin: Duncker & Humblot.

51. Jarchow, H.-J. und P. Ruhmann (1994): Monetare Außenwirtschaft I, Mo-netare Außenwirtschaftstheorie, 4. Auflage. Gottingen: Vandenhoeck & Ru-precht.

52. Jones, H.G. (1975): An Introduction to Modern Theories of Economic Growth.London: Thomas Nelson & Sons.

53. Karakitsos, E. (1992): Macrosystems. The Dynamics of Economic Policy.Oxford: Basil Blackwell.

54. Keynes, J.M. (1936): The General Theory of Employment, Interest and Mo-ney. New York: Macmillan.

55. Kuczynski, M. und R. Meek, Hrsg. (1972): Quesnay’s Tableau Economique.London: Macmillan.

56. Kuh, E. (1967): A productivity theory of wage levels – An alternative to thePhillips curve. Review of Economic Studies, 333 – 360.

57. Kydland, F.E. and E.C. Prescott (1982): Time to Build and AggregateFluctuations. Econometrica, 50/6, 1345 - 70.

58. Leslie, D. (1993): Advanced Macroeconomics. Beyond IS / LM. New York:McGraw-Hill.

59. Lucas, R. (1988): On the mechanics of economic development. Journal of Mo-netary Economics, 22, 3 – 42.

Page 485: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

476 Literaturverzeichnis

60. Lipsey, R.G. (1960): The relationship between unemployment and the rateof change of money wage rates in the UK, 1961 – 1957: A further analysis.Economica, 27, 1 – 32.

61. Malliaropulos, D. (1994): A small econometric model of the financial sector.London, Guildhall University: Mimeo.

62. Mankiw, G. (2003): Makrookonomik, 5. Auflage. Stuttgart: Schaffer-Poeschel.63. McCallum, B. (1989): Monetary Economics. Theory and Policy. New York:

Macmillan.64. Nelson, C.R. und C.I. Plosser (1982): Trends and random walks in ma-

croeconomic time series: Some evidence and implications. Journal of MonetaryEconomics, 10, 139 – 162.

65. Phelps, E.S. (1966): Models of technical progress and the golden rule of rese-arch. Review of Economic Studies, 33, 133 – 145.

66. Phillips, A.W. (1958): The relation between unemployment and the rate ofchange of money wage rates in the United Kingdom, 1861 – 1957. Economica,25, 283 – 299.

67. Okun, A. (1970): The Political Economy of Prosperity. Washington, D.C.: TheBrookings Institutions.

68. Patinkin, D. (1965): Money, Interest and Prices. New York: Harper and Row.69. Romer, D. (2005): Advanced Macroeonomics. 2. Auflage. New York: McGraw-

Hill.70. Romer, P. (1986): Increasing returns and long-run growth. Journal of Political

Economy, 94, 1002 – 1037.71. Rose, H. (1967): On the non-linear theory of the employment cycle. Review of

Economic Studies, 153 – 173.72. Rose, H. (1990): Macroeconomic Dynamics. A Marshallian Synthesis. Cam-

bridge: Basil Blackwell.73. Rothschild, K. (1978): Arbeitslose: Gibt’s die? Kyklos, 31, 21 – 35.74. Rowthorn, B. (1980): Conflict, inflation and money, in: B. Rowthorn: Capi-

talism, Conflict and Inflation. Essays in Political Economy. London: Lawrenceand Wishart.

75. Rotemberg, J. und M. Woodford (1997): An optimization-based econome-tric framework for the evaluation of monetary policy. NBER MacroeconomicsAnnual, 12, 297 – 346.

76. Samuelson, P. und R. Solow (1960): The problem of achieving and maintai-ning a stable price level: Analytical aspects of anti-inflation policy. AmericanEconomic Review, 50, 177 – 194.

77. Sargent, Th.J. (1973): Interest rates and prices in the long run: A study ofthe Gibson paradox. Journal of Money, Credit, and Banking, 5, 385 – 449.

78. Sargent, T. (1987): Macroeconomic Theory, 2. Auflage. New York: AcademicPress.

79. Sargent, T. and N. Wallace (1973): The stability of models of money andgrowth with perfect foresight. Econometrica, 41, 1043-1048.

80. Scarth, W.M. (1996): Macroeconomics. An Integration of New Classical andNew Keynesian Insights. Toronto: Harcourt Brace.

81. Schneider, J. und T. Ziesemer (1994): What’s new and what’s old in NewGrowth Theory: Endogenous Technolgy, microfoundations and growth rate pre-dictions. Diskussionspapier, Maastricht Economic Research Institute on Inno-vation and Technology.

Page 486: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

Literaturverzeichnis 477

82. Shell, K. (1967): A model of inventive activity and capital accumulation. In:K. Shell (Hrsg.): Essays in the Theory of Optimal Growth. Cambridge, MA:MIT Press.

83. Sheshinski, E. (1967): Optimal accumulation with learning by doing. In: K.Shell (Hrsg.): Essays in the Theory of Optimal Growth. Cambridge, MA: MITPress.

84. Snowdon, B., H. Vane und P. Wynarczyk (1994): A Modern Guide to Ma-croeconomics. An Introduction to Competing Schools of Thought. Aldershot:Edward Elgar.

85. Solow, R. (1956): A contribution to the theory of economic growth. The Quar-terly Journal of Economics, 70, 65 – 94.

86. Svensson, L. (1999): Inflation targeting as a monetary policy rule. Journal ofMonetary Economics, 43, 607 – 654.

87. Taylor, J. (1993): Discretion vs. policy in practice. Carnegie-Rochester Con-ference Series on Public Policy, 39, 195 – 214.

88. Taylor, L. (2004): Reconstructing Macroeconomics. Structuralist Proposalsand Critiques of the Mainstream. Cambridge, MA: Harvard University Press.

89. Tobin, J. (1958): Liquidity preference as behavior towards risk. Review ofEconomic Studies, 25, 65 – 86.

90. Richter, R., U. Schlieper und W. Friedmann (1975): Makrookonomik.Eine Einfuhrung, 2. Auflage. Heidelberg: Springer.

91. Taylor, L. (2004): Reconstructing Macroeconomics. Structuralist Proposalsand Critiques of the Mainstream. Cambridge, MA: Harvard University Press.

92. Tu, P. (1994): Dynamical Systems. An Introduction with Applications to Eco-nomics and Biology, 2. Auflage. Heidelberg: Springer.

93. Uzawa, H. (1965): Optimum technical change in an aggregative model of eco-nomic growth. International Economic Review, 6, 18 – 31.

94. Walsh, C. (2003): Monetary Theory and Policy, 2. Auflage. Cambridge: MITPress.

95. Westphal, U. (1994): Makrookonomik. Theorie, Empirie und Politikanalyse,2. Auflage. Heidelberg: Springer.

96. Wohltmann, H.-W. (1994): Grundzuge der makrookonomischen Theorie.Munchen: Oldenbourg Verlag.

97. Woodford, M. (2003): Interest and Prices. Foundations of a Theory of Mo-netary Policy. Princeton: Princeton University Press.

Page 487: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

Sachverzeichnis

Abwertung, 134, 147, 152–154, 159, 160,299–301, 303, 311

Abwertungserwartungen, 156

Akzelerationsphase, 234

Akzeleratorhypothese, 314

Angebot, Uberschuss–, 114

Angebot, aggregiertes, 41, 47, 48, 76,106, 175, 218

Angebotsschocks, 251, 351, 354, 355

Arbeitsangebot, 21, 26, 36, 39, 58, 61,62, 76, 91, 93, 98, 102, 103, 177,213, 241, 244, 246, 324, 325, 339,341, 348, 349, 352, 354, 398

Arbeitsintensitat, 21, 320, 327, 333,366, 384, 400

Arbeitslosenrate, naturliche, 188, 194,293

Arbeitslosigkeit, 25, 30, 32, 33, 40, 62,65, 66, 77, 94, 179, 189, 193, 212,214, 228, 230, 231, 235, 236, 244,289

Arbeitslosigkeit, freiwillige, 60, 63

Arbeitslosigkeit, friktionelle, 60, 62, 212

Arbeitslosigkeit, Such-, 61, 62, 212

Arbeitslosigkeit, unfreiwillige, 62–64,77, 80, 106

Arbeitsmarkt, 11, 20, 30, 33, 34, 36,40–42, 47, 49, 56, 61–63, 65, 79,89–91, 98, 102, 105, 113, 132, 188,206, 211, 212, 216, 226, 241–244,258, 263, 283, 285, 287, 318, 326,332, 334, 340, 341, 343, 344, 357,393, 397

Arbeitsnachfrage, 11, 27, 29, 33, 39, 42,48, 60, 62, 77, 100, 241, 243

Arbeitsproduktivitat, 20, 21, 32, 36, 38,39, 79, 100, 177, 188, 215, 218,285, 320, 331, 342

Aufwertung, 134, 152, 156, 299–301,305, 312

Auslastungsgrad, 20, 81, 105, 132, 200,216, 219, 220, 251, 283, 286, 287,293–295, 315–317, 341, 343, 347,349, 369, 398, 400

Außenhandel, 134Außenbeitrag, 299Außenhandel, 307

Bargeldkoeffizient, 170, 171, 173Barro-Ricardianisches Aquivalenztheo-

rem, 164Baumol–Tobin–Modell, 275Beschaftigtengrad, 20, 105, 213, 226,

239, 257, 258, 285, 286, 289,292–294, 296, 303, 307, 331, 341,343, 358

Bondmarkt, 53–56, 72, 74, 76, 80–82,85, 98, 99, 102, 112, 114

Boom, 62, 168, 193, 214, 230, 267, 375,376

Bruttoinlandsprodukt, 135, 146, 152,159, 185

Bruttosozialprodukt, 14, 132, 185Budgetrestriktionen, 90

Charakteristisches Polynom, 50

Page 488: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

480 Sachverzeichnis

Cobb-Douglas-Produktionsfunktion, 27,399

Cold turkey, 235, 236Cost–Push–Term, 214, 220Crowding–Out, 87, 141–143, 154, 162

Deflation, 36, 42, 76, 81, 261, 262, 267,323, 402

Deflationsspirale, 79, 262, 268, 269, 282Demand–Pull–Term, 214, 220, 251Depressionsgleichgewichte, 262Determinante, 50, 122, 280, 292, 312,

337Devisenmarkt, 150–152, 184Dienstleistungsbilanz, 183, 184Differentialgleichungssystem, 41, 43,

49–52, 122, 228, 229, 250, 254,257, 259, 288, 292, 300, 310, 328,336, 356, 358, 367, 385, 391, 401

Diskriminante, 123, 300Domar–Modell, 313, 314, 316–319

Effizienzeinheiten, 37, 321, 333, 363,366, 368, 370

Effizienzlohne, 64Eigenwerte, 50, 51, 228, 236, 310,

336–338, 357, 392Einkommen, 5, 8, 9, 13, 14, 20, 34, 53,

55, 68–73, 75, 76, 84, 91, 97, 98,101–103, 105, 111, 114, 125, 127,131, 136, 139, 161, 163–165, 172,173, 184, 185, 190, 195–197, 206,207, 256, 265, 275, 294, 362, 376,379

Einkommen, Faktor-, 34, 185Einkommenseffekt, 142, 317, 352Entscheidungslag, 167Erholung, 106, 193, 230, 233, 262, 269Erkenntnislag, 167Ersparnis, geplante, 69Ersparnis, gesamtwirtschaftliche, 14,

20, 53, 67, 68, 71, 76, 85, 108, 137,182, 183, 196, 253, 316

Erwartungen, adaptive, 220, 221, 225,324

Erwartungen, asymptotisch rationale,224, 236, 237

Erwartungen, rationale, 222Erwartungen, regressive, 157, 158

Exportnachfrage, 135, 138, 147

Faktorsubstitution, 398Faktorsubstitution, im IS-LM-PC-

Modell, 348Fisher’schen Geldverkehrsgleichung, 205Fisher–Effekt, 175, 335Fiskalpolitik, 10, 14, 87, 123, 128,

130, 132, 138, 140, 142, 143, 145,149–152, 154, 155, 160, 163, 168,169, 205, 207, 244, 246–248, 251,268, 325

Fixpreisbonds, 165, 274–276Flexpreisbonds, 11, 274

Geldangebot, 20, 99, 101, 104, 114, 151,206, 207, 210, 261, 270, 311, 353

Geldangebot, endogenes, 170Geldmarktgleichgewicht, 43, 46, 47, 92,

94, 98, 99, 101–103, 105–107, 109,110, 114, 150, 153, 207, 278, 279,281, 296, 307, 312, 329

Geldnachfrage, 11, 13, 74, 91, 92, 99,103–105, 114, 117, 133, 139, 142,190, 226, 274, 275, 374

Geldpolitik, 36, 39, 65, 66, 76, 138,140–144, 149–152, 154, 159, 160,191, 205, 208, 222, 231, 234–236,245, 251, 269, 288, 300, 302, 303,325, 331

Geldschleiertheorie, 206Gleichgewicht, temporares, 25, 56, 57,

60, 67, 73, 80, 81, 86, 89, 100, 101,106, 115, 122, 177, 203, 226, 227,249, 258, 264, 276, 284, 313, 341,346, 372

Globalsteuerung, 132, 160Gradualismus, 236, 245, 270Grenzertrage, 28Grenzkosten, 28, 29, 45, 76, 78Grenzprodukt der Arbeit, 27, 29, 33,

67, 100Grenzprodukt des Kapitals, 83Grenzproduktivitatstheorie, 29, 40, 45,

47, 60, 71, 78, 83, 100Gutermarktgleichgewicht, 56, 71, 72,

85, 88, 92, 101, 102, 107, 108, 137,147, 154, 271, 296, 304, 329, 346,348

Page 489: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

Sachverzeichnis 481

Handelsbilanz, 7, 135, 148, 156, 183,184

Harrod–Modell, 314Harrod–neutraler technologischer

Wandel, 334, 348, 351Humankapital, 362, 364

Importe, 135, 137, 138, 148, 152Indifferenzkurven, 69Inflation, akzelerierende, 194, 231, 234,

236Inflationserwartungen, 21, 102, 104,

116, 139, 189, 191, 193, 204, 213,220, 225, 227, 231, 233, 235, 257,260, 263, 266, 273, 274, 283, 293,309, 312, 324, 340, 344, 345, 381,388

Inflationsspirale, 261Inlandskonzept, 184Inlanderkonzept, 184Innenlag, 167intensive Form, 326Investitionen, Brutto–, 81, 180, 196Investitionen, Netto–, 81, 180, 183Investitionsfunktion, 84, 103, 279, 325,

326, 332, 342IS–Kurve, 71, 107–110, 112, 114, 125,

136, 138, 142, 164, 205, 252, 265,268, 330

IS–LM–Modell, 97, 99, 101, 122, 141,149, 155, 157, 158, 167, 171, 174,178, 180, 183, 226, 284

Isoklinen, 122, 229, 235, 259, 261, 262,265, 266, 269, 272, 297, 298, 358,359

Jacobi–Matrix, 259, 271, 336, 339, 385,392, 395

Kapazitatseffekt, 81, 187, 195, 203, 317,339, 372

Kapitalakkumulation, 144, 195, 320,347, 365

Kapitalintensitat, 21, 38, 195, 197, 199,320–322, 335, 361

Kapitalmobilitat, 146, 151, 156, 160,300, 301, 303, 304

Kapitalproduktivitat, 38, 79, 315Kapitalverkehrsbilanz, 183

Kaufkraftparitat, 297Keynes’sches Basismodell, 73Keynes–Effekt, 106, 116, 139, 143, 164,

263, 266, 297, 309, 347, 355, 403Komparative Statik im neoklassischen

Basismodells, 57Komparative Statik, im IS–LM–Modell,

123, 138, 141, 144Komparative Statik, im Keynes’schen

Basismodell, 80Konjunkturzyklus, 180, 192, 264, 361,

374–376, 396Konsumfunktion, 68, 70, 84, 164Konsumneigung, marginale, 21, 68, 70,

100, 104, 108, 125, 133, 175

Lebenszyklushypothese, 161, 163, 169Leistungsbilanz, 148, 183Liquiditatsfalle, 142Liquiditaspramie, 278Liquiditatsfalle, 120, 133, 164, 174,

205–207, 260, 267, 268, 274Liquiditatspramie, 281, 282LM–Kurve, 86, 105, 107, 110–112, 114,

138, 140, 146, 150, 173, 205, 226,264, 274, 278, 323, 330, 351

Lohnparadox, 76, 133, 143, 205Lohnquote, 20, 40, 286, 287Lohnstuckkosten, 79

Markte-Sektoren-Schema, 12Makrookonomik, 16Marktraumungsansatze, 89, 94Mindestreservesatz, 171, 173Monetaristisches Basismodell, 219, 225,

228, 239Multiplikatoreffekte, 123Multiplikatorunsicherheit, 173Mundell–Effekt, 87, 116, 139, 175, 247,

254, 255, 257, 261, 262, 265, 266,268, 278, 292, 293, 306, 309, 312,323, 324, 327, 332, 337, 339, 346,347, 355

Nachfrage nach Geld, Uber–, 114Nachfrage, aggregierte, 76, 106, 120,

166, 179, 199, 254, 296, 312, 346,403

NAIRU, 219, 267, 282–285, 289, 291,294, 331, 397

Page 490: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

482 Sachverzeichnis

Neoklassische Synthese, 173, 174, 176

Neoklassisches Basismodell, 25, 57, 71Nettosozialprodukt, 26Neuklassische Makrookonomik, 240Nominallohn, 12, 13, 16Normaloutput, 217, 224, 296, 297, 299,

301, 312

Okuns Gesetz, 205, 208, 215, 217, 218,225, 229, 230, 236, 237, 239, 286,288, 291, 343

Output–Inflation–Tradeoff, 248, 249

Output-Kapital Verhaltnis, 20, 335, 384

P–Stern–Konzept, 209Partialanalyse, 1, 3Perfekte Voraussicht, 222, 312

Permanentes Einkommen, 161, 163, 164Perpetuities, 118Phasendiagramm des IS–LM–PC–

Modells, 260

Phasendiagramm des IS–LM-PC–Modells, 262

Phasendiagramm des monetaristischenBasismodells, 229

Phasendiagramm des realen keyne-sianischen Wachstumsmodells,360

Phillipskurve, 87, 193, 212, 343

Phillipskurve, erweiterte, 189, 191, 192,207, 213, 214, 218, 220, 227

Phillipskurve, geknickte, 265, 267, 283,303

Phillipskurve, Lohn-, 210, 218, 238, 245,256, 261, 283, 285, 323, 343, 359,380, 387

Phillipskurve, modifizierte, 189, 218Phillipskurve, originare, 188, 211Phillipskurve, Preis-, 218, 245, 287, 292,

293, 343, 349, 397, 399, 401

Phillipskurve, Reallohn-, 385, 387Physiokraten, 3, 8Pigou–Effekt, 164, 174Potentialoutput, 20, 103, 113, 177, 179,

208–210, 216, 225, 237, 340, 341,348

Preisniveaubestimmung, klassische, 34Pro–Kopf–Konsum, 333

Pro–Kopf–Output, 195, 197, 199, 333,334

Produktionsfaktoren, 26, 27, 38, 83Produktionsfunktion, linear-

limitationale, 79, 216, 218,219, 239, 291, 314

Produktionsfunktion, neoklassische, 27,241, 320, 321, 333, 334, 349

Profitquote, 20, 219, 287Profitrate, 20, 83, 342, 346, 350, 368,

398, 401

Quantitatstheorie, 16–18, 34–36, 39, 41,46, 48, 71, 74, 75, 86, 100, 142,154, 189–191, 206, 208, 209, 213,216, 225, 226, 233, 249, 250, 284

Random–Walk, 353Rationierungsmodelle, 176, 177Real-business-cycle-theory, 351, 352Realkasse, 21, 110, 113, 164, 247, 257,

258, 270, 310, 325, 327, 331, 346Reallohn, 20, 27, 28, 31, 33, 39, 40, 46,

47, 59, 60, 66, 77, 79, 83, 84, 91,93

Realzinseffekte, 253Regelbindung, 168Reserven–Einlagen–Relation, 171Robertson–Lag, 125Rose–Effekt, 346, 347Routh–Hurwitz–Bedingungen, 51, 308,

310, 312, 396

Satz uber implizite Funktionen, 19, 43,44, 71

Says Gesetz, 16–18, 52, 56, 67, 69, 72,73, 75, 77, 82, 83, 85, 88

Schock, Olpreis–, 251Separatrix, 261Sichteinlagen, 170Solow–Modell, 86, 195, 197, 319–322,

326, 333, 334, 339, 348, 361, 363,365, 371

Sparfunktion, 58, 68, 69, 80, 84, 85, 88,108, 196, 197, 319, 320, 348

Sparguthaben, 275Sparparadox, 76, 133, 143Spekulationskasse, 104, 117, 120, 122,

134

Page 491: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

Sachverzeichnis 483

Spur, 50, 51, 122, 123, 228, 254, 259,260, 280, 281, 292, 300, 308, 309,336–339

Staatsausgaben, 10, 20, 101, 128, 141,207, 251, 325

Staatsausgaben, geldfinanzierte, 144Staatsausgaben, schuldenfinanzierte,

164Staatsausgaben, steuerfinanzierte, 129Staatsausgaben–Multiplikator, 127, 128,

144, 166Stabilitat, lokale asymptotische, 49, 51Stabilitatsanalyse im IS–LM–Modell,

122Stabilitatsanalyse im IS–LM–PC–

Modell, 259Stabilitatsanalyse im IS–LM–PC–

Wachstumsmodell, 329Stabilitatsanalyse im IS–MR–PC–

Modell, 272Stabilitatsanalyse im IS-LM-PC-

Wachstumsmodell, 337Stabilitatsanalyse im monetaristischen

Basismodell, 228Stabilitatsanalyse im neoklassischen

Basismodell, 49Stabilitatsanalyse im Solow–Modell, 89,

321Stabilitatsanalyse im Verteilungskon-

fliktmodell, 289Stagflation, 17, 193, 230, 231, 233, 234,

236, 251, 252, 290Stagnation, 17, 193, 230, 231, 233, 235,

236, 251, 252, 375Steady–State im IS–LM–PC–Modell,

258, 259Steady–State im IS–LM–PC–

Wachstumsmodell, 325, 329Steady–State im IS–MR–PC–Modell,

271Steady–State im monetaristischen

Basismodell, 228Steady–State im Solow–Modell, 89, 199,

321Steady–State im Verteilungskonfliktmo-

dell, 288Steuern, 6, 7, 9, 10, 14, 21, 101, 103,

104, 129, 130, 165, 166, 181, 247,274

Superneutralitat des Geldes, 207

Tableau economique, 3Technologieschock, 352Technologiesektor, 362, 364, 365, 371Teilarbeitsmarkt, 33, 42, 212Totalanalyse, 1Transaktionskasse, 104, 110, 117, 121,

133

Umlaufgeschwindigkeit, 92, 190, 200,206–208, 210

Unterauslastung, 124, 289Unterbeschaftigungsgleichgewicht, 58,

90, 115, 239

Vermogenseffekt, 175, 176Verteilungskonflikt, 282Volkswirtschaft, offene, 137, 145, 148,

152, 155–157, 159, 180, 183, 295,306, 307

Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung,180

Vollauslastung, 39, 124, 316, 317, 349Vollbeschaftigung, 30, 31, 33, 34, 36,

38–40, 42, 46–48, 57, 59, 60, 65,75, 83, 106, 174, 196, 249, 293,322, 349, 352

Wachstum, 87, 195, 197, 313, 314, 319,323

Wachstum, endogenes, 351, 361, 365Walras’ Gesetz der Bestande, 103, 121,

183Walras’ Gesetz der Strome, 98, 99Wandel, technologischer, 37–39, 76, 87,

316, 320, 321, 361Wechselkurs, 134, 146, 147, 299, 300,

302, 304Wechselkurs, realer, 146, 147, 149, 154,

298Wechselkursdynamik, 305Wechselkurse, feste, 147–151, 154, 181Wechselkurse, flexible, 148, 151–154,

182–184Wechselkurse, uberschießende, 155, 295Wechselkurserwartungen, 155, 295Wertpapierkurse, 117Wirkungsverzogerungen, 161, 163, 167

Page 492: Keynesianische Makrookonomik: Unterbeschaftigung, Inflation und Wachstum (Springer-Lehrbuch)

484 Sachverzeichnis

Wirtschaftskreislauf, 8

Zahlungsbilanz, 148, 151, 155, 181, 183Zahlungsbilanzuberschuss, 149Zentralbankgeld, 170–172Zins, gleichgewichtiger, 111, 270Zinsdifferential, 149, 150, 156, 157, 159Zinslucke, 274, 276–278, 282, 291, 294

Zinsparitat, 160, 296, 299, 308, 310, 312Zinssatz, kurzfristiger, 275, 276, 281,

282Zinssatz, langfristiger, 276, 279, 281,

282Zinssensitivitat der Geldnachfrage, 205,

260Zinssensitivitat des Einkommens, 173