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Kaltstart KFZ Festivalzeitun� 1.Jahrgan� # 2010 7 Souvenirs, Souvenirs Wir zeigen die Momente, die ihr nicht vergessen werdet Auf Wiedersehen! Das KALTSTART ist zu Ende, wir blicken zurück - und nach vorn Das Prinzip KFZ Zum Abschied lässt die Redaktion auch maldie Hosen runter So 25. Juli

KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 07 / 1. Jahrgang

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Die Zeitung des Kaltstart-Festival 2010 in Hamburg.

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Page 1: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 07 / 1. Jahrgang

Kaltstart KFZ

Fest ivalzeitun�1.Jahrgan�

#2010

7

Fest ivalzeitun�2010

Souvenirs, SouvenirsWir zeigen die Momente,

die ihr nicht vergessen werdet

Auf Wiedersehen!Das KALTSTART ist zu Ende,

wir blicken zurück - und nach vorn

Das Prinzip KFZZum Abschied lässt die Redaktion

auch maldie Hosen runter

So 25. Juli

Page 2: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 07 / 1. Jahrgang

02 / 03

EditorialFragt Ihr Euch bzw. fragen Sie sich eigentlich auch, wie so ein richtig guter Eisbommi zubereitet wird? Die KFZ hat die Antwort!

Man nehme: 1 Flasche Bommerlunder, 1 Flasche Zitronensprudel und 1 Packung Vanilleeis. Nach Gemütslage mischen -

schönen Abend noch!

Wir schreiben das hier, weil die Abschlussnacht eines so tollen, vollen Festivals angemessen durchfeuchtet werden will -- wa-

rum nicht mal mit etwas Besonderem? Mit Bier funktioniert es aber auch, Bommi gibt es sicher nicht auf Marke. Oder er kostet

gleich drei Nixen, und wer hat schon so viele übrig.

Mensch, Leute! Das KALTSTART ist vorbei! Ihr habt, wir alle haben es durchliebt und durchlitten, durchschrieben und durchtrun-

ken. Und jetzt sind wir, jawollo, eben dieses: DURCH. Und Finnisch heißt auf Englisch soviel wie Schluss, uah.

Einer aber, ein Letzter, geht immer noch.

Zum Beispiel diese siebte KFZ-Ausgabe! Mit einer großen Portion Rückschau und Ausblick (Selbstrefl ektion S. 3, Interview S. 4-5,

Essay S. 6-7). Mit Euren liebsten Festivalmomenten zum Aufs-Kopfkissen-Sticken (S. 14-15). Mit den von uns einfach mal voll-

kommen willkürlich, aber umso liebevoller ausgewählten KALTSTART-Fotos (S. 8-9). Und natürlich wieder mit vielen schmusig-

scharfen Rezensionen (S. 10-13).

Leider leider können wir die allerletzten Festivalstücke nicht mehr besprechen - die werden gespielt, wenn Sabri Özergins

Maschinen schon wieder still stehen. In Sabris „Copy Keller“ (Kleiner Schäferkamp 56) kann man prima kopieren - sogar Otto

Waalkes war schon Kunde! Auch wir danken für die gute Zusammenarbeit.

Und wir müssen noch viel mehr Dank sagen. Zuvörderst dem KALTSTART e.V., ohne den es das alles hier gar nicht gäbe.

Dann aber auch gleich dem LOKAL, unserer gschönen rünen Villa in der Max-Brauer-Allee, die der KFZ-Redaktion supererweise

zwei Wochen lang Arbeits- und Lebensraum war -- wir würdigen dieses tolle Haus und seine Betreiberinnen nochmal

extra auf Seite 15.

Und wir danken Daniel Opper, Jessica Kellner und Loubna Messaoudi. Für unglaubliche,

unerschütterliche, hoch kompetente, freundliche und lustige und immer perfekte

Koordination und Logistik! Alle Aufgaben stets zu unserer vollsten Zufriedenheit!

Dankesehrstens! Immer die Euren! Yay!

Noch jemanden vergessen? Ja. Euch!

Liebes Publikum! Danke fürs Kommen! Danke fürs Lesen! Danke für alles!

War schön mit euch. Gerne wieder.

Winke, winke!

Liebe Kaltst artende, liebe Augenringe, liebe neue Freunde und -inn en!

Die Red.

Diskurs zur Hand #7Auch in dieser Ausgabe gibt es einen Dis-kurs zum Nachspielen für Zuhause. Einfach ausschneiden, schwarze Streifen hinten

zusammenkleben, über den Finger ziehen und losstreiten. Heute: Vergangenheit vs. Zukunft. Was wird das KALTSTART 2011 bringen? Die

Ladys hoffen schon auf frisches Fischfl eisch, während die Jungs sich noch an Arielles Arsch erfreuen. Allerdings ist nicht gesagt, ob heute

wirklich gestritten wird - eigentlich sollten sich die Puppen bestens verstehen...

Page 3: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 07 / 1. Jahrgang

Kaltstart

Wie uncool – Journalisten schreiben über sich selbst!

Ein Einblick zum Abschluss

von Jan-Alexandra Müller-Oberländer

Dieser Text beginnt am Samstagabend um 20:44 Uhr. Ich bin

genervt. Dieser Text entsteht nämlich nicht so recht, dabei

soll er doch das Prinzip KFZ erklären! Fischers letzte Kritik

hab ich eben gemacht, der ist schon los, Bier in der Faust.

Es fehlen noch das Festivalmacher-Interview (Müller macht

Pause, Schneider kürzt) und der Abschlussessay (Berning hat

noch was anderes zu tun, Drees schreibt). Designerin Caro

wartet zu Hause vor dem Indesign-Dokument. Den ganzen

Nachmittag schon haben wir über Skype Bilder hin- und her-

geschickt, Hintergrundbilder, Seitenaufteilung und Textlän-

gen besprochen.

„Cool, ein Theaterfanzine!“ so haben wir uns vor Monaten im

KALTSTART-Programmheft angekündigt. Zum Abschluss

dachten wir, dass es gut wäre, nochmal drüber nachzuden-

ken, was wir da eigentlich gemacht haben. Darüber, wie so

eine Zeitung entsteht, aus einem Anruf aus dem Nichts, einem

Vortreffen mit zu viel Kuchen in einer Hildesheimer WG, jeder

Menge Rundmails und dummer Witze, die ganz besonders.

Eigentlich ist genau das am Tollsten: Dass die Arbeit an der

KFZ von der ersten Ausgabe an so gut funktioniert hat.

Es gibt ja immer noch die Online-Version

Dabei sind wir WIRKLICH kalt gestartet: Zwar waren die er-

sten Texte schon produziert, bevor wir im LOKAL eingezogen

sind. Das meiste aber ist erst am Sonntag vor Festivalbeginn

entstanden. Eine Nachtschicht – und die erste Ausgabe stand.

Locker vom Hocker, hektisch übern Ecktisch. Plötzlich stand

ich mit einem USB-Stick im Kopierladen und biss in die The-

ke, weil der Besitzer nicht mit dem Computer zurechtkam.

Aber dann war irgendwann doch alles gut und die KFZ#01 lag

im Haus III&70 rum. Und sah toll aus. Wir haben zwar verges-

sen, die Titelthemen aufs Cover zu drucken, aber hey, in der

Pdf-Version sind sie da.

Und so ging es weiter, denn das ist das Leben einer Festival-

zeitung. Tag eins: Frühstücksrunde, Planung der nächsten

Ausgabe, Aufgabenverteilung, Recherchen. Abends Stücke

gucken, nachts Texte schreiben, während die Grafikerin schon

setzt. Tag zwei: Frühstücksrunde, Texte fertig machen.

Kommas setzen, Sätze vervollständigen, umschieben, kürzen,

Das Prinzip KFZ

auch mal ein warnendes Wort an allzu rabaukige Kollegen

richten. Dann alles rüber zu Caro. Und wieder ab zum Co-

pyshop. Klar, dass bei dem Tempo auch mal ein Fehlerlein

passiert. Seit vier Ausgaben planen wir eine Selbstkritik-

Spalte, in der wir für inkorrekte Termine, Namen, Bildunter-

schriften, Berufsbezeichnungen oder Artikelzuordnungen um

Entschuldigung bitten. Haben wir natürlich nicht geschafft.

Darum hier: Sorry! Tja. Und wenn ich dann mit einer Tüte voll

kopiererwarmer KFZs zurück in die Redaktion komme, freuen

wir uns alle kurz über die schöne neue Ausgabe: geil abgelie-

fert! Prost! Zur Belohnung geht es abends wieder schön ins

Theater.

Die KFZ - ein handverlesenes Allstar-Team

Neben der Produktion laufen immer auch die theoretischen

Fragen mit, die wir beim Feierabendbier diskutieren (wenn

wir nicht zur Ukulele ironisch gebrochene linke Lieder sin-

gen): Sind wir nun eigentlich Teil des KALTSTART-Festivals

oder sind wir hier vierte Gewalt? Wie wird man den Dingen

gerecht, wie bespricht man die unterschiedlichen Sparten und

was wäre ein angemessenes Reportage-Thema für die näch-

ste Ausgabe? Wie verhindern wir, dass wir spießige Feuille-

ton-Pupser werden? Die meisten im handverlesenen Allstar-

Team der KFZ waren schon in mehreren Festivalzeitungen

dabei: Berlin, Hamburg, Hildesheim, Mannheim, Amsterdam.

Schlafmangel, Textstress, böse Blicke von schlecht bespro-

chenen Theatermachern können sie nicht schrecken.

Und trotzdem: Warum tun wir uns das an? Warum mache zum

Beispiel ich den Scheiß in diesem Jahr schon zum zweiten

Mal? Weil es süchtig macht! Für Heroin ist das keine gute

Ausrede, fürs Zeitungmachen schon. Wenn man sich Themen

ausdenkt, Zeilen macht, vielleicht ein bisschen Struktur ins

Festivalchaos bringt. Wenn ein Diskurs entsteht. Klar ist es

auch immer glorios, das selbst gemachte Blatt in Händen zu

halten. Zu sehen, wie Festivalteilnehmer unsere Texte lesen,

die Psychotests machen, über die Witze der Kollegen lachen.

Ha. Morgen feiern wir. Und am Montag werden wir wieder

nach Hause fahren. Mit vollem Kopf bzw. Kater.

Und der Vorfreude aufs nächste Mal.

KFZThema

[01:51:08] ich: muss jetzt ins bett[01:51:30] caro: interview fertig?[01:51:42] ich: schneider kürzt noch[01:51:01] caro: also morgen[01:51:12] ich: yes[01:51:22] caro: cool

[20:41:08] caro: der text ist jetzt aber für 15 und nicht 16 nehme ich an?[20:41:35] ich: ja, 15 rechte spalte, sorry, verwirrt[20:42:01] ich: ekstase vs. erschöpfung ist für die 16[20:42:14] caro: hab ich schon drin[20:42:20] ich: urst knorke

Page 4: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 07 / 1. Jahrgang

Festivalmacher: Falk Hocquél (Leiter Kaltstart Pro), Thimo Plath (Künstlerische Leitung), Christian Psioda (Fringe), Daniel Opper (Gesamtkoordination), Taylan Günes (Fringe). Foto: Jan Fischer

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„Der Rahmen ist da!“Ein Gespräch mit den KALTSTART-Machern

Beinahe 14 Tage ist es nun her, dass ein globales Großer-

eignis (Fußball-WM) zu Ende ging und ein kleines, unbeug-

sames Theaterfestival in Hamburg seinen Spielbetrieb

aufnahm: das KALTSTART 2010. Unzählige Aufführungen

später hat die KFZ-Redaktion die Macher des Festivals zum

Abschlussgespräch geladen – und fast alle sind gekom-

men: Wir sprachen mit Falk Hocquél und Thimo Plath von

KALTSTART PRO, den FRINGE-Machern Taylan Günes und

Christian Psioda und Koordinator Daniel Opper.

KFZ: Das Festival ist nach zwei Wochen fast vorbei.

Seid ihr zufrieden?

FALK: Wir haben im de facto fünften Jahr einen Riesen-

sprung nach vorne getan. Großartig funktioniert haben vor

allem die Sondertools wie Autorenlounge, YOUNGSTAR und

Festivalzeitung, die es vorher noch nicht gab. Auch die öf-

fentliche Wahrnehmung war viel mehr da als in den Jahren

zuvor.

CHRISTIAN: Besonders schön fand ich das Publikumsfeed-

back. Auch wenn es vorher stressig war, wir manchmal in

Eile aufbauen mussten und uns gefragt haben „Wird das

denn überhaupt was?“, hat es nach den Produktionen immer

sehr konstruktive Reflexionen gegeben. Und auch die Künst-

ler sind meist sehr zufrieden wieder nach Hause gefahren.

Ich habe das Gefühl, dass nicht nur unser Konzept

organisatorisch aufgegangen ist, sondern dass es für

Künstler und Zuschauer funktioniert hat.

KFZ: Für uns war das Konzept „KALTSTART“ immer eins

der systematischen Überforderung: 120 Produktionen, vier

Festivals in einem, jeden Abend bis zu zehn

Inszenierungen. Gab es Punkte, wo selbst ihr, die Macher,

dachtet: „Jetzt wird es wirklich sehr wuselig!?“

THIMO: Auf jeden Fall. Da muss noch mehr passieren: dass

wir in diesem vollgestopften Programm noch mehr Zeit

haben für Diskussionen, Nachgespräche, Diskurse. Dass

wir das große Ganze nicht aus dem Blick verlieren. Dafür

müssen wir Raum schaffen.

FALK: Wenn etwas zum ersten Mal so voluminös ist, merkt

man erst, wo die Schwierigkeiten stecken. Letztes Jahr habe

ich viel mehr vom FINALE der Theaterakademie mitbekom-

men, dieses Jahr habe ich nichts gesehen – weil letztes Jahr

FINALE noch nicht zum „KALTSTART“ gehörte und beide

Sachen nacheinander stattfanden. Das möchten wir gerne

beruhigen – natürlich, ohne die Teile wieder voneinander zu

trennen.

CHRISTIAN: Wir hatten dieses Jahr einfach noch nicht die

Kapazitäten, um uns intern mit der Programmierung abzu-

stimmen. Alle vier Festivals haben für sich programmiert,

das haben wir zusammengemixt und ein Programm kam

dabei raus. Teilweise liefen zwei bis drei Stücke parallel

– das muss besser werden.

von Alexandra Müller und Johannes Schneider

KFZInterview

Page 5: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 07 / 1. Jahrgang

Kaltstart

KFZ: War KALTSTART an manchen Punkten zu extrem?

DANIEL: Ich glaube nicht, dass wir so extrem sind. Extrem ist das „100 Grad“-Festival in Berlin, wo in drei bis vier Tagen 100 Stücke abgefeiert werden. Mir haben meh-

rere Gruppen erzählt, dass sie sich da nur durchgeschleust

gefühlt haben, wie an der Supermarktkasse. Das finde ich

extrem. Extrem ist auch Edinburgh, die in vier Wochen meh-

rere Tausend Stücke spielen. Da liegen wir mit 120 Stücken

in zwei Wochen eigentlich in einem ganz guten Zeitraum,

um genau die beiden Dinge zu vereinbaren: Austausch der

Mitwirkenden und Theaterfans auf der einen und auf der

anderen Seite ein strahlkräftiges, großes Programm, das

Leute anzieht.

TAYLAN: Ich glaube, dass es gelungen ist, gerade bei den

Zuschauern alle Gruppen gut anzusprechen. Da waren

– auch durch die Medienpartnerschaft mit dem Hamburger

Abendblatt – viele klassische Theaterzuschauer dabei, die

sonst nicht ins Haus III&70 kommen. Ich habe aber auch

mit Leuten gesprochen, die eigentlich keine Beziehung zum

klassischen Theater haben, die eher auf den Unplugged-

Charakter, also auf das Theater speziell an Orten wie dem

Haus III&70 reagiert haben. Das Prinzip „Raus aus den

Bühnen, rein in die Clubs“ scheint echt zu greifen. Und die

Idee, das Ganze mit FRINGE OPEN AIR nochmal in Richtung

Straße zu öffnen, funktioniert auch.

KFZ: Was KALTSTART neben dem Unplugged-Charakter

vor allem besonders macht, ist die FRINGE-Sparte, die

nicht kuratiert ist. Im Prinzip darf jeder seine Produktion

anmelden. Wir haben uns immer gefragt, wie man so ein

riskantes Konzept umsetzt: Man will kein schlechtes Thea-

ter sehen, macht aber eine offene Ausschreibung.

CHRISTIAN: Wir haben ja nicht x-beliebige Theaterportale

im Internet, Spielgruppen und Seniorenclubs angeschrie-

ben, sondern ganz konkret einen Index erstellt: Was tum-

melt sich wo, in welchen Städten? Wo sind gute Dachverbän-

de, unter denen sich coole Kollektive verbergen? Die haben

wir als Multiplikatoren angeschrieben und gebeten, das

weiterzuleiten an Gruppen, die sie gut finden, an Freunde,

Bekannte, Künstler aus ihrem Metier. Und das hat tatsäch-

lich gut funktioniert.

KFZ: Daneben gab es die kuratierte Sparte KALTSTART

PRO, speziell für den Nachwuchs an Stadt- und Staatsthea-

tern. Würdet ihr sagen, dass ihr es hier geschafft habt, die

junge Theaterszene im deutschsprachigen Raum realis-

tisch abzubilden?

FALK: Es hätte noch mehr sein müssen, aber wir hatten

schon einige sehr starke Produktionen, auch aus Wien,

Salzburg, Bern. Den Zirkel zu schlagen, möglichst viele

ranzuholen, die etwas Besonderes bieten können, das

haben wir auf jeden Fall geschafft. Dass jetzt sozusagen

alle Tendenzen vertreten sind, das haben wir noch nicht

geschafft, aber das können wir an unseren sehr speziellen

Spielorten auch gar nicht.

KFZ: Neben Unplugged-Charme, FRINGE-Anarchie und

jungem Regietheater sollte KALTSTART auch einen gewis-

sen Messe-Charakter haben. Ist das aufgegangen?

THIMO: Bei den meisten Profieinheiten ist es leider immer

noch so: anreisen, spielen, abreisen. Das ist zu kurz. Eigent-

lich muss von vornherein klar sein: Man darf ein Haus nicht

nur zum Gastspiel einladen. Das widerspricht dem Gedan-

ken des Festivals. Eher muss es heißen: Ihr spielt an zwei

Tagen, bleibt drei Tage da, schaut euch noch das und das an

und seid dann zu einem gemeinsamen Nachgespräch einge-

laden. Nur so bringen wir die Leute wirklich zueinander.

KFZ: Wie wäre es daneben - für die bessere Interaktion

- mit einem Festivalzentrum, das nicht mitten auf der

Schanze liegt, sondern etwas abseits?

CHRISTIAN: Da bin ich gegen. Ich sehe wohl den Punkt, aber

nur insofern, dass es vielleicht ein bisschen eng wird, wenn

abends das ganze Schanzen-Partyvolk zu den Festivalbe-

suchern dazukommt. Wenn man aber wirklich ein outge-

sourctes Festivalzentrum schaffen würde, dann würde man

die Chance vertun, das zufällige Publikum zu erreichen.

DANIEL: Meiner Meinung nach ist die Frage nach der Zuge-

hörigkeit zum Festival nicht so sehr eine Frage des Ortes,

sondern eher eine der Identifikation. Es haben halt viele im

Haus III&70 gesagt: Wir wissen gar nicht, ist das jetzt ein

Partygast oder ein Ansprechpartner oder ein Mitkünstler?

Man muss es irgendwie schaffen, das zu kennzeichnen. Die

T-Shirts waren ein Versuch, die hat aber natürlich nicht

jeder an. Da muss man einen Weg finden.

KFZ: Gibt es sonst schon konkrete Pläne, was 2011 anders

werden soll?

THIMO: Um es kurz zusammenzufassen: Der Rahmen ist

da, wir haben über 100 Produktionen, die Kooperationen

zwischen den Festivals sind gegeben. Jetzt müssen wir

mehr ins Gespräch kommen. Die Sparten untereinander, die

Künstler, das Publikum.

DANIEL: Vielleicht noch ein Punkt, der weniger uns betrifft

als die Bedingungen, unter denen wir arbeiten: In Ham-

burg ist es immer noch so, dass Kultur als eine Sache von

Mäzenen angesehen wird und die Stadt sich relativ wenig

engagiert. Wir würden uns vonseiten der Stadt eine klare

Aussage, ein Bekenntnis wünschen: Ja, wir wollen dieses

Festival auf Dauer hier haben. Und wir sind bereit, es weiter

zu fördern.

„Wir würden uns vonseiten der Stadt eine klare Aussage, ein Bekenntnis wünschen: Ja, wir wollen dieses Festi-val auf Dauer hier haben. Und wir sind bereit, es weiter zu fördern.“

Page 6: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 07 / 1. Jahrgang

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Sinnbilder sind etwas Feines. Nach fast zwei Wochen

journalistischer KALTSTART-Begleitung dürfen wir sagen:

Unsere Fingerkuppen sind heiß und unser Geist glüht. So

viele Wörter haben wir für die Bilder gesucht, die wir auf

der Bühne sahen. Alles begann mit fünf schwarzen Em-

blemen auf blauem Grund: Vier Schiffe prangen auf dem

Programmheft. Eine Nixe mit einem Riesenkanister lud

uns mit aufforderndem Blick zum Abstechen in ein thea-

trales Meer der Möglichkeiten ein, voll mit großartigem

Größenwahn. Über 120 Produktionen, von vier Schiffen

symbolisiert: Stadttheater, freie Szene, Jugendtheater,

Nachwuchs der Regieakademie.

Diese Nixe, das verruchte Ding mit offenem Mund, Killer-

body und einem Kanister Euphorie unter dem Arm, hat

nun ihre Arbeit getan. Wir sind Schiff gefahren, bis uns

schwindelig wurde vor Eindrücken und Welten, die wir auf

diversen Inseln entdecken durften. Ein süßer Herr Tod

fuhr im Miniatur-Krankenwagen Slalom, Hasen sprangen

aus Hüten und Ponys - kaum zugeritten, dafür mit roten

Schleifen im wirren Haar - galoppierten über die Bühne.

Wir durften 18-jährige Regisseure in ihrer natürlichen Le-

bensumgebung besuchen, Hölderlin-Tänzer Geschichten

mit ihren Körpern erzählen sehen und Gorillas im Marke-

tingnebel beobachten.

Was ist nicht alles passiert auf den Routen der vier KALT-

START-Schiffe. Zunächst sei also aus den Räumen dieser

Redaktion heraus der Freibeuter-Geist des Festivals ge-

priesen. Den teilen wir, den wollen wir sehen und fühlen,

einen Vibe spüren, von dem man auf transusigen Kreuz-

fahrtdampfern á la „Aida“ nur träumen kann. Das ist auch

nach zwei Wochen ein Gefühl der Erfrischung, ein Flow,

frei nach der theatralen Glücksphilosphie ein tiefgehendes

Gefühl von Mittendrin-Sein in diesem reißenden Theater-

strom.

Glückssachen in der Theaterlotterie

Manch einer hat den Enthusiasmus gelobt, der sich

wie eine Kielwasserspur durch das Festival gezogen

hat. Kopfnicken von allen Häuptern dieser Redaktion,

die via Computertastatur oder im persönlichen Ge-

spräch jemals das KALTSTART-Wort ergriffen haben.

Der Idealistenbonus: selbstverständlich.

Eine Fusion, noch jung, frisch und ungestüm. Und an

manchen Stellen ein wenig unerfahren. Denn nicht nur

im ästhetischen Sinne bringt das KALTSTART Welten

zusammen. Auch organisatorisch prallen unter-

von Stephanie Drees

Viele Schiffe sind 14 Tage KALTSTART sind um. Ein reflektierender Rückblick mit ein bisschen Wehmut – und einigen Vorschlägen

schiedliche Ansätze aufeinander: FRINGE, der Freibeuter,

wird nicht kuratiert. Jeder, der sich rechtzeitig anmel-

det, darf mitmachen. Was da zum Vorschein kommt, ist

Glückssache in der Theaterlotterie. Die anderen Sparten

zeigen Ausgewähltes. Aber Grenzmarkierungen für un-

terschiedliche künstlerische Ansätze und Herkunftsställe

gibt es innerhalb der Abteilungen nicht. Zeitlich parallel

und abwechselnd auf denselben Bühnen spielen Hobby-

Performer und Stadttheaterprofis. Alle machen Kunst

unplugged - in Clubs, Off-Theater und Bars. Irgendwie

klingt das demokratisch und verbindend, eigensinnig und

nach Rock’n’Roll. Und das ist es auch. Leider führt es aber

auch zu einem ständigen Überangebot und wenig Orien-

tierung für die Mehrheit der Zuschauer, die vielleicht nicht

zwei Wochen Zeit hat, um sich einen Gesamtüberblick zu

verschaffen.

Bojen als Wegweiser

Die KALTSTART-Macher wollen augenscheinlich wenig

inhaltlich ordnen, denn Ordnung bedeutet Wertung und

Wertung bedeutet möglicherweise Hierarchie. Doch je

grobmaschiger man das Netz spinnt, umso schneller fällt

auch die eine oder andere Perle hindurch: Wer etwa bei

FRINGE zwei Mal an eine Inszenierung gerät, die die

persönliche Erwartungshaltung gänzlich unterläuft,

der wird seine Füße vielleicht für dieses Jahr nicht mehr

auf die Planken des wunderschönen Piratenschiffs setzen.

Warum also nicht Zeitblöcke schaffen, die den Festival-

abend strukturieren – so dass der Performance-Nach-

wuchs in direkter Konkurrenz mit dem Performance-

Nachwuchs steht. Und nicht unbedingt gegen drei weitere

Inszenierungen antritt, in denen Profischauspieler den

Raum bespielen, als wäre er eine Stadttheaterbühne.

So werden Vergleiche vermieden von Dingen, die nicht

vergleichbar sind. Zeitblöcke, die grafisch und farblich

im Programmheft voneinander abgesetzt sind, könnten

wie kleine Bojen auf dem Weg zur Insel funktionieren.

Mitten im Inszenierungsmeer schauen sie aus dem

Wasser – Wegweiser, die zeigen, dass die gewählte

Richtung eingehalten wird. Wasser – Wegweiser, die zei-

gen, dass die gewählte Richtung eingehalten wird.

Dabeisein auf dem Dampfer

Ein wenig Flaggschiff-Charakter hat der KALTSTART-

PRO-Dampfer. Als das einzige maschinell betriebene

Schiff in der ganzen Flotte ist er ein Sinnbild für eine

Page 7: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 07 / 1. Jahrgang

Kaltstart

Sparte, deren Künstler auf dem Sprung in die Professio-

nalität sind. Regiestudenten, die ihren Weg in den Thea-

terbetrieb suchen. Die Zeisehallen sind ein Ort, an dem

die Theaterakademie ihre Schüler für die Öffentlichkeit

bereit macht. Techniker und Künstler wirken schon lange

zusammen und Arbeitsabläufe sind eingespielt. Und auch

wenn sich bei einem Theatermarathon wie dem KALT-

START wenige ästhetische Gemeinsamkeiten ausmachen

lassen, aus denen der dokumentierende Geist Tendenzen

formen kann, so scheint sich doch ein Tröpfchen Destillat

der Theaterstunde abpressen zu lassen: Das Publikum

kommt näher. Im räumlichen wie übertragenen Sinne.

Einige FINALE-Inszenierungen waren, obwohl ihre

äußeren Gegebenheiten nicht KALTSTART-typisch sind,

repräsentativ für ein Festival-Gefühl. Wenn der Arzt bei

„Woyzeck“ auf einem Bühnenlaufsteg genüsslich in eine

Orange beißt, dann suchen seine Blicke nicht nur die des

zuschauenden Gegenübers, sie provozieren es. Sie sagen:

Du gehörst dazu, ohne dich wäre diese Inszenierung eine

andere. Genauso, wenn die „Suicide Boys“ zu einem Se-

minar über Selbstmord laden und lakonisch eine morbide

Verbrüderung erzeugen. Mit völlig unterschiedlichen

Mitteln wird ein ähnlicher Effekt erzielt: Theater wird

unmittelbarer, die Trennlinie zwischen Zuschauerraum

und Bühne blasser. Diese Unmittelbarkeit, eine beson-

dere Form des Dabeiseins, des Gefühls, aktiv oder passiv

Teil eines großen ästhetischen Ganzen zu sein, sie ist die

eigentliche KALTSTART-Essenz.

Wo schlägt das Festivalherz?

Man muss eine Weile auf den KALTSTART-Schiffen ge-

fahren sein, den Oberkörper über die Reling gebeugt, die

Nase im Wind, um es schmecken und riechen zu kön-

nen: Was dieses Festival mindestens genauso dringend

braucht wie finanzielle Förderung, ist ein Ort, an dem sich

sein Destillat sammeln kann. Ein Ort, der sagt: Hier ist

unser Hafen, von hier aus geht es raus zu den Inseln. Ein

Zentrum, in dem das Festivalherz so laut arbeitet wie die

Maschinen im Inneren des KALTSTART-PRO-Dampfers.

Noch gibt es ihn nicht, diesen einen Ort. Doch dieses

Festival muss auch ein Festival des künstlerischen Aus-

tauschs sein, des Gesprächs über Theater. Darin liegt das

größte Potenzial von KALTSTART – und zugleich die größte

Herausforderung: Ein Ort muss geschaffen werden, an

dem Menschen, die Theater machen, Theater lieben und

Theater (manchmal) verfluchen, zusammentreffen. Work-

shops und Gesprächsrunden könnten dort stattfinden,

KFZEssay

internationale Cafés, Flirts und Besäufnisse. Ein offizi-

elles Festivalzentrum. Es müsste Anstecker für die Betei-

ligten geben als Erkennungsmerkmal, eine Informations-

ecke und eine Eröffnungsfeier, die knallt. All dies schafft

Unmittelbarkeit, auch über die Inszenierungen hinaus.

Ein Flaggschiff?

Das KALTSTART hat sich zum Ziel gesetzt, eine Messe für

die Bandbreite der deutschen Nachwuchs-Bühnenkunst

zu sein. Die Entscheidung, was interessant ist und was

nicht, liegt einzig beim Zuschauer. Das ist einerseits ein

Gedanke, der größtmögliche Mündigkeit voraussetzt. Doch

würde das Vorstellen einiger Inszenierungen als Head-

liner diesen Gedanken verschwinden lassen? Vielleicht

werden die Kleinen durch die Großen gar nicht kleiner.

Vielleicht wäre eine klarere Gewichtung mit Haupt- und

Nebenbühnen, mit Stolz auf große Namen und Neugierde

auf Kleines nur eine weitere Wegweiserboje auf dem wei-

ten Theatermeer. Auch ein Publikumspreis für die beste

Inszenierung wäre denkbar, der nicht nur Nachrichten

generiert, sondern seine jeweilige Festivalinsel im Nach-

hinein besonders attraktiv macht für weitere Besucher.

State of the end

Was haben wir nicht alles gesehen in diesen zwei Wochen:

Eine öffentliche Konzeptionsprobe, deren Höhepunkt das

Verschwinden einer Schauspielerin in einer Umhängego-

rillafaust war, Kinder, die in der Polenta kochen, Feuer-

shows, Paradiese für Trinker. Wir haben geglaubt, geliebt

und gehofft und Erinnerungsbilder mit unseren neu

gewonnen Freunden im Fotoautomaten geschossen. Wir

haben wunderbare Festivalmomente erlebt, während wir

von Insel zu Insel gefahren sind. Viele Schiffe sind gekom-

men, aus denen vielleicht in der Zukunft noch ein einziger

riesiger Dampfer wird, mit unzähligen Decks. Nach der

Fahrt ist vor der Fahrt.

Wir sagen: Leinen los für KALTSTART 2011!

gekommen...

Page 8: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 07 / 1. Jahrgang

Gestaltungsweise: „das kleine hasenstück oder Meister L. lernt laufen“ (Foto: Sven Heine)

Düsseldorfer Schauspielhaus: „Der Du“ (Foto: Jan Hufnagel)

Heimathafen Neukölln: „Arabboy“ (Foto: Jan Fischer)

Marketing Unplugged (Foto: Jan Fischer)

Hinter dem Vorhang verbirgt sich eine Nixe (Foto: Jan Fischer)

Landungsbrücken Frankfurt: „Glaube Liebe Hoffnung“ (Foto: Newroz Beykoeylue)

Theater Liga: „Feuchtgebiete“ (Foto: Sven Heine)

Haute Culture e.V.: „Von-Wegen“. (Foto: Sven Heine) Schauspiel Frankfurt: „Komm, süßer Tod“ (Foto: Ole Westermann)

08 / 09

Die Nixe sieht allesDie KFZ als textbasiertes Blatt gibt es endlich zu: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Auf dieser Seite also, zum letzten Festivaltag: Mehr als 20.000 Worte KALTSTART. Ein Superposter zum Erinnern und An-die-Wand-Pinnen!

Page 9: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 07 / 1. Jahrgang

Das Hamburgische Kulturkontor: „Die Unterrichtsstunde“ (Foto: Sven Heine)

Wo die KFZ zuhause ist (Foto: Jan Fischer)

Staatstheater Mainz: „Kunst“ (Foto: Jan Fischer)

Hinter dem Vorhang verbirgt sich eine Nixe (Foto: Jan Fischer)

Landestheater Tübingen: „Paradies“ (Foto: Jan Fischer) Da kommt noch was nach (Foto: Jan Fischer) Diasona: „Das Weiß und die Sieben Wege“ (Foto: Jan Fischer)

Falk Hocquél eröffnet das KALTSTART – mit der KFZ in der Hand (Foto: Jan Oberländer)

Die Bühne beim PRAG SPEZIAL (Foto: Alexandra Müller)

Die KFZ freut sich über Spenden (Foto: Jan Oberländer)

Salon 5 Wien: „Liebesgeschichte“ (Foto Alexei Rothkirch) DAP: „Rebecca – eine 48-Stunden-Performance“ (Foto: Sven Heine) Die Azubis: „Suicide Boys“ (Foto: Jan Fischer)

Kaltstart

Die KFZ als textbasiertes Blatt gibt es endlich zu: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Auf dieser Seite also, zum letzten Festivaltag: Mehr als 20.000 Worte KALTSTART. Ein Superposter zum Erinnern und An-die-Wand-Pinnen!

Page 10: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 07 / 1. Jahrgang

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Der Mann, der da sitzt, das ist nicht Jürgen Bartsch. Er

spricht im Konjunktiv, beschreibt, was er tun würde mit

dem Kind, detailliert, unangenehm. Dass er das nicht ist, di-

ese Person, in der Presse oftmals als “Bestie” bezeichnet,

das stimmt das Publikum glücklich, es atmet hörbar auf,

lacht, dahamwirabernochmalglückgehabt.

Er will von jenem Kindermörder erzählen, will beschrei-

ben, wie er tickt, funktioniert, was ihn zu dem Menschen

gemacht hat, der er geworden ist, einer, der mit 15 Jah-

ren seinen ersten Mord begangen, insgesamt vier Kinder

getötet hat und im Begriff war, das fünfte umzubringen, als

er gefasst wurde. Zwischen weißen Wänden sitzt er auf sei-

nem Metallstuhl, schlägt die Beine übereinander, dreht sich

um. An der Wand: Projektionen von ihm, bayerisch angezo-

gen, im Park, im Auto, überall unterwegs, ab und an sieht

man Kinder. Er schaut sich diese bewegten Bilder sekun-

Briefen beschreibt, was ihn getrieben hat zu den Taten,

wie er als Jugendlicher die grausamen Morde begehen

konnte.”Bartsch, Kindermörder” lebt von dieser Offenheit,

auch wenn der Text manchmal etwas holprig und manchmal

sogar zu offenherzig ist. Die Aspekte des Sadismus und

des Sexuellen - sie werden nicht deutlich getrennt, die

Grenzen verwaschen. Hat es ihn sexuell angemacht oder

wollte er die Kinder einfach nur sterben sehen? Vielleicht

ist die Nichtantwort darauf die beste Antwort, die man

bekommen kann.

Getragen wird das Stück, ein Monolog übrigens, eine One-

Man-Show, und das sei an dieser Stelle in aller Deutlichkeit

erwähnt, von dem großartigen Schauspieler Matthias Lier.

Er schafft es mit außerordentlicher Präzision, den Point of

no Return, den Augenblick, in dem der Mann auf der Bühne

zu Bartsch wird, im wahrsten Sinne über die Bühne zu brin-

gen. Der Text wird noch stärker durch Lier und sein Talent.

Auf der Bühne trägt er ein lilafarbenes Hemd, sein Auftre-

ten ist freundlich, nur, wenn er hämisch lacht, da kommt

ein Stück Bartsch durch. Und im Laufe der 75 Minuten, da

bohrt sich dieser Bartsch heraus, der Mensch dort vorne,

der ist am Ende nicht mehr der Erzähler, und der Kinder-

mörder längst kein Konjunktiv mehr - wir haben die Geburt

einer Bestie gesehen, sie war schmerzhaft, sie war intensiv

und manchmal sogar witzig. “Gib mir einen Kuss”, brüllt er

am Ende.

Seine Forderung bleibt unbeantwortet.

“Bartsch, Kindermörder” des Bayerischen Staatsschauspiels

wurde im Rahmen eines Doppelabends im Anschluss an das Stück

“Körpergewicht. 17%” des Nationaltheaters Mannheim aufge-

führt, ebenfalls einem Monolog, fantastisch vorgetragen von

Ragna Pitoll. Torge Küblers Regiekonzept ist das Reduzierteste

des Festivals: Die Spielerin steht vor einem weißen Hintergrund,

bewegt sich die ganzen 35 Minuten nicht, spielt abwechselnd eine

Frau, die Kinder hasst, und einen Geschäftsmann in der Krise. Ein

gelungener Prolog eines wunderbar nachdenklichen Abends.

von Khesrau Behroz

Bartsch bei der Fachlektüre („Eltern“). Foto: Katrin Reiß

denlang an, scheint zu überlegen, dreht sich zum Publikum,

um scheinbar willkürliche Anekdoten zu erzählen, sucht

das Gespräch, fragt einen Zuschauer, ob er denn auch von

der Mutter gewaschen wurde, er sagt ja, natürlich wurde er

das, nasiehstdu.

Natürlich ist das kein Zufall. Es ist eine Rechtfertigung

dafür, dass er selbst mit 19 noch gebadet wurde, es ist der

Versuch, einen Täter zum Opfer zu machen, ihn nicht abzu-

tun, zu fragen, ob nicht vielleicht doch mehr hinter seiner

Geschichte steckt. Als Grundlage dient Regisseurin Marie

Bues der Theatertext von Oliver Reese, der wiederum auf

dem Buch “Das Selbstporträt des Jürgen Bartsch” von Paul

Moor beruht, eines Journalisten, der den Kontakt gesucht

hat, weil er den öffentlichen Tenor nicht akzeptieren und

mehr erfahren wollte. Jürgen Bartsch fi ndet in Moor einen

Zuhörer, dem er sein Innenleben öffnet, der in zahlreichen

Bartsch ,Mensch Das Stück “Bartsch, Kindermörder” ist ein faszinierender Blick in das Innenleben einer vermeintlichen Bestie

Page 11: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 07 / 1. Jahrgang

Kaltstart

Als Sehnsuchtsort geben entfremdete, melancho-

lische Großstadtmädchen immer gerne Finnland

an. Wir können das nur empirisch belegen, um das

Warum sollen sich die Psychologen kümmern. Wobei

hier nicht das biologische, sondern das performative

Geschlecht gemeint ist: Alle diejenigen zum Beispiel,

die in „Finnisch – Solostück für eine Frau“ von Martin

Heckmanns (Inszenierung: Karin Neidhart) ein grenz-

debiles Grinsen im Gesicht haben, als Sabine Menne

in ihrer Rolle als entfremdetes, melancholisches

Großstadtmädchen davon spricht, dass sie gerne mal

in einer Bank tanzen würde, mit einem T-Shirt, auf

dem „Fantasie“ steht. Menne ist bei Sat1 übrigens

unter anderem zu sehen in „Weibsbilder“ und

„Soko 5113“.

Aber mal von Anfang an, also, eigentlich noch vor

dem Stück, bevor Sabine Menne auf die Bühne

kommt, da läuft, quasi als Warm-Up-Kitsch, schon

die CD von Traumphase, Mennes Band, da geht es

um – Überraschung – melancholische, entfremdete

Großstadtmädchen, und um Jungs. Von denen sich

aber auch konsequent entfremdet wird. Sodann

tappst Menne auf die Bühne und beginnt den Mono-

log, in dem es darum geht, dass sie sich selbst ein

Päckchen schickt, weil der Postbote so toll ist, aber

sie auch nicht so richtig weiß, wie sie ihn ansprechen

soll, und von da aus hebt der Text ab in Prosemi-

nargefi lde der Sprachphilosophie, wo dann darüber

nachgedacht wird, dass Worte ja auch nie so ganz das

sagen, was man eigentlich meint, vor allem nicht so

Worte wie „Liebe“. Oft geht es auch um Finnland, und

Finnisch, aber das ist eher so Nebensache. Das Stück

endet damit, dass der Postmann zweimal klingelt.

Danach läuft wieder Mennes CD.

Karin Neidhardt inszeniert Heckmanns Text völlig

ungebrochen, einfach nur als Erguss von Neoroman-

tikplattitüden aus den frühen 2000ern und Menne tut

ein Übriges, um den Abend mit den anderthalb Stim-

mungen, die sie spielt, völlig zu zerschießen: Einmal

pro Minute ungefähr wechselt sie zwischen Verträumt

und pathologischer Persönlichkeitsstörung, kreist

sich selbst ein in ihrer platten Mädchenhaftigkeit,

bis sie nicht einmal mehr unfreiwillig komisch ist:

„Finnisch“ ist ein vollkommen unglückliches Zusam-

menspiel aus Text, Regie und Schauspielerin, das sich

zu einem Abend amalgamiert, der einen wirklich an

die Flucht nach Finnland denken lässt. Oder irgendwo

anders hin. Nur weg.

Wenn der Post mann zweimal klingelt„Finnisch – Solostück für eine Frau“ ist ein unglückliches Zusammenspiel von Text, Regie und Schauspiel

von Jan Fischer Die Russenmafi a kann einem richtig den Tag versau-

en: Für ein paar Groschen muss man sich auspeit-

schen, zusammenschlagen oder die Frau ausspannen

lassen. Macht echt keinen Spaß. Auch Woyzeck nicht,

der aber irgendwie diesem Haufen Psychopathen

und Zuhältern angehört. Warum würde er sonst mit

ihnen auf die Kirmes gehen? Immerhin entstehen so

anschlussfähige Motive für jugendliche Zuschauer:

Wer hat noch nicht das Gefühl gehabt, beim Autoscoo-

ter abgedrängt oder beim Fangen spielen verarscht

zu werden? Und wenn dann die anderen Büchner-Fi-

guren während der Fahrt durch die Geisterbahn als

Pappkameraden erscheinen, wird die Inszenierung

von Laura Jakschas fast selbstrefl exiv. Denn es sind

tatsächlich nur Klischees, mit denen sie die Bühne

fl utet: Der Hauptmann im Pelzmantel, ein Psycho-

path, wie ihn Dennis Hopper in „Blue Velvet“ spielt,

ein Doktor im Trenchcoat (hä?), ein Tambourmajor

im Glitzerhemd, der dauernd mit seiner Perlenket-

te rumspielt und ein Kind, dem völlig un-PC-mäßig

Attribute psychischer Beeinträchtigungen angehängt

werden. Marie und Woyzeck brechen als Figuren

völlig auseinander: Anfangs durchgeknalltes Lie-

bespaar, das mit dem Motorrad durch Rock’n’Roll-

Momente heizt und als Stammgast bei Beate Uhse

aufkreuzt, dann verzweifelte Singer-Songwriter und

schließlich ist Woyzeck zum psychischen Wrack und

Marie zur schmerzfreien Bitch geworden, weil er zu

viele Erbsen gegessen und sie ein Kleid geschenkt

bekommen hat.

Dabei gibt es sie, die Szenen, in denen die Leitmotive

des Dramas deutlicher herausgearbeitet werden,

etwa, wenn Woyzeck sich aufreibt zwischen dem

Kind, das wie eine Auto-Alarmanlage herum hupt

und dem Hauptmann, der ihm immer wieder seine

Peitsche hinwirft. Das Problem ist: Das ist schon zig

Mal so inszeniert worden. Selbst den Hauptmann als

Bandenchef gab es schon, etwa 2003 an der Schau-

bühne in Berlin. Noch größere Probleme hat die

Inszenierung mit dem Text: Der wird entweder run-

tergeleiert oder pathetisch geschrien. In der „Woy-

zeck“-Inszenierung von Ivna Zic, die am Dienstag

an der Theaterakademie in den Zeisehallen gezeigt

wurde, sind die anderen Figuren Charaktere, die

nicht aus Bösartigkeit eine Zwangssituation schaf-

fen, sondern ihres beschränkten Horizontes wegen.

Bei Laura Jakschas sind sie einfach nur mächtig und

böse. Das ist 130 Jahre nach Erscheinen des Stücks

zu wenig, um auch nur annähernd zu überzeugen.

Die falsch en FreundeWas Laura Jakschas’ „Woyzeck“-Inszenie-rung wollte, wurde nicht wirklich deutlich

von Jan Berning

Page 12: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 07 / 1. Jahrgang

12 / 13

Vieles passiert in „Stand-by-me“ erst auf den zwei-

ten Blick, auf den ersten wirkt es verwirrend: Vier

Menschen sitzen auf Stühlen und hangeln sich – ab-

wechselnd zu zweit – an einer Gedankenbewegung

entlang, deren Sinn immer kurz hinter dem Wahrneh-

mungshorizont versteckt scheint: „Ich hab mich voll

ins Mett verlaufen“, ist einer dieser schräg gedrehten

Sätze, oder: „Wie in Bad Salzuflen: Hässliche Pullover

für alle!“ Man möchte jeden dieser Sätze mitschrei-

ben: Lena Biresch, als Regisseurin und Autorin, hat

ihrem Stück ordentlich Wortwitz mitgegeben.

Für die Struktur gibt es Pausen mit elektronischen

Störgeräuschen, die von einem Beat überlagert wer-

den, einem dieser Beats, die direkt ins Herz gehen.

Dann werden die Stühle für den nächsten Dialog

zurechtgerückt. Um der Sache ein bisschen Story zu

geben, sagen alle ständig, dass sie warten. Worauf,

wird nicht erwähnt: Es ist eben einer dieser Zwi-

schenbereiche, in denen Gehörtes und neu Zusam-

mengebautes sich zu weißem Rauschen überlagert.

Wollte man an „Stand-by-me“ herumkritteln, könnte

man sagen: Das ist halt die klassische Phase des

anything goes, so in den 70ern, da hatte man solche

Probleme, von Zitaten, die sich überlagern, bis kein

Zitat mehr ein Original hat. Aber Birechs Gedanken-

bewegung ist nicht so; eher wird der Sinn ins Zitat

zurückgeholt. Nicht in der Überlagerung ist das

Stück gut, nicht in seiner rätselhaften Sinnlosigkeit,

sondern in seinem Wortwitz, mit dem nicht nur die

langweilige Wartezeit ganz gut herumgebracht wird,

sondern hinter dem auch die angegraute Überla-

gerungstheorie zurücktritt. Das Rauschen wird zur

Wortspielhölle. Ist ganz nett da.

Wortspielhölle mit Herzwumms„Stand-by-me“ von Lena Biresch findet den Witz im weißen Rauschen

von Jan Fischer

Bei FRINGE sieht man die unterschiedlichsten The-

aterentwürfe. „Von Motten, Bier und Taschenlampen

– eine Geschichte über pfandfreie Einseitigkeit“ war

eine Collage: Disparate Texte und Szenen zu einem

Thema werden nebeneinander gestellt, im Ideal-

fall ergibt sich dadurch ein Mehrwert. Das Stück

der Gruppe Fehlinterpretierte Projektionsfläche

untersucht das große Thema Liebe und, getreu ihrem

Namen, die projizierte Liebe. Die Untersuchenden

sind drei Menschen, Julian Horeyseck, Anna Nigulis

und Jannika Jira aus Weimar. Die Einzelteile der The-

atercollage sind unter anderem ein Auszug aus Andre

Gorz’ Buch „Brief an D.“, eine Liebeserklärung an die

langjährige Ehefrau des Sozialtheoretikers sowie ein

Nachdenken über sein Werk und dessen Verbindung

zu seiner Ehefrau: „Warum nur bist du in dem, was

ich geschrieben habe, so wenig präsent, während

unsere Verbindung doch das Wichtigste in meinem

Leben gewesen ist?“ Damit beginnt die Collage.

Was folgt sind wechselhafte 30 Minuten: Ein Pärchen

sitzt vor dem Fernseher, er schaltet um, sie ruft ihn

an und fragt ihn, ob er mit ihr zusammenziehen will

– und er stimmt überraschenderweise zu, was sie

dazu bringt, ihr Angebot zurückzuziehen. Die drei

Schauspieler singen Rolf Zuckowskis „Ich bau mir

eine Höhle“, ein nerviger Typ ruft bei einer Frau an

und fragt, warum sie sich nie meldet und ein großar-

tiger, taschenlampenbeleuchteter Chor erklärt, dass:

„Wenn Kollektiv, dann gut!“ Leider sei das Kollektiv

aber meistens böse. Und immer wieder verfallen die

Drei in das bekannte halbdebile Grinsen der Ver-

liebten.

Ihr Ziel, die „emotionale Haltbarkeitsverlängerung“,

erreichen sie jedoch nicht, denn dieser Versuch über

die Liebe bleibt in seiner Collagenhaftigkeit ste-

cken. Die projizierte Liebe fehlt wie D. in Andre Gorz’

Werk. „Von Motten...“ ist eine Materialsammlung

mit viel Potential, aber ohne stringenten Grundge-

danken. Wenn die „Projektionsflächen“ dranbleiben,

könnte sich durchaus ein unterhaltsamer Abend (mit

meisterhaft gesungener Tetris-Melodie!) einstellen.

Weitermachen!

Das Grinsen der Verliebten„Von Motten, Bier und Taschenlampen“ zerlegt die Liebe in ihre Einzelteile

von Alexandra Müller

Hässliche Pullover für alle. Foto: Jan Fischer

Wieder Sonntag 25.07. | 20 Uhr | Foolsgarden

Page 13: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 07 / 1. Jahrgang

Kaltstart

Es gibt Dinge, die können nach der atomaren Apoka-

lypse weiterhelfen. Schwimmweste und Rugbyhelm

gehören dazu, eine Thermoskanne vielleicht. Ein Ka-

sten Bier schon weniger. Was aber, wenn nicht sicher

gesagt werden kann, ob es tatsächlich eine Apokalyp-

se war, die die beiden Figuren der Aufführung

„Striptease 2010“ (Maximilian von Mühlen, Niklas

Leifert) in diese unübersichtliche Situation geworfen

hat? Alles hier unten spricht die Sprache der Unsi-

cherheit, der Unwägbarkeit: die Strickleiter, die unter

der Decke hängt, ein vor Holzschlag warnender Auf-

steller, eine blaue Tonne, ein Wasserkanister, der auf

Metallfedern vor der Bühne schwankt. Da geht es den

Figuren, die eine im engen roten Ganzkörperanzug,

die andere schwarz geschminkt, wie den Zuschauern:

Was gleich passieren wird, scheint

völlig ungewiss.

Nur eines wird schnell klar: es soll weder eine Ge-

schichte erzählt noch die Situation enträtselt werden

– absurdes Theater eben. Stattdessen nähern sich die

Beiden spielerisch dem Assoziationsfeld zwischen

den Begriffen Freiheit und Sicherheit, rezitieren Ge-

dankenspiele aus der Textvorlage „Striptease 1961“

von Slawomir Mrozek. „Ginge ich auf der Stelle“,

sagt der Rote, „ist das Ausdruck einer Handlung.

Ich würde die Idee der Freiheit einschränken. Bleibe

ich sitzen, habe ich noch die Möglichkeit, eine Wahl

zu treffen“. Während er sich einrichtet und sich die

Grotte schön redet, entscheidet sich sein Kollege

für die äußere Freiheit und erklimmt die Strickleiter.

Doch je mehr die Beiden auf ihr Eingeschlossensein

zurückgeworfen sind, desto gewalttätiger wird die

Aufführung, etwa wenn sich beide kopfüber in der

Tonne steckend durch den Raum bewegen. Aus dem

Wasserkanister fliegen irgendwann Würstchen und

nasse Aktentaschen, der Geschminkte steigt im

Sumoringer-Kostüm und mit einem Kasten Bier aus

dem Wasser, während eine der Flaschen auf der Büh-

ne zerplatzt. Irgendwann ist das Publikum alleine und

klatscht, da sitzen die Darsteller schon vor der Kasse

und trocknen sich die Füße ab. Es ist ein ungemein

charmanter, unprätentiöser Moment, den die Berner

Schauspielstudenten schaffen. Selten ist Theater

auf dem KALTSTART so sorglos und so entrückend

gewesen.

Freiheit oder BierDie beiden Künstler von chicken&egg zeigen absurdes Theater im Waagenbau

von Jan Berning

Gleich zu Beginn bitten uns die Performer, alles Geld,

das wir dabei haben, abzugeben. Gegen Vorzeigen

der Quittung könne man es später zurückbekommen.

Schüchtern leeren wir also unsere Portemonnaies

und bekommen Fragebögen ausgehändigt. Wir sollen

uns gegenseitig befragen. „Worauf sparst du?“, „Wa-

rum hast du deinen Besitz verdient?“ – ein perfekter

Eisbrecher und eine erste Auseinandersetzung mit

dem, was uns erwartet.

Die Performer bitten in den Stuhlkreis. Sie haben

unser Geld gezählt. 620,71 Euro. Ziel des Abends

ist es nun, dieses Geld umzusetzen. Sie führen uns

langsam ran, machen Vorschläge. Zum Beispiel

620 Burger kaufen und so einen ganzen McDonald’s

lahmlegen und die Burger dann verschenken. Mit

den Obdachlosen vor der Roten Flora ein Festmahl

veranstalten. Dazwischen wir. Die Ideen kommen

zögerlich, eine Spielerin bemerkt, sie würde von dem

Geld mit uns essen gehen, wenn wir ihre Freunde

wären – seien wir aber nicht. In kleineren Gruppen

entwickeln wir Konzepte, über die dann abgestimmt

werden soll. Als es dann ans Open Mic geht, um sie

zu präsentieren, sind wir mutiger. Wir verstehen: Wir

haben uns in dieses Spiel eingekauft, das ist unser

Gruppenguthaben, es liegt jetzt bei uns. Es ist die

letzte Chance, unser Geld zurückzubekommen. Viele

steigen aus, holen sich ihr Geld zurück und setzen

sich an den Rand. Wir sind noch zu viert.

„Alles Meins“ konfrontiert mit den eigenen Vorstel-

lungen und Ängsten rund um Geld, Besitz, Eigentum.

Was bedeutet es, etwas zu besitzen? Wann bin ich be-

reit zu teilen? Ich weiß nicht mehr, ob das jetzt echt ist

oder Theater. Wenn wir gewinnen, müssen wir unsere

Idee dann wirklich umsetzen? Haben die am Anfang

gesagt, man kriegt das Geld auf jeden Fall zurück?

Bin ich ein Spießer, weil ich darüber nachdenke? Habe

ich Lust, einfach mal 50 Euro mit Fremden zu teilen?

Kann ich mir das leisten? Aber ich will gern bis zum

Ende spielen. Sehen, was passiert. Heute Abend

wieder – better be there!

Altruismus vs. PartyTheatrale Subversion, Katze und Krieg und die Brotfabrik Berlin zeigen mit „Alles Meins“ ein Happening zu Eigentum

von Laura Naumann

Sonntag 25.07. | 18 Uhr | Haus III & 70

Page 14: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 07 / 1. Jahrgang

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Zwei Wochen Festival – da erlebt man mehr, als man in einem Satz sagen kann. Wir haben euch trotzdem gefragt, liebe Macherinnen und Macher hinter den Kulissen: WAS WAR EUER KALTSTART-MOMENT 2010? Hier sind die Antworten.

Souvenirs, Souvenirs!

Der Moment, in dem ich das erste Mal das Übergabeprotokoll

der leider kurzfristig erkrankten Autorenlounge-Organisa-

torin las und dort Josef Hader als Lesepartner angekündigt

war. Mein liebster Österreicher und Landsmann bei unserem

Festival!

(Samuel Enslin, Organisationsleitung KALTSTART PRO)

Mein KALTSTART-Moment? Den erlebte ich im Stück „Para-

dies“. Wie Katja Gaudard eine Trinkerin verkörpert hat - das

ging unter die Haut!

(Alexei Rothkirch, Fotograf für KALTSTART im Haus 73)

„Ich bring dich groß raus, Baby!“

(Taylan Günes, Leitung FRINGE)

Es sind zwei Wochen des Fotografierens vergangen. Hängen

geblieben sind zwei Stücke. Zum einen „India Simulator“

in dem das Klischee des Deutschen singend und tanzend

beschrieben wird und zum anderen „Hab ich dir eigentlich

schon erzählt...“ Aber zwei Frage nach zwei Wochen stellen

sich mir immer noch: Wo ist Katrin? Wie sieht sie aus?

(Lisa Kraatz, Fotografin KALTSTART Pro)

Das Licht ist auf Laura Jakschas gerichtet und sie singt ein

Lied voller Sehnsucht und Hoffnung; dieser Moment ließ

mich erkennen, was wir da (eigentlich) Wahnsinniges auf die

Beine gestellt haben.

(Jessica Kellner, Marketing)

...war es zu beobachten, wie sich im Zuge einer Open Air

Performance das Publikum mitten in der kleinen Susan-

nenstraße spontan verdreifachte, irritiert bis begeistert am

Geschehen hängen blieb, während herannahende Autofahrer

anstandslos ihre Motoren abstellten, um der stattfindenden

Kunst den notwendigen Raum zu bieten.

(Christian Psioda, Festivalkoordinator FRINGE)

Ich komme an einem dieser warmen Abende aus einem Stück

im Haus III&70 zurück ins Pressezentrum, gehe in den Gar-

ten und überrasche den Chefkoordinator Daniel Opper dabei,

wie er im Garten des „Lokal“ einen aufblasbaren Swimming-

pool aufstellt. Einen Pool!

Der Mann kriegt einfach alles koordiniert.

(Jan Oberländer, KFZ)

Es ist samstag- letztes KALTSTARTwochenende- muss vor-

zeitig abreisen. familienfest. sitze im internet cafe- haupt-

bahnhof. in 20 minuten werde ich im zug sitzen. das ist mein

KALTSTART- moment 2010. sehe schon die szene: zug fährt

ab. stehe auf, schaue mich suchend um. hamburg wird klein.

renne durch den zug. kein entkommen. KALTSTART vorbei.

unwiderbringlich. öffne das zugfenster und schreie in den

wind: „deutsche bahn, du kannst mich doch nicht einfach mit-

nehmen. moment mal. das kanns doch nicht gewesen sein.

KALTSTART!“ falle erschöpft in den zugsessel und meine

gedanken kreisen: „auf welches Thaterstück kann ich mich

nun freuen? wo bleiben die unterhaltsamen gespräche am

Infocounter, stöckchen bringende hunde, die langen nächte

im Haus 73? großes drama. seufz. bleibt nur die hoffnung auf

das nächste jahr. ja und die schöne erinnerung an die letzten

2 wochen. und jetzt ..KALTSTART lass es am sonntag abend

krachen...mein zug fährt ab... herz, nimm abschied und

gesunde.

(Ursula Merkel, Infocounter, Künstlerbetreuung, Catering, Kasse)

Mein KALTSTART-Moment ist eigentlich der, in dem du rein-

kommst und mich fragst, was mein KALTSTART-Moment ist

und ich antworte, dass mein KALTSTART-Moment eigentlich

der ist, in dem du reinkommst und mich fragst, was mein

KALTSTART-Moment ist und ich antworte, dass mein KALT-

START-Moment eigentlich ...

(Jan Fischer, KFZ)

Blaumänner mit viereckigen Pappköpfen vorm Budnikowsky:

Freiluftirritation im bequemen Hamburg, Open Air at its best!

(Peter Haueis, Orga FRINGE Open Air Special)

Mein absoluter KALTSTART-Moment war, als wir das erste

Mal die bunte Lichterkette im Garten des Lokals anbekom-

men haben. Das war unerträglich kitschig-schön und es war

Sommer. Später wurde gesungen.

(Laura Naumann, KFZ)

Als ich die erste „Fritz-Zitrone“ meines Lebens mit einem

Getränkebon bezahlte und neben mir zwei Männer über den

Psychotest aus Heft 2 lachten. Sweet!

(Alexandra Müller, KFZ)

KALTSTART ist, wenn der Sushimann, der Teil der Perfor-

mance sein soll, eine Stunde zu spät liefert, weil er den

Spielort auf dem Dach eines alten Flak-Bunkers nicht findet

– und die Schauspieler einfach weiterspielen, bis das Essen

kommt…

(Daniel Opper, Gesamtkoordination KALTSTART)

Mein absoluter KALTSTART-Moment war die Rückkehr nach

vier Tagen Pause. Oder sollte ich lieber sagen: die Heimkehr?

(Jo Schneider, KFZ)

„Wir zwei“ spielte bei KALTSTART bereits zum zweiten Mal.

Ich wurde umgehauen von dem Moment, als ich den Auftritt

des Hausmeisters im Stück erwartete, aber stattdessen ein

zartes Wesen im Hasenkostüm erschien und zu „Abenteuer

Page 15: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 07 / 1. Jahrgang

Die LOKAL-Redaktion. Foto: Martin Schneider

Kaltstart

Als unser Chef vor zwei Monaten ankündigte, wir

würden für zwei Wochen in eine „Stockbettenkommu-

ne“ ziehen, wurde nicht wenigen KFZ-Redakteuren

mulmig zumute: Wir befürchteten eine verstaubte

Ekelherberge voller quietschender Metallbetten.

Doch dann betraten wir das LOKAL, ein popelgrünes

Haus mit charmanten Bröckelputzwänden, wun-

derschönen Flohmarktmöbeln und zwei rosa Mäd-

chenbädern. Es wird gemeinsam von der Pferdestall

Kultur GmbH, AGAPI dialog.konzept.design und der

Cocon Commerz GmbH geführt, unter dem Motto

„permanent temporär ungekannt“.

Wir waren sofort bezaubert. Natürlich war nicht alles

perfekt: Keine Türen in den Schlafzimmern, dafür ein

Garten, durch den regelmäßig ICEs, Güterzüge und

doppelstöckige Interregios (das sind die schlimm-

sten!) dröhnten. Und dann war da noch der Putz, der

in unsere Tastaturen rieselte. Aber vermutlich haben

wir gerade deswegen ein Zuhause hier gefunden.

Wer braucht schon Warmwasser, so lange es W-Lan

gibt! Unsere Journalistenkommune hat sich den Ort

sofort mit Kaffeetassen, Planschbecken und Com-

putern in jeder Ecke zueigen gemacht – und der Ort

hat uns gerne aufgenommen (ganz abgesehen von

Anne, unserer großartigen Gastgeberin). Wir saßen

nächtelang mit Ukulele und/oder Laptop herum, und

wenn wir dann doch irgendwann vom Zugrattern ein-

gelullt wurden, da wussten wir: Wir sind in Hamburg

angekommen.

Am Freitag war einer der „Nachtkäufe“, die regelmä-

ßig in unserem Hamburger Heim stattfinden, mit jun-

gen DesignerInnen, die hier „Konsum für geschlos-

sene Gesellschaften“ anbieten. An Kleiderständern

hing exklusive Mode, Holzkisten und Papiersäcke

waren gefüllt mit Leinen, Seide, Baumwolle. Da sah

man die Bandbreite des LOKAL: Es ist nicht nur ein

Kunstort für Ausstellungen, sondern bietet auch eine

Fashion-Palette vom pastellfarbenen Businesslook

bis zum selbst gestrickten Partytop. Schön!

Für uns aber bleibt das LOKAL immer eins: Per-

manent temporär, aber dabei immer das sweeteste

home, das wir uns hätten ausmalen können.

Kunstraum, Pressezentrum, ZuhauseUnser permanent temporärgut bekanntes LOKAL

von Alexandra Müller

land“ von Pur eine Ballettnummer vom Feinsten ablieferte.

(Thimo Plath, Künstlerische Leitung KALTSTART PRO)

Macht doch nicht alle so ein Theater!

(Clemens Reichle, Technische Leitung KALTSTART)

Mein intensivster Moment war, als ich gespannt auf die näch-

ste Performance in den Waagenbau kam und im Eingangsbe-

reich die Festivalzeitung mit einem Coverbild von mir liegen

sah. In diesem Augenblick wurde mir klar, dass ich bei einem

Festival, das Theater näher und intensiver an Menschen he-

ranbringt, angekommen war und daran ganz direkt mitarbei-

ten konnte. Da wird intensives Arbeiten zum reinsten Spaß!

(Sven Heine, Fotograf bei FRINGE)

Das tolle Wetter – und immer wieder die Parties vor dem

Haus III&70. Sommermärchenatmosphäre!

(Eva Maria Stüting, Leiterin YOUNGSTAR)

Mein persönlicher Glücksmoment waren die Inszenierungen

„Araboy“ und „Sisters“ unter dem Label „Heimathafen Neu-

kölln“. Die junge Regisseurin Nicole Oder hat ein Stück Reali-

tät auf die Bühne gestellt, total unplugged und ohne Effekte,

vertrauend auf die Kraft und Authentizität der Laien- und

Profidarsteller, risikofreudig und uneitel, mit einem Gespür

für Timing, Rhythmus und Drama. Theater, das berührt!

(Andrea Tietz, Leitung FINALE)

Die Gestaltung des KFZ-(Eierlikör)-Trinkspiels

(Caroline Müller, KFZ)

Jeden Morgen aufstehen, den gedeckten Frühstückstisch mit

der (oftmals, nicht immer) vollständigen Redaktion sehen

und trotz unfassbarer Müdigkeit denken:

“Geil, auf ein Neues!”

(Khesrau Behroz, KFZ)

Das Tanzstück „Aussicht-Hölderlin“ der jungen Regisseurin

Katrin Plötner und ihrem bezaubernden Schauspieler vom

Mozarteum Salzburg - das ist Nachwuchsfestival!

(Katrin Reiß, funktionslos)

Als morgens die Kohlen unter den Brötchen auf dem Grill

klickerten.

(Jan Berning, KFZ)

Immer, wenn ich beim Frühstück die Zeitungen aufgeschla-

gen habe und im „Abendblatt“, in der „Süddeutschen“ oder

der KFZ Reflektionen über das Festival standen. Die Bericht-

erstattung hat mich am meisten gefreut – nicht nur für das

Festival, sondern auch für die Künstler.

(Falk Hocquél, Gesamtleitung KALTSTART)

Page 16: KFZ - Kaltstart-Festivalzeitung / # 07 / 1. Jahrgang

Die Festivalzeitung KFZ zum KALTSTART HAMBURG 2010

wird herausgegeben vom Kaltstart e.V.

Redaktion: Khesrau Behroz, Jan Berning, Stephanie Drees, Clara Ehrenwerth,

Jan Fischer, Alexandra Müller, Laura Naumann, Jan Oberländer (V.i.S.d.P.),

Johannes Schneider.

Gestaltung: www.kirschcake.net.

Aufl age: 500.

Redaktionsblog unter www.kaltstart-hamburg.de/blog.

Schreibt uns unter [email protected].

Face-to-face: Lokal, Max-Brauer-Allee 207, 22765 Hamburg

Mit freundlicher Unterstützung von:

Augenringe. Nachlässigkeit im Style. Diskursgeilheit.

Alkoholpegel. Konzentrationstiefs. Overload. Witz-

fabrik. Insider. Euphorie. Anzeichen von Wahnsinn.

Entfremdung. Rausch. Das Festival im ganzen Körper.

Die Augen weit aufgerissen, dabei fallen sie fast zu.

Wenn ich sie zumache, sehe ich Diskokugeln.

Festspiele, Festwochen, Festivals! Ob Film, Musik,

Tanz, Literatur, Musik, ob als Mitwirkender oder als

Gast, wir lieben das Prinzip: anreisen, einchecken,

und dann volles Programm. So viel wie geht mitneh-

men, ganz viel aufsaugen, wir wollen wissen, was es

gibt, wir wollen sehen, was so geht. Und dann darüber

sprechen und einander kennen lernen, diskutieren,

das Glas erheben, sich echt gut fi nden, in den Groove

kommen, FOREVER sagen und wissen, dass das nicht

stimmt, traurig sein darüber, dann aber wieder nicht,

sondern nur im Moment und froh, und rein ins nächste

Stück und dann zum nächsten Bier und dann auf den

Dancefl oor oder bis zum Morgengrauen auf den Bier-

bänken sitzen bleiben und rauchen bis zum Husten.

So geht Festival.

So geht das sechs, sieben Tage wunderbar, bei zehn

ist Zenit, danach wird es härter. Heute ist Tag 13 von

14 bei Kaltstart, die Redaktion bastelt an der letzten

Ausgabe der KFZ, gestern Nacht war sie im Kino, in

einer Actionkomödie mit Cameron Diaz („Kamerun-

Dias“, solche Insider), weil eine Theaterpause her

musste und nichts Besseres kam. Tja.

von Laura Naumann

Ekst ase vs. Ersch öpfun�

Alle sind ein bisschen langsamer als noch vor einer

Woche und ein bisschen irrer. Es werden schneller

Gegenstände nach Kollegen geworfen und schnel-

ler die Arbeit für ein kleines Powernapping, aus

dem dann zwei Stunden werden, unterbrochen. Die

Festivalmitarbeiter stehen aufrecht, aber auch ihnen

sieht man die Anstrengungen der letzten Wochen und

Monate an. Eine weitere Woche würde keiner so recht

schaffen, trotzdem sehnt man das Ende nicht herbei.

Das Festival als der alleraffektierteste Effekt: An

die Grenzen der Aufnahmefähigkeit gehen, den

Eindrucksfi lter hochregeln, die Müdigkeit in Schach

halten, den Absturz voraussehen, wissen: Sanft lan-

den kann man nicht. Und sagen: „Alter, ich bin mega

fertig“, es aber in Wirklichkeit geil fi nden.

Dies ist ein Bekenntnis zur Affektiertheit! Wir sagen:

Augenringe statt Sonnenbrille! Abgefuckt statt auf-

gestylt! Zu viel Festival statt kein Festival! Das alles

kultivieren. Das ist der Festivallook, Kids, so muss

das aussehen! Sich abrocken über 14 Tage Theater,

Theater, Theater. Megatheater. Sehen, bis man nichts

mehr sehen kann, reden, bis wirklich alles gesagt

wurde und wach sein, bis man von alleine einschläft.

Darum fahren wir da ja hin, das wissen wir, wenn wir

die Koffer packen, darauf freuen wir uns, wenn wir

uns den Festivalpass holen. Nächstes Jahr dann wie-

der. Und wieder. Forever.

IMPRESSUM

KFZ Kolumne:Affektierte Effekte VII