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Die Zeitung des Kaltstart-Festival 2010 in Hamburg.
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Kaltstart KFZ
Fest ivalzeitun�1.Jahrgan�
#2010
7
Fest ivalzeitun�2010
Souvenirs, SouvenirsWir zeigen die Momente,
die ihr nicht vergessen werdet
Auf Wiedersehen!Das KALTSTART ist zu Ende,
wir blicken zurück - und nach vorn
Das Prinzip KFZZum Abschied lässt die Redaktion
auch maldie Hosen runter
So 25. Juli
02 / 03
EditorialFragt Ihr Euch bzw. fragen Sie sich eigentlich auch, wie so ein richtig guter Eisbommi zubereitet wird? Die KFZ hat die Antwort!
Man nehme: 1 Flasche Bommerlunder, 1 Flasche Zitronensprudel und 1 Packung Vanilleeis. Nach Gemütslage mischen -
schönen Abend noch!
Wir schreiben das hier, weil die Abschlussnacht eines so tollen, vollen Festivals angemessen durchfeuchtet werden will -- wa-
rum nicht mal mit etwas Besonderem? Mit Bier funktioniert es aber auch, Bommi gibt es sicher nicht auf Marke. Oder er kostet
gleich drei Nixen, und wer hat schon so viele übrig.
Mensch, Leute! Das KALTSTART ist vorbei! Ihr habt, wir alle haben es durchliebt und durchlitten, durchschrieben und durchtrun-
ken. Und jetzt sind wir, jawollo, eben dieses: DURCH. Und Finnisch heißt auf Englisch soviel wie Schluss, uah.
Einer aber, ein Letzter, geht immer noch.
Zum Beispiel diese siebte KFZ-Ausgabe! Mit einer großen Portion Rückschau und Ausblick (Selbstrefl ektion S. 3, Interview S. 4-5,
Essay S. 6-7). Mit Euren liebsten Festivalmomenten zum Aufs-Kopfkissen-Sticken (S. 14-15). Mit den von uns einfach mal voll-
kommen willkürlich, aber umso liebevoller ausgewählten KALTSTART-Fotos (S. 8-9). Und natürlich wieder mit vielen schmusig-
scharfen Rezensionen (S. 10-13).
Leider leider können wir die allerletzten Festivalstücke nicht mehr besprechen - die werden gespielt, wenn Sabri Özergins
Maschinen schon wieder still stehen. In Sabris „Copy Keller“ (Kleiner Schäferkamp 56) kann man prima kopieren - sogar Otto
Waalkes war schon Kunde! Auch wir danken für die gute Zusammenarbeit.
Und wir müssen noch viel mehr Dank sagen. Zuvörderst dem KALTSTART e.V., ohne den es das alles hier gar nicht gäbe.
Dann aber auch gleich dem LOKAL, unserer gschönen rünen Villa in der Max-Brauer-Allee, die der KFZ-Redaktion supererweise
zwei Wochen lang Arbeits- und Lebensraum war -- wir würdigen dieses tolle Haus und seine Betreiberinnen nochmal
extra auf Seite 15.
Und wir danken Daniel Opper, Jessica Kellner und Loubna Messaoudi. Für unglaubliche,
unerschütterliche, hoch kompetente, freundliche und lustige und immer perfekte
Koordination und Logistik! Alle Aufgaben stets zu unserer vollsten Zufriedenheit!
Dankesehrstens! Immer die Euren! Yay!
Noch jemanden vergessen? Ja. Euch!
Liebes Publikum! Danke fürs Kommen! Danke fürs Lesen! Danke für alles!
War schön mit euch. Gerne wieder.
Winke, winke!
Liebe Kaltst artende, liebe Augenringe, liebe neue Freunde und -inn en!
Die Red.
Diskurs zur Hand #7Auch in dieser Ausgabe gibt es einen Dis-kurs zum Nachspielen für Zuhause. Einfach ausschneiden, schwarze Streifen hinten
zusammenkleben, über den Finger ziehen und losstreiten. Heute: Vergangenheit vs. Zukunft. Was wird das KALTSTART 2011 bringen? Die
Ladys hoffen schon auf frisches Fischfl eisch, während die Jungs sich noch an Arielles Arsch erfreuen. Allerdings ist nicht gesagt, ob heute
wirklich gestritten wird - eigentlich sollten sich die Puppen bestens verstehen...
Kaltstart
Wie uncool – Journalisten schreiben über sich selbst!
Ein Einblick zum Abschluss
von Jan-Alexandra Müller-Oberländer
Dieser Text beginnt am Samstagabend um 20:44 Uhr. Ich bin
genervt. Dieser Text entsteht nämlich nicht so recht, dabei
soll er doch das Prinzip KFZ erklären! Fischers letzte Kritik
hab ich eben gemacht, der ist schon los, Bier in der Faust.
Es fehlen noch das Festivalmacher-Interview (Müller macht
Pause, Schneider kürzt) und der Abschlussessay (Berning hat
noch was anderes zu tun, Drees schreibt). Designerin Caro
wartet zu Hause vor dem Indesign-Dokument. Den ganzen
Nachmittag schon haben wir über Skype Bilder hin- und her-
geschickt, Hintergrundbilder, Seitenaufteilung und Textlän-
gen besprochen.
„Cool, ein Theaterfanzine!“ so haben wir uns vor Monaten im
KALTSTART-Programmheft angekündigt. Zum Abschluss
dachten wir, dass es gut wäre, nochmal drüber nachzuden-
ken, was wir da eigentlich gemacht haben. Darüber, wie so
eine Zeitung entsteht, aus einem Anruf aus dem Nichts, einem
Vortreffen mit zu viel Kuchen in einer Hildesheimer WG, jeder
Menge Rundmails und dummer Witze, die ganz besonders.
Eigentlich ist genau das am Tollsten: Dass die Arbeit an der
KFZ von der ersten Ausgabe an so gut funktioniert hat.
Es gibt ja immer noch die Online-Version
Dabei sind wir WIRKLICH kalt gestartet: Zwar waren die er-
sten Texte schon produziert, bevor wir im LOKAL eingezogen
sind. Das meiste aber ist erst am Sonntag vor Festivalbeginn
entstanden. Eine Nachtschicht – und die erste Ausgabe stand.
Locker vom Hocker, hektisch übern Ecktisch. Plötzlich stand
ich mit einem USB-Stick im Kopierladen und biss in die The-
ke, weil der Besitzer nicht mit dem Computer zurechtkam.
Aber dann war irgendwann doch alles gut und die KFZ#01 lag
im Haus III&70 rum. Und sah toll aus. Wir haben zwar verges-
sen, die Titelthemen aufs Cover zu drucken, aber hey, in der
Pdf-Version sind sie da.
Und so ging es weiter, denn das ist das Leben einer Festival-
zeitung. Tag eins: Frühstücksrunde, Planung der nächsten
Ausgabe, Aufgabenverteilung, Recherchen. Abends Stücke
gucken, nachts Texte schreiben, während die Grafikerin schon
setzt. Tag zwei: Frühstücksrunde, Texte fertig machen.
Kommas setzen, Sätze vervollständigen, umschieben, kürzen,
Das Prinzip KFZ
auch mal ein warnendes Wort an allzu rabaukige Kollegen
richten. Dann alles rüber zu Caro. Und wieder ab zum Co-
pyshop. Klar, dass bei dem Tempo auch mal ein Fehlerlein
passiert. Seit vier Ausgaben planen wir eine Selbstkritik-
Spalte, in der wir für inkorrekte Termine, Namen, Bildunter-
schriften, Berufsbezeichnungen oder Artikelzuordnungen um
Entschuldigung bitten. Haben wir natürlich nicht geschafft.
Darum hier: Sorry! Tja. Und wenn ich dann mit einer Tüte voll
kopiererwarmer KFZs zurück in die Redaktion komme, freuen
wir uns alle kurz über die schöne neue Ausgabe: geil abgelie-
fert! Prost! Zur Belohnung geht es abends wieder schön ins
Theater.
Die KFZ - ein handverlesenes Allstar-Team
Neben der Produktion laufen immer auch die theoretischen
Fragen mit, die wir beim Feierabendbier diskutieren (wenn
wir nicht zur Ukulele ironisch gebrochene linke Lieder sin-
gen): Sind wir nun eigentlich Teil des KALTSTART-Festivals
oder sind wir hier vierte Gewalt? Wie wird man den Dingen
gerecht, wie bespricht man die unterschiedlichen Sparten und
was wäre ein angemessenes Reportage-Thema für die näch-
ste Ausgabe? Wie verhindern wir, dass wir spießige Feuille-
ton-Pupser werden? Die meisten im handverlesenen Allstar-
Team der KFZ waren schon in mehreren Festivalzeitungen
dabei: Berlin, Hamburg, Hildesheim, Mannheim, Amsterdam.
Schlafmangel, Textstress, böse Blicke von schlecht bespro-
chenen Theatermachern können sie nicht schrecken.
Und trotzdem: Warum tun wir uns das an? Warum mache zum
Beispiel ich den Scheiß in diesem Jahr schon zum zweiten
Mal? Weil es süchtig macht! Für Heroin ist das keine gute
Ausrede, fürs Zeitungmachen schon. Wenn man sich Themen
ausdenkt, Zeilen macht, vielleicht ein bisschen Struktur ins
Festivalchaos bringt. Wenn ein Diskurs entsteht. Klar ist es
auch immer glorios, das selbst gemachte Blatt in Händen zu
halten. Zu sehen, wie Festivalteilnehmer unsere Texte lesen,
die Psychotests machen, über die Witze der Kollegen lachen.
Ha. Morgen feiern wir. Und am Montag werden wir wieder
nach Hause fahren. Mit vollem Kopf bzw. Kater.
Und der Vorfreude aufs nächste Mal.
KFZThema
[01:51:08] ich: muss jetzt ins bett[01:51:30] caro: interview fertig?[01:51:42] ich: schneider kürzt noch[01:51:01] caro: also morgen[01:51:12] ich: yes[01:51:22] caro: cool
[20:41:08] caro: der text ist jetzt aber für 15 und nicht 16 nehme ich an?[20:41:35] ich: ja, 15 rechte spalte, sorry, verwirrt[20:42:01] ich: ekstase vs. erschöpfung ist für die 16[20:42:14] caro: hab ich schon drin[20:42:20] ich: urst knorke
Festivalmacher: Falk Hocquél (Leiter Kaltstart Pro), Thimo Plath (Künstlerische Leitung), Christian Psioda (Fringe), Daniel Opper (Gesamtkoordination), Taylan Günes (Fringe). Foto: Jan Fischer
04 / 05
„Der Rahmen ist da!“Ein Gespräch mit den KALTSTART-Machern
Beinahe 14 Tage ist es nun her, dass ein globales Großer-
eignis (Fußball-WM) zu Ende ging und ein kleines, unbeug-
sames Theaterfestival in Hamburg seinen Spielbetrieb
aufnahm: das KALTSTART 2010. Unzählige Aufführungen
später hat die KFZ-Redaktion die Macher des Festivals zum
Abschlussgespräch geladen – und fast alle sind gekom-
men: Wir sprachen mit Falk Hocquél und Thimo Plath von
KALTSTART PRO, den FRINGE-Machern Taylan Günes und
Christian Psioda und Koordinator Daniel Opper.
KFZ: Das Festival ist nach zwei Wochen fast vorbei.
Seid ihr zufrieden?
FALK: Wir haben im de facto fünften Jahr einen Riesen-
sprung nach vorne getan. Großartig funktioniert haben vor
allem die Sondertools wie Autorenlounge, YOUNGSTAR und
Festivalzeitung, die es vorher noch nicht gab. Auch die öf-
fentliche Wahrnehmung war viel mehr da als in den Jahren
zuvor.
CHRISTIAN: Besonders schön fand ich das Publikumsfeed-
back. Auch wenn es vorher stressig war, wir manchmal in
Eile aufbauen mussten und uns gefragt haben „Wird das
denn überhaupt was?“, hat es nach den Produktionen immer
sehr konstruktive Reflexionen gegeben. Und auch die Künst-
ler sind meist sehr zufrieden wieder nach Hause gefahren.
Ich habe das Gefühl, dass nicht nur unser Konzept
organisatorisch aufgegangen ist, sondern dass es für
Künstler und Zuschauer funktioniert hat.
KFZ: Für uns war das Konzept „KALTSTART“ immer eins
der systematischen Überforderung: 120 Produktionen, vier
Festivals in einem, jeden Abend bis zu zehn
Inszenierungen. Gab es Punkte, wo selbst ihr, die Macher,
dachtet: „Jetzt wird es wirklich sehr wuselig!?“
THIMO: Auf jeden Fall. Da muss noch mehr passieren: dass
wir in diesem vollgestopften Programm noch mehr Zeit
haben für Diskussionen, Nachgespräche, Diskurse. Dass
wir das große Ganze nicht aus dem Blick verlieren. Dafür
müssen wir Raum schaffen.
FALK: Wenn etwas zum ersten Mal so voluminös ist, merkt
man erst, wo die Schwierigkeiten stecken. Letztes Jahr habe
ich viel mehr vom FINALE der Theaterakademie mitbekom-
men, dieses Jahr habe ich nichts gesehen – weil letztes Jahr
FINALE noch nicht zum „KALTSTART“ gehörte und beide
Sachen nacheinander stattfanden. Das möchten wir gerne
beruhigen – natürlich, ohne die Teile wieder voneinander zu
trennen.
CHRISTIAN: Wir hatten dieses Jahr einfach noch nicht die
Kapazitäten, um uns intern mit der Programmierung abzu-
stimmen. Alle vier Festivals haben für sich programmiert,
das haben wir zusammengemixt und ein Programm kam
dabei raus. Teilweise liefen zwei bis drei Stücke parallel
– das muss besser werden.
von Alexandra Müller und Johannes Schneider
KFZInterview
Kaltstart
KFZ: War KALTSTART an manchen Punkten zu extrem?
DANIEL: Ich glaube nicht, dass wir so extrem sind. Extrem ist das „100 Grad“-Festival in Berlin, wo in drei bis vier Tagen 100 Stücke abgefeiert werden. Mir haben meh-
rere Gruppen erzählt, dass sie sich da nur durchgeschleust
gefühlt haben, wie an der Supermarktkasse. Das finde ich
extrem. Extrem ist auch Edinburgh, die in vier Wochen meh-
rere Tausend Stücke spielen. Da liegen wir mit 120 Stücken
in zwei Wochen eigentlich in einem ganz guten Zeitraum,
um genau die beiden Dinge zu vereinbaren: Austausch der
Mitwirkenden und Theaterfans auf der einen und auf der
anderen Seite ein strahlkräftiges, großes Programm, das
Leute anzieht.
TAYLAN: Ich glaube, dass es gelungen ist, gerade bei den
Zuschauern alle Gruppen gut anzusprechen. Da waren
– auch durch die Medienpartnerschaft mit dem Hamburger
Abendblatt – viele klassische Theaterzuschauer dabei, die
sonst nicht ins Haus III&70 kommen. Ich habe aber auch
mit Leuten gesprochen, die eigentlich keine Beziehung zum
klassischen Theater haben, die eher auf den Unplugged-
Charakter, also auf das Theater speziell an Orten wie dem
Haus III&70 reagiert haben. Das Prinzip „Raus aus den
Bühnen, rein in die Clubs“ scheint echt zu greifen. Und die
Idee, das Ganze mit FRINGE OPEN AIR nochmal in Richtung
Straße zu öffnen, funktioniert auch.
KFZ: Was KALTSTART neben dem Unplugged-Charakter
vor allem besonders macht, ist die FRINGE-Sparte, die
nicht kuratiert ist. Im Prinzip darf jeder seine Produktion
anmelden. Wir haben uns immer gefragt, wie man so ein
riskantes Konzept umsetzt: Man will kein schlechtes Thea-
ter sehen, macht aber eine offene Ausschreibung.
CHRISTIAN: Wir haben ja nicht x-beliebige Theaterportale
im Internet, Spielgruppen und Seniorenclubs angeschrie-
ben, sondern ganz konkret einen Index erstellt: Was tum-
melt sich wo, in welchen Städten? Wo sind gute Dachverbän-
de, unter denen sich coole Kollektive verbergen? Die haben
wir als Multiplikatoren angeschrieben und gebeten, das
weiterzuleiten an Gruppen, die sie gut finden, an Freunde,
Bekannte, Künstler aus ihrem Metier. Und das hat tatsäch-
lich gut funktioniert.
KFZ: Daneben gab es die kuratierte Sparte KALTSTART
PRO, speziell für den Nachwuchs an Stadt- und Staatsthea-
tern. Würdet ihr sagen, dass ihr es hier geschafft habt, die
junge Theaterszene im deutschsprachigen Raum realis-
tisch abzubilden?
FALK: Es hätte noch mehr sein müssen, aber wir hatten
schon einige sehr starke Produktionen, auch aus Wien,
Salzburg, Bern. Den Zirkel zu schlagen, möglichst viele
ranzuholen, die etwas Besonderes bieten können, das
haben wir auf jeden Fall geschafft. Dass jetzt sozusagen
alle Tendenzen vertreten sind, das haben wir noch nicht
geschafft, aber das können wir an unseren sehr speziellen
Spielorten auch gar nicht.
KFZ: Neben Unplugged-Charme, FRINGE-Anarchie und
jungem Regietheater sollte KALTSTART auch einen gewis-
sen Messe-Charakter haben. Ist das aufgegangen?
THIMO: Bei den meisten Profieinheiten ist es leider immer
noch so: anreisen, spielen, abreisen. Das ist zu kurz. Eigent-
lich muss von vornherein klar sein: Man darf ein Haus nicht
nur zum Gastspiel einladen. Das widerspricht dem Gedan-
ken des Festivals. Eher muss es heißen: Ihr spielt an zwei
Tagen, bleibt drei Tage da, schaut euch noch das und das an
und seid dann zu einem gemeinsamen Nachgespräch einge-
laden. Nur so bringen wir die Leute wirklich zueinander.
KFZ: Wie wäre es daneben - für die bessere Interaktion
- mit einem Festivalzentrum, das nicht mitten auf der
Schanze liegt, sondern etwas abseits?
CHRISTIAN: Da bin ich gegen. Ich sehe wohl den Punkt, aber
nur insofern, dass es vielleicht ein bisschen eng wird, wenn
abends das ganze Schanzen-Partyvolk zu den Festivalbe-
suchern dazukommt. Wenn man aber wirklich ein outge-
sourctes Festivalzentrum schaffen würde, dann würde man
die Chance vertun, das zufällige Publikum zu erreichen.
DANIEL: Meiner Meinung nach ist die Frage nach der Zuge-
hörigkeit zum Festival nicht so sehr eine Frage des Ortes,
sondern eher eine der Identifikation. Es haben halt viele im
Haus III&70 gesagt: Wir wissen gar nicht, ist das jetzt ein
Partygast oder ein Ansprechpartner oder ein Mitkünstler?
Man muss es irgendwie schaffen, das zu kennzeichnen. Die
T-Shirts waren ein Versuch, die hat aber natürlich nicht
jeder an. Da muss man einen Weg finden.
KFZ: Gibt es sonst schon konkrete Pläne, was 2011 anders
werden soll?
THIMO: Um es kurz zusammenzufassen: Der Rahmen ist
da, wir haben über 100 Produktionen, die Kooperationen
zwischen den Festivals sind gegeben. Jetzt müssen wir
mehr ins Gespräch kommen. Die Sparten untereinander, die
Künstler, das Publikum.
DANIEL: Vielleicht noch ein Punkt, der weniger uns betrifft
als die Bedingungen, unter denen wir arbeiten: In Ham-
burg ist es immer noch so, dass Kultur als eine Sache von
Mäzenen angesehen wird und die Stadt sich relativ wenig
engagiert. Wir würden uns vonseiten der Stadt eine klare
Aussage, ein Bekenntnis wünschen: Ja, wir wollen dieses
Festival auf Dauer hier haben. Und wir sind bereit, es weiter
zu fördern.
„Wir würden uns vonseiten der Stadt eine klare Aussage, ein Bekenntnis wünschen: Ja, wir wollen dieses Festi-val auf Dauer hier haben. Und wir sind bereit, es weiter zu fördern.“
06 / 07
Sinnbilder sind etwas Feines. Nach fast zwei Wochen
journalistischer KALTSTART-Begleitung dürfen wir sagen:
Unsere Fingerkuppen sind heiß und unser Geist glüht. So
viele Wörter haben wir für die Bilder gesucht, die wir auf
der Bühne sahen. Alles begann mit fünf schwarzen Em-
blemen auf blauem Grund: Vier Schiffe prangen auf dem
Programmheft. Eine Nixe mit einem Riesenkanister lud
uns mit aufforderndem Blick zum Abstechen in ein thea-
trales Meer der Möglichkeiten ein, voll mit großartigem
Größenwahn. Über 120 Produktionen, von vier Schiffen
symbolisiert: Stadttheater, freie Szene, Jugendtheater,
Nachwuchs der Regieakademie.
Diese Nixe, das verruchte Ding mit offenem Mund, Killer-
body und einem Kanister Euphorie unter dem Arm, hat
nun ihre Arbeit getan. Wir sind Schiff gefahren, bis uns
schwindelig wurde vor Eindrücken und Welten, die wir auf
diversen Inseln entdecken durften. Ein süßer Herr Tod
fuhr im Miniatur-Krankenwagen Slalom, Hasen sprangen
aus Hüten und Ponys - kaum zugeritten, dafür mit roten
Schleifen im wirren Haar - galoppierten über die Bühne.
Wir durften 18-jährige Regisseure in ihrer natürlichen Le-
bensumgebung besuchen, Hölderlin-Tänzer Geschichten
mit ihren Körpern erzählen sehen und Gorillas im Marke-
tingnebel beobachten.
Was ist nicht alles passiert auf den Routen der vier KALT-
START-Schiffe. Zunächst sei also aus den Räumen dieser
Redaktion heraus der Freibeuter-Geist des Festivals ge-
priesen. Den teilen wir, den wollen wir sehen und fühlen,
einen Vibe spüren, von dem man auf transusigen Kreuz-
fahrtdampfern á la „Aida“ nur träumen kann. Das ist auch
nach zwei Wochen ein Gefühl der Erfrischung, ein Flow,
frei nach der theatralen Glücksphilosphie ein tiefgehendes
Gefühl von Mittendrin-Sein in diesem reißenden Theater-
strom.
Glückssachen in der Theaterlotterie
Manch einer hat den Enthusiasmus gelobt, der sich
wie eine Kielwasserspur durch das Festival gezogen
hat. Kopfnicken von allen Häuptern dieser Redaktion,
die via Computertastatur oder im persönlichen Ge-
spräch jemals das KALTSTART-Wort ergriffen haben.
Der Idealistenbonus: selbstverständlich.
Eine Fusion, noch jung, frisch und ungestüm. Und an
manchen Stellen ein wenig unerfahren. Denn nicht nur
im ästhetischen Sinne bringt das KALTSTART Welten
zusammen. Auch organisatorisch prallen unter-
von Stephanie Drees
Viele Schiffe sind 14 Tage KALTSTART sind um. Ein reflektierender Rückblick mit ein bisschen Wehmut – und einigen Vorschlägen
schiedliche Ansätze aufeinander: FRINGE, der Freibeuter,
wird nicht kuratiert. Jeder, der sich rechtzeitig anmel-
det, darf mitmachen. Was da zum Vorschein kommt, ist
Glückssache in der Theaterlotterie. Die anderen Sparten
zeigen Ausgewähltes. Aber Grenzmarkierungen für un-
terschiedliche künstlerische Ansätze und Herkunftsställe
gibt es innerhalb der Abteilungen nicht. Zeitlich parallel
und abwechselnd auf denselben Bühnen spielen Hobby-
Performer und Stadttheaterprofis. Alle machen Kunst
unplugged - in Clubs, Off-Theater und Bars. Irgendwie
klingt das demokratisch und verbindend, eigensinnig und
nach Rock’n’Roll. Und das ist es auch. Leider führt es aber
auch zu einem ständigen Überangebot und wenig Orien-
tierung für die Mehrheit der Zuschauer, die vielleicht nicht
zwei Wochen Zeit hat, um sich einen Gesamtüberblick zu
verschaffen.
Bojen als Wegweiser
Die KALTSTART-Macher wollen augenscheinlich wenig
inhaltlich ordnen, denn Ordnung bedeutet Wertung und
Wertung bedeutet möglicherweise Hierarchie. Doch je
grobmaschiger man das Netz spinnt, umso schneller fällt
auch die eine oder andere Perle hindurch: Wer etwa bei
FRINGE zwei Mal an eine Inszenierung gerät, die die
persönliche Erwartungshaltung gänzlich unterläuft,
der wird seine Füße vielleicht für dieses Jahr nicht mehr
auf die Planken des wunderschönen Piratenschiffs setzen.
Warum also nicht Zeitblöcke schaffen, die den Festival-
abend strukturieren – so dass der Performance-Nach-
wuchs in direkter Konkurrenz mit dem Performance-
Nachwuchs steht. Und nicht unbedingt gegen drei weitere
Inszenierungen antritt, in denen Profischauspieler den
Raum bespielen, als wäre er eine Stadttheaterbühne.
So werden Vergleiche vermieden von Dingen, die nicht
vergleichbar sind. Zeitblöcke, die grafisch und farblich
im Programmheft voneinander abgesetzt sind, könnten
wie kleine Bojen auf dem Weg zur Insel funktionieren.
Mitten im Inszenierungsmeer schauen sie aus dem
Wasser – Wegweiser, die zeigen, dass die gewählte
Richtung eingehalten wird. Wasser – Wegweiser, die zei-
gen, dass die gewählte Richtung eingehalten wird.
Dabeisein auf dem Dampfer
Ein wenig Flaggschiff-Charakter hat der KALTSTART-
PRO-Dampfer. Als das einzige maschinell betriebene
Schiff in der ganzen Flotte ist er ein Sinnbild für eine
Kaltstart
Sparte, deren Künstler auf dem Sprung in die Professio-
nalität sind. Regiestudenten, die ihren Weg in den Thea-
terbetrieb suchen. Die Zeisehallen sind ein Ort, an dem
die Theaterakademie ihre Schüler für die Öffentlichkeit
bereit macht. Techniker und Künstler wirken schon lange
zusammen und Arbeitsabläufe sind eingespielt. Und auch
wenn sich bei einem Theatermarathon wie dem KALT-
START wenige ästhetische Gemeinsamkeiten ausmachen
lassen, aus denen der dokumentierende Geist Tendenzen
formen kann, so scheint sich doch ein Tröpfchen Destillat
der Theaterstunde abpressen zu lassen: Das Publikum
kommt näher. Im räumlichen wie übertragenen Sinne.
Einige FINALE-Inszenierungen waren, obwohl ihre
äußeren Gegebenheiten nicht KALTSTART-typisch sind,
repräsentativ für ein Festival-Gefühl. Wenn der Arzt bei
„Woyzeck“ auf einem Bühnenlaufsteg genüsslich in eine
Orange beißt, dann suchen seine Blicke nicht nur die des
zuschauenden Gegenübers, sie provozieren es. Sie sagen:
Du gehörst dazu, ohne dich wäre diese Inszenierung eine
andere. Genauso, wenn die „Suicide Boys“ zu einem Se-
minar über Selbstmord laden und lakonisch eine morbide
Verbrüderung erzeugen. Mit völlig unterschiedlichen
Mitteln wird ein ähnlicher Effekt erzielt: Theater wird
unmittelbarer, die Trennlinie zwischen Zuschauerraum
und Bühne blasser. Diese Unmittelbarkeit, eine beson-
dere Form des Dabeiseins, des Gefühls, aktiv oder passiv
Teil eines großen ästhetischen Ganzen zu sein, sie ist die
eigentliche KALTSTART-Essenz.
Wo schlägt das Festivalherz?
Man muss eine Weile auf den KALTSTART-Schiffen ge-
fahren sein, den Oberkörper über die Reling gebeugt, die
Nase im Wind, um es schmecken und riechen zu kön-
nen: Was dieses Festival mindestens genauso dringend
braucht wie finanzielle Förderung, ist ein Ort, an dem sich
sein Destillat sammeln kann. Ein Ort, der sagt: Hier ist
unser Hafen, von hier aus geht es raus zu den Inseln. Ein
Zentrum, in dem das Festivalherz so laut arbeitet wie die
Maschinen im Inneren des KALTSTART-PRO-Dampfers.
Noch gibt es ihn nicht, diesen einen Ort. Doch dieses
Festival muss auch ein Festival des künstlerischen Aus-
tauschs sein, des Gesprächs über Theater. Darin liegt das
größte Potenzial von KALTSTART – und zugleich die größte
Herausforderung: Ein Ort muss geschaffen werden, an
dem Menschen, die Theater machen, Theater lieben und
Theater (manchmal) verfluchen, zusammentreffen. Work-
shops und Gesprächsrunden könnten dort stattfinden,
KFZEssay
internationale Cafés, Flirts und Besäufnisse. Ein offizi-
elles Festivalzentrum. Es müsste Anstecker für die Betei-
ligten geben als Erkennungsmerkmal, eine Informations-
ecke und eine Eröffnungsfeier, die knallt. All dies schafft
Unmittelbarkeit, auch über die Inszenierungen hinaus.
Ein Flaggschiff?
Das KALTSTART hat sich zum Ziel gesetzt, eine Messe für
die Bandbreite der deutschen Nachwuchs-Bühnenkunst
zu sein. Die Entscheidung, was interessant ist und was
nicht, liegt einzig beim Zuschauer. Das ist einerseits ein
Gedanke, der größtmögliche Mündigkeit voraussetzt. Doch
würde das Vorstellen einiger Inszenierungen als Head-
liner diesen Gedanken verschwinden lassen? Vielleicht
werden die Kleinen durch die Großen gar nicht kleiner.
Vielleicht wäre eine klarere Gewichtung mit Haupt- und
Nebenbühnen, mit Stolz auf große Namen und Neugierde
auf Kleines nur eine weitere Wegweiserboje auf dem wei-
ten Theatermeer. Auch ein Publikumspreis für die beste
Inszenierung wäre denkbar, der nicht nur Nachrichten
generiert, sondern seine jeweilige Festivalinsel im Nach-
hinein besonders attraktiv macht für weitere Besucher.
State of the end
Was haben wir nicht alles gesehen in diesen zwei Wochen:
Eine öffentliche Konzeptionsprobe, deren Höhepunkt das
Verschwinden einer Schauspielerin in einer Umhängego-
rillafaust war, Kinder, die in der Polenta kochen, Feuer-
shows, Paradiese für Trinker. Wir haben geglaubt, geliebt
und gehofft und Erinnerungsbilder mit unseren neu
gewonnen Freunden im Fotoautomaten geschossen. Wir
haben wunderbare Festivalmomente erlebt, während wir
von Insel zu Insel gefahren sind. Viele Schiffe sind gekom-
men, aus denen vielleicht in der Zukunft noch ein einziger
riesiger Dampfer wird, mit unzähligen Decks. Nach der
Fahrt ist vor der Fahrt.
Wir sagen: Leinen los für KALTSTART 2011!
gekommen...
Gestaltungsweise: „das kleine hasenstück oder Meister L. lernt laufen“ (Foto: Sven Heine)
Düsseldorfer Schauspielhaus: „Der Du“ (Foto: Jan Hufnagel)
Heimathafen Neukölln: „Arabboy“ (Foto: Jan Fischer)
Marketing Unplugged (Foto: Jan Fischer)
Hinter dem Vorhang verbirgt sich eine Nixe (Foto: Jan Fischer)
Landungsbrücken Frankfurt: „Glaube Liebe Hoffnung“ (Foto: Newroz Beykoeylue)
Theater Liga: „Feuchtgebiete“ (Foto: Sven Heine)
Haute Culture e.V.: „Von-Wegen“. (Foto: Sven Heine) Schauspiel Frankfurt: „Komm, süßer Tod“ (Foto: Ole Westermann)
08 / 09
Die Nixe sieht allesDie KFZ als textbasiertes Blatt gibt es endlich zu: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Auf dieser Seite also, zum letzten Festivaltag: Mehr als 20.000 Worte KALTSTART. Ein Superposter zum Erinnern und An-die-Wand-Pinnen!
Das Hamburgische Kulturkontor: „Die Unterrichtsstunde“ (Foto: Sven Heine)
Wo die KFZ zuhause ist (Foto: Jan Fischer)
Staatstheater Mainz: „Kunst“ (Foto: Jan Fischer)
Hinter dem Vorhang verbirgt sich eine Nixe (Foto: Jan Fischer)
Landestheater Tübingen: „Paradies“ (Foto: Jan Fischer) Da kommt noch was nach (Foto: Jan Fischer) Diasona: „Das Weiß und die Sieben Wege“ (Foto: Jan Fischer)
Falk Hocquél eröffnet das KALTSTART – mit der KFZ in der Hand (Foto: Jan Oberländer)
Die Bühne beim PRAG SPEZIAL (Foto: Alexandra Müller)
Die KFZ freut sich über Spenden (Foto: Jan Oberländer)
Salon 5 Wien: „Liebesgeschichte“ (Foto Alexei Rothkirch) DAP: „Rebecca – eine 48-Stunden-Performance“ (Foto: Sven Heine) Die Azubis: „Suicide Boys“ (Foto: Jan Fischer)
Kaltstart
Die KFZ als textbasiertes Blatt gibt es endlich zu: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Auf dieser Seite also, zum letzten Festivaltag: Mehr als 20.000 Worte KALTSTART. Ein Superposter zum Erinnern und An-die-Wand-Pinnen!
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Der Mann, der da sitzt, das ist nicht Jürgen Bartsch. Er
spricht im Konjunktiv, beschreibt, was er tun würde mit
dem Kind, detailliert, unangenehm. Dass er das nicht ist, di-
ese Person, in der Presse oftmals als “Bestie” bezeichnet,
das stimmt das Publikum glücklich, es atmet hörbar auf,
lacht, dahamwirabernochmalglückgehabt.
Er will von jenem Kindermörder erzählen, will beschrei-
ben, wie er tickt, funktioniert, was ihn zu dem Menschen
gemacht hat, der er geworden ist, einer, der mit 15 Jah-
ren seinen ersten Mord begangen, insgesamt vier Kinder
getötet hat und im Begriff war, das fünfte umzubringen, als
er gefasst wurde. Zwischen weißen Wänden sitzt er auf sei-
nem Metallstuhl, schlägt die Beine übereinander, dreht sich
um. An der Wand: Projektionen von ihm, bayerisch angezo-
gen, im Park, im Auto, überall unterwegs, ab und an sieht
man Kinder. Er schaut sich diese bewegten Bilder sekun-
Briefen beschreibt, was ihn getrieben hat zu den Taten,
wie er als Jugendlicher die grausamen Morde begehen
konnte.”Bartsch, Kindermörder” lebt von dieser Offenheit,
auch wenn der Text manchmal etwas holprig und manchmal
sogar zu offenherzig ist. Die Aspekte des Sadismus und
des Sexuellen - sie werden nicht deutlich getrennt, die
Grenzen verwaschen. Hat es ihn sexuell angemacht oder
wollte er die Kinder einfach nur sterben sehen? Vielleicht
ist die Nichtantwort darauf die beste Antwort, die man
bekommen kann.
Getragen wird das Stück, ein Monolog übrigens, eine One-
Man-Show, und das sei an dieser Stelle in aller Deutlichkeit
erwähnt, von dem großartigen Schauspieler Matthias Lier.
Er schafft es mit außerordentlicher Präzision, den Point of
no Return, den Augenblick, in dem der Mann auf der Bühne
zu Bartsch wird, im wahrsten Sinne über die Bühne zu brin-
gen. Der Text wird noch stärker durch Lier und sein Talent.
Auf der Bühne trägt er ein lilafarbenes Hemd, sein Auftre-
ten ist freundlich, nur, wenn er hämisch lacht, da kommt
ein Stück Bartsch durch. Und im Laufe der 75 Minuten, da
bohrt sich dieser Bartsch heraus, der Mensch dort vorne,
der ist am Ende nicht mehr der Erzähler, und der Kinder-
mörder längst kein Konjunktiv mehr - wir haben die Geburt
einer Bestie gesehen, sie war schmerzhaft, sie war intensiv
und manchmal sogar witzig. “Gib mir einen Kuss”, brüllt er
am Ende.
Seine Forderung bleibt unbeantwortet.
“Bartsch, Kindermörder” des Bayerischen Staatsschauspiels
wurde im Rahmen eines Doppelabends im Anschluss an das Stück
“Körpergewicht. 17%” des Nationaltheaters Mannheim aufge-
führt, ebenfalls einem Monolog, fantastisch vorgetragen von
Ragna Pitoll. Torge Küblers Regiekonzept ist das Reduzierteste
des Festivals: Die Spielerin steht vor einem weißen Hintergrund,
bewegt sich die ganzen 35 Minuten nicht, spielt abwechselnd eine
Frau, die Kinder hasst, und einen Geschäftsmann in der Krise. Ein
gelungener Prolog eines wunderbar nachdenklichen Abends.
von Khesrau Behroz
Bartsch bei der Fachlektüre („Eltern“). Foto: Katrin Reiß
denlang an, scheint zu überlegen, dreht sich zum Publikum,
um scheinbar willkürliche Anekdoten zu erzählen, sucht
das Gespräch, fragt einen Zuschauer, ob er denn auch von
der Mutter gewaschen wurde, er sagt ja, natürlich wurde er
das, nasiehstdu.
Natürlich ist das kein Zufall. Es ist eine Rechtfertigung
dafür, dass er selbst mit 19 noch gebadet wurde, es ist der
Versuch, einen Täter zum Opfer zu machen, ihn nicht abzu-
tun, zu fragen, ob nicht vielleicht doch mehr hinter seiner
Geschichte steckt. Als Grundlage dient Regisseurin Marie
Bues der Theatertext von Oliver Reese, der wiederum auf
dem Buch “Das Selbstporträt des Jürgen Bartsch” von Paul
Moor beruht, eines Journalisten, der den Kontakt gesucht
hat, weil er den öffentlichen Tenor nicht akzeptieren und
mehr erfahren wollte. Jürgen Bartsch fi ndet in Moor einen
Zuhörer, dem er sein Innenleben öffnet, der in zahlreichen
Bartsch ,Mensch Das Stück “Bartsch, Kindermörder” ist ein faszinierender Blick in das Innenleben einer vermeintlichen Bestie
Kaltstart
Als Sehnsuchtsort geben entfremdete, melancho-
lische Großstadtmädchen immer gerne Finnland
an. Wir können das nur empirisch belegen, um das
Warum sollen sich die Psychologen kümmern. Wobei
hier nicht das biologische, sondern das performative
Geschlecht gemeint ist: Alle diejenigen zum Beispiel,
die in „Finnisch – Solostück für eine Frau“ von Martin
Heckmanns (Inszenierung: Karin Neidhart) ein grenz-
debiles Grinsen im Gesicht haben, als Sabine Menne
in ihrer Rolle als entfremdetes, melancholisches
Großstadtmädchen davon spricht, dass sie gerne mal
in einer Bank tanzen würde, mit einem T-Shirt, auf
dem „Fantasie“ steht. Menne ist bei Sat1 übrigens
unter anderem zu sehen in „Weibsbilder“ und
„Soko 5113“.
Aber mal von Anfang an, also, eigentlich noch vor
dem Stück, bevor Sabine Menne auf die Bühne
kommt, da läuft, quasi als Warm-Up-Kitsch, schon
die CD von Traumphase, Mennes Band, da geht es
um – Überraschung – melancholische, entfremdete
Großstadtmädchen, und um Jungs. Von denen sich
aber auch konsequent entfremdet wird. Sodann
tappst Menne auf die Bühne und beginnt den Mono-
log, in dem es darum geht, dass sie sich selbst ein
Päckchen schickt, weil der Postbote so toll ist, aber
sie auch nicht so richtig weiß, wie sie ihn ansprechen
soll, und von da aus hebt der Text ab in Prosemi-
nargefi lde der Sprachphilosophie, wo dann darüber
nachgedacht wird, dass Worte ja auch nie so ganz das
sagen, was man eigentlich meint, vor allem nicht so
Worte wie „Liebe“. Oft geht es auch um Finnland, und
Finnisch, aber das ist eher so Nebensache. Das Stück
endet damit, dass der Postmann zweimal klingelt.
Danach läuft wieder Mennes CD.
Karin Neidhardt inszeniert Heckmanns Text völlig
ungebrochen, einfach nur als Erguss von Neoroman-
tikplattitüden aus den frühen 2000ern und Menne tut
ein Übriges, um den Abend mit den anderthalb Stim-
mungen, die sie spielt, völlig zu zerschießen: Einmal
pro Minute ungefähr wechselt sie zwischen Verträumt
und pathologischer Persönlichkeitsstörung, kreist
sich selbst ein in ihrer platten Mädchenhaftigkeit,
bis sie nicht einmal mehr unfreiwillig komisch ist:
„Finnisch“ ist ein vollkommen unglückliches Zusam-
menspiel aus Text, Regie und Schauspielerin, das sich
zu einem Abend amalgamiert, der einen wirklich an
die Flucht nach Finnland denken lässt. Oder irgendwo
anders hin. Nur weg.
Wenn der Post mann zweimal klingelt„Finnisch – Solostück für eine Frau“ ist ein unglückliches Zusammenspiel von Text, Regie und Schauspiel
von Jan Fischer Die Russenmafi a kann einem richtig den Tag versau-
en: Für ein paar Groschen muss man sich auspeit-
schen, zusammenschlagen oder die Frau ausspannen
lassen. Macht echt keinen Spaß. Auch Woyzeck nicht,
der aber irgendwie diesem Haufen Psychopathen
und Zuhältern angehört. Warum würde er sonst mit
ihnen auf die Kirmes gehen? Immerhin entstehen so
anschlussfähige Motive für jugendliche Zuschauer:
Wer hat noch nicht das Gefühl gehabt, beim Autoscoo-
ter abgedrängt oder beim Fangen spielen verarscht
zu werden? Und wenn dann die anderen Büchner-Fi-
guren während der Fahrt durch die Geisterbahn als
Pappkameraden erscheinen, wird die Inszenierung
von Laura Jakschas fast selbstrefl exiv. Denn es sind
tatsächlich nur Klischees, mit denen sie die Bühne
fl utet: Der Hauptmann im Pelzmantel, ein Psycho-
path, wie ihn Dennis Hopper in „Blue Velvet“ spielt,
ein Doktor im Trenchcoat (hä?), ein Tambourmajor
im Glitzerhemd, der dauernd mit seiner Perlenket-
te rumspielt und ein Kind, dem völlig un-PC-mäßig
Attribute psychischer Beeinträchtigungen angehängt
werden. Marie und Woyzeck brechen als Figuren
völlig auseinander: Anfangs durchgeknalltes Lie-
bespaar, das mit dem Motorrad durch Rock’n’Roll-
Momente heizt und als Stammgast bei Beate Uhse
aufkreuzt, dann verzweifelte Singer-Songwriter und
schließlich ist Woyzeck zum psychischen Wrack und
Marie zur schmerzfreien Bitch geworden, weil er zu
viele Erbsen gegessen und sie ein Kleid geschenkt
bekommen hat.
Dabei gibt es sie, die Szenen, in denen die Leitmotive
des Dramas deutlicher herausgearbeitet werden,
etwa, wenn Woyzeck sich aufreibt zwischen dem
Kind, das wie eine Auto-Alarmanlage herum hupt
und dem Hauptmann, der ihm immer wieder seine
Peitsche hinwirft. Das Problem ist: Das ist schon zig
Mal so inszeniert worden. Selbst den Hauptmann als
Bandenchef gab es schon, etwa 2003 an der Schau-
bühne in Berlin. Noch größere Probleme hat die
Inszenierung mit dem Text: Der wird entweder run-
tergeleiert oder pathetisch geschrien. In der „Woy-
zeck“-Inszenierung von Ivna Zic, die am Dienstag
an der Theaterakademie in den Zeisehallen gezeigt
wurde, sind die anderen Figuren Charaktere, die
nicht aus Bösartigkeit eine Zwangssituation schaf-
fen, sondern ihres beschränkten Horizontes wegen.
Bei Laura Jakschas sind sie einfach nur mächtig und
böse. Das ist 130 Jahre nach Erscheinen des Stücks
zu wenig, um auch nur annähernd zu überzeugen.
Die falsch en FreundeWas Laura Jakschas’ „Woyzeck“-Inszenie-rung wollte, wurde nicht wirklich deutlich
von Jan Berning
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Vieles passiert in „Stand-by-me“ erst auf den zwei-
ten Blick, auf den ersten wirkt es verwirrend: Vier
Menschen sitzen auf Stühlen und hangeln sich – ab-
wechselnd zu zweit – an einer Gedankenbewegung
entlang, deren Sinn immer kurz hinter dem Wahrneh-
mungshorizont versteckt scheint: „Ich hab mich voll
ins Mett verlaufen“, ist einer dieser schräg gedrehten
Sätze, oder: „Wie in Bad Salzuflen: Hässliche Pullover
für alle!“ Man möchte jeden dieser Sätze mitschrei-
ben: Lena Biresch, als Regisseurin und Autorin, hat
ihrem Stück ordentlich Wortwitz mitgegeben.
Für die Struktur gibt es Pausen mit elektronischen
Störgeräuschen, die von einem Beat überlagert wer-
den, einem dieser Beats, die direkt ins Herz gehen.
Dann werden die Stühle für den nächsten Dialog
zurechtgerückt. Um der Sache ein bisschen Story zu
geben, sagen alle ständig, dass sie warten. Worauf,
wird nicht erwähnt: Es ist eben einer dieser Zwi-
schenbereiche, in denen Gehörtes und neu Zusam-
mengebautes sich zu weißem Rauschen überlagert.
Wollte man an „Stand-by-me“ herumkritteln, könnte
man sagen: Das ist halt die klassische Phase des
anything goes, so in den 70ern, da hatte man solche
Probleme, von Zitaten, die sich überlagern, bis kein
Zitat mehr ein Original hat. Aber Birechs Gedanken-
bewegung ist nicht so; eher wird der Sinn ins Zitat
zurückgeholt. Nicht in der Überlagerung ist das
Stück gut, nicht in seiner rätselhaften Sinnlosigkeit,
sondern in seinem Wortwitz, mit dem nicht nur die
langweilige Wartezeit ganz gut herumgebracht wird,
sondern hinter dem auch die angegraute Überla-
gerungstheorie zurücktritt. Das Rauschen wird zur
Wortspielhölle. Ist ganz nett da.
Wortspielhölle mit Herzwumms„Stand-by-me“ von Lena Biresch findet den Witz im weißen Rauschen
von Jan Fischer
Bei FRINGE sieht man die unterschiedlichsten The-
aterentwürfe. „Von Motten, Bier und Taschenlampen
– eine Geschichte über pfandfreie Einseitigkeit“ war
eine Collage: Disparate Texte und Szenen zu einem
Thema werden nebeneinander gestellt, im Ideal-
fall ergibt sich dadurch ein Mehrwert. Das Stück
der Gruppe Fehlinterpretierte Projektionsfläche
untersucht das große Thema Liebe und, getreu ihrem
Namen, die projizierte Liebe. Die Untersuchenden
sind drei Menschen, Julian Horeyseck, Anna Nigulis
und Jannika Jira aus Weimar. Die Einzelteile der The-
atercollage sind unter anderem ein Auszug aus Andre
Gorz’ Buch „Brief an D.“, eine Liebeserklärung an die
langjährige Ehefrau des Sozialtheoretikers sowie ein
Nachdenken über sein Werk und dessen Verbindung
zu seiner Ehefrau: „Warum nur bist du in dem, was
ich geschrieben habe, so wenig präsent, während
unsere Verbindung doch das Wichtigste in meinem
Leben gewesen ist?“ Damit beginnt die Collage.
Was folgt sind wechselhafte 30 Minuten: Ein Pärchen
sitzt vor dem Fernseher, er schaltet um, sie ruft ihn
an und fragt ihn, ob er mit ihr zusammenziehen will
– und er stimmt überraschenderweise zu, was sie
dazu bringt, ihr Angebot zurückzuziehen. Die drei
Schauspieler singen Rolf Zuckowskis „Ich bau mir
eine Höhle“, ein nerviger Typ ruft bei einer Frau an
und fragt, warum sie sich nie meldet und ein großar-
tiger, taschenlampenbeleuchteter Chor erklärt, dass:
„Wenn Kollektiv, dann gut!“ Leider sei das Kollektiv
aber meistens böse. Und immer wieder verfallen die
Drei in das bekannte halbdebile Grinsen der Ver-
liebten.
Ihr Ziel, die „emotionale Haltbarkeitsverlängerung“,
erreichen sie jedoch nicht, denn dieser Versuch über
die Liebe bleibt in seiner Collagenhaftigkeit ste-
cken. Die projizierte Liebe fehlt wie D. in Andre Gorz’
Werk. „Von Motten...“ ist eine Materialsammlung
mit viel Potential, aber ohne stringenten Grundge-
danken. Wenn die „Projektionsflächen“ dranbleiben,
könnte sich durchaus ein unterhaltsamer Abend (mit
meisterhaft gesungener Tetris-Melodie!) einstellen.
Weitermachen!
Das Grinsen der Verliebten„Von Motten, Bier und Taschenlampen“ zerlegt die Liebe in ihre Einzelteile
von Alexandra Müller
Hässliche Pullover für alle. Foto: Jan Fischer
Wieder Sonntag 25.07. | 20 Uhr | Foolsgarden
Kaltstart
Es gibt Dinge, die können nach der atomaren Apoka-
lypse weiterhelfen. Schwimmweste und Rugbyhelm
gehören dazu, eine Thermoskanne vielleicht. Ein Ka-
sten Bier schon weniger. Was aber, wenn nicht sicher
gesagt werden kann, ob es tatsächlich eine Apokalyp-
se war, die die beiden Figuren der Aufführung
„Striptease 2010“ (Maximilian von Mühlen, Niklas
Leifert) in diese unübersichtliche Situation geworfen
hat? Alles hier unten spricht die Sprache der Unsi-
cherheit, der Unwägbarkeit: die Strickleiter, die unter
der Decke hängt, ein vor Holzschlag warnender Auf-
steller, eine blaue Tonne, ein Wasserkanister, der auf
Metallfedern vor der Bühne schwankt. Da geht es den
Figuren, die eine im engen roten Ganzkörperanzug,
die andere schwarz geschminkt, wie den Zuschauern:
Was gleich passieren wird, scheint
völlig ungewiss.
Nur eines wird schnell klar: es soll weder eine Ge-
schichte erzählt noch die Situation enträtselt werden
– absurdes Theater eben. Stattdessen nähern sich die
Beiden spielerisch dem Assoziationsfeld zwischen
den Begriffen Freiheit und Sicherheit, rezitieren Ge-
dankenspiele aus der Textvorlage „Striptease 1961“
von Slawomir Mrozek. „Ginge ich auf der Stelle“,
sagt der Rote, „ist das Ausdruck einer Handlung.
Ich würde die Idee der Freiheit einschränken. Bleibe
ich sitzen, habe ich noch die Möglichkeit, eine Wahl
zu treffen“. Während er sich einrichtet und sich die
Grotte schön redet, entscheidet sich sein Kollege
für die äußere Freiheit und erklimmt die Strickleiter.
Doch je mehr die Beiden auf ihr Eingeschlossensein
zurückgeworfen sind, desto gewalttätiger wird die
Aufführung, etwa wenn sich beide kopfüber in der
Tonne steckend durch den Raum bewegen. Aus dem
Wasserkanister fliegen irgendwann Würstchen und
nasse Aktentaschen, der Geschminkte steigt im
Sumoringer-Kostüm und mit einem Kasten Bier aus
dem Wasser, während eine der Flaschen auf der Büh-
ne zerplatzt. Irgendwann ist das Publikum alleine und
klatscht, da sitzen die Darsteller schon vor der Kasse
und trocknen sich die Füße ab. Es ist ein ungemein
charmanter, unprätentiöser Moment, den die Berner
Schauspielstudenten schaffen. Selten ist Theater
auf dem KALTSTART so sorglos und so entrückend
gewesen.
Freiheit oder BierDie beiden Künstler von chicken&egg zeigen absurdes Theater im Waagenbau
von Jan Berning
Gleich zu Beginn bitten uns die Performer, alles Geld,
das wir dabei haben, abzugeben. Gegen Vorzeigen
der Quittung könne man es später zurückbekommen.
Schüchtern leeren wir also unsere Portemonnaies
und bekommen Fragebögen ausgehändigt. Wir sollen
uns gegenseitig befragen. „Worauf sparst du?“, „Wa-
rum hast du deinen Besitz verdient?“ – ein perfekter
Eisbrecher und eine erste Auseinandersetzung mit
dem, was uns erwartet.
Die Performer bitten in den Stuhlkreis. Sie haben
unser Geld gezählt. 620,71 Euro. Ziel des Abends
ist es nun, dieses Geld umzusetzen. Sie führen uns
langsam ran, machen Vorschläge. Zum Beispiel
620 Burger kaufen und so einen ganzen McDonald’s
lahmlegen und die Burger dann verschenken. Mit
den Obdachlosen vor der Roten Flora ein Festmahl
veranstalten. Dazwischen wir. Die Ideen kommen
zögerlich, eine Spielerin bemerkt, sie würde von dem
Geld mit uns essen gehen, wenn wir ihre Freunde
wären – seien wir aber nicht. In kleineren Gruppen
entwickeln wir Konzepte, über die dann abgestimmt
werden soll. Als es dann ans Open Mic geht, um sie
zu präsentieren, sind wir mutiger. Wir verstehen: Wir
haben uns in dieses Spiel eingekauft, das ist unser
Gruppenguthaben, es liegt jetzt bei uns. Es ist die
letzte Chance, unser Geld zurückzubekommen. Viele
steigen aus, holen sich ihr Geld zurück und setzen
sich an den Rand. Wir sind noch zu viert.
„Alles Meins“ konfrontiert mit den eigenen Vorstel-
lungen und Ängsten rund um Geld, Besitz, Eigentum.
Was bedeutet es, etwas zu besitzen? Wann bin ich be-
reit zu teilen? Ich weiß nicht mehr, ob das jetzt echt ist
oder Theater. Wenn wir gewinnen, müssen wir unsere
Idee dann wirklich umsetzen? Haben die am Anfang
gesagt, man kriegt das Geld auf jeden Fall zurück?
Bin ich ein Spießer, weil ich darüber nachdenke? Habe
ich Lust, einfach mal 50 Euro mit Fremden zu teilen?
Kann ich mir das leisten? Aber ich will gern bis zum
Ende spielen. Sehen, was passiert. Heute Abend
wieder – better be there!
Altruismus vs. PartyTheatrale Subversion, Katze und Krieg und die Brotfabrik Berlin zeigen mit „Alles Meins“ ein Happening zu Eigentum
von Laura Naumann
Sonntag 25.07. | 18 Uhr | Haus III & 70
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Zwei Wochen Festival – da erlebt man mehr, als man in einem Satz sagen kann. Wir haben euch trotzdem gefragt, liebe Macherinnen und Macher hinter den Kulissen: WAS WAR EUER KALTSTART-MOMENT 2010? Hier sind die Antworten.
Souvenirs, Souvenirs!
Der Moment, in dem ich das erste Mal das Übergabeprotokoll
der leider kurzfristig erkrankten Autorenlounge-Organisa-
torin las und dort Josef Hader als Lesepartner angekündigt
war. Mein liebster Österreicher und Landsmann bei unserem
Festival!
(Samuel Enslin, Organisationsleitung KALTSTART PRO)
Mein KALTSTART-Moment? Den erlebte ich im Stück „Para-
dies“. Wie Katja Gaudard eine Trinkerin verkörpert hat - das
ging unter die Haut!
(Alexei Rothkirch, Fotograf für KALTSTART im Haus 73)
„Ich bring dich groß raus, Baby!“
(Taylan Günes, Leitung FRINGE)
Es sind zwei Wochen des Fotografierens vergangen. Hängen
geblieben sind zwei Stücke. Zum einen „India Simulator“
in dem das Klischee des Deutschen singend und tanzend
beschrieben wird und zum anderen „Hab ich dir eigentlich
schon erzählt...“ Aber zwei Frage nach zwei Wochen stellen
sich mir immer noch: Wo ist Katrin? Wie sieht sie aus?
(Lisa Kraatz, Fotografin KALTSTART Pro)
Das Licht ist auf Laura Jakschas gerichtet und sie singt ein
Lied voller Sehnsucht und Hoffnung; dieser Moment ließ
mich erkennen, was wir da (eigentlich) Wahnsinniges auf die
Beine gestellt haben.
(Jessica Kellner, Marketing)
...war es zu beobachten, wie sich im Zuge einer Open Air
Performance das Publikum mitten in der kleinen Susan-
nenstraße spontan verdreifachte, irritiert bis begeistert am
Geschehen hängen blieb, während herannahende Autofahrer
anstandslos ihre Motoren abstellten, um der stattfindenden
Kunst den notwendigen Raum zu bieten.
(Christian Psioda, Festivalkoordinator FRINGE)
Ich komme an einem dieser warmen Abende aus einem Stück
im Haus III&70 zurück ins Pressezentrum, gehe in den Gar-
ten und überrasche den Chefkoordinator Daniel Opper dabei,
wie er im Garten des „Lokal“ einen aufblasbaren Swimming-
pool aufstellt. Einen Pool!
Der Mann kriegt einfach alles koordiniert.
(Jan Oberländer, KFZ)
Es ist samstag- letztes KALTSTARTwochenende- muss vor-
zeitig abreisen. familienfest. sitze im internet cafe- haupt-
bahnhof. in 20 minuten werde ich im zug sitzen. das ist mein
KALTSTART- moment 2010. sehe schon die szene: zug fährt
ab. stehe auf, schaue mich suchend um. hamburg wird klein.
renne durch den zug. kein entkommen. KALTSTART vorbei.
unwiderbringlich. öffne das zugfenster und schreie in den
wind: „deutsche bahn, du kannst mich doch nicht einfach mit-
nehmen. moment mal. das kanns doch nicht gewesen sein.
KALTSTART!“ falle erschöpft in den zugsessel und meine
gedanken kreisen: „auf welches Thaterstück kann ich mich
nun freuen? wo bleiben die unterhaltsamen gespräche am
Infocounter, stöckchen bringende hunde, die langen nächte
im Haus 73? großes drama. seufz. bleibt nur die hoffnung auf
das nächste jahr. ja und die schöne erinnerung an die letzten
2 wochen. und jetzt ..KALTSTART lass es am sonntag abend
krachen...mein zug fährt ab... herz, nimm abschied und
gesunde.
(Ursula Merkel, Infocounter, Künstlerbetreuung, Catering, Kasse)
Mein KALTSTART-Moment ist eigentlich der, in dem du rein-
kommst und mich fragst, was mein KALTSTART-Moment ist
und ich antworte, dass mein KALTSTART-Moment eigentlich
der ist, in dem du reinkommst und mich fragst, was mein
KALTSTART-Moment ist und ich antworte, dass mein KALT-
START-Moment eigentlich ...
(Jan Fischer, KFZ)
Blaumänner mit viereckigen Pappköpfen vorm Budnikowsky:
Freiluftirritation im bequemen Hamburg, Open Air at its best!
(Peter Haueis, Orga FRINGE Open Air Special)
Mein absoluter KALTSTART-Moment war, als wir das erste
Mal die bunte Lichterkette im Garten des Lokals anbekom-
men haben. Das war unerträglich kitschig-schön und es war
Sommer. Später wurde gesungen.
(Laura Naumann, KFZ)
Als ich die erste „Fritz-Zitrone“ meines Lebens mit einem
Getränkebon bezahlte und neben mir zwei Männer über den
Psychotest aus Heft 2 lachten. Sweet!
(Alexandra Müller, KFZ)
KALTSTART ist, wenn der Sushimann, der Teil der Perfor-
mance sein soll, eine Stunde zu spät liefert, weil er den
Spielort auf dem Dach eines alten Flak-Bunkers nicht findet
– und die Schauspieler einfach weiterspielen, bis das Essen
kommt…
(Daniel Opper, Gesamtkoordination KALTSTART)
Mein absoluter KALTSTART-Moment war die Rückkehr nach
vier Tagen Pause. Oder sollte ich lieber sagen: die Heimkehr?
(Jo Schneider, KFZ)
„Wir zwei“ spielte bei KALTSTART bereits zum zweiten Mal.
Ich wurde umgehauen von dem Moment, als ich den Auftritt
des Hausmeisters im Stück erwartete, aber stattdessen ein
zartes Wesen im Hasenkostüm erschien und zu „Abenteuer
Die LOKAL-Redaktion. Foto: Martin Schneider
Kaltstart
Als unser Chef vor zwei Monaten ankündigte, wir
würden für zwei Wochen in eine „Stockbettenkommu-
ne“ ziehen, wurde nicht wenigen KFZ-Redakteuren
mulmig zumute: Wir befürchteten eine verstaubte
Ekelherberge voller quietschender Metallbetten.
Doch dann betraten wir das LOKAL, ein popelgrünes
Haus mit charmanten Bröckelputzwänden, wun-
derschönen Flohmarktmöbeln und zwei rosa Mäd-
chenbädern. Es wird gemeinsam von der Pferdestall
Kultur GmbH, AGAPI dialog.konzept.design und der
Cocon Commerz GmbH geführt, unter dem Motto
„permanent temporär ungekannt“.
Wir waren sofort bezaubert. Natürlich war nicht alles
perfekt: Keine Türen in den Schlafzimmern, dafür ein
Garten, durch den regelmäßig ICEs, Güterzüge und
doppelstöckige Interregios (das sind die schlimm-
sten!) dröhnten. Und dann war da noch der Putz, der
in unsere Tastaturen rieselte. Aber vermutlich haben
wir gerade deswegen ein Zuhause hier gefunden.
Wer braucht schon Warmwasser, so lange es W-Lan
gibt! Unsere Journalistenkommune hat sich den Ort
sofort mit Kaffeetassen, Planschbecken und Com-
putern in jeder Ecke zueigen gemacht – und der Ort
hat uns gerne aufgenommen (ganz abgesehen von
Anne, unserer großartigen Gastgeberin). Wir saßen
nächtelang mit Ukulele und/oder Laptop herum, und
wenn wir dann doch irgendwann vom Zugrattern ein-
gelullt wurden, da wussten wir: Wir sind in Hamburg
angekommen.
Am Freitag war einer der „Nachtkäufe“, die regelmä-
ßig in unserem Hamburger Heim stattfinden, mit jun-
gen DesignerInnen, die hier „Konsum für geschlos-
sene Gesellschaften“ anbieten. An Kleiderständern
hing exklusive Mode, Holzkisten und Papiersäcke
waren gefüllt mit Leinen, Seide, Baumwolle. Da sah
man die Bandbreite des LOKAL: Es ist nicht nur ein
Kunstort für Ausstellungen, sondern bietet auch eine
Fashion-Palette vom pastellfarbenen Businesslook
bis zum selbst gestrickten Partytop. Schön!
Für uns aber bleibt das LOKAL immer eins: Per-
manent temporär, aber dabei immer das sweeteste
home, das wir uns hätten ausmalen können.
Kunstraum, Pressezentrum, ZuhauseUnser permanent temporärgut bekanntes LOKAL
von Alexandra Müller
land“ von Pur eine Ballettnummer vom Feinsten ablieferte.
(Thimo Plath, Künstlerische Leitung KALTSTART PRO)
Macht doch nicht alle so ein Theater!
(Clemens Reichle, Technische Leitung KALTSTART)
Mein intensivster Moment war, als ich gespannt auf die näch-
ste Performance in den Waagenbau kam und im Eingangsbe-
reich die Festivalzeitung mit einem Coverbild von mir liegen
sah. In diesem Augenblick wurde mir klar, dass ich bei einem
Festival, das Theater näher und intensiver an Menschen he-
ranbringt, angekommen war und daran ganz direkt mitarbei-
ten konnte. Da wird intensives Arbeiten zum reinsten Spaß!
(Sven Heine, Fotograf bei FRINGE)
Das tolle Wetter – und immer wieder die Parties vor dem
Haus III&70. Sommermärchenatmosphäre!
(Eva Maria Stüting, Leiterin YOUNGSTAR)
Mein persönlicher Glücksmoment waren die Inszenierungen
„Araboy“ und „Sisters“ unter dem Label „Heimathafen Neu-
kölln“. Die junge Regisseurin Nicole Oder hat ein Stück Reali-
tät auf die Bühne gestellt, total unplugged und ohne Effekte,
vertrauend auf die Kraft und Authentizität der Laien- und
Profidarsteller, risikofreudig und uneitel, mit einem Gespür
für Timing, Rhythmus und Drama. Theater, das berührt!
(Andrea Tietz, Leitung FINALE)
Die Gestaltung des KFZ-(Eierlikör)-Trinkspiels
(Caroline Müller, KFZ)
Jeden Morgen aufstehen, den gedeckten Frühstückstisch mit
der (oftmals, nicht immer) vollständigen Redaktion sehen
und trotz unfassbarer Müdigkeit denken:
“Geil, auf ein Neues!”
(Khesrau Behroz, KFZ)
Das Tanzstück „Aussicht-Hölderlin“ der jungen Regisseurin
Katrin Plötner und ihrem bezaubernden Schauspieler vom
Mozarteum Salzburg - das ist Nachwuchsfestival!
(Katrin Reiß, funktionslos)
Als morgens die Kohlen unter den Brötchen auf dem Grill
klickerten.
(Jan Berning, KFZ)
Immer, wenn ich beim Frühstück die Zeitungen aufgeschla-
gen habe und im „Abendblatt“, in der „Süddeutschen“ oder
der KFZ Reflektionen über das Festival standen. Die Bericht-
erstattung hat mich am meisten gefreut – nicht nur für das
Festival, sondern auch für die Künstler.
(Falk Hocquél, Gesamtleitung KALTSTART)
Die Festivalzeitung KFZ zum KALTSTART HAMBURG 2010
wird herausgegeben vom Kaltstart e.V.
Redaktion: Khesrau Behroz, Jan Berning, Stephanie Drees, Clara Ehrenwerth,
Jan Fischer, Alexandra Müller, Laura Naumann, Jan Oberländer (V.i.S.d.P.),
Johannes Schneider.
Gestaltung: www.kirschcake.net.
Aufl age: 500.
Redaktionsblog unter www.kaltstart-hamburg.de/blog.
Schreibt uns unter [email protected].
Face-to-face: Lokal, Max-Brauer-Allee 207, 22765 Hamburg
Mit freundlicher Unterstützung von:
Augenringe. Nachlässigkeit im Style. Diskursgeilheit.
Alkoholpegel. Konzentrationstiefs. Overload. Witz-
fabrik. Insider. Euphorie. Anzeichen von Wahnsinn.
Entfremdung. Rausch. Das Festival im ganzen Körper.
Die Augen weit aufgerissen, dabei fallen sie fast zu.
Wenn ich sie zumache, sehe ich Diskokugeln.
Festspiele, Festwochen, Festivals! Ob Film, Musik,
Tanz, Literatur, Musik, ob als Mitwirkender oder als
Gast, wir lieben das Prinzip: anreisen, einchecken,
und dann volles Programm. So viel wie geht mitneh-
men, ganz viel aufsaugen, wir wollen wissen, was es
gibt, wir wollen sehen, was so geht. Und dann darüber
sprechen und einander kennen lernen, diskutieren,
das Glas erheben, sich echt gut fi nden, in den Groove
kommen, FOREVER sagen und wissen, dass das nicht
stimmt, traurig sein darüber, dann aber wieder nicht,
sondern nur im Moment und froh, und rein ins nächste
Stück und dann zum nächsten Bier und dann auf den
Dancefl oor oder bis zum Morgengrauen auf den Bier-
bänken sitzen bleiben und rauchen bis zum Husten.
So geht Festival.
So geht das sechs, sieben Tage wunderbar, bei zehn
ist Zenit, danach wird es härter. Heute ist Tag 13 von
14 bei Kaltstart, die Redaktion bastelt an der letzten
Ausgabe der KFZ, gestern Nacht war sie im Kino, in
einer Actionkomödie mit Cameron Diaz („Kamerun-
Dias“, solche Insider), weil eine Theaterpause her
musste und nichts Besseres kam. Tja.
von Laura Naumann
Ekst ase vs. Ersch öpfun�
Alle sind ein bisschen langsamer als noch vor einer
Woche und ein bisschen irrer. Es werden schneller
Gegenstände nach Kollegen geworfen und schnel-
ler die Arbeit für ein kleines Powernapping, aus
dem dann zwei Stunden werden, unterbrochen. Die
Festivalmitarbeiter stehen aufrecht, aber auch ihnen
sieht man die Anstrengungen der letzten Wochen und
Monate an. Eine weitere Woche würde keiner so recht
schaffen, trotzdem sehnt man das Ende nicht herbei.
Das Festival als der alleraffektierteste Effekt: An
die Grenzen der Aufnahmefähigkeit gehen, den
Eindrucksfi lter hochregeln, die Müdigkeit in Schach
halten, den Absturz voraussehen, wissen: Sanft lan-
den kann man nicht. Und sagen: „Alter, ich bin mega
fertig“, es aber in Wirklichkeit geil fi nden.
Dies ist ein Bekenntnis zur Affektiertheit! Wir sagen:
Augenringe statt Sonnenbrille! Abgefuckt statt auf-
gestylt! Zu viel Festival statt kein Festival! Das alles
kultivieren. Das ist der Festivallook, Kids, so muss
das aussehen! Sich abrocken über 14 Tage Theater,
Theater, Theater. Megatheater. Sehen, bis man nichts
mehr sehen kann, reden, bis wirklich alles gesagt
wurde und wach sein, bis man von alleine einschläft.
Darum fahren wir da ja hin, das wissen wir, wenn wir
die Koffer packen, darauf freuen wir uns, wenn wir
uns den Festivalpass holen. Nächstes Jahr dann wie-
der. Und wieder. Forever.
IMPRESSUM
KFZ Kolumne:Affektierte Effekte VII