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Klar Nr. 34 Frühjahr 2015 www.linksfraktion.de Zeitung der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag Was für Ungerechtigkeiten in Deutschland: Konzerne freuen sich über gewaltige Profite, aber viele Menschen bekommen für harte Arbeit nur Dumpinglöhne. Die einen kassieren Traumrenditen für ihre Immobilienanlagen, die ande- ren verzweifeln an steigenden Mieten und Energiepreisen. Die Regierung schwärmt vom Jobwunder, aber viele Menschen schuften als Leiharbeits- kräfte und Werkverträgler. Leute mit Job werden wegen Stress und Arbeitsverdichtung krank, aber 3,7 Millionen Menschen sind erwerbslos. DIE LINKE sagt »Schluss damit!« und startet im Mai die große Kam- pagne »Das muss drin sein.«. Das Ziel: Die Lebens- und Arbeitsver- hältnisse von Millionen Menschen in Deutschland verbessern. Fünf Forderungen stehen im Fokus der Kampagne: n Mindestsicherung ohne Sanktionen statt Hartz IV! n Wohnung und Energie bezahl- bar machen! n Mehr Personal für Bildung, Pflege und Gesundheit! n Befristung und Leiharbeit stop- pen! n Arbeit umverteilen statt Dauerstress und Existenzangst! Hoffnung für Europa Alexis Tsipras ist der Sieger der jüngsten Wahlen in Griechenland. Wie der neue Ministerpräsident die Krise bewältigen kann und welche Chancen seine Wahl für den Kontinent bietet auf Seite 3. In Frankfurt am Main hat kürzlich die Europäische Zentralbank (EZB) ihre 1,3 Milliarden Euro teure neue Residenz eröffnet. Zehntausende Bürgerinnen und Bürger aus ganz Europa waren in die Bankenstadt gekommen – nicht zum Fei- ern, sondern aus Protest gegen die EZB und deren fatale Kürzungspolitik, die in den vergangenen Jahren vor allem in den südlichen Ländern der Eurozone zu einer wirtschaftlichen Katastrophe geführt hat. Mehr auf Seite 2 Proteste in der Bankenstadt Die Bundesregierung will den Militärhaus- halt bis zum Jahr 2019 gegenüber den ursprünglichen Planungen um ins- gesamt 8 Milliarden Euro erhöhen. Mehr auf Seite 12 Bundeswehr darf noch mehr Geld verballern Trotz unzähliger Rüstungsskandale! Große Kampagne Mehr auf Seite 5 bis 7 Schon 1,6 Millionen Unterschriften gegen TTIP und CETA Der Widerstand gegen die Handelsabkommen TTIP und CETA wächst. Mehr als 1,6 Millionen Menschen haben eine Europäische Bür- gerinitiative unterschrieben, die die Abkommen verhin- dern will. Auch DIE LINKE sammelte fleißig und über- gab kürzlich 18 000 Unter- schriften. Mehr auf Seite 4 LINKE unterstützt Erzieherinnen Die Arbeit von Erzieherin- nen und Erziehern, Kinder- pflegerinnen und Mitarbei- tern der Jugendhilfe ist hart. Ihre Arbeitsbedingungen und Gehälter sind schlecht. Das soll sich nun ändern: Gewerk- schaften und Beschäftigte kämpfen für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. DIE LINKE unterstützt diesen Kampf. Mehr auf Seite 5 Katja Kipping übergibt der Europäischen Bürgerinitiative gegen TTIP und CETA 18 000 Unterschriften.

Klar #34: Sichere Arbeit, sicheres Leben: Das muss drin sein

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Page 1: Klar #34: Sichere Arbeit, sicheres Leben: Das muss drin sein

KlarNr. 34 ✶ Frühjahr 2015 ✶ www.linksfraktion.de Zeitung der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

Was für Ungerechtigkeiten in Deutschland: Konzerne freuen sich über gewaltige Profite, aber viele Menschen bekommen für harte Arbeit nur Dumpinglöhne. Die einen kassieren Traumrenditen für ihre Immobilienanlagen, die ande-ren verzweifeln an steigenden Mieten und Energiepreisen. Die Regierung

schwärmt vom Jobwunder, aber viele Menschen schuften als Leiharbeits-kräfte und Werkverträgler. Leute mit Job werden wegen Stress und Arbeitsverdichtung krank, aber 3,7 Millionen Menschen sind erwerbslos. DIE LINKE sagt »Schluss damit!« und startet im Mai die große Kam-pagne »Das muss drin sein.«.

Das Ziel: Die Lebens- und Arbeitsver-hältnisse von Millionen Menschen in Deutschland verbessern. Fünf Forderungen stehen im Fokus der Kampagne: n Mindestsicherung ohne Sanktionen statt Hartz IV!

n Wohnung und Energie bezahl-bar machen! n Mehr Personal für Bildung, Pflege und Gesundheit! n Befristung und Leiharbeit stop-pen! n Arbeit umverteilen statt Dauerstress und Existenzangst!

Hoffnung für Europa

Alexis Tsipras ist der Sieger der jüngsten Wahlen in

Griechenland. Wie der neue Ministerpräsident die Krise

bewältigen kann und welche Chancen seine Wahl für den Kontinent bietet auf Seite 3.

In Frankfurt am Main hat kürzlich die Europäische Zentralbank (EZB) ihre 1,3 Milliarden Euro teure neue Residenz eröffnet. Zehntausende Bürgerinnen und Bürger aus ganz Europa waren in die Bankenstadt gekommen – nicht zum Fei-

ern, sondern aus Protest gegen die EZB und deren fatale Kürzungspolitik, die in den vergangenen Jahren vor allem in den südlichen Ländern der Eurozone zu einer wir tschaf tl ichen Katastrophe geführt hat. Mehr auf Seite 2

Proteste in der Bankenstadt

Die Bundesregierung will den Militärhaus- halt bis zum Jahr 2019 gegenüber den ursprünglichen Planungen um ins-gesamt 8 Milliarden Euro erhöhen. Mehr auf Seite 12

Bundeswehr darf noch mehr Geld verballern

Trotz unzähliger Rüstungsskandale!

Große Kampagne

Mehr auf Seite 5 bis 7

Schon 1,6 Millionen Unterschriften gegen TTIP und CETADer Widerstand gegen die Handelsabkommen TTIP und CETA wächst. Mehr als 1,6 Millionen Menschen haben eine Europä ische Bür-gerinitiative unterschrieben, die die Abkommen verhin-dern will. Auch DIE LINKE sammelte fleißig und über-gab kürzlich 18 000 Unter-schriften. Mehr auf Seite 4

LINKE unterstützt ErzieherinnenDie Arbeit von Erzieherin-nen und Erziehern, Kinder-pflegerinnen und Mitarbei-tern der Jugendhilfe ist hart. Ihre Arbeitsbedingungen und Gehälter sind schlecht. Das soll sich nun ändern: Gewerk-schaften und Beschäftigte kämpfen für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. DIE LINKE unterstützt diesen Kampf. Mehr auf Seite 5

Katja Kipping übergibt der Europäischen Bürgerinitiative gegen TTIP und CETA 18 000 Unterschriften.

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Seite 2 ✶ Klar ✶ Frühjahr 2015 ✶ www.linksfraktion.de

Klare Opposition gegen Merkels Eurokrisenpolitik

Kommentar

Nach dem Wahlsieg von Sy-riza Anfang des Jahres ist es noch klarer: Die größte So-lidarität mit Athen ist eine klare Opposition gegen die verantwortungslose Eurokrisenpolitik der Gro-ßen Koalition in Berlin. Es waren die griechischen Schwesterparteien von CDU/CSU und SPD, die einen riesigen Schulden-berg aufgetürmt haben, um sich und der Oberschicht die Taschen vollzustopfen. Und unter der Troika-Dik-tatur konnten die griechi-schen Oligarchen sogar ihre gigantischen Reichtümer noch vergrößern, während Löhne, Renten und Sozial-leistungen zusammenge-strichen wurden. Diese Politik hat eben-falls der deutschen Be-völkerung schweren Schaden zugefügt. Grie-chenland war bereits im Jahr 2010 hoffnungslos überschuldet. Deshalb war

es eine Veruntreuung von deutschem Steuergeld, die Schulden Griechenlands bei Banken und privaten Gläubigern mit öffentlichen Geldern zurückzuzahlen. DIE LINKE hat bereits da-mals dieser erpresseri-schen Klassenkampfpoli-tik von oben im Bundestag nicht zugestimmt und einen Schuldenschnitt gefordert. Auch jetzt will die Bun-desregierung weiterhin mit allen Mitteln eine andere Politik und einen Erfolg von Syriza verhin-dern. Doch ohne ein Ende der Erpressungspolitik, einen Schuldenschnitt und eine konsequente Besteu-erung der Oligarchen kann es für Griechenland kei-nen Ausweg aus der Krise geben.

Von Sahra Wagenknecht

Editorial

Der 70. Jahrestag der Befreiung

Liebe Leserin, lieber Leser,

am 8. Mai 2015 jährt sich zum 70. Mal der Tag der Befreiung vom Faschis-mus. Aber CDU/CSU und SPD, die Mehrheit im Bun-destag, halten es – zumin-dest bisher – nicht für erfor-derlich, dieses Jahrestags und der Millionen Opfer zu gedenken. Das ist bedau-erlich, schließlich mahnt dieser Tag auch an die Verantwortung Deutsch-lands für den Frieden in Europa und der Welt. So bleibt es, dass unsere Fraktion am 7. Mai eine eigene bescheidene Ge-denkveranstaltung in den Räumen des Bundestags mit den Zeitzeugen Alex-ander Gelman und Manolis Glezos begehen wird.Darüber hinaus wirken sich der Ukrainekonflikt und die massive Verschlechterung der Beziehungen des Wes-tens zu Russland auf das gemeinsame Gedenken aus. Vor fünf Jahren nahm Kanzlerin Angela Merkel (CDU) an der traditionellen Sieges parade in Moskau teil.

In diesem Jahr wird es ledig-lich eine Kranzzeremonie von ihr und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin geben. Das ist zwar mehr als nichts, reicht aber nicht aus. Die Sowjetunion hat beim Aggressionskrieg Deutschlands über 27 Mil-lionen Menschen verloren, da hätte es sich für eine deutsche Bundeskanzlerin gehört, an der Siegesparade teilzunehmen. Dabei geht es auch um die sechs Millionen sowjeti-schen Kriegsgefangenen, von denen 3,3 Millionen an den Folgen ihrer Einpfer-chung starben. Die heute noch wenigen Überle-benden sollten entschä-digt und ihr Beitrag zur Befreiung vom Faschis-mus sollte angemessen gewürdigt werden.

Mit solidarischen Grüßen

Gregor Gysi ist Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE

Sahra Wagenknecht ist 1. Stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE

Protest gegen die mächtigste Bank Europas

Der neue Sitz der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main

Diese Eröffnungsfeier hatte es in sich: Inmitten der größ-ten Finanzkrise Europas feiert die Europäische Zen-tralbank (EZB) die Einwei-hung ihrer neuen Zentrale in Frankfurt am Main. Es ist ein wahrer Palast, höher als der Kölner Dom und märchenhafte 1,3 Milliarden Euro teuer. Zur Feier erwünscht sind an diesem 18. März nur handver-lesene Damen und Herren aus Finanz und Politik. Gerade mal 80 Namen stehen auf der Gäs-teliste. Unerwünscht sind jene, über deren Schicksal die EZB täglich entscheidet: die Bür-gerinnen und Bürger Europas. Tausende Polizisten schützen die exklusive Feier, die Stra-ßenzüge um den Bankenturm sind weiträumig abgeriegelt. Dennoch: Mehrere Zehntau-send Menschen haben sich auf den Weg gemacht, um gegen die EZB zu demonstrieren.Einer von ihnen ist der 20-jäh-rige Student Eric Sindermann aus Marburg. »Ich bin hier, um gegen die Sparpolitik der EZB zu demonstrieren«, sagt er. So wie er wissen die angereisten Protestler: Noch nie in ihrer Geschichte hatte die EZB mehr Macht – und diese setzt sie rücksichtslos zum Nutzen der Reichen und Banken ein.Seit Jahren mischt sich die EZB immer dreister in die Regie-rungspolitik einzelner Länder ein, obwohl sie dafür nach eu-ropäischem Recht kein Mandat hat. Sie zwang die Regierung Irlands, private Gläubiger auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger zu retten. Ähnlich agier-te sie in Zypern. In Spanien und Italien bestand sie auf drastischen Sozi-alkürzungen.Zudem sorgt die EZB für eine ge-waltige Umver-teilung von unten nach oben.

Seit Jahren händigt sie europä-ischen Privatbanken Hunderte Milliarden Euro quasi zum Null-tarif aus. Diese zocken damit an den Börsen und bescheren den Reichen astronomische Gewinne. Die Kosten dafür zah-len die Bürgerinnen und Bürger: Wegen dieser Geldschwemme sind die Guthabenzinsen einge-brochen, Sparguthaben verlie-ren dramatisch an Wert. Besonders krass agiert die EZB im Fall Griechenlands. Als Teil der Troika schloss sie

vor einigen Jahren mit einer korrupten griechischen Re-gierung einen Kreditvertrag ab. Dieser stürzte Millionen Menschen in den Ruin, weil die Troika drakonische Kürzungs-maßnahmen erzwang.Als die griechische Bevöl-kerung Anfang des Jahres ihre Regierung abwählen wollte, ließ die EZB die Mus-keln spielen: Schon vor der Wahl machte sie Druck mit verschlechterten Kreditkondi-tionen für Griechenland. Das Gleiche nach dem Wahlsieg der linken Partei Syriza. Das offen-sichtliche Ziel: jede Alternati-ve zur aktuellen europäischen Kürzungs- und Privatisierungs-politik verhindern.Auch deswegen sind so viele Protestler an diesem Tag in Frankfurt: Sie wollen Solida-rität mit Griechenland zeigen und fordern ein Ende dieser EZB-Erpressungspolitik. In den frühen Abendstunden formieren sie einen eindrucks-vollen Protestmarsch: Mehr als 20 000 Menschen ziehen fried-lich durch die Bankenstadt. Er-schöpft, aber glücklich wirkt auch Eric Sindermann nach der Demonstration. »Das war ein positives Signal: Viele Menschen solidarisieren sich mit Griechenland. Hoffentlich kommt der Protest auch bei Herrn Schäuble an«, sagt er. »Wenn nicht, dann komm ich wieder!«

Bei den Protesten gegen die europäische Kürzungspolitik am 18. März war auch DIE LINKE dabei.

Unzufrieden mit der Politik der EZB: Student Eric Sindermann aus Marburg

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Am 25. Januar 2015 schrieb die griechische Bevölkerung Geschichte. Bei den nationa-len Wahlen triumphierte die linke Partei Syriza. Bis tief in die Nacht feierten die Menschen auf dem Universitätsplatz in Athen. Wenige Tage später wird Syri-zas Spitzenkandidat Alexis Tsi-pras zum Ministerpräsidenten gewählt. »Einen Glücksfall für Europa« nennt ihn Gregor Gysi, Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. Endlich müsse auf eu-ropäischer Ebene wieder über eine Wende in der Politik disku-tiert werden. Vor dem neuen Minister-präsidenten liegt eine Her-kulesaufgabe. Bereits vor fünf Jahren war Griechenland überschuldet. Doch anstatt Banken, Versicherungen und Hedgefonds, die für Kredite an das Land jahrelang hohe Zinsen kassiert hatten, für die Staats-pleite bluten zu lassen, entwi-ckelten Kanzlerin Merkel (CDU) und andere europäische Spit-zenpolitiker einen teuflischen Plan: Sie schufen die Troika aus Internationalem Währungs-fonds, EU-Kommission und Europäischer Zentralbank, die mit der damaligen griechischen Regierung wahnsinnige Kredit-verträge schloss.

Infolge dieser Verträge beka-men Banken und private Gläu-biger zunächst ihre Kredite mit öffentlichen Geldern zurück-gezahlt (siehe Grafik). Jetzt haften in Höhe von über 60 Milliarden Euro die deutschen Steuerzahlerinnen und -zahler. Gleichzeitig bestand die Troi-ka in Griechenland auf drasti-schen Kürzungen bei Löhnen, Renten und Sozialleistungen. Seit dem Jahr 2009 ist die Wirt-schaft um mehr als ein Viertel geschrumpft. Die Arbeitslosig-keit hat sich in wenigen Jahren vervierfacht. Jeder zweite Ju-gendliche bis 25 Jahre ist ar-beitslos. Dadurch sinkt die Fähigkeit Griechenlands, die Kredite eines Tages zu-rückzahlen zu können. Tsipras muss nun die huma-nitäre Katastrophe – Armut, Obdachlosigkeit, Hunger – ab-wenden und trotz der Erpres-sungspolitik der Troika einen Weg aus wirtschaftlicher Ka-tastrophe und Überschuldung finden. Doch die Widerstände sind gewaltig. Angeführt von der deutschen Regierung tor-pediert die Troika bisher einen Kurswechsel in Athen. Kanzlerin Merkel & Co. pochen darauf, dass die mit der alten

Regierung geschlossenen Be-dingungen auch für die neue gelten müssen. Geld soll es nur geben, wenn harte Vorga-ben befolgt werden. Die herrschende Politik in Berlin und Brüssel scheint zu befürchten, dass die neue Politik der griechischen Re-gierung auch von anderen Ländern aufgegriffen wird. In Rom demonstrierten jüngst knapp 100 000 Gewerkschaf-terinnen und Gewerkschafter gegen die Arbeitsmarktrefor-men der italienischen Regie-rung; in Madrid rebellierten vor Kurzem Zehntausende vornehmlich junge Menschen gegen die hohe Arbeitslosigkeit in Spanien. Organisiert hatte die Proteste die linke Partei Po-demos (deutsch: Wir können). Sie kann bei den nächsten Wah-len stärkste Kraft werden. Pablo Iglesias, Spitzenkandidat von Podemos, ist wie Tsipras ein erbitterter Gegner der Troi-ka und ihrer Kürzungsdiktate. Er kündigt an: »Das ist das Jahr des Wandels, nicht nur in Spa-nien, sondern in ganz Europa.« In Spanien wird im November gewählt. Möglich, dass dann auch die spanische Bevölke-rung Geschichte schreibt.Ruben Lehnert

Die BankenrettungWie wurden die rund 227 Milliarden Euro aus den sogenannten Hilfs- programmen seit dem Jahr 2010 ausgegeben?

Hoffnung für EuropaDer Wahlsieg von Syriza kann die Machtverhältnisse in Europa ändern

Dimitrios Papadimoulis, griechischer Vizepräsi-dent des Europäischen Parlaments, über Auswe-ge aus der Krise

Warum ist Griechenland trotz vieler Hilfsprogram­me hoch verschuldet?Dimitrios Papadimoulis: Die Programme waren dazu be-stimmt, die europäischen Banken zu retten. Das Geld ist niemals beim griechischen Volk angekommen. Das Volk hat diese Programme niemals gewählt, es ist nicht einmal gefragt worden.

Was sind die wichtigsten Ziele der neuen Regierung?Unser Bestreben zielt da-rauf ab, die einseitige und harte Kürzungspolitik zu beenden. Wir wollen die Wirtschaft auf nachhaltige Entwicklung ausrichten und eine tragfähige Lösung für die Staatsschulden finden, unter anderem indem wir eine Brückenlösung anstre-ben zwischen dem bisheri-gen Kreditprogramm, das

gescheitert ist, und einem neuen Programm.

Was passiert, falls die europäischen Institutio­nen auf weiteren Sozial­kürzungen bestehen? Ich möchte der Regierung keine öffentlichen Ratschlä-ge erteilen, weil das den laufenden Verhandlungen schaden könnte. Ganz allge-mein sage ich, dass es nach den harten Einschnitten bei Löhnen und Renten von im Durchschnitt mehr als 30 Prozent in den vergangenen fünf Jahren keinen Spielraum für weitere Kürzungen gibt.

»Das Geld kam nie beim griechischen Volk an«

Nur knapp 8 Prozent landeten im griechischen Staatshaushalt, mehr als 90 Prozent flossen an Banken, Fonds und private Gläubiger.

Tilgungen bei privaten Banken und Gläubigern:39 Prozent

Finanzierung der Rück-zahlungen an private Banken und Gläubiger:15 Prozent

Rekapitalisierung der Banken: 21 Prozent

Schuldenrückkauf von Banken und privaten Gläubigern: 5 Prozent

Zinsen an private Banken und Gläubiger:12 Prozent

Dimitrios Papadimoulis ist Vizepräsident des Europäischen Parlaments und Mitglied von Syriza

Quelle: Bloomberg, EU-Kommission, eurostat 2015

Aufstand in Athen: Der neue griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras kämpft für einen Politikwechsel nicht nur in Griechenland.

Griechischer Haushalt: 8 Prozent

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Was sind CETA und TTIP? Die Abkürzungen stehen für zwei Handelsabkommen. TTIP wird zwischen der EU und den USA verhandelt. CETA ist ein nach fünf Jahren ausverhan-deltes Abkommen zwischen der EU und Kanada.

Warum sind sie gefährlich? Weil sie internationalen Kon-zernen eine Garantie auf Pro-fit geben. Alles, was in Europa die Interessen von Konzernen behindert, soll langfristig aus dem Weg geräumt werden: Gewählte Parlamente sollen entmachtet, Arbeitnehmer-rechte ge-schleift und bewährteStandardsbeim Umwelt- und Verbrau-cherschutz geschwächtwerden.Zudem soll es für internatio-nale Konzerne eine konzern-freundlicheSchattenjustiz geben: private Schiedsge -richte. Vor diesen könn-ten Konzer-ne all jene Entscheidun- gen von Par-lamenten an-fechten, die ihre Profitinteressen behindern.

Was ändert sich für Konsumenten? Es besteht die Gefahr, dass sich die Qualität von Nah-rung, Trinkwasser, Kosmetik und Umwelt für Konsumen-tinnen und Konsumenten stark verschlechtert. Nahrung könnte Gentechnik, Pestizide und Wachstumshormone enthalten, weil verbraucher-schützende Vorschriften als Handelshemmnisse gelten und abgeschafft oder ein-geschränkt werden sollen. Trinkwasser könnte in Zu-kunft teurer und schlechter werden, denn wegen TTIP und CETA droht die noch stärkere Privatisierung der Wasserver-

sorgung und damit auch eine Verschlechterung

der Qualität. Die Umwelt könnte

demnächst mit Chemikalien verseucht sein, denn auch in Deutschland droht der Einsatz von Fracking.

Immer mehr Menschen engagieren sich gegen die HandelsabkommenRuck, zuck, den Widerstand gegen TTIP und CETA abwür-gen – so muss sich das die EU-Kommission im vergange-nen Sommer gedacht haben, als sie Bürgerinnen und Bür-gern eine EU-Unterschriften-sammlung gegen die Handels-abkommen untersagte. Die beiden Abkommen gerieten zu dieser Zeit gerade in den Fokus der Öffentlichkeit, und ein Bündnis wollte eine offizi-elle Europäische Bürgerinitia-tive starten – eine Art Petition und Unterschriftensammlung, die vor wenigen Jahren von der EU eingeführt worden war, um mehr Bürgerbeteiligung zu ermöglichen. Doch darauf hatte die EU-Kommission offensichtlich keine Lust: Sie lehnte die Initiative rundweg ab.

Doch die Macher der Bür-gerinitiative – 250 Nichtre-gierungsorganisationen aus 21 Mitgliedsstaaten – ließen sich nicht einschüchtern. Im Oktober starteten sie eine selbst organisierte Europäische Bürgerinitiative. Ihre Forderung: Die EU-Kommission soll die TTIP-Verhandlungen abbrechen und das EU-Kanada-Abkommen CETA nicht abschließen. Nach nur drei Monaten die Sensati-on: eine Million Unterschriften. Jetzt, Ende März, sind es schon mehr als 1,6 Millionen Unter-schriften. Der EU-Kommission dürfte das nicht gefallen. Zudem berichten immer mehr Medien kritisch über die Abkommen: Sie thema-tisieren die Gefahren für die Menschen (siehe rechts) und den Zickzackkurs von Wirt-

schaftsminister Gabriel. Der verspottete jüngst sogar TTIP-kritische Bürgerinnen und Bürger. Öffentlich erklärte er die TTIP-Kritik in Deutschland damit, dass es ein reiches und hysterisches Land sei. Auch deswegen: Immer mehr Bürgerinnen und Bürger or-ganisieren sich. Noch bis zum Oktober sollen Unterschriften gesammelt werden. Das Ziel sind mindestens zwei Millio-nen Unterschriften. Zudem soll es diverse Aktionen und De-monstrationen geben. So soll der Druck auf die nationalen Regierungen erhöht werden, denn die entscheiden auch über TTIP und CETA und wer-den im Gegensatz zur Kommis-sion gewählt und wollen auch wiedergewählt werden.Ewald Riemer

Eine Europäische Bürgerinitiative benötigt insgesamt eine Million Unterschriften sowie eine Mindestanzahl an Stimmen in sieben EU-Ländern. In den rot markierten Ländern wurde das »Länderquorum« bereits erfüllt.

Der Faktencheck zu den gefährlichen Abkommen

Wie Sie TTIP & CETA verhindern können!

Bitte schnellstmöglich

zurückschicken an:

Stop TTIPGreifswalder Str. 4

D-10405 Berlin

Gegenstand:

Wir fordern die Institutionen der Europäischen Union und ihre Mitgliedsstaaten

dazu auf, die Verhandlungen mit den USA über die Transatlantische Handels- und

Investitionspartnerschaft (TTIP) zu stoppen, sowie das Umfassende Wirtschafts-

und Handelsabkommen (CETA) mit Kanada nicht zu ratifizieren.

Wichtigste Ziele:

Wir wollen TTIP und CETA verhindern, da sie diverse kritische Punkte wie Inves-

tor-Staat-Schiedsverfahren und Regelungen zur regulatorischen Kooperation

enthalten, die Demokratie und Rechtsstaat aushöhlen. Wir wollen verhindern,

dass in intransparenten Verhandlungen Arbeits-, Sozial-, Umwelt-, Datenschutz-

und Verbraucherschutzstandards gesenkt sowie öffentliche Dienstleistungen

(z. B. Wasserversorgung) und Kulturgüter dereguliert werden. Die selbstorgani-

sierte EBI unterstützt eine alternative Handels- und Investitionspolitik der EU.

EUROPÄISCHE BÜRGERINITIATIVE

GEGEN TTIP UND CETAwww.stop-ttip.org

SELBSTORGANISIERTE

Unterschriften sammeln Hier können Sie online unterschreiben: www.ttip-unfairhandelbar.de

Sie können auch selbst Unterschriften sammeln. Die Listen gibt es hier: www.stop-ttip.org/de/ unterschriftenlisten

InformierenHintergrundinformationen und News gibt es auch auf der Seite der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag: www.linksfraktion.de/ ttip-stoppen

Informationen verbreitenInformieren Sie Freunde und Bekannte. Sind Sie auf Face-book aktiv, dann teilen Sie die Seite der Kampagne: www.facebook.com/eci.ttip

Schon 1,6 Millionen Unterschriften

Widerstand gegen TTIP & CETA

Warum sind TTIP und CETA gefährlich für Kommunen?Kerstin Kassner: Aufgrund ihrer angespannten Finanz-situation sind viele Kommu-nen schon jetzt gezwungen, große Teile der öffentlichen Daseinsvorsorge zu privati-sieren. Durch TTIP und CETA wird dieser Liberalisierungs-druck noch einmal gesteigert. Damit werden privaten Inves-toren lukrative Geschäftsfel-der eröffnet, während die kommunale Bevölkerung mit den Auswirkungen der folgenden Gewinnmaximie-rung zu kämpfen hat. Kom-munale Schutzregeln, wie etwa Sozialchartas, werden außer Kraft gesetzt, und eine Rekommunalisierung bereits privatisierter Betriebe wird ausgeschlossen.

Wie können sich Kommu­nen dagegen wehren?Sie müssen ihre Einwoh-nerinnen und Einwohner über die Gefahren solcher Freihandelsabkommen auf-klären. Parlamentarische Initiativen, wie Anfragen an Verwaltungen, Anhörungen und Anträge, können dabei ebenso öffentlichkeitswirk-sam genutzt werden wie au-ßerparlamentarische Initia-tiven. Mandatsträger sollten eine Zusammenarbeit mit lo-kalen Bündnispartnern nicht scheuen sowie zu Demonst-rationen aufrufen und diese unterstützen. Wie können sich Bürge­rinnen und Bürger gegen TTIP und CETA engagieren?Bürgerinnen und Bürger kön-

nen innerhalb ihres Familien- und Bekanntenkreises Auf-klärungsarbeit leisten. Des Weiteren können sie sich in zivilgesellschaftlichen Bünd-nissen gegen die Freihandels-abkommen engagieren. Und nicht zuletzt können sie die selbst organisierte Europä-ische Bürgerinitiative »Stop TTIP« unterstützen.

Kerstin Kassner ist Sprecherin für Kommunalpolitik der Fraktion DIE LINKE

»TTIP und CETA erhöhen den Liberalisierungsdruck«

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www.linksfraktion.de ✶ Frühjahr 2015 ✶ Klar ✶ Seite 5

Katja Kipping ist Vorsitzende der Partei DIE LINKE und sozialpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. Bernd Riexinger ist Vorsitzender der Partei DIE LINKE und Mitglied im Vorstand der Fraktion DIE LINKE.

Warum startet DIE LINKE diese Kampagne?Katja Kipping: Die Arbeits- und Lebensverhältnisse von immer mehr Menschen werden immer unsicherer. Existenzängste be-stimmen stärker denn je den Alltag.

Was meinen Sie genau damit?

Kipping: Dass immer mehr Menschen wegen befristeter Jobs ihre Zukunft nicht planen können, Mietwucher sie zu Umzügen zwingt, Jobcenter sie drang-salieren und es kaum gute Arbeitsplätze gibt. Es geht uns um Men-schen, deren Kinder in Armut aufwachsen. Die in unfreiwilliger Teilzeit von einem schlecht be-zahlten Job zum nächs-ten hetzen und nur mit Angst an ihr Alter den-ken können. Das wollen wir thematisieren und verändern.

Wie?Bernd Riexinger: Wir treten ein für ein Gesetz gegen sach-grundlose Befristun-gen und Leiharbeit. Wir streiten für eine sanktionsfreie Min-destsicherung an-stelle von Hartz IV.

Wir kämpfen für eine gerechte Verteilung der Arbeit durch Ar-beitszeitverkürzung statt Dau-erstress und Burn-out. Und wir

wollen Wohnungen und Energie bezahlbar machen und mehr Personal bei Bildung, Pflege und Gesundheit einstellen.

Will die Kampagne nicht ein bisschen viel?Kipping: Es geht uns um nicht weniger als um das gute Leben, das für jeden und jede drin sein muss. Wir betteln nicht um Almosen, wir streiten für Selbstverständlichkeiten in einem so reichen Land.

DIE LINKE ist im Bundestag in der Opposition. Wie wollen Sie all diese Forderungen durchsetzen?Riexinger: Beim Mindestlohn haben wir bewiesen, dass es

sich lohnt, einen langen Atem zu haben. Jetzt wollen wir zu-nächst unsere Forderungen in die Öffentlichkeit bringen. Kipping: Bei einzelnen Aspek-ten sehe ich gute Chancen, sie per Gesetzesänderung um-zusetzen, etwa durch die Ab-schaffung der Sanktionen bei Hartz IV oder mit dem Verbot von Kettenbefristungen.

Wie wirkt die Bundes ­ tags fraktion an dieser Kampagne mit?Kipping: Sie unterstützt die Kampagne im Parlament. Hier bringt sie Anträge ein, setzt Themen und fühlt der Bundes-regierung auf den Zahn. Außer-dem engagieren sich die Abge-ordneten in ihren Wahlkreisen für diese Kampagne.

Welche Bündnis­partnerinnen und ­partner helfen bei der Kampagne?Riexinger: Das ist vom Thema abhängig. Wir arbeiten eng mit Erwerbsloseninitiativen zusam-men, mit Beschäftigten und Ge-werkschaften. Wir kooperieren mit Mietervereinen und sozia-len Bewegungen.

Wie können die Bürgerinnen und Bürger bei der Kampagne mitmachen?Riexinger: Vor Ort kann man sich an die Abgeordneten und ihre Wahlkreisbüros wenden. Aber es gibt auch zentrale Ak-tionen, über die wir im Netz informieren. Auch wer noch nie DIE LINKE gewählt hat, ist herzlich eingeladen.Interview: Ruben Lehnert

»Es geht um das gute Leben«Auch wer noch nie DIE LINKE gewählt hat, kann bei der Kampagne »Das muss drin sein.« mitmachen, sagen Katja Kipping und Bernd Riexinger

Die Kampagne »Das muss drin sein.« startet am 1. Mai, läuft meh-rere Jahre lang und besteht aus vielen kleinen Kampag-nen, in denen Men-schen ihre Wünsche, Ideen und Interessen einbringen und sich engagieren können! Weitere Informati-onen und vieles an-dere mehr unter: www.das-muss-drin-sein.de

Starke Zunahme bei befristeten JobsAnzahl der befristeten Arbeitsverträge in Deutschland, in Millionen

Quelle: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung

2003 2007 2009 20112005 2013

1,6

62

1

,987

2

,351

2,

397

2,68

1

2,73

4

Erzieherinnen und Erzieher, Kinder-pflegerinnen oder Mitarbeiter der Jugendhilfe verbringen oft mehr Zeit mit Kindern als deren eigene Eltern. Ob in Krippe oder Kita, für die Mädchen und Jungen sind sie Vorbilder und Be-zugspersonen. Deutschlandweit gibt es rund 530 000 Beschäftigte, die in der Kindertagesbetreuung arbeiten. Rund 90 Prozent von ihnen sind Frauen.Ihre Arbeitsbedingungen und Ge-hälter sind schlecht. Erzieherinnen steigen bei Vollzeit mit rund 2.300 Euro brutto ein – rund 600 Euro weni-ger im Monat als der Durchschnitt der Beschäftigten. Kinderpflegerinnen kommen bei Berufsstart sogar nur auf 2.000 Euro brutto. Viele von ihnen müs-sen Teilzeit arbeiten; niedrige Renten sind so programmiert. Kein Wunder, dass etwa 40 Prozent der ausgebilde-ten Beschäftigten im Laufe der Jahre ihrem Beruf den Rücken zuwenden. Das

soll sich nun ändern. Seit Anfang des Jahres verhandeln die Gewerkschaften ver.di und GEW für die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst mit den kommunalen Arbeitgebern über einen neuen Tarifvertrag. Mittels der Eingruppierungsordnung – einer Art Gehaltstabelle für die Sozial- und Erzie-hungsdienste – sollen Lohnerhöhungen von durchschnittlich 10 Prozent erzielt werden. Zudem soll bei einem Wechsel des Arbeitsplatzes die bisherige Berufs-erfahrung berücksichtigt werden. Das soll die Berufe aufwerten und den Fach-kräftemangel reduzieren. Gelingt ein Durchbruch, wirkt er sich auch auf Beschäftigte bei freien und kirchli-chen Trägern positiv aus.DIE LINKE unterstützt im Rahmen der Kampagne »Das muss drin sein.« die Forderung nach mehr Lohn und einer Aufwertung der Sozial- und Erziehungs-berufe. Eines der zentralen Ziele

dieser Kampagne besteht darin, mehr Personal in Kitas, Schulen, Krankenhäusern und Pflegeheimen einzustellen. Jutta Krellmann, ge-werkschaftspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, sagt: »Gut funktio-nierende soziale Dienstleistungen sind für die Gesellschaft unverzichtbar.«

Gute Arbeit müsse auch gut bezahlt werden. Mit dem Antrag »Aufwertung der Sozial- und Erziehungsdienste jetzt!« hat DIE LINKE Ende März den Arbeitskampf im Bundestag thema-tisiert und für zusätzliche öffentliche Aufmerksamkeit gesorgt.Ruben Lehnert

Im Rahmen der Kampagne »Das muss drin sein.« unter-stützt DIE LINKE die Beschäftigten im aktuellen Tarifkampf

Erzieherinnen verdienen mehr!

Unterstützung für die Anliegen der Kitabeschäftigten bei einer Demo in Hamburg

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Schon der erste Termin im Job-center war ein Schock. Nach der Insolvenz ihres Betriebs für Son-nenschutzanlagen musste die 61-jährige Doris Hammer im Jahr 2006 Hartz IV beantragen. »Man hat mich behandelt, als sei ich ein unmündiges Kind«, erinnert sich die Berlinerin. Bis heute wurde ihr kein vernünftiger Job angeboten, stattdessen steck-te man sie in sinnlose und teure Maßnahmen und in Ein-Euro-Jobs. Ihre Bilanz: »Hartz IV ist darauf angelegt, einem die Würde zu nehmen. Viele Menschen haben resigniert und glauben nicht mehr an Veränderung. Aber das Ein-zige, was hilft, ist, sich zur Wehr zu setzen.«

Was Personalmangel im Gesundheitswesen be-deutet, weiß Dana Lütz-kendorf. Seit mehr als 15 Jahren arbeitet die 38-Jäh-rige als Intensivpflegerin an der Berliner Charité. »Hier brennt es«, sagt sie. Stellen wurden massiv ab-gebaut, gleichzeitig stie-gen die Patientenzahlen: Mittlerweile muss sich auf manchen Stationen eine einzige Pflegekraft um bis zu 15 Patienten kümmern. Viele Pflegekräfte leiden unter Dauerstress und dem Gefühl, den Patienten nicht die notwendige Pflege und Aufmerksamkeit angedei-hen lassen zu können. »Man will alles für sie geben, holt alles aus sich heraus«, sagt

sie, aber das habe Grenzen. Nehme man sich Zeit, blei-be etwas anderes liegen. Ein innerer Konflikt, den jeder mit sich selbst ausma-chen muss. Einige Pflege-kräfte zerbrechen an diesen Belastungen, andere geben auf oder leben mit einem schlechten Gewissen. Die-sen Konflikt hat Dana Lütz-kendorf selbst jahrelang gespürt und irgendwann einen Ausweg gefunden. Seit dem großen Charité-Streik im Jahr 2011 ist die Intensivpflegerin gewerk-schaftlich aktiv und kämpft für bessere Arbeitsbedin-gungen und mehr Personal im deutschen Gesundheits-wesen. »Man muss sich halt wehren«, sagt sie.

Seite 6 ✶ Klar ✶ Frühjahr 2015 ✶ www.linksfraktion.de

Der private Reichtum in Deutschland wächst und wächst, laut Bundesregie-rung sprudeln die Steuer-einnahmen, und oft ist die Rede vom Jobwunderland. Gleichzeitig erhalten immer mehr Menschen für harte und ehrliche Arbeit Dumpinglöh-ne, müssen teilweise noch aufstocken und verzweifeln an steigenden Mieten und Energiepreisen. Jobcenter bieten oft nur Leiharbeit und Werkverträge ohne Sozialver-sicherung an.

Millionen Menschen wurde durch Hartz IV im Jahr 2005 die existenziell wichtige Arbeits-losenhilfe gestrichen, ersetzt wurde sie durch eine unter dem Existenzminimum angesiedelte Fürsorgeleistung.Armut – insbesondere Kinder-armut – ist seitdem gestiegen.Millionen Menschen wurden durch Hartz IV systematisch in schlecht bezahlte und unsiche-re Beschäftigungsverhältnisse gezwungen.

Wen betrifft es? n Mehr als 6,1 Millionen Men-schen, die derzeit Hartz IV beziehen, darunter mehr als 1,5 Millionen Kinder.

n Indirekt auch Menschen, die arbeiten: Hartz IV sorgt dafür, dass die Ängste vor dem sozi-alen Abstieg durch Arbeitslo-sigkeit steigen.

Das muss drin sein! n Kurzfristige Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze auf 500 Euro für Erwachsene, mittel-fristig mit Miete auf mehr als 1050 Euro, bei hohen Mieten durch Wohngeld ergänzt.

n Sanktionen und Ein-Euro-Jobs sofort abschaffen.

n Bedarfs- und Einsatzge-meinschaften abschaffen, Individualprinzip bei Be-rücksichtigung der Un-terhaltsverpflichtungen einführen.

n Zwangsumzüge stoppen.

Die Mieten in Deutschland stei-gen seit einigen Jahren rasant – insbesondere in Großstädten und Ballungszentren.

Der durchschnittliche Strom-preis für Haushaltskunden ist seit dem Jahr 2007 um zirka 43 Prozent gestiegen.

Bundesweit steigt die Zahl der Zwangsräumungen und der Wohnungslosen.

Wen betrifft es? n Millionen von Privathaushal-ten mit durchschnittlichem oder niedrigem Einkommen.

n Fast sieben Millionen Men-schen wurden allein im Jahr 2013 Stromsperren angedroht, bei mehr als 340 000 Menschen wurden diese dann tatsächlich verhängt.

Das muss drin sein! n Pro Jahr bundesweit 150 000 neue Mietwohnungen mit Sozialbindung schaffen: be-darfsgerecht, barrierefrei, energieeffizient!

n Wirksame Mietpreisbrem-se einführen: Kommunen sollen Höchst mieten festle-gen können!

n Mietenexplosion durch Modernisierung und energe-tische Sanierung stoppen!

n Verbot von Mieterhöhung allein wegen Neuvermie-tung!

n Wohngeld individualisie-ren und Heizkosten einbe-ziehen; kostenloses Grund-kontingent an Strom!

In deutschen Krankenhäusern fehlen 162 000 Stellen, darunter mehr als 70 000 für Pflegekräfte.

Die häusliche Pflege ist unter-finanziert, weil die Pflegesätze viel zu niedrig sind. Die Folge: zu wenig Personal, eine enorme Arbeitsverdichtung, schlechter werdende Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne. Pflege wird auf »Pflege im Minutentakt« reduziert.

Gesetzlich Versicherte müs-sen im Gegensatz zu Privatver-sicherten viel länger auf einen Termin warten, besonders bei Fachärzten.

Wen betrifft es? n Zweiklassenmedizin benach-teiligt gesetzlich Versicherte.

n Pflegenotstand betrifft Men-schen, die in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen oder zu Hause auf Pflege angewiesen sind, dort arbeiten oder sich um Angehörige kümmern.

Das muss drin sein! n Mehr Personal für Bil-dung, Pflege und Gesund-heit einstellen – Kitas, Schulen, Krankenhäuser finanziell stärken!

n Privatisierung von Kran-kenhäusern und öffent-licher Daseinsvorsorge stoppen!

n Verbindliche Mindest-personalbemessung für Krankenhäu-ser entspre-chend dem Bedarf einfüh-ren!

DIE KAMPAGnEMindestsicherung ohne Sanktionen!

Mehr Personal für Bildung, Pflege und Gesundheit!

Wohnung und Energie bezahlbar machen!

Hartz IV nimmt Würde

Hier brennt es

Kämpft gegen Hartz IV: Doris Hammer aus Berlin

Setzt sich für mehr

Pflegekräfte ein: Intensivpflegerin

Dana Lützkendorf.

Page 7: Klar #34: Sichere Arbeit, sicheres Leben: Das muss drin sein

Viele Menschen – vor allem junge Menschen und Frauen – hangeln sich von einem be-fristeten Job zum nächsten. Lebens- und Familienplanung wird so immer schwerer.

Die Zahl der Leiharbeitskräfte hat sich in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht. Sie werden schlechter entlohnt als die Stammbelegschaften. Menschen mit Werkverträgen erhalten noch weniger Lohn. Insgesamt sind 7,5 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse be-fristet. Tendenz steigend.

Wen betrifft es? n Mehr als 900 000 Leiharbeits-kräfte, außerdem Menschen mit Werkverträgen, deren Zahl in den vergangenen Jahren stark zugenommen hat.

n Mehr als 2,7 Millionen Men-schen mit befristeten Arbeits-verträgen.

Das muss drin sein! n Verbot von Leiharbeit!

n Starke Regulierung von Werkverträgen!

n Kettenbefristungen und sachgrundlose Befristungen untersagen!

Nils-Holger Böttger wurde ge-kündigt, nachdem er sich für die Rechte von Leiharbeitskräften eingesetzt hatte. Der 35-jähri-ge Betriebsrat bei WEA Service Ost, einer Tochterfirma des Windanlagenbauers Enercon, hatte dagegen protestiert, dass Leiharbeiter am Wochenende ohne Bezahlung an Weiterbil-dungen teilnehmen müssen. »Hier wurden Leiharbeitskräfte systematisch schlechter be-handelt als Festangestellte«, sagt er. Seine Kritik äußerte er erst intern, später öffent-lich. Vor dem Arbeitsgericht Magdeburg scheiterte das Unternehmen schließlich mit der Kündigung. »Es war richtig, dass ich den Mund aufgemacht habe«, sagt er heute. In Böttgers Betrieb arbeiten häufig zwei Festange-stellte in leitender Funktion mit mehreren Leiharbeitskräften zu-sammen. Die Leiharbeitskräfte bekommen rund zwei Euro pro Stunde weniger als die Stamm-belegschaft, obwohl viele von ihnen sechs, manche sogar zehn Jahre lang für den Wind-anlagenbauer arbeiten.

Einerseits kommen viele Men-schen in unfreiwilliger Teilzeit oder Minijobs kaum über die Runden, andererseits leiden immer mehr Menschen unter Überstunden und Dauerstress.

Arbeit macht immer mehr Menschen krank. Der Anteil der Personen, die aufgrund seelischer Erkrankung früh-zeitig in Rente gehen, ist von 15 Prozent im Jahr 1993 auf mehr als 40 Prozent im Jahr 2011 gestiegen.

Die Anzahl der Arbeitsausfallta-ge aufgrund psychischer Krank-heit ist von rund 33 Millionen im Jahr 2001 auf fast 60 Millionen im Jahr 2011 gestiegen.

Wen betrifft es? n Im Jahr 2012 arbeiteten rund zwei Millionen Beschäftigte 49 Stunden oder mehr pro Woche.

n In den Jahren 2011 bis 2013 wurden laut Auskunft der Bun-desregierung jeweils etwa 1,4 Milliarden bezahlte Über-stunden geleistet. Das ent-spricht rund 730 000 Vollzeit-arbeitsplätzen.

Das muss drin sein! n Arbeit umverteilen statt Dauerstress und Existenz-angst!

n Mehr Mitbestimmung für Beschäftigte in Bezug auf Arbeitszeit und -gestaltung!

n Einführung einer Anti-Stress-Verordnung, Stärkung des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes!

n Arbeitszeitgesetz ändern: Maximale Wochenarbeits-zeit von 48 auf 40 Stunden senken!

Tagsüber leitet Siegfried Meyer die Medienwerkstatt einer dia-konischen Einrichtung im nieder-sächsischen Hameln. Um über die Runden zu kommen, verdient sich der 56-Jährige nachts als Postzusteller ein paar Hundert Euro hinzu. Sein Arbeitstag be-ginnt häufig gegen 3 Uhr nachts, manchmal noch früher. Bis 5 Uhr müssen Zeitungen, Werbung

und Briefe zugestellt sein. Dann fährt er nach Hause, frühstückt – und macht sich auf den Weg zu seiner Arbeitsstelle. Dort schafft der gelernte Informatiker 38,5 Stunden pro Woche, vermittelt Gruppen den Umgang mit Com-putern und kümmert sich um die IT. »Das alles ist sehr, sehr stres-sig«, sagt er. »Mir fehlt es oft an Schlaf, lange kann man eine solche Doppelbelastung nicht durchhal-ten.«

www.linksfraktion.de ✶ Frühjahr 2015 ✶ Klar ✶ Seite 7

Machen Sie mit!Wollen auch Sie gegen hohe Mieten, Hartz IV, Leiharbeit, schlechte Gesundheitsver-sorgung aktiv werden? Dann machen Sie mit bei der Kam-pagne. Bringen Sie eigene Ideen und Wünsche ein, tref-fen Sie andere engagierte Menschen, und nehmen Sie an vielfältigen Aktionen teil.

Die Kampagne »Das muss drin sein.« startet am 1. Mai, läuft mehrere Jahre lang und besteht aus vielen kleinen Kampagnen, in denen Men-schen ihre Wünsche, Ideen und Interessen einbringen und sich engagieren können. Eine erste große Aktionswo-che findet vom 8. bis 14. Juni 2015 bundesweit statt.

Informationen, Aktionen und mehr finden Sie unter: www.das-muss-drin-sein.de

Haben Sie weitere Fragen, dann schreiben Sie an: [email protected]

Gleichzeitig leiden viele derjeni-gen, die einen Job haben, unter immer mehr Stress und Arbeits-verdichtung. DIE LINKE sagt: »In einem so reichen Land wie Deutschland muss mehr drin sein.« Um diese Ungerechtigkeiten zu themati-sieren und zu beheben, startet sie die große Kampagne: »Das muss drin sein.« Klar zeigt, welche Probleme die Kampagne aufgreift und wie sie zu lösen sind.

DIE KAMPAGnE

Arbeit umverteilen!

Befristung und Leiharbeit stoppen!

Das ist sehr stressig

Leiharbeiter wurden schlechter behandelt

Umverteilung muss drin sein!

Dietmar Bartsch ist 2. Stell­vertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE

Die Bertelsmann-Stiftung ist keine linke Denkfabrik. Doch mit Studien zu Kinder-armut und Lohnentwicklung hat sie schreiende Miss-stände aufgezeigt. Fast ein Fünftel der unter Dreijährigen wächst in Familien auf, die von Grundsicherung leben. Abc-Schützen armer Eltern haben doppelt so viele Defizite wie solche aus Elternhäusern mit gesichertem Einkommen.Die Löhne driften auseinan-der. Seit 20 Jahren sind sie bei dem Fünftel mit den höchs-ten Gehältern gestiegen. Das Fünftel mit dem geringsten Verdienst musste Verluste hinnehmen.Unter prekären Umstän-den leben Arbeitslose und Alleinerziehende, Flücht-linge und Pflegebedürfti-ge, zahlreiche Studierende und Ältere, Minijobber und Pendler. In heikler Lage ist die »Generation Praktikum«, sind sich selbst ausbeutende Kleinunternehmer, Hebam-men, Kreative, nicht wenige Bäuerinnen und Bauern.

Benachteiligung hat viele Gründe – viel zu wenig Ein-kommen, Stress, Rechtsunsi-cherheit. Diskriminierung zu überwinden, geht alle etwas an. Weil es jeden treffen kann und weil die Gesell-schaft die Solidarität aller braucht.Bei der Bekämpfung von Armut versagt die Bundes-regierung. DIE LINKE legt den Finger in die Wunde. Sie startet eine Kampagne gegen unsichere und nicht planbare Arbeits- und Lebensverhält-nisse. Die Umverteilung von oben nach unten muss drin sein!

Engagiert sich für Leiharbeiter: Betriebsrat Nils-Holger Böttger.

Schuftet Tag und Nacht: Siegfried Meyer.

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Seite 8 ✶ Klar ✶ Frühjahr 2015 ✶ www.linksfraktion.de

Was empfinden Muslime angesichts der Pegida­Auf­märsche?Aiman Mazyek: Sie machen sich Sorgen, haben Angst. Zwar wissen sie, dass die bei Pegida artikulierten Meinungen nicht die der Mehrheit der Deutschen sind, aber dennoch hat sich das Gefahrenpotenzial erhöht.

Was meinen Sie damit?Fast im Wochentakt gibt es Anschläge auf Moscheen, wer-den Musliminnen und Muslime angegriffen, auf der Straße

bespuckt oder beleidigt. Viele versuchen deswegen, unsicht-bar zu sein: Sie meiden be-stimmte Orte zu bestimmten Zeiten und leben mit dem Ge-fühl, es könnte was passieren. Ich will nicht dramatisieren, aber ich habe das Gefühl, dass diese wachsende Bedrohungs-situation gegen Musliminnen und Muslime oft noch nicht so wahrgenommen wird.

Sind Sie überrascht von Pegida?Anfeindungen, wie sie bei Pe-

gida-Demos geäußert werden, bekommen wir mit steigen-der Tendenz seit Jahren als E-Mails, Briefe oder Anrufe. Ich spreche nicht von Mails im Wochen-, sondern oft im Stun-den- und sogar Minutentakt. Viele dieser Hassschreiben sind sogar mit Namen verse-hen. Auch daran erkennt man, dass die Hemmschwelle ge-sunken ist, sich rassistisch, antidemokratisch oder anti-muslimisch zu äußern. Diese Stimmung ist schon seit Jah-ren da, nur haben sich diese

Leute bisher nicht auf die Stra-ße getraut. Jetzt tun sie das.

Warum wächst die Islamfeindlichkeit?Seit Jahren nutzen Rassisten und Rechte quasi eine Art Leer-stelle in unserer Gesell-schaft aus:

Es fehlen erprobte Ächtungs-mechanismen gegen Islam-feindlichkeit, wie es sie für An-tisemitismus zum Beispiel gibt. Sich offen antisemitisch in der Gesellschaft zu äußern, trauen sich viele Menschen nicht, weil die Gesellschaft das konse-quent sanktioniert. Das heißt nicht, dass es weniger Antise-miten gibt. Aber zumindest weiß die Gesellschaft, wie sie sie im öffentlichen Diskurs, in der Politik und den Medien einiger-maßen in die Schranken weisen

kann. Bei Islamfeindlichkeit ist das noch nicht der

Fall, und das nutzen Rassisten aus.

Aiman Mazyek ist Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland.

Derzeit wird allerlei behauptet – Der Klar-Faktencheck

Das Märchen vom Asylmissbrauch

»Muslime haben Angst«

Die Zahlen der Pegida-Demonstranten gehen derzeit wieder nach oben. Um Abgrenzung zu Neofa-schisten sind die Pegida-Organisatoren dabei nicht mal mehr bemüht. Beide kochen ihr rassistisches Süppchen mit kruden Behauptungen und ver-drehten Tatsachen. In den Parlamenten be-ginnt sich die Alternative für Deutschland (AfD) zu etablieren, deren Mobi-lisierungskraft sich aus einem gefährlichen Mix aus Halbwissen und Vorur-teilen speist. Ein Beispiel: Pegida wie AfD verbreiten gern die Zahl von 600 000

Menschen, die trotz ab-gelehnten Asylantrags in Deutschland bleiben. Pro Jahr? Keineswegs: Diese Zahl hat sich über drei Jahr-zehnte summiert. Doch sol-che Fakten stören nur die Lust an der Panikmache. Die wird im Übrigen nicht nur von AfD und Pegi-da betrieben, sondern auch von CDU und CSU. Sie verbreiten seit den 1980ern die Mär vom laxen Umgang mit abgelehnten Asylbewerbern. AfD und Wutbürger schaf-fen eine Stimmung, in der sich rechte Schläger als Vollstrecker des Volks-willens fühlen können. Fachleute melden seit dem Auftreten von Pegida einen massiven Anstieg rassis-tischer Überfälle, die Zahl der Angriffe auf Flüchtlings-heime hat sich innerhalb von drei Monaten verdop-pelt. Politiker und Journa-listen werden persönlich bedroht. Diesem Treiben muss endlich Einhalt ge-boten werden.

Ulla Jelpke ist innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE

2012 2013 2014**

n Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte*n Demonstrationen gegen Asylbewerber und -heime

Steigende Gewalt gegen Flüchtlinge

150

125

100

50

25

0

Worte und Brandsätze

BEHAUPTUnG Es gibt so viele Asylbewerber wie noch nie!Die Zahl der Flüchtlinge und die damit verbundene Zahl von Asylanträgen stei-gen seit einigen Jahren. Im Jahr 2014 wurden 202 834 Asylanträge gezählt und damit 59,7 Prozent mehr als im Jahr 2013. Was je-doch oft verschwiegen wird: Im Jahr 1992 gab es mehr als doppelt so viele Anträge (siehe Grafik unten rechts).

BEHAUPTUnG Deutsch-land nimmt die meis-ten Flüchtlinge auf!In absoluten Zahlen nimmt Deutschland in-

nerhalb der Europäischen Union (EU) tatsächlich die meisten Flüchtlinge auf. In Re-lation zur Bevölkerungszahl nehmen andere Länder der EU aber viel mehr Asylbewerber auf als Deutschland. Bei Län-dern außerhalb Europas ist der Unterschied noch krasser (siehe Grafik unten links).

BEHAUPTUnG Die Flüchtlinge kosten den Staat zu viel!Im Jahr 2013 betrugen die Ausgaben nach dem Asylbe-werberleistungsgesetz für Asylsuchende, Geduldete und Menschen mit humanitären Aufenthaltstiteln 1,5 Milliar-den Euro – das sind 18,50 Euro im Jahr für die Aufnahme von Flüchtlingen für jede Bewoh-nerin und jeden Bewohner der reichen Bundesrepublik.

BEHAUPTUnG Asylbewerber leben in Deutschland in Saus und Braus!Asylsuchende sind oft gezwun-gen, jahrelang in Massenunter-künften zu leben. Sie unterlie-gen anfangs dem Arbeitsver-bot und Beschränkungen bei der Jobsuche; deshalb sind sie meist auf öffentliche Unterstüt-zung angewiesen. Derzeit er-halten bedürftige Asylsuchen-de monatlich 359 Euro für den gesamten Lebensunterhalt – zehn Prozent weniger als der Hartz-IV-Regelsatz.

BEHAUPTUnG Die meisten Flüchtlinge sind keine Kriegsflüchtlinge!Laut Statistik des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge stammte im Jahr 2014 die größte Gruppe der Asylbewer-ber aus Syrien, gefolgt von Ser-bien, Eritrea und Afghanistan – fast alles Länder, in denen ak-tuell Kriege toben oder erst vor wenigen Jahren beendet wurden.

BEHAUPTUnG Deutschland droht die Islamisierung!In Deutschland leben circa 3,8 bis 4,3 Millionen Muslime. Das sind etwa fünf Prozent der Be-völkerung. Umfragen zeigen, dass ihre Zahl oft überschätzt wird. Und: Die Furcht vor dem Islam ist immer dort am höchs-ten, wo die wenigsten Musli-minnen und Muslime leben.Asylbewerber

pro eine Million Einwohnerin ausgewählten Ländern von Juli 2013 bis Juni 2014 *nur syrische Flüchtlinge

Asylanträge in Deutschlandseit 1990, Erst- und Folgeanträge

Quelle: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

1991 1992 1993 1994 1996 1997 1998 1999 2001 2002 2003 2004 2006 2007 2008 2009 2011 20121990 1995 2000 2005 2010 2014

193

063

256

112

438

191

322

599

127

210

166

951

149

193

151

700

143

429

138

319

117

648

118

306

91 4

71

67 8

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50 1

52

42 9

08

30 1

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30 3

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28 0

18

33 0

33

48 5

89

53 3

47

77 6

51

127

023

202

834

2013

* Überfälle, Anschläge, Sachbeschädigungen und tätliche Angriffe mit PMK-rechts Bezug auf Flüchtlings unterkünfte im Jahr 2014** Zahlen sind vorläufig und können sich durch Nachmeldungen ändern. Quelle: Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

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Quelle: Eurostat; UNHCR

Seit Monaten demonstrieren in vielen deutschen Städten (im Bild Dresden) Menschen gegen vermeintliche Überfremdung.

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www.linksfraktion.de ✶ Frühjahr 2015 ✶ Klar ✶ Seite 9

Dank Hightech erfahren in-ternationale Konzerne auch unsere intimsten Geheim-nisse. Studien zufolge kennt Facebook die Interessen sei-ner Nutzer bereits nach einigen »Gefällt mir«-Angaben besser als die eigene Familie. Die US-amerikanische Supermarkt-kette Target kann aus Einkaufs-gewohnheiten schlussfolgern, ob Kundinnen schwanger sind, um ihnen zielgenaue Reklame für Babykleidung und Schnuller unterzujubeln. Das Lieblingsrestaurant, Hob-bys, musikalische, sportliche oder sexuelle Präferenzen – all diese Informationen sind für viele Konzerne enorm wert-voll, weil sie Rückschlüsse auf Konsumgewohnheiten zulas-sen und so gezielte Werbung ermöglichen. Diese Daten werden deshalb gehandelt wie

Waren. Unternehmen sammeln sie, werten sie aus und verkau-fen sie weiter.Doch nicht nur globale Kon-zerne durchleuchten die Menschen. Auch Geheim-dienste spionieren die Bevöl-kerung dieses Planeten so umfangreich aus wie nie zuvor. Besonders gierig ist der US-amerikanische Geheimdienst

NSA. Niemand, der elek-tronische Medien nutzt, scheint vor dieser Überwa-chung sicher zu sein. Laut Medienberichten soll die NSA weltweit kontrollieren können, wer wann wie mit wem kommuniziert, und diese Infor-mationen nahezu vollständig in den USA speichern. Mehr als 100 000 Menschen soll der

Dienst in Echtzeit überwa-chen: Wenn sie ins Internet gehen, eine Mail versenden oder skypen, erfahren das die Agenten sofort und können die Kommunikation live verfolgen. Zudem soll der Geheimdienst sie sogar in Teilen manipulie-ren können.Die NSA kooperiert dabei nicht nur mit Internetkon-zernen wie Yahoo, Google, Apple und greift von ihnen in großem Stil Kommunika-tionsdaten ab. Auch der Bun-desnachrichtendienst (BND) hat für die amerikanischen Kollegen einen Internetkno-tenpunkt in Frankfurt am Main überwacht und gesammelte Daten weitergeleitet.Zwar wird offiziell behauptet, der BND habe keine Informati-onen über Bundesbürgerinnen und -bürger weitergegeben,

denn das wäre verfassungs-widrig. Enthüllungen im Zuge der NSA-Affäre lassen jedoch das Gegenteil vermuten. Denn der BND kann kaum unter-scheiden, welche Daten von Deutschen stammen und wel-che nicht.Die Gier der Geheimdienste kennt keine Grenzen. Bereits heute soll der BND jeden Tag rund 220 Millionen Kommuni-kationsdaten speichern. Doch das reicht ihm nicht: Mehrere Hundert Millionen Euro will die Bundesregierung investieren, um Blogs, Foren und soziale Plattformen noch umfassen-der zu überwachen. Geheimdienste und Konzer-ne fischen – jeder für sich und häufig gemeinsam –, bis ihnen selbst die intimste In-formation ins Netz geht. Ruben Lehnert/Paul Schwenn

So schütze ich mich vor Überwachung:

n Vertrauenswürdigkeit der Anbieter von E-Mail-Programmen, Betriebssystemen und Suchmaschinen überprüfen! Mehr Infos: www.prism-break.org/de

n Sichere Passwörter wählen, regelmäßig wechseln, vertraulich aufbewahren! Mehr Tipps gibt es unter: www.sicherespasswort.com

n Verschlüsselte Programme wie TextSecure oder PGP (Pretty Good Privacy) zur Kommu-nikation nutzen!

n IP-Adresse durch Anonymisierungs-programme verschlüsseln, um digitalen Fußabdruck zu verhindern!

n Smartphones oder andere Mobilfunkgeräte nicht rund um die Uhr mitführen, Ortungs-dienste ausschalten, bei vertraulichen Ge-sprächen auf solche Geräte verzichten!

»Geheimdienste abrüsten«Jan Korte fordert Ge setze, die das Recht auf Privatheit garantieren.

Konzerne und Geheimdiens­te durch leuchten, speichern und analysieren immer mehr persönliche Daten. Wie wirkt sich das aus?Jan Korte: Wer damit rechnen muss, dass eine Mail mit-gelesen wird, dass jemand protokolliert, welche Inter-netseiten man besucht oder mit wem man telefoniert, verhält sich nicht mehr frei. Die Folge sind angepasstes Verhalten und Selbstzensur.

Wie will DIE LINKE die Privatsphäre besser schützen?Der staatlichen Überwa-chung muss Einhalt geboten

werden. Nötig ist eine unab-hängige Auswertung aller verabschiedeten nationalen Sicherheitsgesetze seit dem Jahr 2001. Alles, was unver-hältnismäßig ist, muss aufge-hoben werden. Die Bundesre-gierung sollte sich außerdem für verbindliche internatio-nale Regelungen einsetzen, die das Menschenrecht auf Privatheit schützen.

Wie denn?Sie sollte umgehend aus dem internationalen Überwacher-kartell aussteigen, die deut-schen Geheimdienste ab-rüsten und die Grundrechte der Bevölkerung schützen. Wir brauchen eine moderne Datenschutzgesetzgebung, wirksame Sanktionsinstru-

mente für Datenschutzbe-hörden, um diese Richtlini-en durchzusetzen und ein Beschäftigtendatengesetz, das seinen Namen verdient. Nicht die Entwicklung von Über wachungstechnik, sondern die von Verschlüs-selungssoftware muss staat-lich gefördert werden.

Jan Korte ist stell­vertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE

Wie Konzerne und Geheimdienste uns ausspionieren und mit intimen Informationen Geschäfte machen

Quelle: Eurobarometer 2014, Statista

Besonders viele Deutsche

fürchten Daten-missbrauch

Onlinenutzer, die besorgt sind, dass ihre Daten miss-braucht werden, in Prozent

Deutschland 58

Spanien 52

Frankreich 45

Dänemark 42

Österreich 41

Großbritannien 39

Italien 38

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Esther Bejarano ist die letzte Über-lebende des Mädchenorchesters von Auschwitz. Seit einigen Jahren macht die heute 90-Jährige zusam-men mit der Kölner HipHop-Band Microphone Mafia Musik. Klar hat sie und Kutlu Yurtseven von der Mi-crophone Mafia getroffen.

Was haben Sie gedacht, als die Microphone Mafia im Jahr 2009 eine CD mit Ihnen machen wollte?Esther Bejarano: Ich habe mich er-schreckt, als Kutlu anrief und sagte: »Hallo, hier ist die Microphone Mafia.« Ich hab geantwortet: »Mit der Mafia will ich nichts zu tun haben.«

Trotzdem haben Sie sich auf das Experiment eingelassen.Bejarano: Ja, nachdem ich gehört hatte, dass es um eine antifaschistische CD geht, die auf Schulhöfen verteilt wird, um Nazi-CDs etwas entgegenzusetzen. Ich war begeistert, weil Rappen sehr modern ist und sich so Jugendliche dafür gewin-nen lassen, meine Geschichte zu hören.

Politischer HipHop ist das Markenzeichen von Microphone Mafia. War das immer so?Kutlu Yurtseven: Am Anfang waren wir zwar gegen Rassismus, aber keine politische Band. Unsere Entwicklung dazu begann im Jahr 2000 mit einem Konzert in einem linken Zentrum vor lauter Punks. Wir haben da Menschen getroffen, die mit uns diskutiert haben. Auch über unsere Fehler. Das war unser Glück. Dann kam Kanak Attak …

… eine Organisation von Journalisten und Künstlern aus Migrantenfamilien ... Yurtseven: Sie haben Migrationsge-schichte aus ihrer eigenen Sicht erzählt. So erfuhren wir viel über uns selbst und über unsere Eltern. Die waren lange für uns nur Jasager. Das hat bei uns einen Wandel ausgelöst. So wurden unsere Musik und wir persönlich politisch.

Was verbindet Esther Bejarano und Microphone Mafia musikalisch?Bejarano: Die Rapper schreiben wun-derbare Texte, die sich auf meine Lie-der beziehen. In der Mehrheit sind es politische Lieder, einige sind in Jiddisch und eher folkloreartig. Wichtig ist: Bei uns stehen drei Generationen und drei Religionen auf der Bühne. Wir können zeigen, dass unterschiedliche Kulturen sehr gut zusammenarbeiten.

Sie arbeiten seit Langem gemein­sam gegen Neonazis. Gerade ver­suchen Rechtsradikale, mit der AfD und Pegida Boden zu gewinnen. Wie fühlt sich das an?Bejarano: Das zeigt mir: Viele Men-schen lernen nicht dazu. Aber viel mehr Menschen gehen gegen die schreckli-che Pegida-Bewegung auf die Straße. Das gibt Hoffnung. Aber natürlich bin ich nicht glücklich, dass es immer noch Nazis gibt. Es wurde nicht genug aufge-klärt. Nach 1945 wurde alles verschwie-gen. Der Holocaust war kein Thema.

Sie sind nach der Befreiung vom Faschismus nach Israel ausgewandert, aber später zurückgekehrt. Hat es Sie damals vor Deutschland gegraust?Bejarano: Sehr sogar. Aber einerseits musste ich aus Israel aus gesundheit-lichen Gründen weg. Andererseits ging es darum, dass mein Mann nicht mehr

in den Krieg gegen die Palästinenser ziehen wollte. In ein anderes Land als Deutschland konnten wir nicht. Aber zu-rück in eine deutsche Stadt, in der ich mit meinen Eltern und Geschwistern ge-lebt hatte, das hätte ich nicht verkraftet.

Sie haben sich dann Hamburg ausgesucht. Bejarano: Trotzdem ist es mir schwer-gefallen. Ich konnte lange nicht mit äl-teren Deutschen sprechen. Ich dachte ständig: »Vielleicht ist das der Mörder meiner Eltern oder meiner Schwes-ter.« Wenn ich nicht so wunderbare Menschen, Antifaschisten und Wider-standskämpfer, kennengelernt hätte, könnte ich wohl nicht in Deutschland leben.

Kann man den Kampf gegen Rechtsradikale gewinnen?Yurtseven: Echte Nazis erreichen wir nicht. Aber wir können verhindern, dass sie Jugendliche, die auf der Kippe stehen, geistig vergiften. Man muss diskussionsbereit bleiben, darf nicht mit dem Vorschlaghammer oder erho-benem Zeigefinger kommen.Bejarano: Genau. Ich will verhindern, dass Jugendliche von diesen Nazis ge-krallt werden. Nach Konzerten sagen Leute oft: »Ihr habt mir Mut gemacht. Ich will politisch arbeiten.« Und das ist für mich und die ganze Gruppe wunderbar.Interview: Niels Holger Schmidt

Der Liedermacher und Bundestagsabgeordnete Diether Dehm (DIE LINKE) bewertet Neu erscheinungen.

Dehms Musik-Kritik

Kunze, Maurenbrecher, Ferry & DylanKunze: TiefenschärfeBrillanz in der Handhabung von Gitarren, Klavier, Lyrik und Weltsicht: die neue Doppel-CD des Songphilosophen Heinz Rudolf Kunze und seiner Combo Räuberzivil. Jetzt erst recht verweigert der 58-Jähri-ge den Mainstream-Fetisch Ju-gendlichkeit. Und den Kriegs-dienst: mit einer Hommage an den Deserteur Robert Lim-pert. »Papa hat Geld« ist ein tiefgehender Blick in die In-nenarchitektur des Marktradi-

kalismus. Mit »So wie du bist« zeigt er, wie klug ein Liebeslied aus einfachen Worten ge-macht sein kann. 23 Songs ohne Hänger.

Maurenbrecher: Rotes TuchAuch Maurenbrecher hat die Welt vor Augen und bringt einen rasanten Aufbruch ins Alter. Von Romantik am Flügel über Spott-Reggae bis zur Erzählung im Kiffer-Groove. Der Rolling Stone lobt ihn als »rasend gescheiten Zeitdi -agnos tiker, galligen Satiriker und luziden Essayisten«.

Von ihm gab’s jedenfalls nie das Vorgestanzte, Vorverur-teilte. Auch jetzt nicht: zum durchleuchteten Bürger oder zur ortsüblichen Politiker-schelte. Und auch nicht zum Ukraine-Krieg, wo er die Zyniker aller Seiten mit ihrem Gift beschmiert. Humanisten haben noch nie alle umarmt!

Ferry: AvonmoreMit dem neuen Werk sucht Brian Ferry gar nicht erst der »Post-Roxymusic-Welt« zu ent-kommen. Doch neben dem Ti-telsong singt er mit rauchdüs-terer Stimme einige wunder-

schöne Kompositionen. Aber auch Songs zum Überspringen.

Dylan: Shadows in the nightDylan setzte sich zeitlebens schon mit seinem Alter aus-einander. Zuweilen kokett und manieriert. Aber, jetzt im echten Alter, ist sein American Songbook einfach richtig schön gesungen, laid back und gut zu hören. Frank Sinatra interpretierte das alles nur anders, nicht besser.

Mit der Mafia gegen Rassismus

Bejarano & Microphone MafiaGegründet im Jahr 1989 in Köln, ge-hört Microphone Mafia zu den frühen deutschen Rapgruppen. Seit dem Jahr 2009 steht die Band auch ge-meinsam mit Esther Bejarano auf der Bühne. Seit mehr als dreißig Jahren kämpft Bejarano gegen das Verges-sen, indem sie ihre Geschichte an Schulen er-zählt. Zusam-men nahmen die Künstler zwei Alben auf: »Per La Vita« und »La Vita Continua«. www.microphone-mafia.com

Esther Bejaranos Lebensgeschichte erschien vor zwei Jahren im Laika Verlag unter dem Titel: »Erinnerungen – Vom Mädchen­orchester in Auschwitz zur Rap­Band gegen Rechts«

Kutlu Yurtseven (M.)

und seine Kollegen von

der Microphone Mafia

stehen oft gemeinsam

mit Esther Bejarano

(rechtes Bild) auf der

Bühne.

Page 11: Klar #34: Sichere Arbeit, sicheres Leben: Das muss drin sein

www.linksfraktion.de ✶ Frühjahr 2015 ✶ Klar ✶ Seite 11

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sung per Brief oder Postkarte an: Fraktion DIE LINKE, Deutscher Bundestag, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Unter allen richtigen Einsendungen verlosen wir drei­

mal die CD »Tiefenschärfe« von Kunze. Einsendeschluss ist der 15. Juni 2015. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Beim vorheri­gen Preisausschreiben haben

gewonnen: Ferdinand Junker aus Nürnberg, Else Heiermann aus Duisburg und Karlheinz Andert aus Gera.Herzlichen Glückwunsch!

PreISrÄTSel

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»Was bleiben wird« (Aufbau, 19,95 Euro) von der DDR, er-forschen Gregor Gysi und Friedrich Schorlemmer. Der Publizist Hans-Dieter Schütt moderierte ihr Gespräch.

Sie schreiben: »Die Freiheit kam rücksichtslos.« Was meinen Sie genau?Hans-Dieter Schütt: Die Frei-heit kam überraschend. Über Nacht. Über Maueröffnungs-nacht. Sie nahm keine Rück-sicht auf das, womit Menschen im Osten gerade beschäftigt waren. Sie riss alle mit in die Freude, auch die, die in sol-chen umstürzlerischen, über-wältigenden Momenten eher bedenklich reagieren, furcht-sam, misstrauisch. Erst ist die Freiheit eine Gleichmacherin: Sie steht allen offen. Dann wird

sie wählerisch: Wer ist stark, wer schwach? Dem Schwachen bleibt irgendwann womöglich nur die Freiheit, weiter von ihr zu träumen.

Meint »rücksichtslos« noch etwas anderes?Ja. Wer im Osten lebte, dem wurde plötzlich die differen-zierte Rück-Sicht aufs eigene Leben schwer gemacht. Als wollte er schon immer West-deutscher gewesen sein. Die ganze Vielfarbigkeit des Le-bens in der DDR passte nicht ins einfache, grobe Raster von Tätern, Opfern und Mitläufern. Solche Rücksichts-Losigkeit verletzt Biografien und erzeugt unguten Trotz, den man dann Ostalgie nennt. Individuelles Leben ist stets mehr als jene gesch icht l iche Tendenz, die man später aus Wer-den und Vergehen einer Gesellschaft zimmert. Jede Bio-grafie bleibt ein Rätsel mit vielen U n b e ka n n t e n . Das ist Erzählstoff und darf politisch motivierter Erin-nerungspolitik nicht geopfert werden. Der Mensch kommt ohne Rück-Sicht nicht aus,

er braucht diesen Blick über die eigene Schulter, auf Licht und Schatten des bisherigen Weges. So darf der Hals gern ein Wendehals sein: indem er sich abwendet von denen, die vorschreiben wollen, wie man gefällig gelebt haben soll.

Wie haben sich Gregor Gysi und Friedrich Schorlemmer verändert?Auch wenn es paradox klingt: Sie sind mit Gesprächsdauer stiller geworden. Das wahre Gespräch ist immer auch – ein-ander zuhören.

Was wird bleiben?Von der DDR? Mahnung, dass die Vergesellschaftung des Menschen ein unguter Plan

ist. Die Erfahrung, dass Geschich-te sich nicht auf e in Re ißbret t spannen lässt. Es bleibt dabei, dass nichts bleibt, aber alles möglich ist – nach der Maßga-be des Dichters Samuel Beckett: »Weiter scheitern. Wieder schei -tern. Aber besser

scheitern.« Gilt für jeden Tag und jedes Leben.Interview: Steffen Twardowski

»Frauen arbeiten, genau wie Männer, an öffentlichen Orten. Sie brauchen Ar-beit genauso dringend wie

Männer, ja manchmal sogar noch dringender! Werden wir also endlich unser patriarcha-lisches, ungerechtes Gerede bleiben lassen und die Schleuse des Staudamms der Ausreden endlich schließen?« Für Sätze wie diese wurde der saudische Blogger Raif Bada-wi nach mehreren Verfahren schließlich zu zehn Jahren Ge-fängnis, einer hohen Geldstra-fe und tausend Peitschenhie-ben verurteilt. Der weltweite Protest ist unüberhörbar, nun stellte der Journalist Constan-tin Schreiber eine Auswahl von Badawis Blogtexten zu-sammen. Wir erleben einen mutigen Mann, der grausam bestraft wird, weil er seine Meinung sagt. Der Gewinn aus der Veröffentlichung geht übrigens an seine Familie.

Raif Badawi: 1000 Peitschenhiebe. Ullstein, 64 Seiten, 4,99 Euro

Wer liest, wie präzise Gab-riele Krone-Schmalz den Russland-Uk-raine-Konflikt analysiert, muss sofort an vorurteils-

geladene Bundestagsdebat-ten und schlecht vorbereitete Fernsehtalkshows denken. »Muss man nicht erst einmal etwas verstehen, bevor man es beurteilen kann? Verstehen heißt doch nicht automatisch für gut befinden«, mahnt sie und puzzelt den Beginn des Streits akribisch auseinander: das arrogante Handeln des Präsidenten Janukowitsch ge-genüber den Maidan-Demons-tranten, das arrogante Han-deln der EU gegenüber Putin nach dem Krim-Referendum. Gabriele Krone-Schmalz ent-wickelt Perspektiven entlang der Geschichte der langsamen Annährung zwischen den Su-permächten USA und UdSSR. Weshalb verheddert sich der Westen heute in gefährlicher Rechthaberei?

Gabriele Krone­Schmalz: Russland verstehen. C. H. Beck, 176 Seiten, 14,95 Euro

bÜcherKISTe»Jede biografie bleibt ein rätsel«

Hans-Dieter Schütt

Page 12: Klar #34: Sichere Arbeit, sicheres Leben: Das muss drin sein

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Klar bestellen und in der Nachbarschaft verteilen: Einfach eine E-Mail an [email protected] senden!Die nächste »Klar« erscheint im Sommer 2015

Die Bundesregierung will den Militärhaushalt bis zum Jahr 2019 gegenüber den ursprünglichen Planungen um insgesamt 8 Milliarden Euro erhöhen. Bereits heute beträgt das Rüstungsbudget rund 33 Milliarden Euro. Bei den deutschen Rüs-tungskonzernen dürften die Champagnerkorken knallen: Ihnen winken weitere Mega-Aufträge des Verteidigungs-

ministeriums, obwohl es bei den schon bestehenden drun-ter und drüber geht. Lieferun-gen verspäten sich um etliche Jahre, Kosten explodieren, und etliche Produkte können viel weniger leisten als vereinbart. Allein die 15 größten laufen-den Rüstungsprojekte wer-den 12,9 Milliarden Euro teu-rer als ursprünglich geplant (siehe drei Beispiele rechts). »Skandalös« nennt Christine

Buchholz, verteidigungspoliti-sche Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, diesen Umgang mit Steuergeld. »Das Geld, das den Rüstungskonzernen hinter-hergeworfen wird, fehlt unter anderem im Sozialbereich«, kritisiert sie. Die deutsche Auf-rüstung heize zudem den inter-nationalen Rüstungswettlauf an. DIE LINKE fordert eine Ausgabenbremse für den Militärhaushalt.

Deutschlandweit verteilen viele Menschen ehrenamt-lich die Klar, die Zeitung der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag. Sie tragen dazu bei, die Bevölkerung über

DIE LINKE und ihre Politik zu informieren. Willst Du auch die Klar ver-teilen? Sende dazu einfach eine E-Mail an: versand@links­fraktion.de

Es war ein lang gegebenes Versprechen, das die 64 Frau-en und Männer der Fraktion DIE LINKE zu Jahresbeginn einlösten: Sie schenkten den Knirpsen, Schulkindern und Ju-gendlichen in den SOS-Kinder-dörfern und Familienzentren die stolze Summe von 100.000 Euro, die an die SOS-Kinder in allen 16 Bundesländern verteilt wurde. Die acht sächsischen Bundes-tagsabgeordneten beispiels-weise spendeten dem Kinder-dorf in Zwickau 12.000 Euro.

Es ist die einzige Einrichtung dieser Art in Sachsen. Die Ar-beitsmarktpolitikerin Sabine Zimmermann und Jörn Wun-derlich, der familienpolitische Sprecher der Fraktion, über-reichten die Spende noch im alten Jahr unmittelbar vor Weihnachten. Beim gemein-samen Pfefferkuchenhaus-backen erfuhren sie auch, was die Kinder mit dem Geld anstellen wollen. Denn das war die einzige Bedingung für alle Spenden: Die Kinder sollten selbst entscheiden.

Im Zwickauer Kinderdorf wird es ein neues Drehkarussell geben, dazu kommen noch ein Bodentrampolin und weitere Spiel- und Sportgeräte. Mit Frühlingsbeginn haben die Ar-beiten am Fundament für das Karussell bereits begonnen. Kinder in anderen SOS-Dörfern wünschten sich Reisen ans Meer oder mit dem Hausboot, einen Ballettsaal, Fahrräder, Ausflüge auf Bauernhöfe oder in den Hochseilgarten, aber auch Theaterbesuche und einen eigenen Gemüsegarten. Die Spende stammt aus einer Erhöhung der Diäten für alle Mitglieder des Deutschen Bundestags. Die Fraktion DIE LINKE hatte im Februar 2014 gegen die Diätenerhö-hung gestimmt, konnte sie aber gegen die Mehrheit im Parlament nicht verhin-dern. Keine Abgeordnete und kein Abgeordneter aber wollte sich dieses Geld in die eigene Tasche stecken, und so wurde damals versprochen: Die Di-ätenerhöhung geht an die SOS-Kinderdörfer.Gisela Zimmer

DIE LInKE erfüllt Kinderwünsche Bundestagsfraktion spendete 100.000 Euro für SOS-Kinderdörfer

Die aktuelle Kostenplanung für das deutsch-französische Rüstungsprojekt weicht von den ursprünglichen Verein-barungen ab. Aktuell beträgt der Differenzbetrag 1,1 Milli-arden Euro.

Unterstützungshubschrauber Tiger

Trotz unzähliger Rüstungsskandale will die Regierung den Militärhaushalt erhöhen

Aktuell liegen die Kosten be-reits um 1,1 Milliarden Euro über den ursprünglichen Plä-nen. Trotzdem sind die Trieb-werke weiterhin so mangel-haft, dass der Betrieb zeitwei-se eingestellt werden musste.

Bislang wurden 19 Fahrzeuge, statt der vereinbarten 60, aus-geliefert. Trotzdem kosten die Panzer bereits 2,3 Milliarden Euro mehr als veranschlagt. Und noch immer muss wegen technischer Mängel nachge-rüstet werden.

Transporthubschrauber nH90

Schützenpanzer Puma

Bundeswehr darf noch mehr Steuergeld verballern

Jörn Wunderlich und Sabine Zimmermann im SOS-Kinderdorf in Zwickau.

Ein deutscher Soldat während einer Übung mit

afghanischen Soldaten in Feisabad