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Landtag Mecklenburg-Vorpommern Protokoll Nr. 43 7. Wahlperiode Sozialausschuss K U R Z P R O T O K O L L der 43. Sitzung des Sozialausschusses am Mittwoch, dem 29. August 2018, 09:00 Uhr, in Schwerin, Schloss, Plenarsaal Vorsitz: Abg. Torsten Koplin EINZIGER PUNKT DER TAGESORDNUNG Öffentliche Anhörung zu Soziale Integration von Migrantinnen und Migranten in Mecklenburg- Vorpommern im Allgemeinen sowie von Schutzsuchenden im Besonderen Torsten Koplin Vorsitzender

Landtag Mecklenburg-Vorpommern Protokoll Nr. 43 7 ... · Iman-Jonas Dogesch (MIGRANET Mecklenburg-Vorpommern) erklärt unter Hinweis auf die schriftliche Stellungnahme (Adrs. 7/332-5),

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Landtag Mecklenburg-Vorpommern Protokoll Nr. 43 7. Wahlperiode Sozialausschuss

K U R Z P R O T O K O L L

der 43. Sitzung des Sozialausschusses am Mittwoch, dem 29. August 2018, 09:00 Uhr,

in Schwerin, Schloss, Plenarsaal

Vorsitz: Abg. Torsten Koplin EINZIGER PUNKT DER TAGESORDNUNG

Öffentliche Anhörung zu

Soziale Integration von Migrantinnen und Migranten in Mecklenburg-

Vorpommern im Allgemeinen sowie von Schutzsuchenden im Besonderen

Torsten Koplin Vorsitzender

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_______________________________ Sozialausschuss – 29. August 2018

EINZIGER PUNKT DER TAGESORDNUNG

Öffentliche Anhörung zu

Soziale Integration von Migrantinnen und Migranten in Mecklenburg-

Vorpommern im Allgemeinen sowie von Schutzsuchenden im Besonderen

Ulrike Seemann-Katz (Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern e. V.) führt aus,

dass das Thema sich als sehr komplex und umfangreich darstelle, trotz der

einfachen Fragestellungen des Ausschusses. In der Präambel der allgemeinen

Erklärung der Menschenrechte heiße es: „Da die Anerkennung der angeborenen

Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der

Gemeinschaft der Menschen die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden

in der Welt bildet … jeder Mensch das Recht, in eine Gesellschaft aufgenommen zu

werden und zugleich die Verpflichtung, in diese sich einzubringen.“ Dieses Recht

gelte für alle Menschen und somit betreffe das Themenfeld Integration nicht nur

Personen mit Bleiberecht, sondern alle Menschen unabhängig von ihrem

Rechtsstatus. Gleiche Rechte seien entscheidend dafür, ob Menschen sich integriert

fühlten oder nicht. Allerdings gehörten für den Flüchtlingsrat zu den gleichen Rechten

auch gleiche Pflichten. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Wikipedia und

die Wissenschaft böten jeweils verschiedene Definitionen für den Begriff der

Integration an, insofern falle es schwer, sich in einer Diskussion auf einen

einheitlichen Begriff zu verständigen. Das Land Mecklenburg-Vorpommern verstehe

Integration als dauerhafte Aufgabe, die zusammen mit den anderen Bundesländern,

den Kommunen, dem Bund und der Zivilgesellschaft erfüllt werde. Innerhalb des

Landes solle der Dialog ausgebaut werden. Dies sehe man als aktiven

wechselseitigen Prozess zwischen aufnehmender Gesellschaft und den Migrantinnen

und Migranten. Die Frage, wie eine bestmögliche Integration gelingen könne, lasse

sich nicht pauschal beantworten, da sie von vielen gesellschaftlichen wie auch

individuellen Faktoren abhänge. Insofern brauche man differenzierte

Integrationsangebote entsprechend der jeweiligen Voraussetzungen. Auch seien

verschiedene Phasen der Integration zu unterscheiden. Sowohl die Einbindung in die

Gesellschaft als eine strukturelle Integration unter Beachtung der Bildungsbeteiligung

als auch die Interaktion im Sinne der sozialen Integration und Identifizierung mit der

Gesellschaft spielten eine wichtige Rolle. Die angestrebten Ergebnisse einer

Integration seien in einer demokratischen Gesellschaft immer wieder auszuhandeln,

da neue Kulturen auch Veränderungen der Gesellschaft bedingten. Bei

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Integrationsmaßnahmen seien verschiedene Handlungsfelder zu unterscheiden. Dies

seien Themen wie Bildung, Wohnen, Kultur, Sport, politische Partizipation und

Gesundheit. Die Kommunen verfolgten unterschiedliche Strategien mit oder ohne

Integrationskonzept. Das Handlungsfeld Schule und Bildung sei ein zentrales Thema

der Integration. Derzeit würden Kinder im schulpflichtigen Alter in der

Erstaufnahmeeinrichtung in Stern Buchholz oder in Nostorf-Horst nicht nach Lehrplan

und nicht durch ausgebildete Lehrkräfte beschult. Vielmehr werde dieses durch

ehrenamtliche Helfer übernommen. Dies sei der Rechtsauffassung des Landes

geschuldet, dass nur Kinder, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Mecklenburg-

Vorpommern hätten, der Schulpflicht unterliegen. Es seien Fälle bekannt, bei denen

Kinder in den Erstaufnahmeeinrichtungen über 18 Monate nicht regulär beschult

würden. Das widerspreche aber der von Deutschland seit 2010 ohne weitere

Vorbehalte anerkannten UN-Kinderrechtskonvention, die ein Recht auf Bildung

vorsehe. Hierbei sei insbesondere auf den Artikel 28 der Konvention verwiesen, der

ein Recht auf unentgeltlichen Grundschulbesuch der Kinder ohne Ansehen der

Nationalität oder des Aufenthaltsstatus betone. Andere Bundesländer beschulten

diese Gruppe von Kindern regulär. Im Übrigen schreibe auch die EU-

Aufnahmerichtlinie in der Neufassung von 2013 die Beschulung von Kindern

spätestens drei Monate nach Antragsstellung für einen Schutzstatus vor. Ergänzend

verweise sie auf die schriftliche Stellungnahme (Adrs. 7/332-7).

Hans-Kurt van de Laar (Landkreistag Mecklenburg-Vorpommern e. V.) führt

ergänzend zur schriftlichen Stellungnahme (Adrs. 7/332-3) aus, dass die Integration

von den Landkreisen als Querschnittsaufgabe begriffen werde, welche langfristige

Bemühungen bedürfe. Hierzu brauche es dauerhafte Strukturen auf ehren- und

hauptamtlicher Ebene, einschließlich einer entsprechenden Finanzierung. Es komme

auf eine gute Zusammenarbeit der verschiedenen Ebenen an. Hier sei eine Stärkung

der Landkreise sinnvoll, zum Beispiel bei der Koordination von Aktivitäten und

Angeboten im Bereich der Sprach- und Integrationskurse. Der Landkreistag strebe

an, den Austausch zwischen den Integrationsbeauftragten der Landkreise zu

intensivieren. Zunächst sei ein Treffen der Beauftragten vorgesehen. Auch ein

dauerhafter Austausch sei denkbar. Die Landkreise bestätigten die Aussage des

Flüchtlingsrates, dass es sinnvoll sei, möglichst frühzeitig den Menschen

Teilhabemöglichkeiten wie eine Beschulung und insbesondere den Erwerb der

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Sprache unabhängig vom Stand des Verfahrens zu ermöglichen. Dies hätten die

Landkreise Mecklenburgische Seenplatte und Vorpommern-Greifswald sehr deutlich

hervorgehoben. Der Landkreis Vorpommern-Greifswald habe mit vielen Akteuren

über einen längeren Zeitraum ein umfängliches Integrationskonzept erarbeitet, mit

ganz konkreten und nachprüfbaren Zielen. Der Landkreis Rostock betone das Prinzip

des Förderns und Forderns. Im Rahmen des Asylverfahrens würden Angebote

gemacht, welche aber mit der Erwartung an Migrantinnen und Migranten verknüpft

seien, eigene Bemühungen wie die regelmäßige Teilnahme an den Sprachkursen zu

zeigen. Die Landkreise hätten bei der Frage des Wohnumfeldes angesprochen, dass

es für die Integration von Migrantinnen und Migranten hinderlich sei, sie in

problematischen Wohnvierteln unterzubringen. Hier brauche es bei der Verteilung

des Wohnraumes mehr Augenmaß. Der Landkreis Vorpommern-Greifswald habe

angeregt, ein frühzeitiges gemeinsames Lernen insbesondere bei jungen Menschen,

verbunden mit einem praxisbezogenen Spracherwerb, zu ermöglichen.

Simone Schmülling (Landkreistag Mecklenburg-Vorpommern e. V.) ergänzt aus

Sicht des Landkreises Ludwigslust-Parchim, dass man dort einen runden Tisch zur

Frage der Integration organisiert habe, der vierteljährlich tage. Dieses Instrument

vereine alle Akteure des Handlungsfeldes Integration von der Trägerlandschaft über

die Kirche bis zur Wirtschaft. Es gehe darum, festzustellen, was im Landkreis gut

oder nicht so gut laufe. Auch führe man eine Verweisberatung durch, an der es

ansonsten mangele. Besonders hervorgehoben gehöre, dass die Stadt Ludwigslust

nun einen Integrationsbeirat habe. Dies sei wichtig, da Ludwigslust zusammen mit

der Stadt Parchim die Mehrzahl der Migrantinnen und Migranten, auch aufgrund der

vorhandenen Gemeinschaftsunterkünfte, im Landkreis aufnehme. Die

Integrationsbeiräte unterstützten wesentlich die ehrenamtlichen Strukturen vor Ort,

zusammen mit den Mitmachzentralen.

Iman-Jonas Dogesch (MIGRANET Mecklenburg-Vorpommern) erklärt unter Hinweis

auf die schriftliche Stellungnahme (Adrs. 7/332-5), dass die Integration immer ein

beidseitiger Prozess zwischen Migrantin und Migrant und der Aufnahmegesellschaft

sei. Man müsse aber feststellen, dass sich der Migrations- und Integrationsprozess

zwischen Ost- und Westdeutschland unterscheide. Es gebe in den neuen

Bundesländern ein Nachholbedarf. Man könne von den Fehlern lernen, die in

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anderen Bundesländern gemacht worden seien. Trotz aller Schwierigkeiten sei man

jedoch in Mecklenburg-Vorpommern auf dem richtigen Wege. Ein wichtiges Problem

bleibe aber die Bekämpfung des Rechtsextremismus, insbesondere im ländlichen

Raum, da dieser eine Integration erschwere. Ebenso zu erwähnen sei die mangelnde

Bleibeperspektive von geduldeten Flüchtlingen, die einen Ausbildungsplatz besäßen

und sich u. a. durch Spracherwerb integriert hätten. Auch werde vor allem in

Westdeutschland die Frage von Migration und das Leben im Alter diskutiert.

Michael Hugo (MIGRA e. V.) schickt voraus, dass er zwar aus Rostock komme, aber

die ersten zwei Jahrzehnte seines Lebens in Chemnitz verbracht habe. Für ihn stelle

sich die Frage, wie sich die Stadt von dem Makel der negativen Ereignisse der

vergangenen Tage befreien könne. Bezüglich der Frage der sozialen Integration sei

es von größter Bedeutung, dass bei Geflüchteten eine schnellstmögliche Klärung des

Aufenthaltsstatus erfolge. Dies sei die Voraussetzung, um über Zukunftsperspektive

zu sprechen, sowohl aus Sicht der Migranten als auch der Gesellschaft. Die

bestmögliche Integration sei die Zusammenführung der einheimischen Bevölkerung

mit Menschen, die zugewandert seien, besonders im ländlichen Raum. Hier sei der

Hinweis auf das Jahr 1945 angezeigt, wo knapp die Hälfte der Bevölkerung in

Mecklenburg-Vorpommern Flüchtlinge und Vertriebene gewesen seien. Hier gehe es

darum, diese Erfahrungen mit den jetzigen Flüchtlingen auszutauschen. Ebenso sei

die Frage der Religionsausübung zu beachten. Hier seien zwei Religionen besonders

genannt, die bei den Flüchtlingen selten vorkämen. Zum einen die Bahai und zum

anderen die Christen, die aus Syrien und dem Irak geflohen seien. Es gebe in

Schwerin und Rostock interreligiöse Gesprächskreise. Die Fortsetzung des

interreligiösen Dialogs sei wesentlich, um ein friedliches Zusammenleben zu

gewährleisten. Soziale Integration könne aber nur gelingen, wenn es eine berufliche

Integration gebe. Hierbei sei eine Verbesserung des Arbeitsmarktzuganges für

Zugewanderte mit Flüchtlingsstatus erforderlich. Dies werde zurzeit unter dem

Stichwort Spurwechsel diskutiert. Man müsse akzeptieren, dass es in den nächsten 5

bis 10 Jahre schwierig bleibe, Menschen in den Irak, Syrien oder die Ostukraine

abzuschieben. Zudem gebe es einen Mangel an Arbeits- und vor allem Fachkräften.

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Thomas Letixerant (Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Nord) stellt heraus,

dass ein Aspekt der Integration in Arbeit und Ausbildung von geflüchteten Menschen

die Schlüsselkompetenz des Spracherwerbs sei. In Mecklenburg-Vorpommern gebe

es ein breites und ausdifferenziertes Spektrum an beruflichen Sprachkursen, die man

im Laufe der vergangenen drei Jahre auch immer weiter angepasst habe. Schaue

man auf die Wartezeiten in Hinblick auf die Grundbildung Sprache, also dem

Integrationskurs, so könne man festhalten, dass 54 Prozent der angemeldeten

Menschen innerhalb von 6 Wochen den Zugang dazu erhielten. Dieser Wert

entspreche ungefähr dem Bundesniveau. Allerdings könne diese statistische

Aussage die individuelle Situation einzelner Personen nicht beschreiben. So könne

es passieren, dass einige sehr viel schneller Zugang erhielten und andere wiederrum

müssten viele Monate und damit auch aus Sicht der Bundesagentur zu lange auf

ihren Kurs warten. Dieses sei teilweise den zurückgegangenen Bedarfszahlen

geschuldet, die dazu führten, dass die Zahl der angebotenen Kurse aus

Wirtschaftlichkeitserwägungen der Träger zurückgegangen sei. So brauche es

15 Kursteilnehmer, um eine Wirtschaftlichkeit sicherzustellen. Auch stelle die

Erreichbarkeit von Sprachangeboten insbesondere im ländlichen Raum für die

geflüchteten Menschen ein Problem dar. Die berufsbezogene Sprachförderung, die

mittlerweile die ESF-Sprachförderung abgelöst habe, werde in Mecklenburg-

Vorpommern ordentlich angenommen und bewege sich in den Größenordnungen,

welche die Jobcenter und Agenturen für Arbeit nach ihrer Bedarfsanalyse

vorgesehen hätten. Bei dieser Sprachförderung handele es sich um Module, welche

die Lebenswelten Arbeit und Ausbildung verzahne. Auch würden spezielle Kurse zur

Anhebung des Sprachniveaus angeboten, beispielsweise von der Stufe B1 auf B2.

Das Grundniveau, welches nach einem Integrationskurs vorliege, solle die Stufe B1

umfassen. Diese Stufe werde allerdings zurzeit nur von der Hälfte der

Teilnehmerinnen und Teilnehmer erreicht. Aus Sicht der Berufsberatung der

Bundesagentur für Arbeit lasse sich beim Übergang von Schule in Ausbildung

aussagen, dass die Jugendlichen an Beratung interessiert seien. Allerdings müsse

man feststellen, dass das Wissen über das Bildungs- und Ausbildungssystem in

Deutschland bei diesem Personenkreis unzureichend sei. Die Chancen der

beruflichen Integration seien aber sehr stark von einem beruflichen Abschluss

abhängig. So seien Menschen ohne beruflichen Abschluss fünfmal so stark von

Arbeitslosigkeit betroffen wie Menschen mit einer solchen Ausbildung. Daher sei das

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Wissen über das deutsche Bildungs- und Ausbildungssystem mit entsprechender

Akzeptanz des Systems ein entscheidender Faktor der beruflichen Integration. Die

Bereitschaft in Ausbildung zu gehen, sei bisher nur unzureichend vorhanden. Diese

Bereitschaft müsse erhöht werden, hier bedürfe es auch der verstärkten Anstrengung

der anderen Netzwerkpartner. Ebenso brauche es natürlich auf der anderen Seite

einen Arbeitgeber, der diese Ausbildung zur Verfügung stelle. Grundvoraussetzung

sei dafür Rechtssicherheit in Bezug auf die Bleibeperspektive des jungen Menschen,

damit sich die Investition auf lange Sicht für den Arbeitgeber rentiere. Schaue man

auf das laufende Berufsberatungsjahr, so habe man 178 Abgänge in Ausbildung von

Jugendlichen aus den acht Hauptherkunftsländern, die den Schwerpunkt von Flucht

und Asyl ausmachten. Hinzu kämen 104 Langzeitpraktika, die sogenannte

Einstiegsqualifizierung. Ordentliche Zahlen, die aber noch steigerungsfähig seien.

Bei der Qualifizierung und Aktivierung von geflüchteten Menschen sei der Ansatz der

Agentur für Arbeit, Sprache und Arbeit respektive Arbeitsumfeld frühzeitig unmittelbar

miteinander zu verzahnen. Es sei nicht zielführend, vormittags einen Integrationskurs

zu besuchen, um dann am Nachmittag wieder in seinem bisherigen Umfeld zu

verbleiben. Dies böte keine Chance, die neue Sprache zur Anwendung zu bringen.

Dieser Ansatz könne aber auch zu Überforderungen führen, wenn am Vormittag fünf

Stunden Sprachunterricht und am Nachmittag drei bis vier Stunden Arbeit zu leisten

seien. Betrachte man die geflüchteten Menschen in Mecklenburg-Vorpommern, so

könne man festhalten, dass der typische Flüchtling erstens männlich (drei Viertel der

Gesamtgruppe), zweitens jung (drei Fünftel der Gesamtgruppe seien unter 35 Jahre)

und drittens ohne formalen Abschluss nach deutschen Kriterien sei. Diese Zahlen

legten nahe, dass es sich lohne, in Qualifizierung zu investieren, da bei einer

Bleibeperspektive ein noch sehr langer Verweilzeitraum in unseren Systemen zu

erwarten sei. Idealerweise sollten diese Menschen ein integrierter und beitrags- und

steuerzahlender Bestandteil unserer Gesellschaft werden. Bezüglich der Frage nach

den Hemmnissen bei der Integration in Arbeit stelle man zunächst fest, dass man bis

Juli dieses Jahres bereits ca. 950 Abgänge bei den geflüchteten Menschen in

sozialversicherte Beschäftigung vorweisen könne. Das Institut für Arbeitsmarkt- und

Berufsforschung habe herausgefunden, dass im ersten Jahr nach Ankunft ca. zehn

Prozent der geflüchteten Menschen eine Arbeit finden könnten, nach weiteren fünf

Jahren liege der Wert bei 50 Prozent. Nach zehn Jahren könne bei der

Beschäftigung der Durchschnitt der einheimischen Bevölkerung erreicht werden.

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Schaue man die bisherigen Erfahrungswerte und tatsächlichen Zahlen an, die man

bereits habe, so sei man auf einem vernünftigen aber nicht herausragenden Weg,

der sich mit den wissenschaftlich erwarteten Zahlen decke. Die Hemmnisse seien

unterschiedlich. Zu nennen sei als erstes die Erreichbarkeit von Arbeitsstellen. Dies

gelte allerdings nicht nur für die geflüchteten Menschen. Bei der Kinderbetreuung

seien auch kulturelle Hemmnisse zu erkennen, wie zum Beispiel die fehlende

Akzeptanz von Kinderbetreuung gerade auch im Familienumfeld. Dieses

Akzeptanzproblem müsse in den Netzwerken vor Ort bearbeitet werden. Defizite in

der interkulturellen Kompetenz ließen sich sowohl bei den Geflüchteten als auch auf

der Arbeitgeberseite identifizieren. Helfen könnten Betreuungsstrukturen innerhalb

der Betriebe, welche diesen besonderen Rahmenbedingungen angepasst seien.

Peter Todt (Industrie- und Handelskammer zu Schwerin) betont ergänzend zur

schriftlichen Stellungnahme (Adrs. 7/332) als Schwerpunkt, dass man Fachkräfte

benötige. Für jeden Menschen sei es eine schlimme Erfahrung, sein Land verlassen

zu müssen. Dabei spiele es keine Rolle, ob es zeitlich begrenzt oder für einen sehr

langen Zeitraum sei. Es gelte also entweder eine Zeit zu überbrücken oder für sich

selbst eine neue Zukunft aufzubauen. Dazu brauche man allerdings die

Sprachkompetenz, um sich in seinem Gastland entsprechend bewegen zu können.

Dies betreffe den Alltag, die Schule, die Ausbildung, die berufliche Tätigkeit sowie

den Umgang mit den Ämtern. Es brauche auch ein Grundverständnis der deutschen

Kultur beziehungsweise der deutschen Geschichte, um die Strukturen der

Gesellschaft, Demokratie und öffentlichen Einrichtungen verstehen zu können. Die

wirtschaftliche Entwicklung verlaufe momentan sehr positiv. 75 Prozent der

Unternehmen sagten, dass sie Fachkräfte benötigten. Dies bedeute, dass es

vonseiten der Wirtschaft eine sehr hohe Bereitschaft gebe, zugewanderte Flüchtlinge

in die Ausbildung, in die Wirtschaft, in die berufliche Tätigkeit aufzunehmen. Bei

qualifizierten Flüchtlingen und jungen Menschen gebe es vonseiten der Wirtschaft

eine hohe Bereitschaft, sie über eine Berufsausbildung fachlich zu qualifizieren. Es

müssten immer wieder Zugeständnisse gemacht werden. Die Kunden der

Unternehmen müssten ebenfalls mitmachen. Die Wirtschaft stelle in großem Umfang

Praktikums- und Ausbildungsplätze zur Verfügung. Dafür brauche die Wirtschaft

dann aber die Sicherheit, dass die Investition auch gesichert sei. Es brauche dafür

klare und transparente gesellschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen. Man

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verweise in diesem Zusammenhang auf die 3 + 2-Regelung1 oder die aktuelle

Diskussion zum sogenannten Spurwechsel2. Die IHK zu Schwerin habe auf ihren

Internetseiten die rechtlichen Grundlagen zum Themenkreis „Aufnahme einer

Berufsausbildung“ zusammengestellt. Bei einem klaren Status sei es unkompliziert.

Dieses Wissen habe sich mittlerweile in der Unternehmerschaft verbreitet. Hier

reiche ein Blick in die Papiere des Aspiranten. Dies ändere sich bei einem unklaren

Status und es ergebe sich dann die Frage: Kann man einen Vertrag abschließen und

was muss man gegebenenfalls dabei beachten? Hingewiesen sei an dieser Stelle

noch auf die Meldepflicht des Ausbildungsbetriebes bei Abbruch der Ausbildung oder

dreitägigen unentschuldigten Fehlens des Jugendlichen. Unterlasse der

Ausbildungsbetrieb dies, könne diese Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße in

Höhe von bis zu 30.000 Euro belegt werden. Wichtig sei, dass der Geflüchtete sich

mindestens genauso stark einbringe wie der Ausbildungsbetrieb. Die eigenen

Erfahrungen der IHK mit einem Flüchtling in der Ausbildung seien positiv. Bei älteren

Flüchtlingen reiche oft die Sprachkompetenz nicht aus. Jüngeren hingegen falle es

erheblich leichter, die neue Sprache zu erlernen. Die Bereitstellung von

Sprachförderung sei in Mecklenburg-Vorpommern ausreichend, aber die Flüchtlinge

sollten ihre neuen Sprachkenntnisse auch häufiger nutzen. Man habe als Industrie-

und Handelskammer im Jahr 2012 eine bundesweite Einrichtung zur Anerkennung

ausländischer Abschlüsse „Foreign Skills Approval (FOSA)“ eingerichtet. Im Jahr

2018 wurden von Flüchtlingen aus Syrien 2.595 Anträge auf Feststellung der

Qualifizierung gestellt. In der Regel könnten 50 Prozent der Anträge positiv

beschieden werden, während bei der anderen Hälfte ein Qualifizierungsbedarf

bestehe. In den drei Industrie- und Handelskammern des Landes habe man zum

neuen Ausbildungsjahr 252 Ausbildungsverträge mit ausländischen Jugendlichen

verzeichnet. Für das Kammergebiet Schwerin gebe es über alle Ausbildungsjahre

hinweg 236 Ausbildungsverträge, davon 86 Verträge mit derzeit 20 Nationalitäten für

das neue Ausbildungsjahr. Man stelle zum Thema Arbeits- und Ausbildungsangebot

auf Messen aus und führe Informationsveranstaltungen vor allem mit Unternehmen

durch. Hier stellten sich dann sehr lebensnahe und praktische Fragen.

1 Aufenthaltsrecht für eine dreijährige Ausbildung und anschließend zwei Jahre Berufstätigkeit. 2 Wechsel vom Asylverfahren zur Arbeitsmigration.

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Christian Rosenkranz (Institut für Berufsbildung und Umschulung GmbH) erklärt,

dass er aus Neustadt-Glewe komme, einer für Mecklenburg-Vorpommern typischen

Kleinstadt mit 6.800 Einwohnern, geprägt von landwirtschaftlichen Betrieben im

Umkreis. Dort habe ein Durchschnittsbetrieb 190 Mitarbeiter, aus insgesamt

27 Nationen kommend. Das Institut ist seit 27 Jahren in der Erwachsenenbildung

tätig und seit 2015 Träger der Jugendhilfe und betreibe ein Wohnheim für

unbegleitete minderjährige Jugendliche im Auftrag des Fachdienstes Jugend des

Landkreises. Man müsse in Neustadt-Glewe beim Thema Migration und Integration

deutlich unterscheiden zwischen den geflüchteten Menschen, die ab 2015

gekommen seien, und den EU-Bürgern und Nicht-EU-Bürgern, die in unserer Region

lebten, sozialversicherungspflichtig arbeiteten, Steuern zahlten und ihre Freizeit dort

gestalteten. Man habe in Neustadt-Glewe 855 gemeldete Mitbürgerinnen und

Mitbürger anderer Nationalität, von denen 661 einer sozialversicherten Tätigkeit

nachgingen beziehungsweise EU-Bürger seien. In diesem Jahr seien Kinder aus

24 Nationen in der Stadt eingeschult worden. Man habe in der Stadt kein Problem mit

Migration respektive Ausländern. Dies liege zum einen daran, dass man eine

niedrige Arbeitslosenquote habe und zum zweiten an einem breiten Konsens

zwischen den politischen Parteien, der Kirche und der Verwaltung, dass man

Integration bejahe. Das verlange von allen, sich zu verändern. Ohne diese

Bereitschaft gehe es nicht. Man habe in dem Wohnheim seit 2015 85 Kinder betreut.

Die zugelassene Kapazität betrage 16 Minderjährige. Die hohe Zahl an Kindern sei

dem Umstand geschuldet, dass mit dem Erreichen der Volljährigkeit die jungen

Menschen nicht mehr dem deutschen Jugendschutzgesetz unterlägen und somit die

Einrichtung verlassen müssten. Diese Kinder hätten alle ihre Geschichte und

gehörten nicht zu den Schwächsten, weder mental, intellektuell noch körperlich.

Jedes Kind in der Einrichtung habe von Anfang an einen Schulplatz gehabt. Morgens

um 05:30 Uhr werde aufgestanden und gefrühstückt. Mit dem öffentlichen

Personennahverkehr werde die Schule besucht. Es werde, so es gehe, gemeinsam

Mittagessen eingenommen. Dann nehme man an den Nachmittagsaktivitäten teil.

Vom Schulsport sei man befreit. Man habe seit zwei Jahren einen aus Teherean

stammenden Mitarbeiter, der ausgebildeter Sportlehrer sei. Man nutze dafür die

Sportstätten der Stadt. Die Jugendlichen hätten nach dem Sportprogramm keinen

Impuls mehr, abends in der Stadt noch unbedachte Dinge zu tun. Es gelte das

Jugendschutzgesetz. Um 22:00 Uhr habe sich daher jeder innerhalb des Hauses

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aufzuhalten. Wenn die Jugendlichen neu in die Einrichtung kämen, wären sie zum

Teil schon kriminalisiert, zum Beispiel wegen illegaler Benutzung von öffentlichen

Verkehrsmitteln. Der Landkreis werde dann als Vormund durch ein Inkassobüro der

Deutschen Bahn in Haftung genommen. Hier habe man Kosten zu tragen, die den

Wert der Fahrkarte überstiegen und das werde den Kindern vom Taschengeld

abgezogen. Zwar werde es nicht auf null reduziert, aber sie spürten sehr klar die

finanzielle Einschränkung. Auch diese Kinder hätten Bedürfnisse. Es gehe nicht

darum, das falsche Verhalten der Kinder zu tolerieren, gerade dies wolle man nicht.

Es brauche klare Regeln und deren Durchsetzung. Hilfreich sei die geplante

Einführung kostenloser Bustickets für Schülerinnen und Schüler im Landkreis. Denn

es bedeute, dass die Jugendlichen nicht mehr nur an einen Ort gebunden seien und

dass für sie das attraktive Schwerin erreichbar sei. Mobilität sei ein wichtiger Punkt

für junge Menschen. Daher sollte sich der Landtag überlegen, entsprechende Mittel

zur Verfügung zu stellen, für eine kostenfreie Schülerbeförderung im öffentlichen

Personennahverkehr. In Parchim gebe es die Gaststätte „Zum kaiserlichen Postamt“

in der ab dem 1. September eine junge Albanerin im Servicebereich arbeite. Diese

junge Frau habe zuvor einen Ausbildungsplatz gehabt, aber den Anforderungen der

Berufsschule nicht genügt und musste ihre Ausbildung abbrechen. Daraufhin habe

sie Deutschland verlassen müssen. Bei der Unterzeichnung des

Ausbildungsvertrages hatte zuvor ihr Vormund, also der Fachdienst Jugend, es

unterlassen, die Ausländerbehörde einzubeziehen und eine Zustimmung einzuholen.

In Albanien habe sie ein schwieriges soziales Umfeld erwartet. Man habe dann von

Neustadt Glewe aus mit persönlichem und finanziellem Einsatz erfolgreich für ihre

Rückkehr gearbeitet. So habe man zunächst die Schulden beglichen, die durch ihren

SGB II-Bezug vom Jobcenter in Deutschland entstanden seien. Auch habe man ihr

den Flug nach Tirana bezahlt, um die Einreise nach Deutschland beantragen zu

können. Auf diese bürokratischen Hindernisse im Bundesrecht wolle er in der

Diskussion über Fachkräftemangel hinweisen.

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_______________________________ Sozialausschuss – 29. August 2018

Prof. Dr. Hannes Schammann (Universität Hildesheim) führt aus, dass Integration

im Wortsinne die Herstellung des gesellschaftlichen Zusammenhalts bedeute. Es

gehe daher nicht um die Prozesse einzelner Personen. Das sei dann erfolgreich,

wenn möglichst alle Gruppen innerhalb einer Gesellschaft über ihr Leben selbst

bestimmten. Erst dann entwickele sich eine positive Haltung zum gesamten System.

Dieser Sachverhalt gelte nicht nur für Zugewanderte, sondern für alle Menschen.

Gesellschaften stünden daher grundsätzlich auch ohne Migration vor der

Herausforderung der Integration. Wenn Menschen Arbeit und positive soziale

Beziehungen hätten, sowie das Gefühl vorhanden sei, dass ihre Stimme gehört

werde und eine politische Teilhabe möglich sei, dann könne sich eine Bindung zum

Großen und Ganzen entwickeln. Daher gingen Forderungen nach Identifikation, die

an Menschen adressiert seien, die sich faktisch noch außerhalb der Gesellschaft

befänden, auch fehl. Diese Menschen müssten erst in der Gesellschaft ankommen

und dann entwickele sich eine Bindung an das System. Deswegen seien

Maßnahmen gut und sinnvoll, die Menschen helfen, ihr Potenzial im Land frei zu

entfalten. Dazu gehörten Sprachkurse und der Abbau von behördlichen Hürden. Man

sollte Migranten frühzeitig gesellschaftliche Teilhabe auch im politischen Bereich

ermöglichen. Integration sei vor Ort zu gestalten. Integration sei Aufgabe aller

anwesenden Personen unabhängig vom Aufenthaltsstatus und nicht nur für eine

Teilgruppe der Gesellschaft. Forschungsergebnisse hätten gezeigt, dass Städte und

Gemeinden bei der Integration eine wichtige Rolle einnähmen, etwa beim Wohnen

oder sozialraumorientierten Projekten. Das müsse man auch bei der Umsetzung

übergeordneter Regelungen beachten, zum Beispiel der Ausbildungsduldung. Denn

wenn auf der kommunalen Ebene die Umsetzung nicht erfolge, blieben

übergeordnete Regelungen wirkungslos. Gerade im ländlichen Bereich hätten

Kommunen über Integration vieles gelernt und sich stark professionalisiert, auch

habe man vor Ort Strukturen aufgebaut. Hier gelte es, dieses als Dauerprojekt zu

begreifen. Dafür brauche es den politischen Willen. Man müsse sich über die

Zuwanderungszahlen Gedanken machen und überlegen, welche Zahlen künftig zu

erwarten seien. Die Annahme, dass die bereits erfolgte Zuwanderung ein einmaliges

Ereignis sei, erscheine unwahrscheinlich. Dies bedeute, dass weiterhin Menschen

nach Deutschland kämen. Gleichzeitig müsse man das Ankommen und mögliche

Schwankungen der Ankunftszahlen immer berücksichtigen. Studien hätten gezeigt,

dass es bei dem Zusammenwirken in der Integrationsarbeit von Landkreisen und den

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_______________________________ Sozialausschuss – 29. August 2018

angehörigen Kommunen nicht immer reibungslos laufe. Es brauche klare

Zuständigkeiten. Der Austausch guter Praxis in der Integrationsarbeit in der

kommunalen Ebene, aber auch darüber hinaus, mit dem Ziel einer insgesamt

kohärenten Anwendung, sei sinnvoll. Ein wesentliches Hemmnis für Integration sei

eine Kluft zwischen dem, was Verwaltung und Politik als wichtige Felder der

Integration ansehen, nämlich Arbeit, Bildung und Ähnliches und dem, was ein Teil

der Bevölkerung als Schwerpunkt der Integration empfinde. Hier werde das Feld der

Identität als problematisch wahrgenommen, insbesondere die Punkte Kultur und

Religion. Dies sei insofern besonders interessant, da sich keine empirische Studie

finde, die etwa den sunnitischen Islam als Integrationshindernis identifiziere. Trotz

anderer Wahrnehmungen habe Religion relativ wenig mit Integrationsprozessen zu

tun. Politik müsse sich trotzdem diesen Bereichen der Kultur und Religion seriös und

überlegt zuwenden.

Steffen Bockhahn (Städte- und Gemeindetag Mecklenburg-Vorpommern e. V.)

erklärt, dass Integration Motivation brauche. Für das Engagement benötige man

einen Grund. Ein positiver Punkt sei dabei das Gefühl des Willkommenseins und

hierzu gehöre eine Bleibeperspektive. Es gehe auch um die Nachvollziehbarkeit von

Abschiebegründen. Nicht einmal 2.000 Menschen seien aufgrund von Flucht in

diesem Jahr nach Mecklenburg-Vorpommern gekommen. Bezogen auf die

1,6 Millionen Einwohner, die in unserem Bundesland lebten, bedeute dies eine

Anzahl, die uns nicht überfordere. Zudem lebten in den Erstaufnahmeeinrichtungen

nur 500 Menschen aus den acht Hauptherkunftsländern mit einer Bleibeperspektive.

Für Rostock könne man sagen, dass es alleine im Jahr 2017 über 160 Vermittlungen

von Flüchtlingen, die nach 2015 eingereist seien, in den ersten Arbeitsmarkt gegeben

habe. Schaue man sich an den Grundschulen und den weiterführenden Schulen um,

könne man erkennen, dass die Kinder mit Fluchthintergrund, die von Anfang an in

der Krippe oder dem Kindergarten waren, mit großer Motivation und Erfolg die

Schulen besuchten. Überall dort, wo man gute Begleitung und gute soziale

Strukturen im Umfeld anbiete, könne man positive Effekte erzielen. Hier genau sehe

man die Stärken der gemeindlichen Arbeit, also in einer Arbeit im Sozialraum mit

individualisierter Beratung. Erweitere man den Fokus und beziehe die Inklusion in die

Betrachtung mit ein, so müsse man sich davon lösen, die Migrantinnen und

Migranten nur von ihrer Herkunft aus zu beurteilen. Vielmehr müsse man nach

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_______________________________ Sozialausschuss – 29. August 2018

zusätzlichen Hilfebedarfen zum Beispiel in den Bereichen Sprache, Ausbildung oder

auch sozialer Kompetenz fragen. Diese Begleitung müsse unabhängig von einem

Aufenthaltsstatus erfolgen. Hier brauche es Hilfen vom Land, damit die Begleitung

auch nach dem Asylverfahren weiterlaufen könne und die Kommunen nicht alleine

mit den Kosten blieben. Leider wüssten die Kommunen bis heute noch nicht, wie

hoch die Unterstützung des Landes für 2019 ausfalle, da die gesonderten

Vereinbarungen Ende 2018 ausliefen. Diese Unsicherheit in Bezug auf die

Finanzierung gefährde bestehende Strukturen. Insbesondere betreffe das die

finanzschwachen Kommunen. Insgesamt sollte bedarfsorientiert gefördert werden.

Man erlebe Abwanderung aus kleineren Gemeinden hin zu größeren Städten in

Mecklenburg-Vorpommern. Auch brauche es beim Rückbau der Strukturen eventuell

Hilfebedarf. Ebenso müsse man über die Zielgenauigkeit der vom Land

ausgegebenen Mittel nochmals sprechen. Integration und Inklusion seien keine

Einbahnstraßen. Hier müsse auch die Aufnahmegesellschaft etwas leisten. Genau

dafür brauche es zum Beispiel Gemeindezentren und soziale Arbeit und

Begegnungen in den Quartieren.

Bernd Rosenheinrich (Landesseniorenbeirat Mecklenburg-Vorpommern e. V.)

verweist auf die schriftliche Stellungnahme (Adrs. 7/332-4) und stellt klar, dass der

Landesseniorenbeirat bisher nur wenig Berührungspunkte zu Migrantinnen und

Migranten gehabt habe. Man gehe aber davon aus, dass, wie auch schon hier im

Ausschuss ausgeführt, diese Thematik zum Beispiel im Bereich der Pflege bald

erkennbar werde. Unabhängig davon müsse man festhalten, dass viele Seniorinnen

und Senioren sich bei der ehrenamtlichen Betreuung von geflüchteten Menschen

engagierten. In dieser Gruppe gebe es Zweifel am Willen der Behörden zur

Integration. In Neubrandenburg wurden Personen ausgewiesen, die bereits seit drei

Jahren hier im Land lebten und einen Arbeitsplatz gehabt hätten. Auch die

Ausweisung von jungen Menschen, die hier einen Ausbildungsplatz gehabt hätten,

stoße auf großes Unverständnis. So werde nicht zur Integration motiviert. Man habe

zusammen mit dem Landesjugendring einen Generationendialog mit Migrantinnen

und Migranten durchgeführt. Dabei sei deutlich geworden, dass viele junge

Menschen schwere Kriegs- und Fluchterfahrungen mitgebracht hätten. Hier brauche

es eine bessere Betreuung für die jungen Menschen zur Bewältigung dieser

Erlebnisse, etwa entsprechend der Betreuung von Bundeswehrangehörigen nach

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deren Einsatz in Afghanistan. Im Übrigen pflichte er Michael Hugo in Sachen

Chemnitz bei. Er habe selbst in der damaligen Karl-Marx-Stadt an der dortigen

Technischen Universität studiert und Tür an Tür mit ausländischen Studierenden

gelebt. Das, was man dort heute erlebe, könne er nicht verstehen. Noch weniger

Verständnis habe er aber für eine Partei, die die Situation dort ausnutze, um eine

Pogromstimmung zu erzeugen. Dies erinnere ihn an Ereignisse unserer Geschichte.

Abg. Prof. Dr. Ralph Weber reagiert auf die Äußerungen von Herrn Rosenheinrich

und Herrn Hugo. Das Geschimpfe über die Geschehnisse in Chemnitz entziehe sich

völlig dem, was er an Realität wahrnehme. Wenn endlich ein Teil der Bevölkerung

auf die Straße gehe, um deutlich zu machen, dass es ein Ende haben müsse mit der

Gewalt der angeblichen Schutzbefohlenen gegen die deutschen Bürger, dann sei

dies dringend notwendig und könne nur unterstützt werden. Warum sage keiner hier:

“Integration – nehmt denen erst die Messer weg“. Den Satz habe er noch nie gehört.

Dies wäre auch ein Akt aktiver Integration. Er habe große Hochachtung vor den

Bürgern, die in Chemnitz endlich Zivilcourage zeigten, auf die Straße gingen und

sagten, es reiche. Er möchte Frau Seemann-Katz fragen: Warum solle man die

knappen Mittel, die für Integration zur Verfügung stünden und auch nicht beliebig

erweiterbar seien, wenn man unsere Bevölkerung nicht weiter schröpfen wolle, für

Personen ausgeben, die keine Bleibeperspektive bei uns hätten? Das Gegenteil

erscheine ihm richtig nach dem Motto: „Fit for Return“. Man müsse die Kinder

schulen, ihre Muttersprache zu beherrschen in Wort und Schrift, damit sie dies bei

ihrer Rückkehr in die Gesellschaft, in die sie gehörten und in die sie irgendwann auch

zurückkehren müssten, weil sie keine Bleibeperspektive hätten, auch anwenden

könnten. Die vorhandenen Mittel für Integration solle man für die verwenden, die bei

uns bleiben dürften. Bezüglich der Aussage von Peter Todt, dass 50 Prozent der

Sprachkursteilnehmer das B1 Zertifikat schafften, habe er andere Zahlen und zwar

liege danach die Erfolgsquote nur bei 40 Prozent. Hier stelle sich die Frage, warum

so ein hoher Anteil diese Sprachkurse nicht erfolgreich abschließe.

Ulrike Seemann-Katz betont, dass als erstes die Rechtsfrage stehe. Kinder seien

nach internationalem und EU-Recht zu beschulen. Diese Beschulung müsse man

aus Mitteln des Bildungsbereiches und nicht aus Integrationsmitteln finanzieren. Der

Aufwand für diesen Bereich sei zudem insgesamt betrachtet relativ gering. Man

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müsse anerkennen, dass Asylverfahren unterschiedlich lange bräuchten und man

könne bei den Kindern nicht mit der Einschulung warten, bis über den Bleibestatus

entschieden sei. Diese Entscheidung erfolge zum Teil erst nach Jahren. Falls dann

am Ende des Verfahrens die Rückkehr in das Herkunftsland stehe, sei die in

Deutschland erlangte Bildung ganz sicher auch im Herkunftsland hilfreich.

Peter Todt stellt klar, dass es sich bei der genannten Zahl um die Quote der

Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse handele. Im Ergebnis könne man

nach einem aufwendigen Prüfverfahren etwa 50 Prozent der Abschlüsse

anerkennen. In Bezug auf die Ergebnisse der Sprachkurse mit dem Ziel des

Sprachniveaus B1, müsse man bei Kursen an beruflichen Schulen feststellen, dass

die Erfolgsquote unter 40 Prozent liege.

Prof. Dr. Hannes Schammann ergänzt in Bezug auf die Gründe, warum es bei den

Sprachkursen zum Nichterfolg komme, dass zu dieser Thematik das Bundesamt für

Migration und Flüchtlinge eine Studie bei McKinsey und Rambøll in Auftrag gegeben

habe. Hier stelle man fest, dass es Probleme bei der Erreichbarkeit der Kursorte

gerade im ländlichen Bereich gebe. Ebenso hätten Kinderbetreuung, parallele

Arbeitsaufnahme oder auch psychische Probleme als Hemmnisse identifiziert werden

können. Teilweise liege es am System, zum Beispiel Lehrkräftemangel, und teilweise

an den Personen selbst.

Abg. Maika Friemann-Jennert erklärt, dass man sich integrationspolitisch im Land

nicht verstecken müsse. Man habe gute Netzwerke und nicht solche Probleme wie

andere Bundesländer. Allerdings gebe es sicher Einzelschicksale, bei denen die

Abschiebung nur schwer erklärbar sei. Klar sei, dass Sprachvermittlung unabhängig

von der Bleibeperspektive wichtig sei, ebenso wie der Wille und die Bereitschaft der

Migranten, die neue Sprache zu lernen. Man habe heute gehört, dass sich die

Landkreise vorstellen könnten, selbst Sprachangebote anzubieten. Dem gegenüber

gebe es die Aussage, dass es Mindestgrößen in Bezug auf die Kursteilnehmer gebe.

Es komme daher durchaus zur Konkurrenz um die Teilnehmer zwischen den

Kursanbietern. Es stelle sich die Frage, ob es nicht Sinn mache, diese

Mindestgrößen zu verändern. Hinsichtlich der Migration und Alten- und Pflegeheime

stelle sich die Frage an Imam-Jonas Dogesch und Bernd Rosenheinrich, ob es für

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den Bereich konkrete Vorstellungen gebe und ob bestimmte Bedarfe, wie zum

Beispiel das Dolmetschen, erkennbar seien. Bisher sei dies nämlich noch nicht

formuliert worden. Die Frage, an welcher Stelle die berufliche Beratung der jungen

Menschen angesiedelt werden solle, sei an Thomas Letixerant gerichtet.

Hans-Kurt van de Laar führt aus, dass sich der Deutsche Landkreistag dafür

ausgesprochen habe, dass die Landkreise sich stärker bei der Koordinierung der

Sprachkurse engagieren sollten, zunächst zur Erprobung als Modellversuch. Gerade

in ländlichen Regionen erscheine es sinnvoll, die Angebote für den Spracherwerb

passgenauer zu gestalten. Dazu gehöre, die Zielgruppenansprache zu verbessern im

Hinblick auf eine berufliche Orientierung der Sprachangebote. In Mecklenburg-

Vorpommern scheine die Zusammenarbeit mit den Kursträgern nicht

hundertprozentig zu klappen. In dem Fall, dass es mehrere Kursträger gebe, könne

der Landkreis eine Koordinierungsfunktion übernehmen, die bis zu einer Zuweisung

bestimmter Migrantinnen und Migranten in Kurse reichen könne.

Ulrike Seemann-Katz stellt heraus, dass es gut sei, wenn es verschiedene Träger

für Sprachkurse gebe, da Konkurrenz das Geschäft belebe. Von Vorteil sei es, wenn

es Regelgemeinschaften vor Ort gebe, die die organisatorische, inhaltliche und

terminliche Abstimmung gewährleisteten, sodass Beratungsstellen entsprechend

zuweisen könnten. Sie bevorzuge in der Integrationsarbeit das Case-Management,

um einen individuellen und zielgenauen Weg möglich zu machen. Es gebe sehr wohl

Beispiele im Land für eine fremdsprachige Seniorenbetreuung und -unterbringung,

nämlich für den Bereich der russischsprachigen Migrantinnen und Migranten. Bei

anderen Sprachgruppen seien die Alterskohorten noch nicht groß genug.

Iman-Jonas Dogesch erklärt, dass man als Selbsthilfeorganisation versuche, sich

auf die Situation vorzubereiten und entsprechend auch nach Erfahrungen aus den

alten Bundesländern, wie zum Beispiel interkulturelle Unterbringung, schaue. Diese

interkulturelle Unterbringung gelte es positiv zu gestalten. Insgesamt sehe man aber

für Mecklenburg-Vorpommern durch das Angebot an Integrations- und Sprachkursen

keinen großen Bedarf an Dolmetschern für die Altersheime.

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Christian Rosenkranz stellt heraus, dass nicht jeder, der zu uns komme, sich

gesellschaftlich integrieren möchte. Es gebe Menschen, die einfach Schutz suchten.

Ihre Perspektive sei die Rückkehr in die Heimat. Dieses solle man berücksichtigen,

gleichwohl natürlich der deutsche Spracherwerb zur Kommunikation unerlässlich

bleibe. Gesetzliche Vorgaben zum Schulbesuch seien umzusetzen. Es gebe

momentan die Initiative in Ludwigslust, Arabischkurse anzubieten mit dem Ziel, auf

die Rückkehr in die Heimat vorzubereiten. Es gehe insbesondere um die Kinder, die

besser Deutsch als Arabisch sprächen. In Ludwigslust gebe es noch drei oder vier

regionale Bildungsträger für Deutschkurse, die mit dem Bundesamt

zusammengearbeitet hätten. Durchgesetzt habe sich aber ein bundesweit agierender

Bildungsträger. Der verwaltungstechnische Aufwand sei sehr hoch und das

Bundesamt gehe nicht auf die Gegebenheiten vor Ort ein, sondern setze einen

bundesweiten Standard um, einschließlich der Gehaltssätze der Dozenten. Hier solle

man es besser der Bundesagentur mit ihrer Expertise überlassen, diese Kurse zu

verwalten und nicht dem Bundesamt.

Bernd Rosenheinrich führt aus, dass man die Betreuung in Pflegeheimen auf

kulturelle, religiöse Besonderheiten, die die Migration mit sich bringe, vorbereiten

müsse. Es sei hier an den Beitrag des Lesben- und Schwulenverbandes anlässlich

des 10. Altenparlaments erinnert, aus dem deutlich geworden sei, dass es für Lesben

und Schwule zu wenig passende Angebote in den Betreuungseinrichtungen gebe.

Auf der anderen Seite müsse man aber auch bei den Menschen in den

Pflegeeinrichtungen Vorbehalte abbauen, die auf Pflegekräfte mit

Migrationshintergrund angewiesen seien. Insbesondere gebe es die Sorge bezüglich

sprachlicher Defizite der Pflegekräfte. Zu den Ausführungen von Prof. Dr. Ralph

Weber sei angemerkt, dass er es nicht als normale Demonstrationskultur akzeptiere,

wenn man Menschen durch Städte hetze.

Thomas Letixerant ergänzt zum Thema Akzeptanz des Ausbildungssystems und

beruflicher Bildung, dass man schauen müsse, wer am meisten Einfluss auf die

jungen Menschen habe. Untersuchungen bezüglich der einheimischen Bevölkerung

identifizierten hier das Elternhaus als maßgebend. Ebenso der Freundeskreis sowie

soziale Medien seien wichtig. Speziell zu geflüchteten Menschen sei ihm keine

Studie bekannt. Man gehe auch neue Wege, zum Beispiel engagierte man als

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Bundesagentur bei einer Messe einen bekannten YouTuber mit dem Auftrag, für

berufliche Ausbildung zu werben. Dieser habe dann auch tatsächlich die größte

Aufmerksamkeit erziehlt. Insgesamt sei das Feld noch sehr neu. Aber entscheidend

sei, in den neuen Medien einheitliche Botschaften zu senden, sonst stifte man

Verwirrung und Unsicherheit. Grundsätzlich müsse man festhalten, dass in

wirtschaftlich guten Zeiten auf dem Arbeitsmarkt für Personen ohne Ausbildung

immer der Anreiz bestehe, Arbeit anzunehmen, die kurzfristig mehr Geld erbringe als

eine Ausbildung. Langfristige Perspektiven überzeugten oft nicht, auch wenn über

Jahrzehnte erheblich mehr durch einen Ausbildungsberuf verdient werden könne.

Abg. Torsten Koplin erklärt, dass er die Definition von Prof. Dr. Schammann, dass

Integration gesellschaftlichen Zusammenhalt darstelle, als wichtig erachte, da es ja

hier im Parlament Parteien gebe, die sich gegen Integration stellten und sich damit

gegen den gesellschaftlichen Zusammenhalt wendeten, ja seine Zerstörung in Kauf

nähmen oder herbeiführen wollten. Er bitte Prof. Dr. Schammann daher um weitere

Ausführungen bezüglich der Kluft zwischen den von der Politik als wichtig erachteten

Integrationsbereichen Arbeit und Bildung und dem von Teilen der Bevölkerung als

wichtig erachteten Bereich der Identität.

Prof. Dr. Hannes Schammann erklärt, der US-amerikanische Politikwissenschaftler

James Hollifield habe schon Anfang der 90er Jahre vom liberalen Paradoxon der

westlichen Demokratien gesprochen. Denn auf der einen Seite wolle man die

Grenzen öffnen in Bezug auf den wirtschaftlichen Austausch sowie Menschenrechte.

Zum anderen funktionierten bestimmte demokratische Errungenschaften, wie zum

Beispiel Wahlen, nur in geschlossenen Gebieten, gleiches gelte für den Bereich der

Wohlfahrt. Diese beiden Dynamiken strebten auseinander und erzeugten Zweifel.

Man könne als Politik keine eindeutigen Lösungen finden, trotzdem fordere man sie.

Daher werde Migrationskritik schnell zur Systemkritik. Mit der einseitigen Forderung

nach geschlossenen oder offenen Grenzen verlasse man das politische System.

Dies bedeute das Ende des demokratischen freiheitlichen Systems, wie wir es

kennen.

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Abg. Karen Larisch führt aus, dass jeder Mensch eine eigene Vorstellung von seiner

Identität und seiner Kultur habe. Dies müsse man allen Menschen zugestehen. Man

solle auch nicht von Menschen, die vor Not und Bürgerkrieg geflüchtet seien,

erwarten, ihre Heimat und Identität zu verleugnen. In Bezug auf die Integrationsarbeit

frage sie die Vertreter des Städte- und Gemeindetages, inwieweit sie Vorschläge und

Ideen dazu dem Land vorgestellt hätten. Diese Frage sei dringend, da die

Kooperationsvereinbarungen mit dem Land ausliefen und es unklar erscheine, wie

stabile Strukturen in diesem Bereich aufrecht zu erhalten seien, einschließlich der

Sozialarbeit. Darüber hinaus bittet sie um eine Bewertung des Städte- und

Gemeindetages zu den Maßgaben des Innenministeriums, bei Ausschreibungen im

Integrationsbereich nur die billigsten Angebote zu wählen. Dies führe dazu, dass bei

der Integrationsarbeit reihenweise erfahrenes Personal und auch die

Trägerlandschaft wegbreche.

Steffen Bockhahn betont, dass sowohl der Städte- und Gemeindetag als auch der

Landkreistag sich im regelmäßigen Austausch mit dem Land befänden. Bisher sei es

so gewesen, dass die Landesmittel für den Integrationsfonds sich aus Bundesmitteln

speisten, die aber nicht komplett an die Kommunen durchgereicht worden seien. In

2018 seien vom Bund für diese Aufgaben 38 Millionen Euro an das Land geflossen.

Unklar sei bisher, ob die Bundesmittel für die nächsten Jahre wieder zur Verfügung

stünden. Deshalb sei vom Land bisher keine Aussage getroffen worden, mit welchem

Mittelansatz die Kommunen rechnen könnten. Gleichwohl brauche es hier eine

Entscheidung, weil bisher mit diesen Mitteln in den Kommunen Personalstellen

finanziert worden seien, die als freiwillige Leistungen zu bezeichnen seien. Die

Auswahl bezüglich der Kursträger im Integrationsbereich liege bei den Kommunen

und dort müsse man entscheiden, wie man die Möglichkeiten des Vergaberechts

nutze. Man befürworte für den Integrationsbereich wie Ulrike Seemann-Katz das

Fallmanagement und die Erarbeitung von individuellen Bedarfsplänen. Leider sei

dies bisher nicht vorgesehen. Daher hätten für das Fallmanagement die

Voraussetzungen und Ressourcen gefehlt. Man müsse in Bezug auf die niedrigen

Erfolgsquoten festhalten, dass nach 2015 sehr schnell ein Integrationsangebot

aufgebaut werden musste und zum Teil scheine die Angebotsqualität nicht immer

zufriedenstellend gewesen zu sein. Auch sei der Standard B1 beim Spracherwerb in

diesem kompakten Format nur mit großen Anstrengungen zu erreichen. Eine große

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Rolle spiele daher die Motivation der Kursteilnehmer. In Bezug auf die

Bleibeperspektive gelte es zu überprüfen, ob man die derzeitige Rechtslage nicht

humanitärer gestalten solle.

Abg. Jörg Heydorn wundert sich darüber, dass Prof. Dr. Ralph Weber die

Geschehnisse in Chemnitz begrüße. Bisher habe dieser im Parlament immer

behauptet, jegliche Form von Gewalt abzulehnen. Dies gelte wohl nicht mehr. Denn

man müsse festhalten, dass in Chemnitz blanke Gewalt ausgeübt worden sei.

Schaue man insgesamt auf den Sachverhalt, dann sei in Chemnitz auf bedauerliche

Art und Weise ein Mensch zu Tode gekommen. Die mutmaßlichen Täter seien von

zuständigen Stellen verhaftet worden. Der Rechtsstaat habe nicht versagt. Insofern

habe das Geschehen mit Selbstjustiz gegen Rechtsstaatsversagen nichts zu tun.

Vielmehr erlebe man in Chemnitz einen gewalttätigen Rassismus. Diejenigen, die

von den Gewalttätern verfolgt werden, seien zudem keine Tatbeteiligten gewesen.

Von diesen Ausschreitungen müsse sich jeder klar und deutlich distanzieren. Auch

erscheine die Forderung von Prof. Dr. Ralph Weber, den Migranten die Messer

abzunehmen, wenig hilfreich. Viele Personen in Deutschland hätten Messer. Auch

höre man von Prof. Dr. Ralph Weber keine Forderung, die Rassisten in Chemnitz zu

entwaffnen. Man müsse es deutlich sagen, dass die AfD bereit sei, solche

Vorkommnisse wie in Chemnitz zu instrumentalisieren, um davon politisch zu

profitieren, weil man in allen politischen Feldern keine Lösungen aufweise. In Bezug

auf Sprachkurse höre man, dass diese zu wenig und zu kurz angeboten würden. Es

wurde mit Beginn der Flüchtlingswelle gesagt, dass es für ein Gelingen der

Integration eine gute Verwaltung brauche. Dies könne Blockaden und Friktionen

verhindern, zum Beispiel bezogen auf Kita-Plätze oder Schulen. Jetzt müsse man

aber feststellen, dass dies genau eingetreten sei, so fehlten Kita-Plätze und es gebe

Probleme beim Thema Einschulung. Es gebe Vorschläge, diese Bereiche der

Integration zu verbessern, zum Beispiel durch eine Standardsenkung im Bereich der

Kinderbetreuung, da es unwahrscheinlich erscheine, in großer Zahl neue Kita-Plätze

zu schaffen. Diese Probleme müsse man bearbeiten. Dazu bitte er um Vorschläge

für das Handeln auf Landes- und Bundesebene. Bezogen auf die Ausführungen von

Herrn Rosenkranz sei angemerkt, dass man auch bei Personen, die in Deutschland

nur Schutz suchten, nicht sagen könne, wie lange sie dann tatsächlich blieben. Für

die Kinder könne es dann nicht richtig sein, diese über Jahre aus dem normalen

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Bildungssystem herauszuhalten und sie nur im Arabischen zu unterrichten. In

Schwerin könne man erleben, dass Migranten, die gute Voraussetzungen für den

Arbeitsmarkt hätten, die Stadt verließen, um in anderen Teilen Deutschlands zu

arbeiten. Auch erscheine die Bereitschaft und das Engagement auf Arbeitgeberseite

in anderen Regionen in Deutschland größer, diese Arbeitskräfte zu werben und zu

integrieren. Die Frage an die IHK sei daher, ob in diesem Bereich unsere

Unternehmen besser werden müssten. Schaue man auf die Gastronomie, so könne

man erkennen, dass der Anteil an Mitarbeitenden mit Migrationshintergrund sehr

groß sei.

Steffen Bockhahn erklärt, dass man im Bereich der Sprachkurse eine Systematik

vorfinde, die es erschwere, reibungslos zu arbeiten. Mittlerweile könnten die

Sozialarbeiter vor Ort besser einschätzen, welche Kurse für bestimmte Personen

geeignet seien. Grundsätzlich müsse man überlegen, ob man die vom Bund

angebotenen Sprach- und Integrationskurse nicht durch ein eigenes Angebot

ergänze. Hier könne man sich das Instrument einer Integrationsvereinbarung

vorstellen. Allerdings brauche es dafür die Unterstützung vom Land. Die

Bundesagentur für Arbeit könne nur Angebote mit Berufsbezug fördern. Es helfe,

sich im Zusammenhang mit der sozialen Infrastruktur klar zu machen, dass im Jahr

2016 ca. 6.000 Menschen nach Mecklenburg-Vorpommern gekommen seien. In

diesem Jahr sei mit einer Zahl von ca. 3.000 zu rechnen. Ein Ausbau der

Infrastruktur von Kita und Schule sei ausgeschlossen. Es gehe also um die Suche

nach flexiblen Lösungen, um mit der vorhandenen Infrastruktur bestehen zu können.

Man müsse über Ausnahmegenehmigungen für einen bestimmten Zeitraum

nachdenken, um Kapazitäten zu erhöhen, ausdrücklich verbunden mit einer

zusätzlichen Fachkräfteausstattung, am besten mit Sprachkompetenz. Man brauche

eine Antwort darauf, wie man Elternarbeit leisten könne in Kitas und Schulen, in

denen eine hohe Konzentration an Flüchtlingen vorliege. Denn man könne häufig

beobachten, dass die Kinder die Träger der Integration seien und die Eltern dabei

außen vor blieben. Dies seien aber zusätzliche Leistungen. Eine andere

entscheidende Frage sei die der Mobilität, denn nicht jedes Angebot könne

wohnortnah gemacht werden. Letztlich sei eine individualisierte Hilfe die beste

Methode. Ein Blick nach Skandinavien zeige, dass dort die Kommunen nach einer

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Fallanalyse und Besprechung Integrationsvereinbarungen mit den Flüchtlingen

abschlössen, um zielgenau helfen zu können. Dies führe zu hohen Akzeptanzwerten.

Christian Rosenkranz betont, dass er mit Jörg Heydorn einer Meinung sei, dass die

Schulpflicht der Kinder mit Migrationshintergrund im Vordergrund stehe. Man müsse

hier im Land Deutsch lernen. Dies sei eine Qualifikation und auch ein Schutz für die

Kinder. Kommunikation sei der Schlüssel zur Teilhabe. Es sei wichtig, dass Frauen

die Sprachkurse besuchten. Daher brauche es reine Frauenkurse, um kulturelle und

familiäre Hemmnisse abzubauen. Entscheidend sei die Kinderbetreuung im Rahmen

des Kurses, einschließlich der Frage, wer die Kosten zu tragen habe. Zudem sei zu

prüfen, ob man bei dieser temporären Betreuung das kostenintensive

Fachkräftegebot beibehalten müsse.

Ulrike Seemann-Katz erklärt zu den Sprachkursen, dass das Land schon jetzt aktiv

bei den Erstorientierungskursen für Personen mit prekärem Aufenthalt sei. Es gebe

teilweise eine Fahrtkostenübernahme durch das Land, dies sei unabdingbar bei

Kursen in der Fläche. Insgesamt solle man als Land gerne weitere ergänzende

Sprachkurse anbieten. Insgesamt könne man im Bereich der Integration viel positiver

über die vielen gelungenen Beispiele berichten, die täglich im Alltag stattfänden. Ein

solches Beispiel sei der Handwerker aus Dabel, der einen jungen geduldeten

Afghanen zum Metallbauer ausbilde. Sonst wäre die Ausbildungsstelle unbesetzt

geblieben. Der junge Afghane wohne bei ihm mit Familienanschluss. Der

Unternehmer sei sehr froh, weil er nach eigener Auskunft noch nie einen so

talentierten Auszubildenden gehabt habe. Diese guten Beispiele seien viel stärker zu

kommunizieren. Arabischunterricht werde auch in Schwerin angeboten, jedoch nur

auf ehrenamtlicher Basis und außerhalb des Lehrplans. Die Beherrschung der

eigenen Muttersprache helfe beim Erlernen einer Fremdsprache. Dazu gebe es

vielfältige interessante Untersuchungen.

Peter Todt hebt die gute wirtschaftliche Entwicklung der Region Schwerin in den

vergangenen Jahren hervor. Es falle ihm sehr schwer, aus der Gruppe der

Geflüchteten jemanden zu finden, den man entsprechend seiner Qualifikation sofort

im Arbeitsprozess hier in Deutschland einsetzen könnte. Der Bereich Recycling

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werde gegenwärtig in Schwerin verstärkt aufgebaut und erweitert. Fachkräfte für

Abfallwirtschaft würden dringend gesucht. Vergleichbare Qualifikationen bei den

Flüchtlingen seien kaum zu finden. Die Beispiele ließen sich fortsetzen, erwähnt sei

nur der zunehmende Bedarf an Berufskraftfahrern. Minimalanforderung sei jedoch in

diesem Fall der Nachweis eines in der EU gültigen Führerscheins. Einfache

Lösungen gebe es nicht. Das Augenmerk sei auf die Qualifizierung zu legen.

Schwerin sei nicht mit anderen Standorten zu vergleichen, sondern zeichne sich

durch eine spezifische Wirtschaftsstruktur aus. Diese sei allen

Qualifizierungsmaßnahmen in der Region zugrunde zu legen. Der Bedarf an

ungelernten Beschäftigten sei sehr gering. Er geht in diesem Zusammenhang

nochmals auf die Möglichkeiten von Praktika im Umland von Schwerin ein, zum

Beispiel in Wismar oder in Gallin. Diese scheiterten jedoch in der Regel an den

Unzulänglichkeiten des ÖPNV. Darüber sei zu reden. Schwerin verfüge über

genügend Angebote, über eine funktionierende Wirtschaftsstruktur und über die

Bereitschaft, das konzentriert einzubringen. Gleichwohl passe all dies nicht

zusammen. Die notwendige Passgenauigkeit sei konsequent anzustreben. Die

Berufsausbildung sei darüber hinaus eines der wichtigen Betätigungsfelder der IHK.

Beginnend bei den 7. Klassen würden in diesem Kontext unwahrscheinlich hohe

Anstrengungen unternommen. Als Beispiel führt er die BVJA-Klassen (Bildung für

geflüchtete Jugendliche an beruflichen Schulen) an. Zwei Jahre Deutschausbildung

und zwei Jahre Berufsorientierung führten dazu, dass sich lediglich zwischen 10 und

15 Prozent der Teilnehmenden für eine Berufsausbildung interessierten. Das

Augenmerk der Jugendlichen liege vielmehr auf einem guten allgemeinbildenden

Schulabschluss, der den Zugang zu einem Studium eröffne.

Imam-Jonas Dogesch bedankt sich eingangs bei Jörg Heydorn für sein klares

Statement. Kriminalität und Hetze seien in jedem Fall zu bekämpfen. Integrations-

und Sprachkurse in Rostock basierten vielfach auf Lehrmaterial für Abiturienten.

Teilnehmer an solchen Kursen mit einer geringeren schulischen Bildung benötigten

viel mehr Zeit. Das Mittel der Wiederholung habe für diese Zielgruppe eine ganz

andere Bedeutung. Dies sei bei der Zusammensetzung und Ausrichtung der Kurse

stets zu beachten.

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Abg. Christel Weißig führt aus, dass Asyl Hilfe auf Zeit bedeute. Schulpflicht

bestehe grundsätzlich für jedes Kind. Von Unternehmern sei ihr gegenüber erklärt

worden, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund während ihrer Berufsausbildung

wieder in ihre Heimatländer zurückgeschickt würden. Sie fragt nach, ob es hierzu

Richtlinien gebe, die den Status dieser Zielgruppe im Vornherein festlegten.

Peter Todt geht auf den Status des anerkannten Flüchtlings ein. Diese Gruppe

mache den weitaus größten Anteil aus. Dann könne eine Ausbildung aufgenommen

werden. Liege dieser Status nicht vor, bestehe akuter Handlungsbedarf. Im Regelfall

setze sich der Ausbildungsbetrieb mit der IHK in Verbindung, um kurzfristig eine

Lösung anzustreben. Im Detail beinhalte diese die Prüfung des Ausbildungsvertrages

durch die IHK. Entspreche dieser dem geltenden Recht, werde er sofort an die

zuständige Ausländerbehörde weitergeleitet. Werde die Rechtmäßigkeit des

Ausbildungsvertrages durch die Ausländerbehörde bestätigt, greife zu 98 Prozent die

3+2 Regelung. Damit verfüge der Auszubildende über eine Bleibeberechtigung für

die Ausbildungszeit sowie zusätzlichen zwei Jahren. Bis auf lediglich eine Ausnahme

sei so stets im Einzugsgebiet der IHK zu Schwerin verfahren worden. Auch die Frage

der finanziellen Unterstützung sei eindeutig geregelt. Es sei eine vertraglich fixierte

Ausbildungsvergütung zu zahlen, die in der Regel der Tarifbindung unterliege. Bei

tariflich nicht gebundenen Unternehmen dürfe Vergütung nicht unter 80 Prozent des

aktuellen Branchentarifs liegen. Herkunft oder Nationalität spielten hier keine Rolle.

Bei auswärtiger Unterbringung komme ein Aufstockungsbetrag vom Jobcenter in

Frage.

Steffen Bockhahn weist eingehend auf die Ausführungen von Peter Todt zu nach

wie vor bestehenden starken Verunsicherungen hin. Oft kämen Ausbildungsverträge

aufgrund des nicht geklärten Aufenthaltsstatus nicht zustande. Die Duldung gelte in

der Regel für sechs Monate. Eine Ausbildungsduldung bedürfe der Zustimmung von

relativ Vielen. Diese Barriere führe dazu, dass Ausbildungsbetriebe dann Abstand

nähmen. Das sei aus Sicht der Betriebe nachvollziehbar. Er könne verstehen, dass

Betriebe vor einer Ausbildung zurückschreckten, wenn sie damit rechnen müssen,

dass die jungen Facharbeiter ihnen dann nur für ein oder zwei Jahre zur Verfügung

stehen. Es bedürfe einer Diskussion, die Integrationswilligen die Hoffnung und

Zuversicht gibt, Teil unserer Gesellschaft zu sein und ihnen die Möglichkeit eines

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_______________________________ Sozialausschuss – 29. August 2018

dauerhaften Aufenthaltes in Deutschland einräumt. Wenn man wolle, dass sich

Flüchtlinge einbringen und für die Gesellschaft etwas tun, bedürfe es einer Motivation

für diesen Personenkreis. Nur mit Aufenthaltsperspektive gebe es gute Chancen auf

eine Ausbildung und eine Wohnung. Das sei wichtig für die Integration. Ansonsten

komme es dazu, dass der Eine oder Andere auf dumme Gedanken komme. In

diesem Fall habe man die Möglichkeit der Strafverfolgung auf Grundlage der

Rechtsstaatlichkeit.

Abg. Christel Weißig zitiert Imam-Jonas Dogesch hinsichtlich der

Wohnungsproblematik für Asylbewerber, wonach Menschen in

Gemeinschaftsunterkünften ein Recht auf eigenen Wohnraum hätten. Bei solchen

Aussagen schüttelten die Rostocker den Kopf. Der Wohnungsleerstand in Rostock

liege unter einem Prozent. Viele stünden auf der Warteliste und könnten

Bevorzugungen nicht akzeptieren. Preiswerte Wohnungen gebe es so gut wie gar

nicht mehr, weil Zugezogene teilweise oder überwiegend bevorzugt worden seien.

Imam-Jonas Dogesch betont, er fordere insgesamt mehr bezahlbaren Wohnraum.

Sein Verein schließe keine Zielgruppe aus. Gleichwohl sei auf die Situation in den

Gemeinschaftsunterkünften hinzuweisen. Auch die angemessene Wohnsituation sei

Voraussetzung für Integration.

Steffen Bockhahn merkt an, dass er die Verhältnisse in Rostock diesbezüglich

relativ gut kenne. Die offizielle Leerstandsquote auf dem Wohnungsmarkt in Rostock

betrage knapp drei Prozent. Deutlich niedriger sei der Leerstand aber bei KdU-

fähigen Unterkünften, also bei Ein- oder Zweiraumwohnungen, deren Kosten das

Jobcenter übernehme. Weder von Imam-Jonas Dogesch, der Stadtverwaltung oder

ihm persönlich könne Christel Weißig gehört haben, dass Menschen bevorzugt

werden sollten. Das Problem sei in der Tat der Mangel an bezahlbarem Wohnraum.

Sowohl in Rostock als auch in Schwerin sei eine Verdichtung von sozial

Benachteiligten in bestimmten Quartieren festzustellen. Das sei

integrationshemmend und nicht -fördernd. Dieser Punkt sollte die Diskussion nicht

überlasten. Das Land müsse sich jedoch intensiv Gedanken machen, wie mit diesem

Phänomen umzugehen sei. In Rostock lebten gegenwärtig knapp 700 Menschen mit

Anerkennungsstatus noch immer in Gemeinschaftsunterkünften. Wer so über Jahre

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leben müsse, dem gehe nachvollziehbar eine die für die Teilhabe in der Gesellschaft

abhanden. Bezugnehmend auf die Obdachlosensituation in Rostock stellt er fest,

dass in Rostock niemand obdachlos sein müsse. Die wenigen Obdachlosen hätten

diesen Weg selbstbestimmt gewählt.

Ulrike Seemann-Katz weist darauf hin, dass es landesweit noch die

Gemeinschaftsunterbringung von Asylsuchenden und Geduldeten gebe.

Zwischenzeitlich habe es eine Phase der dezentralen Unterbringung gegeben, was

aus Sicht des Flüchtlingsrates die bessere Variante gewesen sei. Das Unterbringen

hinter Stacheldrähten und Zäunen sei eine Form der Ausgrenzung aus der

Gesellschaft. Die geplante Einrichtung der Ankerzentren führe Deutschland in eine

falsche Richtung, weg von einem Integrations- und hin zu einem Ausgrenzungsland.

Dem sei durch das Land nach Auffassung des Flüchtlingsrates energisch zu

widersprechen.

Abg. Thomas de Jesus Fernandes bedankt sich bei allen Anzuhörenden für deren

Ausführungen, insbesondere bei Christian Rosenkranz für dessen kritische

Sichtweise auf die Dinge. Er stellt fest, dass man hier zusammensitze, um an den

Symptomen der Politik der vergangenen Jahrzehnte herumzudoktern. Es sei nicht

die AfD gewesen, die das Land gespalten habe, sondern die CDU, die alle habe

kommen lassen und die SPD, die das stillschweigend geduldet habe, über die Köpfe

der Bevölkerung hinweg, in einem luftleeren Raum. Es sei logisch, dass ein Vakuum

immer ausgefüllt werde. Auch in der heutigen Anhörung habe sich wiederum gezeigt,

dass auf Kritik seitens der AfD stets mit dem Vorwurf einer rechtsradikalen

Gesinnung reagiert werde. Man werde als Nazi und Rassist verunglimpft. Das gehe

zu weit. Prof. Dr. Ralph Weber habe die tausenden friedlichen Demonstranten in

Chemnitz angesprochen. Selbstverständlich distanziere sich die AfD von Gewalt,

egal von welcher Seite sie komme. Das sei auch in allen Reden im Landtag

nachzuvollziehen. Und das wüssten auch die anderen Fraktionen im Landtag.

Deshalb lüge Herr Heydorn, wenn er anderes behaupte. Karen Larisch habe

richtigerweise erklärt, dass die Leute, die zu uns kommen, über eine eigene Identität

und Kultur verfügten. Die Wahrheit sei doch aber, dass beide Seiten etwas von ihrer

eigenen Kultur, von ihrer Heimat aufgeben müssen, oder zumindest eine Seite. Ulrike

Seemann-Katz habe erklärt, dass sich die Gesellschaft in Deutschland verändern

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werde. Das sei so. Aber vielen Menschen gefalle diese Entwicklung nicht, weshalb

sie auf die Straße gingen. Die Parteien hätten die Möglichkeit gehabt,

gegenzusteuern, und das seit Jahren. Wenn jemand, wie in Chemnitz, zu Tode

komme, wehrten sich Bürger, weil sie nicht gehört wurden und nach wie vor nicht

gehört, sondern beschimpft würden. Ulrike Seemann-Katz habe während einer stillen

Mahnwache auf dem Marktplatz in Schwerin getrommelt und skandiert: „Nazis raus!“

Er habe die vorbeigehenden Menschen genau beobachtet. Man müsse die AfD nicht

mögen. Aber angesichts dieses Verhaltens von Frau Seemann-Katz hätten viele nur

mit dem Kopf geschüttelt. Er sehe ein Grundproblem gegenwärtig darin, dass der

Status der Asylbewerber über einen sehr langen Zeitraum nicht geklärt werde. Die

Asylverfahren beanspruchten definitiv viel zu viel Zeit. Eine Duldung sei auch kein

Bleiberecht. Diese Ungewissheit erzeuge bei den Betroffenen wiederum ein Vakuum,

dass zu den angesprochenen Motivationsschwierigkeiten und einem mangelndem

Integrationswillen führe. Die Verfahren müssten beschleunigt werden. Er geht weiter

auf den vielfach angesprochenen Lehrermangel ein. Er könne nicht nachvollziehen,

dass es aus dem arabisch sprechenden Raum nicht genügend geeignete Kräfte

gebe. Diese könnten Kinder und Jugendliche auch auf eine Rückkehr vorbereiten.

Ulrike Seemann-Katz geht auf die Einschätzung von Thomas de Jesus Fernandes

ein, dass über die Köpfe der Bevölkerung hinweg Entscheidungen getroffen würden.

Sie frage sich, welcher Kopf das sein solle. Es gebe nicht den einen Kopf, sondern

viele. Die Gesellschaft verändere sich. Sie begrüße grundsätzlich das

Demonstrationsrecht. Sie verwahre sich aber gegen die durch Thomas de Jesus

Fernandes vorgebrachten Unterstellungen hinsichtlich ihres Auftretens am Rande der

angesprochenen Mahnwache in Schwerin. Sie habe weder getrommelt noch „Nazis

raus!“ gerufen und werde das auch in Zukunft nicht tun, weil sie gar nicht wisse, wo

die Nazis denn hinsollten. Leute abzuschieben liege generell nicht in ihrem Sinne.

Sie würde Thomas de Jesus Fernandes zwar manchmal gerne auf den Mond

schießen, aber das sei ja nicht möglich. Des Weiteren verweise sie auf die durch die

Caritas und das Diakonische Werk angebotene Rückkehrberatung für Flüchtlinge.

Diese sei jedoch nicht Bestandteil der Integration, weil es nichts mit dem

Zusammenhalt in der Gesellschaft zu tun habe. Die angesprochene

Lehrerproblematik sei in der Tat ein wichtiges Thema und habe sehr viel mit der

Schulgesetzgebung in unserem Land, speziell mit der Anerkennung von in anderen

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_______________________________ Sozialausschuss – 29. August 2018

Ländern abgeschlossenen Bildungs- und Studiengängen, zu tun. Der in Schwerin

angebotene Arabischunterricht sei ein zusätzliches Angebot, an den eine

Aufwandsentschädigung geknüpft sei.

Christian Rosenkranz merkt an, dass er mit Selbsthilfegruppen überhaupt nicht

glücklich sei. Das Bildungsmonopol habe das Land, auch was das Fach Arabisch

betreffe. Er möchte nicht, dass etwas unterrichtet werde, was er persönlich

möglicherweise aus dogmatischen, religiösen oder anderen Gründen nicht mittragen

könne. Er plädiere dafür, dass sich der Landtag in geeigneter Form dieses Themas

annehme. Die Lerninhalte seien genau zu definieren und die Qualifikation derer, die

unterrichten, sei festzulegen. Es müsse sich um zusätzlichen Unterricht handeln.

Abg. Sebastian Ehlers merkt an, dass in einer öffentlichen Anhörung auch manches

Gesagte geradegerückt werden müsse. Es seien nicht alle Demonstrierenden in

Chemnitz als Rechtsextremisten bezeichnet worden. Er verweise auf den

Ministerpräsidenten von Sachsen, Michael Kretschmer, der gesagt habe, dass die

Sorgen der Bürger ernst zu nehmen seien. Er erwarte von allen, die sich ernsthaft

sorgten, auch von den Abgeordneten der AfD, dass man nicht gemeinsame Sache

mit Neonazis und Hooligans mache und auch verbal abrüste. Von „Messermigranten“

zu sprechen, sei geistige Brandstiftung. Er nehme zur Kenntnis, dass es hierzu auch

in der AfD-Fraktion eine differenzierte Haltung gebe. Wer die Bilder von Chemnitz

gesehen habe, müsse feststellen, dass die große Mehrheit der Demonstrierenden

deutlich der rechtsextremistischen Szene zuzuordnen sei. Er warne davor, zu

pauschalisieren und alle in einen Topf zu werfen. Gemeinsamer demokratischer

Konsens, auch für die AfD-Fraktion im Landtag Mecklenburg-Vorpommern, müsse

aber sein, keinen Raum für Rechtsextremismus zuzulassen.

Abg. Karen Larisch geht auf die Äußerungen von Thomas de Jesus Fernandes ein.

Er meine nicht Integration, sondern Assimilation. Er wolle, dass sich die Menschen,

die nach Deutschland kommen, total anpassten und sich veränderten. Die eigene

Identität zu behalten impliziere auch, die Kultur des anderen Landes leben zu

können. Sie hebt hervor, dass sich niemals zuvor so viele Menschen ehrenamtlich

engagiert und geholfen hätten wie bei der Aufnahme von Geflüchteten in

Deutschland in den Jahren 2015/16. Sie sei fest davon überzeugt, dass die Mehrzahl