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Kulinarische Baumkostbarkeiten Eigentlich müsste man glauben, dass der Mensch im technisierten 21. Jahrhundert, das alles zu er- klären versucht, weit davon ent- fernt ist, Kartenlegern, Wahrsa- gern und Astrologen zu glauben. Doch Autor Egon M. Binder hat festgestellt: „Weit gefehlt! Nach Umfragen wird die Gier danach, einen Blick in die eigene Zukunft zu werfen, immer größer.“ Und er bekennt, dass auch er bei einer Sitzung des „Tischerlrückens“ da- bei war. Spannend ist sein Buch über Alois Irlmaier, den Seher von Frei- lassing, der 1894 bis 1959 lebte. Der Brunnensucher und -bauer hat sich einen Namen als Wahrsa- ger und Wunderheiler gemacht. In seinem eigentlichen Beruf war er allerdings auch nicht schlecht, hatte er doch rund 750 unterirdi- Der Seher von Freilassing sche Quellen entdeckt. Vor allem in der Nachkriegszeit hatte er sei- ne große Stunde, als viele Men- schen Auskunft über das Schick- sal vermisster Soldaten von ihm einholten. Entdeckt wurde der Seher übri- gens vom Traunsteiner Zeitungs- verleger Dr. Conrad Adlmaier, der Vorhersagungen in seinem Buch „Blick in die Zukunft“ veröffent- lichte. Mit 65 Jahren starb Irlmaier 1959 an Leberkrebs – nicht ohne seinen Tod vorhergesagt zu ha- ben. Viele seiner Vorhersagungen trafen ein, eine aber nicht: Er sah 1947 oder 1948 einen dritten Welt- krieg. Der ehemalige PNP-Redakteur Binder war ein eifriger Recher- cheur, besuchte das Lebensum- feld und den ehemaligen Wohn- raum Irlmaiers, recherchierte in Gerichtsakten und stellt einige der Weissagungen in ihrem histo- rischen Kontext vor. Der schmale Band, unterteilt in viele kleine Kapitel, vermittelt viel Wissen und allerlei Unterhaltsa- mes über den außergewöhnlichen Menschen. Und auch darüber, dass die Ausschlachtung seines Erbes noch lange nicht am Ende ist. „Alois Irlmaier, der aus seiner Hellseherei nie ein Geschäft ge- macht hat, würde sich, hätte er solche Entwicklungen vorausge- sehen, noch heute im Grabe um- drehen“, ist das Fazit von Egon M. Binder. Edith Rabenstein Egon M. Binder, Alois Irlmaier (1894–1959, SüdOst Verlag, 72 Seiten, 9,90 Euro. Unterhaltsam: Egon M. Binder schreibt über Alois Irlmaier

Layout buch-23-ge ge/buch/28.06 - gietl-verlag.de fileAls Lord Burlington 1730 sein Chiswick House in London be-zog, spotteten die Neider über das im palladianischen Stil er-richtete

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Als Lord Burlington 1730 seinChiswick House in London be-zog, spotteten die Neider überdas im palladianischen Stil er-richtete Gebäude, es sei „zuklein, um darin zu wohnen, undzu groß, um es an einer Uhren-kette zu tragen“. Dasselbe ließesich über das Schloss Wörlitz sa-gen. Zwischen 1769 und 1773baute Friedrich Wilhelm vonErdmannsdorf das klassizisti-sche Kleinod für seinen FürstenLeopold Friedrich Franz III. vonAnhalt-Dessau. Viel Raum botes nicht. Aber Wörlitz sollteauch nicht seines Schlosses we-gen in die Historie eingehen,sondern seines zauberhaftenGartens wegen.

Ein opulenter Bildband lädtjetzt zu einer ganz besonderenAnnäherung an das Gartenreichdes Fürsten Franz ein. Viele Ma-le hat der Verleger und FotografJanos Stekovics die Wörlitzer

Anlagen besucht. In allen Jah-reszeiten. Am frühen Morgenund bei Sonnenuntergang. SeinZiel war es, die zauberhaftenStimmungen im Park und in denGebäuden mit Fotografien ein-zufangen. Kulturhistorische Es-says komplettieren zweisprachigauf Deutsch und Englisch dasBuch und bilden ein geistigesGegengewicht zu den sinnlichenAufnahmen.

Der Architekturhistoriker Vit-torio Magnago Lampugnanischreibt über die Wurzeln desenglischen Landschaftsgartens.Darüber, wie William Kent, derals Maler zunächst Theaterkulis-sen malte, bevor er später auchLandschaften inszenierte, ganzbewusst Szenen aus Gemäldenvon Nicolas Poussin und ClaudeLorrain nachzubilden versuchte.

Bazon Brock sinniert in sei-nem Text über das „Fortschritts-experiment“ Wörlitz und sieht in

ihm eine Vorstufe zu der Reform-bewegung hundert Jahre später.Während Michael Stürmer dasToleranzbestreben des Aufklä-rers Leopold Friedrich Franzwürdigt und mit Blick auf dieheutige Flüchtlingskrise zu demSchluss kommt, dass wir geradeeinen „Ernstfall der Toleranz“ er-leben, die sich einmal mehr be-währen muss.

Wer Wörlitz nicht kennt undals Tourist einen Wegweiserdurch das Gartenreich sucht, dergreift besser zu einem anderenBuch. Wer aber ein Liebhaber istund den etwas anderen Zugangzu diesem ersten im englischenStil erschaffenen Landschafts-park in Deutschland sucht, demsei dieser atmosphärische Bild-band wärmstens empfohlen.

Welf Grombacher

Thomas Weiß (Hg.), Wörlitz. Ei-ne Annäherung. EditionGarten-Reich, Verlag Janosch Stekovics,352 Seiten, 39, 95 Euro

Ein Garten wie einGemälde

Neuer Bildband über Wörlitz lädt in ein Zauberreich ein

DAS NEUE BUCHMittwoch, 28. Juni 2017 Nummer 146 23

Zauberhafte Stimmung: Venustempel am Wasser. − Foto: Janos Stekovics

Früchte sind ein alltäglicherBaustein unserer Ernährung.Aber Blätter und Triebe? Heutekennt man Lindenblüten und viel-leicht Fichtenspitzen. Früher hat-te man ganz selbstverständlichmit den Schätzen der Bäume ge-kocht und sie in die Hausapothe-ke geholt. Dieses Wissen vor demVergessen zu bewahren, hat sichKarin Greiner zur Aufgabe ge-macht.

Die Autorin ist langjährigeDip-lom-Biologin, lehrt an der TUMünchen die Fächer Botanik undBodenkunde und ist auch Dozen-tin für Kräuterpädagogik undVolksheilkunde. Sie hat zwei festeSendungen rund um Pflanzen undNatur beim Bayerischen Rund-funk. In einem Apothekerhaus-halt groß geworden, verbrachtesie schon als kleines MädchenStunden um Stunden, um vonWeißdornbüschen die Blätter undBlüten zu zupfen. Das spätere Zu-sammenkochen und Brauen imLabor der Apotheke interessierte

Kulinarische Baumkostbarkeiten

sie. Die Leidenschaft, irgendetwasanzusetzen und kulinarisch aus-zuprobieren, ist geblieben. KarinGreiner lädt einmal im Monat, mitpassendem Motto zur Saison,zum Kochtreff „Küchen-Rendez-vous“ (www.kuechen-rendez-

vous.de) ins Schlossgut Odelz-hausen ein. Das Wissen von KarinGreiner wuchs über Jahrzehnte,sie forschte, las sehr viel, recher-chierte, sammelte, probierte ausund traf sich mit Experten. DasBeste davon kam ins Buch. Eineganz genaue Recherchezeit lässtsich für das Buch nicht angeben.Nur so viel, die Berufung wurdezum Beruf – ein Lebenswerk. Vomersten bis zum letzten Buchstabenverging ein komplettes Jahr in Zu-sammenarbeit mit der FotografinMartina Weise.

Aus dem jungen Grün der Na-delbäume im Mai kann man Mai-wipferl-Sirup bereiten, gut zumVerfeinern von Salaten, Saucenund für Desserts. Ohne Fichtenwäre der Mai nicht denkbar, daein Fichtenstamm in der Regelzum Maibaum wird. Und ausFichten lässt sich auch Bier brau-en. Beatrix Dargel

Karin Greiner, Bäume in Kücheund Heilkunde, 264 Seiten, atVer-lag, 29 Euro.

Diplom-Biologin Karin Greiner schreibt über Volksheilkunde

Autorin Karin Greiner ist auch Do-zentin für Kräuterpädagogik.

− Foto: atVerlag

„Kein Volk der Geschichte hatsich so unaufhörlich mit der eige-nen Identität beschäftigt wie dasdeutsche“, schreibt Dieter Borch-meyer in der Einleitung zu „Wasist deutsch? – Die Suche einer Na-tion nach sich selbst“. Seit dem 18.Jahrhundert wird diese Frage im-mer neu gestellt und Borchmeyersagt, dass durch die einseitige De-finition durch den Nationalsozia-lismus die Frage zum „Kanon desVerbotenen“ gehörte. Erst seit derWiedervereinigung sei sie aus die-sem Kanon entlassen worden.

Der Professor für Neuere deut-sche Literatur und Theaterwissen-schaft bietet einen Gang durch diedeutsche Ideen- und Kulturge-schichte. Dabei vertieft der Wis-senschaftler folgende repräsenta-tive Themenbereiche: das Span-nungsfeld von Provinz, Nationund Welt, verschiedene Phäno-menologien des Deutschen, Ver-suche und Tendenzen einer deut-schen Mythologie, die typischedeutsche Selbstkritik, Verfehlun-gen und Legenden der deutschenIdeologie, die Liebes- und Ver-hängnisgeschichte des deutschenJudentums sowie Aufstieg undKrise der deutschen Universität.Weiter untersucht er die Rolle derMusik, das Deutschtum bei Tho-mas Mann und die geistige Situati-on Deutschlands nach der Wie-dervereinigung.

Dieter Borchmeyer ist ein äu-ßerst belesener und gelehrter Wis-senschaftler. Sein Bildungs- undReflexionshorizont geht sicher-lich weit über den des Durch-schnittslesers hinaus. Der neugie-rige Leser wird sich sehr gerne aufden weiten geistesgeschichtlichen

Panorama der Geistesgeschichte

Kosmos, den Borchmeyer zur Fra-ge des Deutschtums bietet, einlas-sen. Alle einschlägigen Philoso-phen Dichter und auch Musiker,die sich zum Thema geäußert ha-ben, werden zitiert: Hegel, Fichte,Herder, Goethe, Schiller, Hein-rich von Kleist, Heine, Börne,Nietzsche, Thomas Mann, vonKeyserling, Richard Wagner,Ernst Bloch, Martin Walser und

andere. Borchmeyer referiert dieMeinungen und stellt sie einandergegenüber in zwölf Kapiteln, stetsin Kontext gesetzt mit der politi-schen Geschichte. Dass er da-bei seine eigenen Forschungs-

Dieter Borchmeyer legt seinen Diskurs „Was ist deutsch?“ vor

Der Schicksalsfluss der Deut-schen: Das Cover zeigt Assmans-hausen mit Rhein und Rheinsteinum 1890/1900.

− Foto: Rowohlt

schwerpunkte wie WeimarerKlassik, Deutschtum und Juden-tum, Musik und Thomas Mannbesonders breit darstellt, kannman ihm kaum verübeln. Nichtzuletzt, weil hier die „deutscheFrage“ auch Kernthema war.

Der wenig neugierige oder auchweniger belesene Rezipient wirddas Buch freilich als mühsamempfinden, auch wenn er in demausführlichen Anmerkungsteilvielleicht die eine oder andereFrage beantwortet finden würde.Ein Vorteil dieses Buches ist:Durch die gute Gliederung kannman jederzeit ein- und aussteigen.Auch das ausführliche Personen-register lädt dazu ein.

Dieter Borchmeyer ist etwasEinmaliges gelungen. Er bietet ei-nen Panoramablick auf die deut-sche Geistesgeschichte. Er zeigtauf, wie sich der Begriff des Deut-schen immer wieder wandelteund neue Identitäten hervor-brachte. Er erzählt aber auch voneinem Land, das zwischen Welt-bürgertum und nationaler Über-heblichkeit changiert. Letztlichzeigt er auf, dass es einen deut-schen Nationalcharakter ebennicht gibt – und dass die Deut-schen stets auf der Suche nachsich selbst sind. Durchaus mitSelbstzweifel. Nicht unbedingtdie schlechteste Eigenschaft in ei-ner Welt, in der die Nationalismenwieder die Oberhand zu gewin-nen scheinen!

Edith Rabenstein

Dieter Borchmeyer, Was istdeutsch?, Rowohlt Verlag, 1056Seite 39,90 Euro.

Eigentlich müsste man glauben,dass der Mensch im technisierten21. Jahrhundert, das alles zu er-klären versucht, weit davon ent-fernt ist, Kartenlegern, Wahrsa-gern und Astrologen zu glauben.Doch Autor Egon M. Binder hatfestgestellt: „Weit gefehlt! NachUmfragen wird die Gier danach,einen Blick in die eigene Zukunftzu werfen, immer größer.“ Und erbekennt, dass auch er bei einerSitzung des „Tischerlrückens“ da-bei war.

Spannend ist sein Buch überAlois Irlmaier, den Seher von Frei-lassing, der 1894 bis 1959 lebte.Der Brunnensucher und -bauerhat sich einen Namen als Wahrsa-ger und Wunderheiler gemacht. Inseinem eigentlichen Beruf war erallerdings auch nicht schlecht,hatte er doch rund 750 unterirdi-

Der Seher von Freilassingsche Quellen entdeckt. Vor allemin der Nachkriegszeit hatte er sei-ne große Stunde, als viele Men-schen Auskunft über das Schick-sal vermisster Soldaten von ihmeinholten.

Entdeckt wurde der Seher übri-gens vom Traunsteiner Zeitungs-verleger Dr. Conrad Adlmaier, derVorhersagungen in seinem Buch„Blick in die Zukunft“ veröffent-lichte.

Mit 65 Jahren starb Irlmaier1959 an Leberkrebs – nicht ohneseinen Tod vorhergesagt zu ha-ben. Viele seiner Vorhersagungentrafen ein, eine aber nicht: Er sah1947 oder 1948 einen dritten Welt-krieg.

Der ehemalige PNP-RedakteurBinder war ein eifriger Recher-cheur, besuchte das Lebensum-

feld und den ehemaligen Wohn-raum Irlmaiers, recherchierte inGerichtsakten und stellt einigeder Weissagungen in ihrem histo-rischen Kontext vor.

Der schmale Band, unterteilt inviele kleine Kapitel, vermittelt vielWissen und allerlei Unterhaltsa-mes über den außergewöhnlichenMenschen. Und auch darüber,dass die Ausschlachtung seinesErbes noch lange nicht am Endeist. „Alois Irlmaier, der aus seinerHellseherei nie ein Geschäft ge-macht hat, würde sich, hätte ersolche Entwicklungen vorausge-sehen, noch heute im Grabe um-drehen“, ist das Fazit von Egon M.Binder. Edith Rabenstein

Egon M. Binder, Alois Irlmaier(1894–1959, SüdOst Verlag, 72Seiten, 9,90 Euro.

Unterhaltsam: Egon M. Binder schreibt über Alois Irlmaier

Dass der erste Band über„Kleinodien, Kostbarkeiten, Ku-riositäten“ ein solcher Erfolg wür-de, hatten sich die HerausgeberAlois Brunner, Ludger Drost undAndreas Paul nicht gedacht. Des-halb haben sie sich auf weitereEntdeckungsreise begeben, natür-lich mit Fotograf Dionys Asen-kerschbaumer, denn Schätze wol-len auch im guten Licht präsen-tiert werden.

Der reichhaltig bebilderte Bandlebt von interessanten und kurz-weiligen Geschichten, die man alsBetrachter vielleicht gar nichtwahrnimmt.

Da ist zum Beispiel die Beson-derheit, die sich der Maler Franz

Auf EntdeckungsreiseJosef Soll in der Pfarrkirche St. Vi-tus in Kirchweidach hat einfallenlassen: Nicht nur sich selbst hat er,was durchaus üblich war, am Ran-de einer Szene mit dem Bayern-herzog Theodo und dem hl. Ru-pert dargestellt, sondern auch sei-ne Ehefrau – und somit ihren An-teil am Entstehen der Fresken mit-gewürdigt!

Schwammerl in der Kirche?Nein, keinen Wandpilz, sonderneine besondere Verzierung ausStuck hat die Pfarrkirche MariaNamen in Iggensbach aufzuwei-sen, die im Volksmund auch„Schwammerlkirche“ genanntwird. Und natürlich gibt es dazuauch eine Geschichte über die

Pfarrersköchin . . .Eine andere Kuriosität ist die

Erweckung eines gebratenenPfaus zum Leben durch den hl.Gunther, der sein Fastengelübdenicht brechen wollte. Das Bildvon Wolfgang Andreas Heindl be-findet sich in der Kirche Johannesder Täufer in Rinchnach.

Vergnüglich und informativ istder Band, in dem auch MichaelBär, Bernhard Kirchgessner undMartin Ortmeier Autoren sind.Löblich: das Künstlerverzeichnis!

Edith Rabenstein

Kleinodien, Kostbarkeiten, Ku-riositäten, 143 Seiten, VerlagFriedrich Pustet, 14,95 Euro.

„Kleinodien, Kostbarkeiten, Kuriositäten 2“ im Bistum Passau