Mathematik in Der Praxis Booklet Web

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  • MATHEMATIK IN DER PRAXIS ZuKuNfT gESTAlTEN ANgEwANDTE MATHEMATIK

  • Dokumentation des Kongresses, den das Fraunhofer-Institut fr Techno- und Wirtschafts-

    mathematik ITWM und das Fraunhofer-Institut fr Algorithmen und Wissenschaftliches

    Rechnen SCAI mit Untersttzung des Bundesministeriums fr Bildung und Forschung (BMBF)

    am 24. Mrz 2009 in der Hauptstadtreprsentanz der Deutschen Telekom AG in Berlin mit 400

    Teilnehmern veranstalteten

  • Zukunft gestalten Angewandte MathematikMATHEMATIK IN DER PRAXIS

  • VoRwoRT

    Groe Teile der Industrie haben den Nutzen der Mathematik

    schon lngst erkannt: Virtuelle Modelle treten an die Stelle

    realer Modelle. Simulationen ersetzen kostspielige und

    zeitintensive Experimente. Alle naturwissenschaftlichen und

    ingenieurwissenschaftlichen und die meisten wirtschaftswis-

    senschaftlichen Vorgnge sind ihr Gegenstand.

    Die mathematische Beschreibung ermglicht eine bessere Pro-

    gnose, Optimierung und Steuerung. Die Anzahl der Aufgaben,

    deren Lsung die Anwendung von Mathematik erfordert, wird

    auch in Zukunft rasant wachsen.

    Technologischer Fortschritt und Innovation bentigen mathe-

    matische Modelle und deren Auswertung mittels numerischer

    Algorithmen. Daraus ergeben sich dann Simulationsprogram-

    me, die Optimierung der Lsungen und schlielich deren

    Visualisierung. Das Werkzeug hierfr liefern die klassischen

    Disziplinen der Angewandten Mathematik: Numerik, Opti-

    mierung, Stochastik sowie Differentialgleichungen. In diesen

    Disziplinen gehrt die deutsche Forschung zur Weltspitze.

    Die Curricula der Schulen spiegeln diese Rolle hingegen nur

    wenig wider. In der Schulwirklichkeit ist mithin von den revo-

    lutionren Entwicklungen der Angewandten Mathematik bis-

    lang kaum etwas angekommen. Daher ist es nur folgerichtig,

    dass die beiden mathematisch orientierten Fraunhofer-Institute

    fr Algorithmen und Wissenschaftliches Rechnen SCAI in

    Sankt Augustin und fr Techno- und Wirtschaftsmathematik

    ITWM in Kaiserslautern hier gesellschaftliche Verantwortung

    bernehmen und Impulse fr eine zeitgeme Ausrichtung

    der mathematischen Ausbildung geben.

    Der Kongress Mathematik in der Praxis: Zukunft gestalten

    Angewandte Mathematik, der am 24. Mrz 2009 mit Unter-

    sttzung des Bundesministeriums fr Bildung und Forschung

    (BMBF) in der Hauptstadtreprsentanz der Deutschen Telekom

    AG in Berlin mit 400 Teilnehmern, darunter viele Schler,

    stattfand, nahm den Schwung des Jahres der Mathematik

    2008 ins diesjhrige Wissenschaftsjahr 2009 Forschungsex-

    pedition Deutschland mit. Im Fokus des Vortragsprogramms

    standen die Wechselwirkungen von Mathematik und Praxis

    in Forschung und Innovation. In den Workshops und Podi-

    umsdiskussionen gab es Anregungen und Anstze fr einen

    nachhaltigen Wandel des Mathematikunterrichts in unseren

    Schulen. Das und das SCAI haben bereits Erfahrung mit

    praktischen Angeboten fr Schler und Lehrer und sind bereit,

    sich auf diesem Weg weiter zu engagieren.

    Ihr

    Prof. Dr. Dieter Prtzel-Wolters

    Institutsleiter Fraunhofer-Institut ITWM

    Prof. Dr. Ulrich Trottenberg

    Institutsleiter Fraunhofer-Institut SCAI

  • gRuSSwoRT

    Mathematik prgt Wirtschaft und Arbeitswelt, Wissenschaft

    und Forschung gleichermaen. Mathematische Ideen und

    Kenntnisse sind der Schlssel fr Innovationen. Die Herausfor-

    derungen unserer Zeit erfordern daher auch die Entwicklung

    immer neuer mathematischer Methoden.

    Gute mathematische Fhigkeiten sind die Eintrittskarte in viele

    Zukunftsberufe. Deshalb mssen wir die anwendungsnahe

    Mathematik deutlich strker in Schulunterricht und Ausbil-

    dung einbeziehen und so bei jungen Menschen schon frh das

    Interesse an der Mathematik wecken und sie fr ihre Vielfalt

    und Faszination begeistern.

    Das Wissenschaftsjahr 2008 hat die Bedeutung der Mathema-

    tik fr die breite ffentlichkeit sichtbar gemacht und Anste

    dafr gegeben, wie Mathematik spannend vermittelt werden

    kann.

    Diese Impulse aufzunehmen und weiterzuentwickeln, dazu

    hat der Kongress Mathematik in der Praxis einen wertvollen

    Beitrag geleistet. Ich freue mich sehr, dass auch die mathe-

    matisch orientierten Institute der Fraunhofer-Gesellschaft mit

    ihrer hervorragenden Fachkompetenz einen wichtigen Beitrag

    leisten, um eine zeitgeme Ausrichtung der Lehreraus- und

    -fortbildung sowie einen praxisnahen Schulunterricht in den

    MINT-Fchern voranzutreiben. Fr dieses wichtige Engagement

    wnsche ich weiterhin viel Erfolg.

    Ihre

    Dr. Annette Schavan, MdB

    Bundesministerin fr Bildung und Forschung

    4 I 5

  • 4 Vorwort

    5 Gruwort

    8 Erffnung

    8 Begrung und Einfhrung

    Cornelia Quennet-Thielen, Staatssekretrin im Bundesministerium fr Bildung und Forschung

    12 Prof. Dr. Hans-Jrg Bullinger, Prsident der Fraunhofer-Gesellschaft

    14 Mathematik als Querschnittstechnologie

    Inka Schneider im Gesprch mit Prof. Dr. Helmut Neunzert, Grnder des Fraunhofer-Instituts

    ITWM und Prof. Dr. Ulrich Trottenberg, Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts SCAI

    18 Die Bedeutung der Angewandten Mathematik fr die moderne

    Industriegesellschaft

    18 Ohne Mathe keine Surfer ein Blick hinter die Fassaden von

    Computer, Internet und Co.

    Achim Berg, Vorsitzender der Geschftsfhrung der Microsoft Deutschland GmbH

    22 Ohne Mathematik fhrt heute kein Auto mehr

    Dr. Bernd Pischetsrieder, Berater der Volkswagen AG

    24 Damit die Rechnung aufgeht Mathematik in der Finanz- und

    Versicherungswirtschaft

    Dr. Wilhelm Schneemeier, Mitglied der Geschftsfhrung (CRO), Swiss Life in Deutschland

    28 Digitale Musik und der Sound der Zukunft

    Kreative Klang-Algorithmen auf dem Computer

    Daniel Haver, CEO, Native Instruments GmbH

    30 Workshops

    30 I. Probleme mit Mathematik?!

    Jun.-Prof. Dr. Nicole Marheineke und Akad. Rat Dr. Martin Bracke, Fachbereich Mathematik,

    TU Kaiserslautern

    34 II. Algorithmen versus Lsungsformeln Lehreraus- und weiterbildung

    Dr. Anton Schller und Prof. Dr. Ulrich Trottenberg, Fraunhofer-Institut SCAI

    38 III. Versteckte Mathematik(er) auf Spurensuche in der Industrie

    Dr. Dietmar Albrecht, Leiter Personalentwicklungsstrategie, Volkswagen Coaching GmbH

    i n h a l t s v e r z e i c h n i s

  • 42 Wissenschaftliche Vortrge

    42 I. Die ertrgliche Leichtigkeit der Dinge

    Dr. Konrad Steiner, Fraunhofer-Institut ITWM

    44 II. Computersimulation statt Tierversuch

    Dr. Norbert Siedow, Fraunhofer-Institut ITWM

    46 III. Rette sich wer kann Feuersimulation auf Fhrschiffen

    Dipl.-Inform. Ottmar Krmer-Fuhrmann, Fraunhofer-Institut SCAI

    48 IV. GridPOWER

    Dr. Thomas Soddemann, Fraunhofer-Institut SCAI

    50 Podiumsdiskussion

    Interdependenzen industrieller Anforderungen und der

    Ausbildung von Nachwuchs- und Fachkrften in der Mathematik

    Teilnehmer auf dem Podium:

    Dr. Dietmar Albrecht, Leiter Personalentwicklungsstrategie, Volkswagen Coaching GmbH

    Dr. Martin Gerling, Schulleiter Werner-Heisenberg-Gymnasium, Leverkusen

    Dr. Klaus Kinkel, Vorsitzender Deutsche Telekom Stiftung

    Prof. Dr. Helmut Neunzert, Grnder des Fraunhofer-Instituts ITWM

    Prof. Dr. E. Jrgen Zllner, Senator fr Bildung, Wissenschaft und Forschung des Landes Berlin

    Teilnehmer im Plenum:

    Dr. Ulrich Halbritter, Mathematisches Institut der Universitt zu Kln

    Prof. Gnter Ziegler, Institut fr Mathematik der TU Berlin

    Moderation:

    Christoph Drsser, Wissenschaftsredakteur der ZEIT in Hamburg

    58 Resmee und Handlungsempfehlungen

    60 Fraunhofer-Gesellschaft

    61 Impressum

    6 i 7

  • ERffNuNgInka Schneider, Moderator in

    BEgRSSuNg uND EINfHRuNg

    Zu kompliziert, zu schwierig, zu anstrengend? Das Jahr der Mathematik hat Schluss gemacht

    mit diesem schlechten Image der Mathematik und Faszination fr dieses Fach geweckt.

    Jetzt gilt es, diese Begeisterung am Leben zu erhalten. Auf diesem Kongress geht es darum,

    anhand vieler Beispiele zu zeigen, wie die Mathematik als Querschnittstechnologie alle Bereiche

    unseres Lebens durchdringt.

    Mathematische Studien sind die Seele aller industriellen Fortschritte. Kein geringerer als

    Alexander von Humboldt hat hier in wenigen Worten die grundlegenden Leistungen von

    Mathematik beschrieben.

    Mathematik ist ein Motor wirtschaftlicher Entwicklungen und ein wesentlicher Faktor fr die

    Innovationskraft unseres Landes. Es ist immer wieder faszinierend, wie Mathematik unser

    tgliches Leben durchdringt und beeinflusst und eigentlich keinen Bereich auslsst: Mathematik

    macht Autos und Flugzeuge sicherer, Motoren sparsamer, Verkehrsplanung effizienter, Wetter-

    und Klimavorhersagen berhaupt erst mglich.

    Mit dem Wissenschaftsjahr 2008, dem Jahr der Mathematik, ist es uns gelungen, diese

    groe Faszination und Begeisterung der Mathematik einer breiteren ffentlichkeit nher zu

    bringen und erfolgreich fr sie zu werben. ber 500 Partner haben das Jahr mit ber 800

    Veranstaltungen bereichert. Und ber 800 Mathemacher haben sich fr Mathematik stark

    gemacht. Allein die Ausstellungen haben mehr als 400 000 Menschen begeistert. Das MathFilm

    Festival 2008 fllte Kinosle in ber 100 deutschen Stdten.

    Vor allem konnten wir und das war die oberste Zielsetzung Kinder und Jugendliche

    erreichen. 34 000 Schulen in ganz Deutschland erhielten Informationsmaterial zum Jahr

    der Mathematik. Mehr als 4300 Mathekoffer wurden von den Schulen erworben. Und, um

    das Zahlenspiel noch ein bisschen weiter zu treiben, jeder vierte Schler der Sekundarstufe I

    1 Cornelia Quennet-

    Thielen, Staatssekretrin

    im Bundesministerium fr

    Bildung und Forschung.

    Cornel ia Quennet-Thie len, Staatssekretr in im Bundesminister ium fr Bi ldung und Forschung

    8 i 9

  • M a t h e M a t i k i s t e i n M o t o r w i r t s c h a f t l i c h e r

    e n t w i c k l u n g e n u n d e i n w e s e n t l i c h e r f a k t o r f r

    d i e i n n o v a t i o n s k r a f t u n s e r e s l a n d e s .

    Der Mathekoffer ist ein Angebot fr Lehrkrfte, die ihren Schlerinnen und Schlern der Sekundarstufe I im Mathema-tikunterricht handlungsorientiertes, experimentelles Lernen und das selbstndige Entdecken von Zusammenhngen ermglichen wollen. Die innovative Lehrmaterialsammlung entstand im Jahr der Mathematik 2008 nach einer Idee des Deutschen Vereins zur Frderung des mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterrichts e.V. (MNU) und mit Untersttzung der Deutschen Telekom Stiftung und des Bundesministeriums fr Bildung und Forschung.

    Jeder Mathekoffer enthlt vier Themenboxen: Raum und Form, Funktionale Zusammenhnge, Zahlen, Terme, Glei-chungen und Zufall und Wahrscheinlichkeit. In den Boxen

    befinden sich Materialien zum Messen und Experimentieren, Legen und Zhlen, Knobeln und Spielen, die fr den Unterricht sofort einsatzbereit sind. Aufgabenkarteien fr Schler und Kommentare fr Lehrer mit konkreten Unterrichtsideen, didak-tischen Tipps und Kopiervorlagen ergnzen die Ausstattung. Darber hinaus enthlt der Koffer zwei Aufgabenkarteien mit Begleitheft: Messen, Schtzen, berschlagen und Zaubern, Spielen, Knobeln.

    Der Mathekoffer erschien in limitierter erster Auflage von 2.500 Stck zum MNU-Bundeskongress im Mrz 2008 und war im Sommer ausverkauft. Die zweite Auflage erschien im August, und seit Januar 2009 ist die dritte Auflage im Handel.

    www.klett.de

  • profitiert heute von diesen innovativen Lernmaterialien im

    Mathekoffer. Das ist ein sehr beachtlicher Erfolg.

    Der Knguru-Wettbewerb fr Schler verzeichnete mit

    750 000 Mathe-Begeisterten einen neuen Teilnehmerrekord.

    Und auch der Hochschul-Wettbewerb Kopf und Zahl inspi-

    rierte viele, neue Ideen zu entwickeln, die das Zusammenspiel

    zwischen Geisteswissenschaften und Mathematik frdern.

    Die Impulse aus dem Wissenschaftsjahr wirken weiter. Dieser

    Kongress ist ein hervorragendes Zeichen dafr. Mein herzlicher

    Dank an die Fraunhofer-Gesellschaft, dass sie dieses Engage-

    ment weiter vorantreibt.

    Mathematik ist die Seele aller industriellen Fortschritte, ist

    der Schlssel fr exzellente Forschung und zukunftweisende

    Innovation. Deutschland spielt in der Mathematik heute

    international eine herausragende Rolle. Die Angewandte

    Mathematik ist einer der Technologiebereiche, in denen wir

    zu den Top 3 der Welt gehren. Diese gute Position wollen

    und mssen wir weiter ausbauen. Deshalb ist es wichtig, neue

    Wege zu suchen und nachhaltige Prozesse anzustoen, um

    eine moderne, praxisbezogene Vermittlung von Mathematik

    zu frdern.

    Nur wenn uns das gelingt, werden mehr junge Menschen

    sich fr mathematische, fr naturwissenschaftliche und

    technische Fcher begeistern. Die aktuellen Studienan-

    fngerzahlen weisen hier, was Mathe angeht, leider noch in

    die falsche Richtung. Zwar sind die Zahlen insgesamt auf einen

    Rekordstand geklettert, was sehr erfreulich ist. Doch es haben

    sich weniger Anfnger fr ein mathematisches oder natur-

    wissenschaftliches Studium entschieden. Daran mssen wir

    weiter arbeiten. Aber es gibt auch einen Lichtblick: Es haben

    sich nmlich deutlich mehr junge Menschen eingeschrieben in

    den Ingenieurwissenschaften. Und bekanntlich steckt in den

    Ingenieurwissenschaften auch jede Menge Mathematik.

    Diese Zahlen unterstreichen einmal mehr: Wir mssen den

    jungen Menschen noch viel besser vermitteln, dass Mathema-

    tik ein Sprungbrett ist fr ganz viele Zukunftsberufe und ein

    Trffner fr spannende berufliche Karrieren.

    Eine Zielgruppe wollen wir dabei besonders in den Blick

    nehmen: Das sind die jungen Frauen. Um Studiengnge und

    Berufe in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und

    Technik, den so genannten MINT-Fchern, attraktiver fr junge

    Frauen zu machen, hat Bundesforschungsministerin Annette

    Schavan im Rahmen der Qualifizierungsinitiative der Bundesre-

    gierung im vergangenen Jahr den Nationalen Pakt fr Frauen

    in MINT-Berufen mit 45 Partnern auf den Weg gebracht.

    Mathematisches Wissen und Verstndnis sind auf dem

    Arbeitsmarkt sehr gefragt. Untersuchungen zeigen, dass in

    Deutschland bis 2010 ein Mehrbedarf von 79 000 Mathemati-

    kern und Informatikern besteht, und dass zwischen 2010 und

    2020 noch einmal 95 000 weitere bentigt werden. Damit

    wird sehr deutlich: Auch in Zeiten der Krise bieten sich hier

    hervorragende Mglichkeiten fr berufliche Karrieren.

    Rund 60 Prozent der in der Industrie beschftigten

    Akademiker sind Ingenieure. Und in den wissensintensiven

    Dienstleistungen sind mehr als ein Drittel der Beschftigten

    mit Hochschulabschluss Naturwissenschaftler und Naturwis-

    senschaftlerinnen. Eine renommierte amerikanische Jobver-

    mittlungsagentur hat jngst ein Ranking der 200 wichtigsten

    Berufe vorgenommen. Auf die ersten Pltze kamen drei

    mathematische Berufe: der Mathematiker, der Aktuar er

    befasst sich mit mathematischen Fragestellungen bei Banken

    und Versicherungen und der Statistiker. In einem Kommen-

    tar des Wallstreet Journals heit es dazu: Mathematik sei viel

    mehr als ein langweiliges Schulfach, sie sei die Wissenschaft

    des Problemlsens.

    Mathematische Kompetenzen und Qualifikationen entschei-

    den vielfach ber die berufliche Laufbahn im akademischen

  • M a t h e M a t i k i s t e i n s p r u n g b r e t t f r g a n z v i e l e z u k u n f t s b e r u f e

    u n d e i n t r f f n e r f r s p a n n e n d e b e r u f l i c h e k a r r i e r e n .

    Bereich ebenso wie in ganz vielen Ausbildungsberufen. Dies

    muss noch viel deutlicher ins Bewusstsein der ffentlichkeit

    gerckt werden. Und es muss noch strker in den Schulen

    ankommen, bei Lehrern und bei Schlern.

    Schulen knnen Mathematik begreifbar machen und

    Faszination an dieser vielfltigen Disziplin entstehen lassen.

    Voraussetzung dafr ist allerdings ein spannender und lebens-

    naher Unterricht in Mathematik und den darauf basierenden

    Fchern. Die Mathematik in der Schule braucht viel mehr Pra-

    xisbezug. Mathematik in der Schule muss mehr Angewandte

    Mathematik sein, bzw. die Anwendung der Mathematik zur

    Lsung lebenspraktischer Probleme aufzeigen. Der Mathe-

    koffer war eine solche Aktivitt, und die groe Resonanz zeigt,

    dass diese Strategie auch tatschlich ankommt. Darauf mssen

    wir weiter aufbauen.

    Allerdings ntzen die Appelle der Politik hier nur in Grenzen.

    Um hier einen Wandel zu schaffen, sind wir auf das Enga-

    gement der Schulen, aber auch der Unternehmen und der

    Wissenschaftsorganisationen angewiesen. Sie mssen zum

    einen aufzeigen, wie wichtig mathematische Kompetenzen

    in vielen Berufsfeldern sind und wie dringend sie junge

    Menschen brauchen, die diese Kompetenzen mitbringen. Zum

    anderen mssen sie Wege zeigen, wie Mathematik anschau-

    lich gemacht werden kann.

    Die Fraunhofer-Institute sind hier in ihrem Einsatz fr

    Lehreraus- und -fortbildung und fr einen praxisnahen

    Schulunterricht in den MINT-Fchern vorbildlich.

    Die Bedeutung der Mathematik fr die Gesellschaft wchst

    unaufhaltsam. Darauf hat die Fraunhofer-Gesellschaft reagiert

    mit der Einrichtung von drei mathematisch orientierten

    Instituten seit 2001. Sie gestalten Zukunft durch Angewandte

    Mathematik und durch Veranstaltungen wie die heutige. Ich

    danke der Fraunhofer-Gesellschaft und ihrem Prsidenten,

    Professor Bullinger, fr ihr Engagement, die Rolle der Mathe-

    matik in Deutschland auch weiter nachhaltig zu strken. Und

    ich wnsche Ihnen allen eine interessante Veranstaltung, gute

    Gesprche und viele Impulse, fr noch mehr an Mathematik.

    Unter dem Motto Komm, mach MINT! will die Bundesregierung deutlich mehr junge Frauen fr MINT-Berufe gewinnen.

    Die Paktpartner haben sich konkrete gemeinsame Ziele gesetzt: Der Anteil an Studienanfngerinnen in den naturwissenschaftlich-technischen Fchern soll um durchschnittlich fnf Prozentpunkte stei-gen, bei Neueinstellungen im MINT-Bereich sollen Frauen mindestens entsprechend ihres Anteils an

    den Absolventen bercksichtigt werden, und ihr Anteil an Fhrungspositionen soll deutlich erhht werden.

    Das Bundesministerium fr Bildung und Forschung untersttzt den Pakt mit drei Millionen Euro im Jahr. Das Internet-Portal www.komm-mach-mint.de informiert Schlerinnen und Studentinnen mit einer Aktionslandkarte ber die Vielzahl schon bestehen-der und geplanter Aktivitten der Paktpartner.

    10 i 11

  • f r a u n h o f e r - i n s t i t u t e f f n e n f r s c h l e r u n d

    l e h r e r i h r e t o r e , d a M i t s i e s i c h a u s e r s t e r h a n d

    b e r d i e f o r s c h u n g s p r a x i s i n f o r M i e r e n k n n e n .

    Die Mathematik hat in der Fraunhofer-Gesellschaft einen hohen Stellenwert: Zwei ihrer Institute

    tragen sie in ihrem Namen: das Fraunhofer-Institut fr Techno- und Wirtschaftsmathematik

    und das Fraunhofer-Institut fr Algorithmen und Wissenschaftliches Rechnen. Darber hinaus

    kommt keines der 57 Fraunhofer-Institute ohne Mathematiker aus. Deshalb tut man gut daran,

    bei der mathematischen Ausbildung in Schule und Hochschule auch diese guten beruflichen

    Perspektiven zu vermitteln.

    Aus der Breite der Themen, die an den Fraunhofer-Instituten beforscht werden, nenne ich

    als Beispiel den MP3-Standard. Er wurde am Fraunhofer-Institut fr Integrierte Schaltungen

    IIS in Erlangen entwickelt. Um einen MP3-Player zu bauen, braucht man viel Verstndnis von

    Chipfertigung und Nachrichtentechnik, aber der Kern, das Geheimnis des MP3-Players, sind

    Algorithmen zur Datenverdichtung. Wir trennen zunchst die Tne mit ihren Funktionen und

    Frequenzen und fhren sie dann wieder zusammen. Ohne diesen Algorithmus htten wir den

    MP3-Standard niemals erfinden knnen. Auch in der Medizin spielt Mathematik eine wichtige

    Rolle, etwa wenn es darum geht, mit bildgebenden Verfahren lebende Organe zu untersuchen.

    Mit Virtual Reality wird in zunehmendem Mae an der Produktentwicklung gearbeitet, etwa in

    Prof. Dr. Hans-Jrg Bul l inger, Prs ident der Fraunhofer-Gesel lschaft

    MP3 ist ein Dateiformat zur Audiodatenkom-pression. Es bedient sich der Psychoakustik mit dem Ziel, nur fr den Menschen bewusst hrbare Audiosignale zu speichern, so dass die Datenkom-pression die Audioqualitt nicht beeintrchtigt. Es macht sich zunutze, dass der Mensch zwei Tne erst ab einem gewissen Mindestunterschied der Tonhhe (Frequenz) voneinander unterscheiden kann und vor und nach sehr lauten Geruschen fr kurze Zeit leisere Gerusche schlechter oder gar nicht wahrnimmt. Deshalb muss man nicht das Ursprungssignal exakt abspeichern, sondern es rei-chen die Signalanteile, die das menschliche Gehr wahrnehmen kann. Die Aufgabe des Kodierers ist es, das Signal so aufzuarbeiten, dass es weniger Speicherplatz bentigt, aber fr das menschliche Gehr noch genauso klingt wie das Original. Dabei folgt das Kodieren stets einem festgelegten

    Algorithmus. Der Dekoder erzeugt dann aus diesen MP3-Daten ein fr die berwiegende Anzahl von Hrern original klingendes Signal, das aber nicht mit dem Ursprungssignal identisch ist, da bei der Umwandlung in das MP3-Format Informationen entfernt wurden.

    Entwickelt wurde das Format MP3 ab 1982 von einer Gruppe um Prof. Dr. Karlheinz Brandenburg am Fraunhofer-Institut fr Integrierte Schaltungen (IIS) in Erlangen und an der Universitt Erlangen-Nrnberg in Zusammenarbeit mit AT&T Bell Labs und Thomson. 1992 wurde es als Teil des MPEG-1-Standards festgeschrieben. Die Datei-Endung mp3 wurde am 14. Juli 1995 nach einer institutsinternen Umfrage festgelegt. Prof. Dr. Brandenburg wurde fr die Entwicklung dieses Datenformates mehrfach ausgezeichnet.

    1 Prof. Dr. Hans-Jrg

    Bullinger, Prsident der

    Fraunhofer-Gesellschaft.

  • der Fahrzeugentwicklung: In unseren Laboren werden Crash-

    Versuche im Mastab von eins zu eins simuliert, lngst ehe der

    erste Prototyp des neuen Fahrzeugs gebaut wird. Die Erfolge

    der deutschen Automobilindustrie in den letzten Jahren

    hngen sicher auch mit diesen fortschrittlichen Entwicklungs-

    methoden zusammen.

    Solche Beispiele mssten Rckwirkungen auf die Studienwahl

    unserer Abiturienten haben. Doch tatschlich haben wir im

    internationalen Vergleich zu wenig Studierende der Mathe-

    matik und Informatik. Nur 1,5 Prozent der Absolventen eines

    Studienjahres machen in diesen Fchern einen Abschluss.

    Nimmt man die Studierenden der Mathematik, der Natur- und

    der Ingenieurwissenschaften zusammen, so bilden sie etwa

    ein Drittel. 16 Prozent angehender Ingenieure stehen 21

    Prozent Sprach- und Literaturwissenschaftler gegenber. Das

    wirft die Frage auf, ob die jungen Leute bei ihrer Studien- und

    Berufswahl wirklich alle Informationen zur Verfgung haben,

    um eine bestmgliche Entscheidung zu treffen.

    Eine Schwierigkeit mag darin liegen, dass wir an den Schulen

    zwar Mathematiklehrer haben, aber eben keine Lehrer aus

    der Softwarebranche, aus Banken und Versicherungen oder

    aus Industrieunternehmen. Da man auch nicht erwarten kann,

    dass sich Lehrer in all diesen Branchen auskennen, sieht die

    Fraunhofer-Gesellschaft ihre Aufgabe darin, mehr fr den

    Dialog zwischen der Schule und den Organisationen zu sor-

    gen, wo Mathematiker gefragt sind, so dass die Schlerinnen

    und Schler sich mglichst frhzeitig ein Bild machen knnen,

    wie ein Beruf aussehen knnte, fr den man Mathematik

    braucht. Und das ist auch die Motivation unserer Institute,

    fr Schler und Lehrer ihre Tore zu ffnen, damit sie sich aus

    erster Hand ber die Forschungspraxis informieren knnen.

    Betrachtet man bei den Ingenieuren die Altersklasse der

    55- bis 65jhrigen und im Vergleich dazu die Zahl derjenigen,

    die die Hochschulen verlassen, so betrgt die Quote zwischen

    beiden 0,9 das heit wir ersetzen zurzeit noch nicht einmal

    die ausscheidenden Ingenieure. Angesichts der vor uns liegen-

    den Aufgaben habe ich die Sorge, dass es uns gelingen mge,

    gengend junge Menschen fr diese Disziplinen zu begeistern.

    Was sind die Herausforderungen, die heute die Menschen

    am meisten bewegen? Wir haben herausgefunden: Zur

    Sicherung ihrer Zukunft brauchen Menschen vor allem

    Gesundheit, Sicherheit, Energie, Kommunikation, Umwelt

    und Mobilitt. Deshalb fokussiert die Fraunhofer-Gesellschaft

    ihre Forschungskapazitten auf diese sechs Themenfelder.

    Und die Mathematik ist ein unverzichtbares Gerst, um die

    notwendigen Innovationen zu entwickeln.

    Die zwlf Zukunftsthemen der Fraunhofer-Gesellschaft sind

    den sechs Feldern zugeordnet, z.B. die Entwicklung elektro-

    nischer Schutzengel in Kleidungsstcken, die mit Sensoren

    ausgestattet sind, um die Lebensfunktionen zu berwachen.

    Oder biofunktionale Werkstoffe: Die Haut eines Materials,

    Instruments oder Gerts bt in Kontakt mit biologischen

    Umgebungen eine Funktion aus. Sie fischt bestimmte Mole-

    kle heraus, empfngt Signale oder stimuliert eine Reaktion.

    Biofunktionalitt ist also weit mehr als bloe Vertrglichkeit

    die Oberflche kommuniziert!

    Energiespeicher sind wichtig, wenn man auf regenerative

    Energie setzt: Windenergie funktioniert besonders gut, wenn

    der Wind blst. Fr die Zeiten, in denen das nicht der Fall

    ist, mssen wir das Speicherproblem lsen. Das gilt ebenso

    fr Elektrofahrzeuge. Dies alles sind spannende Fragen, die

    groen Einfluss haben in Bezug auf unsere Zukunft in dieser

    Gesellschaft und unsere Stellung im Vergleich zu anderen

    Nationen und anderen Regionen dieser Welt. Dafr brauchen

    wir weiterhin fhige Menschen, die sich diesen Themen

    zuwenden. Und die mssen alle Mathematik beherrschen.

    Wichtig ist dabei, dass man sie an schnen Beispielen ver-

    mittelt bekommt, wie schon Blaise Pascal wusste: Die Mathe-

    matik als Fachgebiet ist so ernst, dass man keine Gelegenheit

    versumen sollte, sie etwas unterhaltsamer zu gestalten.

    1

    12 i 13

  • MATHEMATIK AlS QuERScHNITTSTEcHNologIEInka Schneider im Gesprch mit Prof. Dr. Helmut Neunzert , Grnder des Fraunhofer- Inst i tuts ITWM, Kai-

    sers lautern, und Prof. Dr. Ulr ich Trottenberg, Inst i tuts le i ter des Fraunhofer- Inst i tuts SCAI, Sankt August in

    was fr ein typ Mensch muss man als Mathematiker sein?

    Neunzert: Man muss logisch denken knnen und braucht Spa am Problemlsen.

    Trottenberg: Man muss sich von der Mathematik faszinieren lassen. Wir wollen deshalb heute

    deutlich machen, wie spannend Mathematik ist, wie viel Spa sie machen kann und wie die

    Faszination insbesondere ber die Anwendungen transportiert werden kann.

    was leistet angewandte Mathematik heute?

    Neunzert: Mathematik ist die Schlsseltechnik des Problemlsens. Sie bersetzt Probleme in

    mathematische Modelle das nennt man Modellieren und lst sie mit Hilfe des Computers

    das nennt man Berechnen. Mathematische Modellbildung und die rechnerische Auswertung

    dieser Modelle fhrt zur Simulation. Und damit gewinnt man riesige Mglichkeiten, denn in

    dieser virtuellen Welt ist es viel leichter vorauszudenken und zu optimieren.

    Das groe Gebiet der Simulation wird in den nchsten Jahren die Medizin sein. Und da sind wir

    erst am Anfang. Auch das neue Fraunhofer-Institut fr Bildgesttzte Medizin MEVIS in Bremen

    widmet sich der groen spannenden Frage: Wie funktioniert der menschliche Organismus? Das

    simulieren zu knnen, davon sind wir aber noch weit entfernt. Es gibt erste Schritte: Blutkreis-

    lauf, Simulation von Organen, aber da ist noch enorm viel zu tun.

    welche rolle spielt der computer fr die Mathematik als neuer schlsseltechnologie?

    Trottenberg: Die angewandte Mathematik hat sich in den letzten 50 Jahren fundamental

    verndert, und sie hat ihrerseits die Welt verndert. Da spielt natrlich der Rechner als ein

    immer besseres Werkzeug eine ganz entscheidende Rolle. Dazu kommt, dass die Mathematik

    selbst immer bessere Algorithmen entwickelt hat das sind die Verfahren, die auf dem Rechner

    laufen. So sind auch die mathematischen Modelle hinsichtlich ihrer Zuverlssigkeit und Hand-

    habbarkeit fortlaufend verbessert worden.

    M i t d e M M p 3 - p l a y e r h a b e n w i r r e a l

    g e w o r d e n e a l g o r i t h M e n i n d e r h a n d .

    1 Prof. Dr. Ulrich

    Trottenberg, Institutsleiter

    des Fraunhofer-Instituts

    SCAI und Inka Schneider.

  • Die Beitrge der Mathematik zur Entwicklung effizienter Simulation und Optimierung sind sicherlich

    deutlich grer als die aller anderen Disziplinen. Die Ergebnisse sind Entwicklungen, die jeder

    erfhrt: Mit dem MP3-Player, der Scheckkarte, dem Handy, dem Navi haben wir real gewordene

    Algorithmen in der Hand. Wenn man Schlern klar macht, dass da berall Mathematik drin steckt,

    sollten sie den Nutzen und die Bedeutung dieses Faches erkennen und sich dafr begeistern lassen.

    wieso gilt die Mathematik als Querschnittswissenschaft?

    Neunzert: Ein Ingenieur braucht bei jeder Problemlsung Mathematik. Die Mathematiker sehen

    dabei Querverbindungen: dass etwa in einem Problem der Biologie etwas hnliches steckt wie

    in einem Problem des Maschinenbaus. Dieses bertragen von Ideen von einem Bereich auf den

    anderen schafft Innovation. Deshalb ist Mathematik eine Quelle der Innovation. Und deshalb ist

    Mathematik der Kopf von MINT. Aber es gilt auch, dass die Mathematik ohne die Verbindung mit

    den anderen Fchern der Informatik, den Naturwissenschaften, der Technik an Bedeutung

    verliert. Heute ist Interdisziplinaritt gefragt.

    und doch hat Mathematik in der gesellschaft immer noch ein image-problem.

    Neunzert: Deutschland ist in der Mathematik weltweit Spitze. Das ist ein Standortvorteil, der

    gesichert und ausgebaut werden muss. Gewiss ist Mathematik kein leichtes Fach, aber ein

    fantastisch spannendes. Wir mssen das Image verbessern, indem wir die groe Bedeutung der

    Mathematik bewusst machen, das breite Feld der Anwendungen vermitteln und den Spa, den

    Mathematik machen bedeutet, rberbringen.

    Trottenberg: Natrlich ist auch die Abstraktion ein wesentliches Element der Mathematik in

    dieser Querschnittsrolle. Aber das heit ja nicht, dass sie sich zurckzieht aus der Welt. Vielmehr

    hat sie sich aus den Fragestellungen, den Problemen der Welt entwickelt und wirkt in die Welt

    hinein. Sie ist also eine Problemlsungswissenschaft.

    wie bringt man nun diese neue rolle der Mathematik in den schulunterricht?

    Trottenberg: Insbesondere das mathematische Modellieren, aber auch den effizienten Einsatz

    von Rechnern zur Problemlsung lernt man am besten durch Tun. Im Sinne der Bildungsforschung

    handelt es sich nach Elsbeth Stern hier um Denkstrategien, die zwar lernbar, aber eben kaum

    direkt lehrbar sind. Wissen ber solche Strategien entsteht auf der Basis von Inhaltswissen. Das

    heit: Modellieren und zielgerichtetes Berechnen beherrscht nur, wer ordentlich Mathematik kann.

    Dazu mssen Mathematikaufgaben so gestellt werden, dass die mathematische Kreativitt der

    Schler geweckt wird und sie sinnvolle Problemlsungsstrategien selbst entwickeln.

    1

    14 i 15

  • Neunzert: Der Bildungsforscher Felix Klein hat schon vor 100 Jahren geschrieben: Man sollte

    im ganzen Unterricht, auch auf der Hochschule, die Mathematik stets verknpft halten mit

    allem, was den Menschen gem seinen sonstigen Interessen auf seiner jeweiligen Entwick-

    lungsstufe bewegt und was sich nur irgend in Beziehung zur Mathematik bringen lsst.

    Und der Pisa-Bericht 2001 definiert: Mathematische Grundbildung besteht aus mehr als der

    Kenntnis mathematischer Stze und Regeln und der Beherrschung mathematischer Verfahren.

    Sie zeigt sich vielmehr im verstndnisvollen Umgang mit Mathematik und in der Fhigkeit,

    mathematische Begriffe als Werkzeuge in einer Vielfalt von Kontexten einzusetzen. Hierzu

    gehren unter anderem ein Verstndnis der Rolle, die Mathematik in der heutigen Welt spielt,

    sowie die Fhigkeit, Situationen in mathematische Modelle zu bersetzen, mathematisch zu

    argumentieren und begrndete mathematische Urteile abzugeben.

    Der Wille ist also da, aber die praktische Umsetzung fllt schwer. Es gibt noch keine Methoden

    des praktischen Wie. Nach meiner Meinung mssen wir weg von den eingekleideten Aufgaben

    und hin zu echten Fragestellungen. Ein wesentliches Ziel unseres heutigen Kongresses ist, dass

    wir Ideen entwickeln, wie man die echten mathematischen Probleme in die Schulen bringen

    kann.

    knnen sie da schon praktische beispiele geben?

    Neunzert: Ich denke etwa an die Multiskalenanalyse, die mathematisch und praktisch hchst

    relevant ist, nach unserer Kenntnis aber in der Schule noch nicht behandelt wird. Dabei geht es

    um die Betrachtung unterschiedlicher Auflsungen (Skalen), z.B. wenn wir aus dem Weltraum

    heraus in eine Region der Erde zoomen: Da gehen wir von der Fernsicht in die Nahsicht, also

    von groen zu kleinen Skalen.

    Auch das MP3-Format nutzt die Multiskalenanalyse: Ein Audiosignal lsst sich in mathemati-

    scher Formelsprache in Skalen, also in Anteile verschiedener Lngen zerlegen: Tiefe Frequenzen

    bedeuten lange Wellen, hohe bedeuten kurze Wellen. Die Amplituden geben an, mit welcher

    Lautstrke die jeweilige Frequenz in dem Ton enthalten ist. Dazu kommt nun die entscheidende

    Idee, dass das menschliche Ohr gewisse Frequenzen in der Nhe einer dominanten, also viel

    lauteren Frequenz schlechter wahrnimmt. Man kann also ohne Qualittsverlust die Menge der

    Daten reduzieren, indem man die entsprechenden Frequenzen mit kleineren Amplituden weg-

    lsst. Das heit, man bearbeitet die Skalen in der Weise, dass es der Fhigkeit des menschlichen

    Ohrs entspricht. So kann man Musik mittels Multiskalenanalyse mit weit geringerem Aufwand

    speichern und bertragen, ohne einen Qualittsverlust zu hren.

    1 Prof. Dr. Helmut

    Neunzert, Grnder des

    Fraunhofer-Instituts ITWM.

    1

  • Trottenberg: Die Multiskalenanalyse spielt nicht nur in der Modellbildung, sondern auch

    in der Berechnung, der Numerik, eine zentrale Rolle. Simulationen werden mit partiellen

    Differentialgleichungen beschrieben: Man legt ein Gitter auf das zwei- oder dreidimensionale

    Objekt, und je feiner das Gitter ist, desto genauer ist die Approximation. In jedem Gitterpunkt

    hat man dann eine oder mehrere Gleichungen. Insgesamt entstehen auf diese Weise riesige

    Gleichungssysteme.

    Simulation luft in vielen Fllen auf die Lsung solcher groen linearen Gleichungssysteme

    hinaus. Die Anzahl der Unbekannten liegt dabei oft im Millionenbereich. Die Idee der

    Multiskalen-Verfahren ist, dass man ganz berwiegend nur auf den groben Gittern rechnet,

    aber die Genauigkeit der feinen Gitter erhlt.

    Die Algorithmik hat in den letzten 30 Jahren eine enorme Entwicklung genommen: Dank

    immer schnellerer Computer (Faktor 4000) und der Einfhrung des Multiskalenprinzips bei

    den mathematischen Verfahren hat sich die Rechenleistung nochmals um den Faktor 20 000

    verkrzt: also etwa von 200 000 auf 0,01 Sekunden. Das heit natrlich, dass man heute

    Aufgaben lsen kann, von denen man vor 20 Jahren noch gar nicht dachte, dass man sie je

    auf Rechnern wrde lsen knnen. Und beide Entwicklungen gehen weiter. Es gibt noch viele

    Ideen, wie man Algorithmen schneller machen kann.

    Ein groes Anwendungsfeld fr die Mathematik ist die Meteorologie. Die Wettervorhersagen

    werden immer besser: Sie sind heute fr in vier Tagen so gut wie vor zehn Jahren fr den

    nchsten Tag. Und das hngt damit zusammen, dass man heute auf feinen Skalen arbeitet.

    Der deutsche Wetterdienst hat sich fr das Jahr 2012 vorgenommen, ein Gitter ber die Welt

    zu legen, das einen Gitterabstand von 20 Kilometern hat, das sind dann vier Millionen Gitter-

    punkte auf der Erde in 100 Hhenschichten. Das heit, man hat ein lineares Gleichungssystem

    mit 400 Millionen Unbekannten. Solche Gleichungssysteme mssen tglich viele tausendmal

    gelst werden, in jedem Zeitschritt. Denn man rechnet in Zeitschritten in die Zukunft, um

    eine Wettervorhersage zu machen. Die Aufgabe ist heute noch nicht gelst. Rechner mit der

    erforderlichen Leistungsfhigkeit werden da sein, aber die Algorithmen es sollten sicher

    wieder Multiskalen-Algorithmen sein sind heute noch nicht vorhanden. Das ist noch Aufgabe

    fr die nchsten drei Jahre.

    w i r M s s e n i M M a t h e M a t i k u n t e r r i c h t w e g

    v o n d e n e i n g e k l e i d e t e n a u f g a b e n

    u n d h i n z u e c h t e n f r a g e s t e l l u n g e n .

    16 i 17

  • Wenn ich an Mathematik denke, denke ich an meine Schule und an meinen Lehrer ihm habe

    ich es zu verdanken, dass ich wohl ein ganz brauchbarer Wirtschaftsinformatiker geworden

    bin. Ich glaube, dass die Lehrer eine ganz wichtige Rolle spielen, um die Begeisterung, die

    passion zu wecken und den Schlern klar zu machen, dass Mathe kein Glasperlenspiel ist,

    sondern die Realitt. Denn ohne Mathematik gbe es keine Surfer, keine Computer, keine E-

    Mails, kein Google, kein IBM, kein Microsoft. Die Mathematik ist die geistige Mutter der IT. Und

    die Informations- und Kommunikationsbranche erzielt damit ber eine Billion Dollar Umsatz im

    Jahr.

    Warum zhlt Mathe im Leben? Steve Ballmer, der Geschftsfhrer von Microsoft, erklrt

    Schlern, dass die Mathematik alles durchdringt und man alles mit ihr beschreiben kann. Und

    er rt ihnen, auch bei Problemen nicht aufzugeben.

    DIE BEDEuTuNg DER ANgEwANDTEN MATHEMATIK fR DIE MoDERNE INDuSTRIEgESEllScHAfTDie scheinbar graue Theor ie der Zahlen erffnet fasz in ierende Perspekt iven. V is ionen werden

    kalkul ier- und real is ierbar. Der Rechner kann die Welt verndern. Angewandte Mathematik ist

    beral l : ob im Auto, im Laptop, in Vers icherungs- und Vorsorgeprodukten oder in der Musik.

    Groe Tei le der Industr ie haben den Nutzen der Mathematik lngst erkannt. Deutschland ist

    Weltspitze in Disz ip l inen wie Numerik, Opt imierung, Stochast ik oder Different ia lg le ichungen.

    E in ige Anwendungen, ohne die im wahrsten S inne des Wortes nichts luft .

    1 Achim Berg, Vorsitzen-

    der der Geschftsfhrung

    der Microsoft Deutschland

    GmbH.

    oHNE MATHE KEINE SuRfER EIN BlIcK HINTER DIE fASSADEN VoN coMPuTER, INTERNET uND co.Achim Berg, Vors i tzender der Geschftsfhrung der Microsoft Deutschland GmbH

    w i r b r a u c h e n d r i n g e n d M e h r a b s o l v e n t e n

    d e r M a t h e M a t i k , d e r i n f o r M a t i k u n d d e r

    n a t u r w i s s e n s c h a f t e n .

  • Mathematik, die Mutter der informatik

    Mathematik ist Ausdruck der Sehnsucht des Menschen nach

    bersichtlichkeit und Einfachheit. Mathe verstehen ist und

    war fr viele Menschen ein Bildungsziel, selber rechnen aber

    einfach Arbeit. Deshalb wurden Rechenmaschinen erfunden,

    Speicher fr Zahlen, Daten und Fakten: Das fngt mit der

    Strichliste an. Vom Abacus bis zur ersten Zhlmaschine hat es

    fast 3000 Jahre gedauert.

    1642 erfand Blaise Pascal die erste mechanische Rechenma-

    schine. Zu seinen Ehren trgt eine Programmiersprache seinen

    Namen. Gottfried Wilhelm Leibniz leistete die Vorarbeit fr das

    Rechnen mit binren Zahlen (binrer Code, 1679): Dem liegt

    die Erkenntnis zugrunde, dass grundstzlich alle Rechenschrit-

    te auf Operationen von Ja-Nein-Werten zurckgefhrt werden

    knnen. Konrad Zuses erste Rechner mit Datenspeicherung

    (Z1 und Z3) in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts

    basierten auf diesem Steuerungsprinzip EINS/NULL: das heit:

    Information fliet / Information fliet nicht.

    Zuses Rechner fllten ein ganzes Wohnzimmer, konnten aber

    weniger als ein einfacher Taschenrechner heute. Der erste

    PC (Altair 8080) kam 1975 u.a. als Bausatz heraus. Er lief

    mit einem basic interpreter, der von Paul Allen und Bill Gates

    geliefert wurde. Das war die Geburtsstunde von Microsoft.

    gesetzmigkeiten in der informationstechnik

    Die rasante Entwicklung der Informationstechnik lsst sich

    durch drei Gesetzmigkeiten belegen:

    1. Storage Law: Diese Gesetzmigkeit besagt, dass sich die

    Speicherkapazitt der Rechner alle zwlf Monate verdop-

    pelt. Hatte ein handelsblicher PC im Jahr 1985 16 MB

    Festplattenspeicher, kommt er heute auf 1 bis 1,5 Terabyte.

    2. Data Information Law: Die Datenmenge verzehnfacht sich

    innerhalb von fnf Jahren. Fr 2010 erwarten wir ein welt-

    weites Datenvolumen von 1000 Exabytes, das sind tausend

    mal eine Trillion Bytes.

    3. Moores Law: Vor 40 Jahren formulierte der Intel-Mitbe-

    grnder Gordon Moore seine Theorie, dass sich die Zahl der

    Transistoren auf einem handelsblichen Prozessor alle 18

    Monate verdoppelt. Man geht davon aus, dass Moores Law

    noch bis in die 20er Jahre dieses Jahrhunderts reichen wird.

    Dann ist die physikalische Grenze erreicht.

    Diese Gesetzmigkeiten setzen der Branche sich selbst

    erfllende Prophezeiungen, d.h. man strebt danach, alle 18

    Monate die Rechenleistung zu verdoppeln, bzw. doppelt so

    viele Prozessoren auf die Speicherchips zu bekommen.

    Mathematik und computer

    Mathematik ist die universelle Sprache des Computers. Jeder

    Buchstabe hat eine Zahl (A=110001) Das ist der ASCII-Code

    (American Standard Code for Information Interchange),

    hnlich wie Morsezeichen. Diese Sprache ermglicht die Kom-

    munikation zwischen Mensch und Rechenmaschine. Zur ber-

    setzung des Maschinencodes dienen die Programmiersprachen

    (z.B. C++, Java, Delphi). Sie ermglichen das Schreiben von

    Software in einer fr den Menschen verstndlichen Sprache.

    Miniaturisierung

    Die Handys, die dieses Jahr auf den Markt kommen, haben

    die Grafikleistung einer Spielkonsole. Dahinter stecken Chips,

    die auf immer kleinerem Raum immer mehr Funktionen

    versammeln. Hier reden wir ber Nanometer, also milliardstel

    Meter. Ein Nanometer verhlt sich zu einem Meter wie eine

    Haselnuss zur Erde.

    Die Schaltungen auf dem Chip sind teilweise nur wenige

    Atome lang. Dass ein Prozessor immer das gleiche tut, wird

    durch mathematische Berechnungen sichergestellt. Hier stellt

    sich die Mathematik also in den Dienst der Physik.

    world wide web

    Ende letzten Jahres gab es weltweit 200 Millionen Internet-

    adressen, 120 Milliarden Seiten, die im Internet verfgbar

    sind. Mathematik bringt Ordnung in dieses Chaos: durch den

    PageRank-Algorithmus. Er basiert auf der Annahme: Je mehr

    Seiten auf eine Internetseite verlinken, desto bedeutender ist

    sie. Das Prinzip des PageRank-Algorithmus ist, dass jede Seite

    1

    18 i 19

  • ein Gewicht (PageRank) besitzt, das umso grer ist, je mehr

    Seiten (mit mglichst hohem eigenen Gewicht) auf diese Seite

    verweisen. So bringen Suchmaschinen die Web-Seiten in eine

    Rangordnung. Dahinter steckt eine hohe Rechenleistung.

    computerspiele

    Auch sie funktionieren nur mit Mathematik: Man braucht

    einen Algorithmus, der auch einen Zufall simuliert. Ein Beispiel

    aus den Forschungslaboren von Microsoft ist songsmith, eine

    Software, die Gesang automatisch mit Instrumentalbegleitung

    unterlegt. Der Rechner fungiert hier als musikalischer Ver-

    mittler. Das Ganze funktioniert mathematisch mit dem Hidden

    Markov Modell. Es bringt die Tonfolge des Liedes und die

    Gesetze der Harmonielehre zusammen. Das ist sehr kompli-

    ziert und braucht dementsprechend viel Rechenleistung.

    karrierechancen in der informatik

    In den MINT-Fchern und gerade in der Informatik haben

    wir einen riesigen Fachkrftemangel. Im letzten Jahr fehlten

    44 000 bei IT-Unternehmen und in den Fachabteilungen

    der Kundenunternehmen. Auch unsere Partner und Hndler

    suchen hnderingend nach Fachleuten. Wir brauchen deshalb

    dringend mehr Absolventen der Mathematik, der Informatik

    und der Naturwissenschaften.

    Ein groer Partner von uns (Computacenter) hat letzten

    Sommer (2008) eine Umfrage unter Jugendlichen gemacht,

    um herauszufinden, wie sie den Stellenwert der IT sehen.

    Das Ergebnis: Sie sind berzeugt, dass IT-Berufe in Zukunft

    noch strker gefragt werden, sehen gute Karrierechancen,

    aber es gibt auch die Aussagen, Informatiker seien Eigenbrt-

    ler oder: Das Fach sei nur etwas fr Mnner. Beides ist vlliger

    Unsinn. Dass nur jeder fnfte Jugendliche die IT-Branche als

    attraktives Berufsfeld bezeichnete zeigt, dass wir da noch viel

    Aufklrungsarbeit leisten mssen. Denn ich kann versichern:

    Die Arbeit wird nicht nur gut bezahlt, sondern macht auch

    sehr viel Spa.

    Wenn ich Jugendliche frage, sagen sie immer: Ich mchte

    Spiele programmieren. Und genau das ist Informatik, das

    ist Mathematik. Hier entstehen die meisten Innovationen:

    Microsoft gibt allein pro Jahr neun Milliarden Dollar fr

    Forschung und Entwicklung aus.

    Galilei hat gesagt: Die Mathematik ist das Alphabet, mit dem

    Gott das Universum geschaffen hat. Ich mchte hinzufgen:

    und die Mutter der IT-Branche, die dafr sorgen wird, dass wir

    auch in Zukunft innovative Produkte entwickeln.

    Das System ist einfach zu bedienen: Der Snger schliet ein Mikrofon an seinen Computer an und singt. Die Software erkennt die Tne der Melodie und unterlegt den Gesang dann mit den passenden Akkorden. Die Nutzer knnen die Begleitung aus einer Reihe von Musikinstrumenten sowie aus 30 verschiedenen Musikstilen auswhlen, sei es Jazz, Rock, Hip-Hop oder Country.

    Das Stck lsst sich dann weiter bearbeiten. Dazu stehen zwei Regler zur Verfgung, der Jazz Factor,

    der das Arrangement eher traditionell oder expe-rimentell klingen lsst, und der Happy Factor, mit dem man bestimmen kann, ob der Song frhlich oder eher wie das Lamento eines verlassenen Liebhabers klingt, indem man wahlweise Dur- oder Mollakkorde dominieren lsst.

    Das fertige Arrangement kann der Nutzer abspeichern oder auf CD brennen. Ldt er die Datei in den Windows Movie Maker, kann er zudem ein eigenes Musikvideo produzieren.

    20 i 21

  • a r b e i t i n d e r i t - b r a n c h e w i r d n i c h t n u r g u t

    b e z a h l t , s o n d e r n M a c h t a u c h s e h r v i e l s p a s s .

  • v i r t u e l l e t e c h n i k e n M a c h e n a u t o s b e s s e r u n d e f f i z i e n t e r .

    In der Entwicklung neuer Automobilmodelle steckt jede Menge Mathematik. Der Bau eines

    Prototyps kostet zehn Millionen Euro. Deshalb werden im Vorfeld wichtige Eigenschaften des

    neuen Fahrzeugs am Rechner simuliert und optimiert.

    beispiele:

    1. die simulation der verbrennungsverlufe

    Mit Hilfe eines mathematischen Modells des Zwei-Liter-Dieselmotors mit vier Ventilen lassen

    sich Kraftstoffverbrauch und Emissionen minimieren. Das heit, es wird im Rechner durchge-

    spielt, was im realen Motor passieren wrde. So lsst sich etwa das Einspritzsystem mit einer

    Dse mit acht Lchern mit einer, die zwlf Lcher hat, vergleichen. Oder man verndert die

    Form der Verbrennungsmulde im Kolben, in der eingespritzt wird und die Zndung beginnt.

    Oder man verndert den Einspritzzeitpunkt. Erst wenn alle Gren optimiert sind, die erreicht

    werden mssen, um einen effizienten Motor zu haben, wird das erste Modell gebaut.

    2. leichtbau und spannungsverlufe

    Der tragende Rahmen eines Golfs besteht aus fnf verschiedenen Qualitten von Blech: An be-

    sonders belasteten Stellen wie den Seitenrahmen wird das hrteste Material eingesetzt, das sich

    nur nach Erhitzen biegen lsst. Ziel der Optimierung ist es, mglichst leichte, auch mglichst

    kostengnstige Werkstoffe zu verwenden, die den jeweiligen Anforderungen standhalten.

    Das Rechnermodell hat die Aufgabe, anhand der Mae eines konkreten geplanten Produktes

    aufzuzeigen, welche Krfte bei welchen Geschwindigkeiten ber die Stodmpfer und andere

    Verbindungselemente ins Fahrzeug eingeleitet werden, so dass festgestellt werden kann, ob ein

    zuknftig noch zu konstruierender Prototyp eines Serienautos diese Krfte aushlt.

    Dazu wird ein virtuelles Auto auf einer virtuellen Teststrecke Krften ausgesetzt, von denen

    bekannt ist: Wenn das Fahrzeug sie ohne Schden bewltigt, gibt es auch in der Realitt keine.

    So ist es durch die Anwendung von virtuellen Simulationsmethoden mglich, sehr viel leichtere

    Karosserien zu bauen, die also weniger Kraftstoff verbrauchen, aber trotzdem die ntige

    Robustheit haben und so Sicherheit bieten.

    oHNE MATHEMATIK fHRT HEuTE KEIN AuTo MEHRDr. Bernd Pischetsr ieder, Berater der Volkswagen AG

    1 Dr. Bernd Pischetsrieder,

    Berater der Volkswagen AG.

  • 3. crash-simulation

    Es liegt auf der Hand, dass es sehr viel billiger ist, ein virtuelles

    Auto gegen eine virtuelle Wand zu fahren, als echte Crashs zu

    produzieren.

    4. visualisierung

    Bei der Design-Entwicklung wird die Licht- und Schattenwir-

    kung beachtet: Wie sieht das Auto aus, wenn die Sonne von

    oben bzw. von der Seite kommt? Am Rechner lsst sich dies

    durchspielen.

    In jedem Prospekt ist ein aufgeschnittenes Auto abgebildet, so

    dass man die Sitzkonfiguration erkennt. Die Zeiten, als man

    fr dieses Foto tatschlich einen Wagen zerstrte, um diesen

    Blickwinkel zu bekommen, sind lngst vorbei. Heute sind in

    jedem unserer Prospekte die CAD-Daten virtuell dargestellt.

    Der Volkswagenkonzern entwickelt seine neuen Modelle mit

    Hilfe von modularen Bauksten. Das spart Entwicklungskosten,

    da man die Vielfalt der Fahrzeugarchitekturen eindmmt.

    Grundmodell beim modularen Querbaukasten fr Autos

    mit quer eingebautem Motor ist der Golf mit Kurzheck. Die

    vorgegebenen Konturen dienen den Designern dazu, ber die

    nach ergonomischen Gesichtspunkten erfolgte Konfiguration

    eine Karosserie zu stlpen. Gespeichert sind die Abstnde fr

    die gesamte Modulfamilie: Verlngert man den Radabstand,

    rckt die hintere Sitzbank um das entsprechende Stck nach

    vorne, und es wird eine weitere Sitzbank eingebaut: So

    entsteht ein Touran. Dabei ist jede funktionale Komponente

    bercksichtigt von der Bremsleitung bis zur Stromversor-

    gung. Insgesamt lassen sich so 45 verschiedene Fahrzeuge

    entwickeln.

    5. virtuelle ergonomie

    Der Mitarbeiter Ramsis, ein virtuelles Mensch-Modell, testet

    die Komfortwerte in der Entwicklungsphase neuer Auto-

    modelle. In Verbindung mit der Software PCMan deckt er

    Schwachstellen, beispielsweise in der Sitz-Lenkrad-Anordnung,

    auf. Am Computer lsst sich dann ganz einfach das Innenle-

    ben des Autos verndern, um die Passform zu verbessern.

    Damit sich spter der stattliche Hne im Auto ebenso wohl

    fhlen kann wie eine zierliche 1,58-Meter-Frau, lsst sich

    Ramsis problemlos verndern. So erkennen wir genau, welche

    technischen Voraussetzungen notwendig sind, um den

    Autofahrern das Leben zu erleichtern und die maschinelle

    Umgebung so gut wie mglich auf sie abzustimmen.

    Eine andere Mglichkeit ist der virtuelle Kasten, der Testkfig,

    in dem eine Person prfen kann, ob ein gedachtes Design fr

    die Innenausstattung gut auf sie angepasst ist. Mittels einer

    speziellen Videobrille wird virtuell der Innenraum des Autos

    eingespielt, und mit Hilfe eines Datenhandschuhs vermessen

    Sensoren und Videokameras smtliche Bewegungen. Diese

    Daten zeigen den Entwicklern zum Beispiel an, ob der Fahrer

    problemlos Bedienelemente wie Schalthebel oder Innenspiegel

    erreicht.

    Fazit: Virtuelle Techniken machen Autos besser und effizienter,

    vermindern den Verbrauch und die Schadstoffemissionen und

    machen hoffentlich die Kunden glcklicher.

    1

    22 i 23

  • Mathematische Modelle und Parameterschtzungen sind das tgliche Werkzeug der Aktuare

    in der Finanz- und Versicherungswirtschaft. Diese wissenschaftlich ausgebildeten und speziell

    geprften Experten analysieren mit mathematischen Methoden der Wahrscheinlichkeitstheorie

    und der Finanzmathematik Fragestellungen aus den Bereichen Versicherungs- und Bauspar-

    wesen, Kapitalanlage und Altersversorgung, und entwickeln Lsungen unter Bercksichtigung

    des rechtlichen und wirtschaftlichen Umfeldes.

    Aktuare sind also an der Schnittstelle zwischen Kunden, Unternehmen und Aufsicht ttig

    und sorgen dafr, dass eine Versicherung auch wirklich sicher ist. Mein persnlicher Weg

    fhrte mich vom Assistenten am Mathematischen Institut der Universitt zum Lebensver-

    sicherungsunternehmen Swiss Life in Mnchen, wo ich als Aktuar fr das Thema Produkte

    und Mathematik sowie fr das Risikomanagement zustndig bin.

    Mein Fazit: Die Mathematik in der Versicherungs- und Finanzwelt ist anspruchsvoll und der

    Beruf des Aktuars attraktiv.

    aktuare und finanzmathematik

    Mathematik ermglicht die Bewertung von Finanzprodukten und so beispielsweise die

    Berechnung des Preises fr die Absicherung eines Aktienportfolios. Das ist wichtig, da wir

    alle Banken wie Versicherungen mit geliehenem Geld arbeiten und damit unseren Kunden

    gegenber Verpflichtungen eingehen.

    Die Wahrscheinlichkeitstheorie ermglicht insbesondere auch Aussagen mit maximaler Sicher-

    heit. In diesem Zusammenhang operieren wir mit 99,5 Prozent Wahrscheinlichkeit, d.h. der

    Verlustfall darf nur einmal in 200 Jahren eintreten. Das ist die Basis fr unsere Management-

    entscheidungen und natrlich fr die Eigenkapitalanforderungen an das Unternehmen.

    Zwei Beispiele, die belegen, wie viel Mathematik in der Welt der Banken und Versicherungen

    steckt:

    DAMIT DIE REcHNuNg AufgEHT MATHEMATIK IN DER fINANZ- uND VERSIcHERuNgSwIRTScHAfTDr. Wi lhelm Schneemeier, Mitgl ied der Geschftsfhrung (CRO), Swiss L ife in Deutschland

    1 Dr. Wilhelm Schnee-

    meier, Mitglied der

    Geschftsfhrung (CRO),

    Swiss Life in Deutschland.

    1

  • d i e w a h r s c h e i n l i c h k e i t s t h e o r i e e r M g l i c h t

    a u s s a g e n M i t M a x i M a l e r s i c h e r h e i t .

    1. black-scholes-Modell

    Die geschlossene Formel zur Bewertung von Finanzoptionen

    in Aktienmodellen, die von Fischer Black und Myron Samuel

    Scholes 1973 verffentlicht wurde, kann man als finanzmathe-

    matische Revolution bezeichnen. Scholes erhielt dafr 1997

    gemeinsam mit dem ebenfalls beteiligten Robert C. Merton

    den Nobelpreis fr Wirtschaftswissenschaften.

    Die Modellierung erfolgt auf der Basis einer geometrischen

    Brownschen Bewegung. Die Formel selbst geht nicht ber eine

    Exponentialfunktion und ein Integral hinaus wir bleiben also

    im Bereich der Schulmathematik , allerdings ist die Herleitung

    weitaus komplizierter.

    Und so wird die Formel angewendet: Um ein Aktienportfolio,

    das zurzeit einen Wert von 140 hat, gegenber eintretenden

    Verlusten abzusichern, falls es nach vier Jahren unter 100

    fllt, kann mithilfe der Formel errechnet werden, dass rund 7

    Prozent des aktuellen Portfoliostandes zur Absicherung durch

    Optionen aufgewendet werden mssen.

    Solche berlegungen spielen natrlich besonders bei

    Lebens versicherungsunternehmen eine groe Rolle. Denn sie

    mssen zu bestimmten Zeitpunkten sichere Auszahlungen an

    die Versicherungsnehmer leisten, selbst wenn sie in Aktien

    investiert sind.

    2. kreditausfall

    In den internen Risikomodellen der Versicherer findet man sehr

    hufig ein so genanntes Value at Risk-Modell. Es wurde von

    J.P. Morgan entwickelt und ist heute ein Standardrisikoma

    im Finanzsektor. Hierbei wird versucht, eine Wahrscheinlich-

    keitsverteilung fr die Verlusthhe herzuleiten, anschlieend

    wird hieraus der Schaden identifiziert, der mit 99,5 Prozent

    Wahrscheinlichkeit nicht unterschritten wird. Entsprechend

    wird dann die Eigenkapitalanforderung berechnet.

    Inzwischen wird nicht nur mit geschlossenen Formeln operiert,

    vielmehr werden in den Risikomodellen mchtige stochasti-

    sche Simulationen durchgefhrt: Es werden hufig 10 000

    Szenarien ber die nchsten 30 bis 40 Jahre entwickelt und

    zu jedem Zeitpunkt eine Bilanzprojektion erzeugt. Das stellt

    Voraussetzung fr die Ausbildung ist ein abge-schlossenes Mathematikstudium (auch als Bachelor mit 120 Credit Points in mathematischen Prfungs-fchern) an einer deutschen Universitt oder Fach-hochschule, das durch gleichwertige Abschlsse (in Physik oder in Statistik) ersetzt werden kann. Notwendig sind auerdem Grundkenntnisse in Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik. Die Ausbildung umfasst einen Fcherkanon, der an Wochenenden in Kursreihen, Repetitorien, Seminaren und Tutorien in verschiedenen Stdten in Deutschland innerhalb von ungefhr drei Jahren

    vermittelt wird. In der Regel sind in den ersten zweieinhalb Jahren maximal neun Prfungen zu ab-solvieren, die Anerkennung von einigen Leistungen aus dem Studium ist mglich.

    Zum Abschluss der Ausbildung zum/zur Aktuar/inDAV muss eine Prfung in einem Fach des aktuariellen Spezialwissens (Lebensversicherung, Schadenversicherung, Pensionsversicherung, Krankenversicherung, Bausparmathematik oder Finanzmathematik) bestanden werden.

    www.aktuar.de

    24 i 25

  • s t u d e n t e n u n d s t u d e n t i n n e n d e r w i r t s c h a f t s M a t h e M a t i k

    s a M M e l n i M a k t u a r p r a k t i k u M f a c h l i c h e s k n o w - h o w .

    hohe Anforderungen an die Rechengeschwindigkeit, selbst

    modernste Computer knnen damit schon mal einen ganzen

    Tag beschftigt sein.

    Entscheidend sind die Parameter, die in die Modelle

    eingegeben werden, u.a. muss man Ausfallrisiken schtzen.

    Die weniger riskanten Positionen laufen unter dem Stichwort

    Investment Grade. In diesem Bereich belaufen sich die

    Risiken im Schnitt auf hchstens ein halbes Prozent, bei den

    spekulativeren Wertpapieren dagegen auf rund 10 Prozent.

    Natrlich sind bei diesen tendenziell risikoreicheren Anlagen

    aber auch hhere Ertrge zu erzielen.

    Aufgabe der Aktuare ist es also, Sicherheit zu generieren,

    insbesondere mssen auch die Aussagen fr das Management

    immer Sicherheitsniveaus und natrlich auch immer eine

    Wahrscheinlichkeitsaussage enthalten. Dass das nicht immer

    funktioniert, zeigt das Beispiel New Orleans: Dort wurde mit

    dem Value at Risk von 99,5 Prozent die Hhe der Dmme

    sozusagen als sicher angesehen, bis dann der Hurrikan kam.

    Aber das gehrt zum Modell dazu: Einmal in 200 Jahren

    nehmen Sie den Schaden in Kauf, andernfalls mssten Sie

    unendlich viel Eigenkapital stellen.

    aufgaben des aktuars

    Aktuare sind bei der Lebensversicherung und bei der Schaden-

    und Unfallversicherung beschftigt, ebenso in der privaten

    Krankenversicherung oder der betrieblichen Altersversorgung

    mit Versorgungskonzepten, aber auch in der Berechnung

    von Pensions- und Deckungsrckstellungen. Im Bausparwesen

    ermitteln Aktuare die Bauspartarife mit Hilfe von Simulations-

    und Prognoserechnungen fr die Zukunft. Aktuare sind bei

    Wirtschaftsprfungsunternehmen ttig, in der Sozialversiche-

    rung und natrlich auch in Lehre und Forschung.

    Spannend ist das Thema Langlebigkeit: Denn wir haben insbe-

    sondere in der Lebensversicherung nicht die Mglichkeit, zehn

    Jahre nach einem Vertragsabschluss die Prmien anzupassen.

    Wir mssen vorsichtig kalkulieren. Wenn eine Frau heute 65

    ist, gehen wir in der Kalkulation davon aus, dass sie 85 wird,

    ein neugeborenes Mdchen hat inzwischen sogar eine Lebens-

    erwartung von 100 Jahren. Dies alles zu bercksichtigen, ist

    Aufgabe der Aktuare.

    Studentinnen und Studenten der (Wirtschafts-) Mathematik mit dem Studienschwerpunkt Versi-cherungs- und Finanzmathematik und mit Interesse am Beruf des Aktuars knnen sich einmal jhrlich im Herbst um Praktika bewerben, die jeweils im Sommer in den mathematisch-aktuariellen Abteilungen namhafter Versicherungs- und Beratungsunternehmen stattfinden und die unterschiedlichsten Aufgabenfelder abdecken: Produktentwicklung, Beratungsprojekte, Risikoma-nagement, Controlling etc. Fr den Sommer 2009 wurden insgesamt 65 verschiedene Praktikumsstel-len angeboten.

    Das Praktikantenprogramm bietet die Mglichkeit, praktische Erfahrungen in dem gewhlten Studienschwerpunkt zu sammeln, fachliches Know-how und berufliche Kompetenz aufzubauen, Kontakte zu mglichen zuknftigen Arbeitgebern zu knpfen und zu berprfen, ob der Beruf des Aktuars die richtige Wahl ist. Auerdem verschafft es Erfahrungen mit Bewerbungsprozessen und erhht die Chancen, nach Abschluss des Studiums einen direkten Einstieg in der Versicherungs- oder Finanzwirtschaft zu finden.

    www.aktuar-praktikum.de

  • die deutsche aktuarvereinigung e.v. (dav)

    Wegen der wichtigen Rolle, die er fr den Kundenschutz einnimmt, sind die Aufgaben des

    verantwortlichen Aktuars eines Unternehmens frher hie er Chefmathematiker im

    Versicherungsaufsichtsgesetz geregelt: Im Wesentlichen hat er darauf zu achten, dass alle

    Berechnungen nach aktuariellen Grundstzen einwandfrei vorgenommen werden und die

    dauernde Erfllbarkeit der sich aus den Versicherungsvertrgen ergebenden Verpflichtungen

    jederzeit gewhrleistet ist.

    Die Deutsche Aktuarvereinigung e.V. (DAV) ist die berufsstndische Vertretung der Versi-

    cherungs- und Finanzmathematiker mit derzeit 3215 Mitgliedern. ber 2000 meist jngere

    Finanz- und Versicherungsmathematiker stehen nach entsprechendem Hochschulstudium

    derzeit im geregelten Ausbildungsgang zum Aktuar. Fr eine Mitgliedschaft mssen nicht nur

    zahlreiche Prfungen bestanden werden, sondern es ist auch eine einschlgige Berufspraxis als

    Aktuar nachzuweisen.

    Weil die Standards der aktuariellen Ausbildung der DAV sehr hoch sind, wird sie auch im

    Ausland anerkannt. Wrde ich z.B. beruflich nach Grobritannien wechseln, htte ich dort die

    Mglichkeit einer assoziierten Mitgliedschaft in der britischen Aktuarvereinigung und knnte

    als Aktuar in einem Unternehmen ttig sein.

    Fr Studentinnen und Studenten existiert ein Praktikantenprogramm, das von der DAV und der

    Deutschen Gesellschaft fr Versicherungs- und Finanzmathematik in Zusammenarbeit mit den

    Hochschulen angeboten wird.

    Entscheidend ist, dass wir Unternehmen und Hochschulen sowie auch Unternehmen und

    Schulen zusammenbringen. Ich mache es in Mnchen so, dass ich jedes Jahr die Leistungskurse

    aus dem Umfeld zu uns einlade, damit wir den Schlern einen Einblick in unsere Arbeit

    verschaffen knnen und an einfachen Beispielen versuchen, ihr Interesse fr Mathematik und

    fr den spannenden Beruf des Aktuars zu wecken. Diesen Weg sollten auch mglichst viele

    weitere Unternehmen whlen, um den Nachwuchs an talentierten jungen Mathematikerinnen

    und Mathematikern auch weiterhin zu sichern.

    26 i 27

  • u s e r d e f i n i e r e n i h r e i n s t r u M e n t e s e l b s t

    b i s i n s k l e i n s t e M o d u l .

    Die Angewandte Mathematik im Bereich der Musik-Software ist ein spannendes Thema.

    Bei akustischen Instrumenten bestimmen Saiten oder Luftsulen den Klang. Die Klangfarbe

    eines Instruments ist dabei sehr gering variabel und die Aufnahme erfolgt ber Mikrofon, ist

    daher relativ aufwendig. Bei elektrischen Instrumenten wie der E-Gitarre oder einem Synthe-

    sizer ist die Klangfarbe erstmals variabel und somit ein weiteres kreatives Element in der Musik.

    Auch die Aufnahme ist wesentlich einfacher, da das Signal direkt per Kabel bertragen werden

    kann.

    Etwa seit Mitte der 1990er Jahre gibt es die Echtzeit-Klangerzeugung auf Standard-Computern,

    also so genannte Software-Instrumente. Mit diesem Evolutionsschritt wurden die klanglichen

    Ausdrucksformen nahezu unbegrenzt und die Aufnahmen wurden nahtlos im Computer

    integriert.

    Die Native Instruments GmbH, 1996 in Berlin gegrndet, ist ein Pionier in diesem Bereich

    und entwickelt Software und Hardware fr Musikproduzenten, DJs und Gitarristen an. Wir

    beschftigen 150 Mitarbeiter, die meisten davon in Berlin, 20 in Los Angeles. Zu unseren

    Nutzern gehren verschiedene Knstler wie Kraftwerk, Radiohead, der DJ Paul van Dijk und der

    Filmmusikkomponist Hans Zimmer.

    Beispiele fr Mathematik in der digitalen Klangverarbeitung:

    1. Die DJ-Software TRAKTOR

    Die Software TRAKTOR ermglicht es, auf dem Computer digitale Musikstcke auf sehr

    kreative Weise miteinander zu verweben. Sie wird sowohl von Hobby-Anwendern als auch von

    Profis im Club-Einsatz live genutzt.

    Beim DJing mit dem Computer ist die Synchronisation der Musikstcke entscheidend: Sie

    haben unterschiedliche Tempi, und TRAKTOR hilft dabei, Tempo und Taktraster mit Hilfe eines

    DIgITAlE MuSIK uND DER SouND DER ZuKuNfT KREATIVE KlANg-AlgoRITHMEN Auf DEM coMPuTERDaniel Haver, CEO, Nat ive Instruments GmbH

    1 Daniel Haver, CEO,

    Native Instruments GmbH.

  • Algorithmus zur Takterkennung automatisch zu erkennen: Im

    ersten Schritt ermittelt TRAKTOR die so genannten Transienten

    eines Musiktitels das sind die perkussiven Signalanteile,

    an denen man die Rhythmusspur erkennt. Ein solches

    Transientenmuster ist allerdings noch kein eindeutiges Abbild

    des Taktgersts, deshalb werden in einem zweiten Schritt von

    der Software auf Basis des erkannten Musters verschiedene

    Tempoannahmen gemacht. In einem dritten Schritt werden

    diese Annahmen dann in fnf Iterationen immer weiter ver-

    feinert und durch die Kongruenzanalyse berprft. Nachdem

    die Taktrate automatisch fr alle Titel erkannt wurde, knnen

    die Musikstcke ganz einfach per Knopfdruck synchronisiert

    werden. So hat der DJ viel mehr Zeit, sich den kreativen Seiten

    des DJings zu widmen.

    2. Die Software GUITAR RIG

    Um mit einem Gitarrenrhrenverstrker fr die E-Gitarre den

    gewnschten Sound und zustzliche Effekte zu erzielen, ist

    normalerweise aufwendige Hardware ntig. Oder aber man

    ldt sich mit der Software GUITAR RIG die Nachbildung solcher

    Gitarrenrhrenverstrker und Effektgerte auf den Rechner

    und kann sich beliebige Klnge aufrufen. Durch Zusatzfunk-

    tionen wie ein Stimmgert oder ein Metronom wird daraus ein

    komplettes Gitarrenstudio. Um mit einer solchen Emulation zu

    berzeugen, muss der Klang absolut authentisch sein.

    Das vielschichtige Klangverhalten von Rhrenverstrkern stellt

    eine ganz besondere Herausforderung dar. Unter Bercksichti-

    gung der komplexen elektrischen Wechselwirkungen mssen

    daher Rhren und Transistoren sorgfltig analysiert und algo-

    rithmisiert werden: Im ersten Schritt wird der Schaltungsauf-

    bau des Verstrkers analysiert. Die Schaltungslogik wird als ein

    Signalflussmodell in einem Sotware-Prototypen implementiert.

    Entscheidend fr den Klang ist das elektrische Verhalten der

    individuellen Bauteile des Verstrkers. In Schritt zwei werden

    daher Rhren, Filter und hnliche Komponenten einzeln mit

    umfangreichen Messreihen analysiert. Daraus lsst sich das

    Input-Output-Verhalten ableiten, das in einer mathematischen

    Funktion abgebildet wird. In Schritt drei bildet die Gesamtheit

    dieser Funktion ein mathematisches Abbild des Verstrkers als

    Signalprozessor.

    3. Die modulare Synthesizer-Software REAKTOR

    REAKTOR ist ein virtueller Baukasten fr die freie Konstruktion

    von Instrumenten und Effektprozessoren. Zentraler Bestandteil

    ist eine umfangreiche Sammlung von DSP-Modulen (DSP =

    digitales Signal-Processing) zur Erzeugung und Verarbeitung

    von Audio- und Event-Datenstrmen. Mit Hilfe dieser Module

    und einer grafischen Oberflche, auf der die Bauelemente mit

    virtuellen Kabeln verbunden werden knnen, lassen sich in

    der Software Musikinstrumente, Effektgerte, Sequenzer u..

    erstellen.

    Beispiel eines Audiofilters: Die oberste Ebene jedes REAKTOR-

    Instruments stellt die frei definierbare Bedienoberflche

    dar. Alle Bedienelemente darauf sind direkt mit den Klang-

    Parametern der darunter liegenden DSP-Strukturen verknpft.

    Links laufen auf der Klaviatur erzeugte Notendaten ein, rechts

    werden die damit ausgelsten Klnge ausgegeben. Auf der

    dritten und untersten Ebene ist das Filter als signalverarbei-

    tender Algorithmus implementiert. Einzelne mathematische

    Operatoren sind dafr so verschaltet, dass die Struktur exakt

    der Formel aus dem Lehrbuch entspricht. Die Audiodaten

    werden entsprechend dieser Formel bearbeitet und am Aus-

    gang des Moduls wieder in den Signalweg eingespeist. Das

    heit: Mit solchen selbst erstellten Filtern und anderen DSP-

    Funktionen bietet REAKTOR uerst flexible Mglichkeiten,

    sich seine ganz eigenen Klangwelten zu erschaffen.

    Das Spannende an REAKTOR ist: Viele dieser Instrumente

    werden von Usern selbst gebaut und bis ins letzte kleine

    Modul selbst definiert, und knnen dann ber eine spezielle

    Website untereinander ausgetauscht werden.

    1

    28 i 29

  • In Mathematik war ich immer schlecht. (Gerhard Schrder)

    Mathematik das ist die Sprache von Wissenschaft und Technik. Damit ist sie eine treibende

    Kraft hinter allen Hochtechnologien und daher eine Schlsseldisziplin fr Industrienationen. Ohne

    Mathematik gibt es keinen Fortschritt und keine technischen Innovationen. (P. Lscher, Siemens)

    Das groe Buch der Natur ist mit mathematischen Zeichen geschrieben. (G. Galilei)

    Die Mathematiker sind eine Art Franzosen: Redet man zu ihnen, so bersetzen sie es in ihre

    Sprache und dann ist es alsobald ganz etwas anderes. (J.W. von Goethe)

    Die Zeiten, in denen ein deutscher Bundeskanzler mit seinem mathematischen Nichtwissen in

    der ffentlichkeit punkten kann, sind sptestens seit der Finanzkrise endgltig vorbei. In den

    Vorstnden vieler Unternehmen gilt die Mathematik als Motor der Wirtschaft, die Fortschritt und

    technische Innovation erst mglich macht. Umso wichtiger ist es, dass diese Anschauung in das

    Bewusstsein der Bevlkerung und die Ausbildung der Kinder dringt.

    Die Arbeitsgruppe Technomathematik der TU Kaiserslautern fhrt, untersttzt durch die Wissen-

    schaftler des Fraunhofer-Instituts ITWM, bereits seit 1993 sehr erfolgreich Modellierungswochen

    in der PfalzAkademie in Lambrecht sowie Modellierungstage an Schulen durch. Da es zu den

    dort gestellten Aufgaben meist keinen eindeutigen vorgezeichneten Lsungsweg gibt, knnen

    die Schlerinnen und Schler ihrer Kreativitt freien Lauf lassen und eigene Lsungsanstze

    entwickeln. So wird Mathematik zum wichtigen Werkzeug fr die Lsung eines Problems.

    Eine noch intensivere Beschftigung mit solchen Aufgaben ermglichen die Modellierungs-

    wochen fr Schler und Lehrer: Dabei treffen sich 40 an Mathematik besonders interessierte

    Schler der Jahrgangsstufen 11 und 12 sowie 16 Lehrer und Lehramtsstudenten in der Pfalz-

    akademie in Lambrecht. Viereinhalb Tage lang bearbeiten sie in acht Teams unter Betreuung eines

    Wissenschaftlers praktische Probleme aus Technik, Medizin, Sport, Wirtschaft und schulen damit

    ihre Problemlsungskompetenz.

    woRKSHoPS I. PRoBlEME MIT MATHEMATIK?!Jun.-Prof. Dr. Nicole Marheineke und Akad. Rat Dr. Mart in Bracke, Fachbereich Mathematik,

    TU Kaisers lautern

  • w o r k s h o p s

    Lehrer und Lehramtsstudenten erhalten zudem ein

    Rahmenprogramm, in dem sie darauf vorbereitet werden,

    Modellierungsprojekte im eigenen Unterricht einzusetzen. Ihre

    Teilnahme wird in Rheinland-Pfalz als Fortbildung anerkannt.

    Fr die Lehrer bietet die ModelIierung eine Perspektive fr eine

    neue Form des Mathematikunterrichts, die zum Denken anregt

    und Spa macht.

    aussagen auf dem podium

    Modellieren ist der richtige Weg, Schler zu begeistern. Im

    normalen Mathematikunterricht ist dies aber schwierig um-

    zusetzen, da im Lehrplan nicht vorgesehen. Auerdem fehlen

    entsprechende Unterrichtsmaterialien. (Oberstudienrtin

    Elisabeth Wiegmann, Fachleiterin fr die Naturwissenschaften

    am Friedrich Ebert Gymnasium, Sandhausen)

    Problemstellungen, die an Modellierungstagen bearbeitet werden, sind keine bungsaufgaben aus der Schulmathematik, sondern reale Fragen aus Technik, Wirtschaft oder Lebenswissenschaften mit Bezug zum Alltag der Schler. Aufgabe ist es, das Problem mathematisch zu modellieren, d.h. in die abstrakte Sprache der Mathematik zu bersetzen. Die Schlerinnen und Schler prfen dabei ihr gesamtes mathematisches Wissen auf Anwendbar-keit und schlieen selbstndig ihre Wissenslcken. Fachbergreifendes Denken spielt dabei eine eben so groe Rolle wie Kreativitt.

    In der Regel wird ein Modellierungsprojekt an einer Schule mit 20 bis 30 Schlern durchgefhrt. Das kann sowohl im Klassenverband als auch im Rahmen von speziellen Projekttagen mit einer Gruppe interessierter Schlerinnen und Schler verschiedener Klassenstufen geschehen und dauert meist zwei bis drei Tage. Die Betreuung erfolgt dabei durch den verantwortlichen Lehrer, untersttzt durch wissenschaftliche Mitarbeiter und Studierende des Lehramts aus Kaiserslautern.

    Die Schlerinnen und Schler bearbeiten in kleinen Gruppen verschiedene sehr offen gestellte Themen

    und fertigen eine Abschlussprsentation an. Durch das Verteilen der Teilaufgaben lernen sie, dass nur eine gute Kommunikation und die Integration aller Teammitglieder in die Gruppe schlielich auch zum Ziel fhren. Am Ende des Projekts haben alle Gruppen die Gelegenheit, ihre Ergebnisse zu prsentieren und die Resultate der anderen Gruppen zu bewundern.

    Die Aufgabe des Lehrers und der Gruppenleiter besteht im Wesentlichen darin, die Gruppe zu moderieren und durch gezieltes Fragen auf Probleme aufmerksam zu machen. Falls ntig, kann auch fehlendes Fachwissen vermittelt werden, im Allgemeinen sollen die Schlerinnen und Schler jedoch selbstndig arbeiten.

    Beispiele fr Modellierungsaufgaben: Wie sieht der optimale Handytarif aus? Ist eine Photovoltaikanlage auf eurem Schuldach

    rentabel? Wie breitet sich eine Grippe-Pandemie aus? Ampelkreuzung oder Kreisverkehr? Wie kann man einen Garten optimal bewssern? Ist das Brotbacken mit einem Automaten

    rentabel?

    30 i 31

  • Ich hab lange nicht kapiert, wozu Mathe gut ist. Dann

    wurden an unserem Gymnasium Modellierungstage von den

    Kaiserslauterer Mathematikern angeboten. Fnf Mdels brte-

    ten ber der Frage, wie man am einfachsten und schnellsten

    rckwrts einparkt und fanden einen Algorithmus heraus.

    Das hat mich total begeistert. (Laura Pfeiffer, Abiturientin am

    Geschwister-Scholl-Gymnasium, Daun)

    beispiel fr eine Modellierungsaufgabe

    Videoeinspielung: Die Riesenschildkrten auf den Seychellen

    sind vom Aussterben bedroht. Man versucht, sie zu zchten

    und muss dabei beobachten, wie sie sich entwickeln.

    Peter Prinz, Schildkrtenzchter, Berlin: Man muss die

    Schildkrten regelmig messen und wiegen und dies doku-

    mentieren, um festzustellen, ob sie gesund wachsen. Doch

    wie hlt man die Tiere auseinander?

    Video: Viertklssler forschen:

    Man braucht einen Personalausweis fr Schildkrten.

    Man sollte sie fotografieren. Die Maserung ihres Bauchpan-

    zers ist wie ein Fingerabdruck.

    Christina Luxemburger, Abiturientin am Geschwister-Scholl-

    Gymnasium, Daun: Zur mathematischen Beschreibung der

    Maserung legt man ein Koordinatensystem auf das Foto des

    Panzers: Es werden zwei Punkte markiert, durch die eine Ach-

    se gelegt wird, dazu die senkrechte Achse. Dann lassen sich

    fr jedes Tier markante Punkte festlegen, die es identifizierbar

    machen. Die Fotos werden in einer Datenbank gesammelt.

    Erkenntnis: Das eigentliche Problem kann jeder angehen.

    Modellierungswochen

    Laura Pfeiffer: Zusammen mit vier weiteren Schlern aus

    verschiedenen Schulen habe ich an einer Modellierungswoche

    der TU Kaiserslautern in der PfalzAkademie in Lambrecht

    teilgenommen. Unser Thema war: Ein Mensch ernhrt sich vier

    Monate lang ausschlielich von Fastfood. Wie verndert er

    sich? Wir haben viel getftelt, uns medizinische Informationen

    beschafft, und am Ende kam eine Kurve heraus. Da hat man

    gesehen, wie viel Spa Mathematik machen kann.

    Elisabeth Wiegmann: Am Anfang reagieren die Kinder oft

    entsetzt, weil es zu diesen Aufgaben meist keinen eindeutigen

    vorgezeichneten Lsungsweg gibt und man aktiv in dem

    gestellten Problem nach der Mathematik suchen muss. Meine

    Erfahrung ist, dass die Schler dabei ber sich hinauswachsen.

    Dazu lernen sie zu kooperieren und zu dokumentieren.

    Voraussetzung ist, dass die Schler Lust haben, mit den Werk-

    zeugen, die sie haben wir beginnen in Klasse 12 , an die

    Problemlsung zu gehen. Diejenigen, die dabei mitmachen,

    sind relativ gute Schler. Sie melden sich freiwillig.

    fazit

    Mathematische Modellierung verschafft Problemlsungskom-

    petenz. Sie bietet eine Perspektive fr eine neue Ausbildungs-

    form, die neben der fachlichen Spezialisierung die Ausprgung

    von Softskills frdert und den Berufseinstieg erleichtert.

    Die mathematische ModelIierung als Problemlsungskompe-

    tenz erffnet den jungen Menschen eine Perspektive fr die

    Zukunftsgestaltung, wie das Beispiel Laura Pfeiffer zeigt: Sie

    mchte Industriemathematikerin werden und beginnt zum

    Wintersemester 2009/10 an der TU Kaiserslautern mit dem

    Studium der Technomathematik.

    1 Aufmerksame Zuhrer

    im Plenum: Prof. Bullinger,

    Frau Quennet-Thielen,

    Prof. Prtzel-Wolters

    und Dr. Albrecht.

    www.agtm.mathematik.uni-kl.de

    32 i 33

  • w o r k s h o p s

  • Trottenberg: Wie kann die moderne Angewandte Mathematik Eingang in den Schul-

    unterricht finden und zu neuen Erfahrungen fr Schler fhren?

    Die rasante Entwicklung immer leistungsfhigerer Computer sowie immer effizienterer Algo-

    rithmen hat die Angewandte Mathematik in den letzten Jahrzehnten revolutioniert. Sind die

    Fortschritte in der Hardware in der ffentlichkeit weitgehend bekannt, so gilt dies viel weniger

    von der Algorithmik, und in der Schulmathematik ist von dieser modernen Mathematik bislang

    nur wenig angekommen.

    II. AlgoRITHMEN VERSuS lSuNgS foRMElN lEHRERAuS- uND wEITERBIlDuNgDr. Anton Schl ler und Prof. Dr. Ulr ich Trottenberg, Fraunhofer- Inst i tut SCAI

    Die Verkrzung der Schulzeit, der Umfang der Lehrplne und die implizite Evaluierung der

    Schulen durch zentrale Vergleichs- und Abschlussprfungen lassen zurzeit kaum Freiraum

    fr eine verstrkte Bercksichtigung der Angewandten Mathematik im Schulunterricht. Eine

    substantielle nderung der Lehrplne erscheint nur lngerfristig durchfhrbar.

    Dabei haben Algorithmen einen direkten Bezug zu Anwendungen, zu Rechnern und zur

    zugrundeliegenden mathematischen Substanz, so dass eine Behandlung dieses Dreiecksbezugs

    den Schlern ein besseres und tieferes Verstndnis der Mathematik ermglichen knnte.

    &RPSXWHU

    $OJRULWKPHQ

    VHF

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  • w o r k s h o p s

    Unumstritten ist, dass heute in Deutschland ein groer

    Fachkrftemangel im IT-Bereich und in technischen Berufen

    herrscht. Will man dies ndern und mehr Interesse fr das

    Studium technischer Berufe schaffen, so gilt es, frhzeitig

    und nachhaltig Faszination und Begeisterung insbesondere

    fr die Mathematik zu wecken, da in all diesen Disziplinen

    die angewandte Seite der Mathematik eine wesentliche Basis

    ist. Die Schlerkompetenzen in Mathematik, Informatik,

    Naturwissenschaft und Technik mssen fachbergreifend

    gestrkt werden. Ziel sollte es sein, eine Vielzahl von Schlern

    zu erreichen und nicht nur reine Elitefrderung zu betreiben.

    Dies bedeutet: Man muss in der Schule ansetzen.

    Als Bausteine fr einen fachbergreifenden Unterricht in

    Angewandter Mathematik und Informatik bieten sich an:

    das Erlernen einer Programmiersprache, die einfach,

    leistungsfhig, modern und auch im spteren Berufsleben

    brauchbar ist,

    die praktische Lsung ausgewhlter konkreter Anwendungs-

    probleme aus Mathematik, Naturwissenschaft und Technik

    mit Hilfe des Computers (in Teamarbeit). Das heit, die

    Schler bersetzen die Problemstellung in ein mathematisches

    Modell, whlen geeignete algorithmische Anstze aus und

    berechnen die Lsung mit selbstentwickelten Computerpro-

    grammen.

    Dabei entwickeln die Schler kreatives Potential, lsen

    naturwissenschaftliche Probleme und erlernen gleichzeitig

    grundlegende Arbeitsweisen der Angewandten Mathematik

    und Informatik.

    Schller: Erfahrungen aus Algorithmik-Workshops im

    Rahmen der Fraunhofer-Talent-School fr hochbegabte

    junge Menschen und potentielle neue Unterrichtsinhalte

    fr den schulischen Mathematikunterricht

    Die Fraunhofer-Talent-School bietet talentierten Jugendlichen

    die Mglichkeit, in zwei- bis dreitgigen Workshops einen

    Einblick in die Forschungsarbeit bei Fraunhofer zu bekommen.

    So lernen Schler mit Programmierkenntnissen in dem

    Mathematik-Workshop Groe Gleichungssysteme Schnelle

    Lsung kein Problem mathematische Verfahren kennen,

    mit denen es mglich ist, groe Gleichungssysteme mit Hun-

    derttausenden oder Millionen von Unbekannten in wenigen

    Sekunden zu lsen, und entwickeln selbst entsprechende

    Computerprogramme.

    Die Erfahrungen aus diesen Workshops sind beraus positiv.

    Die Jugendlichen zeigen durchweg eine hohe Motivation und

    Leistungsbereitschaft und kommen bei der Programmierung

    der komplizierten Verfahren auch durch Gruppenarbeit

    zum Ziel. Die Umsetzung der Algorithmen in ein konkretes

    Programm erleichtert dabei das Verstndnis der Algorithmen

    und der mathematischen Grundlagen, macht den Teilnehmern

    teilweise aber auch ihre Verstndnislcken oder Verstndnis-

    probleme bewusst. Klar ist: Nicht alle in diesem Workshop

    behandelten Algorithmen sind fr den normalen Unterricht

    geeignet, da sie zu kompliziert und zu speziell sind.

    Erforderlich ist die Entwicklung detaillierter Unterlagen fr

    Unterrichtsbausteine und die Vorbereitung und Durchfhrung

    von Fortbildungen fr interessierte Lehrer.

    Lngerfristig sollte die Angewandte Mathematik (im Sinne von

    Anwendungen der Mathematik) sowohl in den regulren

    Lehrplnen als auch in den Studienordnungen fr Lehramts-

    studenten der Fachrichtung Mathematik in angemessener

    Form Bercksichtigung finden.

    5HFKQHUEH]XJ $QZHQGXQJ$OJRULWKPHQ0DWKHPDWLVFKH6XEVWDQ]34 i 35

  • Diskussion

    An der sich anschlieenden lebhaften Diskussion beteiligten

    sich akademische Fachkollegen, Didaktiker, Lehrer, Schler und

    andere Interessenten. Die von den Referenten vorgetragenen

    Positionen wurden von den meisten Diskussionsteilnehmern

    untersttzt. Einige Beitrge enthielten auch Ergnzungen

    und Anregungen, andere uerten aus Sicht der tglichen

    Schulpraxis Zweifel an der kurzfristigen Realisierbarkeit der

    Vorschlge. Im Folgenden sind einige der Diskussionsbeitrge

    nach Themenbereichen geordnet aufgelistet.

    1. Anregungen, wie man die Angewandte Mathematik

    in Ausbildung und Schule bringen kann

    Hilfreich wren Fortbildungen und Praktika fr Lehrer, die

    sich damit beschftigen, wie Mathematik in der Praxis

    gemacht wird.

    Die Fraunhofer-Gesellschaft bietet mit der Fraunhofer-Talent-

    School und den Modellierungswochen Kurse fr Schler

    an. Entsprechende Kurse sollten auch fr Lehrer angeboten

    werden.

    Das fr derartige Fortbildungen entwickelte Material sollte in

    schriftlicher Form aufbereitet und fr interessierte Kollegen

    breit verfgbar gemacht werden.

    Um didaktischen Aspekten Rechnung zu tragen, sollten Unter-

    richtseinheiten gemeinsam mit Lehrern ausgearbeitet werden.

    Ein Anfang kann bereits mit zwei oder drei Beispieleinheiten

    gemacht werden, die zur Weitergabe freigegeben werden.

    Die Lehrerausbildung sollte bei der Konzeption und Ausar-

    beitung entsprechender Unterrichtsentwrfe eingebunden

    werden, indem etwa einschlgige Staatsexamensarbeiten

    vergeben werden. Anschlieend knnte man diese Entwrfe

    in der Schule ausprobieren und daraus in Kooperation mit

    den Seminaren neues Lehrmaterial entwickeln.

    Konkrete Kooperationen mit Lehrern und Schulen sowie

    Schulpartnerschaften knnten dazu beitragen, die Rolle der

    Angewandten Mathematik in der Schule zu strken.

    2. Der Stellenwert der Algorithmik im mathematischen

    Fcherkanon

    Die Lage ist je nach Bundesland unterschiedlich: In manchen

    gehren den Lehrplankommissionen keine Vertreter der

    Algorithmik an, in anderen zhlt die Algorithmik bereits zum

    Prfungsstoff im Abitur.

    Der Algorithmus-Begriff taucht in Bildungsstandards vielfach

    nicht auf. Lehrer knnen damit begrnden, warum Algorith-

    men im Unterricht keine Rolle spielen.

    Lehramtsstudenten knnen die Algorithmik meist vllig

    umgehen, da die Angewandte Mathematik als ein groer

    Teilbereich gilt.

    Die Angewandte Mathematik muss sich viel mehr um die

    Lehrerausbildung kmmern.

    Auch die Deutsche Mathematiker-Vereinigung (DMV) sollte

    dazu beitragen, die Angewandte Mathematik strker ins

    Blickfeld zu rcken.

    3. Der bergang von der Schule zur Hochschule

    Problematisch sind die hohen Studienabbrecherquoten, die im

    Fach Mathematik seit vielen Jahren zwischen 30 und 70 Pro