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MATHEMATIK IN DER PRAXIS ZuKuNfT gESTAlTEN ANgEwANDTE MATHEMATIK
Dokumentation des Kongresses, den das Fraunhofer-Institut fr Techno- und Wirtschafts-
mathematik ITWM und das Fraunhofer-Institut fr Algorithmen und Wissenschaftliches
Rechnen SCAI mit Untersttzung des Bundesministeriums fr Bildung und Forschung (BMBF)
am 24. Mrz 2009 in der Hauptstadtreprsentanz der Deutschen Telekom AG in Berlin mit 400
Teilnehmern veranstalteten
Zukunft gestalten Angewandte MathematikMATHEMATIK IN DER PRAXIS
VoRwoRT
Groe Teile der Industrie haben den Nutzen der Mathematik
schon lngst erkannt: Virtuelle Modelle treten an die Stelle
realer Modelle. Simulationen ersetzen kostspielige und
zeitintensive Experimente. Alle naturwissenschaftlichen und
ingenieurwissenschaftlichen und die meisten wirtschaftswis-
senschaftlichen Vorgnge sind ihr Gegenstand.
Die mathematische Beschreibung ermglicht eine bessere Pro-
gnose, Optimierung und Steuerung. Die Anzahl der Aufgaben,
deren Lsung die Anwendung von Mathematik erfordert, wird
auch in Zukunft rasant wachsen.
Technologischer Fortschritt und Innovation bentigen mathe-
matische Modelle und deren Auswertung mittels numerischer
Algorithmen. Daraus ergeben sich dann Simulationsprogram-
me, die Optimierung der Lsungen und schlielich deren
Visualisierung. Das Werkzeug hierfr liefern die klassischen
Disziplinen der Angewandten Mathematik: Numerik, Opti-
mierung, Stochastik sowie Differentialgleichungen. In diesen
Disziplinen gehrt die deutsche Forschung zur Weltspitze.
Die Curricula der Schulen spiegeln diese Rolle hingegen nur
wenig wider. In der Schulwirklichkeit ist mithin von den revo-
lutionren Entwicklungen der Angewandten Mathematik bis-
lang kaum etwas angekommen. Daher ist es nur folgerichtig,
dass die beiden mathematisch orientierten Fraunhofer-Institute
fr Algorithmen und Wissenschaftliches Rechnen SCAI in
Sankt Augustin und fr Techno- und Wirtschaftsmathematik
ITWM in Kaiserslautern hier gesellschaftliche Verantwortung
bernehmen und Impulse fr eine zeitgeme Ausrichtung
der mathematischen Ausbildung geben.
Der Kongress Mathematik in der Praxis: Zukunft gestalten
Angewandte Mathematik, der am 24. Mrz 2009 mit Unter-
sttzung des Bundesministeriums fr Bildung und Forschung
(BMBF) in der Hauptstadtreprsentanz der Deutschen Telekom
AG in Berlin mit 400 Teilnehmern, darunter viele Schler,
stattfand, nahm den Schwung des Jahres der Mathematik
2008 ins diesjhrige Wissenschaftsjahr 2009 Forschungsex-
pedition Deutschland mit. Im Fokus des Vortragsprogramms
standen die Wechselwirkungen von Mathematik und Praxis
in Forschung und Innovation. In den Workshops und Podi-
umsdiskussionen gab es Anregungen und Anstze fr einen
nachhaltigen Wandel des Mathematikunterrichts in unseren
Schulen. Das und das SCAI haben bereits Erfahrung mit
praktischen Angeboten fr Schler und Lehrer und sind bereit,
sich auf diesem Weg weiter zu engagieren.
Ihr
Prof. Dr. Dieter Prtzel-Wolters
Institutsleiter Fraunhofer-Institut ITWM
Prof. Dr. Ulrich Trottenberg
Institutsleiter Fraunhofer-Institut SCAI
gRuSSwoRT
Mathematik prgt Wirtschaft und Arbeitswelt, Wissenschaft
und Forschung gleichermaen. Mathematische Ideen und
Kenntnisse sind der Schlssel fr Innovationen. Die Herausfor-
derungen unserer Zeit erfordern daher auch die Entwicklung
immer neuer mathematischer Methoden.
Gute mathematische Fhigkeiten sind die Eintrittskarte in viele
Zukunftsberufe. Deshalb mssen wir die anwendungsnahe
Mathematik deutlich strker in Schulunterricht und Ausbil-
dung einbeziehen und so bei jungen Menschen schon frh das
Interesse an der Mathematik wecken und sie fr ihre Vielfalt
und Faszination begeistern.
Das Wissenschaftsjahr 2008 hat die Bedeutung der Mathema-
tik fr die breite ffentlichkeit sichtbar gemacht und Anste
dafr gegeben, wie Mathematik spannend vermittelt werden
kann.
Diese Impulse aufzunehmen und weiterzuentwickeln, dazu
hat der Kongress Mathematik in der Praxis einen wertvollen
Beitrag geleistet. Ich freue mich sehr, dass auch die mathe-
matisch orientierten Institute der Fraunhofer-Gesellschaft mit
ihrer hervorragenden Fachkompetenz einen wichtigen Beitrag
leisten, um eine zeitgeme Ausrichtung der Lehreraus- und
-fortbildung sowie einen praxisnahen Schulunterricht in den
MINT-Fchern voranzutreiben. Fr dieses wichtige Engagement
wnsche ich weiterhin viel Erfolg.
Ihre
Dr. Annette Schavan, MdB
Bundesministerin fr Bildung und Forschung
4 I 5
4 Vorwort
5 Gruwort
8 Erffnung
8 Begrung und Einfhrung
Cornelia Quennet-Thielen, Staatssekretrin im Bundesministerium fr Bildung und Forschung
12 Prof. Dr. Hans-Jrg Bullinger, Prsident der Fraunhofer-Gesellschaft
14 Mathematik als Querschnittstechnologie
Inka Schneider im Gesprch mit Prof. Dr. Helmut Neunzert, Grnder des Fraunhofer-Instituts
ITWM und Prof. Dr. Ulrich Trottenberg, Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts SCAI
18 Die Bedeutung der Angewandten Mathematik fr die moderne
Industriegesellschaft
18 Ohne Mathe keine Surfer ein Blick hinter die Fassaden von
Computer, Internet und Co.
Achim Berg, Vorsitzender der Geschftsfhrung der Microsoft Deutschland GmbH
22 Ohne Mathematik fhrt heute kein Auto mehr
Dr. Bernd Pischetsrieder, Berater der Volkswagen AG
24 Damit die Rechnung aufgeht Mathematik in der Finanz- und
Versicherungswirtschaft
Dr. Wilhelm Schneemeier, Mitglied der Geschftsfhrung (CRO), Swiss Life in Deutschland
28 Digitale Musik und der Sound der Zukunft
Kreative Klang-Algorithmen auf dem Computer
Daniel Haver, CEO, Native Instruments GmbH
30 Workshops
30 I. Probleme mit Mathematik?!
Jun.-Prof. Dr. Nicole Marheineke und Akad. Rat Dr. Martin Bracke, Fachbereich Mathematik,
TU Kaiserslautern
34 II. Algorithmen versus Lsungsformeln Lehreraus- und weiterbildung
Dr. Anton Schller und Prof. Dr. Ulrich Trottenberg, Fraunhofer-Institut SCAI
38 III. Versteckte Mathematik(er) auf Spurensuche in der Industrie
Dr. Dietmar Albrecht, Leiter Personalentwicklungsstrategie, Volkswagen Coaching GmbH
i n h a l t s v e r z e i c h n i s
42 Wissenschaftliche Vortrge
42 I. Die ertrgliche Leichtigkeit der Dinge
Dr. Konrad Steiner, Fraunhofer-Institut ITWM
44 II. Computersimulation statt Tierversuch
Dr. Norbert Siedow, Fraunhofer-Institut ITWM
46 III. Rette sich wer kann Feuersimulation auf Fhrschiffen
Dipl.-Inform. Ottmar Krmer-Fuhrmann, Fraunhofer-Institut SCAI
48 IV. GridPOWER
Dr. Thomas Soddemann, Fraunhofer-Institut SCAI
50 Podiumsdiskussion
Interdependenzen industrieller Anforderungen und der
Ausbildung von Nachwuchs- und Fachkrften in der Mathematik
Teilnehmer auf dem Podium:
Dr. Dietmar Albrecht, Leiter Personalentwicklungsstrategie, Volkswagen Coaching GmbH
Dr. Martin Gerling, Schulleiter Werner-Heisenberg-Gymnasium, Leverkusen
Dr. Klaus Kinkel, Vorsitzender Deutsche Telekom Stiftung
Prof. Dr. Helmut Neunzert, Grnder des Fraunhofer-Instituts ITWM
Prof. Dr. E. Jrgen Zllner, Senator fr Bildung, Wissenschaft und Forschung des Landes Berlin
Teilnehmer im Plenum:
Dr. Ulrich Halbritter, Mathematisches Institut der Universitt zu Kln
Prof. Gnter Ziegler, Institut fr Mathematik der TU Berlin
Moderation:
Christoph Drsser, Wissenschaftsredakteur der ZEIT in Hamburg
58 Resmee und Handlungsempfehlungen
60 Fraunhofer-Gesellschaft
61 Impressum
6 i 7
ERffNuNgInka Schneider, Moderator in
BEgRSSuNg uND EINfHRuNg
Zu kompliziert, zu schwierig, zu anstrengend? Das Jahr der Mathematik hat Schluss gemacht
mit diesem schlechten Image der Mathematik und Faszination fr dieses Fach geweckt.
Jetzt gilt es, diese Begeisterung am Leben zu erhalten. Auf diesem Kongress geht es darum,
anhand vieler Beispiele zu zeigen, wie die Mathematik als Querschnittstechnologie alle Bereiche
unseres Lebens durchdringt.
Mathematische Studien sind die Seele aller industriellen Fortschritte. Kein geringerer als
Alexander von Humboldt hat hier in wenigen Worten die grundlegenden Leistungen von
Mathematik beschrieben.
Mathematik ist ein Motor wirtschaftlicher Entwicklungen und ein wesentlicher Faktor fr die
Innovationskraft unseres Landes. Es ist immer wieder faszinierend, wie Mathematik unser
tgliches Leben durchdringt und beeinflusst und eigentlich keinen Bereich auslsst: Mathematik
macht Autos und Flugzeuge sicherer, Motoren sparsamer, Verkehrsplanung effizienter, Wetter-
und Klimavorhersagen berhaupt erst mglich.
Mit dem Wissenschaftsjahr 2008, dem Jahr der Mathematik, ist es uns gelungen, diese
groe Faszination und Begeisterung der Mathematik einer breiteren ffentlichkeit nher zu
bringen und erfolgreich fr sie zu werben. ber 500 Partner haben das Jahr mit ber 800
Veranstaltungen bereichert. Und ber 800 Mathemacher haben sich fr Mathematik stark
gemacht. Allein die Ausstellungen haben mehr als 400 000 Menschen begeistert. Das MathFilm
Festival 2008 fllte Kinosle in ber 100 deutschen Stdten.
Vor allem konnten wir und das war die oberste Zielsetzung Kinder und Jugendliche
erreichen. 34 000 Schulen in ganz Deutschland erhielten Informationsmaterial zum Jahr
der Mathematik. Mehr als 4300 Mathekoffer wurden von den Schulen erworben. Und, um
das Zahlenspiel noch ein bisschen weiter zu treiben, jeder vierte Schler der Sekundarstufe I
1 Cornelia Quennet-
Thielen, Staatssekretrin
im Bundesministerium fr
Bildung und Forschung.
Cornel ia Quennet-Thie len, Staatssekretr in im Bundesminister ium fr Bi ldung und Forschung
8 i 9
M a t h e M a t i k i s t e i n M o t o r w i r t s c h a f t l i c h e r
e n t w i c k l u n g e n u n d e i n w e s e n t l i c h e r f a k t o r f r
d i e i n n o v a t i o n s k r a f t u n s e r e s l a n d e s .
Der Mathekoffer ist ein Angebot fr Lehrkrfte, die ihren Schlerinnen und Schlern der Sekundarstufe I im Mathema-tikunterricht handlungsorientiertes, experimentelles Lernen und das selbstndige Entdecken von Zusammenhngen ermglichen wollen. Die innovative Lehrmaterialsammlung entstand im Jahr der Mathematik 2008 nach einer Idee des Deutschen Vereins zur Frderung des mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterrichts e.V. (MNU) und mit Untersttzung der Deutschen Telekom Stiftung und des Bundesministeriums fr Bildung und Forschung.
Jeder Mathekoffer enthlt vier Themenboxen: Raum und Form, Funktionale Zusammenhnge, Zahlen, Terme, Glei-chungen und Zufall und Wahrscheinlichkeit. In den Boxen
befinden sich Materialien zum Messen und Experimentieren, Legen und Zhlen, Knobeln und Spielen, die fr den Unterricht sofort einsatzbereit sind. Aufgabenkarteien fr Schler und Kommentare fr Lehrer mit konkreten Unterrichtsideen, didak-tischen Tipps und Kopiervorlagen ergnzen die Ausstattung. Darber hinaus enthlt der Koffer zwei Aufgabenkarteien mit Begleitheft: Messen, Schtzen, berschlagen und Zaubern, Spielen, Knobeln.
Der Mathekoffer erschien in limitierter erster Auflage von 2.500 Stck zum MNU-Bundeskongress im Mrz 2008 und war im Sommer ausverkauft. Die zweite Auflage erschien im August, und seit Januar 2009 ist die dritte Auflage im Handel.
www.klett.de
profitiert heute von diesen innovativen Lernmaterialien im
Mathekoffer. Das ist ein sehr beachtlicher Erfolg.
Der Knguru-Wettbewerb fr Schler verzeichnete mit
750 000 Mathe-Begeisterten einen neuen Teilnehmerrekord.
Und auch der Hochschul-Wettbewerb Kopf und Zahl inspi-
rierte viele, neue Ideen zu entwickeln, die das Zusammenspiel
zwischen Geisteswissenschaften und Mathematik frdern.
Die Impulse aus dem Wissenschaftsjahr wirken weiter. Dieser
Kongress ist ein hervorragendes Zeichen dafr. Mein herzlicher
Dank an die Fraunhofer-Gesellschaft, dass sie dieses Engage-
ment weiter vorantreibt.
Mathematik ist die Seele aller industriellen Fortschritte, ist
der Schlssel fr exzellente Forschung und zukunftweisende
Innovation. Deutschland spielt in der Mathematik heute
international eine herausragende Rolle. Die Angewandte
Mathematik ist einer der Technologiebereiche, in denen wir
zu den Top 3 der Welt gehren. Diese gute Position wollen
und mssen wir weiter ausbauen. Deshalb ist es wichtig, neue
Wege zu suchen und nachhaltige Prozesse anzustoen, um
eine moderne, praxisbezogene Vermittlung von Mathematik
zu frdern.
Nur wenn uns das gelingt, werden mehr junge Menschen
sich fr mathematische, fr naturwissenschaftliche und
technische Fcher begeistern. Die aktuellen Studienan-
fngerzahlen weisen hier, was Mathe angeht, leider noch in
die falsche Richtung. Zwar sind die Zahlen insgesamt auf einen
Rekordstand geklettert, was sehr erfreulich ist. Doch es haben
sich weniger Anfnger fr ein mathematisches oder natur-
wissenschaftliches Studium entschieden. Daran mssen wir
weiter arbeiten. Aber es gibt auch einen Lichtblick: Es haben
sich nmlich deutlich mehr junge Menschen eingeschrieben in
den Ingenieurwissenschaften. Und bekanntlich steckt in den
Ingenieurwissenschaften auch jede Menge Mathematik.
Diese Zahlen unterstreichen einmal mehr: Wir mssen den
jungen Menschen noch viel besser vermitteln, dass Mathema-
tik ein Sprungbrett ist fr ganz viele Zukunftsberufe und ein
Trffner fr spannende berufliche Karrieren.
Eine Zielgruppe wollen wir dabei besonders in den Blick
nehmen: Das sind die jungen Frauen. Um Studiengnge und
Berufe in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und
Technik, den so genannten MINT-Fchern, attraktiver fr junge
Frauen zu machen, hat Bundesforschungsministerin Annette
Schavan im Rahmen der Qualifizierungsinitiative der Bundesre-
gierung im vergangenen Jahr den Nationalen Pakt fr Frauen
in MINT-Berufen mit 45 Partnern auf den Weg gebracht.
Mathematisches Wissen und Verstndnis sind auf dem
Arbeitsmarkt sehr gefragt. Untersuchungen zeigen, dass in
Deutschland bis 2010 ein Mehrbedarf von 79 000 Mathemati-
kern und Informatikern besteht, und dass zwischen 2010 und
2020 noch einmal 95 000 weitere bentigt werden. Damit
wird sehr deutlich: Auch in Zeiten der Krise bieten sich hier
hervorragende Mglichkeiten fr berufliche Karrieren.
Rund 60 Prozent der in der Industrie beschftigten
Akademiker sind Ingenieure. Und in den wissensintensiven
Dienstleistungen sind mehr als ein Drittel der Beschftigten
mit Hochschulabschluss Naturwissenschaftler und Naturwis-
senschaftlerinnen. Eine renommierte amerikanische Jobver-
mittlungsagentur hat jngst ein Ranking der 200 wichtigsten
Berufe vorgenommen. Auf die ersten Pltze kamen drei
mathematische Berufe: der Mathematiker, der Aktuar er
befasst sich mit mathematischen Fragestellungen bei Banken
und Versicherungen und der Statistiker. In einem Kommen-
tar des Wallstreet Journals heit es dazu: Mathematik sei viel
mehr als ein langweiliges Schulfach, sie sei die Wissenschaft
des Problemlsens.
Mathematische Kompetenzen und Qualifikationen entschei-
den vielfach ber die berufliche Laufbahn im akademischen
M a t h e M a t i k i s t e i n s p r u n g b r e t t f r g a n z v i e l e z u k u n f t s b e r u f e
u n d e i n t r f f n e r f r s p a n n e n d e b e r u f l i c h e k a r r i e r e n .
Bereich ebenso wie in ganz vielen Ausbildungsberufen. Dies
muss noch viel deutlicher ins Bewusstsein der ffentlichkeit
gerckt werden. Und es muss noch strker in den Schulen
ankommen, bei Lehrern und bei Schlern.
Schulen knnen Mathematik begreifbar machen und
Faszination an dieser vielfltigen Disziplin entstehen lassen.
Voraussetzung dafr ist allerdings ein spannender und lebens-
naher Unterricht in Mathematik und den darauf basierenden
Fchern. Die Mathematik in der Schule braucht viel mehr Pra-
xisbezug. Mathematik in der Schule muss mehr Angewandte
Mathematik sein, bzw. die Anwendung der Mathematik zur
Lsung lebenspraktischer Probleme aufzeigen. Der Mathe-
koffer war eine solche Aktivitt, und die groe Resonanz zeigt,
dass diese Strategie auch tatschlich ankommt. Darauf mssen
wir weiter aufbauen.
Allerdings ntzen die Appelle der Politik hier nur in Grenzen.
Um hier einen Wandel zu schaffen, sind wir auf das Enga-
gement der Schulen, aber auch der Unternehmen und der
Wissenschaftsorganisationen angewiesen. Sie mssen zum
einen aufzeigen, wie wichtig mathematische Kompetenzen
in vielen Berufsfeldern sind und wie dringend sie junge
Menschen brauchen, die diese Kompetenzen mitbringen. Zum
anderen mssen sie Wege zeigen, wie Mathematik anschau-
lich gemacht werden kann.
Die Fraunhofer-Institute sind hier in ihrem Einsatz fr
Lehreraus- und -fortbildung und fr einen praxisnahen
Schulunterricht in den MINT-Fchern vorbildlich.
Die Bedeutung der Mathematik fr die Gesellschaft wchst
unaufhaltsam. Darauf hat die Fraunhofer-Gesellschaft reagiert
mit der Einrichtung von drei mathematisch orientierten
Instituten seit 2001. Sie gestalten Zukunft durch Angewandte
Mathematik und durch Veranstaltungen wie die heutige. Ich
danke der Fraunhofer-Gesellschaft und ihrem Prsidenten,
Professor Bullinger, fr ihr Engagement, die Rolle der Mathe-
matik in Deutschland auch weiter nachhaltig zu strken. Und
ich wnsche Ihnen allen eine interessante Veranstaltung, gute
Gesprche und viele Impulse, fr noch mehr an Mathematik.
Unter dem Motto Komm, mach MINT! will die Bundesregierung deutlich mehr junge Frauen fr MINT-Berufe gewinnen.
Die Paktpartner haben sich konkrete gemeinsame Ziele gesetzt: Der Anteil an Studienanfngerinnen in den naturwissenschaftlich-technischen Fchern soll um durchschnittlich fnf Prozentpunkte stei-gen, bei Neueinstellungen im MINT-Bereich sollen Frauen mindestens entsprechend ihres Anteils an
den Absolventen bercksichtigt werden, und ihr Anteil an Fhrungspositionen soll deutlich erhht werden.
Das Bundesministerium fr Bildung und Forschung untersttzt den Pakt mit drei Millionen Euro im Jahr. Das Internet-Portal www.komm-mach-mint.de informiert Schlerinnen und Studentinnen mit einer Aktionslandkarte ber die Vielzahl schon bestehen-der und geplanter Aktivitten der Paktpartner.
10 i 11
f r a u n h o f e r - i n s t i t u t e f f n e n f r s c h l e r u n d
l e h r e r i h r e t o r e , d a M i t s i e s i c h a u s e r s t e r h a n d
b e r d i e f o r s c h u n g s p r a x i s i n f o r M i e r e n k n n e n .
Die Mathematik hat in der Fraunhofer-Gesellschaft einen hohen Stellenwert: Zwei ihrer Institute
tragen sie in ihrem Namen: das Fraunhofer-Institut fr Techno- und Wirtschaftsmathematik
und das Fraunhofer-Institut fr Algorithmen und Wissenschaftliches Rechnen. Darber hinaus
kommt keines der 57 Fraunhofer-Institute ohne Mathematiker aus. Deshalb tut man gut daran,
bei der mathematischen Ausbildung in Schule und Hochschule auch diese guten beruflichen
Perspektiven zu vermitteln.
Aus der Breite der Themen, die an den Fraunhofer-Instituten beforscht werden, nenne ich
als Beispiel den MP3-Standard. Er wurde am Fraunhofer-Institut fr Integrierte Schaltungen
IIS in Erlangen entwickelt. Um einen MP3-Player zu bauen, braucht man viel Verstndnis von
Chipfertigung und Nachrichtentechnik, aber der Kern, das Geheimnis des MP3-Players, sind
Algorithmen zur Datenverdichtung. Wir trennen zunchst die Tne mit ihren Funktionen und
Frequenzen und fhren sie dann wieder zusammen. Ohne diesen Algorithmus htten wir den
MP3-Standard niemals erfinden knnen. Auch in der Medizin spielt Mathematik eine wichtige
Rolle, etwa wenn es darum geht, mit bildgebenden Verfahren lebende Organe zu untersuchen.
Mit Virtual Reality wird in zunehmendem Mae an der Produktentwicklung gearbeitet, etwa in
Prof. Dr. Hans-Jrg Bul l inger, Prs ident der Fraunhofer-Gesel lschaft
MP3 ist ein Dateiformat zur Audiodatenkom-pression. Es bedient sich der Psychoakustik mit dem Ziel, nur fr den Menschen bewusst hrbare Audiosignale zu speichern, so dass die Datenkom-pression die Audioqualitt nicht beeintrchtigt. Es macht sich zunutze, dass der Mensch zwei Tne erst ab einem gewissen Mindestunterschied der Tonhhe (Frequenz) voneinander unterscheiden kann und vor und nach sehr lauten Geruschen fr kurze Zeit leisere Gerusche schlechter oder gar nicht wahrnimmt. Deshalb muss man nicht das Ursprungssignal exakt abspeichern, sondern es rei-chen die Signalanteile, die das menschliche Gehr wahrnehmen kann. Die Aufgabe des Kodierers ist es, das Signal so aufzuarbeiten, dass es weniger Speicherplatz bentigt, aber fr das menschliche Gehr noch genauso klingt wie das Original. Dabei folgt das Kodieren stets einem festgelegten
Algorithmus. Der Dekoder erzeugt dann aus diesen MP3-Daten ein fr die berwiegende Anzahl von Hrern original klingendes Signal, das aber nicht mit dem Ursprungssignal identisch ist, da bei der Umwandlung in das MP3-Format Informationen entfernt wurden.
Entwickelt wurde das Format MP3 ab 1982 von einer Gruppe um Prof. Dr. Karlheinz Brandenburg am Fraunhofer-Institut fr Integrierte Schaltungen (IIS) in Erlangen und an der Universitt Erlangen-Nrnberg in Zusammenarbeit mit AT&T Bell Labs und Thomson. 1992 wurde es als Teil des MPEG-1-Standards festgeschrieben. Die Datei-Endung mp3 wurde am 14. Juli 1995 nach einer institutsinternen Umfrage festgelegt. Prof. Dr. Brandenburg wurde fr die Entwicklung dieses Datenformates mehrfach ausgezeichnet.
1 Prof. Dr. Hans-Jrg
Bullinger, Prsident der
Fraunhofer-Gesellschaft.
der Fahrzeugentwicklung: In unseren Laboren werden Crash-
Versuche im Mastab von eins zu eins simuliert, lngst ehe der
erste Prototyp des neuen Fahrzeugs gebaut wird. Die Erfolge
der deutschen Automobilindustrie in den letzten Jahren
hngen sicher auch mit diesen fortschrittlichen Entwicklungs-
methoden zusammen.
Solche Beispiele mssten Rckwirkungen auf die Studienwahl
unserer Abiturienten haben. Doch tatschlich haben wir im
internationalen Vergleich zu wenig Studierende der Mathe-
matik und Informatik. Nur 1,5 Prozent der Absolventen eines
Studienjahres machen in diesen Fchern einen Abschluss.
Nimmt man die Studierenden der Mathematik, der Natur- und
der Ingenieurwissenschaften zusammen, so bilden sie etwa
ein Drittel. 16 Prozent angehender Ingenieure stehen 21
Prozent Sprach- und Literaturwissenschaftler gegenber. Das
wirft die Frage auf, ob die jungen Leute bei ihrer Studien- und
Berufswahl wirklich alle Informationen zur Verfgung haben,
um eine bestmgliche Entscheidung zu treffen.
Eine Schwierigkeit mag darin liegen, dass wir an den Schulen
zwar Mathematiklehrer haben, aber eben keine Lehrer aus
der Softwarebranche, aus Banken und Versicherungen oder
aus Industrieunternehmen. Da man auch nicht erwarten kann,
dass sich Lehrer in all diesen Branchen auskennen, sieht die
Fraunhofer-Gesellschaft ihre Aufgabe darin, mehr fr den
Dialog zwischen der Schule und den Organisationen zu sor-
gen, wo Mathematiker gefragt sind, so dass die Schlerinnen
und Schler sich mglichst frhzeitig ein Bild machen knnen,
wie ein Beruf aussehen knnte, fr den man Mathematik
braucht. Und das ist auch die Motivation unserer Institute,
fr Schler und Lehrer ihre Tore zu ffnen, damit sie sich aus
erster Hand ber die Forschungspraxis informieren knnen.
Betrachtet man bei den Ingenieuren die Altersklasse der
55- bis 65jhrigen und im Vergleich dazu die Zahl derjenigen,
die die Hochschulen verlassen, so betrgt die Quote zwischen
beiden 0,9 das heit wir ersetzen zurzeit noch nicht einmal
die ausscheidenden Ingenieure. Angesichts der vor uns liegen-
den Aufgaben habe ich die Sorge, dass es uns gelingen mge,
gengend junge Menschen fr diese Disziplinen zu begeistern.
Was sind die Herausforderungen, die heute die Menschen
am meisten bewegen? Wir haben herausgefunden: Zur
Sicherung ihrer Zukunft brauchen Menschen vor allem
Gesundheit, Sicherheit, Energie, Kommunikation, Umwelt
und Mobilitt. Deshalb fokussiert die Fraunhofer-Gesellschaft
ihre Forschungskapazitten auf diese sechs Themenfelder.
Und die Mathematik ist ein unverzichtbares Gerst, um die
notwendigen Innovationen zu entwickeln.
Die zwlf Zukunftsthemen der Fraunhofer-Gesellschaft sind
den sechs Feldern zugeordnet, z.B. die Entwicklung elektro-
nischer Schutzengel in Kleidungsstcken, die mit Sensoren
ausgestattet sind, um die Lebensfunktionen zu berwachen.
Oder biofunktionale Werkstoffe: Die Haut eines Materials,
Instruments oder Gerts bt in Kontakt mit biologischen
Umgebungen eine Funktion aus. Sie fischt bestimmte Mole-
kle heraus, empfngt Signale oder stimuliert eine Reaktion.
Biofunktionalitt ist also weit mehr als bloe Vertrglichkeit
die Oberflche kommuniziert!
Energiespeicher sind wichtig, wenn man auf regenerative
Energie setzt: Windenergie funktioniert besonders gut, wenn
der Wind blst. Fr die Zeiten, in denen das nicht der Fall
ist, mssen wir das Speicherproblem lsen. Das gilt ebenso
fr Elektrofahrzeuge. Dies alles sind spannende Fragen, die
groen Einfluss haben in Bezug auf unsere Zukunft in dieser
Gesellschaft und unsere Stellung im Vergleich zu anderen
Nationen und anderen Regionen dieser Welt. Dafr brauchen
wir weiterhin fhige Menschen, die sich diesen Themen
zuwenden. Und die mssen alle Mathematik beherrschen.
Wichtig ist dabei, dass man sie an schnen Beispielen ver-
mittelt bekommt, wie schon Blaise Pascal wusste: Die Mathe-
matik als Fachgebiet ist so ernst, dass man keine Gelegenheit
versumen sollte, sie etwas unterhaltsamer zu gestalten.
1
12 i 13
MATHEMATIK AlS QuERScHNITTSTEcHNologIEInka Schneider im Gesprch mit Prof. Dr. Helmut Neunzert , Grnder des Fraunhofer- Inst i tuts ITWM, Kai-
sers lautern, und Prof. Dr. Ulr ich Trottenberg, Inst i tuts le i ter des Fraunhofer- Inst i tuts SCAI, Sankt August in
was fr ein typ Mensch muss man als Mathematiker sein?
Neunzert: Man muss logisch denken knnen und braucht Spa am Problemlsen.
Trottenberg: Man muss sich von der Mathematik faszinieren lassen. Wir wollen deshalb heute
deutlich machen, wie spannend Mathematik ist, wie viel Spa sie machen kann und wie die
Faszination insbesondere ber die Anwendungen transportiert werden kann.
was leistet angewandte Mathematik heute?
Neunzert: Mathematik ist die Schlsseltechnik des Problemlsens. Sie bersetzt Probleme in
mathematische Modelle das nennt man Modellieren und lst sie mit Hilfe des Computers
das nennt man Berechnen. Mathematische Modellbildung und die rechnerische Auswertung
dieser Modelle fhrt zur Simulation. Und damit gewinnt man riesige Mglichkeiten, denn in
dieser virtuellen Welt ist es viel leichter vorauszudenken und zu optimieren.
Das groe Gebiet der Simulation wird in den nchsten Jahren die Medizin sein. Und da sind wir
erst am Anfang. Auch das neue Fraunhofer-Institut fr Bildgesttzte Medizin MEVIS in Bremen
widmet sich der groen spannenden Frage: Wie funktioniert der menschliche Organismus? Das
simulieren zu knnen, davon sind wir aber noch weit entfernt. Es gibt erste Schritte: Blutkreis-
lauf, Simulation von Organen, aber da ist noch enorm viel zu tun.
welche rolle spielt der computer fr die Mathematik als neuer schlsseltechnologie?
Trottenberg: Die angewandte Mathematik hat sich in den letzten 50 Jahren fundamental
verndert, und sie hat ihrerseits die Welt verndert. Da spielt natrlich der Rechner als ein
immer besseres Werkzeug eine ganz entscheidende Rolle. Dazu kommt, dass die Mathematik
selbst immer bessere Algorithmen entwickelt hat das sind die Verfahren, die auf dem Rechner
laufen. So sind auch die mathematischen Modelle hinsichtlich ihrer Zuverlssigkeit und Hand-
habbarkeit fortlaufend verbessert worden.
M i t d e M M p 3 - p l a y e r h a b e n w i r r e a l
g e w o r d e n e a l g o r i t h M e n i n d e r h a n d .
1 Prof. Dr. Ulrich
Trottenberg, Institutsleiter
des Fraunhofer-Instituts
SCAI und Inka Schneider.
Die Beitrge der Mathematik zur Entwicklung effizienter Simulation und Optimierung sind sicherlich
deutlich grer als die aller anderen Disziplinen. Die Ergebnisse sind Entwicklungen, die jeder
erfhrt: Mit dem MP3-Player, der Scheckkarte, dem Handy, dem Navi haben wir real gewordene
Algorithmen in der Hand. Wenn man Schlern klar macht, dass da berall Mathematik drin steckt,
sollten sie den Nutzen und die Bedeutung dieses Faches erkennen und sich dafr begeistern lassen.
wieso gilt die Mathematik als Querschnittswissenschaft?
Neunzert: Ein Ingenieur braucht bei jeder Problemlsung Mathematik. Die Mathematiker sehen
dabei Querverbindungen: dass etwa in einem Problem der Biologie etwas hnliches steckt wie
in einem Problem des Maschinenbaus. Dieses bertragen von Ideen von einem Bereich auf den
anderen schafft Innovation. Deshalb ist Mathematik eine Quelle der Innovation. Und deshalb ist
Mathematik der Kopf von MINT. Aber es gilt auch, dass die Mathematik ohne die Verbindung mit
den anderen Fchern der Informatik, den Naturwissenschaften, der Technik an Bedeutung
verliert. Heute ist Interdisziplinaritt gefragt.
und doch hat Mathematik in der gesellschaft immer noch ein image-problem.
Neunzert: Deutschland ist in der Mathematik weltweit Spitze. Das ist ein Standortvorteil, der
gesichert und ausgebaut werden muss. Gewiss ist Mathematik kein leichtes Fach, aber ein
fantastisch spannendes. Wir mssen das Image verbessern, indem wir die groe Bedeutung der
Mathematik bewusst machen, das breite Feld der Anwendungen vermitteln und den Spa, den
Mathematik machen bedeutet, rberbringen.
Trottenberg: Natrlich ist auch die Abstraktion ein wesentliches Element der Mathematik in
dieser Querschnittsrolle. Aber das heit ja nicht, dass sie sich zurckzieht aus der Welt. Vielmehr
hat sie sich aus den Fragestellungen, den Problemen der Welt entwickelt und wirkt in die Welt
hinein. Sie ist also eine Problemlsungswissenschaft.
wie bringt man nun diese neue rolle der Mathematik in den schulunterricht?
Trottenberg: Insbesondere das mathematische Modellieren, aber auch den effizienten Einsatz
von Rechnern zur Problemlsung lernt man am besten durch Tun. Im Sinne der Bildungsforschung
handelt es sich nach Elsbeth Stern hier um Denkstrategien, die zwar lernbar, aber eben kaum
direkt lehrbar sind. Wissen ber solche Strategien entsteht auf der Basis von Inhaltswissen. Das
heit: Modellieren und zielgerichtetes Berechnen beherrscht nur, wer ordentlich Mathematik kann.
Dazu mssen Mathematikaufgaben so gestellt werden, dass die mathematische Kreativitt der
Schler geweckt wird und sie sinnvolle Problemlsungsstrategien selbst entwickeln.
1
14 i 15
Neunzert: Der Bildungsforscher Felix Klein hat schon vor 100 Jahren geschrieben: Man sollte
im ganzen Unterricht, auch auf der Hochschule, die Mathematik stets verknpft halten mit
allem, was den Menschen gem seinen sonstigen Interessen auf seiner jeweiligen Entwick-
lungsstufe bewegt und was sich nur irgend in Beziehung zur Mathematik bringen lsst.
Und der Pisa-Bericht 2001 definiert: Mathematische Grundbildung besteht aus mehr als der
Kenntnis mathematischer Stze und Regeln und der Beherrschung mathematischer Verfahren.
Sie zeigt sich vielmehr im verstndnisvollen Umgang mit Mathematik und in der Fhigkeit,
mathematische Begriffe als Werkzeuge in einer Vielfalt von Kontexten einzusetzen. Hierzu
gehren unter anderem ein Verstndnis der Rolle, die Mathematik in der heutigen Welt spielt,
sowie die Fhigkeit, Situationen in mathematische Modelle zu bersetzen, mathematisch zu
argumentieren und begrndete mathematische Urteile abzugeben.
Der Wille ist also da, aber die praktische Umsetzung fllt schwer. Es gibt noch keine Methoden
des praktischen Wie. Nach meiner Meinung mssen wir weg von den eingekleideten Aufgaben
und hin zu echten Fragestellungen. Ein wesentliches Ziel unseres heutigen Kongresses ist, dass
wir Ideen entwickeln, wie man die echten mathematischen Probleme in die Schulen bringen
kann.
knnen sie da schon praktische beispiele geben?
Neunzert: Ich denke etwa an die Multiskalenanalyse, die mathematisch und praktisch hchst
relevant ist, nach unserer Kenntnis aber in der Schule noch nicht behandelt wird. Dabei geht es
um die Betrachtung unterschiedlicher Auflsungen (Skalen), z.B. wenn wir aus dem Weltraum
heraus in eine Region der Erde zoomen: Da gehen wir von der Fernsicht in die Nahsicht, also
von groen zu kleinen Skalen.
Auch das MP3-Format nutzt die Multiskalenanalyse: Ein Audiosignal lsst sich in mathemati-
scher Formelsprache in Skalen, also in Anteile verschiedener Lngen zerlegen: Tiefe Frequenzen
bedeuten lange Wellen, hohe bedeuten kurze Wellen. Die Amplituden geben an, mit welcher
Lautstrke die jeweilige Frequenz in dem Ton enthalten ist. Dazu kommt nun die entscheidende
Idee, dass das menschliche Ohr gewisse Frequenzen in der Nhe einer dominanten, also viel
lauteren Frequenz schlechter wahrnimmt. Man kann also ohne Qualittsverlust die Menge der
Daten reduzieren, indem man die entsprechenden Frequenzen mit kleineren Amplituden weg-
lsst. Das heit, man bearbeitet die Skalen in der Weise, dass es der Fhigkeit des menschlichen
Ohrs entspricht. So kann man Musik mittels Multiskalenanalyse mit weit geringerem Aufwand
speichern und bertragen, ohne einen Qualittsverlust zu hren.
1 Prof. Dr. Helmut
Neunzert, Grnder des
Fraunhofer-Instituts ITWM.
1
Trottenberg: Die Multiskalenanalyse spielt nicht nur in der Modellbildung, sondern auch
in der Berechnung, der Numerik, eine zentrale Rolle. Simulationen werden mit partiellen
Differentialgleichungen beschrieben: Man legt ein Gitter auf das zwei- oder dreidimensionale
Objekt, und je feiner das Gitter ist, desto genauer ist die Approximation. In jedem Gitterpunkt
hat man dann eine oder mehrere Gleichungen. Insgesamt entstehen auf diese Weise riesige
Gleichungssysteme.
Simulation luft in vielen Fllen auf die Lsung solcher groen linearen Gleichungssysteme
hinaus. Die Anzahl der Unbekannten liegt dabei oft im Millionenbereich. Die Idee der
Multiskalen-Verfahren ist, dass man ganz berwiegend nur auf den groben Gittern rechnet,
aber die Genauigkeit der feinen Gitter erhlt.
Die Algorithmik hat in den letzten 30 Jahren eine enorme Entwicklung genommen: Dank
immer schnellerer Computer (Faktor 4000) und der Einfhrung des Multiskalenprinzips bei
den mathematischen Verfahren hat sich die Rechenleistung nochmals um den Faktor 20 000
verkrzt: also etwa von 200 000 auf 0,01 Sekunden. Das heit natrlich, dass man heute
Aufgaben lsen kann, von denen man vor 20 Jahren noch gar nicht dachte, dass man sie je
auf Rechnern wrde lsen knnen. Und beide Entwicklungen gehen weiter. Es gibt noch viele
Ideen, wie man Algorithmen schneller machen kann.
Ein groes Anwendungsfeld fr die Mathematik ist die Meteorologie. Die Wettervorhersagen
werden immer besser: Sie sind heute fr in vier Tagen so gut wie vor zehn Jahren fr den
nchsten Tag. Und das hngt damit zusammen, dass man heute auf feinen Skalen arbeitet.
Der deutsche Wetterdienst hat sich fr das Jahr 2012 vorgenommen, ein Gitter ber die Welt
zu legen, das einen Gitterabstand von 20 Kilometern hat, das sind dann vier Millionen Gitter-
punkte auf der Erde in 100 Hhenschichten. Das heit, man hat ein lineares Gleichungssystem
mit 400 Millionen Unbekannten. Solche Gleichungssysteme mssen tglich viele tausendmal
gelst werden, in jedem Zeitschritt. Denn man rechnet in Zeitschritten in die Zukunft, um
eine Wettervorhersage zu machen. Die Aufgabe ist heute noch nicht gelst. Rechner mit der
erforderlichen Leistungsfhigkeit werden da sein, aber die Algorithmen es sollten sicher
wieder Multiskalen-Algorithmen sein sind heute noch nicht vorhanden. Das ist noch Aufgabe
fr die nchsten drei Jahre.
w i r M s s e n i M M a t h e M a t i k u n t e r r i c h t w e g
v o n d e n e i n g e k l e i d e t e n a u f g a b e n
u n d h i n z u e c h t e n f r a g e s t e l l u n g e n .
16 i 17
Wenn ich an Mathematik denke, denke ich an meine Schule und an meinen Lehrer ihm habe
ich es zu verdanken, dass ich wohl ein ganz brauchbarer Wirtschaftsinformatiker geworden
bin. Ich glaube, dass die Lehrer eine ganz wichtige Rolle spielen, um die Begeisterung, die
passion zu wecken und den Schlern klar zu machen, dass Mathe kein Glasperlenspiel ist,
sondern die Realitt. Denn ohne Mathematik gbe es keine Surfer, keine Computer, keine E-
Mails, kein Google, kein IBM, kein Microsoft. Die Mathematik ist die geistige Mutter der IT. Und
die Informations- und Kommunikationsbranche erzielt damit ber eine Billion Dollar Umsatz im
Jahr.
Warum zhlt Mathe im Leben? Steve Ballmer, der Geschftsfhrer von Microsoft, erklrt
Schlern, dass die Mathematik alles durchdringt und man alles mit ihr beschreiben kann. Und
er rt ihnen, auch bei Problemen nicht aufzugeben.
DIE BEDEuTuNg DER ANgEwANDTEN MATHEMATIK fR DIE MoDERNE INDuSTRIEgESEllScHAfTDie scheinbar graue Theor ie der Zahlen erffnet fasz in ierende Perspekt iven. V is ionen werden
kalkul ier- und real is ierbar. Der Rechner kann die Welt verndern. Angewandte Mathematik ist
beral l : ob im Auto, im Laptop, in Vers icherungs- und Vorsorgeprodukten oder in der Musik.
Groe Tei le der Industr ie haben den Nutzen der Mathematik lngst erkannt. Deutschland ist
Weltspitze in Disz ip l inen wie Numerik, Opt imierung, Stochast ik oder Different ia lg le ichungen.
E in ige Anwendungen, ohne die im wahrsten S inne des Wortes nichts luft .
1 Achim Berg, Vorsitzen-
der der Geschftsfhrung
der Microsoft Deutschland
GmbH.
oHNE MATHE KEINE SuRfER EIN BlIcK HINTER DIE fASSADEN VoN coMPuTER, INTERNET uND co.Achim Berg, Vors i tzender der Geschftsfhrung der Microsoft Deutschland GmbH
w i r b r a u c h e n d r i n g e n d M e h r a b s o l v e n t e n
d e r M a t h e M a t i k , d e r i n f o r M a t i k u n d d e r
n a t u r w i s s e n s c h a f t e n .
Mathematik, die Mutter der informatik
Mathematik ist Ausdruck der Sehnsucht des Menschen nach
bersichtlichkeit und Einfachheit. Mathe verstehen ist und
war fr viele Menschen ein Bildungsziel, selber rechnen aber
einfach Arbeit. Deshalb wurden Rechenmaschinen erfunden,
Speicher fr Zahlen, Daten und Fakten: Das fngt mit der
Strichliste an. Vom Abacus bis zur ersten Zhlmaschine hat es
fast 3000 Jahre gedauert.
1642 erfand Blaise Pascal die erste mechanische Rechenma-
schine. Zu seinen Ehren trgt eine Programmiersprache seinen
Namen. Gottfried Wilhelm Leibniz leistete die Vorarbeit fr das
Rechnen mit binren Zahlen (binrer Code, 1679): Dem liegt
die Erkenntnis zugrunde, dass grundstzlich alle Rechenschrit-
te auf Operationen von Ja-Nein-Werten zurckgefhrt werden
knnen. Konrad Zuses erste Rechner mit Datenspeicherung
(Z1 und Z3) in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts
basierten auf diesem Steuerungsprinzip EINS/NULL: das heit:
Information fliet / Information fliet nicht.
Zuses Rechner fllten ein ganzes Wohnzimmer, konnten aber
weniger als ein einfacher Taschenrechner heute. Der erste
PC (Altair 8080) kam 1975 u.a. als Bausatz heraus. Er lief
mit einem basic interpreter, der von Paul Allen und Bill Gates
geliefert wurde. Das war die Geburtsstunde von Microsoft.
gesetzmigkeiten in der informationstechnik
Die rasante Entwicklung der Informationstechnik lsst sich
durch drei Gesetzmigkeiten belegen:
1. Storage Law: Diese Gesetzmigkeit besagt, dass sich die
Speicherkapazitt der Rechner alle zwlf Monate verdop-
pelt. Hatte ein handelsblicher PC im Jahr 1985 16 MB
Festplattenspeicher, kommt er heute auf 1 bis 1,5 Terabyte.
2. Data Information Law: Die Datenmenge verzehnfacht sich
innerhalb von fnf Jahren. Fr 2010 erwarten wir ein welt-
weites Datenvolumen von 1000 Exabytes, das sind tausend
mal eine Trillion Bytes.
3. Moores Law: Vor 40 Jahren formulierte der Intel-Mitbe-
grnder Gordon Moore seine Theorie, dass sich die Zahl der
Transistoren auf einem handelsblichen Prozessor alle 18
Monate verdoppelt. Man geht davon aus, dass Moores Law
noch bis in die 20er Jahre dieses Jahrhunderts reichen wird.
Dann ist die physikalische Grenze erreicht.
Diese Gesetzmigkeiten setzen der Branche sich selbst
erfllende Prophezeiungen, d.h. man strebt danach, alle 18
Monate die Rechenleistung zu verdoppeln, bzw. doppelt so
viele Prozessoren auf die Speicherchips zu bekommen.
Mathematik und computer
Mathematik ist die universelle Sprache des Computers. Jeder
Buchstabe hat eine Zahl (A=110001) Das ist der ASCII-Code
(American Standard Code for Information Interchange),
hnlich wie Morsezeichen. Diese Sprache ermglicht die Kom-
munikation zwischen Mensch und Rechenmaschine. Zur ber-
setzung des Maschinencodes dienen die Programmiersprachen
(z.B. C++, Java, Delphi). Sie ermglichen das Schreiben von
Software in einer fr den Menschen verstndlichen Sprache.
Miniaturisierung
Die Handys, die dieses Jahr auf den Markt kommen, haben
die Grafikleistung einer Spielkonsole. Dahinter stecken Chips,
die auf immer kleinerem Raum immer mehr Funktionen
versammeln. Hier reden wir ber Nanometer, also milliardstel
Meter. Ein Nanometer verhlt sich zu einem Meter wie eine
Haselnuss zur Erde.
Die Schaltungen auf dem Chip sind teilweise nur wenige
Atome lang. Dass ein Prozessor immer das gleiche tut, wird
durch mathematische Berechnungen sichergestellt. Hier stellt
sich die Mathematik also in den Dienst der Physik.
world wide web
Ende letzten Jahres gab es weltweit 200 Millionen Internet-
adressen, 120 Milliarden Seiten, die im Internet verfgbar
sind. Mathematik bringt Ordnung in dieses Chaos: durch den
PageRank-Algorithmus. Er basiert auf der Annahme: Je mehr
Seiten auf eine Internetseite verlinken, desto bedeutender ist
sie. Das Prinzip des PageRank-Algorithmus ist, dass jede Seite
1
18 i 19
ein Gewicht (PageRank) besitzt, das umso grer ist, je mehr
Seiten (mit mglichst hohem eigenen Gewicht) auf diese Seite
verweisen. So bringen Suchmaschinen die Web-Seiten in eine
Rangordnung. Dahinter steckt eine hohe Rechenleistung.
computerspiele
Auch sie funktionieren nur mit Mathematik: Man braucht
einen Algorithmus, der auch einen Zufall simuliert. Ein Beispiel
aus den Forschungslaboren von Microsoft ist songsmith, eine
Software, die Gesang automatisch mit Instrumentalbegleitung
unterlegt. Der Rechner fungiert hier als musikalischer Ver-
mittler. Das Ganze funktioniert mathematisch mit dem Hidden
Markov Modell. Es bringt die Tonfolge des Liedes und die
Gesetze der Harmonielehre zusammen. Das ist sehr kompli-
ziert und braucht dementsprechend viel Rechenleistung.
karrierechancen in der informatik
In den MINT-Fchern und gerade in der Informatik haben
wir einen riesigen Fachkrftemangel. Im letzten Jahr fehlten
44 000 bei IT-Unternehmen und in den Fachabteilungen
der Kundenunternehmen. Auch unsere Partner und Hndler
suchen hnderingend nach Fachleuten. Wir brauchen deshalb
dringend mehr Absolventen der Mathematik, der Informatik
und der Naturwissenschaften.
Ein groer Partner von uns (Computacenter) hat letzten
Sommer (2008) eine Umfrage unter Jugendlichen gemacht,
um herauszufinden, wie sie den Stellenwert der IT sehen.
Das Ergebnis: Sie sind berzeugt, dass IT-Berufe in Zukunft
noch strker gefragt werden, sehen gute Karrierechancen,
aber es gibt auch die Aussagen, Informatiker seien Eigenbrt-
ler oder: Das Fach sei nur etwas fr Mnner. Beides ist vlliger
Unsinn. Dass nur jeder fnfte Jugendliche die IT-Branche als
attraktives Berufsfeld bezeichnete zeigt, dass wir da noch viel
Aufklrungsarbeit leisten mssen. Denn ich kann versichern:
Die Arbeit wird nicht nur gut bezahlt, sondern macht auch
sehr viel Spa.
Wenn ich Jugendliche frage, sagen sie immer: Ich mchte
Spiele programmieren. Und genau das ist Informatik, das
ist Mathematik. Hier entstehen die meisten Innovationen:
Microsoft gibt allein pro Jahr neun Milliarden Dollar fr
Forschung und Entwicklung aus.
Galilei hat gesagt: Die Mathematik ist das Alphabet, mit dem
Gott das Universum geschaffen hat. Ich mchte hinzufgen:
und die Mutter der IT-Branche, die dafr sorgen wird, dass wir
auch in Zukunft innovative Produkte entwickeln.
Das System ist einfach zu bedienen: Der Snger schliet ein Mikrofon an seinen Computer an und singt. Die Software erkennt die Tne der Melodie und unterlegt den Gesang dann mit den passenden Akkorden. Die Nutzer knnen die Begleitung aus einer Reihe von Musikinstrumenten sowie aus 30 verschiedenen Musikstilen auswhlen, sei es Jazz, Rock, Hip-Hop oder Country.
Das Stck lsst sich dann weiter bearbeiten. Dazu stehen zwei Regler zur Verfgung, der Jazz Factor,
der das Arrangement eher traditionell oder expe-rimentell klingen lsst, und der Happy Factor, mit dem man bestimmen kann, ob der Song frhlich oder eher wie das Lamento eines verlassenen Liebhabers klingt, indem man wahlweise Dur- oder Mollakkorde dominieren lsst.
Das fertige Arrangement kann der Nutzer abspeichern oder auf CD brennen. Ldt er die Datei in den Windows Movie Maker, kann er zudem ein eigenes Musikvideo produzieren.
20 i 21
a r b e i t i n d e r i t - b r a n c h e w i r d n i c h t n u r g u t
b e z a h l t , s o n d e r n M a c h t a u c h s e h r v i e l s p a s s .
v i r t u e l l e t e c h n i k e n M a c h e n a u t o s b e s s e r u n d e f f i z i e n t e r .
In der Entwicklung neuer Automobilmodelle steckt jede Menge Mathematik. Der Bau eines
Prototyps kostet zehn Millionen Euro. Deshalb werden im Vorfeld wichtige Eigenschaften des
neuen Fahrzeugs am Rechner simuliert und optimiert.
beispiele:
1. die simulation der verbrennungsverlufe
Mit Hilfe eines mathematischen Modells des Zwei-Liter-Dieselmotors mit vier Ventilen lassen
sich Kraftstoffverbrauch und Emissionen minimieren. Das heit, es wird im Rechner durchge-
spielt, was im realen Motor passieren wrde. So lsst sich etwa das Einspritzsystem mit einer
Dse mit acht Lchern mit einer, die zwlf Lcher hat, vergleichen. Oder man verndert die
Form der Verbrennungsmulde im Kolben, in der eingespritzt wird und die Zndung beginnt.
Oder man verndert den Einspritzzeitpunkt. Erst wenn alle Gren optimiert sind, die erreicht
werden mssen, um einen effizienten Motor zu haben, wird das erste Modell gebaut.
2. leichtbau und spannungsverlufe
Der tragende Rahmen eines Golfs besteht aus fnf verschiedenen Qualitten von Blech: An be-
sonders belasteten Stellen wie den Seitenrahmen wird das hrteste Material eingesetzt, das sich
nur nach Erhitzen biegen lsst. Ziel der Optimierung ist es, mglichst leichte, auch mglichst
kostengnstige Werkstoffe zu verwenden, die den jeweiligen Anforderungen standhalten.
Das Rechnermodell hat die Aufgabe, anhand der Mae eines konkreten geplanten Produktes
aufzuzeigen, welche Krfte bei welchen Geschwindigkeiten ber die Stodmpfer und andere
Verbindungselemente ins Fahrzeug eingeleitet werden, so dass festgestellt werden kann, ob ein
zuknftig noch zu konstruierender Prototyp eines Serienautos diese Krfte aushlt.
Dazu wird ein virtuelles Auto auf einer virtuellen Teststrecke Krften ausgesetzt, von denen
bekannt ist: Wenn das Fahrzeug sie ohne Schden bewltigt, gibt es auch in der Realitt keine.
So ist es durch die Anwendung von virtuellen Simulationsmethoden mglich, sehr viel leichtere
Karosserien zu bauen, die also weniger Kraftstoff verbrauchen, aber trotzdem die ntige
Robustheit haben und so Sicherheit bieten.
oHNE MATHEMATIK fHRT HEuTE KEIN AuTo MEHRDr. Bernd Pischetsr ieder, Berater der Volkswagen AG
1 Dr. Bernd Pischetsrieder,
Berater der Volkswagen AG.
3. crash-simulation
Es liegt auf der Hand, dass es sehr viel billiger ist, ein virtuelles
Auto gegen eine virtuelle Wand zu fahren, als echte Crashs zu
produzieren.
4. visualisierung
Bei der Design-Entwicklung wird die Licht- und Schattenwir-
kung beachtet: Wie sieht das Auto aus, wenn die Sonne von
oben bzw. von der Seite kommt? Am Rechner lsst sich dies
durchspielen.
In jedem Prospekt ist ein aufgeschnittenes Auto abgebildet, so
dass man die Sitzkonfiguration erkennt. Die Zeiten, als man
fr dieses Foto tatschlich einen Wagen zerstrte, um diesen
Blickwinkel zu bekommen, sind lngst vorbei. Heute sind in
jedem unserer Prospekte die CAD-Daten virtuell dargestellt.
Der Volkswagenkonzern entwickelt seine neuen Modelle mit
Hilfe von modularen Bauksten. Das spart Entwicklungskosten,
da man die Vielfalt der Fahrzeugarchitekturen eindmmt.
Grundmodell beim modularen Querbaukasten fr Autos
mit quer eingebautem Motor ist der Golf mit Kurzheck. Die
vorgegebenen Konturen dienen den Designern dazu, ber die
nach ergonomischen Gesichtspunkten erfolgte Konfiguration
eine Karosserie zu stlpen. Gespeichert sind die Abstnde fr
die gesamte Modulfamilie: Verlngert man den Radabstand,
rckt die hintere Sitzbank um das entsprechende Stck nach
vorne, und es wird eine weitere Sitzbank eingebaut: So
entsteht ein Touran. Dabei ist jede funktionale Komponente
bercksichtigt von der Bremsleitung bis zur Stromversor-
gung. Insgesamt lassen sich so 45 verschiedene Fahrzeuge
entwickeln.
5. virtuelle ergonomie
Der Mitarbeiter Ramsis, ein virtuelles Mensch-Modell, testet
die Komfortwerte in der Entwicklungsphase neuer Auto-
modelle. In Verbindung mit der Software PCMan deckt er
Schwachstellen, beispielsweise in der Sitz-Lenkrad-Anordnung,
auf. Am Computer lsst sich dann ganz einfach das Innenle-
ben des Autos verndern, um die Passform zu verbessern.
Damit sich spter der stattliche Hne im Auto ebenso wohl
fhlen kann wie eine zierliche 1,58-Meter-Frau, lsst sich
Ramsis problemlos verndern. So erkennen wir genau, welche
technischen Voraussetzungen notwendig sind, um den
Autofahrern das Leben zu erleichtern und die maschinelle
Umgebung so gut wie mglich auf sie abzustimmen.
Eine andere Mglichkeit ist der virtuelle Kasten, der Testkfig,
in dem eine Person prfen kann, ob ein gedachtes Design fr
die Innenausstattung gut auf sie angepasst ist. Mittels einer
speziellen Videobrille wird virtuell der Innenraum des Autos
eingespielt, und mit Hilfe eines Datenhandschuhs vermessen
Sensoren und Videokameras smtliche Bewegungen. Diese
Daten zeigen den Entwicklern zum Beispiel an, ob der Fahrer
problemlos Bedienelemente wie Schalthebel oder Innenspiegel
erreicht.
Fazit: Virtuelle Techniken machen Autos besser und effizienter,
vermindern den Verbrauch und die Schadstoffemissionen und
machen hoffentlich die Kunden glcklicher.
1
22 i 23
Mathematische Modelle und Parameterschtzungen sind das tgliche Werkzeug der Aktuare
in der Finanz- und Versicherungswirtschaft. Diese wissenschaftlich ausgebildeten und speziell
geprften Experten analysieren mit mathematischen Methoden der Wahrscheinlichkeitstheorie
und der Finanzmathematik Fragestellungen aus den Bereichen Versicherungs- und Bauspar-
wesen, Kapitalanlage und Altersversorgung, und entwickeln Lsungen unter Bercksichtigung
des rechtlichen und wirtschaftlichen Umfeldes.
Aktuare sind also an der Schnittstelle zwischen Kunden, Unternehmen und Aufsicht ttig
und sorgen dafr, dass eine Versicherung auch wirklich sicher ist. Mein persnlicher Weg
fhrte mich vom Assistenten am Mathematischen Institut der Universitt zum Lebensver-
sicherungsunternehmen Swiss Life in Mnchen, wo ich als Aktuar fr das Thema Produkte
und Mathematik sowie fr das Risikomanagement zustndig bin.
Mein Fazit: Die Mathematik in der Versicherungs- und Finanzwelt ist anspruchsvoll und der
Beruf des Aktuars attraktiv.
aktuare und finanzmathematik
Mathematik ermglicht die Bewertung von Finanzprodukten und so beispielsweise die
Berechnung des Preises fr die Absicherung eines Aktienportfolios. Das ist wichtig, da wir
alle Banken wie Versicherungen mit geliehenem Geld arbeiten und damit unseren Kunden
gegenber Verpflichtungen eingehen.
Die Wahrscheinlichkeitstheorie ermglicht insbesondere auch Aussagen mit maximaler Sicher-
heit. In diesem Zusammenhang operieren wir mit 99,5 Prozent Wahrscheinlichkeit, d.h. der
Verlustfall darf nur einmal in 200 Jahren eintreten. Das ist die Basis fr unsere Management-
entscheidungen und natrlich fr die Eigenkapitalanforderungen an das Unternehmen.
Zwei Beispiele, die belegen, wie viel Mathematik in der Welt der Banken und Versicherungen
steckt:
DAMIT DIE REcHNuNg AufgEHT MATHEMATIK IN DER fINANZ- uND VERSIcHERuNgSwIRTScHAfTDr. Wi lhelm Schneemeier, Mitgl ied der Geschftsfhrung (CRO), Swiss L ife in Deutschland
1 Dr. Wilhelm Schnee-
meier, Mitglied der
Geschftsfhrung (CRO),
Swiss Life in Deutschland.
1
d i e w a h r s c h e i n l i c h k e i t s t h e o r i e e r M g l i c h t
a u s s a g e n M i t M a x i M a l e r s i c h e r h e i t .
1. black-scholes-Modell
Die geschlossene Formel zur Bewertung von Finanzoptionen
in Aktienmodellen, die von Fischer Black und Myron Samuel
Scholes 1973 verffentlicht wurde, kann man als finanzmathe-
matische Revolution bezeichnen. Scholes erhielt dafr 1997
gemeinsam mit dem ebenfalls beteiligten Robert C. Merton
den Nobelpreis fr Wirtschaftswissenschaften.
Die Modellierung erfolgt auf der Basis einer geometrischen
Brownschen Bewegung. Die Formel selbst geht nicht ber eine
Exponentialfunktion und ein Integral hinaus wir bleiben also
im Bereich der Schulmathematik , allerdings ist die Herleitung
weitaus komplizierter.
Und so wird die Formel angewendet: Um ein Aktienportfolio,
das zurzeit einen Wert von 140 hat, gegenber eintretenden
Verlusten abzusichern, falls es nach vier Jahren unter 100
fllt, kann mithilfe der Formel errechnet werden, dass rund 7
Prozent des aktuellen Portfoliostandes zur Absicherung durch
Optionen aufgewendet werden mssen.
Solche berlegungen spielen natrlich besonders bei
Lebens versicherungsunternehmen eine groe Rolle. Denn sie
mssen zu bestimmten Zeitpunkten sichere Auszahlungen an
die Versicherungsnehmer leisten, selbst wenn sie in Aktien
investiert sind.
2. kreditausfall
In den internen Risikomodellen der Versicherer findet man sehr
hufig ein so genanntes Value at Risk-Modell. Es wurde von
J.P. Morgan entwickelt und ist heute ein Standardrisikoma
im Finanzsektor. Hierbei wird versucht, eine Wahrscheinlich-
keitsverteilung fr die Verlusthhe herzuleiten, anschlieend
wird hieraus der Schaden identifiziert, der mit 99,5 Prozent
Wahrscheinlichkeit nicht unterschritten wird. Entsprechend
wird dann die Eigenkapitalanforderung berechnet.
Inzwischen wird nicht nur mit geschlossenen Formeln operiert,
vielmehr werden in den Risikomodellen mchtige stochasti-
sche Simulationen durchgefhrt: Es werden hufig 10 000
Szenarien ber die nchsten 30 bis 40 Jahre entwickelt und
zu jedem Zeitpunkt eine Bilanzprojektion erzeugt. Das stellt
Voraussetzung fr die Ausbildung ist ein abge-schlossenes Mathematikstudium (auch als Bachelor mit 120 Credit Points in mathematischen Prfungs-fchern) an einer deutschen Universitt oder Fach-hochschule, das durch gleichwertige Abschlsse (in Physik oder in Statistik) ersetzt werden kann. Notwendig sind auerdem Grundkenntnisse in Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik. Die Ausbildung umfasst einen Fcherkanon, der an Wochenenden in Kursreihen, Repetitorien, Seminaren und Tutorien in verschiedenen Stdten in Deutschland innerhalb von ungefhr drei Jahren
vermittelt wird. In der Regel sind in den ersten zweieinhalb Jahren maximal neun Prfungen zu ab-solvieren, die Anerkennung von einigen Leistungen aus dem Studium ist mglich.
Zum Abschluss der Ausbildung zum/zur Aktuar/inDAV muss eine Prfung in einem Fach des aktuariellen Spezialwissens (Lebensversicherung, Schadenversicherung, Pensionsversicherung, Krankenversicherung, Bausparmathematik oder Finanzmathematik) bestanden werden.
www.aktuar.de
24 i 25
s t u d e n t e n u n d s t u d e n t i n n e n d e r w i r t s c h a f t s M a t h e M a t i k
s a M M e l n i M a k t u a r p r a k t i k u M f a c h l i c h e s k n o w - h o w .
hohe Anforderungen an die Rechengeschwindigkeit, selbst
modernste Computer knnen damit schon mal einen ganzen
Tag beschftigt sein.
Entscheidend sind die Parameter, die in die Modelle
eingegeben werden, u.a. muss man Ausfallrisiken schtzen.
Die weniger riskanten Positionen laufen unter dem Stichwort
Investment Grade. In diesem Bereich belaufen sich die
Risiken im Schnitt auf hchstens ein halbes Prozent, bei den
spekulativeren Wertpapieren dagegen auf rund 10 Prozent.
Natrlich sind bei diesen tendenziell risikoreicheren Anlagen
aber auch hhere Ertrge zu erzielen.
Aufgabe der Aktuare ist es also, Sicherheit zu generieren,
insbesondere mssen auch die Aussagen fr das Management
immer Sicherheitsniveaus und natrlich auch immer eine
Wahrscheinlichkeitsaussage enthalten. Dass das nicht immer
funktioniert, zeigt das Beispiel New Orleans: Dort wurde mit
dem Value at Risk von 99,5 Prozent die Hhe der Dmme
sozusagen als sicher angesehen, bis dann der Hurrikan kam.
Aber das gehrt zum Modell dazu: Einmal in 200 Jahren
nehmen Sie den Schaden in Kauf, andernfalls mssten Sie
unendlich viel Eigenkapital stellen.
aufgaben des aktuars
Aktuare sind bei der Lebensversicherung und bei der Schaden-
und Unfallversicherung beschftigt, ebenso in der privaten
Krankenversicherung oder der betrieblichen Altersversorgung
mit Versorgungskonzepten, aber auch in der Berechnung
von Pensions- und Deckungsrckstellungen. Im Bausparwesen
ermitteln Aktuare die Bauspartarife mit Hilfe von Simulations-
und Prognoserechnungen fr die Zukunft. Aktuare sind bei
Wirtschaftsprfungsunternehmen ttig, in der Sozialversiche-
rung und natrlich auch in Lehre und Forschung.
Spannend ist das Thema Langlebigkeit: Denn wir haben insbe-
sondere in der Lebensversicherung nicht die Mglichkeit, zehn
Jahre nach einem Vertragsabschluss die Prmien anzupassen.
Wir mssen vorsichtig kalkulieren. Wenn eine Frau heute 65
ist, gehen wir in der Kalkulation davon aus, dass sie 85 wird,
ein neugeborenes Mdchen hat inzwischen sogar eine Lebens-
erwartung von 100 Jahren. Dies alles zu bercksichtigen, ist
Aufgabe der Aktuare.
Studentinnen und Studenten der (Wirtschafts-) Mathematik mit dem Studienschwerpunkt Versi-cherungs- und Finanzmathematik und mit Interesse am Beruf des Aktuars knnen sich einmal jhrlich im Herbst um Praktika bewerben, die jeweils im Sommer in den mathematisch-aktuariellen Abteilungen namhafter Versicherungs- und Beratungsunternehmen stattfinden und die unterschiedlichsten Aufgabenfelder abdecken: Produktentwicklung, Beratungsprojekte, Risikoma-nagement, Controlling etc. Fr den Sommer 2009 wurden insgesamt 65 verschiedene Praktikumsstel-len angeboten.
Das Praktikantenprogramm bietet die Mglichkeit, praktische Erfahrungen in dem gewhlten Studienschwerpunkt zu sammeln, fachliches Know-how und berufliche Kompetenz aufzubauen, Kontakte zu mglichen zuknftigen Arbeitgebern zu knpfen und zu berprfen, ob der Beruf des Aktuars die richtige Wahl ist. Auerdem verschafft es Erfahrungen mit Bewerbungsprozessen und erhht die Chancen, nach Abschluss des Studiums einen direkten Einstieg in der Versicherungs- oder Finanzwirtschaft zu finden.
www.aktuar-praktikum.de
die deutsche aktuarvereinigung e.v. (dav)
Wegen der wichtigen Rolle, die er fr den Kundenschutz einnimmt, sind die Aufgaben des
verantwortlichen Aktuars eines Unternehmens frher hie er Chefmathematiker im
Versicherungsaufsichtsgesetz geregelt: Im Wesentlichen hat er darauf zu achten, dass alle
Berechnungen nach aktuariellen Grundstzen einwandfrei vorgenommen werden und die
dauernde Erfllbarkeit der sich aus den Versicherungsvertrgen ergebenden Verpflichtungen
jederzeit gewhrleistet ist.
Die Deutsche Aktuarvereinigung e.V. (DAV) ist die berufsstndische Vertretung der Versi-
cherungs- und Finanzmathematiker mit derzeit 3215 Mitgliedern. ber 2000 meist jngere
Finanz- und Versicherungsmathematiker stehen nach entsprechendem Hochschulstudium
derzeit im geregelten Ausbildungsgang zum Aktuar. Fr eine Mitgliedschaft mssen nicht nur
zahlreiche Prfungen bestanden werden, sondern es ist auch eine einschlgige Berufspraxis als
Aktuar nachzuweisen.
Weil die Standards der aktuariellen Ausbildung der DAV sehr hoch sind, wird sie auch im
Ausland anerkannt. Wrde ich z.B. beruflich nach Grobritannien wechseln, htte ich dort die
Mglichkeit einer assoziierten Mitgliedschaft in der britischen Aktuarvereinigung und knnte
als Aktuar in einem Unternehmen ttig sein.
Fr Studentinnen und Studenten existiert ein Praktikantenprogramm, das von der DAV und der
Deutschen Gesellschaft fr Versicherungs- und Finanzmathematik in Zusammenarbeit mit den
Hochschulen angeboten wird.
Entscheidend ist, dass wir Unternehmen und Hochschulen sowie auch Unternehmen und
Schulen zusammenbringen. Ich mache es in Mnchen so, dass ich jedes Jahr die Leistungskurse
aus dem Umfeld zu uns einlade, damit wir den Schlern einen Einblick in unsere Arbeit
verschaffen knnen und an einfachen Beispielen versuchen, ihr Interesse fr Mathematik und
fr den spannenden Beruf des Aktuars zu wecken. Diesen Weg sollten auch mglichst viele
weitere Unternehmen whlen, um den Nachwuchs an talentierten jungen Mathematikerinnen
und Mathematikern auch weiterhin zu sichern.
26 i 27
u s e r d e f i n i e r e n i h r e i n s t r u M e n t e s e l b s t
b i s i n s k l e i n s t e M o d u l .
Die Angewandte Mathematik im Bereich der Musik-Software ist ein spannendes Thema.
Bei akustischen Instrumenten bestimmen Saiten oder Luftsulen den Klang. Die Klangfarbe
eines Instruments ist dabei sehr gering variabel und die Aufnahme erfolgt ber Mikrofon, ist
daher relativ aufwendig. Bei elektrischen Instrumenten wie der E-Gitarre oder einem Synthe-
sizer ist die Klangfarbe erstmals variabel und somit ein weiteres kreatives Element in der Musik.
Auch die Aufnahme ist wesentlich einfacher, da das Signal direkt per Kabel bertragen werden
kann.
Etwa seit Mitte der 1990er Jahre gibt es die Echtzeit-Klangerzeugung auf Standard-Computern,
also so genannte Software-Instrumente. Mit diesem Evolutionsschritt wurden die klanglichen
Ausdrucksformen nahezu unbegrenzt und die Aufnahmen wurden nahtlos im Computer
integriert.
Die Native Instruments GmbH, 1996 in Berlin gegrndet, ist ein Pionier in diesem Bereich
und entwickelt Software und Hardware fr Musikproduzenten, DJs und Gitarristen an. Wir
beschftigen 150 Mitarbeiter, die meisten davon in Berlin, 20 in Los Angeles. Zu unseren
Nutzern gehren verschiedene Knstler wie Kraftwerk, Radiohead, der DJ Paul van Dijk und der
Filmmusikkomponist Hans Zimmer.
Beispiele fr Mathematik in der digitalen Klangverarbeitung:
1. Die DJ-Software TRAKTOR
Die Software TRAKTOR ermglicht es, auf dem Computer digitale Musikstcke auf sehr
kreative Weise miteinander zu verweben. Sie wird sowohl von Hobby-Anwendern als auch von
Profis im Club-Einsatz live genutzt.
Beim DJing mit dem Computer ist die Synchronisation der Musikstcke entscheidend: Sie
haben unterschiedliche Tempi, und TRAKTOR hilft dabei, Tempo und Taktraster mit Hilfe eines
DIgITAlE MuSIK uND DER SouND DER ZuKuNfT KREATIVE KlANg-AlgoRITHMEN Auf DEM coMPuTERDaniel Haver, CEO, Nat ive Instruments GmbH
1 Daniel Haver, CEO,
Native Instruments GmbH.
Algorithmus zur Takterkennung automatisch zu erkennen: Im
ersten Schritt ermittelt TRAKTOR die so genannten Transienten
eines Musiktitels das sind die perkussiven Signalanteile,
an denen man die Rhythmusspur erkennt. Ein solches
Transientenmuster ist allerdings noch kein eindeutiges Abbild
des Taktgersts, deshalb werden in einem zweiten Schritt von
der Software auf Basis des erkannten Musters verschiedene
Tempoannahmen gemacht. In einem dritten Schritt werden
diese Annahmen dann in fnf Iterationen immer weiter ver-
feinert und durch die Kongruenzanalyse berprft. Nachdem
die Taktrate automatisch fr alle Titel erkannt wurde, knnen
die Musikstcke ganz einfach per Knopfdruck synchronisiert
werden. So hat der DJ viel mehr Zeit, sich den kreativen Seiten
des DJings zu widmen.
2. Die Software GUITAR RIG
Um mit einem Gitarrenrhrenverstrker fr die E-Gitarre den
gewnschten Sound und zustzliche Effekte zu erzielen, ist
normalerweise aufwendige Hardware ntig. Oder aber man
ldt sich mit der Software GUITAR RIG die Nachbildung solcher
Gitarrenrhrenverstrker und Effektgerte auf den Rechner
und kann sich beliebige Klnge aufrufen. Durch Zusatzfunk-
tionen wie ein Stimmgert oder ein Metronom wird daraus ein
komplettes Gitarrenstudio. Um mit einer solchen Emulation zu
berzeugen, muss der Klang absolut authentisch sein.
Das vielschichtige Klangverhalten von Rhrenverstrkern stellt
eine ganz besondere Herausforderung dar. Unter Bercksichti-
gung der komplexen elektrischen Wechselwirkungen mssen
daher Rhren und Transistoren sorgfltig analysiert und algo-
rithmisiert werden: Im ersten Schritt wird der Schaltungsauf-
bau des Verstrkers analysiert. Die Schaltungslogik wird als ein
Signalflussmodell in einem Sotware-Prototypen implementiert.
Entscheidend fr den Klang ist das elektrische Verhalten der
individuellen Bauteile des Verstrkers. In Schritt zwei werden
daher Rhren, Filter und hnliche Komponenten einzeln mit
umfangreichen Messreihen analysiert. Daraus lsst sich das
Input-Output-Verhalten ableiten, das in einer mathematischen
Funktion abgebildet wird. In Schritt drei bildet die Gesamtheit
dieser Funktion ein mathematisches Abbild des Verstrkers als
Signalprozessor.
3. Die modulare Synthesizer-Software REAKTOR
REAKTOR ist ein virtueller Baukasten fr die freie Konstruktion
von Instrumenten und Effektprozessoren. Zentraler Bestandteil
ist eine umfangreiche Sammlung von DSP-Modulen (DSP =
digitales Signal-Processing) zur Erzeugung und Verarbeitung
von Audio- und Event-Datenstrmen. Mit Hilfe dieser Module
und einer grafischen Oberflche, auf der die Bauelemente mit
virtuellen Kabeln verbunden werden knnen, lassen sich in
der Software Musikinstrumente, Effektgerte, Sequenzer u..
erstellen.
Beispiel eines Audiofilters: Die oberste Ebene jedes REAKTOR-
Instruments stellt die frei definierbare Bedienoberflche
dar. Alle Bedienelemente darauf sind direkt mit den Klang-
Parametern der darunter liegenden DSP-Strukturen verknpft.
Links laufen auf der Klaviatur erzeugte Notendaten ein, rechts
werden die damit ausgelsten Klnge ausgegeben. Auf der
dritten und untersten Ebene ist das Filter als signalverarbei-
tender Algorithmus implementiert. Einzelne mathematische
Operatoren sind dafr so verschaltet, dass die Struktur exakt
der Formel aus dem Lehrbuch entspricht. Die Audiodaten
werden entsprechend dieser Formel bearbeitet und am Aus-
gang des Moduls wieder in den Signalweg eingespeist. Das
heit: Mit solchen selbst erstellten Filtern und anderen DSP-
Funktionen bietet REAKTOR uerst flexible Mglichkeiten,
sich seine ganz eigenen Klangwelten zu erschaffen.
Das Spannende an REAKTOR ist: Viele dieser Instrumente
werden von Usern selbst gebaut und bis ins letzte kleine
Modul selbst definiert, und knnen dann ber eine spezielle
Website untereinander ausgetauscht werden.
1
28 i 29
In Mathematik war ich immer schlecht. (Gerhard Schrder)
Mathematik das ist die Sprache von Wissenschaft und Technik. Damit ist sie eine treibende
Kraft hinter allen Hochtechnologien und daher eine Schlsseldisziplin fr Industrienationen. Ohne
Mathematik gibt es keinen Fortschritt und keine technischen Innovationen. (P. Lscher, Siemens)
Das groe Buch der Natur ist mit mathematischen Zeichen geschrieben. (G. Galilei)
Die Mathematiker sind eine Art Franzosen: Redet man zu ihnen, so bersetzen sie es in ihre
Sprache und dann ist es alsobald ganz etwas anderes. (J.W. von Goethe)
Die Zeiten, in denen ein deutscher Bundeskanzler mit seinem mathematischen Nichtwissen in
der ffentlichkeit punkten kann, sind sptestens seit der Finanzkrise endgltig vorbei. In den
Vorstnden vieler Unternehmen gilt die Mathematik als Motor der Wirtschaft, die Fortschritt und
technische Innovation erst mglich macht. Umso wichtiger ist es, dass diese Anschauung in das
Bewusstsein der Bevlkerung und die Ausbildung der Kinder dringt.
Die Arbeitsgruppe Technomathematik der TU Kaiserslautern fhrt, untersttzt durch die Wissen-
schaftler des Fraunhofer-Instituts ITWM, bereits seit 1993 sehr erfolgreich Modellierungswochen
in der PfalzAkademie in Lambrecht sowie Modellierungstage an Schulen durch. Da es zu den
dort gestellten Aufgaben meist keinen eindeutigen vorgezeichneten Lsungsweg gibt, knnen
die Schlerinnen und Schler ihrer Kreativitt freien Lauf lassen und eigene Lsungsanstze
entwickeln. So wird Mathematik zum wichtigen Werkzeug fr die Lsung eines Problems.
Eine noch intensivere Beschftigung mit solchen Aufgaben ermglichen die Modellierungs-
wochen fr Schler und Lehrer: Dabei treffen sich 40 an Mathematik besonders interessierte
Schler der Jahrgangsstufen 11 und 12 sowie 16 Lehrer und Lehramtsstudenten in der Pfalz-
akademie in Lambrecht. Viereinhalb Tage lang bearbeiten sie in acht Teams unter Betreuung eines
Wissenschaftlers praktische Probleme aus Technik, Medizin, Sport, Wirtschaft und schulen damit
ihre Problemlsungskompetenz.
woRKSHoPS I. PRoBlEME MIT MATHEMATIK?!Jun.-Prof. Dr. Nicole Marheineke und Akad. Rat Dr. Mart in Bracke, Fachbereich Mathematik,
TU Kaisers lautern
w o r k s h o p s
Lehrer und Lehramtsstudenten erhalten zudem ein
Rahmenprogramm, in dem sie darauf vorbereitet werden,
Modellierungsprojekte im eigenen Unterricht einzusetzen. Ihre
Teilnahme wird in Rheinland-Pfalz als Fortbildung anerkannt.
Fr die Lehrer bietet die ModelIierung eine Perspektive fr eine
neue Form des Mathematikunterrichts, die zum Denken anregt
und Spa macht.
aussagen auf dem podium
Modellieren ist der richtige Weg, Schler zu begeistern. Im
normalen Mathematikunterricht ist dies aber schwierig um-
zusetzen, da im Lehrplan nicht vorgesehen. Auerdem fehlen
entsprechende Unterrichtsmaterialien. (Oberstudienrtin
Elisabeth Wiegmann, Fachleiterin fr die Naturwissenschaften
am Friedrich Ebert Gymnasium, Sandhausen)
Problemstellungen, die an Modellierungstagen bearbeitet werden, sind keine bungsaufgaben aus der Schulmathematik, sondern reale Fragen aus Technik, Wirtschaft oder Lebenswissenschaften mit Bezug zum Alltag der Schler. Aufgabe ist es, das Problem mathematisch zu modellieren, d.h. in die abstrakte Sprache der Mathematik zu bersetzen. Die Schlerinnen und Schler prfen dabei ihr gesamtes mathematisches Wissen auf Anwendbar-keit und schlieen selbstndig ihre Wissenslcken. Fachbergreifendes Denken spielt dabei eine eben so groe Rolle wie Kreativitt.
In der Regel wird ein Modellierungsprojekt an einer Schule mit 20 bis 30 Schlern durchgefhrt. Das kann sowohl im Klassenverband als auch im Rahmen von speziellen Projekttagen mit einer Gruppe interessierter Schlerinnen und Schler verschiedener Klassenstufen geschehen und dauert meist zwei bis drei Tage. Die Betreuung erfolgt dabei durch den verantwortlichen Lehrer, untersttzt durch wissenschaftliche Mitarbeiter und Studierende des Lehramts aus Kaiserslautern.
Die Schlerinnen und Schler bearbeiten in kleinen Gruppen verschiedene sehr offen gestellte Themen
und fertigen eine Abschlussprsentation an. Durch das Verteilen der Teilaufgaben lernen sie, dass nur eine gute Kommunikation und die Integration aller Teammitglieder in die Gruppe schlielich auch zum Ziel fhren. Am Ende des Projekts haben alle Gruppen die Gelegenheit, ihre Ergebnisse zu prsentieren und die Resultate der anderen Gruppen zu bewundern.
Die Aufgabe des Lehrers und der Gruppenleiter besteht im Wesentlichen darin, die Gruppe zu moderieren und durch gezieltes Fragen auf Probleme aufmerksam zu machen. Falls ntig, kann auch fehlendes Fachwissen vermittelt werden, im Allgemeinen sollen die Schlerinnen und Schler jedoch selbstndig arbeiten.
Beispiele fr Modellierungsaufgaben: Wie sieht der optimale Handytarif aus? Ist eine Photovoltaikanlage auf eurem Schuldach
rentabel? Wie breitet sich eine Grippe-Pandemie aus? Ampelkreuzung oder Kreisverkehr? Wie kann man einen Garten optimal bewssern? Ist das Brotbacken mit einem Automaten
rentabel?
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Ich hab lange nicht kapiert, wozu Mathe gut ist. Dann
wurden an unserem Gymnasium Modellierungstage von den
Kaiserslauterer Mathematikern angeboten. Fnf Mdels brte-
ten ber der Frage, wie man am einfachsten und schnellsten
rckwrts einparkt und fanden einen Algorithmus heraus.
Das hat mich total begeistert. (Laura Pfeiffer, Abiturientin am
Geschwister-Scholl-Gymnasium, Daun)
beispiel fr eine Modellierungsaufgabe
Videoeinspielung: Die Riesenschildkrten auf den Seychellen
sind vom Aussterben bedroht. Man versucht, sie zu zchten
und muss dabei beobachten, wie sie sich entwickeln.
Peter Prinz, Schildkrtenzchter, Berlin: Man muss die
Schildkrten regelmig messen und wiegen und dies doku-
mentieren, um festzustellen, ob sie gesund wachsen. Doch
wie hlt man die Tiere auseinander?
Video: Viertklssler forschen:
Man braucht einen Personalausweis fr Schildkrten.
Man sollte sie fotografieren. Die Maserung ihres Bauchpan-
zers ist wie ein Fingerabdruck.
Christina Luxemburger, Abiturientin am Geschwister-Scholl-
Gymnasium, Daun: Zur mathematischen Beschreibung der
Maserung legt man ein Koordinatensystem auf das Foto des
Panzers: Es werden zwei Punkte markiert, durch die eine Ach-
se gelegt wird, dazu die senkrechte Achse. Dann lassen sich
fr jedes Tier markante Punkte festlegen, die es identifizierbar
machen. Die Fotos werden in einer Datenbank gesammelt.
Erkenntnis: Das eigentliche Problem kann jeder angehen.
Modellierungswochen
Laura Pfeiffer: Zusammen mit vier weiteren Schlern aus
verschiedenen Schulen habe ich an einer Modellierungswoche
der TU Kaiserslautern in der PfalzAkademie in Lambrecht
teilgenommen. Unser Thema war: Ein Mensch ernhrt sich vier
Monate lang ausschlielich von Fastfood. Wie verndert er
sich? Wir haben viel getftelt, uns medizinische Informationen
beschafft, und am Ende kam eine Kurve heraus. Da hat man
gesehen, wie viel Spa Mathematik machen kann.
Elisabeth Wiegmann: Am Anfang reagieren die Kinder oft
entsetzt, weil es zu diesen Aufgaben meist keinen eindeutigen
vorgezeichneten Lsungsweg gibt und man aktiv in dem
gestellten Problem nach der Mathematik suchen muss. Meine
Erfahrung ist, dass die Schler dabei ber sich hinauswachsen.
Dazu lernen sie zu kooperieren und zu dokumentieren.
Voraussetzung ist, dass die Schler Lust haben, mit den Werk-
zeugen, die sie haben wir beginnen in Klasse 12 , an die
Problemlsung zu gehen. Diejenigen, die dabei mitmachen,
sind relativ gute Schler. Sie melden sich freiwillig.
fazit
Mathematische Modellierung verschafft Problemlsungskom-
petenz. Sie bietet eine Perspektive fr eine neue Ausbildungs-
form, die neben der fachlichen Spezialisierung die Ausprgung
von Softskills frdert und den Berufseinstieg erleichtert.
Die mathematische ModelIierung als Problemlsungskompe-
tenz erffnet den jungen Menschen eine Perspektive fr die
Zukunftsgestaltung, wie das Beispiel Laura Pfeiffer zeigt: Sie
mchte Industriemathematikerin werden und beginnt zum
Wintersemester 2009/10 an der TU Kaiserslautern mit dem
Studium der Technomathematik.
1 Aufmerksame Zuhrer
im Plenum: Prof. Bullinger,
Frau Quennet-Thielen,
Prof. Prtzel-Wolters
und Dr. Albrecht.
www.agtm.mathematik.uni-kl.de
32 i 33
w o r k s h o p s
Trottenberg: Wie kann die moderne Angewandte Mathematik Eingang in den Schul-
unterricht finden und zu neuen Erfahrungen fr Schler fhren?
Die rasante Entwicklung immer leistungsfhigerer Computer sowie immer effizienterer Algo-
rithmen hat die Angewandte Mathematik in den letzten Jahrzehnten revolutioniert. Sind die
Fortschritte in der Hardware in der ffentlichkeit weitgehend bekannt, so gilt dies viel weniger
von der Algorithmik, und in der Schulmathematik ist von dieser modernen Mathematik bislang
nur wenig angekommen.
II. AlgoRITHMEN VERSuS lSuNgS foRMElN lEHRERAuS- uND wEITERBIlDuNgDr. Anton Schl ler und Prof. Dr. Ulr ich Trottenberg, Fraunhofer- Inst i tut SCAI
Die Verkrzung der Schulzeit, der Umfang der Lehrplne und die implizite Evaluierung der
Schulen durch zentrale Vergleichs- und Abschlussprfungen lassen zurzeit kaum Freiraum
fr eine verstrkte Bercksichtigung der Angewandten Mathematik im Schulunterricht. Eine
substantielle nderung der Lehrplne erscheint nur lngerfristig durchfhrbar.
Dabei haben Algorithmen einen direkten Bezug zu Anwendungen, zu Rechnern und zur
zugrundeliegenden mathematischen Substanz, so dass eine Behandlung dieses Dreiecksbezugs
den Schlern ein besseres und tieferes Verstndnis der Mathematik ermglichen knnte.
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VHF
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VHF VHF
w o r k s h o p s
Unumstritten ist, dass heute in Deutschland ein groer
Fachkrftemangel im IT-Bereich und in technischen Berufen
herrscht. Will man dies ndern und mehr Interesse fr das
Studium technischer Berufe schaffen, so gilt es, frhzeitig
und nachhaltig Faszination und Begeisterung insbesondere
fr die Mathematik zu wecken, da in all diesen Disziplinen
die angewandte Seite der Mathematik eine wesentliche Basis
ist. Die Schlerkompetenzen in Mathematik, Informatik,
Naturwissenschaft und Technik mssen fachbergreifend
gestrkt werden. Ziel sollte es sein, eine Vielzahl von Schlern
zu erreichen und nicht nur reine Elitefrderung zu betreiben.
Dies bedeutet: Man muss in der Schule ansetzen.
Als Bausteine fr einen fachbergreifenden Unterricht in
Angewandter Mathematik und Informatik bieten sich an:
das Erlernen einer Programmiersprache, die einfach,
leistungsfhig, modern und auch im spteren Berufsleben
brauchbar ist,
die praktische Lsung ausgewhlter konkreter Anwendungs-
probleme aus Mathematik, Naturwissenschaft und Technik
mit Hilfe des Computers (in Teamarbeit). Das heit, die
Schler bersetzen die Problemstellung in ein mathematisches
Modell, whlen geeignete algorithmische Anstze aus und
berechnen die Lsung mit selbstentwickelten Computerpro-
grammen.
Dabei entwickeln die Schler kreatives Potential, lsen
naturwissenschaftliche Probleme und erlernen gleichzeitig
grundlegende Arbeitsweisen der Angewandten Mathematik
und Informatik.
Schller: Erfahrungen aus Algorithmik-Workshops im
Rahmen der Fraunhofer-Talent-School fr hochbegabte
junge Menschen und potentielle neue Unterrichtsinhalte
fr den schulischen Mathematikunterricht
Die Fraunhofer-Talent-School bietet talentierten Jugendlichen
die Mglichkeit, in zwei- bis dreitgigen Workshops einen
Einblick in die Forschungsarbeit bei Fraunhofer zu bekommen.
So lernen Schler mit Programmierkenntnissen in dem
Mathematik-Workshop Groe Gleichungssysteme Schnelle
Lsung kein Problem mathematische Verfahren kennen,
mit denen es mglich ist, groe Gleichungssysteme mit Hun-
derttausenden oder Millionen von Unbekannten in wenigen
Sekunden zu lsen, und entwickeln selbst entsprechende
Computerprogramme.
Die Erfahrungen aus diesen Workshops sind beraus positiv.
Die Jugendlichen zeigen durchweg eine hohe Motivation und
Leistungsbereitschaft und kommen bei der Programmierung
der komplizierten Verfahren auch durch Gruppenarbeit
zum Ziel. Die Umsetzung der Algorithmen in ein konkretes
Programm erleichtert dabei das Verstndnis der Algorithmen
und der mathematischen Grundlagen, macht den Teilnehmern
teilweise aber auch ihre Verstndnislcken oder Verstndnis-
probleme bewusst. Klar ist: Nicht alle in diesem Workshop
behandelten Algorithmen sind fr den normalen Unterricht
geeignet, da sie zu kompliziert und zu speziell sind.
Erforderlich ist die Entwicklung detaillierter Unterlagen fr
Unterrichtsbausteine und die Vorbereitung und Durchfhrung
von Fortbildungen fr interessierte Lehrer.
Lngerfristig sollte die Angewandte Mathematik (im Sinne von
Anwendungen der Mathematik) sowohl in den regulren
Lehrplnen als auch in den Studienordnungen fr Lehramts-
studenten der Fachrichtung Mathematik in angemessener
Form Bercksichtigung finden.
5HFKQHUEH]XJ $QZHQGXQJ$OJRULWKPHQ0DWKHPDWLVFKH6XEVWDQ]34 i 35
Diskussion
An der sich anschlieenden lebhaften Diskussion beteiligten
sich akademische Fachkollegen, Didaktiker, Lehrer, Schler und
andere Interessenten. Die von den Referenten vorgetragenen
Positionen wurden von den meisten Diskussionsteilnehmern
untersttzt. Einige Beitrge enthielten auch Ergnzungen
und Anregungen, andere uerten aus Sicht der tglichen
Schulpraxis Zweifel an der kurzfristigen Realisierbarkeit der
Vorschlge. Im Folgenden sind einige der Diskussionsbeitrge
nach Themenbereichen geordnet aufgelistet.
1. Anregungen, wie man die Angewandte Mathematik
in Ausbildung und Schule bringen kann
Hilfreich wren Fortbildungen und Praktika fr Lehrer, die
sich damit beschftigen, wie Mathematik in der Praxis
gemacht wird.
Die Fraunhofer-Gesellschaft bietet mit der Fraunhofer-Talent-
School und den Modellierungswochen Kurse fr Schler
an. Entsprechende Kurse sollten auch fr Lehrer angeboten
werden.
Das fr derartige Fortbildungen entwickelte Material sollte in
schriftlicher Form aufbereitet und fr interessierte Kollegen
breit verfgbar gemacht werden.
Um didaktischen Aspekten Rechnung zu tragen, sollten Unter-
richtseinheiten gemeinsam mit Lehrern ausgearbeitet werden.
Ein Anfang kann bereits mit zwei oder drei Beispieleinheiten
gemacht werden, die zur Weitergabe freigegeben werden.
Die Lehrerausbildung sollte bei der Konzeption und Ausar-
beitung entsprechender Unterrichtsentwrfe eingebunden
werden, indem etwa einschlgige Staatsexamensarbeiten
vergeben werden. Anschlieend knnte man diese Entwrfe
in der Schule ausprobieren und daraus in Kooperation mit
den Seminaren neues Lehrmaterial entwickeln.
Konkrete Kooperationen mit Lehrern und Schulen sowie
Schulpartnerschaften knnten dazu beitragen, die Rolle der
Angewandten Mathematik in der Schule zu strken.
2. Der Stellenwert der Algorithmik im mathematischen
Fcherkanon
Die Lage ist je nach Bundesland unterschiedlich: In manchen
gehren den Lehrplankommissionen keine Vertreter der
Algorithmik an, in anderen zhlt die Algorithmik bereits zum
Prfungsstoff im Abitur.
Der Algorithmus-Begriff taucht in Bildungsstandards vielfach
nicht auf. Lehrer knnen damit begrnden, warum Algorith-
men im Unterricht keine Rolle spielen.
Lehramtsstudenten knnen die Algorithmik meist vllig
umgehen, da die Angewandte Mathematik als ein groer
Teilbereich gilt.
Die Angewandte Mathematik muss sich viel mehr um die
Lehrerausbildung kmmern.
Auch die Deutsche Mathematiker-Vereinigung (DMV) sollte
dazu beitragen, die Angewandte Mathematik strker ins
Blickfeld zu rcken.
3. Der bergang von der Schule zur Hochschule
Problematisch sind die hohen Studienabbrecherquoten, die im
Fach Mathematik seit vielen Jahren zwischen 30 und 70 Pro