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Heft 8 ǀ Ausgabe 09/09 ǀ www.meins-magazin.de Feinsinn wählt ǀ Dienstwagen-Drama Fachfremde Unternehmensberater gesucht Kiel - eine Reise wert? ǀ Hochzeit am Balaton Politikverdrossenheit - keine Lust auf Politik?

meins-magazin 8

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meins waehlt

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Heft 8 ǀ Ausgabe 09/09 ǀ www.meins-magazin.de

Feinsinn wählt ǀ Dienstwagen-DramaFachfremde Unternehmensberater gesucht

Kiel - eine Reise wert? ǀ Hochzeit am BalatonPolitikverdrossenheit - keine Lust auf Politik?

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Editorial

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Liebe Lesenden!Schockschwerenot! Die Ferien sind schon fast um! Dabei liegen noch mehrere

Hausarbeiten und ungelernte Vokabeln auf dem Schreibtisch? Wir lenken ab,

denn es geht um die Zukunft. Oder darum, doch noch abzuhauen, was sollte

man da tun? - meins wählt.

LebensEcht spürt am eigenen Leib, wie es ist, am Ende eines Sommers Single

zu sein. KörperKultur wartet mit der feinsten Empfehlung für Hartgesottene

auf: Segeln in Köln.

Nach der Kommunalwahl in Köln und NRW kommt nun die große, die ganz

große Wahl auf uns zu, die Bundestagswahl. Ein kuscheliger Wahlkampf

streicht sanft durch das Land und der Wahl-O-Mat glüht durch vor der

Hilfslosigkeit der Wähler. Wem das nicht geheuer ist, der kann in StaatsKunst

überlegen, ob Wahlverdrossenheit eine Kampfansage sein kann, oder ob man

gerade deshalb wählen gehen sollte. Nebenbei klären wir Details zu Über-

hangmandaten.

ZeitGeist hingegen macht es sich schon mal gemütlich, nach der c/o-pop kann

man sich dann doch mal den Hausarbeiten widmen und bei einsamem Ker-

zenschein lesen, denn wer geht schon raus bei diesem Wetter?

Nach Barcelona lädt euch FernSicht ein und wer von Wahl und Singlesommer

die Schnauze voll hat, der heiratet auf Ungarisch, wie das geht erfahrt ihr auf

Seite 14. Wer sich bei alledem doch für einen Beruf entscheidet, für den haben

wir den Quereinstieg in ErkenntnisReich.

meins wählt nebenbei die Zukunft 2.0! Ab unserer nächsten Ausgabe im Okto-

ber erlebt ihr meins in einem ganz neuen Format mit komplett neuer Home-

page, freut euch drauf!

Jetzt wird aber gelesen, 58 Seiten stehen euch zur Verfügung, viel Spaß!

Niels Walker, Chefredakteur

2 Inhaltliches

06 Die Single-Katastrophe08 "Ich will doch nur spielen"

12 Barcelona: Der Zauber einer inspirierenden Metropole13 Kiel - eine Reise wert?14 Hochzeit am Balaton

18 Fachfremde Unternehmensberater gesucht

24 Endlich wieder c/o Pop in Köln26 Kanon: Leserbriefe in der FAZ

30 Ein Tag im Lebens des Froillein Redrob-Enil 32 SMS-Blog34 Playlist36 Fotostrecke Wahlplakate

50 Wahlen52 Dienstwagen-Drama52 Überhangmandate - was ist das nochmal?52 Don't vote! - Geh nicht wählen!53 Politikverdrossenheit - keine Lust auf Politik?

56 Segeln - ein Interview zum Thema "Segeln für Anfänger"

LebensEcht

ErkenntnisReich

FeinSinn

StaatsKunst

StaatsKunst

Inhalt

KörperKultur

meins

ZeitGeist

FernSicht

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LebensEcht

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Kürzlich habe ich mich bei einer großen deutschen Singlebörse angemeldet. Meine Freundin hat mich sofort für verrückt erklärt und wollte mich dazu zwingen, mich umgehend wieder abzumelden. Aber es ist sehr witzig und vor allem unterhaltsam, denn dort treibt sich eine beträchtliche Auswahl an – nennen wir es mal so – interessanten Charakteren herum

Es sind wirklich keine Klischees von denen ich hier berichte, es ist (leider) die Wahrheit. Aber wenn ich mich schon mit diesen virtuellen potentiellen Beziehungspartnern auseinandersetzen muss, kam mir die Idee, daraus etwas Sinnvolles zu machen und eine Kolumne zu schreiben. Ich möchte betonen: es sind alles Tatsachen, die ich hier beschreibe, aber aus Respekt vor den betreffenden Personen muss ich die Namen etwas abwandeln. Eins vorweg, ich behaupte nicht, dass sich noch nie eine Beziehung aus dem Internet entwickelt hat und andere Menschen ihren Traumpartner dort gefunden haben. Ich bin durchaus positiv gestimmt, aber es gibt auch ganz andere Geschichten zu berichten!

Im Internet ein Blind Date auszumachen ist in Zeiten von Web 2.0 ja nun nichts besonderes mehr. Allerdings hatte ich mir nach zwei katastrophalen Verabredungen vor zwei Jahren, geschworen, so etwas nie, nie wieder zu machen. Bei dem einen Treffen wurde ich auf hochhackigen Schuhen durch die Altstadt gescheucht um dann auf einer Wiese zwischen Bierflaschen rumzulungern und bei dem Anderen stellte

sich kurzerhand heraus, dass er eine Freundin hatte. Wie auch immer, dennoch hat es mich wieder in die Online-Liebeswelt gezogen.

Ich habe meine ansehnlichsten Fotos rausgesucht und sie eingestellt, worauf ich so tolle Nachrichten wie: „Dein Foto gefällt mir“ bekam. Na ja, es kann halt nicht nur eloquente Menschen geben. Das ist auch in Ordnung so, man kommt schon ins Gespräch. Den Knaller allerdings hat sich Patrick geleistet. Sein Foto schien mir ganz ansprechend, also chattete ich mit ihm. Auch über die erste Frage: „Was machst Du so?“ konnte ich noch gelassen hinweg sehen, als dann aber das Gespräch auf Markenklamotten hinauslief und ich ihm eine nicht unbekannte Marke nannte, stieg er sofort aus dem Chat aus. War wohl nicht niveauvoll genug. Ich verließ die Seite leicht verwirrt, ob ich jetzt einen Komplex auf Grund meiner „niederen“ Wahl haben müsste, entschied mich dann aber doch, die Sache zu verdrängen.

Dann war da auch noch die Einladung eines 57jährigen nach Kenia. Nein, das ist kein Scherz! In seiner Mail schwärmte er mir

Die Single-Katastrophe vor, wie toll es dort sei und dass ich ihn unbedingt besuchen müsste. „Der ist älter als meine Mutter war mein erster Gedanke“ – fürchterlich! Aber anstatt ihm eine fiese Email zurück zu schicken, entschied ich mich ihn einfach zu blockieren. Doch die Fragen in meinem Kopf blieben: „Was denkt sich so ein Mann? Wie kommt er darauf, dass ich Interesse hätte?“ Zumal ich in meinem Profil angegeben habe, dass ich nur Männer bis 38 suche- was schon meine absolute Schmerzgrenze ist. Und dann war da noch Fehmi, der mich mit seinen Oberkörperfreien-Fake-Katalog-Bildern einzuwickeln versuchte und doch partout nicht zugeben wollte, dass die nicht echt sind. Vor allem, wo er mir vorher andere gezeigt hatte. Ich mag zwar kurzsichtig sein, jedoch nicht total verpeilt. Obwohl ich ihm unmissverständlich klar gemacht hatte, dass ich mit Fakes nichts zu tun haben will und mich seine Fotos in keinster Weise beeindrucken, meinte er noch mich zum Essen einladen zu müssen. Überhaupt sind die Männer sehr schnell dabei nach Dates oder Telefonnummern zu fragen. Wo kommen wir denn dahin? Ich kann doch nicht irgendwelchen fremden Typen meine Handynummer geben. Ich bin da eher

konservativ gestimmt, ein bisschen chatten, den Anderen besser kennenlernen, dann kann man sich über die weiteren Schritte Gedanken machen. Aber natürlich, um ein Date kommt man nicht herum, wenn man ernsthaft jemanden kennenlernen möchte und das ist meine eigentliche Intention.

Und dann habe ich doch tatsächlich jemanden in den Wirren den Internets gefunden, der mir halbwegs normal erschien und mit dem ich dann länger als fünf Minuten geredet habe. Nun, man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, man weiß nicht, was sich daraus ergibt. Das kann ich dann vielleicht in der nächsten Kolumne berichten.

Miss Y

LebensEcht 76 LebensEcht

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Mein Outfit war perfekt. In den knallengen Jeans kamen zwei meiner besten Waffen auffällig zum Einsatz: der wohl geformte Po und die makellos proportionierten Beine. Es bedurfte mich keiner Haute Couture um Aufmerksamkeit zu erlangen, selbst in dieser schummrigen Bar sollte mein Gang genügen.

Der betont langsame Schritt, das unmerkliche Schwingen meiner Hüften und ein leicht arrogantes Gesicht, das ich mit frivol geöffneten Lippen garnierte, waren wie Sirenengesänge, denen einige Männer nicht widerstehen konnten. Es dauerte eine Weile, bis sich ein geeigneter Kandidat aus den Bewerbern herauskristallisierte. Er war groß, sein dunkles, kurzes Haar lockte sich ein wenig um seine Ohren. Zwischen den Bartstoppeln blitzten immer wieder strahlend weiße Zähne auf. Seine Muskeln spannten sich unter dem zerknitterten Shirt, wenn er das Glas aufnahm und einen kräftigen Schluck Bier durch seine Kehle spülte. Die keck funkelnden Augen verrieten mir, dass er abenteuerlustig genug war, um alles zu tun, was ich verlangte. Mein perfektes Opfer.

Es wurde Zeit für Phase zwei, in der nun meine Geheimwaffen zum Einsatz kamen. War mein Blick zuvor noch ein wenig kühl und distanziert, verlieh ich ihm das Gefühl die Beute gefangen zu haben, als ein süßes Lächeln meine Mundwinkel verschob und wie ein heißer Schnitt durch meine Eisschicht glitt, sie zum Einsturz brachte. Natürlich musste er glauben, dass diese Veränderung ihm zugrunde lag und noch während er sich uns wild vögelnd vorstellen mochte, hörte ich mit Genugtuung die Falle zuschnappen. Keine zehn Minuten später lag sein Kopf auf meiner Schulter und feucht-warme Atemausstöße an meinem Ohr waren die einzigen Pausen zwischen dem spielerischen Wechsel von Küssen und sanften Bissen in meinen Hals. Ich

stöhnte bei jeder Markierung, die seine Zähne in meine Haut furchten, lauter auf, so als ob es mich wirklich erregte. Meine Geräusche verfehlten ihre Wirkung nicht. Wir verließen die Bar Arm in Arm und spazierten durch eine mattgraue, mondlose Nacht zu ihm nach Hause. An seiner Haustür angekommen hielt er einen Moment inne, so als würde er zu zweifeln beginnen, ob das Ganze eine gute Idee ist. In Wahrheit durchsuchten seine Hände die Hosentaschen nach dem Wohnungsschlüssel, den er schließlich in einem seiner Socken wieder fand. Als wir in den Flur traten, schloss er die Tür mit seinem Fuß, da er mich sogleich an die Wand gegen ein Warhol-Gemälde drückte und mir zwischen die Beine griff. Das musste eine Kopie sein. Ich hatte keine Zeit mehr für Ablenkungen, weshalb ich ihn nachdrücklich von mir schob, mir mit dem Handrücken über den Mund fuhr und ihn auffordernd ansah. Meine Tasche, deren langen Tragegurt ich um das Handgelenk gewickelt hatte, hielt ich in die Höhe und schüttelte sie ein paar Mal auf und ab, sodass ein dumpfes Klirren zu hören war. „Hast du Lust zu spielen?“, fragte ich und grinste. Er sah verblüfft aus, nickte dann aber freudestrahlend. Mit atemberaubender Langsamkeit zog ich ein paar Handschellen hervor, die baumelnd an meinem Zeigefinger hingen. „Das wird ein fesselndes Erlebnis für dich“, lächelte ich mit angedeutet herausgestreckter Zunge. „Du bist ja ein ganz böses Stück“, hechelte er notgeil und presste mich erneut gegen den Rahmen des Bildes. Schließlich führte er mich in sein Schlafzimmer, wo er eilig ein paar auf dem Bett verteilte Kleidungsstücke in den Schrank räumte und mich mit einer ausholenden Handbewegung aufforderte auf dem schwarzen Bezugsstoff Platz zu nehmen. Ich hielt einen Moment inne, weil ich mit einem hastigen Blick das Laken nach etwaigen Flecken absuchte. Dann setzte ich mich und eine Sekunde später wurde ich von einem heran fliegenden, bereits halbnackten Mann vollends auf dem Bett nieder gestreckt. Mit ein paar groben Handgriffen versuchte er mir

das Shirt auszuziehen. Abermals hielt ich ihn zurück, nahm meine ganze Kraft zusammen, wuchtete ihn von mir herunter und setzte mich auf seine Brust. Die ganze Zeit über hatte ich die Handschellen festgehalten. Den Oberkörper nach vorn gerichtet, drückte ich mit meinen Knien seine Arme auf die Matratze, welche unter meinem gebündelten Gewicht nachgab und aufgeschrien hätte, wenn sie Schmerz äußern könnte. Mit einem Finger berührte er schon das Eisengestell des Bettes. Es war erschreckend leicht seine Handgelenke zwischen den rostigen Stäben zu verkeilen und mit zwei klickenden Geräuschen schließlich zu fesseln. Seine Wangen färbten sich leicht rot, vor lauter Aufregung gab er ein merkwürdiges Grunzen von sich. Der erste, große Schritt war getan, jetzt ging es nur noch um die Feinheiten. Ich räumte mir eine Pause zum Nachdenken ein, während ich mechanisch an seinen Brustwarzen leckte. In meiner Vorstellung konnte ich die Wohnungstür vom Ort des Geschehens sehen. Außerdem malte ich mir einen Stuhl aus, an den ich den Unbekannten hätte fesseln können. Das wäre ein lustigerer Anblick gewesen. Leider ließ sich das jetzt aber nicht mehr ändern und mir fehlte die Motivation die ganze Szenerie in den Flur zu verlegen. Als ich ihn an der Taille küsste, schreckte ich aus meinen Gedanken hoch, weil er zusammenzuckte und kicherte. „Ich bin da kitzelig“. Mit einem Ruck hatte ich mich aufgesetzt und sah ihn an. Angewidert und mit aufbäumenden Hass. Es wurde Zeit für die letzten Beschimpfungen, bevor ich ihn in seinen eigenen vier Wänden gefangen zurücklassen würde. Doch mir fielen einfach nicht die richtigen Worte ein, um meinen nach Plan laufenden Stimmungswandel zu erläutern. Schließlich hatte er erschreckend wenig falsch gemacht. Irritiert blickte er zu mir herauf. Er schwieg. Schlagartig wurde mir bewusst, dass die Nachbarn ihn nicht zwangsläufig erst am nächsten Morgen zufällig finden würden, da er sich laut rufend Gehör verschaffen könnte und vielleicht irgendwen aus dem Schlaf reißt. Die Wohnungstür zu schließen, traute ich mir nicht zu. Schon vor Wochen beschlich

mich das Bild einer verwesenden Leiche so häufig, dass ich zur Vorsicht sogar einen schweren Gegenstand zwischen Tür und Rahmen legen wollte, damit das ja nicht passierte. „Was ist denn los?“, fragte er unruhig und ein Hauch Panik legte sich in seine Augen. Ich wandte meinen Kopf umher und suchte im Halbdunkel nach einem geeigneten Utensil. Dann stand ich auf, öffnete den Kleiderschrank und erspähte einen Schal. Mit Mühe quälte ich mir ein „Ich will das Spiel noch ein wenig interessanter machen“ von den Lippen, zog den wollenen Knebel heraus und verband ihm den Mund. Er ließ mich wortlos machen, obwohl seine in großes weiß gefassten Pupillen immer noch Angst verrieten. Perfekt. Er machte es mir spielend leicht.

Eine leichte Beklommenheit durchfuhr mich. In meiner Vorstellung schien der Plan perfekt, in der Realität begann er merklich zu bröckeln. Ich beschloss ihn wortlos liegen zu lassen und zu gehen, doch als ich mich umdrehte, wurde mir siedend heiß bewusst, dass er mein Gesicht gesehen hatte und der Polizei eine ziemlich exakte Täterbeschreibung geben könnte. War Fesseln und Zurücklassen wohl eine Straftat? Meine Knie wurden weich. Wieder kam ich erst zu mir, als er mit seinen Beinen heftig auf dem Bett strampelte und ein paar dumpfe Schreie von sich gab. Ich drehte mich um und sah ihm in sein nun Wut verzerrtes Antlitz. Es ist verstörend, wie schnell sich Emotionen wandeln können. Einen Moment lang dachte ich, dass ich wohlmöglich noch erklären könnte, dass alles nur ein Spaß war. Doch sein Zorn stand ihm so deutlich in den eng zusammengerafften Augenbrauen

geschrieben, dass ich fürchtete, er würde mir erst eine runterhauen und mich dann trotzdem anzeigen. Was sollte ich tun? Die Handschellen machten auf dem Blei unangenehm laute Geräusche, so laut, dass jemand davon wach werden könnte. Intuitiv sprang ich diesmal auf seinen Bauch und versuchte seine Arme steif zu halten. Mit zitternder Stimme flüsterte ich „Sei still! Dann passiert dir auch nichts!“ Ich erschrak über meine eigenen Worte, mehr jedoch vor seinen Augen, die sich abermals veränderten und nichts als Furcht offenbarten. Seine Gegenwehr setzte für einen Augenblick lang aus, doch gerade als ich mich wieder von ihm erheben wollte, zuckte sein Körper auf und ruckelte unter mir wie ein rasender Truck, der über dicht an dicht liegende Geschwindigkeitshügel holperte. Ein ersticktes „Hilfe“ drang durch die Luft und Tränen verloren sich im Gewebe des Schals. Ich konnte es nicht ertragen und verlor den Kopf.

Wütend gebot ich ihm die Klappe zu halten, doch er hörte nicht. Sein schwitzender Leib bäumte sich auf, ein zermürbendes Kieksen mischte sich in seine Schreie und das Scheppern der Handschellen schien wie das überlaute Morsen eines SOS-Codes. Hass kroch wieder in mir empor. Ja, ich hasste ihn, diesen Schwachkopf, diesen kreischenden Jammerlappen, der augenscheinlich nicht einen Funken Humor hatte. Seine Laute waren nicht zu ertragen. Ich beugte mich hastig vor und schrie. „Halt endlich die Klappe, Arschloch!“. Daraufhin spuckte ich ihm ins Gesicht. Dies ließ ihn nur noch mehr verzweifeln und ein ohrenbetäubendes Kreischen durchflutete das Zimmer. Es gab nur eine Lösung diesen Lärm zu stoppen. Hastig riss ich das Kissen unter seinem Kopf hervor, legte es auf sein Gesicht und setzte mich darauf. Seine Rufe waren nun fast verstummt. Nur ein fernes „Mmmmh“ war zu vernehmen, doch schlugen seine Arme weiter gegen die Bettstäbe und seine Beine auf die

Matratze. Ich griff hinter mich und versuchte seine Hände zu greifen. Es gelang mir nicht richtig, doch nur ein paar Sekunden später wurde sein Körper ruhiger und als ich endlich eine Hand zu packen bekam, lag sie regungslos in meiner eigenen. Endlich war alles still.

Langsam breitete sich diese Ruhe auch in meinem Kopf aus. Ich muss noch minutenlang in meiner Position verharrt haben, als es klopfte. Ich stand auf, schlurfte zur Tür und öffnete sie. Draußen blickte mich eine ältere Dame, die in ihren Morgenrock gehüllt war, ängstlich an. „Ist alles in Ordnung? Ich hab unten Krach gehört und…“. „Alles in Ordnung“, unterbrach ich sie und lächelte schelmisch. „Mein Freund und ich haben nur die Handschellen ausprobiert, verstehen sie?!“, zwinkerte ich ihr zu. Im Kopf der Alten schien es zu rattern und empört trat sie schließlich einen weiteren Schritt nach hinten um den ohnehin schon weiten Abstand zwischen uns zu vergrößern. „Wenn sie nicht leiser sind, rufe ich die Polizei“, schnaubte sie und ging die Treppen hinab. „Keine Sorge“, rief ich ihr hinterher. „Wir sind jetzt mucksmäuschenstill“.Ich schloss die Tür und blieb wie gebannt vor einem großen Spiegel stehen. Skeptisch begutachtete ich mein Gesicht. Ein dunkler Schatten hatte sich darauf gelegt. Es ist merkwürdig, wie schnell Bartstoppeln in ein paar Stunden sichtbar werden. Heute Nacht wollte ich mich töten und an einem Mann rächen, der mein Herz gebrochen hat. Einen Unschuldigen dafür bestrafen, weil wir alle gleich sind. Männer sind Mörder.

Als die Sonne aufging, iel

M.D.

LebensEcht 98 LebensEcht

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FernSicht

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Der Zauber einer inspirierenden Metropole:Wasserballett der etwas anderen Art in Barcelona

Als ich an einem Donnerstag im Juni im Flugzeug nach Barcelona sitze, bin ich voller freudiger Erwartungen auf meinen Kurzurlaub in der Hauptstadt Kataloniens. Ich besuche meine dorthin ausgewanderten Freunde Doro und Jan, um mich einmal persönlich davon zu überzeugen, warum die beiden aus dem Schwärmen über ihre Wahlheimat gar nicht mehr herauskommen.

Dank der guten Anbindung, schaffe ich es in wenigen Minuten vom Flughafen zum Plaça d'Espanya im Stadtzentrum, um sogleich mit einem kühlen Cerveza, also Kölsch auf Spanisch, mit Doro auf unser Wiedersehen anzustoßen. Die Abkühlung kommt mir sehr gelegen, denn im Gegensatz zum verregneten Köln ist in Barcelona bei 35 Grad Flip Flop-Wetter angesagt. Es ist bereits früher Abend und wie es sich für eine echte (Wahl-)Spanierin gehört, muss Doro für zwei Stunden zu ihrem wöchentlichen Salsakurs. Um meiner Gastgeberin und mir eine Blamage zu ersparen, halte ich mich lieber aus dem feurigen Tanzgeschehen heraus. Stattdessen nehme ich mir vor, einen ersten Abendspaziergang durch die Straßen von Barcelona zu wagen. Verlaufen ist hier auch für Orientierungslose eher schwierig bis ausgeschlossen, da die

gesamte Innenstadt im Schachbrettmuster angelegt ist. Man muss also nur einmal um den Block gehen und ist wieder da, wo man losgelaufen ist. Schon bei meiner Ankunft war ich fasziniert vom riesigen Plaça d'Espanya, einer der größten Plätze der Stadt. Mit der gigantischen Statue in der Mitte, erinnert er an einen Prachtboulevard aus längst vergangenen Zeiten. Ich lasse mich treiben und laufe durch zwei große Säulen auf eine Allee mit dem wunderschön klingenden Namen Avinguda de la Reina Maria Cristina und fühle mich wie Scarlett Johansson in Vicky Cristina Barcelona. Meine Version nenne ich ab jetzt Ivanka Maria Cristina Barcelona, entsprechend der wunderschönen Straße auf der ich stehe.

Was ich dann erblicke, hat mit Sicherheit auch den großen Woody Allen inspiriert. In der Abenddämmerung erstrecken sich links und rechts von mir hell beleuchtete Wasserfontänen und am Ende der Allee türmt sich ein riesiger, bunt beleuchteter Springbrunnen auf. Na, also so ein Empfang wäre doch nun wirklich nicht nötig gewesen Barcelona, denke ich, und schreite in meinen Flip Flops Scarlett Johansson-mäßig durch die Fontänen auf den Riesenspringbrunnen zu. Hätte Woody das gesehen, er würde mich in der Kulisse sicher glatt zu seiner neuen Muse ernennen. Am großen Springbrunnen angekommen, bleibt mir beim Anblick der tanzenden Wassermassen, die ständig Form und Farbe wechseln, glatt der Mund offen stehen.

Passend dazu tönt laut „Apologize“ von One Republic und zum ersten Mal finde ich das Lied nicht schnulzig und kitschig, sondern so schön, dass mir bei weit offenem Mund glatt die Tränen kommen. Das wiederum sah sicher gar nicht filmstarhaft, sondern eher ziemlich bescheuert aus. Zum Glück sind die Touris um mich herum alle eifrig mit Fotografieren beschäftigt und ich ernte keine schnöden Blicke.

Dann schließe auch ich mich beeindruckt dem Geknipse an. Mein Fotomotiv heißt treffenderweise La Font Màgica de Montjuic, erbaut von Carles Buigas zur Weltausstellung 1929. Der magische Springbrunnen liegt am Fuße des Bergs Montjuic. Direkt hinter dem La Font Màgica erstreckt sich bergaufwärts das Palau Nacional, in dem sich das Museu Nacional d'Art de Catalunya befindet. Das alles hat etwas von einem pompösen Schlosspark, vor allem weil vom Palau Nacional aus Scheinwerfer in den Nachthimmel strahlen. Die zwei Stunden vergehen nur beim bloßen Zuschauen der Spektakel wie im Flug und ich laufe ganz erfüllt wieder zur Salsaschule zurück. Was für ein Urlaubsanfang. Fast wie im Film.

Text und Fotos: Ivanka Klein

Was hat Kiel im Ressort FernSicht zu suchen? Erstmal nichts, aber: Urlaub in Deutschland ist in Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise im Kommen. Und die schleswig-holsteinische Landeshauptstadt hat Einiges zu bieten. Von politischen Krisen bis hin zu wahren Urlaubsgefühlen.Am besten man schnappt sich ein paar Freunde, setzt sich ins Auto und fährt in den Hohen Norden. Die Entfernung beträgt um die 520 Kilometer, allerdings empfiehlt sich ein vorheriger Blick in die Stauschau, da die Strecke übersät ist mit Baustellen. Und wer sich den Stress auf der Autobahn ersparen will, kann auch den Zug nehmen, dauert auch nur 5-6 Stunden. Zugegeben, für ein Wochenende lohnt sich die Reise nicht, aber für einen Kurzurlaub.

Die Nähe zum Meer hat Kiel geprägt und stellt einen idealen Ersatz zur Reise ins Ausland dar. OK, ehrlich gesagt, ein richtiges Karibik-Feeling will sich nicht einstellen, aber das ist ja beim deutschen Sommer auch recht schwierig. Doch zu einem richtigen Urlaub gehört auch ein Strand. Wenn man die Augen schließt, das Meeresrauschen im Ohr hat und etwas Phantasie, dann ist das schon wie richtige Ferien. Der Strand hat Einiges zu bieten. Überall kleine Buden mit Fischspezialitäten,

kleine Läden mit kitschigem Touristenkram und einen Altersdurchschnitt von 65- damit muss man sich hier leider abfinden. Genauso wie mit dem Kieler Trend überall barfuss zu laufen und sei es auch mitten in der City. Aber wen das nicht stört, der kann sich in Kiel durchaus wie im Urlaub fühlen und in einem der teilweise etwas verwitterten Strandkörbe chillen. Wenn man allerdings den versäumten Schlaf aus der vorangegangenen Partynacht nachholen will, sind die Körbe nicht empfehlenswert- es sei denn, man ist ein Schlangenmensch und fühlt sich in beengten Räumen wohl. Partymäßig ist in der Landeshauptstadt auch Einiges los- am besten Mal die einschlägigen Webseiten durchforsten. Was das Meer angeht, so sollte man sich nicht vor Abermillionen von Quallen fürchten oder gar ekeln, denn diese tummeln sich im kalten Wasser.

Wer sich in Hamburg wohlfühlt, dem wird auch Kiel gefallen. Gewisse Ähnlichkeiten zwischen den beiden Städten sind nicht von der Hand zu weisen, wie beispielsweise die vielen Häuser aus Backstein und natürlich der Hafen. Doch im Gegensatz zur Hansestadt hat Kiel die Förde- eine schmale Bucht der Ostsee und den Nord-Ostsee-Kanal, der Nord- und Ostsee verbindet und so eine wichtige Straße für die internationale Schifffahrt darstellt.

Was die Stadtmitte betrifft, auch hier lassen sich die üblichen Geschäfte in der Holstenstraße, einer der ältesten

Fußgängerzonen Deutschlands, finden und im Verhältnis zur überschaubaren Zahl von ca. 237 000 Einwohnern, erscheint die Innenstadt doch recht groß. Ein wahres Verbrechen im Norden: bayrisch zu speisen. Aber trotzdem sehr empfehlenswert ist das Brauhaus in der City. Wer es traditioneller und fischiger mag, der sollte die Kieler Sprotten, eine regionale Fischspezialität, probieren.

Von Kiel aus kann man sich mit einem der riesigen Schiffe auf die weite Reise nach Skandinavien machen. Ein bisschen was zu sehen gibt’s auch, zum Beispiel das Marinedenkmal in Laboe oder ein Unterseeboot aus dem Zweiten Weltkrieg, sowie das Schifffahrtsmuseum am Satorikai. Besonders interessant soll auch die Kieler Woche sein, das größte Segelsport-Event weltweit. Diese findet meist im Juni statt. Aber Kiel ist nicht so idyllisch wie es scheint, auch hier gibt’s handfeste politische Skandale. Man denke nur an die Affäre im Landtag vor einigen Wochen, bei der die große Koalition auseinander brach, weil dem Ministerpräsidenten das Vertrauen entzogen wurde. Nun wird’s Neuwahlen geben.

Trotz Politskandal: wer etwas Erholung in Deutschland plant, dem sei Kiel ans Herz gelegt.

Text und Fotos: Jasmin Dienstel

Kiel – eine Reise wert?

FernSicht 1312 FernSicht

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Hochzeit am Balaton. Ein See, viel Fleisch, Zigeuner und ein Brautpaar.

Eigentlich wollte ich ja über die Unterschiede von ungarischen zu deutschen Hochzeiten berichten. Leider

handelte es sich bei der Hochzeit auf der ich war, jedoch um eine ungarisch-deutsche. Deshalb fielen wohl

viele für Ungarn übliche Traditionen weg, und andere deutsche wurden übernommen. Es war jedenfalls

eine Hochzeit wie man sie auch in Deutschland erleben könnte. Nur, dass sie nicht in Deutschland war.

Und genau das ist das Besondere.

Somit kann ich zwar nicht reinen Gewissens über eine "ungarische" Hochzeit schreiben, dafür kann ich aber über eine Hochzeit am Balaton, in Deutschland auch als Plattensee bekannt, berichten. Die kirchliche und standesamtliche Trauung, die auf einem kleinen Hügel direkt am See stattfand, war schon etwas chaotisch. Eine bilinguale Heirat mit leichten Übersetzungsschwierigkeiten. So sagte die Standesbeamtin beispielsweise, als mein Bruder, der Bräutigam, an der Reihe war das "Ja"-Wort zu geben, laut Dolmetscher: "Sie dürfen jetzt aussagen!". Lieder in zwei Sprachen zu singen, ist hingegen, trotz erwarteter Schwierigkeiten, eigentlich eine schöne Angelegenheit. Auch wenn man keine Ahnung hat, was der ungarische Banknachbar gerade in seinen Vollbart nuschelt, klingt es an einigen Stellen harmonisch und fast schon wie eingeübt. Die deutsche Predigt wurde auch direkt übersetzt. Die Witze des Pastors wurden allerdings nur von wenigen Ungarn verstanden. Egal! Denn direkt im Anschluss folgte die Feier und wenn man ein bisschen was getrunken hatte, klappte es mit der Völkerverständigung doch gleich noch besser. Es wäre angeblich üblich gewesen auf einer ungarischen Hochzeit die Braut zu entführen. Das heißt: sie zu schnappen, vom Bräutigam weg zu bringen und irgendwo in einer Kneipe zu warten, bis der werte Herr Gatte sie dort gefunden hat. Doch hier hatte der Bräutigam seinem Trauzeugen den ausdrücklichen Auftrag gegeben, jedem der Anstalten machte ein solches Vorhaben in die Tat umzusetzen, zu beseitigen. Und das war auch gut so, denn auf der eigenen Hochzeit auch nur eine Minute des wunderschönen Panoramas zu verpassen, hätte der Braut sicherlich Leid getan.

Der Balaton, den man von der Terrasse der Gaststätte aus wie ein Betttuch vor sich ausgebreitet sah, war größtenteils von Bäumen umgeben und hatte aufgrund seiner geringen Tiefe eine wirklich schöne, hellblaue bis türkise Färbung. Die Luft war leicht und sommerlich und selbst die sonst immer anwesenden Mücken hielten sich an

diesem Abend vorbildlich zurück. Letzteres könnte allerdings auch mit dem relativ hohen Alkoholanteil im Blut der Gäste zu tun gehabt haben. Im Hintergrund spielten leise drei waschechte Zigeuner auf Bass, Geige und einem Instrument, dessen Namen ich immer noch nicht kenne. Das Essen war fürUngarn typisch, von Fleisch geprägt und für Vegetarier darum teilweise weniger geeignet. Ein Reiseführer rät Vegetariern tatsächlich von einem Ungarn-Besuch

ab und begründet dies mit der Antwort, die man zu hören bekäme, würde man nach fleischlosen Gerichten fragen: "Geh doch nach Rumänien!" Aber egal, denn den Mangel an Nahrung konnte ich durch Schnaps wieder wettmachen. Sofort bei der Ankunft wurde den Gästen eine Auswahl angenehm schmeckender Pflaumen- und Pfirsichschnäpse geboten, die mich tatsächlich ein halbstündiges Gespräch mit einer meiner Tanten in der Nacht vergessen ließen. Auch die Ungarn, mit denen ich

an einem Tisch saß, wurden nicht müde mein Schnaps-Pinchen immer wieder aufzufüllen, ihre Wassergläser zu heben und "Egeschegedre!" ( Schreibweise ohne Gewähr ) zu rufen. "Prost! Auf Dein Wohl!". Ja, danke. Wenn mein Wohl bedeutet, einen Filmriss und nen unglaublichen Kater zu haben. Schweinehunde. Nach dem Essen wurden die Zigeuner von einer ungarischen Folklore-Band abgelöst, die den Gästen beim Tanzen Stimmung unter den Beinen machen sollte. Jene spielten dann auch direkt für den Brauttanz auf. Der

Brauttanz wurde vermutlich erfunden, um dem Hochzeitspaar, dass ja

schon eine ganze Menge Geld bei der Organisation der

Party gelassen hatte, die Kassen wieder aufzufüllen. Eigentlich muss jeder mit der Braut tanzen und dafür vorher beim Trauzeugen einen Betrag seiner Wahl

in einen Topf schmeißen. Viele drückten sich allerdings

unter dem Vorwand, sie könnten nicht tanzen. (Wäre ich nüchtern

gewesen, hätte auch ich so gehandelt. So hatte ich jedoch keinerlei Hemmungen.)

Der Brauttanz läutete dann das allgemeine wilde Durcheinandertanzen

(wahlweise auch im Kreis, mit dem Bräutigam in der Mitte) ein. Als

die Band um fünf Uhr morgens aufhören wollte zu spielen, erboten sich manche Gäste noch für einige weitere Stunden zu bezahlen. Doch die Musiker ließen sich nicht überreden, packten ein und

verließen die Gesellschaft. Ein wenig ernüchtert und plötzlich

wieder wie in einer anderen, musiklosen, alkoholgetränkten

Welt, saßen wir auf den Treppen vor der Gaststätte und warteten in der immer noch sommerlich-warmen Luft auf das Taxi, das uns nach Hause bringen sollte. Insgesamt kann ich nur jedem Brautpaar, das seine Hochzeit in einem besonders schönen Rahmen feiern möchte, den Balaton in Ungarn empfehlen. Auch ein normaler Besuch lohnt sich übrigens und ist nicht einmal so teuer (bis auf die Anfahrt). Bringt nur genug Mückenspray und Badesachen mit.

Text und Fotos: Simeon Buß

FernSicht 1514 FernSicht

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16 ErkenntnisReich ErkenntnisReich 17

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18 ErkenntnisReich 19ErkenntnisReich

Die BCG fördert den Einstieg in die Unternehmensberatung. Innerhalb eines zweitägigen Schnupperkurses konnten Studenten und Doktoranden aller nicht wirtschaftswissenschaftlichen Fachrichtungen den Beraterjob für sich entdecken. Christian Greiser ist Geschäftsführer der BCG in Düsseldorf. Er weiß, warum Mediziner, Chemiker oder Mathematiker gute Unternehmensberater werden können.

Erkenntnisreich: Warum suchen Sie ausgerechnet Quereinsteiger? Ich kann mir vorstellen, dass der Arbeitsmarkt mit BWLern schon überfüllt ist.

Christian Greiser: Gerade einmal die Hälfte unserer Berater hat Wirtschafts- wissenschaften studiert, 20 % sind Biologen, Chemiker oder andere Natur-wissenschaftler, 20 % Ingenieure wie Maschinenbauer oder Elektrotechniker und rund 10 % haben einen geisteswissen-schaftlichen Hintergrund. Der Grund, warum wir nicht bloß Betriebswirte einstellen: Ein Studium prägt ja nicht nur fachlich, sondern beeinflusst

Fachfremde Unternehmens-berater gesucht

Die Boston ConsultingGroup bietet Workshops

für Quereinsteiger an

auch die Denkweise und die Art, wie man an eine Fragestellung herangeht. Ein Naturwissenschaftler geht den Dingen bis ins kleinste Detail auf den Grund, einem Ingenieur fällt es oft sehr leicht, ein Problem in seine einzelnen Bestandteile zu zerlegen – während viele Geisteswissenschaftler die Aufgaben aus einer ganzheitlichen Perspektive betrachten. Jeder Denkansatz kann zu einer Lösung führen, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise. Als Strategieberatung erheben wir an uns selbst den Anspruch, für unsere Kunden neue Lösungen und neue Denkansätze zu entwickeln, und das

schaffen wir, indem wir unser Teams mit Vertretern ganz unterschiedlicher Fachrichtungen besetzen. Sind die Teams zu homogen zusammengesetzt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie auf wirklich neue Ideen kommen, nicht sehr hoch. Der Fachfremde neigt eher dazu, Dinge zu hinterfragen und unkonventionelle Lösungsvorschläge zu entwickeln.

Erkenntnisreich: Innerhalb von zwei Tagen wird hier Unternehmensberatung völlig fachfremden Leuten vorgestellt. Wozu dient diese Veranstaltung?Christian Greiser: Die Veranstaltung dient dazu, Werbung und Aufklärung für

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20 ErkenntnisReich 21ErkenntnisReich

den Beruf des Unternehmensberaters zu betreiben. Wir wollen den Teilnehmern zeigen, wie eine Unternehmensberatung funktioniert. Sie sollen den Beraterjob einfach mal selbst ausprobieren, hier in unseren Büros und mit unseren Mitarbeitern – ihren potentiellen Teamkollegen.

—„Der Fachfremde neigt eher

dazu, Dinge zu hinterfragen und unkonventionelle Lösungsvorschläge

zu entwickeln.“—

Erkenntnisreich: In ihrer Pressemitteilung für den Workshop steht, dass sie noch 170 Mitarbeiter und 80 Praktikanten suchen. Das ist dann doch ein Wink mit dem Zaunfahl?

Christian Greiser: Selbstverständlich wollen wir die Teilnehmer gerne für den Beraterberuf und für BCG gewinnen. Bewerbungen von Betriebswirten bekommen wir sowieso in sehr großer Anzahl – bei Quereinsteigern ist das schwieriger. Man studiert ja nicht Geschichte oder Luft- und Raumfahrttechnik und plant dabei von Anfang an, Unternehmensberater zu werden. Da müssen wir viel Aufklärung betreiben und Werbung machen. Die beste Form das zu tun, ist so ein Workshop. Die Kandidaten mussten sich alle bewerben

– die Auswahlkriterien waren die gleichen wie bei einer normalen Bewerbung um einen Beraterjob bei uns. Alle, die wir für diesen Workshop ausgewählt haben, haben auch sofort die Möglichkeit, richtige

Bewerberinterviews bei uns zu führen.

Erkenntnisreich: Was kommt danach? Wenn ich mich nach diesem Workshop für die Unternehmensberatung interessiere?

Christian Greiser: Wir laden alle Kandidaten, die das möchten, zu den Auswahlgesprächen ein. Das sind insgesamt sechs Gespräche mit unterschiedlichen Interviewpartnern – zwei in der ersten, vier in der zweiten Bewerbungsrunde. Dann sprechen wir gegebenenfalls ein Angebot aus.

Erkenntnisreich: Wie sieht dieses Angebot aus? Ist das ein Praktikum?

Christian Greiser: Wir suchen in diesem Jahr 170 Beraterinnen und Berater sowie 80 Praktikanten. Wer sich noch nicht sicher ist, ob Unternehmensberater der richtige Job für ihn ist, sollte am besten erst mal ein Praktikum machen und als so genannter Visiting Associate in einem Beraterteam mitarbeiten. Diejenigen, die wir bei diesem Workshop schon überzeugt haben, können sich aber natürlich auch für den Direkteinstieg bewerben.

—„Wir sind nicht schuld an der

Finanzkrise, wir wollen vielmehr ein Teil der Lösung sein.“

Erkenntnisreich: Erkennt man in so einem zwei- Tages- Workshop auch, ob da Leute dabei sind die Talente für so etwas

Fotos: Boston Consulting Group

Speziell für Frauen: Wenn jetzt dein Interesse für die Unternehmens- beratung geweckt ist, dann bewerbe dich bei der Boston Consulting Group für den Strategie-Workshop „Move on“. Vom 4. bis 6. Februar 2010 können engagierte Studentinnen und Doktorandinnen aller Fach-richtungen den Beraterjob kennen lernen. Bewerbungsschluss ist der 22. November 2009.

Weitere BCG-Events findet ihr unter: www.bcg.de/karriere/BCG_events/top_events

besitzen? Wird danach geguckt?

Christian Greiser: Nein, es findet hier keine Form von Bewertung statt, dieser Workshop ist kein Assessment Center. Wir vergeben keine Noten und prüfen auch nicht, ob jemand besonders talentiert ist. Häufig halten einzelne Teilnehmer aber nach der Veranstaltung Kontakt zu BCG-Mitarbeitern und holen sich in persönlichen Gesprächen noch mehr Tipps zum Einstieg in die Unternehmensberatung.

Erkenntnisreich: Hat die Wirtschaftskiese Auswirkungen auf den Beruf des Unternehmensberaters? Oder tragen Unternehmensberater sogar eine Mitschuld an der Wirtschaftskrise?

Christian Greiser: Wir haben im Moment zwei Krisen, eine Wirtschafts- und eine Finanzkrise. Auf der einen Seite gibt es kein Kapital mehr am Markt, auf der anderen Seite geht es den Unternehmen schlecht. Diese Doppelkrise haben wir selten, die gab zuletzt während der Großen Depression. Diese aktuelle Krise hat keiner vorhergesehen, nicht einmal die

Wirtschaftsweisen – und auch wir nicht.Bei BCG wirkt sich die Krise vor allem auf das Themen-Portfolio aus. Wir erhalten deutlich mehr Aufträge rund um Restrukturierung, Kostensenkung und Risikomanagement als in den vergangenen Jahren. Bei vielen Projekten geht es jetzt beispielsweise darum, kurzfristig für Liquidität zu sorgen. Andere Kunden begleiten wir bei der Frage, wie sie sich auf die veränderten Marktbedingungen einstellen sollen. Wir sind nicht schuld an der Finanzkrise, wir wollen vielmehr ein Teil der Lösung sein.

Erkenntnisreich: Was zeichnet einen guten Unternehmensberater aus? Welche Kompetenzen hat er?

Christian Greiser: Einerseits braucht ein Berater tiefgehende analytische Fähigkeiten: Er muss in der Lage sein, den Dingen auf den Grund zu gehen. Aber auch eine gewisse Kreativität in der konzeptionellen Arbeit ist gefragt – gerade in der Strategieberatung ist das sehr wichtig. Außerdem muss ein Berater

mit Menschen umgehen können, über hervorragende kommunikative Fähigkeiten verfügen und gerne im Team arbeiten. Denn in gewisser Weise betreiben wir stets Veränderungsmanagement – egal, ob wir eine Wachstumsstrategie einführen, Kosten senken oder ein neues Vertriebssystem entwerfen. Wir müssen die Kundenmitarbeiter jedes Mal aufs Neue von unseren Vorschlägen überzeugen und gemeinsam mit Ihnen neue Ideen entwickeln. Es ist schwer, Kandidaten zu finden, die auf all diesen Gebieten gut sind.

Das Interview führte Christine Willen.

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ZeitGeist

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Die PopKomm ist weg und keiner ist traurig. Stattdessen gibt's ja die c/o Pop. Sollen die Großen der Branche woanders die Klappe aufreißen.

Hier in Köln hat man stattdessen lieber Spaß. So zum Beispiel auf der Festival Ausgabe der guten alten Total Confusion. Knackiges Live Set von Dop, danach erstes Total Confusion Gastspiel von Ellen Alien. Abschließend zeigt Tobias Thomas, dass die beste elektronische Tanzmusik Deutschlands nach wie vor in Köln gemacht wird - so was von konzentriert und auf den Punkt, da kommt auch das Fräulein Ausserirdische aus Berlin trotz unbestreitbaren Qualitäten nicht mit. Und mit Kompakt geht es weiter. Freitag: Total 10. So gegen 23.00 Uhr wird vorm Laden in der Werderstraße der rote Teppich ausgerollt. Per Megafon wird das Personal des Abends zu wummernden Bässen in einen Bus beordert um rechtzeitig zu Veranstaltungsbeginn an die Opernterassen transportiert zu werden. Ja, die Damen und Herren wissen, wie man sich standesgemäß präsentiert. Platz da für die Kölner Elektroaristokratie! Recht so, was die Qualität ihrer Acts angeht steht's ihnen einfach zu. Die Party soll dann übrigens ziemlich gut gewesen sein. Fast ärgert man sich, dass man keine Drogen nimmt, denn ohne gleich am Abend wieder los, wenn man bis morgens um sieben getanzt hat - no way. Dafür geht's am Samstag wieder raus. Chic Belgique heißt das Motto zu dem in den in der Tat schicken Läden im in der Tat schicken Belgischen Viertel Musik gespielt wird. Publikumsmagnet des Abends das Konzert von Gonzales bei Herr von Eden. Schon Wochen vorher ausverkauft... Wer nicht zu den Auserwählten zählt macht sich

nix draus und feiert sonst wo mit beim großen Straßenfest. So voll hab ich den Brüsseler Platz jedenfalls noch nie gesehen. Und das will was heißen. Nächstes Mal dann aber am besten auch gleich die Straßen sperren. Scheint tatsächlich immer jemanden zu geben, der partout mit dem Auto durch muss, auch wenn die Straße von Menschenmassen blockiert wird. Später am Abend und einige Gin Tonic aus dem Plastikbecher später, winkt die Local Heroes betitelte Partynacht. Einmal fünfzehn Euronen löhnen, dafür Eintritt zu neun verschiedenen Parties haben. Gutes Konzept und altbewährt, dieses Jahr jedoch ein Reinfall. In den Opernterassen legen die maskierten Mailänder Djs Bloody Beetroots auf. Welch ein Kindergeburtstag! Altersschnitt maximal 22 Jahre und ein "Dj Set", das vermutlich nur genossen werden kann, wenn man von der geistigen Entwicklungsstufe noch mal ca. sechs Jahre drunter liegt - oder schlichtweg keine Ahnung von elektronischer Musik hat bzw. automatisch alles gut findet, was in der Vice gepriesen wird oder Timbaland geremixt hat. Billiger Beat, kurzes Break und Build Up, gleicher billiger Beat ad infinitum. The Future of Kirmestechno! Zumindest von der Idee her ganz nett die im gleichen Haus angebotene "Silent Indie Party". Man kommt rein, kriegt einen Funkkopfhörer in die Hand gedrückt und wird ausschließlich über diesen beschallt. Kids mit Kopfhörern tanzen bei völliger Stille, die nur gelegentlich von schiefem Mitgegröhle der Texte unterbrochen wird. Die surreale Atmosphäre fasziniert tatsächlich einen Moment, dann will man wieder Musik hören und merkt das ja nur grottige Indiemucke läuft. Aua, raus hier, nächste Party. Einen Gin Tonic später in der Hoffnung auf Besserung ab ins Gloria. Und gleich wieder raus. Der im Programm als Ausnahmegenie betitelte Theo Parrish unterlegt jazziges Sax mit Salsabeats und kriegt noch nicht mal nen

geraden Übergang hin. Ein Genie fürwahr! Merke: nie glauben, was im Festivalprogramm steht. Erstmal Krisensitzung. Taxi und raus nach Odonien wo Treibstoff vs. Silberschwein bewährte Qualität versprechen oder zu Brilli Vanilli in die Werkstatt? Hätte man für den Abend nicht ein paar Locations, die näher beieinander liegen wählen können? Schlussendlich kein Bock auf Taxi also letzter Versuch: Subway. Der Norweger Todd Terje, angeblich einer der gefragtesten DJs und Produzenten Skandinaviens gibt sich die Ehre, macht sich jedoch eher keine. Viel zu laute Bassdrum im immer gleichen Beat, darüber Calypso Sounds (!) und zu allem Überdruss auch noch ein Jacko Remix (!!!). Ja nee Du, lass ma. Sechs Uhr morgens, drei mal schlecht gewählt und grad kein Taxi zu bekommen. Es hat nicht sollen sein. Zumindest kennt eine Freundin den Barkeeper und lässt noch ein paar Cuba Libre raus. Schließlich: Sonntag. Pollerwiesen mit Ricardo Villalobos und Paul Kalkbrenner bei Traumwetter. Villalobos sagt im letzten Moment ab, da Kind im Anmarsch. Also halb so schlimm, dass auch schon wieder ausverkauft ist. Kalkbrenner haut jedenfalls trotz Megahype um den öden "Berlin Calling" Streifens nicht vom Hocker. Tststs, diese Berliner. Zu trancelastig, zu viele an Moby (!!!!) gemahnende Einschlafvocals im Mix. Dann werden die ersten oberkörperfreien Ibiza-Atzen gesichtet und es wird endgültig klar: hierfür lohnt der Sprung über den Zaun nicht. Dafür war's ein wunderschöner Spaziergang zurück über den Mühlheimer Hafen an die Linie 4. Fazit: schönes Festival, gute Sache für Köln, weitermachen. By the way: hat eigentlich jemand diesen Bus voller feiernder Dänen gesehen, die angeblich wahllos durch die Stadt geheizt sind und Leute eingesammelt haben? Felix Grosser

ZeitGeist 2524 ZeitGeist

Wer war noch mal PopKomm?

Endlich wieder c/o POP in Köln

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Abendlandes sein.Hipphipphurra! It's Leserbrieftime. Für diese Seiten muss man die "Zeitung für Deutschland und die Welt" aus der vermeintlichen Metropole am Main lieben. Wo sonst wird heute noch so unverhohlen Gedeutschtümmelt, dem positivistischen Wissenschaftskult gefrönt und sorglos mit solch undefinierbaren Monstrositäten wie dem "aufgeklärten Menschen" oder dem "freiheitlich-demokratischen Abendland" um sich geschmissen? Wo sonst kann man sich heute noch über alles was an diesem Land stinkt so köstlich amüsieren - in voller, lebendiger Pracht und nicht wiederaufgewärmt als laue Satire? Für den Connaisseur einen kleinen Tipp: FAZ.NET hat eine Kommentarfunktion... Felix Grosser

Baron von und zu irgendwas gefällt das neue Layout nicht. Da sind ja farbige Bilder dabei und die Überschriften der Kommentare prangen nicht mehr in Fraktur! Des Weiteren finden sich - Oh Schreck! - in letzter Zeit eindeutig zu viele Anglizismen im Blatt. Der Engländer hat vielleicht den Krieg gewonnen, aber deshalb muss man doch nicht auch noch linguistisch kapitulieren. Prof. Dr. Dr. Schießmichtot ist mit einem Artikel über obskures mittelalterliches Kirchenrecht nicht einverstanden. Seine Forschungen haben eindeutig ergeben, dass alles in Wahrheit ganz anders ist. Leser R aus F empört sich über einen Leserbrief von Donnerstag letzter Woche. Wie käme Leser A aus B denn zu der frechen Behauptung, dass Muslime auch Menschen seien? Das habe Popper längst eindeutig widerlegt und überhaupt könne jemand, der so was schreibt, kein aufgeklärter Bürger des freiheitlich-demokratischen

Leserbriefe in der FAZ

Redaktion FAZStichwort: Leserbrief

60327 Frankfurt am Main

Abs.: Prof. Dr. Dr. Schnössel

55 ct

In einer lähmenden Atmosphäre aus Hitze und Paranoia ermittelt Hippieprivatdetektiv Doc Spor-tello an der US Westküste nach den Manson Family Morden im Fall des verschwundenen Immo-bilienmoguls Mickey Wolfmann.

Im Laufe seiner Recherchen bekommt er es unter anderem mit einer militaristischen Bürgerwehr, wiederauferstandenen Surf-Saxophonisten und dem geheimnisvollen Drogen-/Zahnarztsyndikat "The Golden Fang" zu tun. Wow, wer hat das kommen sehen? Da hat noch immer keiner "Against the Day" fertig gelesen und schon biegt Pynchon, ansonsten nicht gerade für seine Veröffentlichungswut bekannt, mit einem

neuen Roman um die Ecke. "Inherent Vice" nennt sich das gute Stück und ist im Prinzip das, was nach dem enzyklopädischen Wahn von Pynchons letzten Wälzern wohl niemand so recht erwartet hätte: fast schon zugänglich, eine "Big Lebowskieske" Kifferphantasie und doch tief im Inneren durchflossen von einer unwiderstehlichen Strom der Melancholie - tatsächlich sowas wie der Roman für diesen Sommer.Wer sich sich thematisch an "Vineland" erinnert fühlt, den Pynchon Roman den aus unerfindlichen Gründen keiner mag, liegt übrigens nicht ganz falsch. Auf der inhaltlichen Ebene sind die Anknüpfungspunkte auch durchaus vorhanden. Formal trügt der Eindruck jedoch. Wo "Vineland" sich durch diverse Sideplots mit eigenen Hauptpersonen schlängelt behält "Inherent Vice" zumindest oberflächlich durch die Form der Film Noir

Persiflage und den Fokus auf Hauptakteur Sportello eine stärkere Kohärenz bei. Mit Logik im Plot im herkömmlichen Sinne - "time, space and stuff..." - hat das alles trotzdem nichts zu tun. Zum Glück. Auch den hintergründigen Humor und die völlig entfesselte Vorstellungskraft hat der Meister sich erhalten.Lesern, denen nur das formal Vertrackte, Verrätselte Pynchons enzyklopädischer Werke zusagt, werden höchstwahrscheinlich - siehe Vineland - wieder was zu meckern haben. Alle anderen erfreuen sich an den atmosphärisch dichtesten Beschreibungen und den herrlich absurdesten Einfällen, die Pynchon, geschweige denn irgend einem anderen Autor, in den letzten Jahren gelangen. Wer dieses Buch liest braucht keine Drogen um sie spüren zu können: die unbarmherzige, unmenschlichen Hitze jenes Sommers, als Lemuria sich wieder aus dem Pazifik erheben sollte - oder auch nicht. Felix Grosser

Thomas Pynchon schreibt einen Sommerroman - oder so

Endlich Ferien. Süße Zeit des Nichtstuns - oder sinnvolle Dinge Tuns - fernab vom alltäglichen Uni Prozedere. Keine zehn uninteressanten Texte pro Woche von denen man mit Ach und Krach doch nur zwei schafft, keine Vokabeltests, keine vorzubereitenden Referate, einfach mal KEINE ARBEIT! Schön wär's. Denn Ferienzeit ist für Studenten insbesondere geisteswissenschaftlicher Fächer primär eines: Hausarbeitenzeit. Zwar hätte man ja theoretisch schon während des Semesters beginnen können. Aber irgendwie war da doch was. Ach ja, genau: Uni. Siehe oben. Also nix mit den ganzen Tag Videogames daddeln, im Park in der Sonne garen oder gar in Urlaub fahren. Nein, nun kommt die geballte Rache des Unerledigten. Nun wollen Quellen recherchiert, Seiten gefüllt und Fußnoten eingefügt werden. Wie schön, dass die Uni in den meisten Fachbereichen

Sonderschule der Ästhetik: Hausarbeitenüber dermaßen gut sortierte Bibliotheken verfügt. So muss man nur ca. 70 % des Materials über die bekanntlich turboflotte Fernleihe beziehen. Auch inhaltlich besteht Anlaß zu frohlocken. Das Thema stinkt selbstredend mal wieder zum Himmel. Tausend mal gehört, und tausendmal ist nichts passiert. Die einen sagen dies, die anderen jenes und Dritte wieder ganz was anderes. Selbstverständlich haben sie alle gute Argumente und tolle Daten. Fragt sich nur: wen interessiert's? Wie war das nochmal mit der fröhlichen Wissenschaft? Ach ja, die gibt's gar nicht. Ebenso hat man sich längst vom Vorurteil, durch das Schreiben akademischer Hausarbeiten "lerne" man etwas, freigemacht. Die paar Zitierregeln hat man an einem Mittag auswendig gelernt und anstatt eigener Ideen oder zumindest kreativem Umgangs mit dem Sekundärmaterial ist sowieso nur stupide Widergabe gefragt. Der einzig

logische Schluß: Zeitverschwendung. Doch was taugt schon Logik angesichts des akademischen Lehrbetriebes? Hier geht's um andere Fragen. Man ist jung (relativ...) und braucht den Schein. So recht dazu durchringen, die verdammte Arbeit dann mal zu schreiben - und sei's nur um endlich aus dem Laden rauszukommen - kann man sich trotzdem nicht. Letztes Semester hat's ja schließlich auch geklappt. Wenn man's nur lang genug aufschiebt hat man irgendwann gar kein schlechtes Gewissen mehr! Felix Grosser

ZeitGeist 2726 ZeitGeist

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FeinSinn

Bild: Maiko Henning

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Ein Tag im Lebens des Frollein Redrob-Enil

Frollein Redrob-Enil will es einfach nicht so recht gelingen die ersten, noch blutjungen Sonnenstrahlen, zu verschlafen. Sie träumt manchmal davon Langschläferin zu sein. So aber muss sie dem Tag missmutig ins heitere Antlitz sehen. Ihre Glieder streckt sie gähnend von sich, als würde sich die Müdigkeit einfach wegschieben lassen. Dann hält sie plötzlich inne und verkrümmt ihre Arme schnell zu einem vor die Brust gehaltenen Kreuz. Der kleine Schnitzer in der Beuge ist noch ganz frisch, unlängst mit dem Mond geboren, und bei der Bewegung wieder aufgerissen. Das Bild auf der Haut ist nicht fertig. Feine Linien, die nur an den Beinen Bestand haben. An den Armen immer wieder ver-schwinden.Der Pullover von Frollein Redrob-Enil ist frisch gewaschen. Sommergeruch. Ihre Jeans hängt schlapp an ihr herab. Der Stoff juckt, besser ist es Hosen eine Nummer größer zu kaufen.Draußen vor der Wohnungstür tropfen kleine Schweißperlen ihr Gesicht herab, in der Hit-ze ist es noch etwas anstrengender. Dabei tut ihr das Wetter so gut. Ein Lächeln liegt wie selbstverständlich auf ihrem Gesicht. Frollein Redrob-Enil wartet auf den Bus. Sie steht mit dem Rücken vor einer Plakatwand, hat aber vergessen einen Blick darauf zu werfen. Im Sekundentakt spazieren Men-schen an ihr vorbei, die Augen anfangs noch geradeaus gerichtet, dann aber, wenn Frol-lein Redrob-Enil in ihr Blickfeld gerät, sehen sie zu ihr, an ihr herunter, wieder herauf und schließlich an ihr vorbei auf die Plakate. Sie werden mich nicht angesehen haben. Wieso auch? Haben sie doch? Bestimmt haben sie. Nein, hinter mir. Irgendwas. Schnell entscheidet sich das Frollein zu einer Statue zu werden. Das geht ganz einfach. Man lässt einfach alle Luft aus dem Kopf entweichen. Sie steht festgefroren auf dem gleichen Punkt, ihre Mundwinkel hän-gen schlaff unter den Schweißperlen und sie denkt an nichts. Die Sicht wird klumpig und etwas zieht an ihr.

Der Bus ist gerade an ihr vorbei gefahren. Unser Frollein Redrob-Enil möchte sich so gern wieder bewegen. Der Nachteil am Dasein als Statue ist, dass es unheimlich schwer fällt, aus der steinernen Mauer herauszukommen. Jemand redet. Mit mir? „Oh hallo, Frollein Gnutter. Danke, mir geht es auch gut!“ Ein Lächeln liegt wie selbst-verständlich auf ihrem Gesicht. Sie dreht sich um und sieht, dass die Pla-kate alle abgerissen sind. Da hängt nichts.Der Fußweg ist unheimlich lang. Es zieht an ihr. Und diese unerträgliche Hitze. Wäre sie doch besser zuhause geblieben! Ein dicker Mann liegt auf der Strasse und - welch Unglück! - Frollein Redrob-Enil tritt mitten hinein. Manchmal machen sich Füße einfach selbstständig, niemand kann ihnen Befehle geben, denen sie stets gehorchen. Sie tun, was sie wollen und suchen sich falsche Wege aus, die ekelhaftesten Pfützen und größten Hundehaufen. Ich hasse diese Scheiße! Irgendwie ist sie in eine Einbahn-strasse geraten. Die Wolken ziehen flink über sie hinweg. Sie hängt fest. Nein, sie hängt nicht fest, das Frollein Redrob-Enil wird festgehalten. Gleich wird es schauern. Dann ist da plötzlich doch das Haus, zu dem sie hin muss. Mit der linken Hand fährt sie sich über das Gesicht um die blasse Landschaft um ihre Nase herum trocken zu wischen. Dabei verteilt sie den Schweiß al-lerdings nur etwas gleichmäßiger. 26 Stufen. Auf der dritten angekommen, macht das Frollein Redrob-Enil kehrt, denn heute ist schließlich Sonntag. Da arbeitet doch nie-mand. Ein Brötchen. Die müssen schließlich immer ran. In der Bäckerei möchte Frollein Redrob-Enil etwas bestellen. Verwundert schaut die Verkäuferin drein, als sie gefragt wird: „Kann ich bitte mal ihre Toilette benut-zen?“ Doch am Sonntag gibt es keine zu kaufen. Das Frollein ist betrübt und überlegt einen Moment lang ihre Stimme zu erheben um alle Klobrillen zu zersprengen. Stattdes-sen beschließt sie eine Strasse weiter zu laufen und sich dort in eine kleine Nische zu hocken. Dann beugt sie ihren Oberkörper

weit nach vorne und ist froh, dass sie nicht geschrien hat. Die Wolken über Frollein Redrob-Enil sind trüb geworden und viel langsamer. Endlich kommt der Regen. Er muss einem Sumpf entsprungen sein, denn auf den Boden klatschen zähflüssige, dun-kelbraune Flüssigkeiten. Ein kurzer Schauer nur. Diesmal sollte sich das Frollein lieber alles abwischen. Verteilen ist nicht immer angebracht und genug.Den nächsten Bus erreicht sie mit einiger Mühe. Draußen dämmert es bereits, als sie die 18 Stufen hinauf zu ihrer Wohnung steigt. Sie zögert einen Moment lang bevor sie den Schlüssel ins Schloss steckt und eintritt. Die Luft im Hause Redrob-Enil ist anders als die vor der Tür. Etwas zieht noch fester an ihr. Es kostet sie einige Mühe die schweißnassen Kleider abzulegen. Ihre Uhr ist stehen geblieben. Sie tickt einfach nicht mehr richtig. Deshalb ist heute wohl Sonntag. Das liebe Frollein Redrob-Enil geht in die Küche, greift nach einem Messer und gesellt sich zum süßlich duftenden Obstkorb. Apfel oder Birne? Das Lieblings-messer hat einen schönen Bernsteingriff. So etwas gibt es nicht häufig. Frollein Redrob-Enil ist von Beruf Künstlerin und deswegen ist es nicht weiter verwunderlich, dass sie statt zu einem Apfel oder einer Birne zu ihrer unvollendeten Aufgabe greift um diese wei-ter zu führen. Es zieht ganz schrecklich hier drin. Der blutjunge Mond hat die Wolken vertrieben und es ist Nacht. Sie träumt da-von auszuschlafen. Ein dünnes Rinnsal läuft ihren Arm hinunter und als sie ein Stück Küchenpapier darauf presst, ist das Ziehen endlich vorbei. „Morgen wird es wieder richtig heiß“ schallt es aus dem Radio in die Dunkelheit hinein. Das Frollein Redrob-Enil wird ganz bestimmt davon träumen, wenig-stens einmal richtig auszuschlafen.

Marcel Doganci

FeinSinn 3130 FeinSinn

Bild: Maiko Henning

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SMS-Blog

Johanna Regenhard / Bilder von Maiko Henning

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Hot 'n' Cold von Katie Perry

Jungle Drum von Emilia Torrini

Das meins-Team wählt... die Schnellen:

Choose to be me von Sunrise Avenue

Love Game von Lady Gaga

PlaylistDas meins-Team wählt... die Langsamen:

River flows in you von Yiruma

You don´t know von Milow

Sway von Bic Runga

Gewinner von Clueso

FeinSinn 3534 FeinSinn

Bilder: Maiko Henning

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Fotostrecke Wahlplakate

Alle Bilder von Corinna Kern

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48 ErkenntnisReichStaatsKunst48 49ErkenntnisReichStaatsKunst 49Foto: Christian Wansing

StaatsKunst

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50 ErkenntnisReichStaatsKunst50 51ErkenntnisReichStaatsKunst 51

Dabei lassen die außenpolitischen Geschehnisse, bei denen Menschen, die für diese Privilegien erst kämpfen müssen, die Meisten nicht kalt. Seien es die Unruhen im Iran, die Militärregierung in Birma, das kommunistische Regime in China oder so genannte failed Staates wie Somalia, Pakistan oder Afghanistan. Doch was haben die Wahlen im Iran mit den Bundestagswahlen in Deutschland zu tun? Kann man das vergleichen? In gewisser Hinsicht schon: während viele Iraner dafür kämpfen müssen faire Wahlen zu haben wie es sie in Deutschland gibt, sollten wir unsere Wahlen zu schätzen wissen und ernst nehmen. Denn das heutige System der BRD ist nicht selbstverständlich und für viele vielleicht zu neu, zu unglaubwürdig, man denke an die DDR-Vergangenheit. Dort existierten gegenwärtige Wahlgrundsätze nicht. Das es dennoch heute so ist, ist eine Errungenschaft auf die wir stolz sein können. Also warum ehren wir diesen Erfolg in einem freien Land mit einem demokratischen System zu leben nicht und gehen wählen?Trotz der aufkommenden Frustration hinsichtlich der Arbeit politischer Parteien die unter den Wählern aufkommt, ist die parlamentarische Demokratie doch eine Staatsform, auf die wir stolz sein können. Die Grundlage für unser freiheitliches westliches Demokratieverständnis bilden die Wahlen. Aufgrund von Wahlen kann die politische Führung eines Landes zyklisch gewählt bzw. abgewählt werden. In einer hohen Wahlbeteiligung wird deshalb ein

wichtiger Indikator für die Legitimität des politischen Systems gesehen.Ihrer Funktion nach, ist die Wahl eine Maßnahme zur Bildung von Vereinigungen oder zur Bestellung einer Person in ein Amt. Die Wahlberechtigten geben ihre Stimmen ab, diese werden ausgezählt und mittels eines vorher festgelegten Entscheidungsmaßstabes und gegebenenfalls mit Hilfe eines bestimmten Verfahrens in Mandate übertragen. In Deutschland werden die Stimmen der Bundestagswahl 2009 erstmals nach dem Sainte-Laguë/Schepers Verfahren ausgezählt. Diese Methode wird seit 1980 schon zur Berechnung der Sitze in den Ausschüssen verwendet.Im deutschen Wahlsystem wird die personalisierte Verhältniswahl angewendet. Dabei versucht man die Vorzüge des Mehrheitswahlrechts und des Verhältniswahlrechts miteinander zu verbinden. Die eine Hälfte der Abgeordneten wird in Einzelwahlkreisen nach relativer Mehrheit, die andere Hälfte unabhängig davon nach Liste im Verhältniswahlrecht gewählt. Deshalb gibt es bei den Bundestagswahlen die Erststimme und die Zweistimme. Auf der linken Spalte des Wahlzettels, also mit seiner Erststimme, kann der Wähler seinen Bundestagskandidaten wählen. Die Kandidaten können auch unabhängig sein, das heißt, sie müssen keiner Partei angehören. In der rechten Spalte wird mit der Zweitstimme eine Partei gewählt, deren Kandidaten nach einer Landesliste von den Parteien zusammengestellt werden.

„Politiker machen leere Wahlversprechen und meine Stimme bewirkt doch eh nichts“

Im Superwahljahr 2009 kann der Bürger viele Entscheidungen treffen in Kommunalwahl, Landtagswahl, Europawahl und der wohl wichtigsten: Bundestagswahl. Doch in einem Land in dem es politische Freiheit gibt, ein demokratisches System gelebt wird, Wahlen allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim sind, sehen viele Bürger ihre politische Beteiligung als überflüssig an.

Wähler in der Demokratie bedeutet es die Macht zu haben die als „Herrschaftsauftrag“ umgesetzt werden kann. Aber wen wählen, wenn im Wahlkampf kaum wirkliche Inhalte auseinander genommen werden und man mit Scheinthemen geblendet wird? Das in Wahlkämpfen nur Scheingefechte ausgetragen werden anstatt wirkliche politische Alternativen herauszuarbeiten ist nicht neu und wird letztlich auf den Wähler zurückgeführt. Denn die Wählerschaft lässt sich kaum auf einige wenige pragmatische Alternativen reduzieren. Weiterhin ist es für die Parteien schwierig konkreten Alternativkonzepten zu entsprechen aufgrund des Umfangs und der Bedeutung der Wechselwähler für den Wahlausgang. Ausschlaggebend für fehlende politische Gegenvorschläge sind auch die Vielfalt der Einzelinteressen, die sich leichter zu einer blockierenden als zu einer Reform-Mehrheit vereinen lassen, sowie auch nur der beschränkte Handlungsspielraum von Politik.Jeder der sich politisch interessiert oder eine politische Meinung hat, sollte dies in Wahlen zum Ausdruck bringen und damit seine kleine politische Verantwortung wahrnehmen um seiner Meinung Ausdruck zu verleihen. Wer nicht weiß, welche Partei seine Meinung am ehesten widerspiegelt kann dies im Wahl-o-mat der Bundeszentrale überprüfen.

Alle Parteien, die mindestens fünf Prozent aller Stimmen erreicht haben, ziehen in den Bundestag ein. Vor diesem Hintergrund wird klar, warum im Bundestagswahlkampf besonders um die Zweitstimme geworben wird. Die Zweitstimme ist nicht zweitrangig, wie der Name möglicherweise irreführend vermuten lässt. Sie entscheidet vielmehr, wie viele Mandate eine Partei im neuen Bundestag erhält. In der Bundesrepublik Deutschland geht nach Artikel 20 Absatz 2 Grundgesetz alle Staatsgewalt vom Volke aus. So kann man auf den politischen Denker Jean-Jacques Rousseau zurückgehen, der den Willen des Volkes als einen unveräußerlichen Willen ansah. Er forderte vom Volk allerdings auch mehr als nur die Teilnahme an Wahlen, er forderte von den Bürgern eine ständige Partizipation am politischen Prozess „dass sie aus den Grenzen ihres partikularen Bewusstseins heraustreten und in das Wissen und die Verantwortung eines gehobenen Daseins, in den Zustand des Bürgers und zugleich die wahre Teilhabe an der Gemeinschaft hineinwachsen. Täglich von neuem muss der Einzelne sich in dieser Weise sich über sich selbst erheben“. Im Gegensatz dazu haben anders orientierte Demokratietheorien nicht so hohe Erwartungen, also nicht die ständige, optimale, politische Beteiligung, sondern bloß die Teilnahme an Wahlen.Im Vordergrund des Wahlkampfes stehen oft die Personen und weniger die sachlich-politische Entscheidung. Dabei ist die Partei, nicht der Politiker ausschlaggebend für die Politik und den Staat. Für den

Wahlen Dem

okratievon Vivien Weigt

www.wahl-o-mat.de

StaatsKunst 5150 StaatsKunst

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52 ErkenntnisReichStaatsKunst52 53ErkenntnisReichStaatsKunst 53

Dienstwagen-Drama

Überhangmandate

Don’t Vote!

Zu dieser Angelegenheit ist wohl schon alles geschrieben worden. Wie es dazu kam, dass ein Dienstwagen, den man im parlamentarischen Fuhrpark wähnte plötzlich als Diebesgut an der Spanischen Küste auftauchte. Wie diese Argumentation von der Öffentlichkeit dann breit diskutiert und von den Sprechern des Ministeriums immer wieder nachjustiert wurde. Man konnte lesen, dass diese Diskussion den Platz von Ulla Schmidt in Steinmeiers Kompetenz-Team in Frage stellte. Und dann kam heraus, dass die Sache mit den Dienstwagen im Urlaub und deren Privatnutzung eigentlich Gang und Gebe ist und so ziemlich jeder Minister und höhere Abgeordnete seinen Wagen auch privat nutzt. Vor allem kam heraus, dass dies genau staatlich geregelt ist. Dass die Fahrtenbücher Schmidts in der getrennten Abrechnung von Dienst- und Privatnutzung einwandfrei seien. Mann stellte fest, dass die Zetereien der Opposition völlig unangebracht und rein Wahlkampf gesteuert waren. Dass wir wieder ein Sommerloch haben, dessen Leere von den Medien gerne mit solch einem Wirrwarr gefüllt wird.

Über die Berechenbarkeit von Wahlkampf und Sommerloch.

Was ist das noch mal?

Geh nicht wählen!

Als Besonderheit im deutschen Wahlsystem gelten die Überhangmandate. Ein Überhangmandat tritt auf, wenn eine Partei über die gewonnenen Erststimmen mehr Direktkandidaten in den Bundestag entsenden kann, als ihr nach Anzahl der Zweitstimmen in einem Bundesland zustehen. Dadurch vergrößert sich also die Anzahl der Abgeordneten im Bundestag. Scheidet ein Abgeordneter in einem Bundesland mit Überhangmandaten aus, wird das Mandat nicht aus der Liste seiner Partei nachbesetzt. Überhangmandate sind seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom Juli 2008 rechtswidrig, da sie dem Grundsatz der Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl widersprechen. Da die Bundesregierung jedoch keine neue Regelung vor der Bundestagswahl auf den Weg gebracht hat, ist sie weiterhin gültig. Das Bundesverfassungsgericht sieht eine Neuregelung zur Berechnung der Überhangmandate bis 2011 vor.

Zuerst tauchte dieser Anti-Wahl-Werbespot in den USA auf, mit jeder Menge Prominenter an Bord. Seit kurzem gibt es auch ein deutsches Pendant in dem Promis dazu aufrufen nicht wählen zu gehen. Im Video werden einige Klischees zum Besten gegeben, wie zum Beispiel, das zu große Distanz zur Politik herrscht "die in Berlin machen da ihr Ding, wir machen unser Ding“ oder dass die einzelne Stimmabgabe nichts ändert. Eigentlich eine ungewöhnliche Kampagne, da insbesondere in der Zeit des Wahlkampfes gerade Promis dazu anrufen wählen zu gehen. Nicht selten holen sich Spitzenkandidaten Stars und Sternchen zur Unterstützung in ihr Wahlkampteam oder die Stars kandidieren selbst, wie Hape Kerkeling als Horst Schlämmer. Doch diesmal läuft es anders. Ob Hollywood oder deutsche Größen des Showgeschäfts, sie täuschen vor Nichtwähler in ihrer vorgefertigten Meinung zu unterstützen, dass wählen eh unnötig ist. Ob Unterstützung oder nicht, jedenfalls sorgen diese Spots für Aufruhr. Wie auch beim amerikanischen Beispiel, wird im deutschen Beitrag im zweiten Teil alles aufgeklärt. Sollen wir wirklich nicht zur Urne schreiten? Alles Quatsch! Natürlich müssen wir hin und vor allem froh sein, dass bei uns jede Stimme zählt. Für jeden noch so politisch uninteressierten Menschen gibt’s einen wichtigen Bereich. Auch wenn sich durchaus bezweifeln lässt, ob strikte Nicht-Wähler sich durch das Video beeinflussen lassen. Den Spot gibt’s bei www.gehnichthin.de

von Vivien Weigt

von Maximiliane Koschyk

von Jasmin Dienstel

& Politikverdrossenheit – keine Lust auf Politik?Am 27. September findet die Bundestagswahl statt, ein wichtiger Anlass um sich mit dem Thema Politikverdrossenheit zu beschäftigen. Was verbirgt sich hinter diesem Begriff und wer hat überhaupt Lust auf Politik?

Politikverdrossenheit – ein schwieriger Begriff. Er lässt sich aber zusammenfassen auf eine negative oder neutrale Einstellung gegenüber der Politik im Allgemeinen, Parteien, Politikern, Prozessen oder Inhalten im Speziellen. Die Ursachen für solch ein Desinteresse liegen auf der Hand: zum Einen ist da mangelndes Wissen über Politik, Überforderung mit den Inhalten und zum Anderen auch die Einstellung, dass sich eh nichts ändert, wenn man wählen geht. Als eine mögliche Ursache für den Frust der Bürger gegenüber der Politik werden zum Beispiel die Selbstdarstellung und das Image der Politiker angesehen. Angesichts aktueller Skandale, wie zum Beispiel die Dienstwagen-Affäre, darf dies nicht verwundern. Weiterhin sind die Straßen gepflastert mit Wahlplakaten, darauf nett lächelnde Gesichter, ein flotter Spruch und der Name der Partei. Auch im Internet, überall sieht man Wahlwerbung. Politiker geben sich volks- und insbesondere jugendnah. In Online-Plattformen präsentieren sie sich der Bevölkerung. Doch erreichen sie dadurch wirklich mehr Nähe? Immer wieder lässt sich feststellen, dass Menschen die nicht zur Wahl gehen nicht zwangsläufig uninteressiert am politischen Geschehen sind. Viele gehen aus Protest, anstelle von Desinteresse, nicht wählen. Aber mit dem Wählen allein ist es nicht getan. Wahlbeteiligung stellt nur ein Mindestmaß an politischer Partizipation dar. Und wenn man schon darüber diskutieren muss, wie weit ist es dann her mit der Demokratie? Natürlich gibt es jede Menge Diskussionsbedarf in Deutschland, seien es nun Auslandseinsätze, Steuern, Umweltpolitik oder die Rente. Diese Politikbereiche betreffen alle Bürger. Aber nur darüber meckern gilt nicht. So konnte man kürzlich in einem politischen Diskussionsforum nachlesen, dass jeder sich über die Politik aufregt. Aber nur knapp über 40% gingen beispielsweise zur Europawahl. Der konstruktive Vorschlag

aus dem Forum lautete: selber eine Partei gründen. Anhand der Piratenpartei beispielsweise lässt sich erkennen, dass es durchaus Bereiche gibt, in denen sich ein Teil der Bevölkerung unterrepräsentiert fühlt und sich durch Gründung einer solchen politischen Vereinigung doch plötzlich für Politik interessiert. Generell können jedoch auch eine Überforderung mit den Inhalten von Politik und deren oberflächliche, ausweichende, mediale Präsenz zu einer Abkehr von politischem Interesse führen. Ein nicht unwesentlicher Punkt ist das Vertrauen in Politiker, den Staat oder politische Institutionen im Allgemeinen. Dies lässt sich beispielsweise an der aktuellen Verkündung des Kanzlerkandidaten Frank Walter Steinmeiers festmachen. Er fordert vier Millionen neue Arbeitsplätze bis 2020, ein Slogan, der wohl den größten Teil der Bevölkerung ansprechen sollte. Doch für viele Wähler steht dahinter die Frage, ob dieses Ziel wirklich erreicht werden kann, oder ob es nur darum geht, möglichst viele Wählerstimmen für die gebeutelte SPD an Land zu ziehen. Hinter solchen und ähnlichen unrealistischen Wahlversprechen steht die Einstellung vieler Bürger, dass Politiker in der heißen Phase des Wahlkampfes Versprechungen machen, die innerhalb ihrer Amtszeit nicht umgesetzt werden können. Dies führt wiederum zu einem gesteigerten Misstrauen und kann letztendlich zu einer Resignation gegenüber politischen Inhalten führen. Es ist also ein Teufelskreis. Einerseits müssen Wählerstimmen gesammelt werden, um die Demokratie zu stärken andererseits sieht sich die Politik wachsendem Misstrauen oder Desinteresse gegenüber. Um die Politikverdrossenheit in Zukunft zu verringern, sind hier beide Seiten gefragt: Die Wahlberechtigten sollten ihre Chance nutzen, die Demokratie aktiv mitbestimmen zu dürfen und die Politik sollte künftig realistische Ziele setzen und sich auch an ihre Versprechen halten.

Foto: Maiko Henning

von Jasmin Dienstel

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KörperKultur

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Was machen Piraten an der Uni?Die Piratenpartei macht Furore im ganzen Land und nun auch an der Kölner Uni. StaatsKunst hat die frisch gegründete Hochschulgruppe der Piratenpartei an der Uni-Köln interviewt. Wer sie sind, was sie wollen und was wir von ihnen erwarten können!

Im Sommerkleid ab durch den HerbstLebensEcht macht sich herbstfest! - mit den besten Tipps und Tricks in Sommerklamotten durch den Herbst kommen, alles kein Problem. ZeitGeist mag lieber doch was Neues - aber bitte nicht von der Stange? Unsere Autoren haben’s ausprobiert, gut aussehen geht immer.

Der Stechschritt kann meins malFeinSinn trippelt. Es geht um kleine Schritte und lautes Klackern auf dem Boden. Alles völlig banal und überspitzt? Ach was!

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Impfstoffe, kann man sie aus dem Nichts zaubern? Im Kino geht es innerhalb von wenigen Tagen und aktuell gaukelt uns unsere Regierung vor, wir können alle bald gegen Schweine-grippe geimpft werden. Aber wo kommt so ein Impfstoff eigentlich auf die Schnelle her? Und ist er sicher? ErkenntnisReich geht dem auf den Grund.

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chau

Vorschau 5756 StaatsKunstWeitsinn

Wie bist du darauf gekommen den Segelschein zu machen?

Ich war öfters am Wochenende am Unterbacher See spazieren, und dort gibt es einen Bootsverleih. Unter anderem werden dort auch Segel-Kurse angeboten. Da hab ich mir gedacht, hmmm, Segeln; das könnte man ja mal ausprobieren. Zumal ich früher im Urlaub auch öfter mal gesurft bin und mir das schon ziemlichen Spaß gemacht hat- allerdings halt immer bei super Sonnenschein und auf dem Meer- im Urlaub eben, wenn es schön warm ist. Surfkurse werden am Unterbacher See auch angeboten, aber wenn man nicht so gut surfen kann, dann schwimmt man mehr im Wasser, als dass man auf dem Brett steht– da dachte ich, Segeln, das ist perfekt– man ist an der frischen Luft, sitzt im trockenen Boot und nutzt die Windkraft um über den See zu schippern.

Ist das wie beim Führerschein, also in Praxis und Theorie aufgeteilt?

Ja, insgesamt kann ich 26 Segelstunden absolvieren bevor ich die Prüfung mache.

Und ich glaube, ich hatte ca. 20 Stunden theoretische Einführung.Und schließlich muss man einige Manöver praktisch ablegen, wie „Mann über Bord“. Dazu wird dann eine Boje über Bord gewor-fen, die man dann sicher wieder an Bord nehmen muss. Oder eine Halse (das ist ein Manöver, bei dem das Boot mit dem Heck durch den Wind geht.), die gefahren werden muss.

Was muss man denn lernen um den Schein zu bekommen?

Also es gibt zum Einen eine Unmenge an Theorie, die man pauken muss – insgesamt sind es mehr als 400 Prüfungsfragen. Ange-fangen von „Wie verhalte ich mich an Bord und wer darf ein Sportboot führen“ bis hin zu solch technischen Fragen „Welche Ge-triebearten gibt es?“. Und natürlich die of-fiziellen Seefahrtszeichen. Das ist ungefähr genauso wie bei der Autoführerscheinprü-fung: Wer hat wann Vorfahrt und was ist zu tun wenn das Schiff sich am Grund festge-fahren hat. Zum Beispiel haben Segelboote, die das Segel auf der Backbord-Seite (also links) haben, Vorfahrt vor denen, die das

Großsegel gerade auf ihrer Steuerbord-Seite (also rechts) haben. Aber eigentlich gibt es auf See keine „Vorfahrts“-Regeln, sondern hier heißt es „Ausweich“-Regel, und bei einem eventuellen Zusammenstoß von zwei Booten, tragen immer beide 50% der Schuld. Man muss nämlich ständig gucken, was macht der Andere, was hat er vor, wo will er hin und hat er überhaupt die Möglich-keit auszuweichen. Also auf dem Wasser gelten eben doch etwas andere Regeln als auf der Straße und alle müssen sich gegen-seitig beobachten, egal ob 20m Luxusyacht oder kleines Ruder - oder Segelboot.

Was kostet so ein Segelschein und wo ist der gültig?

Der gesamte Kurs plus Prüfungsgebühren kostet knapp 500 Euro. Wo der Schein gültig ist kommt ganz darauf an, es gibt nämlich verschiedene Arten von Bootsfüh-rerscheinen. Zum Beispiel solche, die nur in Binnengewässern gültig sind.

Text und Bild: Jasmin Dienstel

SegelnEin Interview mit Antonia zum Thema Segeln für Anfänger

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Impressum

Herausgeber: Verein zur Förderung studentischen Journalismus Köln e.V. www.vfsjk.de

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Chefredaktion: Niels Walker

Art Direction: Sebastian Herscheid

Bildredaktion: Corinna Kern

Redaktion/Lektorat: Simeon Buß, Jasmin Dienstel, Marcel Doganci, Felix Grosser, Ivanka Klein, Maximilliane Koschyk, Kathrin Mohr, Vivien Weigt, Christine Willen

Lektorat: Jasmin Dienstel, Vivien Weigt, Sabina Filipovic, Christopher Dröge, Lara Petri, Annika Kruse

Gestaltung/Layout: Sven Albrecht, Sara Copray, Sebastian Herscheid, Nina Schäfer, Christian Wansing

Online: Karin Hoehne

Fotografie: Simeon Buß, Jasmin Dienstel, Maiko Henning, Corinna Kern, Ivanka Klein, Christian Wansing

Leitung d. Ausbildung: Kathrin Mohr

Website: www.meins-magazin.de

Erscheinungsweise: monatlich

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