15
7 Produktlebenszyklus und die Möglichkeiten seiner Gestaltung 110 Werner Guminski TNS Healthcare GmbH, München Arzneimittel werden in erster Linie danach unterschieden, gegen welche Erkran- kung sie wirksam sind und auf welche Art sie hierbei ihren therapeutischen Effekt entfalten. Der Wettbewerb der Arzneimittelhersteller findet daher primär inner- halb der einzelnen Therapie- und Indikationsgebiete als Teilmärkte des gesamten Arzneimittelmarktes statt. Die Entwicklung eines neuen Arzneimittels verlängerte sich innerhalb der letz- ten 30 Jahre von zwei auf zwölf Jahre 111 und kostete 2006 im Durchschnitt 800 Mio. US Dollar. 112 In der pharmazeutischen Industrie gilt die Faustregel, dass le- diglich die ersten drei Präparate einer neuen Substanzklasse der aufgewendeten Forschungs- und Entwicklungskosten wieder einspielen können. Trotz dieser enormen Investitionssummen wurde in den letzten Jahren mit Hochdruck an der Entwicklung neuer Medikamente gearbeitet. Dies zeigt sich allein daran, dass heu- te etwa 50 % des Umsatzes der pharmazeutischen Industrie durch Medikamente generiert wird, die vor einer Dekade noch nicht zugelassen waren. Es liegt auf der Hand, dass jedem forschenden Pharmaunternehmen daran gele- gen ist, die hohen Forschungs- und Entwicklungskosten wieder zu erwirtschaften und letztendlich Gewinne zu generieren. Hierbei nimmt die zeitnahe Optimierung des Absatzes und / oder Umsatzes eines Arzneimittels durch fortwährende Anpas- sung der Marketingaktivitäten an die dynamischen Veränderungen des Marktum- feldes und Rahmenbedingungen eine zentrale Rolle ein. Betrachtet man die Möglichkeiten der Maßnahmen, die zu einer erfolgreichen Vermarktung eines Arzneimittels beitragen können, muss man sich zunächst die Unterschiede des Arzneimittelmarktes im Vergleich zu anderen Märkten, wie bei- spielsweise dem Konsumgütermarkt, vor Auge führen. Neben dem Patentschutz, 110 Der Beitrag beruht auf dem gleichnamigen Kapitel der ersten Auflage dieses Buchs, an dem auch Marco Rauland als Autor beteiligt war (vgl. Guminski, W., Rauland M. (2002)). 111 Vgl. Harms, F., Gänshirt, D. (2004), S. 2. 112 Vgl. Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (VFA) (2007c), S. 1.

Pharmabetriebslehre || Produktlebenszyklus und die Möglichkeiten seiner Gestaltung

  • Upload
    werner

  • View
    235

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Pharmabetriebslehre || Produktlebenszyklus und die Möglichkeiten seiner Gestaltung

7 Produktlebenszyklus und die Möglichkeiten seiner Gestaltung110

Werner Guminski

TNS Healthcare GmbH, München

Arzneimittel werden in erster Linie danach unterschieden, gegen welche Erkran-kung sie wirksam sind und auf welche Art sie hierbei ihren therapeutischen Effekt entfalten. Der Wettbewerb der Arzneimittelhersteller findet daher primär inner-halb der einzelnen Therapie- und Indikationsgebiete als Teilmärkte des gesamten Arzneimittelmarktes statt.

Die Entwicklung eines neuen Arzneimittels verlängerte sich innerhalb der letz-ten 30 Jahre von zwei auf zwölf Jahre111 und kostete 2006 im Durchschnitt 800 Mio. US Dollar.112 In der pharmazeutischen Industrie gilt die Faustregel, dass le-diglich die ersten drei Präparate einer neuen Substanzklasse der aufgewendeten Forschungs- und Entwicklungskosten wieder einspielen können. Trotz dieser enormen Investitionssummen wurde in den letzten Jahren mit Hochdruck an der Entwicklung neuer Medikamente gearbeitet. Dies zeigt sich allein daran, dass heu-te etwa 50 % des Umsatzes der pharmazeutischen Industrie durch Medikamente generiert wird, die vor einer Dekade noch nicht zugelassen waren.

Es liegt auf der Hand, dass jedem forschenden Pharmaunternehmen daran gele-gen ist, die hohen Forschungs- und Entwicklungskosten wieder zu erwirtschaften und letztendlich Gewinne zu generieren. Hierbei nimmt die zeitnahe Optimierung des Absatzes und / oder Umsatzes eines Arzneimittels durch fortwährende Anpas-sung der Marketingaktivitäten an die dynamischen Veränderungen des Marktum-feldes und Rahmenbedingungen eine zentrale Rolle ein.

Betrachtet man die Möglichkeiten der Maßnahmen, die zu einer erfolgreichen Vermarktung eines Arzneimittels beitragen können, muss man sich zunächst die Unterschiede des Arzneimittelmarktes im Vergleich zu anderen Märkten, wie bei-spielsweise dem Konsumgütermarkt, vor Auge führen. Neben dem Patentschutz,

110 Der Beitrag beruht auf dem gleichnamigen Kapitel der ersten Auflage dieses Buchs, an

dem auch Marco Rauland als Autor beteiligt war (vgl. Guminski, W., Rauland M. (2002)).

111 Vgl. Harms, F., Gänshirt, D. (2004), S. 2. 112 Vgl. Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (VFA) (2007c), S. 1.

Page 2: Pharmabetriebslehre || Produktlebenszyklus und die Möglichkeiten seiner Gestaltung

200

W. Guminski

der das zeitlich begrenzte Alleinvermarktungsrecht eines neuen Arzneimittels ga-rantiert, ist der Arzneimittelmarkt durch eine Reihe von gesetzlichen Auflagen re-guliert, die steuernd in die Arzneimittelversorgung eingreifen.113 Hinzu kommt, dass auch die Arzneimittelwerbung und verkaufsfördernde Maßnahmen besonde-ren gesetzlichen Bestimmungen unterliegen, die das Marketinginstrumentarium – insbesondere bei verordnungspflichtigen Präparaten – erheblich einschränken.

7.1 Der Produktlebenszyklus von Arzneimitteln

Kein Produkt lebt ewig. Zwischen der ersten Produktidee und dem letzten Verkauf durchläuft ein Produkt verschiedene Phasen, die sich allgemein – unabhängig vom betrachteten Markt – in sechs zeitlich aufeinander folgende Stadien aufgliedern lassen:114

• Forschungs- und Entwicklungsphase In der ersten Phase des Lebens eines Produktes generiert das Produkt noch kei-ne Umsätze, im Gegenteil: Durch die oftmals enormen Forschungs- und Ent-wicklungskosten werden zunächst Investitionen getätigt.

• Markteinführung Das Produkt wird im Markt eingeführt und hat zunächst mit Kaufwiderständen zu rechnen: Es ist neu, daher im Markt noch nicht etabliert und muss somit erst einmal die erste Hürde nehmen: Bekanntheit im Markt erlangen.

• (Schnelle) Wachstumsphase Die Wachstumsphase beginnt, wenn es dem Unternehmen gelingt den Absatz zu steigern und die anfänglichen Marktwiderstände zu überwinden. Kunden, denen das Produkt gefällt, werden es weiter verwenden und neue Kunden kommen hinzu. Hier wird jetzt die Gewinnzone erreicht.

• (Verlangsamte) Wachstumsphase, Reifephase In der Reifephase bleibt der Markt stabil. Dennoch gibt es aufgrund eines ver-langsamten Wachstums weniger Neukunden.

• Marktsättigung In dieser Phase ist das Marktpotenzial weitestgehend ausgeschöpft. Es werden neue verbesserte Konkurrenzprodukte auf den Markt gebracht, an die Marktan-teile verloren gehen. Dadurch steigen die Kosten für die Produktion und die Gewinne fangen an zu sinken.

• Degenerationsphase (Zerfallsphase) Hier werden neue überlegene Produkte auf den Markt gebracht, welche das Produkt vom Markt drängen. In dieser Phase sinken die Gewinne drastisch.

113 Vgl. Kap. A 3. 114 Vgl. Kotler, P., Bliemel, F. (2007), S. 586.

Page 3: Pharmabetriebslehre || Produktlebenszyklus und die Möglichkeiten seiner Gestaltung

201

B 7 Der Produktlebenszyklus

Durch die kontinuierliche Erhebung und Auswertung von Kenndaten, wie Absatz- und Umsatzzahlen des betrachteten Marktes und des Produktes selbst wird ersicht-lich, in welcher Phase seines Lebenszyklus sich ein bestimmtes Produkt befindet und welchen Einfluss Marketingvariablen, wie der Preis oder die Promotion sowie Wettbewerbsaktivitäten auf den Produktlebenszyklus ausüben. Die Wahl der Mar-ketingmaßnahmen zur Gestaltung und Beeinflussung des Produktlebenszyklus, die durchschnittlich etwa eine halbe Milliarde Euro verschlingen, ist hierbei nicht nur entscheidend für das Erreichen eines bestimmten Marktanteilniveaus, sondern be-einflusst auch unmittelbar die Form des Produktlebenszyklus (s. Abb. 7.1).

Abb. 7.1. Der Produktlebenszyklus

So folgen nicht alle Arzneimittel zwangsläufig der in dieser Abbildung darge-stellten Grundform des Produktlebenszyklus. Einige Produkte werden eingeführt und verschwinden wieder ohne alle Stadien zu durchlaufen. Andere Produkte verbleiben sehr lange Zeit im Reifestadium. Wieder andere Produkte, die bereits in die Phase des Absatzrückgangs eingetreten sind, können durch Veränderungen im Marketing-Mix in eine erneute Wachstumsphase gebracht werden. Im Ver-gleich zu Produkten aus anderen Märkten ist der Produktlebenszyklus von Arz-neimitteln zudem relativ kurz. Dies begründet sich zum einen in dem meist kurzen Alleinvermarktungszeitraum und zum anderen in dem immer stärker werdenden Konkurrenzdruck vor allem in großen und daher umsatzstarken Marktsegmenten wie Herz- / Kreislauferkrankungen, Diabetes, Schmerz und Depressionen (s. Abb. 7.2).

7.1.1 Forschungs- und Entwicklungsphase

Viele Pharmaunternehmen forschen auf den gleichen Indikationsgebieten, wo-durch die Entwicklung eines neuen Arzneistoffes zum Wettlauf mit der Zeit und gegen den Wettbewerb geworden ist. Lange bevor die Entwicklung eines neuen Medikamentes abgeschlossen ist, lassen sich die Arzneimittelhersteller daher

Umsatz

F&E-Phase

1

Markt-einführung

2

Schnelles Wachstum

3

Reifephase, verlangsamtes

Wachstum4

Markt-sättigung

5

Degeneration6

Zeit

Umsatz

F&E-Phase

1

Markt-einführung

2

Schnelles Wachstum

3

Reifephase, verlangsamtes

Wachstum4

Markt-sättigung

5

Degeneration6

Zeit

Page 4: Pharmabetriebslehre || Produktlebenszyklus und die Möglichkeiten seiner Gestaltung

202

W. Guminski

mögliche potenzielle Wirkstoffe patentrechtlich schützen, um sich so gegen Nach-ahmer abzusichern. Aufgrund des häufig enormen Wettbewerbdrucks erfolgt die Patentanmeldung in aller Regel bereits in der präklinischen (spätestens in der ers-ten Phase der klinischen) Entwicklung, sobald erste Hinweise auf eine therapeu-tische Wirksamkeit einer Substanz vorliegen.

Der Patentschutz für einen neuen Wirkstoff beträgt in der Regel 20 Jahre. In diesem Zeitraum hat der Patentinhaber das alleinige Vermarktungs-, Herstellungs- und Vertriebsrecht für den geschützten Wirkstoff. Bedenkt man jedoch die sehr lange Entwicklungszeit von durchschnittlich zwölf Jahren115 für ein neues Arz-neimittel so schrumpft dieser zunächst recht lange Zeitraum auf einen deutlich kürzeren Schutzzeitraum nach der Markteinführung zusammen, in dem das Pro-dukt einen Wettbewerbsvorteil hat.

Abb. 7.2. Alleinvermarktungszeitraum einiger Arzneimittel

Eine erste mögliche Einflussnahme auf den Produktlebenszyklus von Arznei-mitteln liegt somit auf der Hand: Die Verkürzung der kostenintensiven For-schungs- und Entwicklungsphase für ein neues Medikament. Ziel ist es hierbei den Zeitraum bis zum Markteintritt zu verkürzen und somit höhere Gewinne durch ein längeres Alleinvermarktungsrecht zu generieren.

Mögliche Maßnahmen sind hierbei, neben dem Einsatz von modernen compu-tergestützten Screening-Verfahren zur schnelleren Identifizierung wirksamer Sub-stanzen, eine effizientere Planung und Durchführung der klinischen Entwicklung.

Um kostbare Zeit vor der Markteinführung zu sparen, stehen heute nahezu alle Pharmafirmen im frühzeitigen Dialog mit den Zulassungsbehörden, um auf deren Anforderungen an die klinische Entwicklung umgehend reagieren zu können. Ein weiterer zeitintensiver Faktor ist die aufwendige Datenaufnahme sowie deren Prü-fungen seitens der Monitore in der klinischen Forschung selbst. Der Einsatz von Online Clinical Research kann hierbei durch das Einrichten einer zentralen Daten-bank zu einer schnelleren Datenaufnahme, Prüfung und Auswertung beitragen.

115 Vgl. Harms, F., Gänshirt, D. (2004), S. 2.

Anti-Depressivum (Prozac)

Neuroleptikum (Risperdal)

Antiepileptikum (Topamax)

Atypisches Neuroleptikum (Zyprexa)

Cholesterinspiegelsenker (Lipitor)

Blutgerinnungshemmer (Plavix)

Gegen Asthma Bronchiale (Singulair)

Osteoporose (Fosamax)

Gegen Typ-2-Diabetes (Actos)

Gegen Psychosen (Seroquel)

1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015

Anti-Depressivum (Prozac)

Neuroleptikum (Risperdal)

Antiepileptikum (Topamax)

Atypisches Neuroleptikum (Zyprexa)

Cholesterinspiegelsenker (Lipitor)

Blutgerinnungshemmer (Plavix)

Gegen Asthma Bronchiale (Singulair)

Osteoporose (Fosamax)

Gegen Typ-2-Diabetes (Actos)

Gegen Psychosen (Seroquel)

1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015

Page 5: Pharmabetriebslehre || Produktlebenszyklus und die Möglichkeiten seiner Gestaltung

203

B 7 Der Produktlebenszyklus

Bei einem Umsatzziel von einer halben Milliarde Euro kann jeder Tag Verzö-gerung bis zur Markteinführung mit mehreren Hunderttausend Euro zu Buche schlagen. Daher können durch Maßnahmen, die zu einer Verkürzung der „Time-to-Market“ führen, enorme Ertragssteigerungen erzielt werden.

Bereits im Vorfeld der Markteinführung beginnen auch die ersten Marketing-aktivitäten für das neue Produkt. Zur Vorbereitung einer erfolgreichen Lancierung wird das neue Präparat, vor allem im Rahmen von produktbezogenen Veranstal-tungen (wissenschaftliche Symposien sowie Fort- und Weiterbildungen), den avi-sierten ärztlichen Zielgruppen (Target Groups) vorgestellt. Hierdurch wird der Markt gewissermaßen auf das neue Produkt vorbereitetet und eine positive Erwar-tungshaltung erzeugt. Gleichzeitig arbeitet das Marketingmanagement intensiv an der Entwicklung des Produktkonzeptes, der Positionierung im Konkurrenzumfeld und der Kommunikationsstrategie. Für den Außendienst wird festgelegt, welche Zielgruppen mit welcher Intensität angesprochen werden sollen um vorhandene Potenziale optimal auszuschöpfen.

7.1.2 Markteinführung

Mit Erteilung der Zulassung ist dann der Tag X, die Markteinführung des neuen Arzneimittels, gekommen. Die in dieser Einführungsphase ergriffenen Marke-tingmaßnahmen sind bei allen Herstellern nahezu identisch und haben letztendlich nur ein Ziel: Das neue Produkt soll innerhalb kürzester Zeit bei allen relevanten Zielgruppen bekannt sein und somit Interesse wecken. Mit einem hohen Bekannt-heitsgrad (Awareness) ist in aller Regel auch ein schnelles Wachstum, d. h. eine schnelle Marktdurchdringung, verbunden, vorausgesetzt das Produkt kann sich im Konkurrenzumfeld positiv differenzieren. Hierzu bespricht der medizinische Au-ßendienst (oft ausschließlich) das neue Produkt bei den Ärzten. Für eine massive Präparat-Neueinführung können hierfür zusätzliche Kapazitäten über einen Leih-Außendienst geschaffen werden. Zeitgleich mit der Produktbesprechung durch den Außendienst erfolgen das Schalten von Werbeanzeigen in der medizinischen Fachpresse und die verstärkte Präsentation des Produktes im Rahmen von wissen-schaftlichen Veranstaltungen. Neben den potenziellen Verordnern eines Präparates werden in zunehmendem Maße auch andere relevante Zielgruppen (z. B. Kran-kenkassen), die direkt oder indirekt Einfluss auf die Verordnung nehmen, im Mar-keting-Mix berücksichtigt.

Die Effektivität der Marketingaktivitäten in der Einführungsphase wird ent-scheidend von dem hierfür zur Verfügung stehenden Marketingbudget bestimmt. Je höher die finanziellen Mittel, desto wirkungsvoller und vor allem schneller greifen die Marketing- und Werbeaktivitäten im Markt. Auch in dieser Phase des Produktlebenszyklus gilt der Spruch „Zeit ist Geld“. Der Erfolg der durchge-führten Marketingmaßnahmen lässt sich unmittelbar an der Absatzentwicklung des Produktes in der Wachstumsphase des Produktlebenszyklus ablesen. Darüber hinaus können Bekanntheitsgrad und Marktdurchdringung als Erfolgsparameter der Marketingaktivitäten vor und unmittelbar nach einer Produkt-Neueinführung

Page 6: Pharmabetriebslehre || Produktlebenszyklus und die Möglichkeiten seiner Gestaltung

204

W. Guminski

herangezogen werden. Der enorme finanzielle Marketingaufwand mit dem Neu-einführungen heute betrieben werden, zeigt sich allein daran, dass ein neues Arz-neimittel vor fünf Jahren „erst“ nach sechs Monaten bei etwa 90 % der Zielgrup-pen bekannt war. Heutzutage wird diese Produkt-Awareness bereits nach einem Monat erreicht. Neben der Vermarktungsintensität werden auch die Vermark-tungsqualität (überzeugende Produktbotschaften, Erfolg in der Differenzierung vom Wettbewerb) und die Erfahrung, die Verordner und Patienten mit dem Pro-dukt in der frühen Vermarktungsphase sammeln zu entscheidenden Erfolgsfakto-ren. Das Monitoring (auch als Brandtracking bezeichnet) des Marketing & Sales Mix ist in dieser Phase eine wesentliche Grundlage zur Steuerung und Anpassung der Kommunikations- und Verkaufsaktivitäten.

Die für die Einführungsphase erforderlichen finanziellen Mittel müssen durch Produkte vorfinanziert werden, die sich in der Reife- und Sättigungsphase (Stars und Cash Cows) befinden. Zu viele neue Produkte in der Einführungsphase und zu wenige in den umsatz- und gewinnstarken Phasen können somit den Bestand eines Unternehmens gefährden. Gleichzeitig wird die erfolgreiche Produkteinführung bei nachlassender Produktivität in der Arzneimittelentwicklung und restriktiveren Zulassungs- und Vermarktungsauflagen immer entscheidender für die Zukunft von Arzneimittelherstellern.

7.1.3 Wachstumsphase

Der Idealfall für jedes Produkt – unabhängig vom betrachteten Markt – ist ein konkurrenzloses Umfeld, in dem die weitere Marktdurchdringung nur von der Ini-tiative des vertreibenden Unternehmens selbst abhängt.

Nach Markteinführung mit den begleitenden Maßnahmen würde das Produkt im Laufe der Zeit stetig an Marktanteil gewinnen, bis schließlich eine Marktsätti-gung erreicht ist. Weitere Zuwächse sind bei dieser Form der singulären Indikati-onskompetenz dann nur noch durch das Wachstum des Teilmarktes selbst (Zu-nahme der Patientenpopulation) oder Indikations- und Zulassungserweiterungen möglich.

Ganz anders sieht es beim Eintritt von Konkurrenzprodukten in das entspre-chende Marktsegment aus. Bei großen und somit umsatzstarken Indikationsge-bieten folgen dem Urheberpräparat relativ zeitnah Konkurrenzprodukte, die nun ein Wettbewerbsumfeld schaffen, in dem es sich zu behaupten gilt.

Bei den potenziellen Wettbewerbsprodukten kann man prinzipiell zwischen drei Arten unterscheiden. Der patentrechtliche Schutz gilt nur für die chemische Entität selbst und kann durch eine geringfügig chemische Modifikation des Urhe-berpräparates oftmals umgangen werden. Eine solche geringfügige Molekülvaria-tion einer bereits vorhandenen Substanz („Me-Too“-Produkt) unterscheidet sich von dem Pionierprodukt oftmals nur unwesentlich und entfaltet ihren therapeuti-schen Effekt nach dem gleichen Prinzip wie die Innovation. Ein historisches Bei-spiel hierfür ist die Vielzahl an chemisch modifizierten Kalziumantagonisten, die

Page 7: Pharmabetriebslehre || Produktlebenszyklus und die Möglichkeiten seiner Gestaltung

205

B 7 Der Produktlebenszyklus

nach erfolgreicher Markteinführung des ersten Kalziumantagonisten Nifedipin (Adalat®) der Bayer AG nach und nach auf den Hypertonie-Markt kamen.

Neben chemischen Varianten des Urheberpräparates können auch Wettbe-werbsprodukte in das entsprechende Marktsegment eintreten, deren Wirksamkeit auf einem völlig anderen Mechanismus beruht und die mit dem Urheberpräparat nur eins gemeinsam haben: die gleiche Indikation. In der Indikation „Migräne“ konnte beispielsweise die neue Substanzklasse der mit weniger Nebenwirkungen behafteten Triptane, die „alten“ Pionierprodukte, die Ergotamin-Präparate, teil-weise aus dem Migräne-Markt verdrängen.

Mit Ablauf des Patentschutzes kommt oftmals die gefürchtete Konkurrenz in den Markt: die Generika. Hierbei handelt es sich um Produkte mit exakt dem glei-chen Wirkstoff wie das Pionierprodukt mit einem entscheidenden Vorteil: Durch den Wegfall jeglicher Entwicklungskosten sind Generika oft um bis zu 60 % güns-tiger als die entsprechenden Innovationen.

Neben dem Wettbewerb mit anderen patentgeschützten Originalpräparaten wird die direkte (nach Patentauslauf) oder indirekte Konkurrenz mit Nachahmerproduk-ten (Generika) zur entscheidenden Wachstumshürde. Auch wenn das eigene Pro-dukt noch patentgeschützt ist, können Generika einer anderen Substanz in der gleichen Indikation erheblichen Einfluss auf das weitere Wachstum nehmen, wenn der therapeutische Nutzen nicht deutlich genug ist.

7.1.4 Zerfallsphase

Angenommen ein wesentlich wirksameres Folge-Produkt tritt in den Markt des Pionierproduktes ein. Was wäre die beste Marketingmaßnahme? Wenn das Kon-kurrenzprodukt dem Pionierprodukt tatsächlich hinsichtlich aller Eigenschaften überlegen ist, dann würde jede ergriffene Marketingmaßnahme für das Pionier-produkt lediglich weitere Kosten verursachen, die aber vermutlich keinen nen-nenswerten Marktgewinn mit sich bringen würden. Im Gegenteil: Das Pionierpro-dukt würde zugunsten des Konkurrenzproduktes kontinuierlich an Marktanteil verlieren. In einem solchen Fall sollte daher die Einstellung aller Marketingakti-vitäten durchaus in Betracht gezogen werden. Eine solche „Cash Cow“- Strategie − minimaler Aufwand bei maximaler Profitabschöpfung − ist oftmals die beste Strategie in einem solchen Marktszenario. Hierbei sollte jedoch immer abgewogen werden, ob eine bewusste Steuerung des Produktes in seine Zerfallsphase durch eine derart defensive Produktselektion durch das Produkt-Portfolio aufgefangen werden kann.

Der weitaus bedeutendste Anlass für den „Zerfall“ eines Originalpäparates ist jedoch der Patentauslauf und der Markteintritt wirkstoffgleicher Generika. Nach Ablauf des Patentschutzes fällt das Preisniveau einer Substanzklasse mit dem Ein-tritt von Nachahmerpräparaten in aller Regel um 30 bis 60 % unter den Urheber-präparatpreis ab. Diese enormen Preissenkungen lassen sich in aller Regel nicht völlig auffangen und führen zu massiven Umsatzeinbrüchen des Urheberpräpa-

Page 8: Pharmabetriebslehre || Produktlebenszyklus und die Möglichkeiten seiner Gestaltung

206

W. Guminski

rates. Spätestens mit dem Eintritt von Generika in ein Marktsegment wird daher in aller Regel die Zerfallsphase des Pionier-Produktes eingeläutet.

Zeichnet sich der Eintritt eines Produktes in die Zerfallsphase seines Lebens-zyklus ab, sollten die Bemühungen um Nachfolgeprodukte oder die Suche nach neuen Märkten für das „alte“ Produkt im Vordergrund stehen. Wenn man zu lange mit dem Absetzen des Produktes wartet, kann es zu massiven Verlusten kommen, die durch das Produkt-Portfolio nicht mehr aufgefangen werden können. Neben dem in der Regel wenig erfolgversprechenden direkten Preiswettbewerb mit Nachahmerprodukten bieten sich eine Reihe von Patentauslaufstrategien an, die entweder dauerhaft abzielen den Gewinn bei minimalem Aufwand so lange wie möglich zu maximieren (Cash Cow Strategie), am finanziellen Erfolg der Generi-kavermarktung zu partizipieren (eigenes Generikum, Kooperation mit Generika-hersteller, z. B. „Early-entry“ Strategien) oder den Produktlebenszyklus – wenn möglich – zu verlängern.116

Insgesamt gilt jedoch, dass der Patentauslauf für die Originalhersteller mit er-heblichen Umsatz- und Gewinneinbußen verbunden ist, die nur durch erfolgreiche Neueinführungen oder erhebliche Kosteneinsparungen aufzufangen sind.

7.2 Der Marketing-Mix

In allen Phasen des Produktlebenszyklus, insbesondere aber in der wettbewerbs-intensiven Reifephase, entscheidet die Wahl der Marketingstrategie maßgeblich, ob sich das Produkt im Markt weiterhin erfolgreich durchsetzt oder zunehmend Marktanteile verliert.

Vor allem wenn eine Differenzierung über die pharmakologischen und medizi-nischen Eigenschaften, wie Wirksamkeit, Bioverfügbarkeit, Galenik und Verträg-lichkeit, kein ausreichendes Differenzierungspotential liefert, kommt es darauf an, welches Unternehmen das bessere Management des Lebenszyklus ihres Produktes betreibt.

Nun entscheidet vor allem der effektivere Einsatz des so genannten Marketing-Mix über den weiteren Erfolg oder Misserfolg des Produktes im Markt. Die Kom-ponenten des „Marketing-Mix“ – die Säulen des Marketings – sind die oft zitierten „vier P’s“, und zwar117

• Product (Positionierung / Differenzierung) • Price (Preisgestaltung) • Promotion (Kommunikation) • Place (Distribution)

116 Vgl. Raasch, C. (2006), S. 75ff. 117 Vgl. Lettau, H.-G. (1998), S. 130–131.

Page 9: Pharmabetriebslehre || Produktlebenszyklus und die Möglichkeiten seiner Gestaltung

207

B 7 Der Produktlebenszyklus

7.2.1 Produkt (Positionierung / Differenzierung)

Ein Faktor des Marketing-Mix ist das Produkt selbst. Im Vordergrund stehen hier-bei der Aufbau und die spätere Pflege eines Markenimages, aber auch eine erfolg-reiche Differenzierung und die hieraus abgeleitete Positionierung des Produktes. Das Erreichen einer Positionierung oder die erfolgreiche Veränderung einer Posi-tion im Markt nimmt in der Regel einen langen Zeitraum in Anspruch.

Zu Beginn einer erfolgreichen Positionierung steht zunächst die Marktbeobach-tung und Evaluation. Im Rahmen einer Wettbewerbsanalyse wird untersucht, wo und wie die Konkurrenz ihre Produkte positioniert. Hierauf aufbauend sollte man eine Position suchen, die noch nicht besetzt ist, ein großes Entwicklungspotenzial verspricht oder mögliche Differenzierungsmöglichkeiten des eigenen Produktes vom Wettbewerb erlaubt. Selbst gleichwertige Produkte mit wenig Spielraum − wie viele Arzneimittel − lassen sich differenzieren. Hierzu muss man häufig le-diglich etwas weiter vom Produkt selbst weggehen und das Umfeld des Angebotes betrachten: Die Packungsgröße, das Produktdesign, die Anwenderfreundlichkeit.

7.2.1.1 Produkt-Modifikation

Modifizieren bedeutet ein Produkt ändern oder umwandeln. Im Marketing und in der Produktpolitik ist dies in erster Linie Anpassung des Produktes an neue Trends und Entwicklungen. Hierbei dreht sich alles um die Frage: Was kann am eigenen Produkt verändert, korrigiert oder verbessert werden? Hierzu sollte – unter dem Blickwinkel des potenziellen Käufers – nach Eigenschaften gesucht werden, die das Produkt interessanter machen. Ein solcher U. S. P. (unique selling proposition) ist die Grundlage einer jeden erfolgreichen Positionierung.

Da die Modifikation eines Produktes oftmals auch zu einer Verlängerung des Patentschutzes führt, können durch geschickte Produktmodifikationen zu erwar-tende Umsatzeinbußen (beispielsweise durch den bevorstehenden Eintritt von preisgünstigeren Generika) zumindest teilweise aufgefangen werden. Hierzu reicht es oft aus das Medikament als Kombinationspräparat mit anderen Stoffen anzu-bieten oder − noch banaler − in einer einfacheren Dosierung. Die Generika können dann nur der „alten“ Form des Originalpräparates Konkurrenz machen. So kreierte die Firma Merck aus dem Diabetes-Mittel Glucophage®, das im Jahr 2000 seinen Patentschutz verlor, kurzerhand die Varianten Glucophage® XR (nur noch eine Tablette täglich) und Glucovance® (neue Wirkstoffkombination). Da die Ärzte Medikamente, die nur einmal am Tag eingenommen werden müssen, anderen Produkten vorziehen, verschaffte sich Merck so erneut einen Wettbewerbsvorteil und konnte den bevorstehenden Eintritt von Glucophage in die Zerfallsphase des Lebenszyklus erfolgreich abwenden.

Neben der Erweiterung des medizinischen Einsatzspektrums um eine weitere Darreichungsform kann häufig auch die Erweiterung der Zulassung eines Arz-neimittels für besondere Patientengruppen, wie Säuglinge, Kinder und ältere Men-schen, einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil mit sich bringen: Zum einen darf

Page 10: Pharmabetriebslehre || Produktlebenszyklus und die Möglichkeiten seiner Gestaltung

208

W. Guminski

das entsprechende Medikament dann auch (und zwar zunächst exklusiv) für diese Patientenpopulation verwendet werden, zum anderen trägt die Zulassung für eine solch hoch ethische Population zu einer Aufwertung des Produktimages bei.

Einen weiteren Wettbewerbsvorteil können Indikationserweiterungen für eine bereits zugelassene Substanz bieten. So wurde das Medikament Zyprexa® der Firma Eli Lilly and Company 1996 zur Behandlung der Schizophrenie in den Markt eingeführt und im Jahr 2000 für die Langzeitbehandlung der Schizophrenie sowie die Therapie für die manische Phase im Verlauf einer bipolaren Störung zu-gelassen. Dadurch wurde Zyprexa® zum ersten Produkt seiner Klasse, das eine derart anhaltende Wirkung zeigt, was zu einem Umsatzanstieg von 25 % führte.

Entscheidend für den Erfolg einer Erweiterung oder Änderung der Produktpo-sitionierung ist die Effektivität der hierbei zwingend erforderlichen Änderung der Kommunikationsschwerpunkte. Wenn der Markt beispielsweise nicht über Indika-tionserweiterungen und / oder neue Darreichungsformen eines Produktes ausrei-chend informiert wird, wird die erwünschte Steigerung des Absatzes ausbleiben.

Eine einfache wie effektive Methode sich im Wettbewerbsumfeld vor allem hinsichtlich der Positionierung behaupten zu können, ist die Kooperation mit ei-nem Wettbewerber. So haben die Firmen Novartis Pharma AG und Merck KGaA im Jahr 2000 ein Abkommen zur gemeinsamen Vermarktung des oralen Antidia-betikums Starlix® in Europa sowie in einigen Ländern Afrikas, Südostasiens und Lateinamerikas geschlossen. Die Firma Novartis, die das Produkt entwickelt hat, profitiert in dieser Kooperation von der Kompetenz der Firma Merck im Thera-piebereich Diabetes, die in dieser Indikation bereits das orale Antidiabetikum Glu-cophage® erfolgreich vermarktet. Da Starlix® und Glucophage® zwei Arzneimittel mit komplementärer Wirkungsweise sind, kann Merck so dem Markt ein sich er-gänzendes Produktportfolio zur Behandlung des Typ-2 Diabetes anbieten. Neben der gemeinsamen Positionierung des Produktes können durch eine solche Koope-ration darüber hinaus weitere Komponenten des Marketing-Mix wie eine flächen-deckende Vermarktung und Bewerbung effektiv genutzt werden.

7.2.1.2 Markenpolitik

Der Aufbau eines Markenzeichens (Brand) ist ein weiterer Faktor in der Produkt-politik. Ein Markenzeichen bestimmt den Wiedererkennungswert und dadurch die Vertrautheit mit dem Produkt. Ein Brand ermöglicht durch seine meist kurze und einprägsame Silbenfolge in besonderem Maße die Identifizierung von Arzneimit-teln. Für patentgeschützte Präparate werden daher häufig neue, frei erfundene Wortschöpfungen kreiert. Da dieser Name auch nach Ablauf des Patenschutzes ausschließlich für das Originalprodukt verwendet werden darf, ist somit ein hoher Wiedererkennungswert gesichert.

Andere Firmen, die später in den Markt eintreten, vor allem Generikahersteller, haben so mit dem Problem zu kämpfen, dass sich das Originalpräparat sowie des-sen Hersteller bereits in den Köpfen der Ärzte und Patienten – vor allem über den Markennamen – verankert hat. Prominente Beispiele für erfolgreiche Markenpoli-tik, die den Produkterfolg weit über die Patentlaufzeit hinausgeführt haben und

Page 11: Pharmabetriebslehre || Produktlebenszyklus und die Möglichkeiten seiner Gestaltung

209

B 7 Der Produktlebenszyklus

denen der Wechsel in den Markt für freiverkäufliche Arzneimittel gelungen ist (Rx-to-OTC-Switch) sind Aspirin und Voltaren.

7.2.2 Preisgestaltung

Mit der Festlegung des Preises bestimmt ein Unternehmen den finanziellen Anteil, den das neue Produkt zum Erfolg des Gesamtunternehmens beitragen soll. Wird ein neues Produkt zu billig angeboten, werden mögliche Gewinne unnötigerweise verschenkt. Daneben kann ein zu niedriger Verkaufspreis auch Zweifel hinsicht-lich der Qualität eines Produktes aufkommen lassen. Ist der Preis hingegen zu hoch, wird der Erfolg des Produktes im Markt gefährdet.

Durch gezielte Preismodifikationen lässt sich der Verlauf des Produktlebens-zyklus in jeder Phase entscheidend beeinflussen: Bei der Markteinführung nimmt der gewählte Produktpreis einen entscheidenden Einfluss auf das Ausmaß und die Geschwindigkeit der Marktdurchdringung, später im Rahmen eines Konkurrenz-umfeldes wird er zu einer der wichtigsten „Stellschrauben“ für das weitere Über-leben des Produktes im Markt und spätestens in der Zerfallsphase wird er zum al-les entscheidenden Faktor, um das Aussterben des Produktes hinauszuzögern.

7.2.2.1 Preispolitik

Bei der initialen Preisfestlegung geht es darum den für die Produkteinführung „richtigen“ Preis zu finden. Obwohl in Deutschland, im Gegensatz zu anderen eu-ropäischen Ländern wie Frankreich und Spanien, der Preis eines Arzneimittels vom Hersteller selbst festgelegt werden kann, nimmt der Arzt durch seine Bereit-willigkeit ein Arzneimittel für den vom Hersteller festgelegten Preis zu verschrei-ben einen indirekten Einfluss auf die mögliche Preisgestaltung. Daneben legen die Festbeträge für bestimmte Substanzklassen den finanziellen Anteil fest, der von den Krankenkassen erstattet wird. Übersteigt ein Medikament diesen Festbetrag, muss die Differenz vom Patienten selbst getragen werden. Auch dies nimmt einen indirekten Einfluss auf das Verschreibungsverhalten der Ärzte.

Die Preisbindung für Arzneimittel (die in Deutschland sonst nur noch im Buch-handel zu finden ist) verhindert im Arzneimittelmarkt zudem die in anderen Märk-ten durchaus üblichen Preiskämpfe: Durch das Fehlen einer Handelsspanne sind Sonderaktionen mit „Aktionspreisen“ zum Ankurbeln von Umsätzen nicht mög-lich. Hierdurch wird die „Klaviatur der Marketingmaßnahmen“ im Arznei-mittelmarkt um einen weiteren Einflussfaktor eingeschränkt.

Bei der Fixierung der Preislage orientiert man sich zunächst an den Preisen der Konkurrenz (sofern bereits Präparate in dem betreffenden Marktsegment vertrie-ben werden). Durch die Bestimmung des vorherrschenden Preisniveaus versucht man dann Nähe oder Abstand zu diesem Marktpreis zu gewinnen. Die Entschei-dung für eine bestimmte Preislage wird vorrangig von den Produktzielen und dem damit jeweils spezifischen Produktimage bestimmt.

Page 12: Pharmabetriebslehre || Produktlebenszyklus und die Möglichkeiten seiner Gestaltung

210

W. Guminski

Neue Arzneimittel, die unter Patentschutz und somit unter Vermarktungsexklu-sivität stehen, werden in aller Regel zunächst hochpreisig angeboten, vor allem dann, wenn es keine Nachahmerpräparate im entsprechenden Marktsegment gibt. Durch diese Premiumpreisstrategie versucht der Hersteller, die hohen Entwick-lungskosten in dem zeitlich begrenzten Alleinvermarktungszeitraum wieder einzu-spielen und nach Möglichkeit darüber hinaus Gewinne zu erzielen.

Häufig verfährt man hierzu nach der so genannten Preisabschöpfungspolitik (skimming policy), bei der der Preis zunächst am obersten Ende des Preiszah-lungsspielraums angesetzt wird. Ausgehend von diesem hohen Niveau wird dann der Preis entsprechend dem Stand fortschreitender Markterschließung und / oder Veränderungen des Wettbewerbsumfeldes sukzessive herabgesetzt. Allerdings ist hierbei der zeitliche Rahmen der Preissenkung zu beachten, da zu schnelle und zu große Preissenkungen die Glaubwürdigkeit der Marke schmälern können.

Eine weitere Preissetzungsmethode ist die Preisdurchdringungspolitik (penet-ration policy), bei der man versucht die Marktdurchdringung über den günstigsten (niedrigen) Preis möglichst schnell zu erreichen. Vor allem Nachahmerpräparate (Generika, Me-too-Produkte) und Pionierprodukte im mittleren und unteren Leis-tungsbereich eignen sich für diese Art der Preispolitik. Verfügt man darüber hin-aus noch über eine relativ günstige Kostenstruktur, hat diese Preispolitik durchaus Vorteile. Eine erfolgreiche Differenzierung zur Kostenführerschaft mit Hilfe einer Preisdurchdringungspolitik ist dem Generikahersteller Ratiopharm gelungen. Der Werbeslogan „Gibt es das auch von Ratiopharm?“ ist zur zentralen Marketingaus-sage der Firma geworden und impliziert „Gibt es das auch billiger?“ Ein weiteres Beispiel für eine Preispolitik die letztendlich einen Wettbewerbsvorteil schaffen kann, sind Einheitspreise für ein Arzneimittel unabhängig von der benötigten Ta-gesdosis (Flat-pricing).

Neben der bereits dargestellten Erweiterung der Produktfamilie um neue Darreichungsformen sowie der Erschließung neuer Indikationen und Patienten-gruppen besteht in der drohenden Zerfallsphase eines Produktes für den betreffen-den Pionierpräparat-Hersteller die Möglichkeit einer aktiven Teilnahme am niedrigpreisigen Generika-Markt. Die einfachste (dennoch aus Imagegründen sel-ten praktizierte) Maßnahme ist hierbei die Einführung einer eigenen generischen Variante des Urheberpräparates auf dem Preisniveau der Nachahmerprodukte. Al-ternativ hierzu streben die forschenden Arzneimittelhersteller frühzeitig vor Ab-lauf des eigenen Patentschutzes in zunehmendem Maße Kooperationen mit Gene-rika-Herstellern an. Von diesem Zusammenschluss mit dem Ziel einer gemein-samen Vermarktung des Generikums profitieren beide Unternehmen: Der inno-vative Arzneimittelhersteller bewahrt sich seinen „guten Ruf“ als forschendes Unternehmen und kann gleichzeitig Umsatzverluste des Originals durch die Be-teiligung an den Generikaumsätzen kompensieren.

7.2.2.2 Kondition- und Distributionspolitik

Neben der aktiven Preispolitik, wie ein Absenken der Preise mit dem Ziel der Konkurrenzfähigkeit oder aber dem Gegenteil, eine Preiserhöhung zur Optimie-

Page 13: Pharmabetriebslehre || Produktlebenszyklus und die Möglichkeiten seiner Gestaltung

211

B 7 Der Produktlebenszyklus

rung des Umsatzes, stehen vor allem bei Krankenhausprodukten und Selbstmedi-kationspräparaten Rabatte im Mittelpunkt der vertriebsorientierten Preispolitik von Pharmaunternehmen.

Apothekenrabatte haben in den letzten Jahren eine eigenständige Funktion im Rahmen des vertriebsorientierten Marketings von Arzneimitteln erhalten, die aber in jüngster Zeit gesetzlich eingeschränkt wurden. Ziel der Rabattierung ist es dem Apotheker attraktive Einkaufskonditionen zu bieten, die ihn an die Firma und so-mit die Produkte binden. Bei den möglichen Rabattsystemen unterscheidet man grundsätzlich zwischen Barrabatt und Naturalrabatt. Bei einem Naturalrabatt er-hält der Kunde für eine bezahlte Menge X eine nicht zu bezahlende Menge Y. Beim Barrabatt hingegen steht die gelieferte Menge im Vordergrund, aufgrund de-rer ein Abzug von X Prozent vom Rechnungsbetrag gewährt wird. Ein effektives Rabattsystem – vor allem aus Sicht eines geschickten Produktmanagements – ist die Jahresrückvergütung. Diese bietet dem Arzneimittelhersteller eine gute Mög-lichkeit den Kunden über jeweilige Aktionsgedanken hinaus langfristig an sich zu binden.

Rabatte bieten in jeder Phase des Produktlebenszyklus eine Möglichkeit den Absatz eines Produktes zu steigern und sich somit einen Wettbewerbsvorteil zu schaffen. Vor allem bei Präparaten mit nahezu identischen Eigenschaften können die attraktiven Einkaufskonditionen den Ausschlag für eine bestimmte Produkt-wahl geben.

Wie in allen Märkten steht auch in der Arzneimittelindustrie der Service sowie die Qualität und Schnelligkeit der Lieferung im Mittelpunkt der Distributionspoli-tik. Die möglichen Distributionswege von Arzneimitteln sind jedoch stark limi-tiert. Verschreibungs- und apothekenpflichtige Arzneimittel dürfen nur über die Apotheke abgegeben werden. Diese wird in aller Regel von pharmazeutischen Großhändlern beliefert, die ihre Produkte von den Herstellern direkt beziehen. Ei-ne Einflussnahme auf den Produktlebenszyklus von Arzneimitteln durch eine Ver-änderung der Distributionspolitik ist demnach kaum möglich.

7.2.3 Kommunikationspolitik

Nach dem Heilmittelgesetz ist Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel nur in Fachkreisen, d. h. der medizinischen Fachpresse oder auf wissenschaftli-chen Kongressen, erlaubt. Bei ethischen Arzneimitteln ist somit eine Bewerbung beim Endverbraucher − dem Patienten − nicht möglich. Im Vergleich zu anderen Märkten bedeutet dies eine nicht unerhebliche Restriktion in der Produktkommu-nikation. Im Rahmen der Produktbewerbung stellt die Auswahl der richtigen Ziel-gruppe (Targeting) einen weiteren Baustein im Rahmen einer effektiven und er-folgreichen Produktbesprechung dar.

Der Arzt trifft (stellvertretend für den Patienten) die Entscheidung hinsichtlich der Produktwahl und ist somit der Absatzmittler. Für die Kommunikation mit dem Arzt setzen Pharmaunternehmen Außendienststäbe ein, die flächendeckend arbei-ten und insbesondere Ärzte mit hohem Verordnungspotenzial intensiv besuchen.

Page 14: Pharmabetriebslehre || Produktlebenszyklus und die Möglichkeiten seiner Gestaltung

212

W. Guminski

Bei Produktneueinführungen entscheidet vor allem die Anzahl an Außendienst-mitarbeitern über den Zeitraum bis das Produkt bei den Ärzten aller relevanten Zielgruppen bekannt ist.

Ziel des Außendienstes ist vor allem das Verschreibungsverhalten des Arztes für die eigenen Präparate zu fördern und zur emotionalen Bindung an das Unter-nehmen beizutragen. Von den Besuchen kann es abhängen, ob der Arzt eine be-stimmte Arznei überhaupt, und wenn ja, wie häufig im Vergleich zu Konkurrenz-Arzneimitteln verschreibt. Durch die Wahl der Produktschwerpunkte bei der Be-sprechung kann darüber hinaus unmittelbar Einfluss auf den Absatz eines Arznei-mittels und den Stellenwert eines bestimmten Präparates im gesamten Produkt-Portfolio genommen werden. Nehmen die Verschreibungszahlen eines bestimmten Präparates ab, so kann dies gezielt besprochen und somit Einfluss auf die Ver-schreibungen genommen werden.

Der Außendienst ist der Hauptkostenfaktor im Marketing & Sales-Mix. In jüngster Zeit findet in der Pharmaindustrie ein Umdenken statt: Große Hersteller wie Pfizer und AstraZeneca reduzieren ihre Außendienste aus Kosten- und Effi-zienzgründen deutlich. Zudem gewinnen andere Entscheidungsträger und Institu-tionen an Bedeutung (z. B. Krankenkassen), die zunehmend im Kommunikations-Mix berücksichtigt werden.

Insbesondere für freiverkäufliche Arzneimittel (OTC-Produkte) ist der Apothe-ker ein wichtiger Ansprechpartner für die Produktvermarktung. Da er oftmals den einzigen fachlichen Bezug für den Verbraucher darstellt, nimmt der Apotheker ei-ne wichtige Beratungs- und Kontrollfunktion ein. Die Produktbewerbung bei den Apothekern erfolgt vornehmlich durch den kaufmännischen Außendienst des Un-ternehmens. Hierbei stehen neben der Mitteilung von präparatebezogenen Basis- und Anwendungsinformationen vor allem konkrete Vertragsabschlüsse im Mittel-punkt der Besuche. In diesem Zusammenhang gewinnt die Kontaktierung der Apotheken durch so genannte Key-Account-Manager, die Vertragsabschlüsse über das gesamte Produktportfolio einer Firma tätigen, immer mehr an Bedeutung.

Bei frei verkäuflichen Arzneimitteln trifft der Patient (oftmals basierend auf der Empfehlung des Apothekers) selbst die Entscheidung, welches Präparat er zur Be-handlung seiner Erkrankung kauft. Die Möglichkeit der direkten Ansprache des Verbrauchers für Selbstmedikationsprodukte führt zu einer breiten Informations-politik der Pharmaunternehmen. Da für diese Produkte auch Laienwerbung erlaubt ist, setzt das Kommunikationsmarketing in der Arzneimittelindustrie seit einigen Jahren neben der klassischen TV-, Print- und Radio-Werbung (in der Praxis oft als „Above-the-Line“ bezeichnet), verstärkt auf alternative Formen der Kundenan-sprache. Hierzu zählen neben der Unterstützung und Fortbildung von Selbsthilfe-gruppen sowie der Bereitstellung von Informationsbroschüren und Patientenratge-bern in letzter Zeit vor allem Internetportale, die den Endverbraucher über alle Aspekte der entsprechenden Erkrankungen und deren medikamentöser Therapie aufklären. Ziel dieser patientenorientierten Kommunikationspolitik ist es die be-stehenden Informationsbedürfnisse zu befriedigen und gleichzeitig das Verständ-

Page 15: Pharmabetriebslehre || Produktlebenszyklus und die Möglichkeiten seiner Gestaltung

213

B 7 Der Produktlebenszyklus

nis für innovative Therapeutika zu fördern. Und nicht zuletzt lassen sich so die ei-genen Produktvorteile darstellen, wodurch Einfluss auf die Absatzzahlen der Selbstmedikationsprodukte und somit den Verlauf des Produktlebenszyklus ge-nommen werden können.