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Im globalen Markt kann nur verantwortlich handeln, wer globales Bewusstsein hat. Das leuchtet ein. Aber was bedeutet das? Jürg von Ins Planetares Bewusstsein als ethisches Phänomen Essay © 2010 Jürg von Ins/Pro Litteris • www. juergvonins.ch

Planetares Bewusstsein als ethisches Phänomen (Essay)

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Im globalen Markt kann nur verantwortlich handeln, wer globales Bewusstsein hat. Das leuchtet ein. Aber was bedeutet das? ­ Von Jürg von Ins

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Im globalen Markt kann nur verantwortlich handeln,

wer globales Bewusstsein hat. Das leuchtet ein.

Aber was bedeutet das?

Jürg von Ins

Planetares Bewusstseinals ethisches Phänomen

Essay

© 2010 Jürg von Ins/Pro Litteris • www. juergvonins.ch

Jürg von Ins

Planetares Bewusstsein als ethisches PhänomenEssay

Im globalen Markt kann nur verantwortlich handeln, wer globales Bewusstsein hat. Das leuchtet ein.

Aber was bedeutet das?

Die Psychologie des Bewusstseins hat ab der Mitte des20. Jh. drei starke Impulse empfangen, die ihr zur Entwicklung in drei unterschiedliche Richtungen verhalfen: Halluzinogene, Schamanismusbegeisterung und die neuro-logische Revolution:

Die halluzinogen-inspirierten Denker fragten nach den Bedingungen der Bewusstseinserweiterung – durchaus auf das hin, was wir heute planetares Bewusstsein nennen. Sie sprachen von kosmischem Bewusstsein und meinten eine Beziehung zum Weltganzen, zu allen Menschen, allen Tieren und Pflanzen. Diese Traditionslinie gewinnt heute durch Fantasy- und Science Fiction-Literatur, insbesondere aber durch den 3D-Film ‚Avatarʼ überraschende Breiten-wirkung. Dabei geht sie eine unerwartete Allianz mit der Technik ein.

2 Jürg von Ins, Planetares Bewusstsein als ethisches Phänomen, Essay, © 2010, juergvonins.ch

Die schamanisch inspirierten Denkerinnen erhoben dage-gen die Stimme des Fuchses aus dem ‚Petit Princeʼ: „Tu ne mʼapprivoises pas.“ Es gibt nur die Beziehung zu einem bestimmten Fuchs, und mit dem kann man dafür auch sein Leben lang reden. Die Welt ist mein Garten. Diese Entwicklungslinie hat oft zu strenger Technikkritik, getragen von einem allgemeinen Zivilisationspessimismus geführt und das Bewusstsein in eine Exklave der Feinfühligkeit ver-bannt.

Die neurologisch inspirierten Bewusstseinspsychologen weisen das Bewusstsein aufgrund neuer Erkenntnisse, die sie u.a. den bildgebenden Verfahren verdanken, radikal in Schranken. Wir wissen seit Freud, dass das Ich nicht Herr im eigenen Haus ist. Aber wir träumten davon, seine Grenzen zu sprengen. Die Neurologie des Bewusstseins polt das Problem um. Manche sagen, das Bewusstsein hat überhaupt nichts zu sagen im Haus. Alles Verhalten wird durch vorbewusste neuronale Impulse gesteuert.

Ähnlich deterministisch haben früher auch Ökonomen, Soziologen, Genetiker und Verhaltensbiologen vom Bewusstsein gesprochen. Die Geschichte zeigt, dass deter-ministische Bewusstseinstheorien leicht zur Rechtfertigung autoritärer Herrschaft herangezogen werden können. Oft werden sie auch eigens darauf hin verfasst.

3 Jürg von Ins, Planetares Bewusstsein als ethisches Phänomen, Essay, © 2010, juergvonins.ch

Neurologen blicken ins lebende Gehirn und ziehen gewagte Schlüsse.

Das Bewusstsein ist das Phänomen, das alle anderen Phänomene umfasst. Auch wenn wir über Bewusstsein nachdenken, sind wir im Bewusstsein. Wir sind in der pre-kären Lage einer Rasierklinge, die versucht, sich selbst zu rasieren. Alltagserfahrung, Schamanismus, Neurologie, Soziologie, Genetik, – das alles macht zusammen mein Bewusstsein aus. Bewusstseinsforschung tut gut daran, sich einem Modell der Vielstimmigkeit zu verpflichten.

Und so drängt sich endlich die Frage auf: Warum kommen wir vom Bewusstsein unmittelbar zur Psychologie des Bewusstseins? Ist Bewusstsein so vorrangig ein psychi-sches Phänomen? Alle Phänomene verdanken sich einer Beziehung. Bewusstsein verdankt sich der Beziehung zu Menschen, Tieren, Pflanzen, Sternen, Sonne und Mond. Planetares Bewusstsein verdankt sich der Beziehung zum Leben auf unserem Planeten und seinen Grundlagen insge-samt, könnte man denken. Aber eine solche Beziehung gibt es nicht. Auch ein solches Bewusstsein gibt es nicht. Ich bin der Stempel meiner Umgebung.

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Der Autor bei der militärischen Aushebujng, um 1970.

Das, was ich jetzt um mich habe, füllt mein Bewusstsein aus. Ich kann nach zehn Jahren in ein entlegenes Campement im Südosten Senegals zurückkehren, und die ganze Erinnerung klebt an den Wänden des Zimmers. Das ganze Bewusstsein hat die vielen Jahre hier auf mich gewartet. Es war in der Zwischenzeit nicht in mir. Es war hier.

Wer verstehen will, wer ich bin, muss meinen Garten in der Bächau kennenlernen. Ich füttere meine Gänse, ich giesse meine Zitronenbäume, die im Wintergarten auf den Frühling warten und ich spreche mit meinem Hund. Ich bin für sie verantwortlich. Manchmal muss ich sie Anderen anvertrau-en, weil ich auf Reisen bin. Aber ich kann sie nie vergessen. Auch nicht, wenn ich in Westafrika meine Beziehungen zu Menschen pflege, deren Lebenserwartung etwa halb so hoch ist wie meine; wo ein verbrecherischer Staatschef wie

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28. September 2009: Moussa Dadis Camara mas-sakriert die Opposition.Mehr erfahren.

Bewusstsein. Das ist zwar ein bisschen lächerlich, aber besser kann ich es einfach nicht. Hauptsache, ich bin mir bewusst, dass die Polyphonie des Bewusstseins jeden Tag neue Stimmen umfasst. Und dass die Gänse von gestern schon heute vielleicht nurmehr kulinarische Bedeutung haben.

Wenn es uns Menschen möglich ist, kosmisches Bewusstsein zu erlangen, so verdankt es sich dem ent-schlossenen Aufstand gegen Gewohnheiten, Vorurteile und Bequemlichkeiten, denn dies alles ist Schlaf. Wer auf Google ‚planetares Bewusstseinʼ eingibt, findet sich sogleich in der unangenehmen Gesellschaft von Menschen,

Moussa Dadis Camara ungeniert 10 Millionen Guineaner terrorisieren kann und wo das Wachstum der Wüste keine schraffierte Fläche auf der Landkarte ist, sondern ein Fortbewegungsproblem auf der Strasse; bewegungstech-nisch eine Art Neuschneekatastrophe als Normalzustand, von der kein Wetterbericht Kunde gibt. So ist mein Bewusstsein ein Bewusstsein fragmentarischer Beziehungen zur Welt. Jede Beziehung besteht aus einem Phänomen, meiner Art, es zu deuten und den Antworten des Phänomens. Ich nehme periodisch Abstand, um aus den Bruchstücken ein Ganzes zu machen. Ich kitte, extrapolie-re, verallgemeinere und wische was nicht passt vom Tisch. Die Medien helfen mir dabei. Am Schluss sage ich: Ich bin informiert, habe Erfahrung mit Hunden, Zitronenbäumen, Westafrikanern und Gänsen – ich habe planetares

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die sich daran gewöhnt haben, alles ganz genau zu wissen. Aber der Aufstand, dem sich kosmisches Bewusstsein ver-dankt, findet jeden Moment statt. Er kann dem Leben kein Ziel geben, aber eine Richtung. Das Leben wird durch die-sen Aufstand zum Weg.

Das arabische Sprichwort sagt: „Wähle erst die Weggefährten, dann erst das Ziel.“ Wo der Weg zum ver-antworteten Handeln im globalen Markt lang geht, kön-nen wir nicht allein bestimmen. Es genügt nicht, auf Jene zuzugehen, die uns abstossen. Wir müssen auch Jene zum Sprechen bringen, die wir und unsere Vorfahren zum Schweigen gebracht haben – nicht immer durch Gewalt, oft gegen Geld. Wir entwerfen also Regeln und Methoden, um die Gier auf Gänsestopfleber zu zähmen, die afrikanischen Bodenschätze den Afrikanern zurückzugeben und den Leinenzwang für Hunde aufzuheben. Wir fangen an, die Welt so umzugestalten, dass planetares Bewusstsein über-haupt auszuhalten ist. Wenn sich nämlich heute ein Mensch bewusst würde, was auf der Welt jeden Tag passiert, würde er am Leiden auf der Stelle eingehen.

Wir entdecken, dass sich Bewusstsein einem Handlungsimperativ verdankt. Bewusstsein ist also zunächst kein psychisches, sondern ein ethisches Phänomen. Was wir nicht verantworten können, wandert ins Unbewusste – eine Bequemlichkeit, die sich spätestens im Traum als wenig nachhaltig erweist. Und der Traum beglei-tet Viele auch durch den Tag. Dabei treten sie nicht allein die Gerechtigkeit, sondern auch die eigene Gesundheit mit Füssen. Man müsste postmoderne Krankheitsbilder wie Burnout, ADS und PTSD darauf hin befragen, ob sie sich einem Mangel an Bewusstsein, an Wille und Erlaubnis zur Bewusstwerdung verdanken. Und man könnte einen Schritt weiter gehen und fragen, ob die ‚license to playʼ im globalen Markt vielleicht eine spezifische Bewusstseinsstörung vor-aussetzt, die mich in umfassende Gleichgültigkeit taucht. Nichts kommt mir nahe, nichts rührt mich an dieser Welt, die sich zynisch als globales Dorf bezeichnet.

Es ist kälter geworden. Liebe ist wo möglich der Schlüssel zum planetaren Bewusstsein und zum Überleben. Aber kann ich die ganze Welt lieben? Dazu muss ich sie umge-stalten, wodurch auch mein Bewusstsein umgestaltet wird.

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Ja, das Geheimnis der Zeit.Ja, wir wissen von nichts.Wir sind alle an Bord geboren.

Fernando Pessoa

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