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Institut für PflegewissenschaftMedizinische Fakultät, Universität Basel, Schweiz
Dr. Eva CignaccoHebamme, Pflegewissenschafterin
Schmerzen bei Frühgeborenen. Ein notwendiges Übel?
9. Düsseldorfer Fachtagung für Pflegende. KINDERINTENSIVPFLEGEDüsseldorf, 7. / 8. Oktober 2010
Referatsüberblick• Relevanz der Schmerzthematik bei
Frühgeborenen• Methode der Schmerzerkennung• Praxis der nicht-medikamentösen
Schmerzlinderung
Relevanz der Schmerzthematik
Frühgeburten in Europa (Anteil in %)
1. 4
1. 15
1. 0 9
1. 0 4
0 . 9 7
0 . 9 2
0 . 8 9
0 . 8 8
0 . 8 7
0 . 8 4
0 . 7 6
0 . 7 3
8 . 8 3
6 . 4 9
6 . 2 9
7 . 9 7
5 . 3 8
5 . 4 7
5 . 2 4
4 . 8 9
5 . 3 5
5 . 0 6
5 . 4 2
6 . 9 5
0 2 4 6 8 10 12
Österreich (2001)
Deutschland (2000)
Niederlande (1999)
Schw eiz (2004)
Dänemark (2000)
Schw eden (2000)
Finnland (2000)
Griechenland (1998)
Italien (1998)
Portugal (1999)
Frankreich (1998)
Spanien (1999)
Anteile der Frühgeborenen in %
< 32 SSW 32-36 SSW
Bundesamt fBundesamt füür r Statistik, 2007Statistik, 2007
Schmerzerleben bei Frühgeborenen• Schmerzfähigkeit Früh- und Neugeborener erst seit den
1980er Jahren anerkannt.• Fähigkeit zur Schmerzempfindung bereits antepartal
vorhanden (ab 18. SSW).• Deszendierende, inhibitorische Systeme zur
Suppression der Schmerzleitung sind anatomisch angelegt, jedoch bei Geburt noch nicht voll funktionsfähig.
• Erhöhte Schmerzfähigkeit bei FG mit tiefer Schmerzschwelle.Fitzgerald, 2005
Hohe Plastizität des ZNS postnatal
Cowan, 1979Cowan, 1979
Störungs-anfälligkeit des zentralen Nervensystems mit möglicher Chronifizierungs-gefahr.
AnandAnand, 1999, 1999
“Pain exposure in a NICU is considered as a major source of distress for children and their families.”
Franck et al., 2004; Grunau, 2002 Padden & Glenn, 1997
Mögliche Folgen früher Schmerzexposition (I)
• Kurzfristige Folgen (in den ersten Lebenswochen)• Reduktion der Schmerzäusserung
• Die Exposition von ≥ 20 Schmerzimpulsen reicht, um ein Frühgeborenes vom „Stimulus-naiven-Responder“ zu einem „Stimulus nicht-naiven-Responder“ zu konvertieren.
• Vermehrte Stressreaktionen• Verminderung der Hirndurchblutung und
transitorischer Verlust des Hirn-Blutvolumens.
Johnston&Stevens, 1996, Grunau, 2002 Barker & Rutter, 1995; Als, 1994
Mögliche Folgen früher Schmerzexposition (II)• Langfristige Folgen (bis zu den ersten Schuljahren erforscht)
• Gesteigerte affektive Antworten auf Schmerzen (Grunau et al., 1984, 1998)
• Einschränkungen in der kognitiven und verhaltensorientierten Entwicklung (Bhutta&Anand, 2002; Grunau et al., 2009).
• Erhöhte Vulnerabilität für stressbedingte Störungen (z.B. Angstzustände) (Anand et al., 1999).
• Herabsenkung der Schmerzschwelle (Anand et al., 1999, Fitzgerald 2005)
• Veränderung der Schmerzsensibilität (Peters et al., 2005 Herrmann et al., 2006).
Mögliche Folgen früher Schmerzexposition (III)
• Ziele der Studie Grunau et al. (2009) (N=211)• Assoziation zwischen Schmerzexposition im
Frühgeborenenalter und Veränderungen in der kognitiven und/oder motorischen Entwicklung?
• Puffern Umgebungsfaktoren (Elterlicher Stress und Qualität der Eltern-Kind- Interaktion) mögliche negative Auswirkungen der frühen Schmerzexposition?
Mögliche Folgen früher Schmerzexposition (IV)• Ergebnisse der Studie Grunau et
al., (2009)• Anzahl der Schmerzexposition im
Frühgeborenenalter, ist prädiktiv für eine schlechtere kognitive und motorische Entwicklung im 8. und 18. Lebensmonat ehemaliger Frühgeborener.
• Niedriger elterlicher Stress (“Parental Stress Index”) gilt als Puffer in der Entwicklung des Kindes.
Anzahl schmerzhafter Prozeduren in zwei Neonatologien in der Schweiz
• 38’626 Prozeduren in den ersten 14 LT.• 23 Prozeduren pro Kind / Tag (Mittelwert).• 17 schmerzhafte Prozeduren pro Kind / Tag
(Mittelwert).• Je jünger die Frühgeborenen, desto höher ihre
Schmerzexposition und desto geringer die verabreichte pharmakologische Analgesie.
Cignacco et al., 2009
Häufigste Interventionen
• Manipulationen am CPAP• Nasales und endotracheales Absaugen• Kapilläre Blutentnahme• Pflasterentfernung• Legen einer venösen Leitung
Simons et al., 2003, Carbajal et al., 2006 Cignacco et al., 2009
Schmerzmanagement mangelhaft (I)
• 39% der Neugeborenen erhielten während gesamten NICU-Aufenthaltes gar keine Analgesie.
• Nur 16% der Frühgeborenen erhielten beim Einlegen eines Thoraxdrains eine Analgesie.
• 71% beatmeter Frühgeborenen (n = 120) erhielten orale Saccharose, aber nur 9,2% davon auf täglicher Basis.
Simons et al., 2003, Cignacco et al., 2009 Sabrine & Sinha, 2000
Schmerzmanagement mangelhaft (II) • Schmerzmanagement im deutschsprachigen
Raum mangelhaft• Verwendung eines
Schmerzerfassungsinstrumentes:• Österreich: 19% / Deutschland: 7.1% / Schweiz: 63%
• Dokumentation des Schmerzes: • Österreich: 47% / Deutschland: 20% / Schweiz: 50%
Gharavi et al., 2007
International Association of Pain (2005)
“Pain should be considered as the fifth vital sign and be measured and documented as carefully and regularly as heart rate, blood pressure, respiratory rate and temperature.”
Methode der Schmerzerkennung
Biochemische Indikatoren
• Cortisol (Mundspeichel, Urin, Blut)
• Katecholamine• Endorphine• Wachstumshormone
Physiologische Indikatoren
• Anstieg der Herzfrequenz• Sauerstoffsättigungsschwankungen• Anstieg des Blutdruckes• Veränderung der Atemfrequenz
Verhaltensorientierte Indikatoren
• Gesichtsmimik• Weinen• Motorik
Berner Schmerzscore für Neugeborene• Schlaf• Weinen• Gesichtsmimik• Körperausdruck• Beruhigung• Hautfarbe• Atemfrequenz• Herzfrequenz• Sauerstoffsättigung
Cignacco & Stoffel, 2001 Brunner, Cignacco & Stoffel 2010
Berner Schmerzscore für Neugeborene
Berner Schmerzscore für Neugeborene
• Beobachtungszeitraum 2-3 Minuten.• Bei Messung subjektiver und objektiver
Indikatoren• Scorewerte < 11 gelten als schmerzfreier Zustand.• Scorewerte ≥ 11 gelten als schmerzhafter Zustand.
• Bei Messung nur subjektiver Indikatoren• Scorewerte < 8 gelten als schmerzfreier Zustand.• Scorewerte ≥ 8 gelten als schmerzhafter Zustand.
Cignacco & Stoffel, 2001 Brunner, Cignacco & Stoffel 2010
Anwendung des Instrumentes
• Bei Früh- und Termingeborenen bis zur 44. Gestationswoche.
• Bei jeder Schichtübergabe wird ein Schmerzscore erhoben und dann bei Bedarf mehrmals täglich.
• Bei erhöhtem Score werden in erster Linie nicht-pharmakologische Massnahmen angeboten.
• Revalidierung des Instrumentes soeben abgeschlossen. Instrument weist auch bei zweiter Testung gute psychometrische Eigenschaften auf.
Brunner et al., 2010
Schmerzlinderung
Nicht-medikamentöse Schmerzlinderung
• Saccharose• Nicht nutritives Saugen• “Facilitated Tucking”• Swaddling• Kangaroo Care• Musik
Vorteile nicht pharmakologischer Schmerzlinderung
• Aktiviert den “Gate-control”- Mechanismus.• Lenkt Kind ab, vom schmerzhaften Impuls. • Kind erfährt Zuwendung im Rahmen unangenehmer
Prozeduren.• Fördert Ausschüttung endogener Endorphine.• Eltern können beigezogen werden, um die
Massnahmen selbst durchzuführen. Förderung des Bondings.
Tsao et al., 2007; Franck & Lawhon 1998 Hebb et al., 2005
Orale Saccharose oder – GlucoseGabe• Beste Evidenz im Rahmen nicht-medikamentöser
Massnahmen.• Führt zu Ausschüttung körpereigener Endorphine.• Gabe 2-3 Minuten vor der schmerzhaften Intervention.• Wirkung von Saccharose auch für Impfungen im Alter
zwischen 1 und 12 Lebensmonaten beschrieben.• 2ml Saccharose in 12%-iger, 50%-iger, 75%-iger
Konzentration.
Stevens et al., 2004; 2010 Harrison et al., 2009
• Bei FG < 1000g• 1 x 0,1 ml pro Intervention
• Bei FG > 1000g• 1 x 0,5 ml pro Intervention
• Bei FG > 2000g• Bis 4 x 0,5 ml pro Intervention
• Keine Tageslimite. Bei nüchtern gelassenen FG und TG nicht öfters als 6 stündlich.
• 0,05 ml – 2ml 20% Saccharose werden von internationalen Experten empfohlen.
Dosierung orale Glucose/Saccharose
Neonatologie Bern, 2010 Harrison et al., 2009
Nicht-nutritives Saugen
• Reduziert Herzfrequenzanstieg.
• Reduziert das Weinen und Motorik.
• Vorzugsweise zuKombinieren mitGlucose/Saccharosegabe
Pinelli et al., 2003; Corbo et al., 2000 Shiao et al., 1997; Blass et al., 1995
“Facilitated Tucking” / Froschhaltung
• Reduziert das Weinen und die Herzfrequenz.
• Effektiv beim endotrachealen Absaugen.
• Stabilere Körpermotorik während und nach der Intervention.
• Ermöglicht Einbezug von Eltern.
Axelin et al., 2006; Hill et al., 2005 Ward-Larson et al., 2004 Huang et al., 2004, Corff et al., 1995
„Froschhaltung“: Eltern können sich aktiv an der Schmerzlinderung beteiligen.
Swaddling = Einwickeln
• Raschere Zunahme der Sauerstoffsättigung nach dem schmerzhaften Impuls.
• Reduziert das Weinen und die Herzfrequenz.
Georges La Tour Georges La Tour 15931593--16521652
Van Sleuwen et al., 2007; Huang et al., 2004 Prasopkittikun & Tilokskulchai, 2003
Kangaroo Care• Reduktion der motorischen
“Desorganisation”.• Reduktion von Stressreaktionen
während und nach dem schmerzhaften Impuls (z.B. Weinen).
• Reduktion in den Veränderungen der Gesichtsmimik.
• Reduziert Ängstlichkeit der Eltern.
Ferber & Makhoul, 2008 Johnston & Stevens et al., 2003
Musik
• Regulation der Herzfrequenz.• Raschere Zunahme der
Sauerstoffsättigung.• Reduziert Unruhezustand.
• Musik nicht länger als 10 minutes pro Intervention, wegen möglicher Überstimulation.
• Nicht mehr als 40-45 Dezibel.• Distanz zwischen den Boxen und dem Kind mind. 30 cm.
Bo & Callaghan, 2000; Butt & Kisilevsky 2000 Hui-Ling Lai et al., 2005
Schmerz in der Neonatologie: Vor allem Sache der Pflege• Schmerzeinschätzung und nicht-medikamentöse
Schmerzbehandlung sind Kompetenzbereiche der Pflege.
• Hilfreich ist die Bildung einer abteilungsinternen Schmerzfachgruppe zur• Entwicklung einer Richtlinie• Durchführung von internen Schulungen• Anleitung von Kolleginnen „bedside“• Überprüfung der Einhaltung von Richtlinien.• Etablierung einer „Pain Nurse“
Children‘s pain matters – for the child, for the family, and for the society!
IASP, 2005
Herzlichen Dank fHerzlichen Dank füür Ihre r Ihre Aufmerksamkeit! Aufmerksamkeit!
Institut für PflegewissenschaftMedizinische Fakultät, Universität Basel, Schweiz