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Grundkurs in Mikro- und Makroökonomik Ergänzungsliteratur für die Eingangsphase der neuen Studienordnung bzw. den I. Studienabschnitt der alten Studienordnung Free Download Version Inhaltsgleich zur gedruckten Version, allerdings stimmen Seitenum- bruch und daher die Seitenanzahl nicht überein! Alfred Stiassny Institut für Volkswirtschaftstheorie und –politik Abteilung für quantitative VWL Wirtschaftsuniversität Wien 4. erweiterte Auflage Wien, 2003 Offenlegung nach Mediengesetz: a.o.Univ.-Prof. Dr. Alfred Stiassny Eigenverlag. Verlagsort, Herstellungsort, Sitz des Medieninhabers, alle 1090 Wien, Augasse 2-6 Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der elektronischen Speicherung vorbe- halten. Dies gilt auch für Teile des Werkes.

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Grundkurs in

Mikro- und Makroökonomik

Ergänzungsliteratur für die Eingangsphase der neuen Studienordnung bzw. den

I. Studienabschnitt der alten Studienordnung

Free Download Version

Inhaltsgleich zur gedruckten Version, allerdings stimmen Seitenum-bruch und daher die Seitenanzahl nicht überein!

Alfred Stiassny

Institut für Volkswirtschaftstheorie und –politik Abteilung für quantitative VWL

Wirtschaftsuniversität Wien

4. erweiterte Auflage Wien, 2003

Offenlegung nach Mediengesetz: a.o.Univ.-Prof. Dr. Alfred Stiassny

Eigenverlag. Verlagsort, Herstellungsort, Sitz des Medieninhabers, alle 1090 Wien, Augasse 2-6

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der elektronischen Speicherung vorbe-halten. Dies gilt auch für Teile des Werkes.

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Inhaltsverzeichnis

1. GRUNDLAGEN 5

Kontrollfragen zu Kapitel 1: Grundlagen 10

TEIL I: MIKROÖKONOMIK 11

2. ANGEBOT UND NACHFRAGE 13

2.1. Nachfrageseite 13 Elastizitäten 14

2.2. Angebotsseite 16

2.3. Marktgleichgewicht 18 Stabilität 19 Preisfixierungen 20

2.4. Komparativ Statische Analyse 21

Kontrollfragen zu Kapitel 2: Angebot und Nachfrage 25

3. THEORIE DES HAUSHALTES 27

3.1. Die Präferenzen der Konsumenten 27 Allgemeine Annahmen über die Präferenzen der Konsumenten 29 Die Nutzenfunktion 34

3.2. Die Budgetbeschränkung 36

3.3. Die Wahl des optimalen Konsumgüterbündels – das Haushaltsoptimum 40

3.4. Reaktion des Haushaltsoptimums auf Einkommens- und Preisvariationen 42 Einkommensvariationen – die Einkommens-Konsumkurve 42 Preisvariationen – die Nachfragefunktion 44 Substitutions- und Einkommenseffekt 45

3.5. Einige Anwendungsbeispiele zur Theorie des Haushaltes 49

3.6. Formale Analyse des Haushaltsoptimums ** 52

3.7. Die Konsumentenrente 54

3.8. Die Konsum- und Sparentscheidung oder Intertemporale Entscheidung 55

3.9. Das Arbeitsangebot des Konsumenten: Die Einkommens-Freizeit Entscheidung 60

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Kontrollfragen zu Kapitel 3: Theorie des Haushaltes 64

4. ENTSCHEIDUNGEN BEI UNSICHERHEIT * 67 Die Präferenzen 67 Die Risikoeinstellung 69

Kontrollfragen zu Kapitel 4: Entscheidungen bei Unsicherheit 75

5. THEORIE DER UNTERNEHMUNG 77

5.1. Die Unternehmung und ihre Technologie 78 Partielle Faktorvariation 81 Proportionale Faktorvariation 84

5.2. Produktion und Kosten 86 Langfristige Kostenminimierung 87 Kurzfristige Kostenminimierung 91 Beispiel: Kurzfristige Kosten bei einer Aluminiumerzeugung 96 Zusammenhang zwischen kurz- und langfristigen Kosten 97

5.3. Formale Analyse des Kostenminimierungsproblems ** 103

Kontrollfragen zu Kapitel 5: Theorie der Unternehmung 105

6. VOLLKOMMENE KONKURRENZ 107

6.1. Gewinnmaximierung auf einem vollkommenen Konkurrenzmarkt 108

6.2. Die Produzentenrente 114

6.3. Marktgleichgewicht 114 Veränderungen der Marktnachfrage 116 Veränderungen des Marktangebotes 119

6.4. Konkurrenzgleichgewicht und Wohlfahrtsoptimum 119 Wohlfahrtsverluste bei staatlichen Eingriffen 121

6.5. Gleichgewicht auf den Inputmärkten bei vollkommener Konkurrenz 125 Kurzfristige Analyse 125

Kontrollfragen zu Kapitel 6: Vollkommene Konkurrenz 129

7. MONOPOL UND MONOPOLISTISCHE KONKURRENZ 131

7.1. Gewinnmaximierung beim Monopol 132 Der Grenzerlös beim Monopol 135 Komparative Statik beim Monopol 137

7.2. Wohlfahrtseigenschaften des Monopols bzw. der monopolistischen Konkurrenz 138

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7.3. Natürliches Monopol 140

Kontrollfragen zu Kapitel 7: Monopol und monopolistische Konkurrenz 143

8. OLIGOPOLTHEORIE 145

Kontrollfragen zu Kapitel 8: Oligopoltheorie 147

TEIL II: MAKROÖKONOMIK 149

9. EMPIRISCHE BEOBACHTUNGEN UND MAKROÖKONOMIK 151 Sozialproduktsrechnung 151 Das Bruttoinlandsprodukt und seine Ausgabenkomponenten 154 Nominelle und reale Größen 156 Verbraucherpreisindex versus BIP-Deflator 158 Andere wichtige empirische Kenngrößen 160

Kontrollfragen zu Kapitel 9: Empirische Beobachtungen und Makroökonomik 166

10. DER GÜTERMARKT 167

10.1. Das Einkommens- Ausgabengleichgewicht 167

10.2. Die Konsumfunktion 170

10.3. Bestimmung des kurzfristigen Gleichgewichtseinkommens 173 Algebraische Lösung 174 Graphische Darstellung 175 Der Multiplikator des ausgeglichenen Budgets 178 Automatische Stabilisatoren 179 Eine alternative Sicht des Einkommens- Ausgabengleichgewichts 179 Das Sparparadoxon 180

10.4. Die Investitionsfunktion 182

10.5. Die IS-Kurve 186

Kontrollfragen zu Kapitel 10: Der Gütermarkt 190

11. DIE FINANZMÄRKTE 193

11.1. Der Geldmarkt 193 Motive für die Geldhaltung 195 Geldnachfrage und Zinssatz – die empirische Evidenz 197 Das Geldangebot 198 Gleichgewicht am Geldmarkt 199

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11.2. Die LM-Kurve 202 Exkurs: Gleichgewicht auf den Finanzmärkten mit Bankensektor * 206

Kontrollfragen zu Kapitel 11: Die Finanzmärkte 209

12. DAS IS-LM-MODELL 211

12.1. Stabilität des IS-LM-Gleichgewichts 213

12.2. Nachfrageschocks im IS-LM-Modell – Fiskalpolitik 214

12.3. Monetäre Schocks im IS-LM-Modell – Geldpolitik 217

12.4. Preisvariationen im IS-LM-Modell 222 Der Keynes-Effekt 222

Kontrollfragen zu Kapitel 12: Das IS-LM-Modell 227

STICHWORTVERZEICHNIS 229

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1. Grundlagen free download version 5

1. Grundlagen

Womit beschäftigt sich die Volkswirtschaftstheorie? Wie in den meisten anderen Wissenschaften auch wollen wir beobachtbare aber nur schwer durchschaubare Phänomene erklären. In unserem Fall sind dies wirtschaftliche Zusammenhän-ge. Sind wir der Meinung, genügend Wissen über die relevanten Abläufe zu be-sitzen und deren wechselseitige Interdependenz zu verstehen, können wir uns in weiterer Folge an die Möglichkeit von Prognosen heranwagen. Sollte sich her-ausstellen, dass diese Prognosen in den meisten Fällen mit den beobachteten Daten gut übereinstimmen1, kann sogar daran gedacht werden, unser Wissen für Eingriffe zu nützen und der Politik Empfehlungen zu geben. Dabei sollte al-lerdings zuvor geklärt werden, ob solche Eingriffe überhaupt notwendig, wün-schenswert, möglich und zielführend sind. Auch auf diese Fragen sollte uns die Volkswirtschaftstheorie zumindest teilweise Antworten geben.

Traditioneller Weise gliedert man die Volkswirtschaftstheorie in die Bereiche Mikroökonomik und Makroökonomik. Obwohl die Grenzen zwischen diesen bei-den Bereichen eher fließend sind und zunehmend fließender werden, lassen sich doch typische Untersuchungsgegenstände festmachen.

In der Mikroökonomik stehen die Entscheidungen von sog. Einzelwirtschaften – Haushalte, Firmen – im Vordergrund. Es wird die Frage untersucht, welche wirtschaftlichen Entscheidungen diese „Agenten“ in bestimmten Situationen vernünftigerweise treffen werden. In diesem Sinne ist Mikroökonomik daher Entscheidungstheorie und somit auch für betriebswirtschaftliche Probleme re-levant.

Basis dieser Untersuchungen ist das sog. Rationalprinzip oder Optimie-rungsprinzip. Dabei wird vorausgesetzt, dass die Agenten (also Haushalte und Firmen) bei ihren Entscheidungen in für sie optimaler Weise mit ihren knappen Ressourcen umgehen. Für welche Güter verwenden beispielsweise Konsumenten ihr beschränktes Einkommen? Wie schaut der optimale Angebotsplan einer Firma aus, die mit einer bestimmten Technologie produziert oder wie hoch ist der optimale Preisaufschlag einer Firma, die mit einer bestimmten Nachfrage nach ihren Gütern und bestimmten Faktorpreisen konfrontiert ist?

Dieses Rationalprinzip wird häufig völlig missverstanden und gibt vielfach An-lass zu (ungerechtfertigter) Kritik. Gemeint ist hier nicht eine Rationalität der Agenten in einem objektiven Sinne (sofern so etwas überhaupt existiert) sondern subjektive Rationalität. Es wird einfach angenommen, die Agenten verhalten sich, gegeben die ökonomischen Rahmenbedingungen (Informationsstand, Tech-nologie, Einkommen, Preise, Marktform, etc.), gemäß ihrer eigenen Vorlieben bzw. Zielvorstellungen. Wenn also ein Raucher eine starke Vorliebe für Zigaret- 1 In den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften ist nicht damit zu rechnen, perfekte Progno-sen erstellen zu können. Daher führt eine Fehlprognose nicht zur sofortigen Falsifikation ei-ner Hypothese. Bei oftmaligen Fehlprognosen (in einem statistischen Sinne) sollte allerdings über eine Revidierung der Hypothese nachgedacht bzw. diese sogar verworfen werden.

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6 free download version 1. Grundlagen

ten aufweist, so kann es in diesem Sinne durchaus rational sein, weiterhin zu rauchen, auch wenn dies längerfristig seiner Gesundheit schaden könnte. Eine Hausfrau, die täglich beim gleichen Geschäft ihre Lebensmittel besorgt (Ge-wohnheitsverhalten), kann ebenfalls rational sein, auch wenn die Lebensmittel in einem anderen Geschäft möglicherweise billiger wären. Sie hat eben eine Vor-liebe für dieses Geschäft, oder vielleicht ist es ihr einfach zu mühevoll andere Geschäfte zu Preisvergleichen aufzusuchen.

Ein möglicher Kritikpunkt wäre daher ein anderer. Ist es nicht so, dass diese Form des Optimierungsprinzips praktisch mit jeder wirtschaftlichen Handlung der Agenten kompatibel ist? Wäre dies der Fall, so hätte dieses Prinzip keinen empirischen Gehalt mehr – es würde eine Tautologie darstellen. Das Rational-prinzip wäre dann lediglich eine bestimmte Art, die Wirklichkeit zu interpretie-ren. Diesem berechtigten Einwand wird in der Mikroökonomik Rechnung getra-gen, indem man den Vorlieben der Agenten bestimmte allgemeine Restriktionen auferlegt. Diese Restriktionen legen den aus dem Rationalprinzip abgeleiteten vernünftigen Handlungsweisen bestimmte Einschränkungen auf, die zumindest prinzipiell empirisch getestet werden können.

Wenn man eine Vorstellung hat, wie sich Haushalte und Firmen in bestimmten Situationen verhalten, kann man versuchen, die Interaktionen dieser Einzel-wirtschaften zu untersuchen. Was passiert zum Beispiel, wenn die rational er-stellten Angebotspläne der Firmen mit den rational erstellten Nachfrageplänen der Haushalte auf Märkten zusammentreffen? Welche Mengen werden letztend-lich gehandelt werden? Und vor allem zu welchen Preisen? Und hier sind wir auch schon bei einem weiteren Kerngebiet der Mikroökonomik, nämlich der Preistheorie. Die Frage, was den Wert der Waren bestimmt, ist wohl über-haupt eine der ältesten in der ökonomischen Theorie. Bestimmen die Kosten (eingesetzte Arbeit) die Preise, oder sind die Vorlieben der Konsumenten für be-stimmte Güter entscheidend? Oder sind beide Faktoren wichtig? Falls ja, wel-cher ist der wichtigere? Welche Rolle spielen dabei die Marktform oder die Ei-genschaften der Güter? Fragen, Fragen, Fragen.

Die Frage nach den Bestimmungsgründen der Preise ist an sich schon ein inte-ressanter Untersuchungsgegenstand. In marktwirtschaftlich orientierten Wirt-schaftssystemen dienen die Preise aber auch als Knappheitsindikatoren und sind deshalb für das Funktionieren solcher Wirtschaftssysteme von fundamenta-ler Bedeutung. Dies hat schon Adam Smith erkannt, als er von der „unsichtba-ren Hand“ sprach, die bewirkt, dass eigennütziges und gieriges Verhalten der Unternehmer (und auch der Konsumenten) nicht zu einem wirtschaftlichen Chaos führt (zu einer Anarchie der Produktion), sondern zu einem wohlgeordne-ten (optimalen?) Zustand. Tritt z.B. irgendwo eine Knappheit von Gütern auf, so steigen deren Preise und die gewinnorientierten Unternehmer werden diese Gü-ter verstärkt produzieren da sie sich dann höhere Profite erwarten. Die Preise senden also wichtige Signale zur Koordination der gesamten Wirtschaft aus.

Weitere bedeutende Fragen, die sich daraus ergeben, lauten:

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1. Grundlagen free download version 7

• Unter welchen Umständen können Preise tatsächlich diese Koordinati-onsaufgabe in marktwirtschaftlich orientierten Wirtschaftssystemen zu-friedenstellend erfüllen?

• Was heißt überhaupt zufriedenstellend? Für wen zufriedenstellend? • Gibt es Umstände, wo der Preismechanismus versagt? • Welche Rolle spielen externe Effekte, öffentliche Güter, unvollständige

bzw. asymmetrische Information? Was können wir in solchen Fällen tun? • Zu welcher Allokation der knappen Ressourcen führt der Preismechanis-

mus? • Wie werden die Produktionsfaktoren entlohnt? • Welche Einkommensverteilung ist zu erwarten? • Können andere Wirtschaftssysteme zu einer besseren Güterversorgung

und höheren Wohlfahrt führen?

Ein wesentlicher Punkt bei der mikroökonomischen Analyse stellt allerdings der Umstand dar, dass es sich in erster Linie um eine partialanalytische Unter-suchung handelt, d.h. es wird in der Regel nur ein Markt betrachtet und die In-teraktionen zwischen verschiedenen Märken bleiben unberücksichtigt.

Dies ist ein wesentlicher Unterschied zur Makroökonomik. In der makroökonomischen Theorie stehen die Interdependenzen zwischen verschiedenen Märkten im Zentrum des Interesses.

Um diese Zusammenhänge zwischen einzelnen Märkten untersuchen zu können muss allerdings die Analyse vereinfacht werden. Dies geschieht durch die sog. Aggregation. Dabei werden Gruppen von Märkten zu einem aggregierten Markt zusammengefasst, z.B. alle verschiedenen Konsumgüter zu einem (aggre-gierten) Konsumgut.

Traditioneller Weise werden in der Makoökonomik alle Märkte zu vier aggre-gierten Märkten zusammengefasst, nämlich dem Gütermarkt, dem Arbeits-markt, dem Kapitalmarkt und dem Geldmarkt. Diese Zusammenfassung und Konzentration auf vier Märkte macht es wesentlich einfacher, die Interdepen-denzen zwischen diesen Märkten zu analysieren, anstatt die Interaktionen tau-sender Märkte zu untersuchen. Klarerweise geht durch diese Aggregation Strukturinformation verloren und es ist nie ganz auszuschließen, dass dabei nicht wesentliche Effekte bei der Analyse unberücksichtigt bleiben.

Typische makroökonomische Fragestellungen beziehen sich auf die

• langfristige Entwicklung des Outputs, der Einkommensverteilung und den Determinanten des Wachstums (Wachstumstheorie und Verteilungs-theorie)

• kurz- und mittelfristige Schwankungen des Outputs und der Beschäfti-gung (Konjunkturtheorie, Theorie der Beschäftigung, Arbeitsmarkttheo-rien)

• Entwicklung des Preisniveaus und der Inflationsrate (Inflationstheorie)

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8 free download version 1. Grundlagen

• Vor- oder Nachteile, die sich aus internationalem Handel ergeben (reale Außenwirtschaftstheorie)

• die Möglichkeiten, durch ablaufspolitische Maßnahmen – Geld- oder Fis-kalpolitik – die ökonomische Situation zu verbessern.

Das zentrale Instrument zur Analyse all dieser Fragestellungen ist dabei die Mo-dellbildung. Dies gilt nicht nur für die ökonomische Theorie, sondern auch für die meisten anderen Wissenschaften. Dabei besteht ein Modell aus einer Anzahl von (vereinfachenden) Annahmen, aus denen dann bestimmte Schlüsse bzw. Prognosen logisch abgeleitet (deduziert) werden können. Bei der logischen Ablei-tung kommt der mathematischen Formulierung von Modellen große Bedeutung zu. Ein Modell ist somit ein verkleinerter und vereinfachter Ausschnitt aus der Wirklichkeit.

Der Sinn bei der Modellbildung besteht darin, dass wir von Umständen bzw. Einflussfaktoren, von denen wir glauben, dass sie für den Untersuchungsge-genstand nicht wichtig sind, abstrahieren. Wir können auf diese Weise wesent-lich einfachere Probleme behandeln und analysieren, wobei wir hoffen, trotzdem eine relevante Antwort auf die untersuchte Fragestellung zu erhalten. Dabei er-gibt sich natürlich ein Trade-Off. Je abstrakter und einfacher das Modell, umso größer die Gefahr, dass wir einen wesentlichen Aspekt außer Acht gelassen ha-ben. Werden auf der anderen Seite zu viele Umstände im Modell berücksichtigt, laufen wir Gefahr, überhaupt zu keiner konkreten Aussage mehr zu kommen (ein mögliches Problem der Betriebswirtschaftslehre?).

Aus diesem Grund kommt der sog. Modellevaluierung eine zentrale Bedeutung bei der Erkenntnisgewinnung zu. Ein Modell ist dann sinnvoll, wenn die logi-schen Schlussfolgerungen, die aus ihm gezogen werden können, mit der Realität – den beobachtbaren Daten – kompatibel sind (in einem statistischen Sinne). Die Konfrontation eines Modells mit der „Wirklichkeit“ stellt also ein wesentli-ches Kriterium dar. Zur Überprüfung von Schlussfolgerungen der ökonomischen Theorie hat sich im Laufe der Zeit ein eigener Zweig der mathematischen Statis-tik entwickelt, nämlich die sog. Ökonometrie. Diese beschäftigt sich mit statis-tischen Schätzproblemen, die hauptsächlich bei ökonomischen Fragestellungen relevant sind. Mit Hilfe ökonometrischer Methoden können nicht nur ökonomi-sche Zusammenhänge und Modelle quantifiziert werden (was für wirtschaftpoli-tische Fragestellungen wichtig ist), sondern auch verschiedene (alternative) Theorien bzw. Hypothesen überprüft und getestet werden.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Allgemeingültigkeit des Modells. Ist das Modell nur für einen ziemlich speziellen Fall anwendbar, oder gilt es für einen weiten Bereich? Im ersteren Fall ist es meist relativ einfach, ein gutes (Progno-se-) Modell für diesen Spezialfall zu entwickeln, nur seine Anwendungsmöglich-keiten sind stark eingeschränkt (geringer empirischer Gehalt).

Unser Ziel ist es daher, möglichst allgemeingültige aber trotzdem einfache Model-le zu entwickeln (also Modelle mit möglichst scharfen Einschränkungen), die sich aber gleichzeitig in der Empirie gut bewähren. Wenn uns dies gelingt, haben wir

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1. Grundlagen free download version 9

einen nennenswerten Erkenntnisgewinn erzieht und das ist schließlich der Wunsch jeder Wissenschaft.

In den folgenden Kapiteln werden wir versuchen, solche Modelle zur Beantwor-tung der oben aufgeworfenen Fragestellungen zu entwickeln.

Einige allgemeine Bemerkungen zur Verwendung dieses Skriptums:

Klarerweise kann man in einem Skriptum nicht die Ausführlichkeit erreichen, die gute Lehrbücher auszeichnet. Ein Skriptum ist daher nie ein vollständiger Ersatz eines Lehrbuches, sondern bestenfalls eine hoffentlich nützliche Ergän-zung, um insbesondere eher theoretische Sachverhalte prägnant darzustellen.

Besonders empfehlenswerte Lehrbücher sind: PINDYCK – RUBINFRELD „Mic-roeconomics, Hal VARIAN, „Grundzüge der Mikroökonomik“ und Olivier BLAN-CHARD, „Macroeconomics“. Die beiden letzteren Bücher stellen derzeit die Referenzliteratur für die „Grundlagen der VWL“ Vorlesung für die neue Stu-dienordnung dar und können auch im 2. Studienabschnitt verwendet werden.

Bei gleichzeitigem Besuch der entsprechenden Lehrveranstaltungen des 1. Stu-dienabschnittes sollte aber dieses Skriptum im Allgemeinen ausreichend sein, die Lehrziele zu erreichen.

Ab der 4. Auflage sind bereits meine persönlichen Erfahrungen zu der „Grund-lagen der VWL“ Vorlesung für die neue Studienordnung eingeflossen. Die Erwei-terungen und Adaptionen waren daher relativ umfangreich. Insbesondere wur-den zahlreiche Beispiele, teilweise auch anspruchsvollere, aufgenommen und der Text auf bessere Übersichtlichkeit hin überarbeitet.

Gebiete, die beim ersten Durcharbeiten weggelassen werden können (für Stu-denten der Eingangsphase der neuen Studienordnung), sind gesondert mit ei-nem „*“ gekennzeichnet; für Fußnoten, die mit der Bezeichnung „Weiterfüh-rend“ beginnen gilt das gleiche.

Umrahmte Fußnoten enthalten besonders interessante Zusatzinformationen. Fortgeschrittene Fragestellungen, die ein größeres formales Verständnis verlan-gen (insbesondere für die volkswirtschaftliche Studienrichtung gedacht), sind außerdem mit „**“ gekennzeichnet.

Bei Beachtung dieser Umstände bin ich zuversichtlich, dass dieses Skriptum die Erwartungen der Leser erfüllen wird.

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10 free download version 1. Grundlagen

Kontrollfragen zu Kapitel 1: Grundlagen

1. Mit welchen Problemstellungen beschäftigt sich die Volkswirtschaftsthe-orie?

2. Was ist der Untersuchungsgegenstand der Mikroökonomik? Nennen Sie mehrere Fragestellungen, die mit Hilfe der mikroökonomischen Analyse behandelt werden?

3. Erklären Sie das Rational- bzw. Optimierungsprinzip. Wozu dient dieses? Welche Kritik kann daran geübt werden?

4. Was versteht man unter einer Tautologie, was unter einer empirisch ge-haltvollen Hypothese?

5. Was versteht man unter einem Modell? Warum werden Modelle so häufig in der Wissenschaft benutzt?

6. Welcher „Trade-Off“ ist bei der Modellbildung zu beachten?

7. Was versteht man unter Modellevaluierung? Sind Modelle mit allgemei-neren Anwendungsbereich Modellen für Spezialfälle vorzuziehen? Über-legen Sie sich Beispiele dazu.

8. Was ist der Untersuchungsgegenstand der Makroökonomik? Nennen Sie mehrere Fragestellungen.

9. Was ist der Unterschied zwischen einer partiellen und einer gesamtwirt-schaftlichen Analyse? Diskutieren Sie mögliche Vor- bzw. Nachteile.

10. Was versteht man unter Aggregation? Wozu braucht man diese? Hat die-se Methode auch Nachteile?

11. Welche Märkte werden in der Makroökonomik üblicherweise untersucht?

12. Mit welchen Problemen beschäftigt sich die Ökonometrie?

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Teil I: Mikroökonomik

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12 free download version 1. Grundlagen

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2. Angebot und Nachfrage free download version 13

2. Angebot und Nachfrage

In der Einleitung wurde auf die Wichtigkeit des Preissystems für marktwirt-schaftlich organisierte Systeme hingewiesen. Wir beginnen daher mit einer Dar-stellung des zentralen Mechanismus für die Preisbildung, nämlich dem Markt.

Ein Markt ist ein „Ort“, wo Angebot und Nachfrage nach einem bestimmten Gut zusammentreffen. Dies ist jedoch nicht unbedingt in räumlicher Hinsicht ge-meint. Wichtig ist nur, dass Anbieter und Nachfrager in Kontakt treten können, um Käufe oder Verkäufe durchzuführen. Nicht immer ganz leicht ist die Ab-grenzung eines Marktes, und zwar sowohl in Hinsicht auf geografische Gege-benheiten als auch in Hinsicht auf die Produktabgrenzung (ist beispielsweise der Markt für digitale Fotoapparate getrennt zu sehen vom Markt für nicht digita-le?).

Wir nehmen hier vorerst an, dass das Problem der Marktabgrenzung zufrieden stellend gelöst ist und es auf dem betrachteten Markt sehr viele Anbieter und Nachfrager gibt, sodass niemand einen wesentlichen Einfluss auf den Markt-preis hat. So einen Markt bezeichnet man als einen vollkommenen Konkurrenz-markt.

2.1. Nachfrageseite

Betrachten wir zuerst die Nachfrageseite. Nehmen wir an, dass die Nachfrage-seite durch eine sog. Nachfragefunktion

( , ), 0d xx x pp∂

= <∂

z , (2.1)

dargestellt werden kann wie sie in Abb. 2.1 abgebildet ist1.

Dabei wurde vorausgesetzt, dass die Marktnachfrage (genauer, die von den Haushalten geplante Nachfrage2) nach dem Gut x vom Preis des Gutes p abhän-gig ist. Außerdem spielen wahrscheinlich weitere Variable eine Rolle, wie z.B. das Einkommen, die Preise anderer Güter, Werbung für das Gut, etc. Diese Va-riablen sind im Vektor z zusammengefasst. Vorerst interessiert uns aber in ers-ter Linie die Abhängigkeit der Nachfrage vom eigenen Preis p.

1 Die Schreibweise x(p,z) in Gleichung (2.1) soll andeuten, dass die nachgefragte Menge x ei-ne Funktion vom Preis p und vom Vektor z ist. ∂ ∂x p ist somit der Anstieg der Nachfrage-funktion. Das hochgestellte „d“ bei dx steht für „demand“, also für Nachfrage. 2 Die realisierte Nachfrage kann davon abweichen, z.B. wenn das Güterangebot die geplante Nachfrage nicht befriedigen kann.

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14 free download version 2. Angebot und Nachfrage

Abb. 2. 1. Nachfragefunktion

Ein Sinken des Preises bewirkt einen Anstieg der Nachfrage nach diesem Gut. So ein negativer Zusammenhang kann für die meisten Güter beobachtet werden. Eine theoretische Begründung dafür werden wir im nächsten Kapitel, welches sich mit der Theorie des Haushaltes beschäftigt, liefern. Vorerst können wir uns einfach überlegen, dass es zu den meisten Gütern auch andere Güter gibt, die ähnliche Bedürfnisse der Konsumenten befriedigen. Steigt nun der Preis, so wird dieses Gut relativ zu den anderen weniger attraktiv für die Konsumenten und die Nachfrage geht zurück.

Die Nachfrage nach Gut x hängt aber nicht nur vom eigenen Preis ab, sondern auch von den Preisen der alternativen (ähnlichen) Güter. Auch das Einkommen der Haushalte und deren Vorlieben (Präferenzen) wird eine Rolle spielen. All diese Faktoren, die hier im Vektor z zusammengefasst wurden, wirken sich auf die Lage der Nachfragefunktion aus. So würde ein Steigen des Einkommens, o-der ein Steigen der Preise alternativer Güter bei gegebenem (konstantem) Preis des Gutes voraussichtlich zu einer höheren Nachfrage führen. Dies käme einer Rechtsverschiebung der Nachfragefunktion in unserer Abbildung gleich. Ein Sinken der erwähnten Faktoren würde demnach zu einer Linksverschiebung führen.

Elastizitäten

Neben der Lage der Nachfragefunktion spielt natürlich auch der Anstieg eine wichtige Rolle. Er gibt an, in welchem Ausmaß die Nachfrage bei einer Preisän-derung variiert. Eine steile Nachfragefunktion legt eine geringe Reaktion der Nachfrage auf Änderungen des eigenen Preises nahe, eine flache Funktion eine starke Reaktion. Da der Anstieg der Nachfragefunktion jedoch von den Maßein-heiten, in der Gütermengen und Preise gemessen werden abhängig ist, ist es vorteilhaft, ein Reagibilitätsmaß zu konstruieren, das von Maßeinheiten unab-hängig ist. Hier bietet sich sofort eine Messung „in Prozent“ an. Wir stellen also eine prozentuelle Änderung des Preises zu der sich daraus ergebenden prozen-

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2. Angebot und Nachfrage free download version 15

tuellen Änderung der Nachfrage gegenüber. Ein so definiertes Maß nennt man Elastizität, in diesem Fall die Preiselastizität der Nachfrage. Formal gilt al-so:

p

xx px

p p xp

ε

∆∆

= =∆ ∆

. (2.2)

Die Preiselastizität pε ist also die prozentuelle Mengenänderung x x∆ durch die prozentuelle Preisänderung p p∆ . Dieser Doppelbruch kann, wie in (2.2) ge-zeigt, aufgelöst werden. Für sehr (infinitesimal) kleine Preisänderungen ergibt sich:

px pp x

ε ∂=∂

. (2.3)

Diese Form bezeichnet man manchmal auch als Punktelastizität (im Unter-schied zur sog. Bogenelastizität in (2.2)). Zur Berechnung der Preiselastizität in einem bestimmten Punkt (p, x) der Nachfragefunktion benötigt man also den Anstieg x p∂ ∂ der Nachfragefunktion in diesem Punkt und multipliziert diesen mit p x (wobei die Kombination (p, x) dem Punkt auf der Nachfragefunktion entspricht).

Der Vorteil von Elastizitäten liegt generell darin, dass damit die Reagibilität von ganz unterschiedlichen Gütern verglichen werden kann (z.B. die Nachfrage von Erdgas mit der Nachfrage nach Computern).

Die Preiselastizität der Nachfrage wird aufgrund des negativen Anstieges der Nachfragefunktion ebenfalls einen negativen Wert aufweisen. Ein Wert von –2 würde zum Beispiel bedeuten, dass eine Preiserhöhung von einem Prozent zu einer Verringerung der Nachfrage um zwei Prozent führt. Ist die Preiselastizität betragsmäßig größer eins, so spricht man von einer elastischen Nachfrage. Preisänderungen führen in diesem Fall zu einer überproportionalen Mengenän-derung. Ist die Preiselastizität betragsmäßig kleiner eins, so spricht man von ei-ner unelastischen Nachfrage1.

Für den Spezialfall von linearen Nachfragefunktionen nimmt die Preiselastizität entlang der Nachfragefunktion in Richtung nach rechts unten ab. Sie dazu Ab-bildung 2.1a, wo die lineare Nachfragefunktion 1 2 8dx p= − + dargestellt ist.

1 Man beachte, dass in diesem Fall eine Preissenkung auch zu einer Reduzierung der Ausga-ben p x⋅ für dieses Gut führt, weil die positive Mengenreaktion schwächer ist als der Preis-senkungseffekt. Im Falle einer elastischen Nachfrage wäre es genau umgekehrt.

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16 free download version 2. Angebot und Nachfrage

Abb. 2. 1a. lineare Nachfragefunktion und ihre Preiselastizitäten

Bei niedrigeren Preisen und entsprechend größerer Nachfrage wird die Nachfra-ge immer unelastischer. Genau im Mittelpunkt einer linearen Nachfragefunktion liegt eine Preiselastizität von –1 vor.

Selbstverständlich können auch Elastizitäten bezüglich anderer Variablen defi-niert werden, zum Beispiel bezüglich des Einkommens y oder der Preise alterna-tiver Güter.1 Die Einkommenselastizität würde dann beispielsweise lauten:

yx yy x

ε ∂=∂

. (2.4)

Liegt eine Einkommenselastizität von größer eins vor (Einkommenselastizitäten wiesen regelmäßig ein positives Vorzeichen aufweisen), so spricht man ebenfalls von einer elastischen Nachfrage. Güter mit elastischer Einkommenselastizität bezeichnet man auch als Luxusgüter, weil ihr Anteil an den Gesamtausgaben mit steigendem Einkommen ansteigt (z.B. Kaviar, Individualverkehr). Bei Gü-tern mit einer Einkommenselastizität von kleiner eins (unelastischer Nachfrage) nimmt hingegen ihr Anteil an den Gesamtausgaben mit steigenden Einkommen ab (typisch z.B. die Nachfrage nach öffentlichen Verkehrsmitteln oder nach Kar-toffel).

2.2. Angebotsseite

Widmen wir uns nun dem Marktangebot. Angenommen, die Angebotsseite kann durch eine sog. Angebotsfunktion

( , ), 0,s xx x pp∂

= >∂

z (2.5)

1 Die Elastizität bezüglich der Preise anderer Güter nennt man Kreuzpreiselastizitäten.

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2. Angebot und Nachfrage free download version 17

dargestellt werden. Dabei steht das hochgestellte „s“ in sx für „supply“, also für Angebot. In Abb. 2.2 ist so eine Angebotsfunktion grafisch dargestellt.

Abb. 2. 2. Angebotsfunktion

Dabei wurde wieder vorausgesetzt, dass das Marktangebot (genauer, das von den Unternehmen geplante Güterangebot) des Gutes x vom Preis des Gutes p und von weiteren Variablen (z.B. Technologie, Löhnen, Preise für Rohstoffe, Steuern, etc.), die im Vektor z zusammengefasst sind, abhängig ist. Ein Anstei-gen des Preises bewirkt ein höheres Güterangebot. Solch ein positiver Zusam-menhang kann für die meisten Güter beobachtet werden. Eine theoretische Be-gründung dafür werden wir im Kapitel 6 liefern. Vorerst können wir uns einfach überlegen, dass bei einem höheren Preis und gegebenen Kosten der Gewinn pro produzierter Mengeneinheit steigt. Die Firma wird daher einen Anreiz haben, die Produktion auszuweiten.

Die Lage der Angebotsfunktion wird wiederum von den im Vektor z zusammen-gefassten Einflussfaktoren bestimmt. So würde eine Erhöhung der Löhne oder Rohstoffpreise bzw. eine „Verschlechterung“ der technologischen Möglichkeiten dazu führen, dass bei gegebenem (konstantem) Preis für das Gut die Firmen weniger anbieten. Dies käme einer Linksverschiebung der Angebotsfunktion gleich.

Wie bei der Nachfragefunktion können auch hier die verschiedensten Elastizitä-ten berechnet werde. Die Preiselastizität des Angebotes ist z.B. folgendermaßen definiert:

px pp x

η ∂=∂

. (2.6)

Diese wird regelmäßig positiv sein. Die obigen Ausführungen über elastische bzw. unelastische Mengenreaktionen sind hier in gleicher Weise anzuwenden. Selbstverständlich können auch Angebotselastizitäten bezüglich der anderen Einflussfaktoren (Löhne, etc.) definiert werden.

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18 free download version 2. Angebot und Nachfrage

2.3. Marktgleichgewicht

Generell kann man unter einem Gleichgewicht einen Zustand verstehen, wo es keine Tendenz zu einer Änderung gibt, also eine Ruheposition, die für längere Zeit aufrechterhalten werden kann.

Eine Gleichgewichtssituation auf dem von uns betrachteten Markt für das Gut x liegt daher vor, wenn sich ein Preis einstellt, der dazu führt, dass die Angebots-pläne der Firmen den Nachfrageplänen der Haushalte genau entsprechen.

Dies bezeichnet man auch als das Gleichgewichtsprinzip. Den entsprechen-den Preis nennen wir Gleichgewichtspreis. In dieser Situation können sowohl die Haushalte als auch die Firmen ihre jeweiligen Pläne verwirklichen und es hat daher auch niemand einen Anreiz, seine Pläne zu revidieren oder einen an-deren Preis zu bieten bzw. zu fordern. Der Gleichgewichtpreis kann daher für längere Zeit aufrechterhalten werden. In Abb. 2.3 ist diese Situation dargestellt.

Das Marktgleichgewicht ergibt sich als Schnittpunkt der Angebotskurve mit der Nachfragekurve. Der daraus resultierende Gleichgewichtspreis *p bewirkt, dass sich geplantes Angebot und Nachfrage genau entsprechen. Der Gleichgewichts-preis ist daher markträumend.

Abb. 2. 3. Marktgleichgewicht

Das in Abb. 2.3 dargestellte Gleichgewicht ist ein sog. partielles Marktgleich-gewicht, weil es mögliche Interdependenzen mit anderen Märkten vernachläs-sigt. Wir werden uns generell nur mit solchen partiellen Marktgleichgewichten befassen. Ein eigener Zweig der Mikroökonomik, die sog. Allgemeine Gleichge-wichtstheorie beschäftigt sich eingehend mit den Interdependenzen zwischen den einzelnen Märkten. Diese wird aber im Rahmen des Skriptums nicht be-handelt.

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2. Angebot und Nachfrage free download version 19

Stabilität

Eine sehr wichtige Frage bleibt noch offen. Angenommen der tatsächliche Preis entspricht nicht dem Gleichgewichtspreis. Gibt es dann im Zeitablauf eine Ten-denz zum Marktgleichgewicht, oder mit anderen Worten, ist das Marktgleich-gewicht stabil? Eine Antwort darauf können wir an Hand der Abb. 2.4 diskutie-ren.

Abb. 2. 4. Überschussnachfragen

Der Preis *p bezeichnet wieder den Gleichgewichtspreis. Ist der tatsächliche Preis höher als *p , so haben wir es mit einer Situation des Überschussangebo-tes zu tun, das heißt, die Firmen wollen zu diesem Preis mehr anbieten, als die Konsumenten breit sind nachzufragen. Einige Firmen werden daher in dieser Situation ihre Angebotspläne nicht verwirklichen können. Wenn sie bemerken, dass beispielsweise ihre Lagerbestände zu stark ansteigen, werden sie vielleicht versuchen, durch eine Reduzierung ihrer Verkaufspreise den Absatz zu erhöhen. Dies wird auch bei anderen Firmen zu Nachfragerückgängen führen, sodass auch diese einen Anreiz sehen ihre Preise zu senken. Diese Tendenz zu Preisre-duktionen bewirkt nun einerseits einen Anstieg der Marktnachfrage und ande-rerseits eine Reduzierung des Marktangebotes und wird sich solange fortsetzen, bis der Gleichgewichtspreis *p erreicht ist. In dieser Situation können alle Pläne verwirklicht werden.

Ist der tatsächliche Preis niedriger als *p , so haben wir es mit einer Situation der Überschussnachfrage zu tun, das heißt, die Haushalte planen zu diesem Preis mehr nachzufragen, als die Firmen bei diesem Preis bereit sind anzubie-ten. Hier kann man sich vorstellen, dass nicht zum Zug gekommene Konsumen-ten den Produzenten einen höheren Preis bieten. Die Produzenten könnten an-gesichts der starken Nachfrage versucht sein, ihre Verkaufspreise anzuheben. Beides führt zu einer Erhöhung des Preises und damit zu einer Verringerung der Überschussnachfrage. Erst beim Gleichgewichtspreis *p kommt dieser Pro-zess zum Stillstand.

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20 free download version 2. Angebot und Nachfrage

Noch schneller und reibungsloser funktioniert diese Preisanpassung, wenn der Handel des Gutes im Rahmen von Auktionen (z.B. an Börsen) stattfindet. Bei solchen Gütern ist es Aufgabe des Auktionators, die Angebots- und Nachfrage-pläne zu sammeln und einen Preis zu ermitteln, bei dem die Pläne überein-stimmen. Erst wenn dieser gefunden ist, werden die Transaktionen durchge-führt. Auf Finanzmärkten (aber auch bei verschiedenen landwirtschaftlichen Gütern oder Rohstoffen, die auf eigenen Warenbörsen gehandelt werden) ist da-her mit einer besonders schnellen Anpassung an die Gleichgewichtspreise zu rechnen.

Wir können also zusammenfassend feststellen, dass bei Ungleichgewichten eine Tendenz hin zum Marktgleichgewicht besteht. Diesen Umstand bezeichnet man manchmal als das „Gesetz von Angebot und Nachfrage“. Formal kann man dieses Gesetz folgendermaßen formulieren:

( )( ) ( ) , 0, (0) 0d sdp f x p x p f fdt

′= − > = . (2.7)

Die Preisänderung in der Zeit, dp dt , ist eine Funktion f der Überschussnach-frage ( )d sx x− . Bei positiver Überschussnachfrage steigt der Preis, bei negativer sinkt er. Ist die Überschussnachfrage gleich null, so ist Preisänderung ebenfalls null (Gleichgewichtspreis). Bei normalem Verlauf der Angebots- bzw. Nachfragefunktionen führt dieser Pro-zess immer zum Gleichgewicht1, da eine Erhöhung des Preises immer zu einer Verringerung der Überschussnachfrage führt. Unter dieser Voraussetzung weist das von uns untersuchte Marktmodell ein stabiles Gleichgewicht auf. Wenn man davon ausgeht, dass der durch (2.7) beschriebene Preisanpassungsprozess schnell genug ist, so ist es sinnvoll, in der weiteren Analyse nur noch die Gleichgewichtspreise zu betrachten. Dies stellt eine wesentliche Erleichterung der Analyse dar, da wir uns über die dynamischen Anpassungsprozesse keine Gedanken mehr machen müssen.

Preisfixierungen

An Hand von Abb. 2.4 können wir aber auch studieren, was passiert, wenn etwa durch gesetzliche Maßnahmen die Anpassung an den Gleichgewichtspreis ver-hindert wird. Nehmen wir beispielsweise an, die Behörde setze einen Mindest-preis p fest, etwa für landwirtschaftliche Güter, der über dem Gleichgewichts-preis liegt. Dies bewirkt ein Überschussangebot. Da es hier zu keiner Preisan-passung kommen kann und die Konsumenten in marktwirtschaftlichen Syste-men auch nicht gezwungen werden können von diesen Gütern mehr zu konsu-mieren, wird die gehandelte Menge bei x liegen (man sagt auch, die kürzere Marktseite – hier die Nachfrage – dominiert). Verglichen mit der Gleichge-

1 Falls überhaupt eines existiert. Es wäre durchaus möglich, dass es keinen Schnittpunkt der Angebots- und Nachfragefunktion gibt. Der Leser überlege sich, wann so eine Situation auftreten könnte.

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2. Angebot und Nachfrage free download version 21

wichtssituation werden in diesem Fall weniger landwirtschaftliche Güter abge-setzt. Es scheint klar, dass dies keine sinnvolle Politik sein kann.

Als weiteres Beispiel untersuchen wir den Fall einer Preisobergrenze. Nehmen wir an, die Regierung konstatiert eine Wohnungsknappheit und daraus resultie-rend zu hohe Mieten. Sie setzt daher Mietobergrenzen p fest, die unter der Gleichgewichtsmiete *p liegen. Dies führt zu einer Überschussnachfrage und die gehandelte Menge (Freiwilligkeit der Transaktionen wieder vorausgesetzt) liegt bei x . Wie man sieht, wird durch solch eine Politik die Wohnungsknappheit nur noch verstärkt.

Eine wesentlich ausführlichere und auch differenzierte Erörterung der Wohl-fahrteffekte staatlicher Eingriffe in Märkten erfolgt in einem späteren Ab-schnitt. Wir sollten uns aber merken, dass die beim Gleichgewichtpreis gehan-delte Menge am größten ist. Bei Nichtgleichgewichtspreisen wird die gehandelte Menge immer von der kürzeren Marktseite bestimmt. In Abb. 2.4 ist dies durch die etwas stärkere Linienführung der Nachfragefunktion für Preise > p* und der Angebotsfunktion für Preise < p* angedeutet.

2.4. Komparativ Statische Analyse

Wir sind nun an Hand dieses einfachen Marktmodells bereits in der Lage, Prog-nosen über die Auswirkungen von Änderungen in exogenen Variablen zu erstellen. Dabei stellen exogene Variable Größen dar, die vom Modell nicht er-klärt werden. In unserem Fall z.B. die Löhne, technologische Veränderungen, Steuern, das Einkommen, die Vorlieben der Haushalte, etc. Endogene Variab-le sind Größen, die vom Modell erklärt werden. In unserem Fall sind dies der Preis p und die gehandelte Menge x.

Die Vorgangsweise ist dabei folgende: Wir gehen von einem Ausgangsgleichge-wicht aus. Dann nehmen wir an, dass sich eine exogene Größe, z.B. das Ein-kommen der Haushalte verändert, und untersuchen die Konsequenzen für das Marktgleichgewicht. Anschließend vergleichen wir das alte mit dem neuen Marktgleichgewicht. Diese Untersuchungsmethode wird als komparativ stati-sche Analyse bezeichnet und stellt eines der wichtigsten Analyseinstrumente der ökonomischen Theorie dar. Sie ist allerdings nur dann gerechtfertigt, wenn wir davon ausgehen können, dass die Anpassungsprozesse uns zum Gleichge-wicht führen (also ein stabiles Gleichgewicht vorliegt) und weiters die Anpas-sung „genügend“ schnell abläuft.

In Abb. 2.5 werden die Effekte einer Verschiebung der Nachfragekurve unter-sucht. Wie wir bereits wissen, kann eine Rechtsverschiebung der Nachfrage-funktion z.B. durch ein höheres Haushaltseinkommen, durch einen Preisanstieg bei alternativen Gütern oder generell durch geänderte Präferenzen (z.B. aufgrund von Werbung) verursacht werden. In der Abb. 2.5 bezeichnet D0 die ursprüngli-che Nachfragefunktion und D1 die neue. Wie wir sehen, führt eine Erhöhung der Nachfrage sowohl zu einer Erhöhung des Preises als auch der gehandelten Men-ge.

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22 free download version 2. Angebot und Nachfrage

Die relative Stärke der Effekte (Preis- oder Mengeneffekt) hängt von den An-stiegen der Nachfrage- bzw. Angebotsfunktion ab.

Abb. 2. 5. Veränderung der Nachfrage

In Abb. 2.6 werden die Auswirkungen einer Linksverschiebung der Angebots-funktion untersucht. Dies kann beispielsweise durch höhere Löhne, höhere Roh-stoffpreise, „Verschlechterung“ der technologischen Möglichkeiten oder bei be-stimmten Steuererhöhungen eintreten. Die Linksverschiebung der Angebots-funktion von S0 auf S1 führt demnach zu einer Erhöhung des Gleichgewichts-preises und zu einer Verringerung der gehandelten Menge.

Abb. 2. 6. Veränderung des Angebotes

Auch hier hängt die relative Stärke der Effekte von den jeweiligen Anstiegen der Nachfrage- bzw. Angebotsfunktion ab. Selbstverständlich kann man auch kom-binierte Effekte von Nachfrage- und Angebotsveränderungen untersuchen.

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2. Angebot und Nachfrage free download version 23

Mit Hilfe dieses einfachen Marktmodells kann man daher bereits relativ kom-plexe Fragestellungen untersuchen. In späteren Abschnitten werden wir darauf noch ausführlich zu sprechen kommen. Hier soll zur Demonstration der Nütz-lichkeit dieses Ansatzes noch folgendes Beispiel untersucht werden:

Wir wollen untersuchen, ob eine besonders gute Kaffeeernte für die brasiliani-schen Kaffeebauern gut oder schlecht ist. Betrachten wir dazu Abbildung 2.7, wo der Weltmarkt für Kaffee grafisch dargestellt ist.

Abb. 2. 7. Auswirkungen einer guten Ernte auf den Kaffeemarkt

Mit D wird hier die Nachfragefunktion nach Kaffee bezeichnet (mit D’ eine al-ternative Nachfragefunktion) und mit 0S die Angebotsfunktion bei einer norma-len Ernte. Die Angebotsfunktion ist hier vertikal, weil nach einer Ernte das An-gebot fest steht und vom laufenden Marktpreis nicht mehr beeinflusst wird.1 Bei einer normalen Ernte ergibt sich somit der Gleichgewichtspunkt 0P mit dem Marktpreis 0p und der Menge 0x . Der Erlös (Umsatz = Preis mal Menge) 0 0p x⋅ wird daher durch das von 0p und 0x aufgespannte Rechteck repräsentiert.

Vergleichen wir nun diese Ausgangssituation mit einem Gleichgewicht bei einer besonders guten Ernte. In diesem Fall verschiebt sich das Angebot auf die Posi-tion 1S und wir gelangen zum Gleichgewichtpunkt 1P mit dem Marktpreis 1p und der gehandelten Menge von 1x . Der Erlös entspricht nun dem Rechteck

1 1p x⋅ . Dieses ist offensichtlich größer als das Rechteck 0 0p x⋅ . Daher würden in diesem Fall die Kaffeebauern von der guten Ernte profitieren (wenn wir zur Vereinfachung von konstanten Erntekosten ausgehen).

Wie würde die Sache aussehen, wenn die Nachfragefunktion nicht durch D son-dern durch die strichlierte Gerade D’ repräsentiert wird. Die Ausgangslage wäre hier die gleiche, nämlich Gleichgewichtspunkt 0P , doch nach der guten Ernte

1 Möglicherweise wird das Angebot vom Preis des Vorjahres beeinflusst: Ein sehr hoher Kaf-feepreis in der Vergangenheit kann dazu führen, dass die Bauern im größeren Ausmaß Kaf-fee anbauen.

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24 free download version 2. Angebot und Nachfrage

würde sich eine Gleichgewichtssituation bei 2P ergeben, mit dem Marktpreis 2p und der gehandelten Menge von 1x . Der Erlös wäre in diesem Fall gleich 2 1p x⋅ . Dieses Rechteck ist nun offensichtlich kleiner als das ursprüngliche Rechteck

0 0p x⋅ . Daher würden die Kaffeebauern in diesem Fall durch die gute Ernte schlechter gestellt.

Es ist klar, dass der größere Anstieg von D’ dafür verantwortlich ist. Genau ge-nommen ist es die Preiselastizität der Kaffeenachfrage, die hier relevant ist. Im ersten Fall ist die Nachfrage relativ preiselastisch (also betragsmäßig größer 1, relativ flache Nachfragefunktion). Dadurch überwiegt der positive Mengeneffekt über den negativen Preiseffekt auf den Erlös und der Erlöst steigt daher.

Im zweiten Fall ist die Nachfrage ziemlich preisunelastisch (jedenfalls betrags-mäßig kleiner 1, sehr steile Nachfragefunktion) und der negative Preiseffekt ü-berwiegt den positiven Mengeneffekt, sodass der Erlös in diesem Fall sinkt.

Mit Hilfe des Marktgleichgewichtkonzeptes und der Preiselastizität kann daher unsere Fragestellung beantwortet werden; bei einer elastischen Nachfrage profi-tieren die Kaffeebauern von einer besonders guten Ernte, bei einer unelasti-schen Nachfrage sind sie bei einer besonders guten Ernte schlechter gestellt. In diesem Fall wäre es für sie besser, Teile der Ernte zu vernichten (natürlich nur als Gemeinschaftsaktion) um das Angebot absichtlich zu verknappen. Gesamt-wirtschaftlich wäre so eine Erntevernichtung aber natürlich nicht wünschens-wert.

Anhand dieses konkreten Beispieles konnten wir sehen, dass die Theorie in der Lage ist, uns mehrere interessante Einsichten zu liefern: • Erklärung von Preisschwankungen auf Märten • Aussagen darüber, wer von diesen Preisschwankungen profitiert • Erklärung von „unverständlichen“ Phänomenen wir das Verbrennen der

Ernte • Aufzeigen von möglichen wirtschaftpolitischen Einflussnahmen

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2. Angebot und Nachfrage free download version 25

Kontrollfragen zu Kapitel 2: Angebot und Nachfrage

1. Welchen Zusammenhang bildet eine Nachfragefunktion ab? Welchen An-stieg weist diese in der Regel auf?

2. Welche Faktoren beeinflussen die Lage der Nachfragefunktion?

3. Welchen Zusammenhang bildet eine Angebotsfunktion ab? Welchen An-stieg weist diese in der Regel auf?

4. Welche Faktoren beeinflussen die Lage der Angebotsfunktion?

5. Was versteht man unter einem Marktgleichgewicht? Kann es vorkom-men, dass kein Marktgleichgewicht existiert?

6. Was versteht man unter Überschussnachfrage bzw. Überschussangebot? Wie wird der Marktpreis in der jeweiligen Situation reagieren? Wie kann man diese Reaktion begründen?

7. Was ist ein stabiles Gleichgewicht? Gibt es auch Fälle, wo der Preisan-passungsmechanismus (2.7) nicht zum Marktgleichgewicht führt?

8. Gegeben sei die Nachfragefunktion 2 7dx p= − + und die Angebotsfunktion 2 1sx p= − . Berechnen Sie den Gleichgewichtspreis und die im Gleichge-

wicht gehandelte Menge. Versuchen Sie dieses Problem auch grafisch zu lösen.

9. Für das obige Beispiel sei der Preis auf 3 bzw. auf 1 fixiert. Welche Situa-tion liegt dann jeweils vor? Welche Mengen werden gehandelt?

10. Berechnen Sie für die Nachfragefunktion aus Frage 8) die Preiselastizi-tät, wenn der Preis 2 und die Menge 3 beträgt. Führen Sie dieselbe Be-rechnung bei einem Preis von 3 bzw. von 1 durch. Was können wir daraus lernen? Auf welchen Punkt der Nachfragefunktion liegt eine Preiselastizi-tät von –1 vor?

11. Was ist der Unterschied zwischen endogenen und exogenen Variablen?

12. Beschreiben Sie die Methode der komparativen Statik. Wann ist diese Methode gerechtfertigt?

13. Wie wirken sich Nachfrageänderungen auf das Marktgleichgewicht aus?

14. Wie wirken sich Angebotsänderungen auf das Marktgleichgewicht aus?

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26 free download version 2. Angebot und Nachfrage

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3. Theorie des Haushaltes free download version 27

3. Theorie des Haushaltes

In diesem Kapitel wollen wir uns mit den wirtschaftlichen Entscheidungen der Haushalte näher beschäftigen. Insbesondere sollen im ersten Teil die theoreti-schen Grundlagen zur Analyse des Nachfrageverhaltens der Konsumenten ana-lysiert werden. Später werden wir uns auch mit der Konsum- Sparentscheidung und der Arbeitsangebot- bzw. Freizeitentscheidung beschäftigen.

Wenn wir in der Mikroökonomik von theoretischen Grundlagen sprechen meinen wir fast immer eine entscheidungstheoretische Fundierung. Wir wollen dabei z.B. untersuchen, ob die im vorherigen Abschnitt dargestellte Nachfragefunktion tat-sächlich aus einem Optimierungsverhalten der Haushalte abgeleitet werden kann.

Warum wird auf diesen Umstand so viel Wert gelegt? Nun, zum einen gibt es sehr, sehr viele Möglichkeiten, sich nicht optimal zu verhalten, oft aber nur eine optimale Möglichkeit. Wenn wir daher Entscheidungen verstehen und prognos-tizieren wollen, müssen wir ein Optimierungsverhalten unterstellen.

Zum zweiten wäre ein nicht optimierendes Verhalten der Haushalte und Firmen auch nicht plausibel. Man müsste nämlich in diesem Fall erklären, warum die Agenten durch Verzicht auf Optimierung Geld oder Vermögen quasi verschenken.

Zum Verständnis von Haushaltsentscheidungen sind drei Schritte erforderlich, die in weitrer Folge dargestellt werden: • Zuerst widmen wir uns einer allgemeinen Beschreibung der Präferenzen

der Haushalte. • Anschließend wird die Budgetbeschränkung der Haushalte diskutiert • die optimale Konsumwahl ergibt sich dann als Anwendung des Optimie-

rungs- bzw. Rationalprinzips.

3.1. Die Präferenzen der Konsumenten

Wir nehmen an, dass die Konsumenten Vorlieben – Präferenzen – bezüglich der verschiedenen Konsumgüter haben, die sich im Zeitablauf nur langsam ver-ändern. Diese Präferenzen sind rein subjektiver Natur und müssen sich nicht mit den objektiven Eigenschaften der Güter decken, obwohl die Eigenschaften der Güter, die Konsumenten diesen zuschreiben, die subjektiven Vorlieben na-türlich beeinflussen werden. Im Grunde beschäftigen wir uns aber nicht mit den Prozessen, die die Präferenzen beeinflussen bzw. verändern. Dies ist eher das Arbeitsgebiet von Soziologen und Psychologen, evt. auch von Betriebswirten, wenn es um die Effekte von Werbung geht.

Mit dieser rein subjektiven Sicht der Präferenzen laufen wir allerdings Gefahr, dass jedes beliebige Konsumverhalten immer mit irgendwelchen Präferenzen kompatibel wäre. Das Konzept der Präferenzen wäre dann völlig inhaltsleer (vgl. dazu die Diskussion des Rationalprinzips in Abschnitt 1). Wir müssen da-

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28 free download version 3. Theorie des Haushaltes

her den Präferenzen der Konsumenten bestimmte allgemeine Restriktionen auf-erlegen um dieses Problem der völligen Beliebigkeit zu vermeiden.

Bevor wir mit diesen Annahmen bezüglich der Präferenzen fortfahren, müssen noch ein paar grundlegende Definitionen erörtert werden. Im Folgenden gehen wir davon aus, dass es eine fest vorgegebene Anzahl von Gütern gibt. Diese Gü-ter können in Konsumgüterbündel zusammengefasst werden. Ein Konsumgü-terbündel ist dabei einfach ein Vektor (geordnete Liste), dessen Komponenten die Mengen der einzelnen Güter, die im Bündel enthalten sind, repräsentieren. Betrachten wir zum Beispiel ein Konsumgüterbündel x:

1

n

x

x

=

x . (3.1)

Die Komponente 1x repräsentiert dabei die Menge des Gutes 1, z.B. Brot, und nx die Menge des n-ten Gutes im Bündel x. Prinzipiell enthält das Bündel alle n

Güter, wobei aber manche ix null sein können, d.h., es müssen nicht alle Güter im Bündel mit positiven Mengen enthalten sein. Ein Bündel y unterscheidet sich schon vom Bündel x, wenn nur eine einzige Komponente einen anderen Wert annimmt (also nur ein einziges Gut in seiner Menge abweicht).

Die Menge aller möglichen Konsumgüterbündel nennen wir die Konsummenge X. Im Folgenden werden wir regelmäßig nur zwei Güter betrachten. In diesem Fall kann man die Analyse auch grafisch darstellen. Betrachten wir dazu die Abb. 3.1.

Abb. 3. 1. Konsummenge X

Hier gibt es 2 Güter, nämlich Gut 1 und 2. Die Menge des Gutes 1 wird auf der Abszisse (x-Achse), die Menge des Gutes 2 auf der Ordinate (y-Achse) aufgetra-gen. Eingezeichnet sind die beiden Konsumgüterbündel A und B. Bündel A be-steht aus 1 2( , )a ax x und Bündel B aus 1 2( , )b bx x . Die Menge aller möglichen Kon-sumgüterbündel (Konsummenge X) besteht aus der gesamten, von den Achsen

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3. Theorie des Haushaltes free download version 29

aufgespannten („positiven“) Fläche, 2+R (sofern wir annehmen, dass die Güter be-

liebig teilbar sind).

Allgemeine Annahmen über die Präferenzen der Konsumenten

Wenden wir uns wieder der Beschreibung der Präferenzen zu. Wir setzen vor-aus, dass die Präferenzen der Konsumenten folgende Eigenschaften aufweisen.

1. Vollständigkeit Der Konsument muss in der Lage sein, alle möglichen Konsumgüterbündel paarweise zu vergleichen. Konfrontiert man ihn mit zwei Bündel, A und B, so muss der Konsument immer sagen können, was ihm lieber ist (z.B. A B , wobei „ “ für besser steht), oder ob er zwischen den beiden indiffe-rent ist ( A B∼ , wobei „∼ “ für indifferent steht).

2. Transitivität-(Widerspruchsfreiheit) Gegeben drei Bündel, A, B, C. Wenn A vom Konsumenten besser als B be-wertet wird und B besser als C, so muss auch A besser als C bewertet wer-den. Formal: ∧ ⇒A B B C A C . Dasselbe gilt auch für Indifferenz:

∧A B B C∼ ∼ ⇒ A C∼ . Wenn diese Annahme verletzt ist, spricht man von zirkulären Präferenzen. Wenn beispielsweise C A gelten würde, wäre es nicht mehr möglich, eine optimale Wahl zu treffen. Egal welches Bündel gewählt wird, es gäbe immer eine bessere Alternative.

3. Stetigkeit Es gelte A B . Bündel ′A sei Bündel A sehr ähnlich (die Gütermengen in ′A unterscheiden sich nur „ganz wenig“ von denen in A). Dann muss gel-

ten: ′A B , d.h. eine „sehr“ kleine Variation in den Mengen darf eine strik-te Präferenz nicht umdrehen.

4. Nichtsättigung Ein Bündel A wird vom Konsumenten besser als B bewertet, wenn A von allen Gütern mindestens genauso viel enthält wie B, aber von mindestens einem Gut mehr.

Die ersten drei Bedingungen sind hinreichend dafür, dass wir die weitere Analy-se mit Hilfe sog. Indifferenzmengen, im Zweigüterfall mit Indifferenzkurven fortsetzen können.

Dabei ist eine Indifferenzkurve die Menge aller Konsumgüterbündel, die vom Konsumenten zu einem bestimmten Bündel als indifferent, d.h. als gleich gut an-gesehen werden.

Betrachten wir dazu Abb. 3.2. Hier ist eine Indifferenzkurve grafisch dargestellt. Ausgangspunkt sei das beliebig gewählte Bündel A. Alle Punkte auf der Kurve werden vom Konsumenten gleich hoch bewertet wie das Bündel A, so auch die Bündel B und C. Aufgrund der Nichtsättigung wissen wir, dass Bündel, die von beiden Gütern mehr (also im „Nordosten“ liegen) oder von beiden Gütern weni-ger (im „Südwesten“ liegen) enthalten, nicht auf der Indifferenzkurve liegen

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30 free download version 3. Theorie des Haushaltes

können. Die Kurve muss daher von „Nordwest“ nach „Südost“ verlaufen, also in jedem Punkt einen negativen Anstieg aufweisen.

Abb. 3. 2. Indifferenzkurve

Die bisher getätigten Annahmen (1 – 4) über die Präferenzen der Haushalte sind ziemlich unproblematisch und werden von den meisten wohl sofort als vernünf-tig akzeptiert werden. Zum Abschluss wollen wir noch eine weitere Annahme treffen, die den Präferenzen und damit dem daraus abgeleiteten Konsumverhal-ten eine deutlich stärkere Restriktion auferlegt.

5. Konvexität Die Indifferenzkurven sollen strikt konvex zum Ursprung verlaufen.

In Abb. 3.3 sind mehrere solcher konvexen Indifferenzkurven dargestellt.

Abb. 3. 3. Konvexe Indifferenzkurven

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3. Theorie des Haushaltes free download version 31

Aus den Annahmen 1-3 folgt, dass die Präferenzen durch eine Schar von Indiffe-renzkurven abgebildet werden können. Aus Annahme 4 (Nichtsättigung) folgt dass D C B A gilt.

Annahme 3 (Transitivität) impliziert schließlich, dass sich zwei Indifferenzkur-ven niemals schneiden können1.

Der konvexe Verlauf folgt aus Annahme 5. Wie kann man nun diese letzte, scheinbar willkürliche Annahme rechtfertigen? Dazu benützen wir ein sehr hilf-reiches Konzept, nämlich die sog. Grenzrate der Substitution abgekürzt MRS (engl.: Marginal Rate of Substitution, daher MRS)

Die Grenzrate der Substitution gibt an, in welchem Verhältnis der Konsument bereit ist, das Gut 2 gegen das Gut 1 einzutauschen. Sie repräsentiert daher die subjektive Tauschbereitschaft (oder auch die relative Wertschätzung) der beiden Güter. Zur Verdeutlichung sollten wir Abb. 3.4 näher betrachten.

Abb. 3. 4. Abnehmende Grenzrate der Substitution

Ausgangspunkt sei das Bündel A. Dem Konsumenten wird nun eine zusätzliche Einheit vom Gut 1 angeboten ( 1 1x∆ = ). Er ist daraufhin bereit, im Ausmaß von

2x∆ auf das Gut 2 zu verzichten und erreicht damit die Position A’ auf derselben Indifferenzkurve, d.h. er ist indifferent zwischen A und A’. Das Tauschverhält-nis beträgt daher: 2

2

1

xMRSx

∆≡ −

∆. (3.2)

1 Beweis: Es seien a und b zwei beliebige Bündel auf einer Indifferenzkurve also a b∼ . c liege auf einer anderen Indifferenzkurve, sodass c nicht indifferent zu a ist. Nehmen wir an, die beiden Kurven würden sich in Punkt b schneiden, dann würde aufgrund der Transitivi-tät gelten: ∧ ⇒c b b a c a∼ ∼ ∼ was ein Widerspruch zur Voraussetzung ist, dass c und a nicht auf der gleichen Indifferenzkurve liegen. 2 Definitionen werden im Folgenden stets mit einem " "≡ bezeichnet.

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32 free download version 3. Theorie des Haushaltes

Betrachten wir nun Situation B, wo der Konsument wesentlich besser mit Gut 1 ausgestattet ist. Auch hier wird dem Konsumenten eine zusätzliche Einheit vom Gut 1 angetragen. Er ist daraufhin bereit, im Ausmaß von 2x∆ auf das Gut 2 zu verzichten und erreicht damit die Position B’ auf derselben Indifferenzkurve. Wie wir sehen, ist in diesem Fall 2x∆ aber wesentlich kleiner als bei der Aus-gangslage A. Damit ist auch die MRS in Position B kleiner als in Position A, mit anderen Worten, die Grenzrate der Substitution nimmt mit steigender Menge an Gut 1 und geringerer Menge an Gut 2 ab.

Verbal könnte man das auch so beschreiben: Je mehr ein Konsument vom Gut 1 besitzt, umso weniger wird er bereit sein, auf das relativ knappe Gut 2 zu ver-zichten, wenn er dafür eine weitere Einheit von Gut 1 angeboten bekommt.

So betrachtet ist das „Gesetz“ von der abnehmenden Grenzrate der Substitution sehr plausibel. Es impliziert, dass Konsumenten Güterbündel mit ausgewogenen Mengen an Gütern gegenüber Bündel mit extrem ungleich verteilten Mengen vorziehen. Es sollte klar sein, dass es die Konvexität der Indifferenzkurven ist, die zu einer Abnahme der Grenzrate der Substitution führt. Damit haben wir auch eine sehr plausible Rechtfertigung von Annahme 5 gefunden.

Lassen wir in Definition (3.2) 1x∆ infinitesimal klein werden, so ergibt sich für die Grenzrate der Substitution:

2

1

dxMRSdx

≡ − . (3.3)

Die Grenzrate der Substitution ist damit gleich dem negativen Anstieg der Indif-ferenzkurve in einem bestimmten Punkt. Klarerweise nimmt dieser Anstieg be-tragsmäßig entlang einer konvexen Indifferenzkurve ab.

Insgesamt haben wir den Präferenzen der Konsumenten fünf Restriktionen auferlegt, die alle sehr allgemeiner Natur und im Grunde genommen auch plausibel sind.

Darüber hinaus sind die Präferenzen der Konsumenten aber frei. Die individuel-len Unterschiede in den Vorlieben der Konsumenten spiegeln sich dann in der Gestalt und Lage der Indifferenzkurven wider (z.B. dem Anstieg oder der Krüm-mung).

Betrachten wir dazu einige Beispiele. In Abbildung 3.5 sind die Präferenzen ei-nes Konsumenten bezüglich der Motorleistung und der Sicherheit eines Autos dargestellt. In der linken Grafik ist der Konsument bereit, für mehr Leistung auf relativ viel Sicherheit zu verzichten (steile Indifferenzkurven, hohe MRS).

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3. Theorie des Haushaltes free download version 33

Abb. 3. 5. Der Anstieg der Indifferenzkurven gibt Auskunft über die relative Wertschätzung

In der rechten Grafik ist es genau umgekehrt; Sicherheit ist dem Konsumenten hier relativ wichtiger (flache Indifferenzkurven, kleine MRS).

Im nächsten Beispiel betrachten wir die Bedeutung der Krümmung von Indiffe-renzkurven. In der linken Grafik von Abbildung 3.6 ist der Spezialfall von per-fekten Substituten dargestellt. In diesem Fall ist es dem Konsumenten völlig e-gal, ob er Butter oder Margarine konsumiert. Seine relative Wertschätzung ge-genüber diesen beiden Gütern (seine MRS) ist unabhängig davon, ob er sehr viel Butter oder sehr viel Margarine hat. Daher ist die Grenzrate der Substitution konstant und unabhängig von den Mengen → lineare Indifferenzkurven.

Abb. 3. 6. Die Krümmung der Indifferenzkurven gibt Auskunft über den Grad der Substituierbarkeit.

In der rechten Grafik ist der Spezialfall von perfekten Komplimenten dargestellt, z.B. von linken und rechten Schuhen. Klarer Weise ist der Konsum linker und rechter Schuhe nur in einem Verhältnis von 1:1 sinnvoll, wie z.B. im Punkt A der rechten Grafik. Bekommt der Konsument in dieser Situation zusätzlich ei-nen rechten Schuh, Punkt B, so bringt ihm dies nichts; er ist somit indifferent

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34 free download version 3. Theorie des Haushaltes

zwischen den Punkten A und B. Daher müssen im Falle von perfekten Kompli-menten die Indifferenzkurven rechtwinkelig verlaufen.

Im Allgemeinen werden die Indifferenzkurven aber einen konvexen Verlauf wie z.B. in Abbildung 3.4 aufweisen. Die obigen Beispiele machen aber hoffentlich klar, in welcher Weise Steigung und Krümmung der Indifferenzkurven die rela-tive Wertschätzung der Konsumenten bezüglich verschiedener Güter abbilden können.

Die Nutzenfunktion

Manchmal ist es vorteilhaft, wenn man die Präferenzen auch durch eine algebraische Funktion darstellen kann. Dies liefert uns die Nutzenfunktion. Eine Nutzenfunktion ordnet jedem Konsumgüterbündel aus der Konsummenge X eine reelle Zahl zu, einen sog. Nutzenindex U (U für Utility), und zwar in folgender Weise:

( ) , wobei

( ) ( )( ) ( )

UU UU U

→ ∈

> ⇔

= ⇔

x xx y x yx y x y∼

R (3.4)

Der Nutzenindex von Bündel x ist dann und nur dann größer als der Nutzenin-dex von Bündel y, wenn x y strikt vorgezogen wird. Sie sind gleich, wenn der Konsument indifferent zwischen x und y ist. Damit repräsentiert eine Nutzen-funktion die Präferenzen des Konsumenten. Man kann zeigen, dass bei Gelten der Annahmen 1 – 3 immer eine stetige Nutzenfunktion existiert.

Im Zweigüterfall kann man sich so eine Nutzenfunktion sehr einfach veran-schaulichen. Betrachten wir dazu wieder Abb. 3.3. Eine Nutzenfunktion

1 2( , )U U x x= ordnet nun jedem Konsumgüterbündel (z.B. den in Abb. 3.3 einge-zeichneten Bündeln A, B, C und D) einen Nutzenindex in der 3. Dimension zu. Da alle Punkte auf einer Indifferenzkurve den gleichen Nutzen stiften, liegen solche Punkte auf gleicher Höhe. Die Indifferenzkurven sind daher die „Höhen-schichtlinien“ des „Nutzengebirges“. Abb. 3.7 soll dies demonstrieren.

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3. Theorie des Haushaltes free download version 35

Abb. 3.7. Nutzenfunktion

Zu beachten ist, dass aus der Konstruktion der Nutzenfunktion folgt - vgl. Gl. (3.4) -, dass die absolute Höhe des Nutzenwertes keine inhaltliche Bedeutung hat. Es kommt lediglich auf die Rangordnung an, d.h. ob ( )U x größer oder klei-ner oder gleich ( )U y ist. Wenn man daher die Nutzenfunktion einer positiv mo-notonen (rangordnungsbewahrenden) Transformation unterwirft (z.B. die Nut-zenfunktion quadriert oder logarithmiert), so repräsentiert diese transformierte Nutzenfunktion trotzdem die gleichen Präferenzen. Man spricht daher auch von einer sog. ordinalen Nutzenmessung.1

Historisch spielte auch das Konzept des sog. Grenznutzens eine wichtige Rolle (engl.: Marginal Utility, MU). Der Grenznutzen ist die Veränderung des Nut-zens, die entsteht, wenn der Konsument eine kleine Menge eines Gutes mehr bekommt, die Mengen der anderen Güter aber konstant bleiben. Dabei wurde regelmäßig ein positiver aber abnehmender Grenznutzen postuliert, d.h. mit zu-nehmender Menge der Gutes nimmt zwar der Nutzen zu, aber die Nutzenzu-wächse nehmen ab. Dies sollte einen gewissen Grad an Sättigung darstellen.

Formal entspricht der Grenznutzen der partiellen Ableitung der Nutzenfunktion nach der Menge eines Gutes. Der Grenznutzen des Gutes 1 ist demnach:

1 11

UMU Ux∂

≡ ≡∂

. (3.5)

1 Ursprünglich wurde von den Erfindern des Nutzenkonzepts, den Ökonomen der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, eine kardinale Nutzenmessung unterstellt. Mann nahm dabei an, der Nutzen sei ähnlich wie die Temperatur oder das Gewicht auf einer Skala eindeutig messbar. Dies würde aber bedeuten, dass ein Konsument nicht nur angeben könnte, dass ihm Bündel x lieber als Bündel y ist, er müsste auch in der Lage sein anzugeben, um wie viel er Bündel x lieber hat, z.B. 2.456 mal lieber. Dies scheint aber eine ziemlich strenge An-nahme zu sein. Erst viele Jahrzehnte später wurde entdeckt, dass für die Konsumtheorie ei-ne ordinale Nutzenmessung ausreichend ist, deren zentrales Element die Grenzrate der Substitution ist. Diese ist auch bei ordinaler Nutzenmessung eindeutig.

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Dabei ist 1U lediglich eine andere, kürzere Schreibweise für die partielle Ablei-tung der Funktion nach ihrem ersten Argument.

Es gibt nun einen wichtigen Zusammenhang zwischen dem Grenznutzen und der Grenzrate der Substitution:

Die Grenzrate der Substitution ist gleich dem Verhältnis der Grenznutzen.

Zum Beweis bilden wir das totale Differential der Nutzenfunktion: 1 1 2 2dU U dx U dx= + . (3.6)

Das totale Differential einer Funktion gibt an, wie sich der Funktionswert ver-ändert, in unserem Fall U, wenn sich die Argumente der Funktion ein klein we-nig verändern, in unserem Fall die Mengen der Güter 1 und 2. Es ist daher gleich der Variationen der Argumente 1dx bzw. 2dx mal den jeweiligen Anstie-gen (den partiellen Ableitungen, das sind in unserem Fall die Grenznutzen U1 und U2).

Wir möchten jetzt nur Variationen der Mengen 1 2 und x x entlang einer Indiffe-renzkurve zulassen. Wie wir wissen, bleibt der Nutzen entlang einer Indiffe-renzkurve konstant. Wir setzen daher dU in Gl. (3.6) gleich null:

1 1 2 2

2 1

1 20

0

.dU

U dx U dx

dx UMRSdx U

=

= +

⇒ ≡ − = (3.7)

Intuitiv könnten wir nun auch das „Gesetz“ der abnehmenden Grenzrate der Substitution mit Hilfe der Grenznutzen interpretieren. Setzen wir fallende Grenznutzen für beide Güter voraus, so führt eine Vermehrung des Gutes 1 zu einer Art Sättigung. Mit zunehmenden x1 und abnehmenden x2 wird daher die Tauschbereitschaft des Konsumenten (Gut 2 gegen Gut 1) abnehmen.

3.2. Die Budgetbeschränkung

Nach der Analyse der Präferenzen des Konsumenten widmen wir uns nun der sog. Budgetbeschränkung. Dabei nehmen wir an, der Konsument habe ein be-stimmtes Einkommen y für Konsumzwecke vorgesehen1. Wir können uns das so vorstellen, dass der Konsument seine relevanten Entscheidungen mehrstufig durchführt.

• In der ersten Stufe wird entschieden, wie viel Arbeit angeboten bzw. Freizeit konsumiert wird. Diese Entscheidung legt das Einkommen m (für Money) fest.

• Anschließend wird darüber entschieden, was in der laufenden Periode kon-sumiert bzw. gespart wird. Diese Entscheidung legt das oben erwähnte, für

1 Wichtiger Hinweis: Im Buch von Varian wird das Einkommen nicht mit y sondern mit m bezeichnet. Da dies völlig unüblich ist bleiben wir hier beim allgemein üblichen Symbol y.

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Konsumzwecke vorgesehene Einkommen y fest. Sowohl die Arbeits-Freizeit Entscheidung als auch die Konsum-Sparentscheidung werden wir in späte-ren Abschnitten noch genauer untersuchen.

• In der letzten Stufe, und diese interessiert uns hier, wird über die Zusam-mensetzung des Konsumgüterbündels, also die Konsumstruktur entschie-den1.

Wir bezeichnen die Preise der Güter mit 1p , ..., np . Die Ausgaben für das i-te Gut sind daher Preis mal Menge, also i ip x . Die Budgetbeschränkung lautet da-her:

1

n

i ii

y p x=

= ∑ , (3.8)

oder für den Zweigüterfall: 1 1 2 2y p x p x= + . (3.9)

Diese Budgetgleichung lässt sich sehr einfach in einem 1 2( , )x x -Diagramm dar-stellen. Zuvor ist es aber sinnvoll (3.9) noch ein wenig umzuformen:

12 1

2 2

p yx xp p

= − + . (3.10)

Dies ist eine Geradengleichung in den Variablen 1x und 2x und wird deshalb als Budgetgerade bezeichnete.

Ihr Anstieg ist 1 2p p− , das Preisverhältnis. Das sind die relativen Kosten einer weiteren Einheit von Gut 1 gemessen in Einheiten von Gut 2. Kostet z.B. Gut1 20€ und Gut 2 10€ so muss man für eine Einheit des Gutes 1 zwei Einheiten des Gutes 2 aufgeben. Das Preisverhältnis ist daher: 1 2p p− = 20/10 = 2.

Der Abschnitt auf der Ordinate ist 2y p . Dies entspricht der Menge des Gutes 2, wenn dass gesamte Einkommen y ausschließlich für Gut 2 aufgewendet wird.

Den Abschnitt auf der Abszisse kann man berechnen, indem wir 2x null setzen und nach 1x auflösen. Es ergibt sich somit 1y p . Dies entspricht der Menge des Gutes 1, wenn dass gesamte Einkommen y ausschließlich für Gut 1 aufgewendet wird.

Betrachten wir nun dazu Abb. 3.8. wo die Budgetgerade (3.10) dargestellt ist.

1 Weiterführend: Diese Mehrstufigkeit der Entscheidungen kann optimal sein. Sie erfor-dert aber eine bestimmte Struktur der Präferenzen, nämlich eine sog. separierbare Nutzen-funktion. Insbesondere muss gelten, dass die gewählte optimale Freizeit und das optimale Sparen von der Konsumstruktur unabhängig sind. Eine Nutzenfunktion der Form

1 2( , ) ( ) ( )U f x x g F h A= + + würde dieser Anforderung entsprechen, wobei F für Freizeit und A für das Vermögen steht.

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Abb. 3. 8. Budgetmenge

Die Punkte (Konsumgüterbündel) auf der Budgetgerade stellen alle Mengen der Güter eins und zwei dar, die mit dem Einkommen y gerade noch gekauft werden können. Alle Bündel unterhalb der Budgetgeraden – die graue Fläche – kann sich der Konsument ebenfalls leisten, werden aber nicht gewählt werden, da in diesem Fall noch Einkommen übrig bleiben würde. Punkte oberhalb der Bud-getgerade wären zwar recht nett sind aber leider mit dem Einkommen y nicht erreichbar.

Die Menge der Konsumgüterbündel, die sich der Konsument prinzipiell mit y leisten kann – die graue Fläche einschließlich der Budgetgeraden – wird Bud-getmenge genannt. Klarer Weise hängt die Lage der Budgetgeraden und damit die Budgetmenge sowohl vom Einkommen y als auch von den Preisen 1p und 2p ab.

Wir werden nun die Auswirkungen von Einkommens- und Preisänderungen auf die Lage der Budgetgeraden untersuchen.

Der Effekt einer Einkommenserhöhung auf die Budgetgerade ist in Abb. 3.9 dargestellt. Eine Einkommenserhöhung verschiebt die Budgetgerade parallel nach außen – der Anstieg der Budgetgeraden, 1 2p p− , bleibt unverändert. Die Budgetmenge wird dadurch natürlich größer, weil sich der Konsument nun mehr leisten kann. Eine Senkung des Einkommens verschiebt die Budgetgerade parallel nach innen.

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Abb. 3. 9. Einkommenserhöhung

Nun zu den Preiseffekten. In Abb. 3.10 ist der Effekt für die Lage der Budgetge-rade durch eine Senkung des Preises für Gut 1 dargestellt.

Eine Preissenkung bei Gut 1 bewirkt eine Drehung der Budgetgerade nach au-ßen und zwar um den Punkt 2y p (sowohl 2p als auch y bleiben unverändert). Da 1p nun geringer ist, ist auch der Anstieg der Gerade betragsmäßig kleiner, d.h. die Gerade ist flacher. Außerdem ist zu beachten, dass durch diese Preis-senkung auch die Budgetmenge größer geworden ist – durch die Preissenkung ist nämlich das Realeinkommen angestiegen.

Eine Erhöhung von 1p führt zu einer Drehung nach innen um den Punkt 2y p und Veränderungen in 2p führen ebenfalls zu entsprechenden Drehungen der Budgetgerade, in diesen Fällen allerdings um den Punkt 1y p .

Abb. 3. 10. Preissenkung von Gut eins

Zum Abschluss soll noch geklärt werden was passiert, wenn alle Preise und das Einkommen im selben Ausmaß steigen oder fallen. Die Antwort darauf ist sehr

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einfach – die Budgetgerade verändert sich nicht! Der Beweis dafür ist trivial. Mann muss lediglich alle Preise und das Einkommen in Gl. (3.10) mit einem Faktor k multiplizieren. Wie man sofort erkennt, lässt sich k kürzen und die Gleichung (3.10) bleibt unverändert. Auf der inhaltlichen Ebene ist dieses Resul-tat ebenfalls einleuchtend. Wenn sich alle Preise und das Einkommen im selben Ausmaß verändern bleibt sowohl das Preisverhältnis als auch das Realeinkom-men konstant und daher muss auch die Budgetmenge unverändert bleiben.

3.3. Die Wahl des optimalen Konsumgüterbündels – das Haushaltsoptimum

In den vorangegangen Abschnitten beschrieben wir auf allgemeine Art die Vor-lieben der Konsumenten und anschließend die Budgetbeschränkung. Für die Wahl des optimalen Konsumgüterbündels muss nun lediglich das Rationalprin-zip angewendet werden. Eine Konkretisierung dieses Prinzips würde lauten:

Wähle von allen möglichen Konsumgüterbündel jenes, das dir am liebsten ist und das mit dem Einkommen y erreichbar ist.

Die Lösung dieser Optimierungsaufgabe ist an Hand von Abb. 3.11 dargestellt.

Die Präferenzen des Konsumenten sind durch eine Schar von Indifferenzkurven repräsentiert, von denen drei hier eingezeichnet sind. Außerdem ist die Budgetgerade des Konsumenten eingezeichnet. Aufgrund der Nichtsättigung wissen wir, dass die optimale Konsumgüterwahl auf der Budgetgerade liegen muss. Bündel 3P scheidet aus, da es mit dem Einkommen y nicht erreichbar ist.

Abb. 3. 11. Optimales Konsumgüterbündel

Wir müssen auf der Budgetgerade daher jenes Bündel finden, dass auf der höchsten Indifferenzkurve liegt. Bündel 2P liegt auf der Budgetgerade und ist damit prinzipiell möglich, aber Bündel 1P liegt auf einer höheren Indifferenz-kurve und wird daher vom Konsumenten vorgezogen. Damit ist klar, dass Punkt

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1P die optimale Wahl darstellt. 1P liegt auf der höchst möglichen Indifferenz-kurve. Die optimalen Mengen der Güter 1 und 2 sind daher * *

1 2 und x x .

Der optimale Punkt 1P - das Haushaltsoptimum - lässt sich auch allgemein charakterisieren. Punkt 1P liegt dort, wo die höchst mögliche Indifferenzkurve die Budgetgerade berührt.

Der Anstieg der Budgetgerade muss daher im Optimum gleich dem Anstieg der Indifferenzkurve sein.

Wie wir aus (3.3) wissen, ist der negative Anstieg der Indifferenzkurve gleich der Grenzrate der Substitution. Aus Gl. (3.10) wissen wir, dass der negative An-stieg der Budgetgerade gleich dem Preisverhältnis 1 2p p ist. Das optimale Kon-sumgüterbündel ist daher durch folgende Bedingung charakterisiert:

1

2

pMRSp

= . (3.11)

Die Grenzrate der Substitution stellt die subjektive Tauschbereitschaft des Kon-sumenten dar, das Preisverhältnis die objektiven Tauschmöglichkeiten am Markt. Im Haushaltsoptimum müssen die beiden Tauschraten einander entspre-chen.

Die objektiven Tauschmöglichkeiten am Markt können auch als Opportuni-tätskosten des Konsums von Gut 1 betrachtet werden. Um mehr von Gut 1 zu konsumieren, muss der Konsument auf Gut 2 im Verhältnis 1 2p p− , dem Anstieg der Budgetgeraden, verzichten. Diese Einschränkung des Konsums von Gut 2 sind die echten ökonomischen Kosten eines zusätzlichen Konsums von Gut 1. Diese ökonomischen Kosten müssen im Haushaltsoptimum der subjektiven Tauschbereitschaft genau entsprechen.

Nehmen wir einmal an, obige Bedingung wäre nicht erfüllt. Die MRS betrage zwei, d.h. der Konsument wäre bereit zwei Einheit von Gut 2 gegen eine Einheit von Gut 1 einzutauschen. Weiters betrage das Preisverhältnis 1, d.h. am Markt kann man die Güter 1:1 tauschen. Diese Situation würde etwa dem Punkt 2P in Abbildung 3.11 entsprechen. Der Konsument kann sich daher durch Tausch ei-ner Einheit von Gut 2 gegen eine Einheit des Gutes 1 offensichtlich besser stel-len. Diese Situation kann somit kein Haushaltsoptimum sein.

Die Optimalitätsbedingung (3.11) lässt sich auch noch anders interpretieren. Aus Gl. (3.7) wissen wir, dass die Grenzrate der Substitution dem Verhältnis der Grenznutzen entspricht. Bedingung (3.11) lässt sich daher auch so schreiben:

1 1

2 2

U pU p

= . (3.12)

Eine einfache Umformung liefert:

1 2

1 2

U Up p

= . (3.13)

Dabei entspricht 11 p der Menge von Gut 1, die man mit einem Euro bekommt. 1 1U p ist daher der zusätzliche Nutzen, den man mit einem Euro erreichen

kann falls damit Gut 1 gekauft wird. Äquivalentes gilt für 2 2U p . Bedingung

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(3.13) verlangt daher, dass es im Haushaltsoptimum egal sein muss, welches Gut mit einem zusätzlichen Euro gekauft wird. Wäre dies nicht der Fall, könnte sich der Konsument durch Umschichtung seines Warenkorbes sofort besser stellen.

3.4. Reaktion des Haushaltsoptimums auf Einkommens- und Preisvariationen

Wir wollen nun die optimale Reaktion des Konsumenten auf Einkommens- und Preisvariationen analysieren. Dabei werden wir uns Nachfragefunktionen bzw. Ein-kommens-Konsumkurven aus Optimierungsverhalten der Konsumenten herleiten.

Einkommensvariationen – die Einkommens-Konsumkurve

Beginnen wir mit dem Einkommen. Wie reagiert der Konsument, wenn sein Einkommen y steigt? Welche Konsequenzen hat dies für die nachgefragten Kon-sumgüter? Abb. 3.12. versucht darauf eine Antwort zu geben.

Abb. 3. 12. Effekt einer Einkommenserhöhung: Engelkurve

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Die Ausgangslage ist hier Punkt P1 im oberen Teil der Grafik mit den optimalen Mengen * *

1 2 und x x . Durch eine Einkommenserhöhung von 0y auf 1y verschiebt sich die Budgetgerade parallel nach außen. Das neue Haushaltsoptimum liegt nun bei Bündel P2. Durch die Erhöhung des Einkommens steigt im Allgemeinen die Nachfrage nach beiden Gütern. Den Zusammenhang zwischen Einkommen und nachgefragter Gütermenge kann man im unteren Teil der Grafik ablesen.

Dort wurden die Punkte P1 und P2 in ein Einkommens-Konsum-Diagramm über-tragen. Steigendes Einkommen von 0y auf 1y führt gemäß dem oberen Teil der Grafik zu einer höheren geplanten Nachfrage nach Gut 1. Diesen Einkommens-Konsumzusammenhang nennt man Engelkurve oder auch einfach Einkom-mens-Konsumkurve. Güter mit dieser Eigenschaft (positiver Anstieg der En-gelkurve) nennt man normale Güter.

Es sollte unmittelbar einsichtig sein, dass die Lage der Engelkurve insbesondere von den Preisen abhängig ist (bei einem anderen Preisverhältnis 1 2p p würden die Haushaltsoptima P1 und P2 an anderer Stelle liegen).

Dass eine Erhöhung des Einkommens nicht immer zu einer höheren Güternach-frage nach einem bestimmten Gut führen muss, zeigt Abb. 3.13.

Abb. 3. 13. Inferiores Gut

Auch hier kommt es zu einer Steigerung des Einkommens mit entsprechender Rechtsverschiebung der Budgetgeraden, doch liegt das neue Optimum P2 nun so, dass von Gut 1 weniger nachgefragt wird. Güter mit dieser Eigenschaft nennt man Inferiore Güter. Als Beispiele für solche Güter werden oft verschiedene billige Grundnahrungsmittel genannt, z.B. Mais. Steigt das Einkommen ärme-rer Haushalte, so können sich die Leute hochwertigere Lebensmittel leisten und die Nachfrage nach Mais geht zurück. Für solche Güter hätte die in Abb. 3.12 eingezeichnete Engelkurve einen negativen Anstieg.

Es sollte angemerkt werden, dass nichts in unseren Annahmen 1 - 5 diesen Fall ausschließt. Optisch erkennt man so einen Fall meist daran, dass die Indiffe-

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renzkurven auf der einen Seite eng aneinander kleben, während sie in Richtung der anderen Achse weit auseinander liegen.

Preisvariationen – die Nachfragefunktion

Jetzt soll untersucht werden, wie der Konsument auf Veränderungen der Güter-preise reagiert. In Abb. 3.14 ist der Effekt einer Preissenkung für Gut 1 darge-stellt. Die Ausgangslage ist wieder Punkt P1 im oberen Teil der Grafik mit den optimalen Mengen * *

1 2 und x x . Eine Preissenkung von Gut 1 von 01p auf 1

1p dreht die Budgetgerade nach außen und das neue Haushaltsgleichgewicht liegt bei P2. Dabei hat sich die nachgefragte Menge nach Gut 1 deutlich erhöht.

Abb. 3. 14. Effekt einer Preissenkung von Gut 1: Nachfragefunktion

Den daraus folgenden Zusammenhang zwischen Preis von Gut 1 und nachge-fragter Gütermenge kann man im unteren Teil der Grafik ablesen wobei die Op-timalpunkte P1 und P2 in ein Preis- Nachfrage-Diagramm übernommen wurden.

Ein sinkender Preis des Gutes 1 von 01p auf 1

1p führt gemäß dem oberen Teil der Grafik zu einer höheren geplanten Nachfrage nach Gut 1. Diesen, im Allgemei-

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nen negativen Zusammenhang zwischen Güterpreis und geplanter Güternach-frage nennt man Nachfragefunktion und ist in der Grafik mit dx bezeichnet.

Auch hier ist wiederum klar, dass die Lage der Nachfragefunktion insbesondere vom Einkommen abhängt (bei einem anderen Einkommen y aber auch bei einem anderen Preis des zweiten Gutes würden die Haushaltsoptima P1 und P2 an an-derer Stelle liegen).

Wenn man die Nachfragefunktion über alle Konsumenten horizontal aggregiert (d.h. für jeden Preis wird die geplante Nachfrage aller Konsumenten aufsum-miert), erhält man die schon aus Abschnitt 2 bekannte aggregierte Nachfra-gefunktion D (Marktnachfrage). Der Unterschied besteht aber darin, dass wir in Kapitel 2 nur eine relativ vage Vorstellung hatten, wovon die geplante Güter-nachfrage abhängen könnte, während wir nun die Güternachfrage aus einem Op-timierungskalkül der Haushalte abgeleitet haben.

Abb. 3.14 gibt uns auch über die sog. Kreuzpreiseffekte Auskunft. Die Preissen-kung bei Gut 1 führt im oberen Teil von Abb. 3.14 nicht nur zu einer Erhöhung der geplanten Nachfrage nach Gut 1, sondern auch zu einer geringfügigen Erhö-hung der Nachfrage nach Gut 2. Man erkennt aber auch, dass dieser Kreuz-preiseffekt von der Lage der Indifferenzkurven abhängig ist. Der Berührungs-punkt der Indifferenzkurve an der neuen Budgetgeraden könnte genauso deut-lich über Punkt P2 liegen, aber auch deutlich darunter. Im letzteren Fall würde eine Preissenkunkung bei Gut 1 zu einer Verringerung der Nachfrage bei Gut 2 führen.

Wenn eine Preissenkung von Gut 1 zu einer Verringerung der Nachfrage nach Gut 2 führt (positive Kreuzpreiselastizität), so nennt man die beiden Güter sub-stituierbare Güter (z.B. Butter und Margarine). Wenn eine Preissenkung bei Gut 1 zu einer Erhöhung der Nachfrage nach Gut 2 führt (negative Kreuzpreis-elastizität), so nennt man die beiden Güter komplementäre Güter (z.B. Ben-zin und Autos).

Grundsätzlich soll noch festgestellt werden, dass Nachfragefunktion und Engel-kurve im Grunde genommen denselben Umstand abbilden, nämlich die optimale Reaktion des Konsumenten auf Preis- und Einkommensvariationen,

*1 2( , , )ix x p p y= , (3.14)

wobei bei der Engelkurve das Einkommen variiert und die Preise konstant gehalten werden, und bei der Nachfragefunktion der „eigene“ Preis variieret wird und die anderen Preise und das Einkommen konstant gehalten werden.

Substitutions- und Einkommenseffekt

Der in Abb. 3.14 dargestellte Effekt einer Veränderung der Preise hat zwei Ur-sachen. Zum Einen wird z.B. bei einer Verringerung des Preises des Gutes 1 das Preisverhältnis 1 2p p (Anstieg der Budgetgeraden) verändert, d.h. Gut 1 wird relativ zu Gut 2 billiger – die Opportunitätskosten des Konsums einer zusätzli-chen Einheit von Gut 1 sind dann niedriger. Aus diesem Grund werden Konsu-

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menten verstärkt Gut 1 nachfragen. Diesen Umstand nennt man den Substitu-tionseffekt. Genauer: Der Substitutionseffekt zeigt uns die Reaktion der Nach-frage aufgrund einer Veränderung der relativen Preise bei konstantem Realeinkommen.

Gleichzeitig bewirkt aber eine Preissenkung eine Erhöhung des Realeinkom-mens. Dies ist daran zu erkennen, dass sich die Budgetgerade nach außen dreht und sich damit die Budgetmenge vergrößert (vgl. dazu auch Abb. 3.10). Bei hö-heren Realeinkommen ist aber ebenfalls mit einer Erhöhung der Güternachfra-ge zu rechnen, falls es sich um ein normales Gut handelt. Diesen Effekt nennt man Einkommenseffekt. Genauer: Der Einkommenseffekt zeigt uns die Reakti-on der Nachfrage aufgrund einer Veränderung des Realeinkommens bei konstan-ten Preisen.

Abb. 3.15 versucht die Trennung des Gesamteffektes in diese zwei Teileffekte darzustellen.

Abb. 3. 15. Einkommens- und Substitutionseffekt

Die Ausgangslage ist wieder Punkt P1 mit der Menge *1x . Die Bewegung von

Punkt P1 nach Punkt P2 gibt den Gesamteffekt einer Preissenkung von Gut 1 wieder (die Punkte P1 und P2 entsprechen den jeweiligen Punkten in Abb. 3.13.). Uns interessieren jetzt insbesondere die Effekte auf die nachgefragte Menge von Gut 1.

Da der Substitutionseffekt die Reaktion der Nachfrage aufgrund einer Verände-rung der relativen Preise bei konstantem Realeinkommen repräsentiert, können wir diesen grafisch ermitteln, indem man eine Parallele der neuen Budgetgera-den auf die alte Indifferenzkurve legt (strichlierte Linie). Der Anstieg der neuen Budgetgeraden entspricht nämlich dem neuen Preisverhältnis, und die alte In-differenzkurve kann als Richtmaß für ein konstantes Realeinkommen gesehen werden. Man kann sich das so vorstellen, dass wir nach der Preissenkung bei

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Gut 1 dem Konsumenten gedanklich so viel an Einkommen wegnehmen, sodass er gerade wieder sein altes Nutzenniveau erreichen kann. Dies interpretieren wir als konstantes Realeinkommen. Als neuer Berührungspunkt ergibt sich nun der Punkt Ps. Die Mengenänderung bei Gut 1 von Punkt P1 zu Punkt Ps reprä-sentiert den Substitutionseffekt.

Im nächsten Schritt geben wir dem Konsumenten das vorher gedanklich wegge-nommene Einkommen wieder, d.h. die Budgetgerade verschiebt sich von der ge-strichelte Position parallel wieder auf die Lage der neuen Budgetgeraden. Da dabei das Preisverhältnis (Anstieg) konstant bleibt und nur das Einkommen va-riiert, repräsentiert die Mengenänderung bei Gut 1 von Punkt Ps zu Punkt P2 den Einkommenseffekt.

Was die Richtung der beiden Effekte betrifft, so ist das Vorzeichen des Substitu-tionseffektes immer eindeutig. Aufgrund der Konvexität der Indifferenzkurven führen Preissenkungen bei konstant gehaltenem Realeinkommen immer zu Nachfrageerhöhungen beim selben Gut (das relativ billigere Produkt ersetzt das relativ teurere).

Die Richtung des Einkommenseffektes ist nicht eindeutig. Im Normalfall ist der Einkommenseffekt positiv, d.h. höheres Einkommen → höhere Nachfrage. Wie wir aber bereits aus der Diskussion der Engelkurve wissen, führen bei inferioren Gütern Einkommenserhöhungen zu einer Verringerung der Nachfrage bei die-sem Gut.

Die Stärke des Substitutionseffekts hängt von der Krümmung der Indifferenz-kurven ab. Je weniger die Indifferenzkurven gekrümmt sind, umso stärker ist der Substitutionseffekt. Bei stark gekrümmten (eckigen) Indifferenzkurven ist er nur schwach.

Die Stärke des Einkommenseffekts hängt neben den Präferenzen (Gestalt der In-differenzkurven) auch maßgeblich davon ab, welchen Anteil das betreffende Gut, bei dem es eine Preisveränderung gab, an den Gesamtausgaben des Konsumen-ten hat. Eine Preissenkung bei Erbsen wird nur zu einer geringen Erhöhung des Realeinkommens führen, auch wenn die Preissenkung substantiell ist. Eine Preissenkung bei den Mieten kann aber einen erheblichen Einkommenseffekt auslösen, da die Mieten bei den meisten Konsumenten einen beträchtlichen Teil ihrer Gesamtausgaben ausmachen.

Im Allgemeinen wird jedoch stets angenommen, dass die Substitutions- die Ein-kommenseffekte überwiegen. Eine wichtige Ausnahme stellt das sog. Giffen-Paradoxon dar. Dieses Paradoxon liegt vor, wenn eine Preissenkung zu einer Verringerung der Nachfrage führt. Das der Substitutionseffekt immer in die „richtige“ Richtung wirkt, kann nur der Einkommenseffekt dafür verantwortlich sein. In Abb. 3.16 ist so ein Fall für Gut eins dargestellt.

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Abb. 3. 16. Giffen-Paradoxon

Ausgangslage ist wieder Punkt P1 mit der Menge *1x . Wir untersuchen nochmals

die Auswirkungen einer Preissenkung bei Gut 1. Die Budgetgerade dreht sich abermals nach außen und das neue Haushaltsgleichgewicht liegt bei Bündel P2. Wie man erkennen kann, ist nun die geplante Nachfrage von Gut eins geringfü-gig geringer als in der Ausgangslage. Es liegt also das Giffen-Paradoxon vor. Gut 1 ist daher ein sog. Giffen-Gut.

Eine Analyse der Teileffekte zeigt, dass der Substitutionseffekt von Punkt P1 zu Punkt Ps in die normale Richtung weist (geringerer Preis → höhere Nachfrage), was keine große Überraschung ist, da wir bereits wissen, dass Substitutionsef-fekte immer in diese Richtung wirken. Der Einkommenseffekt (Ps nach P2) wirkt jedoch in die „verkehrte“ Richtung (höheres Realeinkommen → geringere Nach-frage). Ein Giffen-Gut ist daher auf jeden Fall ein inferiores Gut. Das besondere daran ist allerdings, dass dieser verkehrte Einkommenseffekt den Substituti-onseffekt überwiegt. Das Giffen-Paradoxon kann daher nur bei besonders „stark inferioren“ Gütern auftreten. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass das inferiore Gut einen großen Anteil an den Gesamtausgaben des Konsumenten hat, z.B. die Ausgaben für Kartoffel oder Mais eines sehr armen Haushaltes.

Aus der obigen Analyse kann folgende Schlussfolgerung gezogen werden, die man auch als das „Gesetz der Nachfrage“ bezeichnetet:

Wenn die Nachfrage nach einem Gut aufgrund einer Einkommenserhöhung steigt, dann muss die Nachfrage bei einer Preissenkung ebenfalls steigen.

Dieses Gesetz der Nachfrage ist eine von mehreren Implikationen unserer Kon-sumtheorie, die empirisch getestet werden können. Auf andere empirisch testba-re Prognosen der Theorie des Haushaltes, wie z.B. der Symmetrie von Kreuz-preissubstitutionseffekten wollen wir hier nicht näher eingehen.

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3.5. Einige Anwendungsbeispiele zur Theorie des Haushaltes

Mit der Theorie des Haushalts lassen sich nicht nur Nachfragefunktionen ablei-ten. Anhand zweier Beispiele soll gezeigt werden, dass die Theoire auch für pra-xisnähere Fragestellungen verwendet werden kann.

Nehmen wir für das erste Beispiel an, dass der Staat zusätzliche Einnahmequel-len benötigt. Zur Wahl steht die Einführung einer Tabaksteuer oder eine allge-meine Erhöhung der Einkommensteuer. Welche dieser Steuerarten ist für die Konsumenten besser, wenn beide Steuerarten den gleichen Ertrag liefern.

Betrachten wir dazu Abbildung 3.17. In der Ausgangslage liegt das Haushalts-optimum bei Bündel 1P mit der optimalen Menge *

1x für den Tabakkonsum und der optimalen Menge *

2x für den Konsum aller übrigen Güter. Wie nehmen an, dass alle Konsumenten gleich und somit alle Raucher sind.

Der Staat führt nun eine Tabaksteuer Tt ein. Diese wird einfach auf den Ziga-rettenpreis als fixer Betrag aufgeschlagen, sodass der Preis für Tabak nun

1 Tp t+ beträgt. Da die Preise für andere Güter konstant bleiben, dreht sich die Budgetgerade entlang der Abszisse (wo der Tabakkonsum aufgetragen ist) nach innen. In der Abbildung 3.17 wird dies durch die strichlierte Budgetgerade dar-gestellt.

Abb. 3. 17. Einkommensteuer versus Tabaksteuer

Das neue Haushaltsgleichgewicht liegt bei Punkt 2P mit einem niedrigeren Ta-bakkonsum. Auch der Konsum von anderen Gütern geht in diesem Beispiel auf-grund des Einkommenseffekt zurück (dies muss aber nicht so sein).

Vergleichen wir nun diese Situation mit einer allgemeinen Einkommensteuer-erhöhung. Durch diese wird die ursprüngliche (durchgezogene) Budgetgerade parallel nach innen verschoben. Wir erhalten somit die strich-punktierte Bud-getgerade. Die Einkommensteuer wird so bemessen, dass sie genau den gleichen

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Ertrag wie die Tabaksteuer aufweist. Dies ist dann der Fall, wenn das Konsum-güterbündel 2P auf der neuen strich-punktierten Budgetgerade liegt. In diesem Fall kann sich der Konsument das Bündel 2P , dass bei der Tabakbesteuerung gewählt worden wäre, auch nach der Einkommensteuererhöhung gerade noch leisten.1

Im Allgemeinen wird der Konsument aber jetzt nicht mehr 2P wählen, sondern Bündel 3P . Da dieses auf einer höheren Indifferenzkurve liegt, sind die Konsu-menten bei einer Einkommensteuererhöhung besser gestellt als bei einer Ein-führung der Tabaksteuer, obwohl beide Steuerarten so bemessen wurden, dass sie den gleichen Steuerertrag aufweisen!

Dies ist ein ziemlich allgemeingültiges Resultat. Einkommenssteuern sind für Konsumenten generell besser als Verbraussteuern, weil im ersteren Fall die Konsumenten eine größere Entscheidungsfreiheit haben. Will die Regierung a-ber durch die Tabaksteuer nicht nur mehr Einnahmen erzielen, sondern auch einen Lenkungseffekt (weniger Tabakkonsum), so wäre die Tabaksteuer besser, da sie zu einer wesentlich deutlicheren Reduzierung des Tabakkonsums führt (vergleiche die Punkte 2P und 3P in Abbildung 3.17). Dies stellt allerdings auch einen Eingriff in die Konsumentensouveränität dar.

Eine sehr ähnliche Analyse würde sich ergeben, wenn wir etwa den Effekt einer staatlich finanzierten Pensionistenbegünstigung für öffentliche Verkehrsmittel untersuchen. Auch hier wäre eine direkte Förderung der Pensionisten mit Geld besser als eine gleich teure Subventionierung der Fahrpreise für Pensionisten. Die entsprechende Grafik wäre jener in Abbildung 3.17 sehr ähnlich, es würde dort lediglich zu einem nach außen Drehen der Budgetgerade im Falle der Sub-ventionierung kommen, und zu einer Parallelverschiebung nach außen im Falle einer direkten Geldzuwendung. Auch in diesem Fall würde die direkte Geldzu-wendung die Entscheidungsfreiheit der Pensionisten erhöhen.

Als letztes Beispiel wollen wir den Effekt einer Unterstützung von Armen mit-tels Lebensmittelmarken untersuchen und mit einer gleich teuren direkten Geldzuwendung vergleichen. Betrachten wir dazu Abbildung 3.18.

1 Weiterführend: Zum Beweis, dass in diesem Fall die Steuererträge wirklich gleich hoch sind, vergleichen wir einfach die Budgetbeschränkungen in beiden Fällen. Im Fall der Ta-baksteuer lautet die Budgetbeschränkung 1 1 2 2( )Tp t x p x y+ + = . Im Falle der Einkommens-teuer 1 1 2 2 Ep x p x y T+ = − , wobei mit ET der Ertrag der Einkommensteuer bezeichnet wird. Da nun die Ausgaben im ersten Fall gleich den Ausgaben plus Einkommenssteuer im zweiten Fall sind (Bruttoeinkommen sind unverändert) folgt:

1 1 2 2 1 1 2 2 1( )T E T Ep t x p x p x p x T t x T+ + = + + ⇒ = . Der Ertrag der Tabaksteuer 1Tt x ist somit gleich hoch wie die Einkommensbesteuerung ET .

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3. Theorie des Haushaltes free download version 51

Abb. 3. 18. Unterstützung durch Lebensmittelmarken oder einer Direktzuwendung

In der Ausgangslage liegt das Haushaltsoptimum bei Bündel 1P mit der optima-len Menge *

1x für Lebensmittel und der optimalen Menge *2x für den Konsum al-

ler übrigen Güter.

Nun werden Lebensmittelmarken für einen bestimmten Betrag S ausgegeben, die zum kostenlosen Erwerb von Lebensmittel verwendet werden können. Die Budgetgerade weist dadurch nun einen Knick auf. Die maximale Menge von an-deren Gütern, die sich der Konsument leisten kann, ändert sich dadurch nicht, sie bleibt bei 2y p . Die maximale Menge an Lebensmittel wird allerdings um dem Betrag S erhöht, sie steigt daher von 1y p auf 1y p S+ . Die Budgetgerade verläuft daher zuerst horizontal (die ersten S Einheiten von Lebensmittel sind umsonst) und dann mit normalen Anstieg (Preisverhältnis) nach rechts unten.

Der Konsument wählt nun das Bündel 2P . Das besondere daran ist, dass es sich hier nun um eine sog. Ecklösung handelt, wo die üblichen Optimalitätsbedin-gungen nicht gelten.

Vergleichen wir nun die Situation mit einer gleich teuren direkten Geldzuwen-dung. In diesem Fall würde sich die Budgetgerade wie üblich einfach parallel nach außen verschieben. Es gilt daher die Budgetgerade einschließlich des strichlierten Teils. Der Konsument würde nun Bündel 3P wählen, was auf einer höheren Indifferenzkurve liegt. Somit wäre in diesem Fall dem Konsumenten die direkte Geldzuwendung lieber. Die Ursache ist wieder die selbe wie im obi-gen Beispiel; eine höhere Wahlfreiheit.

Würde der Punkt 2P am fallenden, durchgezogenen Teil der Budgetgeraden lie-gen (also keine Ecklösung vorliegen), so wäre es dem Konsumenten egal, ob er die Zuwendung als Lebensmittelmarken bekommt oder direkt als Geld; er würde in beiden Fällen 2P wählen.

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52 free download version 3. Theorie des Haushaltes

3.6. Formale Analyse des Haushaltsoptimums **

Das Maximierungsproblem des Konsumenten lautet:

1 21 2,

max ( , )x x

U x x , (3.15)

unter der Nebenbedingung: 1 1 2 2p x p x y+ = . Bildung der Lagrangefunktion (Zielfunktion minus λ mal der Nebenbedingung in implizi-ter Form) liefert: 1 2 1 1 2 2( , ) ( )L U x x p x p x yλ= − + − . (3.16) Die Bedingungen 1.Ordnung erhalten wir durch Bildung der partiellen Ableitungen der Lagrangefunktion und Nullsetzen:

1 11

0L U px

λ∂

= − =∂

,

2 22

0L U px

λ∂

= − =∂

, (3.17)

1 1 2 2 0L p x p x yλ∂

= + − =∂

.

Division der ersten durch die zweite Gleichung liefert:

1 1

2 2

p U MRSp U

= = . (3.18)

Dies ist völlig identisch zu den Optimalitätsbedingungen (3.12) bzw.(3.13). Demnach muss das Preisverhältnis (Anstieg der Budgetgeraden) gleich dem Verhältnis der Grenznutzen sein (Grenzrate der Substitution), d.h. die objektive Tauschmöglichkeit muss gleich der sub-jektiven Tauschbereitschaft sein. Man kann zeigen, dass die Bedingungen 2. Ordnung immer erfüllt sind, wenn bei Nichtsät-tigung die Indifferenzkurven strikt konvex sind (eine quasikonkave Nutzenfunktion vor-liegt). Interessant ist, dass der Lagrangemultiplikator λ eine wichtige Interpretation aufweist, nämlich als Grenznutzen des Geldes (oder Einkommens). Setzen wir die optimale Kon-sumwahl in die Nutzenfunktion ein, so erhält man die sog. indirekte Nutzenfunktion:

( )* *1 1 2 2 1 2 1 2( , , ), ( , , ) ( , , )U x p p y x p p y V p p y= . (3.19)

Differentiation nach y ergibt:

1 2 1 21 2 1 2

V x x x xU U p py y y y y

λ λ∂ ∂ ∂ ∂ ∂ = + = + = ∂ ∂ ∂ ∂ ∂

. (3.20)

Dabei wurde berücksichtigt, dass gemäß der Bedingungen 1. Ordnung i iU pλ= gilt. Der Term in der Klammer ist schließlich gleich eins, was man durch Differenzieren der Budget-bedingung nachweisen kann:

( ) 1 21 1 2 2 1 2 1x xp x p x y p p

y y y y∂ ∂ ∂ ∂

+ = ⇒ + =∂ ∂ ∂ ∂

. (3.21)

Ganz allgemein geben die Lagrangemultiplikatoren an, wie sich die Zielfunktion verändert, wenn die Nebenbedingungen „ein klein wenig“ gelockert werden. Der Umstand, dass λ dem Grenznutzen des Geldes entspricht, kann für eine weitere interes-sante Interpretation verwendet werden. Die Bedingungen (3.17) können zu

, 1,2ii

U p iλ

= = (3.22)

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3. Theorie des Haushaltes free download version 53

umgeformt werden. Dabei ist der Term iU λ gleich dem Verhältnis der Grenznutzen des Gutes i und des Grenznutzen des Geldes, λ, also gleich der Grenzrate der Substitution zwi-schen Gut i und Geld und entspricht damit der marginalen Zahlungsbereitschaft für das Gut i (Tauschbereitschaft zwischen Gut i und Geld) bzw. dem Vorbehaltspreis. Im Opti-mum wird daher der Konsum für Gut i solange ausgedehnt, bis gemäß (3.22) die marginale Zahlungsbereitschaft für das Gut dem jeweiligen Preis entspricht. Die Punkte auf einer Nachfragefunktion entsprechen daher den marginalen Zahlungsbereitschaften bei einer be-stimmten Menge ix . Diese Interpretation der Nachfragefunktion ist für wohlfahrtstheoreti-sche Überlegungen wichtig, wie wir sie insbesondere im Kapitel 6 anstellen werden.

Wir wollen nun ein Beispiel für eine konkrete Nutzenfunktion rechnen. Es sei 1 2U x x= . Die Bedingungen 1. Ordnung lauten dann:

2 11

0L x px

λ∂

= + =∂

,

1 22

0L x px

λ∂

= + =∂

,

1 1 2 2 0L p x p x yλ∂

= + − =∂

.

Division der ersten durch die zweite Bedingung führt zu:

12 1

2

px xp

= .

Einsetzen in die Budgetbedingung (3. Bedingung) liefert:

11 1 2 1

2

pp x p x yp

+ = .

Lösen nach x1 ergibt schließlich:

*1

12yxp

= .

Neuerliches Einsetzen in die Budgetbedingung liefert die Lösung für x2:

*2

22yxp

=

Diese Gleichungen repräsentieren die optimale Konsumwahl des Konsumenten in Abhän-gigkeit von Preisen und Einkommen. Für fixes Einkommen stellen sie die Nachfragefunkti-onen, für fixe Preise die Einkommens-Konsumkurven dar. Zu beachten ist, dass in diesem Bespiel die Nachfrage nach den Gütern 1 und 2 nur vom eigenen und nicht von den Preisen des jeweils anderen Gutes abhängig ist, d.h. die Kreuzpreiseffekte sind null. Diese Eigen-schaft hängt natürlich von der besonderen Gestalt der verwendeten Nutzenfunktion ab. Die Preiselastizität von x1 berechnet sich wie folgt:

1 1 1 12

1 1 1 1 1

1 12

x p y p xp x p x x

∂= − = − = − ∂

.

Man beachte, dass dabei für 12

yp

wieder x1 eingesetzt wurde.

Für die Einkommenselastizität erhält man:

1 1 1

1 1 1 1

1 12

x y y xy x p x x

∂= = = ∂

.

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54 free download version 3. Theorie des Haushaltes

3.7. Die Konsumentenrente

Ein interessanter Aspekt, der insbesondere zur Beurteilung von wohlfahrtstheo-retischen Aspekten eine große Rolle spielt ist die sog. Konsumentenrente. Die-se ist ein Maß für den Vorteil, den Konsumenten aus einem einheitlichen Preis für das Gut ziehen. Etwas genauer: Es ist die Differenz aus dem maximalen Preis, den ein Konsument bereit wäre, für eine bestimmte Menge des Gutes zu zahlen, und dem tatsächlich bezahlten Preis.

Betrachten wir dazu Abb. 3.19. Hier ist eine übliche Nachfragefunktion für das Gut 1 dargestellt. Beim Preis 2

1p wäre der Konsument bereit, die Menge 21x von

Gut eins nachzufragen. Beim Preis 11p die Menge 1

1x und beim Preis 01p die

Menge 01x .

Angenommen, der Marktpreis betrage nun 01p . Der Konsument fragt also die

Menge 01x nach. Für die Mengen 2

1x und 11x und für alle übrigen auch, wäre der

Konsument aber bereit gewesen, deutlich mehr zu zahlen. Er profitiert daher davon, dass er die gesamte Menge 0

1x zu einem einheitlichen Preis kaufen kann. „Summiert“ man alle diese Vorteile, die sich bei den jeweiligen Mengen ergeben auf, so erhält man ein Maß für den Nettowohlfahrtsgewinn, den der Konsument aus dem Kauf der Menge 0

1x zum Preis von 01p ziehen kann. Dies entspricht aber

der dunkelgrauen Fläche unter der Nachfragefunktion bis zum tatsächlich ge-zahlten Preis 0

1p . Das Interessante an diesem Maß ist, dass es sich in Geldein-heiten ausdrücken lässt, obwohl das Nutzenkonzept seiner Natur nach ordinal ist.

Abb. 3. 19. Konsumentenrente

Würde der Marktpreis von 01p auf 1

1p steigen, so wäre der Nettowohlfahrtsge-winn, den er aus dem Kauf von Gut 1 schöpfen könnte, deutlich geringer, da dann die Konsumentenrente nur noch die Fläche unter der Nachfragefunktion bis zum Preis 1

1p wäre.

Eine alternative Argumentation wäre folgende: Der zu einer bestimmten Menge gehörige Preis auf einer Nachfragefunktion gibt die marginale Zahlungsbereit-

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3. Theorie des Haushaltes free download version 55

schaft des Konsumenten an. Bei diesem Preis ist er genau indifferent zwischen einer weiteren Einheit und dem Preis. Man nennt diesen Preis daher auch Vor-behaltspreis oder marginale Zahlungsbereitschaft. Da dies für jeden Punkt auf der Nachfragefunktion gilt, gibt die Fläche unter der Nachfragekurve bis zur Abszisse den Maximalbetrag an, den der Konsument für eine bestimmte Menge des Gutes gerade noch bezahlen würde. Dies bezeichnet man als Bruttorente. Für die Menge 0

1x wäre dies die Summe aus der dunkelgrauen und hellgrauen Fläche. Die tatsächliche Aufwendung für die Menge 0

1x ist aber 0 01 1p x⋅ , was ge-

nau dem hellgrauen Rechteck entspricht. Der Nettowohlfahrtgewinn des Kon-sumenten, den er aus dem Umstand schöpft, dass er für die gesamte Menge 0

1x lediglich den Preis 0

1p zahlen muss ist daher die Differenz aus der Bruttorente und seinen Ausgaben, also die dunkelgraue Fläche, seine sog. Nettorente. Diese Nettorente entspricht daher der Konsumentenrente.

3.8. Die Konsum- und Sparentscheidung oder Intertemporale Entscheidung

Bei der Bestimmung des optimalen Konsumgüterbündels sind wir bis jetzt von einem „für Konsumzwecke vorgesehenen Einkommen“ ausgegangen. Dies wurde damit begründet, dass die Konsum- und Sparentscheidung der Bestimmung des optimalen Warenbündels vorgelagert ist. Jetzt wollen wir uns mit diesem Opti-mierungsproblem auseinandersetzen.

Um die Analyse so einfach wie möglich zu halten, betrachten wir nur zwei Peri-oden. In der Periode eins verdient der Konsument das Einkommen 1m und kon-sumiert 1c Konsumgüter, in der Periode zwei entsprechend 2m und 2c . Die Men-gen 1c und 2c sind dabei als mit Preisen bewertete Konsumgüterbündel zu in-terpretieren. Sie entsprechen daher den geplanten Konsumausgaben für die je-weilige Periode und sind somit identisch zu dem in den vorhergehenden Ab-schnitten vorausgesetzten „für Konsumzwecke vorgesehenen Einkommen“ y.

Die entsprechende Budgetbeschränkung des Konsumenten lautet:

2 21 1(1 ) (1 )

c mc mr r

+ = ++ +

. (3.23)

Die Summe der Konsumausgaben in den beiden Perioden muss gleich der Sum-me der Einkommen sein, wobei sowohl das Einkommen als auch die Konsumaus-gaben der Periode zwei mit dem Zinssatz r abgezinst werden.

Diese Form der Budgetbeschränkung setzt voraus, dass die Konsumenten in beliebiger Weise ihr Vermögen von der einen in die andere Periode transformieren können. Von Periode eins nach Periode zwei in Form von Sparen, von Periode zwei in die Periode eins in Form von Kreditaufnahme. Für beide Transaktionen ist der Zinssatz r relevant. Am Ende der Periode sollen aber weder Schulden noch angespartes Vermögen bestehen bleiben.

Budgetbeschränkung (3.23) kann nach 2c aufgelöst werden:

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56 free download version 3. Theorie des Haushaltes

2 1 1 2(1 ) (1 )c r c m r m= − + + + + . (3.24)

Dies ist eine Geradengleichung in 2c und 1c und kann daher in einem entsprechenden Diagramm dargestellt werden was in Abb. 3.20 der Fall ist:

Abb. 3.20. Intertemporale Budgetbeschränkung

Auf der Abszisse ist der Konsum in der Periode eins aufgetragen, auf der Ordi-nate der Konsum der Periode zwei.

• Nimmt der Konsument in Periode eins keinen Kredit auf und spart auch nicht, so betragen seine Konsumausgaben in der Periode eins genau 1m und in der Periode zwei genau 2m , (die jeweiligen Einkommen – Erst-ausstattungspunkt).

• Nimmt der Konsument in Periode eins den maximal möglichen Kredit auf, 2 (1 )m r+ , das ist die Summe, die mit dem Einkommen der Periode zwei gerade noch zurückgezahlt werden kann, so beträgt sein Konsum in der ersten Periode 1 2 (1 )m m r+ + – das ist der Gegenwartswert des Ein-kommensstroms – und in der zweiten Periode null.

• Spart hingegen der Konsument sein ganzes Einkommen in der Periode eins, so beträgt sein Konsum in Periode eins null und in Periode zwei gleich 2 1 (1 )m m r+ ⋅ + , (die Summe der beiden Einkommen plus Zinser-träge).

Zwischen diesen Extremen sind alle Varianten möglich. Die Budgetgerade in Abb. 3.20. stellt all diese Möglichkeiten dar. Zu beachten ist, dass der Anstieg der Budgetgeraden (1 )r− + beträgt. Dies entspricht wieder den Opportunitäts-kosten eines Mehrkonsums von einer Einheit in Periode 1 zu Lasten von Kon-sum in Periode 2.

In Abb. 3.21 sind die Veränderungen der Budgetgeraden dargestellt, wenn sich der Zinssatz erhöht. Ein höherer Zinssatz führt zu einem größeren Anstieg der Budgetgeraden und damit zu einer Drehung um den Erstausstattungspunkt

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1 2( , )m m . Dadurch werden die Konsummöglichkeiten bei Kreditaufnahme in Pe-riode eins geringer und bei Sparen in Periode zwei günstiger.

Abb. 3.21. Intertemporale Budgetbeschränkung bei einer Zinssatzerhöhung

Widmen wir uns nun den Präferenzen des Konsumenten. Wir nehmen hier ganz einfach an, dass der Konsum in den Perioden eins und zwei einen bestimmten Nutzen stiftet und dass der Gesamtnutzen die Summe dieser beiden ist, wobei aber noch berücksichtigt wird, dass den Konsumenten der Konsum „heute“ typi-scher Weise lieber ist als der Konsum „morgen“.

1 2 1 21( , ) ( ) ( )

(1 )U c c u c u c

ρ= +

+. (3.25)

Gleichung (3.25) zeigt so eine Nutzenfunktion, wobei ρ die sog. Zeitpräferenzra-te repräsentiert. Je höher ρ , desto lieber ist dem Konsumenten der Konsum heute im Vergleich zu morgen. Bei einer Zeitpräferenzrate von null wäre es dem Konsumenten egal, wann der Konsum anfällt.

Auch die Indifferenzkurven dieser Nutzenfunktionen können in einem 1 2( , )c c -Diagramm eingezeichnet werden. Der Anstieg der Indifferenzkurven ist wieder gleich der (intertemporalen) Grenzrate der Substitution. Das totale Differential von (3.25) ergibt:

1 1 2 210 ( ) ( )

(1 )dU u c dc u c dc

ρ′ ′= = +

+, (3.26)

2 1

1 2

( )(1 )( )

dc u cMRSdc u c

ρ′

⇒ ≡ − = +′

. (3.27)

Wenn 1 2c c= , also entlang einer 450-Geraden, beträgt der Anstieg der Indiffe-renzkurven (1 )ρ− + . In Abb. 3.22 ist so eine Indifferenzkurve gemeinsam mit der Budgetgeraden (3.24) dargestellt. Die Konvexität der Indifferenzkurven imp-liziert, dass der Konsumenten lieber in beiden Perioden einen „Durchschnitts-konsum“ hat, als heute sehr viel und morgen nichts oder umgekehrt.

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58 free download version 3. Theorie des Haushaltes

Abb. 3.22. Optimale Konsum- und Sparentscheidung

Der optimale Punkt wird hier mit P bezeichnet. Er liegt dort, wo die höchstmög-liche Indifferenzkurve die Budgetgerade berührt. Die Anstiege müssen daher im Berührungspunkt übereinstimmen:

1

2

( )(1 ) (1 )( )

u cMRS ru c

ρ′

= + = +′

. (3.28)

In Abb. 3.22 ist die Budgetgerade flacher als die Indifferenzkurve entlang der 450-Geraden gezeichnet. Daraus folgt, dass (1 ) (1 )r ρ+ < + , d.h. der Zinssatz ist kleiner als die Zeitpräferenzrate des Konsumenten. Demzufolge liegt auch der optimale Punkt P unterhalb der 450-Geraden, d.h. der Konsument konsumiert in der ersten Periode mehr als in der zweiten. Da im unserem Fall, mit gleichver-teiltem Einkommen, die optimale Konsummenge in der Periode eins größer ist als das Einkommen der Periode eins, kommt es zu einer Kreditaufnahme in Hö-he von *

1 1( )c m− . Daher ist auch der optimale Konsum in Periode zwei kleiner als das Einkommen in Periode zwei.

Die Kreditaufnahme ist in diesem Fall deshalb optimal, weil die Zeitpräferenz-rate des Konsumenten höher als der Zinssatz ist.

Wäre r gleich ρ (steilere Budgetgerade), so läge der optimale Punkt genau auf der 450-Geraden, und die konsumierten Mengen wären in beiden Perioden gleich.

Wäre r > ρ (noch steilere Budgetgerade), so läge der optimale Punkt P oberhalb der 450-Geraden, und der Konsum in Periode zwei wäre größer als in Periode eins. In unserem Beispiel mit gleich großem Einkommen in beiden Perioden, würde das ein positives Sparen implizieren.

Somit geht aus unserer Analyse klar hervor, dass das Verhältnis von Zeitpräfe-renzrate und Zinssatz entscheidend für die intertemporale Verteilung der Kon-sumausgaben ist. Ein höherer Zinssatz führt in der Regel zu einem geringeren Konsum in der heutigen Periode und zu einem höheren in der zukünftigen Peri-

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3. Theorie des Haushaltes free download version 59

ode, da das Sparen in diesem Fall attraktiver und die Kreditaufnahme teurer wird.

Dies muss aber nicht immer so sein, da auch hier ein Einkommenseffekt relevant sein kann, der in die entgegengesetzte Richtung wirkt. Ein höherer Zinssatz kann nämlich das Gesamtvermögen vergrößern wenn das Einkommen in der Pe-riode eins hoch ist und damit höher als der optimale Konsum in Periode 1. In diesem Fall wird *

1 1( )m c− gespart. Der Konsument ist somit in einer Gläubiger-position. In diesem Fall wäre es möglich, dass bei einem Zinsanstieg der Kon-sum in der Periode eins sogar ansteigt. Siehe dazu Abbildung 3.23

Abb. 3. 23. Optimale Konsum- und Sparentscheidung in Gläubigerposition

Es lässt sich noch eine weitere interessante Schlussfolgerung aus Abb. 3.22 zie-hen. Angenommen, das Einkommen wäre in den beiden Perioden extrem un-gleich verteilt, sodass z.B. das gesamte Einkommen in der Periode eins anfallen würde und das Einkommen in Periode zwei null betragen würde. Wenn der Barwert des Vermögens (Summe des abgezinsten Einkommens) unverändert bliebe, würde sich dadurch die Budgetgerade nicht verändern, und somit auch nicht die optimale intertemporale Aufteilung des Konsums. Mit anderen Worten, die Konsumenten würden die Einkommensunterschiede durch Sparen oder Kre-ditaufnahme glätten um die Konsumniveaus in den einzelnen Perioden aufrecht zu halten.

Wenn beispielsweise r ρ= , so wäre der Konsum in Periode eins immer gleich dem Konsum in Periode zwei, ganz egal wie das Einkommen auf die einzelnen Perioden verteilt ist. Für eine intuitive Erklärung dieses glättenden Verhalten kann mit abnehmenden Grenznutzen argumentiert werden: Bei abnehmenden Grenznutzen ist der Nutzenverlust durch Minderkonsum in einer Periode größer als der Nutzengewinn eines gleich großen Mehrkonsums in einer anderen Perio-de. Ein konstantes Konsumniveau ist daher besser als ein im Zeitablauf stark schwankendes.

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Dieser Umstand ist vor allem für die makroökonomische Konsumtheorie von Bedeutung, da sich demnach kurzfristige Einkommensschwankungen nur ge-ringfügig auf das gesamtwirtschaftliche Konsumniveau auswirken (permanente Einkommenshypothese).

3.9. Das Arbeitsangebot des Konsumenten: Die Einkommens-Freizeit Entscheidung

Als weiteres Anwendungsbeispiel unseres Instrumentariums soll nun die Kon-sum-Freizeit Entscheidung und damit das geplante Arbeitsangebot des Kon-sumenten analysiert werden. Diese Entscheidung stellt gewissermaßen die erste Stufe der Entscheidungsstruktur dar. Bei der vorangegangen Analyse der inter-temporalen Aufteilung des Konsums und damit des geplanten Sparens oder der geplanten Kreditaufnahme, sind wir von gegebenem Einkommen in den jeweili-gen Perioden ausgegangen. Nun soll untersucht werden, wie auch dieses Ein-kommen vom Konsumenten in optimaler Weise bestimmt werden kann.

Um die Analyse wieder so einfach wie möglich zu halten, gehen wir von einem Arbeitnehmerhaushalt aus, der ausschließlich Lohneinkommen bezieht. Außer-dem sei dieser Arbeitnehmer am Arbeitsmarkt nicht rationiert, das heißt, er rechnet damit, sein geplantes Arbeitsangebot auch absetzen zu können.

Der Arbeitnehmer habe folgende Nutzenfunktion: ( , )U U C R= (3.29)

wobei C dem Konsum entspricht und R die Freizeit (Ruhezeit) darstellt. Sowohl der Konsum als auch die Freizeit sollen einen positiven Grenznutzen aufweisen.

Der Arbeitnehmer sieht sich zwei Beschränkungen gegenüber. Zum einen einer Zeitbeschränkung. Das maximale Ausmaß an Freizeit sei R (z.B. 24 Stunden). Die Freizeit ist daher gleich R abzüglich der Arbeitszeit l also:

R R l= − (3.30)

Die zweite Beschränkung ist die Budgetbeschränkung, die hier die einfache Form C w l= ⋅ (3.31)

aufweist, d.h. der Konsum bzw. das Einkommen ist gleich der Arbeitszeit mal dem Reallohnsatz w. Berücksichtigt man (3.30), so ergibt sich:

C w R w R= − ⋅ + ⋅ (3.32)

Der Haushalt steht damit vor folgendem Dilemma: Einerseits will er viel Frei-zeit genießen, andererseits viel Konsum bzw. Einkommen. Allerdings, je mehr Freizeit, umso weniger Arbeitszeit und damit Einkommen und Konsum. Der Konsument wird daher jene Kombination von Konsum und Freizeit wählen, die seinen Nutzen unter Berücksichtigung der beiden Beschränkungen maximiert.

In Abb. 3.24 ist die Lösung dieses Optimierungsproblems grafisch dargestellt.

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Dabei ist die Budgetbeschränkung in der Form von Gl. (3.32) eingezeichnet. Die-se hat den Anstieg –w, den Opportunitätskosten der Freizeit R. Der Abschnitt auf der Abszisse ist klarerweise R (das maximale Ausmaß an Freizeit) und der Abschnitt auf der Ordinate ist gleich w R⋅ (maximales Einkommen bzw. Kon-sum, wenn keine Freizeit konsumiert wird).

Abb. 3. 24. Einkommens-Freizeitentscheidung

Der Berührungspunkt mit der höchst möglichen Indifferenzkurve (wir setzen wieder deren Konvexität voraus) liefert uns den optimalen Punkt P mit den da-zugehörigen Mengen *C und *R . Das Ausmaß des Arbeitsangebotes ergibt sich dann aus der Differenz * *l R R= − .

Wir wollen nun der Frage nachgehen, wie das geplante Arbeitsangebot auf eine Erhöhung des Reallohnes reagiert. Häufig wird in der makroökonomischen The-orie ein positiver Zusammenhang zwischen Reallohn und Arbeitsangebot unter-stellt, also eine Arbeitsangebotsfunktion mit positivem Anstieg wie in Abb. 3.25 dargestellt. Es soll nun untersucht werden, ob diese Annahme gerechtfer-tigt ist, d.h. mit einem mikroökonomischen Entscheidungsmodell untermauert werden kann.

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Abb. 3. 25. Arbeitsangebotsfunktion

Zu diesem Zweck gehen wir von der in Abb. 3.24 durchgeführten Analyse aus und untersuchen, wie sich eine Veränderung des Reallohns auf die optimale Einkommens-Freizeit Entscheidung des Konsumenten auswirkt. Dieser Fall ist in Abb. 3.26 dargestellt.

Abb. 3.26. Reaktion des Arbeitsangebotes auf eine Reallohnerhöhung

Punkt P1 stelle die Ausgangslage dar. Eine Erhöhung des Lohnes bewirkt eine Drehung der Budgetgeraden nach außen um den Punkt R . Der neue Optimal-punkt liegt nun bei P2. Auffallend ist, dass es hier zu keiner Veränderung des gewählten Freizeitniveaus und damit des Arbeitsangebotes kommt. Dies ist na-türlich willkürlich so gezeichnet, genauso gut könnte der Punkt P2 ein wenig weiter oben oder unten auf der Budgetgeraden liegen.

Trotzdem ist der hier gezeigte Fall interessant. Er zeigt nämlich sehr schön, wie Substitutions- und Einkommenseffekt in gegenteilige Richtung wirken und sich hier gerade aufheben. Den Substitutionseffekt erhalten wir, indem wir die neue Budgetgerade parallel an die alte Indifferenzkurve legen (der höhere Lohn führt

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zu einer Realeinkommenserhöhung – wir nehmen diesen Einkommenszuwachs den Konsumenten wieder gedanklich weg). Dies führt zum Berührungspunkt Ps.

Wie man erkennt, führt der Substitutionseffekt aufgrund der Konvexität der In-differenzkurven immer zu einer Verringerung der gewählten Freizeit und damit zu einer Erhöhung des Arbeitsangebotes.

Den Einkommenseffekt erhalten wir, indem wir den Konsumenten das zuvor ge-danklich weggenommene Einkommen wieder zurückgeben (Budgetgerade wird wieder zurückgeschoben). Wir kommen also vom Punkt Ps zum Punkt P2.

Wie wir sehen, führt der Einkommenseffekt zu einer Erhöhung der gewählten Freizeit (dies ist immer der Fall, wenn Freizeit ein normales Gut ist) und damit zu einer Verringerung des Arbeitsangebotes.

In unserem Beispiel heben sich diese beiden Effekte gerade auf, sodass eine Lohnerhöhung hier insgesamt keinen Effekt auf das Arbeitsangebot hat.

Die Arbeitsangebotsfunktion des Konsumenten, also die Beziehung zwischen Lohnsatz und dem Arbeitsangebot, hätte somit in diesem Fall einen vertikalen Verlauf.

Ein positiver Anstieg der Arbeitsangebotsfunktion, wie in Abb. 3.25 dargestellt, setzt somit voraus, dass der Substitutionseffekt den Einkommenseffekt über-wiegt.

Der Einkommenseffekt ist umso stärker, je größer das gewählte Ausmaß der Ar-beitszeit l ist, weil dann bei einer Lohnerhöhung das Arbeitseinkommen beson-ders stark ansteigt. Daher ist ein „verkehrter“ Verlauf der Arbeitsangebotsfunk-tion insbesondere bei höheren Löhnen denkbar (→ backward bending; damit meint man, dass die Arbeitsangebotsfunktion bei niedrigen Löhnen einen positi-ven Anstieg aufweist und bei höheren Löhnen einen negativen Anstieg, sich also gleichsam zurückdreht).

Würde andererseits nur der Lohn von zusätzlich geleisteten Arbeitsstunden steigen (höhere Überstundenentlohnung), so wäre der Einkommenseffekt Null und der Substitutionseffekt würde jedenfalls zu einem höheren Arbeitsangebot führen.

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Kontrollfragen zu Kapitel 3: Theorie des Haushaltes

1. Was ist ein Konsumgüterbündel, was ist die Konsummenge?

2. Welche Annahmen werden üblicherweise bezüglich der Präferenzen der Konsumenten getätigt? Warum ist dies generell notwendig?

3. Sind die obigen Annahmen eher starke oder schwache Restriktionen? Be-sprechen Sie dabei alle fünf Annahmen.

4. Was sind Indifferenzkurven? Wie hängen diese mit den Präferenzen der Konsumenten zusammen? Welche Gestalt haben diese? Haben verschie-dene Konsumenten verschiedene Indifferenzkurven (Begründung)? Wel-che Gemeinsamkeiten weisen sie auf? * Diskutieren Sie mögliche Extrem-formen von Indifferenzkurven.

5. Was versteht man unter der „Grenzrate der Substitution“. Warum und in welcher Weise nimmt diese ab?

6. * Was sind zirkuläre Präferenzen? Durch welche Annahme werden diese ausgeschlossen?

7. Was ist eine Nutzenfunktion? Wie hängt diese mit den Präferenzen des Konsumenten zusammen? Welchen Zusammenhang gibt es mit den Indif-ferenzkurven?

8. Was versteht man unter dem Grenznutzen? Ist dieses Konzept sinnvoll?

9. Wie hängen „Grenzrate der Substitution“ und Nutzenfunktion zusam-men?

10. * Diskutieren Sie die Unterschiede von „kardinaler“ bzw. „ordinaler“ Nut-zenmessung. Benötigt man für das Konzept der „Grenzrate der Substitu-tion“ eine kardinale Nutzenmessung?

11. Welche Arten von wirtschaftlichen Entscheidungen trifft ein Konsument (Haushalt)? Ist es sinnvoll (* möglich), diese Entscheidungen als mehrstu-figen Prozess anzusehen? Bringt diese Vorgehensweise Vorteile bei der Analyse?

12. Welchen Umstand beschreibt die Budgetbeschränkung? Wie lautet der Anstieg der Budgetgeraden in Zweigüterfall? Was ist die Budgetmenge?

13. Wie ist der Anstieg der Budgetgeraden zu interpretieren?

14. Wie verändert sich die Budgetgerade bei Preis- und Einkommensvariati-onen?

15. Wie verändert sich die Budgetgerade, wenn alle Preise und das Einkom-men um denselben Prozentsatz steigen?

16. Wie lässt sich das Optimierungsproblem des Konsumenten formulieren und grafisch lösen?

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3. Theorie des Haushaltes free download version 65

17. Wie lauten die Marginalbedingungen des obigen Optimierungsproblems? Wie können diese inhaltlich interpretiert werden?

18. Was versteht man unter einer Engelkurve? Wie kann diese aus dem obi-gen Optimierungsproblem hergeleitet werden? Welchen Anstieg weist diese typischerweise auf? Welchen Verlauf hat die Engelkurve, wenn die Einkommenselastizität größer oder kleiner eins ist?

19. Was versteht man unter einer Nachfragefunktion? Wie kann diese aus dem obigen Optimierungsproblem hergeleitet werden? Welchen Anstieg weist diese typischerweise auf?

20. Was bestimmt die Lage der Egelkurve bzw. der Nachfragefunktion?

21. Wann spricht man von substituierbaren, wann von komplementären Gü-tern, wann von normalen bzw. inferioren Gütern?

22. Was versteht man unter dem Substitutions- bzw. Einkommenseffekt? Warum ist diese Unterscheidung wichtig? Was bestimmt die Richtung und die Stärke dieser Effekte?

23. Diskutieren Sie das Giffen-Paradoxon.

24. Was besagt das Gesetz der Nachfrage?

25. * Gegeben sei die Nutzenfunktion: 1 2a bU x x= . Berechnen Sie die beiden

Nachfragefunktionen und die Preis- bzw. Einkommenselastizitäten.

26. Was versteht man unter der Konsumentenrente?

27. Beschreiben Sie das Problem der Konsum-Sparentscheidung. Von wel-chen Größen wird diese Entscheidung maßgeblich beeinflusst? Erläutern Sie das Prinzip der Einkommensglättung.

28. Beschreiben Sie das Problem der Einkommens-Freizeitentscheidung? Von welchen Größen wird diese Entscheidung maßgeblich beeinflusst? Hängt das Arbeitsangebot vom Reallohn ab? Begründen Sie ihre Antwort

29. Untersuchen Sie anhand einer Grafik ähnlich der zu Abbildung 3.26, wie sich eine höhere Überstundenentlohnung auf das Arbeitsangebot auswir-ken würde. Hinweis: Die Budgetgerade würde in diesem Fall einen Knick in 1P aufweisen.

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66 free download version 3. Theorie des Haushaltes

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4. Entscheidungen bei Unsicherheit free download version 67

4. Entscheidungen bei Unsicherheit *

Bei der bisherigen Analyse wurde stets angenommen, dass die Konsumenten die Konsequenzen ihrer Aktionen (Konsumgüterkäufe, Sparen, Arbeitsangebotsent-scheidungen) mit Sicherheit einschätzen können. Für die meisten dieser Entscheidungen ist dies auch eine durchaus akzeptable Annahme. So ist das Risiko, etwa bezüglich der Qualität, beim Kauf einer Waschmaschine oder sogar eines neuen Autos aufgrund standardisierter bzw. automatisierter Herstellungsverfahren wahrscheinlich nicht sehr hoch. Außerdem sind die relevanten Preise beim Kauf bekannt.

Auf der anderen Seite gibt es aber Entscheidungen, bei denen die Konsequenzen der eigenen Handlungen nicht mit Sicherheit vorhersehbar sind und wo diese Unsicherheit ein wesentliches Merkmal der betreffenden Entscheidung ist. Typi-scherweise tritt diese Unsicherheit bei allen in die Zukunft gerichteten oder ori-entierten Fragestellungen auf, z.B. wenn die Konsequenzen der Aktionen von zukünftigen Preisen abhängig sind.

Wenn sich ein Unternehmer überlegt, ob er ein neues Produkt einführen möch-te, dessen Produktion bzw. Entwicklung viel Geld kostet und dessen Erfolg aus heutiger Sicht nur schwer prognostizierbar ist, so sind die Konsequenzen seiner Entscheidung unsicher. Weitere typische Beispiele wären die Anlageentschei-dungen von Firmen und Privaten (Anlage in Wertpapieren oder Aktien oder Geld oder Optionsscheine, etc.), die Teilnahme an Glücksspielen oder die Ent-scheidung, sich gegen gewisse Risken versichern zu lassen.

In diesem Kapitel wollen wir ein Analyseinstrumentarium speziell für solche Probleme entwickeln. Es wird sich zeigen, dass im Grunde genommen die im vorherigen Kapitel präsentierte Theorie nur geringfügig adaptiert werden muss, um so eine Analyse zu ermöglichen.

Die Präferenzen

Wir gehen also davon aus, dass die Konsumenten (oder Firmen) auch mit unsi-cheren Alternativen konfrontiert sind. Die ungewissen Konsequenzen dieser Al-ternativen lassen sich als Wahrscheinlichkeitsverteilungen beschreiben, be-stimmte Konsumgüterbündel in Abhängigkeit von der Realisation bestimmter Ereignisse, sog. Zustände, zu erhalten. Solche Zustände wären z.B. die Höhe zukünftiger Aktienkurse oder Güterpreise, der Eintritt von bestimmten Scha-densfällen oder auch das morgige Wetter. Eine Wahrscheinlichkeitsverteilung ist hier als Liste möglicher Ereignisse zu verstehen (in unserem Fall bestimmte Konsumgüterbündel), zusammen mit der Eintrittswahrscheinlichkeit eines je-den Ereignisses.1

1 Weiterführend: Bei den zugeordneten Wahrscheinlichkeiten unterscheidet man oft zwi-schen objektiven und subjektiven Wahrscheinlichkeiten, wobei erstere als relative Häufig-keiten interpretierbar sind (z.B. die Wahrscheinlichkeit eine „sechs“ zu würfeln ist 1/6). Bei

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68 free download version 4. Entscheidungen bei Unsicherheit

Wenn sich also beispielsweise ein Konsument entschließt eine Feuerversiche-rung abzuschließen oder sein Vermögen in Aktien anzulegen, so entscheidet er letztlich über ein Muster, verschiedene Konsummengen (Konsumgüterbündel) mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit zu erhalten (in Abhängigkeit vom je-weils realisierten Zustand). D.h., der Konsument wählt zwischen Wahrschein-lichkeitsverteilungen, bestimmte Konsummengen zu erhalten.

Wir können daher davon ausgehen, dass die Präferenzen der Konsumenten über solche Wahrscheinlichkeitsverteilungen von Konsummustern definiert sind, wo-bei wir im Wesentlichem wieder die Annahmen 1 – 4 aus Kapitel 3 vorausset-zen. Bei Gültigkeit dieser Annahmen ist es möglich, die Präferenzen der Kon-sumenten durch eine Nutzenfunktion zu beschreiben, genauso wie wir dies im Kapitel 3 bei Sicherheit gemacht haben.

Bei Berücksichtigung von Unsicherheit weist das Entscheidungsproblem jedoch eine besondere Struktur auf. Wie eine Person ein Konsumgüterbündel in einem Zustand im Vergleich zu einem anderen bewertet, hängt maßgeblich von der Wahrscheinlichkeit ab, mit der dieser Zustand eintreten wird. So wird die Tauschbereitschaft des Konsumenten von Speiseeis bei Sonnenschein gegen Speiseeis bei Regen und Kälte davon abhängen, wie wahrscheinlich Sonnen-schein eingeschätzt wird. Die Bewertung eines Versicherungsvertrages wird da-von abhängen, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Schaden befürchtet wird.

Wir gehen jetzt im Folgenden vom einfachsten Fall aus, nämlich von zwei sich ausschließenden Zuständen, (Regen oder Sonnenschein, Schadensfall oder kein Schadensfall, oder was auch immer) und bezeichnen den Konsum im Zustand eins mit 1c und den Konsum im Zustand zwei mit 2c . Der Konsument wählt da-her zwischen verschiedenen Konsummustern 1 2( , )c c . Die entsprechenden Ein-trittswahrscheinlichkeiten der beiden Zustände bezeichnen wir mit 1 2 bzw. π π . Die Nutzenfunktion lässt sich dann allgemein als 1 2 1 2( , , , )U U c cπ π= (4.1)

anschreiben.1 Diese Funktion beschreibt die Konsumentenpräferenzen für jeden der beiden Zustände. Als ein konkretes Beispiel von (4.1) könnten wir 1 2 1 2 1 1 2 2( , , , )U c c c cπ π π π= + (4.2)

voraussetzen. Dies würde dem Erwartungswert entsprechen. Es ist dies ein-fach das durchschnittliche Konsumniveau, dass man erwarten würde2.

subjektiven Wahrscheinlichkeiten ist so eine Interpretation nicht möglich (z.B. die persönli-che Einschätzung der zukünftigen wirtschaftlichen Lage). Für unsere Analyse ist diese Un-terscheidung jedoch nicht wichtig, solange die von den Konsumenten den Zuständen zuge-ordneten subjektiven Wahrscheinlichkeiten den üblichen Axiomen der Wahrscheinlichkeits-rechnung gehorchen. 1 Wenn sich die beiden Zustände ausschließen, so ist die Summe der beiden Eintrittswahr-scheinlichkeiten gleich eins. 2 Allgemein ist der Erwartungswert einer diskreten Zufallsvariablen X gleich der Summe der möglichen Ausgänge, ix , multipliziert mit den jeweiligen Wahrscheinlichkeiten, also:

( ) i i iE X xπ= Σ . Dies ist der Wert, der bei oftmaliger Wiederholung des Zufallsexperimentes

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4. Entscheidungen bei Unsicherheit free download version 69

Eine andere Variante wäre: 1 2 1 2 1 1 2 2( , , , ) ( ) ( )U c c u c u cπ π π π= + . (4.3)

Wenn einer der Zustände mit Sicherheit eintritt, sodass z.B. 1 1π = , so ergibt sich in diesem Fall 1( )U u c= , d.h., der Nutzen ist dann gleich dem Nutzen des siche-ren Konsums im Zustand eins. Ähnliches gilt bei 2 1π = .

Ausdruck (4.3) stellt daher den erwarteten (durchschnittlichen) Nutzen des Konsummusters 1 2( , )c c dar. Aus diesem Grund bezeichnet man die Funktion (4.3) als Funktion des erwarteten Nutzens. Die Funktion ( )iu c , welche einem sicheren ic einen Nutzen zuordnet, wird als Risikonutzenfunktion bezeichnet.

Häufig wird angenommen, dass die Präferenzen der Konsumenten durch diese spezielle Form der Nutzenfunktion – Gl. (4.3) – dargestellt werden können. Man sagt in diesem Fall, die Konsumenten maximieren den erwarteten Nutzen.

Diese Annahme lässt sich auch inhaltlich begründen: Bei Entscheidungen unter Unsicherheit besteht eine natürliche Unabhängigkeit zwischen den verschieden Ereignissen, da die jeweils gewählten Konsumgüterbündel getrennt voneinander konsumiert werden – nämlich in unterschiedlichen Situationen. Die Entschei-dungen, welche die Leute für eine bestimmte Situation treffen, sollten daher un-abhängig von den Entscheidungen sein, die sie für andere Situationen planen. Was nicht geschieht, sollte den Wert des Konsums beim Zustand, der tatsächlich eintritt, nicht beeinflussen.

Dieses Prinzip wird als Unabhängigkeitsannahme bezeichnet und ist zentral für die Hypothese von der Maximierung des erwarteten Nutzens. Wenn diese Annahme erfüllt ist, dann muss die Nutzenfunktion aber eine lineare Struktur wie in Gl. (4.3) aufweisen.

Die Unabhängigkeitsannahme, und damit die lineare Struktur der Nutzenfunk-tion stellt einen wesentlichen Unterschied zur „gewöhnlichen“ Konsumtheorie dar, weil dort die Güter im Allgemeinen gemeinsam konsumiert werden und da-her kein Grund zur Annahme besteht, dass die relative Wertschätzung zwischen zwei Gütern unabhängig vom Konsum eines dritten Gutes ist. So wird die rela-tive Wertschätzung – die Grenzrate der Substitution – von Kaffee und Tee wahrscheinlich auch davon abhängen, wie viel Milch im Konsumgüterbündel enthalten ist.

Die Risikoeinstellung

Nach diesen eher abstrakten Erörterungen wollen wir an Hand eines repräsen-tativen Beispieles zeigen, welchen praktischen Wert die Risikonutzenfunktion bzw. die Hypothese von der Maximierung des erwarten Nutzens bei der Analyse von Entscheidungen bei Unsicherheit aufweist.

im Durchschnitt auftritt. Der Erwartungswert eines Wurfes mit einem Würfel ist beispiels-weise: 1 6 1 1 6 2 1 6 3 1 6 4 1 6 5 1 6 6 3.5⋅ + ⋅ + ⋅ + ⋅ + ⋅ + ⋅ = .

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70 free download version 4. Entscheidungen bei Unsicherheit

Nehmen wir an, ein Konsument steht vor der Entscheidung, eine Feuerversiche-rung mit einer 100%igen Deckung für sein Haus abzuschließen. Es gibt zwei Zu-stände. Bei Eintreten von Zustand eins brennt das Haus innerhalb der nächsten 20 Jahre ab, bei Eintreten von Zustand zwei brennt es nicht ab. Das Vermögen im Zustand eins bezeichnen wir mit V1, das Vermögen im Zustand zwei mit V2. Klarerweise ist V2 größer als V1, wobei die Differenz gleich dem Schaden im Fal-le eines Brandes ist.1

In Abb. 4.1 ist eine Risikonutzenfunktion u dargestellt. Diese Funktion ordnet jedem sicheren Vermögen V einen bestimmten Nutzenindex zu. In der Grafik ist der Nutzen von V1 mit 1( )u V und dementsprechend der Nutzen von V2 mit 2( )u V bezeichnet.

Abb. 4. 1. Risikonutzenfunktion bei Risikoaversion

Die Zustände eins und zwei treten mit bestimmten Wahrscheinlichkeiten auf. In Abb. 4.1 wurde ziemlich willkürlich angenommen, dass das Haus mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 3 abbrennt. Das erwartete Vermögen (der Erwar-tungswert) ist daher gleich

1 21 2( )3 3

E V V V= + (4.4)

und wird mit E(V) bezeichnet. Der Nutzen von einem sicheren Vermögen in der Höhe von E(V) ist dann ( )eu V .

Der erwartete Schaden berechnet sich aus dem Schaden im Brandfall mal Brandwahrscheinlichkeit: 2 1 21 3( ) ( )V V V E V− = − . (4.5)

1 Ein weiters Beispiel wäre eine Investitionsentscheidung eines Unternehmens. Die unsiche-re Variante wäre die Durchführung der Investition, die aber mit einer bestimmten Wahr-scheinlichkeit „schief gehen“ kann. Die sichere Variante wäre die Anlage eines gleich hohen Betrages in festverzinslichen Wertpapieren. Die Analyse diese Problems ist völlig analog zu der im Text untersuchten Versicherungsentscheidung.

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4. Entscheidungen bei Unsicherheit free download version 71

Bleibt noch die Bestimmung des erwarteten Nutzens für den Fall, dass der Kon-sument nicht gegen Brandschäden versichert ist. Formal ergibt sich dieser ge-mäß Gl. (4.3) als

1 21 2( ) ( ) ( )3 3

E u u V u V= + . (4.6)

Geometrisch bedeutet dies, dass der erwartete Nutzen auf der Verbindungslinie von 1( )u V und 2( )u V liegen muss, und zwar genau über dem Erwartungswert E(V). Der erwartete Nutzen der unsicheren Alternative „nicht versichern“ ist in der Grafik mit E(u) bezeichnet.

Zu beachten ist, dass der erwartete Nutzen der unsichern Alternative E(u) hier kleiner ist als der Nutzen des Erwartungswertes ( )eu V . Dies ist immer dann der Fall, wenn die Risikonutzenfunktion konkav ist. In diesem Fall spricht man auch von Risikoaversion, weil der Konsument hier ein sicheres Vermögen in der Höhe von E(V) höher schätzt, als eine unsichere Alternative mit den mögli-chen Ausgängen V1 und V2, obwohl der Erwartungswert der unsicheren Alterna-tive das gleiche Niveau von E(V) hat.

Der Erwartungswert ist zwar jener Wert, der bei oftmaliger Wiederholung des Zufallsexperimentes in Durchschnitt eintritt, doch wenn das Experiment nur einmal durchgeführt wird (es wird nur ein Haus gebaut), so ist dieser Durch-schnittswert für den Konsumenten ziemlich irrelevant.

Intuitiv kann man sich den Zusammenhang zwischen Konkavität und Risiko-aversion so vorstellen, dass bei einer konkaven Risikonutzenfunktion (abneh-mender Grenznutzen) der Nutzenverlust durch Minderkonsum in schlechten Fällen nicht durch einen gleich großen Mehrkonsum in guten Fällen ausgegli-chen werden kann. Der Konsument zieht daher ein eher konstantes Konsumni-veau in allen Zuständen einem vom Zufall abhängigen, stark schwankenden Konsumniveau vor.

In Abb. 4.2 ist der Fall eines risikofreudigen Konsumenten abgebildet. In die-sem Fall ist die Risikonutzenfunktion konvex und der erwartete Nutzen der un-sicheren Alternative E(u) ist hier höher als der Nutzen ( )eu V eines sicheren Vermögens in der Höhe des Erwartungswertes.

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72 free download version 4. Entscheidungen bei Unsicherheit

Abb. 4. 2. Risikonutzenfunktion bei Risikovorliebe

Ein risikoneutraler Konsument würde eine lineare Risikonutzenfunktion auf-weisen. Dieser Konsument (oder ein Unternehmen) würde daher nur den Erwar-tungswert für seine Entscheidungen heranziehen. So ein Verhalten ist insbe-sondere auch dann sinnvoll, wenn man es mit einer großen Anzahl gleichartiger Entscheidungen zu tun hat. So schließt z.B. ein Versicherungsunternehmen nicht nur einen Feuerversicherungsvertrag ab, sondern tausende. Wenn man von einer Unabhängigkeit der Schadensfälle ausgeht, ist daher der Erwar-tungswert (erwarteter Schaden) relevant.1

Ein weiterer zentraler Begriff der Entscheidungen bei Unsicherheit ist das sog. Sicherheitsäquivalent. Dies ist jene sichere Position, die dem Konsumenten den gleichen Nutzen stiftet wie die unsichere Variante, d.h. der Konsument ist indifferent zwischen dem Sicherheitsäquivalent und der unsicheren Variante. In Abb. 4.1 und 4.2 ist das Sicherheitsäquivalent mit SÄ bezeichnet. Der Nutzen 1 Weiterführend: Wir wollen zeigen, wieso bei oftmaliger Wiederholung einer Lotterie nur der Erwartungswert relevant ist. Gehen wir von folgender Lotterie aus. Es wird eine Münze geworfen, und bei Kopf werden 3 Mio. ausbezahlt, bei Adler 1 Mio. Das Los kostet 1.9 Mio. Wird ein Konsument dieses Los kaufen? Beim Kauf dieses Loses hat man einen erwarteten Gewinn von 100,000. Allerdings beträgt die erwartete Abweichung vom Erwartungswert (Standardabweichung) ca. 1 Mio., d.h. wenn man Pech hat verliert man mit einer Wahr-scheinlichkeit von 50 % 900,000. Risikoscheue Leute würden solch ein Los im Allgemeinen nicht kaufen. Nehmen wir nun an, die obige Lotterie sei auch als millionstel Teil erhältlich, also auch mit einem Einsatz von 1.9 Euro, allerdings zahlt das Los dann auch nur 1 bzw. 3 Euro. Der er-wartete Gewinn des Loses ist 10 Groschen, die Standardabweichung ca. 1 Euro. Der Konsu-ment kauft nun 1 Mio. solcher Lose um 1.9 Mio. und der Gewinn wird mit Hilfe einer Million unabhängiger Münzwürfen ermittelt. Der erwartete Gewinn ist dann wie im obigen Fall 100,000. Die Standardabweichung beträgt jetzt aber nur noch ca. 1 Mil 1⋅ = 1000, d.h. mit dem gleichen Einsatz von 1.9 Mio. erhält man den gleichen erwarteten Gewinn von 100,000, aber bei einer wesentlich kleineren durchschnittlichen Abweichung vom erwarteten Gewinn. Die Wahrscheinlichkeit in diesem Fall zu verlieren ist praktisch null. Die meisten Leute, auch risikoscheue, würden solch eine Alternative sofort wählen. Daraus folgt aber, dass bei oftmaliger Wiederholung unabhängiger Entscheidungen praktisch nur noch der Erwar-tungswert relevant ist.

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4. Entscheidungen bei Unsicherheit free download version 73

von SÄ ist gleich hoch wie der erwartete Nutzen E(u). Bei Risikoaversion liegt das Sicherheitsäquivalent immer links vom Erwartungswert, bei Risikovorliebe rechts vom Erwartungswert und bei Risikoneutralität sind Sicherheitsäquiva-lent und Erwartungswert identisch.

Wenn wir nun untersuchen wollen, ob der Konsument eine Feuerversicherung abschließt, müssen wir noch die Versicherungsprämie berücksichtigen. Da wir eine 100%ige Deckung voraussetzen, ist die Vermögensposition im Falle eines Versicherungsabschlusses in beiden Zuständen gleich, nämlich V2 minus Prä-mie.

Nehmen wir vorerst an, die Versicherungsgesellschaft verlangt eine faire Prä-mie. Diese entspricht genau dem erwarteten Schaden also ( )2 ( )V E V− – siehe Gl (4.5). Die sichere Vermögensposition des Konsumenten nach dem Kauf der Ver-sicherung ist demnach ( )2 2 2Prämie ( ) ( )V V V E V E V− = − − = (4.7)

und der Nutzen dieser sicheren Position ist ( )eu V . Vergleicht man nun in Abb. 4.1 dieses Nutzenniveau mit dem erwarteten Nutzen bei Nichtversicherung E(u), so erkennt man, dass es für den Konsumenten vorteilhaft ist, die Versiche-rung abzuschließen, da ( ) ( )eu V E u> .

Wenn die Versicherungsprämie nicht fair, also größer als der erwartete Schaden ist, so ist die sichere Vermögensposition des Konsumenten kleiner als E(V) – al-so links davon.

Wie hoch kann nun die Versicherungsprämie sein, dass der Konsument gerade noch bereit ist, die Versicherung abzuschließen? Die Prämie kann solange er-höht werden, solange die sichere Vermögensposition größer oder gleich dem Si-cherheitsäquivalent ist (rechts von diesem liegt). Die maximale Prämie, die der Konsument bereit ist zu zahlen, beträgt daher 2( )V SÄ− .

Wenn die Prämie kleiner als die maximale und größer als die faire ist, so profi-tieren durch einen Versicherungsvertrag sowohl der Konsument als auch das Versicherungsunternehmen. Das Versicherungsunternehmen erwirtschaftet ei-nen Gewinn (wieso?) und der Konsument stellt sich ebenfalls besser (kann ruhig schlafen).

Ist der Konsument risikofreudig, vgl. Abb. 4.2, so wird es zu keinem Versiche-rungsabschluss kommen, da die maximale, vom Konsumenten bezahlte Prämie kleiner als die faire Prämie ist (Sicherheitsäquivalent liegt rechts vom Erwar-tungswert), und ein Versicherungsunternehmen nicht unter der fairen Prämie anbieten wird.

Dafür wäre ein risikofreudiger Konsument bereit, sich an einer Lotterie zu betei-ligen, dessen erwarteter Gewinn kleiner als der Lospreis ist. Betrachten wir da-zu wieder Abb. 4.2. V1 bezeichnet nun die Situation „nicht gewinnen“ und V2 die Situation „gewinnen“. Die sichere Alternative wäre kein Los zu kaufen und da-mit (V1 + Lospreis). Der maximale Lospreis, den der Konsument bezahlen wür-de, wäre 1( )SÄ V− . Bei einem kleineren als dem maximalen Lospreis wäre der

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erwartete Nutzen der Lotterie E(u) höher als der Nutzen der sicheren Alternati-ve (V1 + Lospreis) und der Konsument würde daher das Los kaufen.

Der faire Lospreis in Abb. 4.2 wäre ( )1( )E V V− . Ein risikoscheuer Konsument würde nur dann ein Los kaufen, wenn der Lospreis geringer als der faire wäre. Leider sind solche Lotterien selten zu finden.

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4. Entscheidungen bei Unsicherheit free download version 75

Kontrollfragen zu Kapitel 4: Entscheidungen bei Unsicherheit

1. Bei welchen Entscheidungen spielt Unsicherheit gewöhnlich keine große Rolle und bei welchen Entscheidungen stellt Unsicherheit ein wesentli-ches Merkmal dar?

2. Was ist ein Erwartungswert, was eine Wahrscheinlichkeitsverteilung?

3. Wie kann man die Theorie des Haushaltes verallgemeinern, um auch Entscheidungen bei Unsicherheit untersuchen zu können?

4. Was versteht man unter dem erwarteten Nutzen?

5. Wie kann die Risikoeinstellung der Konsumenten durch die Risikonut-zenfunktion dargestellt werden?

6. Was versteht man unter dem Sicherheitsäquivalent? Gibt es hier einen Zusammenhang mit der Risikoeinstellung?

7. Untersuchen Sie mit dem erlernten Instrumentarium die Investitionsent-scheidung eines Unternehmens. Die unsichere Variante ist die Durchfüh-rung der Investition, die aber mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit „schief gehen“ kann. Die sichere Variante ist die Anlage eines gleich ho-hen Betrages in festverzinslichen Wertpapieren. Der erwartete Gewinn der Investition sei positiv. Von welchen Aspekten wird die tatsächliche Entscheidung abhängen?

8. Wie sieht die Sache aus, wenn die obige Investitionsentscheidung routi-nemäßig gefällt wird, d.h. sehr ähnliche Entscheidungen sehr oft getrof-fen werden müssen?

9. Sind Konsumenten, die Lotto spielen, risikofreudig? Was ist, wenn sie gleichzeitig auch Versicherungen abschließen?

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76 free download version 4. Entscheidungen bei Unsicherheit

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5. Theorie der Unternehmung free download version 77

5. Theorie der Unternehmung

In diesem Kapitel sollen die theoretischen Grundlagen für die später folgende Analyse des Angebotsverhaltens der Unternehmen dargelegt werden. Wenn wir von Unternehmen sprechen unterstellen wir in der Regel einen Produktionsbe-trieb. Die Analyse ist jedoch hinreichend allgemein, sodass auch Dienstleis-tungsunternehmen oder Handelsbetriebe mit kleineren Modifikationen behan-delt werden können. Begonnen wird mit einer allgemeinen Beschreibung der technologischen Möglichkeiten der Firma. Dabei wird die Stellung des Unter-nehmens auf Güter- und Faktormärkten zunächst ausgeklammert.

Wir nehmen in der Folge an, dass es das Ziel der Firma sei, ihren Gewinn zu maximieren. Damit meinen wir aber nicht unbedingt den kurzfristigen Gewinn in der laufenden Periode, sondern die Summe der Gewinne über einen längeren Zeitraum hinweg, wobei zukünftige Gewinne entsprechend abgezinst werden.

Man kann nun natürlich argumentieren, dass zukünftige Gewinne unsicher sind. In diesem Fall könnten wir die Maximierung des erwarteten Gewinns un-terstellen. Falls notwendig, kann sogar Risikoaversion durch Maximierung des erwarteten Nutzens berücksichtigt werden, so wie wir dies im vorherigen Ab-schnitt diskutierten.

Häufig wird behauptet, die Unternehmen verfolgen nicht nur das Ziel der Gewinnmaximierung, sondern auch andere, wie z.B. Erhöhung des Marktanteils, Erarbeitung eines Image als guter Arbeitgeber oder als Vorreiter von Umweltschutzmaßnahmen, etc. Selbst wenn dies tatsächlich zutrifft, so stellt sich doch die Frage, ob es sich in diesem Fall nicht einfach um Zwischenziele zur Erreichung eines langfristigen Gewinnmaximums handelt.

Schließlich kann es noch sein, dass die Manager eines großen Unternehmens nicht so sehr die Interessen der Firmeneigentümer vertreten (also Gewinnma-ximierung), sondern zumindest teilweise ihre eigenen Interessen verfolgen, wie z.B. möglichst viel Ansehen und Macht. Dies könnte z.B. zu extrem hohen Ma-nagergehältern, einem zu umfangreichen Stab, einer zu großen Firmengröße o-der einer zu starken Orientierung auf hohe Umsätze bzw. Bilanzsummen füh-ren. Diese Problematik ist in der Literatur als „Principal-Agent-Problem“ be-kannt. Damit werden wir uns hier aber nicht auseinander setzen.

Da der Gewinn aus Erlös minus Kosten definiert ist, kann bei der Gewinnmaxi-mierung an zwei Hebeln angesetzt werden:

• Dem Erlös (Umsatz). Dabei geht es in erster Line um die Bestimmung des optimalen Outputs bzw. der optimalen Preispolitik. Beide Aspekte werden hauptsächlich von der Stellung des Unternehmens am Produktmarkt be-stimmt – Marktbeschränkungen.

• Den Produktionskosten. Diese werden in erster Line von der verwendeten Technologie – technologische Beschränkungen – und den Preisen für die Inputfaktoren beeinflusst.

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78 free download version 5. Theorie der Unternehmung

Wir beginnen unsere Analyse mit der Beschreibung der technologischen Mög-lichkeiten des Unternehmens.

5.1. Die Unternehmung und ihre Technologie

Die technologischen Möglichkeiten der Firma, mit denen sie unter Einsatz von Produktionsfaktoren (z.B. Arbeit, Kapital, Energie, Vorleistungen, etc.) ihren Output erzeugt, werden durch die sog. Produktionsfunktion beschrieben. Die-se ordnet jeder Kombination von Inputs (Produktionsfaktoren) den damit maxi-mal erreichbaren Output zu. Bezeichnen wir die im Produktionsprozess einge-setzten Mengen an Produktionsfaktoren mit 1, , nx x… , und das Outputniveau mit y, so lässt sich die Produktionsfunktion F darstellen als: 1( , , )ny F x x= … (5.1)

Im Folgenden werden wir aber regelmäßig von lediglich zwei Produktionsfakto-ren ausgehen (wir können uns diese als den Arbeits- bzw. Kapitaleinsatz vorstel-len), und erhalten somit: 1 2( , )y F x x= (5.2)

In diesem Fall können wir uns die Produktionsfunktion als 3-dimensionales „Gebirge“ vorstellen. In Abb. 5.1 ist dies grafisch dargestellt.

Abb. 5. 1. Produktionsfunktion

Dabei wird jeder Kombination von 1 2( , )x x das damit maximal erreichbare Pro-duktionsniveau in der 3. Dimension zugeordnet. Die Höhenschichtlinien dieses Gebirges bezeichnen wir als Isoquanten. Sie kennzeichnen all jene Inputkom-binationen 1 2( , )x x , mit deren Hilfe das gleiche Outputniveau produziert werden kann. In Abb. 5.2 ist eine dieser Isoquanten grafisch dargestellt.

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5. Theorie der Unternehmung free download version 79

Abb. 5. 2. Isoquante für das Produktionsniveau 0y

Mit allen Inputkombinationen auf dieser Kurve, z.B. mit den Punkten A, A’, B und B’, kann gerade noch das Outputniveau 0y produziert werden.

Außerdem wurde hier wieder ein konvexer, d.h. ein nach unten gekrümmter Verlauf der Isoquanten unterstellt. Wie kann man diese scheinbar willkürliche Annahme rechtfertigen? Dazu benützen wir ein sehr hilfreiches Konzept, näm-lich die sog. Grenzrate der technischen Substitution, (engl.: Technical Rate of Substitution, TRS).

Die Grenzrate der technischen Substitution gibt an, in welchem Verhältnis der Inputfaktor zwei gegen eine zusätzliche Einheit des Inputfaktors eins im Pro-duktionsprozess ersetzt werden kann, ohne dabei einen Produktionsverlust zu erleiden.

Zur Verdeutlichung sollten wir Abb. 5.2 näher betrachten. Ausgangspunkt sei die Inputkombination A. Es wird nun eine Einheit des Faktors eins mehr einge-setzt, 1 1x∆ = . Um das gleiche Outputniveau zu halten, kann auf Faktor zwei im Ausmaß von 2x∆ verzichtet werden und man erreicht dadurch die Inputkombi-nation A’ auf derselben Isoquante. Das Substitutionsverhältnis beträgt daher

2

1

xTRSx

∆≡ −

∆. (5.3)

Betrachten wir nun Situation B, wo vom Faktor eins deutlich mehr eingesetzt wird. Auch hier wird nun eine Einheit des Faktors zusätzlich eingesetzt. Um das gleiche Outputniveau zu halten kann auf Faktor zwei wieder im Ausmaß von

2x∆ verzichtet werden und man erreicht dadurch die Inputkombination B’ auf der Isoquante.

Wie wir allerdings sehen, ist im letzteren Fall 2x∆ wesentlich kleiner als bei der Ausgangslage A. Damit ist auch die TRS in Position B kleiner als in Position A, mit anderen Worten, die Grenzrate der technischen Substitution nimmt mit stei-gender Menge an Faktor eins und geringerer Menge an Faktor zwei ab.

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80 free download version 5. Theorie der Unternehmung

Verbal könnte man das auch so beschreiben: Umso mehr vom Faktor eins, z.B. Arbeit, bereits im Produktionsprozess eingesetzt wird, umso weniger kann man den relativ knappen Faktor zwei, z.B. Maschinen, durch eine weitere Einheit vom Faktor eins im Produktionsprozess ersetzen.

Dieses „Gesetz“ von der abnehmenden Grenzrate der technischen Substitution scheint eine sehr plausible und allgemeingültige Annahme über Produktions-prozesse zu sein. Es sollte klar sein, dass es die Konvexität der Isoquanten ist, die zu dieser Abnahme der Grenzrate der technischen Substitution führt.

Lassen wir in Definition 1x∆ infinitesimal klein werden, so ergibt sich für die Grenzrate der technischen Substitution:

2

1

dxTRSdx

≡ − . (5.4)

Die Grenzrate der technischen Substitution ist damit gleich dem negativen An-stieg der Isoquante in einem bestimmten Punkt. Klarerweise nimmt dieser An-stieg entlang einer konvexen Isoquante betragsmäßig ab.

Dem Leser wird vielleicht die auffallende Ähnlichkeit von Indifferenzkurven der Konsumtheorie und den Isoquanten der Produktionstheorie aufgefallen sein. Und tatsächlich sind die Konzepte formal nahezu identisch, allerdings bilden die Produktionsfunktion und damit die Isoquanten einen objektiven Tatbestand ab, nämlich die verfügbare Produktionstechnologie, während Indifferenzkurven und Nutzenfunktionen einen subjektiven Tatbestand repräsentieren, nämlich die Präferenzen der Konsumenten.

Lage und Form der Isoquanten beschreiben die technologischen Möglichkeiten. Weisen die Isoquanten z.B. nur eine geringe Krümmung auf, so sind die Produk-tionsfaktoren sehr leicht substituierbar (bei linearem Verlauf sogar perfekt sub-stituierbar), sind sie stark gekrümmt, so sind die Faktoren nur schlecht substi-tuierbar. Im Extremfall können sie sogar geknickt sein – in diesem Fall kann das Gut nur mit einer bestimmten Kombination an Inputfaktoren effizient pro-duziert werden und man spricht dann von einer limitationalen Technologie. Dieser Spezialfall ist in Abb. 5.3 dargestellt.

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5. Theorie der Unternehmung free download version 81

Abb. 5. 3. Limitationale Technologie

Es wäre auch möglich, dass die Isoquanten in manchen Bereichen einen positi-ven Anstieg aufweisen. In Abb. 5.4 ist so ein Fall dargestellt.

Abb. 5. 4. effiziente Inputkombinationen

In der Grafik sind dies die Bereiche jenseits der mit K bezeichneten Punkte. Al-lerdings sind diese Bereiche mit positiven Anstieg der Isoquanten nicht tech-nisch effizient. Man kann sich dies anhand der Punkte A und B verdeutlichen. Da die beiden Punkte auf derselben Isoquante liegen, kann mit diesen Input-kombinationen das gleiche Outputniveau produziert werden. Allerdings wird bei Inputkombination B deutlich mehr vom Faktor eins eingesetzt, bei gleichem Ni-veau vom Faktor zwei. Punkt B kann daher nicht technisch effizient sein. Tech-nisch effizient sind nur die Bereiche mit negativen Anstieg, also die Abschnitte innerhalb der Punkte K (die sog. Kammlinienpunkte).

Partielle Faktorvariation

Man kann nun untersuchen, wie sich das Outputniveau verändert, wenn nur ein Produktionsfaktor verändert wird (z.B. der Arbeitseinsatz), während der andere

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82 free download version 5. Theorie der Unternehmung

Faktor (z.B. der Kapitaleinsatz) konstant gehalten wird. Dies nennt man partiel-le Faktorvariation. Eine solche Fragestellung wäre insbesondere für kurzfristige Überlegungen relevant, wenn man davon ausgeht, dass kurzfristig zwar der Ar-beitseinsatz variiert werden kann, nicht aber der Kapitaleinsatz. Geometrisch gesehen schneiden wir die Produktionsfunktion vertikal und parallel zu einer x-Achse. In Abb. 5.1 beispielsweise beim fixen Niveau von 2x und parallel zur x1-Achse, und betrachten die entstehende Schnittlinie von der Seite.

Im oberen Teil der Abb. 5.5 ist diese Schnittkurve grafisch dargestellt. Variiert wird hier der Faktor eins (z.B. Arbeitseinsatz), bei fixem Niveau des zweiten Faktors. Die daraus resultierenden Effekte auf den Output werden von der Kur-ve abgebildet. Diesen Zusammenhang nennt man Ertragsfunktion oder Kurz-fristige Produktionsfunktion.

Abb. 5. 5. Ertragsfunktion = kurzfristige Produktionsfunktion ,

Grenzproduktivität und Durchschnittsproduktivität

Die Ertragsfunktion (kurzfristige Produktionsfunktion) hat hier einen typischen, den sog. ertragsgesetzlichen Verlauf. Bei geringen Einsatzmengen an Faktor eins wirken sich Steigerungen bei diesem Faktor überproportional aus – der

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5. Theorie der Unternehmung free download version 83

Faktor eins ist im Verhältnis zu den anderen relativ knapp. Der stärkste Effekt auf den Output ergibt sich im Punkt W, wo der Anstieg der Ertragsfunktion am größten ist – dort haben wir quasi ein „optimales“ Verhältnis der Inputfaktoren. Ab Punkt W nimmt zwar der Output mit höheren Mengen an Faktor eins weiter zu, doch mit immer geringer werdenden Zuwächsen – der Faktor eins wird dann im Verhältnis zu den anderen relativ zu stark eingesetzt.

Das Verhältnis von Outputzuwachs zum Mehreinsatz von Faktor i, bei Konstanz aller übrigen Inputfaktoren, bezeichnet man als Grenzproduktivität des Fak-tors i (oder auch Grenzprodukt des Faktors i, engl.: Marginal Product, MP). Formal ist diese definiert als:

ii

yMPx∂

≡∂

(5.5)

und entspricht daher der partiellen Ableitung der Produktionsfunktion (5.1) nach dem Inputfaktor i bzw. äquivalent dazu, dem Anstieg der Ertragsfunktion.

Wichtig ist, dass ab einem bestimmten Outputniveau (in der Abb. 5.5. ab Punkt W), das Grenzprodukt abnimmt, d.h., ab einem bestimmten Punkt werden die Outputzuwächse mit steigendem Einsatz des variablen Inputs – z.B. Arbeitsein-satz – immer kleiner. Dies gilt aber nur, wenn, wie vorausgesetzt, alle anderen Inputfaktoren, wie z.B. der Kapitaleinsatz konstant bleiben. Dieser Umstand ist sehr allgemeiner Natur und wird auch als das Gesetz der abnehmenden Grenz-produktivität bezeichnet.

Im unteren Teil der Abb. 5.5 ist die zur obigen Ertragsfunktion gehörende Grenzproduktivitätskurve – gemäß Gleichung (5.5) der Anstieg der Ertragsfunk-tion – in die Grafik eingezeichnet. Beim hier unterstellten ertragsgesetzlichen Verlauf steigt diese zunächst an, erreicht ihr Maximum im Punkt W (Wende-punkt der Ertragsfunktion), um dann ab Punkt W wieder abzusinken (aufgrund des Gesetzes der abnehmenden Grenzproduktivität).

Anzumerken bleibt, dass ein höheres Niveau des fixen Inputfaktors die Grenzpro-duktivität des variablen Inputfaktors generell erhöht (zusätzliche Arbeiter sind produktiver, wenn die Ausstattung mit Maschinen besser ist).

Ein weiterer wichtiger Begriff ist die sog. Durchschnittsproduktivität (engl.: Average Product, AP). Diese ist definiert als Output durch eingesetzte Menge des Faktors i, also:

ii

yAPx

≡ . (5.6)

Im unteren Teil von Abb. 5.5 ist auch die zur obigen Ertragsfunktion gehörende Durchschnittsproduktivitätskurve eingezeichnet. Die grafische Herleitung die-ser ist etwas komplizierter als die der Grenzproduktivitätskurve, die einfach die erste Ableitung der Ertragsfunktion darstellt.

Wir können uns aber eines Satzes aus der Trigonometrie bedienen, nämlich dass der Tangens eines Winkels eines rechtwinkeligen Dreiecks gleich der Gegen-kathete durch die Ankathete ist. Legen wir nun in Abb. 5.5 einen Strahl vom Ursprung durch einen beliebigen Punkt der Ertragsfunktion, z.B. durch Punkt

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P, so ist der Anstieg dieses Strahles (der Tangens des Steigungswinkels) gleich y durch x1 und somit gleich der Durchschnittsproduktivität. Punkt P wurde dabei so gewählt, dass der Anstieg des Strahles am größten ist – jeder andere Strahl vom Ursprung durch einen beliebigen Punkt der Ertragsfunktion weist einen geringeren Anstieg auf. Im Punkt P liegt daher das Maximum der Durch-schnittsproduktivität.

Da im Punkt P der Strahl durch den Ursprung gleich der Tangente an die Er-tragsfunktion ist, stimmen in diesem Punkt Grenzproduktivität und Durch-schnittsproduktivität überein. Im unteren Teil der Grafik erreicht die Durch-schnittsproduktivitätskurve daher beim Punkt P ihr Maximum und außerdem schneidet die Grenzproduktivitätskurve die Durchschnittsproduktivitätskurve genau in diesem Punkt.

Es besteht weiters ein Zusammenhang zwischen Grenzrate der technischen Substitution (Anstieg der Isoquante) und den Grenzproduktivitäten. Um diesen Zusammenhang zu untersuchen, bilden wir das totale Differential der Produkti-onsfunktion (vgl. dazu die Ausführungen auf Seite 36): 1 1 2 2dy F dx F dx= + , (5.7)

wobei mit i i iF y x MP≡ ∂ ∂ ≡ die Grenzproduktivität des Faktors i bezeichnet wird (lediglich eine einfachere Schreibweise). Wir möchten jetzt nur Variationen der Mengen 1 2 und x x entlang einer Isoquante zulassen. Wie wir wissen, bleibt der Output entlang einer Isoquante konstant. Wir setzen daher dy in Gl. (5.7) gleich null:

1 1 2 2

2 1

1 20

0

.dy

F dx F dx

dx FTRSdx F

=

= +

⇒ ≡ − = (5.8)

Die Grenzrate der technischen Substitution ist somit gleich dem Verhältnis der Grenzproduktivitäten.

Damit können wir jetzt auch die Frage beantworten, wann die Isoquanten einen positiven Anstieg aufweisen (vgl. Abb. 5.4). Nämlich dann, wenn eine der Grenzproduktivitäten negativ ist. In diesem Fall würde ein weiterer Einsatz des betreffenden Inputfaktors den Output verringern. Das dies keine technisch effi-ziente Situation sein kann ist klar.

Proportionale Faktorvariation

Bis jetzt untersuchten wir den Zusammenhang zwischen Outputniveau und der Variation eines Inputfaktors bei Konstanz aller übrigen Inputfaktoren. Jetzt be-trachten wir die Variation aller Inputfaktoren. Werden alle Produktionsfaktoren im selben Verhältnis verändert, also bei konstanten Faktorproportionen, so be-zeichnet man dies als proportionale Faktorvariation. Eine solche Fragestellung wäre insbesondere für längerfristige Überlegungen relevant, wenn man davon

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ausgeht, dass langfristig alle Inputfaktoren variiert werden können, also auch der Kapitaleinsatz oder sogar die Betriebsgröße.

Wir stellen uns daher beispielsweise die Frage, was mit dem Output passiert, wenn von allen Produktionsfaktoren die doppelte Menge eingesetzt wird. Die sich aus solch einer proportionalen Faktorvariation ergebenden Outputverände-rungen nennt man Skalenerträge – es wird gleichsam die Skalierung der gan-zen Firma verändert (engl.: Returns of Scale).1

Geometrisch gesehen schneiden wir die Produktionsfunktion in Abb. 5.1 wieder vertikal, wobei die Schnittebene aber nicht mehr parallel zu einer x-Achse ver-läuft, wie dies bei der partiellen Faktorvariation der Fall war, sondern die Schnittebene geht jetzt durch den Ursprung. Die sich ergebende Schnittlinie mit der Produktionsfunktion betrachten wir wieder von der Seite.

Abb. 5.6 zeigt mögliche Verläufe dieser Schnittlinie. Auf der Abszisse ist der Skalierungsfaktor s aufgetragen, auf der Ordinate der Output y.

Steigt der Output proportional mit der Skalierung s, so liegen konstante Skalen-erträge (engl.: Constant Returns of Scale) vor. Steigt der Output überproportio-nal spricht man von zunehmenden (engl.: Increasing Returns of Scale), steigt er nur unterproportional, von sinkenden Skalenerträgen (engl.: Decreasing Returns of Scale).

Die strichlierte Linie weist zuerst steigende und dann sinkende Skalenerträge auf. Dies ist die Form, die sich aus der in Abb. 5.1 dargestellten Produktions-funktion ergeben würde.

Abb. 5. 6. Skalenerträge

1 Weiterführend: Analytisch gesehen werden die Mengen der eingesetzten Produktionsfak-toren 1, , nx x… mit einer Zahl s (z.B. mit zwei) multipliziert und untersucht, wie sich der Output verändert. Diese Änderungen können manchmal folgendermaßen dargestellt wer-den: 1 2( , )rys F sx sx= , wobei die Zahl r der sog. Homogenitätsgrad ist. Wenn r=1, so führt z.B. eine Verdoppelung der Inputs (s=2) zu einer Verdoppelung des Outputs (Fall der linea-ren Homogenität – konstante Skalenerträge). Falls r>1, steigt der Output überproportional (steigende Skalenerträge), falls r<1, steigt der Output nur unterproportional (sinkende Ska-lenerträge).

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Besondere Bedeutung kommt den konstanten Skalenerträgen zu, da sie sehr ein-leuchtend erscheinen. Verdoppelt man alle Inputfaktoren, errichtet man also z.B. eine zweite, völlig identische Fabrik, sollte sich auch der Output verdoppeln. D.h., der Output entwickelt sich proportional zum Inputeinsatz. Aus diesem Grund werden sehr häufig konstante Skalenerträge unterstellt.

Es soll aber noch einmal darauf hingewiesen werden, dass Skalenerträge immer voraussetzen, dass wirklich alle Produktionsfaktoren im selben Verhältnis ver-ändert werden. Wird nur ein Inputfaktor erhöht, so ist wiederum das Gesetz der abnehmenden Grenzproduktivität zu beachten!

Wenn besondere Synergien genutzt werden oder ab einer bestimmten Firmen-größe auf eine bessere Technologie umgestellt werden könnte, so wären auch steigende Skalenerträge vorstellbar. Abnehmende Skalenerträge erscheinen hin-gegen unplausibel; evt. könnte man argumentieren, dass die Managementaufga-ben in größeren Firmen schwieriger sind und daher Koordinationsprobleme ein-stehen können.

Eine sowohl in der Theorie als auch in der Empirie sehr oft verwendete Produk-tionsfunktion mit der Eigenschaft von konstanten Skalenerträgen ist die sog. Cobb-Douglas Produktionsfunktion

(1 )α α−= ⋅y k l , (5.9)

wobei mit k der Kapitaleinsatz und mit l der Arbeitseinsatz bezeichnet wird. Der Parameter α repräsentiert die Elastizität der Outputs bezüglich des Kapitalein-satzes und (1 )α− daher die Elastizität der Outputs bezüglich des Arbeitseinsat-zes. Da die Summe der beiden Elastizitäten gleich eins ist, führt eine Erhöhung von Arbeit und Kapital von jeweils 1% zu einer Outputsteigerung von ebenfalls 1% – d.h. es liegen konstante Skalenerträge vor. Wäre beispielsweise die Summe der beiden Elastizitäten (Exponenten in (5.9)) größer als eins, würden steigende Skalener-träge vorliegen.

5.2. Produktion und Kosten

Im vorherigen Abschnitt wurden die technologischen Möglichkeiten der Firma besprochen. Nun widmen wir uns dem Problem der Kostenminimierung. Dar-unter versteht man die Auswahl jener Inputmengen, die bei gegebenen Faktor-preisen ein bestimmtes Outputniveau mit minimalen Kosten erzeugen können.

Dieses Kostenminimierungsproblem ist der Gewinnmaximierung vorgelagert. Eine gewählte Inputkombination, die ein bestimmtes Outputniveau nicht mit mi-nimalen Kosten erzeugt, kann niemals zu einem Gewinnmaximum führen.

Zur Erreichung des Gewinnmaximums ist neben der Kostenminimierung auch die Bestimmung des optimalen Outputniveaus und, in Abhängigkeit von der Marktform, die Bestimmung des optimalen Verkaufspreises notwendig. Diese Probleme werden in späteren Abschnitten behandelt.

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Beim Kostenminimierungsproblem ist die Unterscheidung zwischen kurzfristi-ger und langfristiger Sicht wichtig. Bei der langfristigen Betrachtungsweise sind alle Produktionsfaktoren variabel, z.B. auch die Firmengröße und der Standort. Es fallen daher langfristig auch keine Fixkosten, d.h. vom Produktionsniveau unabhängige Kosten, an. Aus kurzfristiger Sicht sind manche Produktionsfakto-ren nicht veränderbar, insbesondere die Firmengröße, die Ausstattung mit Kapi-talanlagen und der Standort. Diese Faktoren verursachen dann kurzfristig ge-sehen Fixkosten.

Langfristige Kostenminimierung

Beginnen wir mit der langfristigen Analyse. Im Folgenden wird daher berücksichtigt, dass langfristig alle Inputfaktoren variabel sind. Um die Ausführungen möglichst einfach zu halten, gehen wir von lediglich zwei Inputfaktoren aus. Die Technologie der Firma lässt sich daher durch die Produktionsfunktion 1 2( , )y F x x= (5.10)

darstellen, wobei aufgrund der langfristigen Betrachtungsweise sowohl 1x als auch 2x variierbare Produktionsfaktoren repräsentieren, also z.B. den Arbeitseinsatz und Kapitaleinsatz. Bezeichnen wir die Faktorpreise mit 1w und

2w , so sind die Ausgaben für den Faktor i gleich i iw x und die Kosten C (engl.: Costs) insgesamt gleich 1 1 2 2C w x w x= + . (5.11)

Gleichung (5.11) bezeichnet man als die sog. Kostengleichung. Anzumerken bleibt, dass die Kosten auch sog. implizite Kosten enthalten können. Wenn z.B. der Un-ternehmer sein eigenes Land für die Produktion benützt, so werden als Kosten für diesen Inputfaktor der entgangene Ertrag verrechnet, der bei einer alternativen Verwendung des Landes entstehen würde, z.B. entgangene Pachterträge. Dieses Prinzip nennt man Opportunitätskostenprinzip.

Auflösung nach 2x ergibt:

12 1

2 2

w Cx xw w

= − + . (5.12)

Dies ist eine Geradengleichung in einem 1 2( , )x x -Diagramm mit dem Anstieg 1 2w w− (dem Faktorpreisverhältnis) und dem Abschnitt auf der Ordinate von

2C w . Das bedeutet, dass die Lage der Kostengleichung vom jeweiligen Kosten-niveau C abhängt.

Jeder Punkt auf der Kostengerade (5.12) stellt eine Inputkombination dar, die mit der Kostensumme C gerade noch angeschafft werden kann.

Das Problem besteht nun darin, jene Inputkombination 1 2( , )x x zu finden, mit der ein bestimmtes Outputniveau 0y unter Berücksichtigung der Technologie (5.10) mit minimalen Kosten C produziert werden kann. Die Lösung dieses Optimie-rungsproblems kann an Hand von Abb. 5.7 erörtert werden.

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Abb. 5. 7. Kostenminimale Inputkombination

In der Grafik wird das vorgegebene Outputniveau 0y durch die eingezeichnete Isoquante repräsentiert. Weiters sind drei Kostengeraden mit unterschiedlichen Kostenniveaus C dargestellt.

Mit der Kostensumme 0C kann das Outputniveau 0y nicht erreicht werden. Da-her muss die Kostensumme C solange erhöht werden (die Kostengerade solange parallel nach außen verschoben werden), bis die Kostengerade die Isoquante ge-rade berührt. Dies ist im Punkt P mit der Kostensumme *C der Fall. Die Input-kombination P mit den optimalen Faktoreinsatzmengen * *

1 2( , )x x stellt somit die kostenminimale Inputkombination dar, mit der 0y gerade noch produziert wer-den kann. Die dabei anfallenden Kosten sind *C und können durch den Schnitt-punkt der Kostengeraden mit der Ordinate gemessen werden.

Die Inputkombination 1P stellt kein Kostenminimum dar, da diese auf einer höheren Kostengerade liegt, mit der entsprechenden Kostensumme 1C .

Da im Kostenminimum die Isoquante die Kostengerade berührt, sind deren An-stiege gleich. Damit muss im Optimum gelten:

1 1

2 2

F wTRSF w

= = . (5.13)

Die Grenzrate der technischen Substitution (der negative Anstieg der Isoquante) ist gemäß Gl. (5.8) gleich dem Verhältnis der Grenzproduktivitäten und dieses muss im Optimum gleich dem Faktorpreisverhältnis sein – dem negativen An-stieg der Kostengerade. Bedingung (5.13) lässt sich auch folgendermaßen dar-stellen:

1 2

1 2

F Fw w

= . (5.14)

Dabei bezeichnet 11 w die Menge des Faktors eins, die man mit einem Euro kau-fen kann. Multipliziert mit der Grenzproduktivität 1MP , in der kurzen Schreib-

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weise 1F , ergibt dann den zusätzlichen Output, den man mit einem zusätzlichen Euro produzieren kann. Im Kostenminimum muss es demnach egal sein, in wel-chen Produktionsfaktor man einen zusätzlichen Euro investiert. Wäre Bedin-gung (5.14) nicht erfüllt, könnte man durch Umschichtung der Faktoren mit den gleichen Kosten mehr produzieren. Dies kann dann kein Kostenminimum sein!

Aus unsere Analyse lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass eine Verände-rung der Faktorpreise zu einer anderen kostenminimalen Inputkombination führt. Nehmen wir z.B. an, Faktor eins wäre der Arbeitseinsatz und 1w demnach der Lohnsatz. Der Lohn würde nun relativ zu 2w steigen. Dies würde eine steile-re Kostengerade in Abb. 5.7 implizieren und der Berührungspunkt mit der Iso-quante wäre weiter „links-oben“. Ein höherer Lohn würde demnach bei konstan-tem Output y zu einer geringeren Arbeitsnachfrage durch das Unternehmen füh-ren und zu einer verstärkten Nachfrage nach dem Faktor 2x .

Die Stärke dieser Substitution hängt von der Krümmung der Isoquanten ab. Im weiter oben diskutierten limitationalen Fall (vgl. Abb. 5.3) käme es überhaupt zu keiner Substitution der Faktoren, bei wenig gekrümmten Isoquanten zu einer starken Substitution.1

Eine Erhöhung des gewählten Outputniveaus würde ebenfalls eine größere Nachfrage nach Inputfaktoren bewirken. In Abb. 5.7 würde dies dazu führen, das die relevante Isoquante weiter rechts oben liegen würde.

Daher sind die optimalen, d.h. für ein gegebenes Outputniveau kostenminima-len Faktoreinsatzmengen eine Funktion der Faktorpreise und des gewählten Outputniveaus, also *

1 2( , , )ix x y w w= . (5.15)

Diesen Zusammenhang nennt man bedingte Faktornachfragefunktionen (bedingt auf ein gegebenes Outputniveau y). Zu beachten ist, dass die Faktor-nachfragen von den Faktorpreisen abhängig sind, da eine Wahlmöglichkeit zwi-schen den beiden variablen Faktoren besteht. Setzt man die optimalen Faktor-mengen *

ix in die Kostengleichung (5.11) ein, so erhält man die Kostenfunkti-on:

* *1 1 1 2 2 2 1 2( , , ) ( , , ) ( )C w x y w w w x y w w C y= + = . (5.16)

Die Kostenfunktion ordnet daher jedem Outputniveau y die minimalen Kosten zu. Lage und Anstieg der Kostenfunktion werden einerseits von der Technologie (Produktionsfunktion) und andererseits von den Faktorpreisen 1w und 2w be-stimmt.

Die Herleitung einer Kostenfunktion kann man sich auch grafisch veranschauli-chen. Betrachten wir dazu Abb. 5.8.

1 Als Maß für diese Faktorsubstitution aufgrund einer Veränderung des Faktorpreisverhält-nisses kann die sog. Substitutionselastizität herangezogen werden.

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Abb. 5.8. Expansionspfad der Firma

In dieser Abbildung sind die kostenminimalen Inputbündel P für mehrere, al-ternative Outputniveaus eingezeichnet. Die Verbindungslinie der optimalen In-putkombinationen nennt man den langfristigen Expansionspfad der Firma. Jedem Punkt auf dem Expansionspfad ist einerseits über die Isoquanten ein be-stimmtes Outputniveau y, andererseits über die optimalen Inputmengen und der jeweiligen Kostengerade auch eine bestimmte, minimale Kostensumme C zugeordnet. Diese kann auf der Ordinate abgelesen werden.

Die Werte von C und y, die den Punkten auf dem Expansionspfad zugeordnet sind, können nun in ein Kosten-Output-Diagramm eintragen werden. Dies ist in Abb. 5.9 geschehen. Dort entsprechen die Punkte P0, P1 und P2 jenen aus Abb. 5.8.

Abb. 5. 9. Langfristige Kostenfunktion der Firma

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Abb. 5.9 ist daher eine grafische Darstellung einer langfristigen Kostenfunktion. Man beachte, dass hier bei einem Outputniveau von null keine Fixkosten anfal-len.

Den Anstieg der Kostenfunktion bezeichnet man als Grenzkosten (engl: Margi-nal Costs, MC).

CMCy

∂≡∂

. (5.17)

Die Grenzkosten geben somit an, um wie viel sich die Kosten erhöhen, wenn eine zusätzliche Einheit produziert wird.

Eine weitere wichtige Größe sind die Durchschnittskosten oder auch Stück-kosten (engl.: Average Costs, AC). Diese sind definiert als

CACy

≡ , (5.18)

also Kosten pro produzierte Einheit.

Die spezielle Form der langfristigen Kostenfunktion hängt von den Skalenerträ-gen der Produktionsfunktion ab. Dies ist aus der Konstruktion der Kostenfunk-tion ersichtlich, da der Expansionspfad meist eine Gerade durch den Ursprung ist. Die Faktormengen werden daher in proportionaler Weise mit steigendem Output erhöht. Bei der in Abb. 5.9 gezeichneten Form werden zuerst leicht stei-gende und dann leicht sinkende Skalenerträge unterstellt.

Bei konstanten Skalenerträgen hätte die langfristige Kostenfunktion einen linea-ren Verlauf durch den Ursprung und die Grenz- bzw. Durchschnittskosten wären identisch und konstant (unabhängig von x).

Die Lage bzw. der Anstieg der Kostenfunktion wird von den Faktorpreisen be-stimmt. Höhere Faktorpreise würden die Kostenfunktion um den Ursprung nach oben drehen.

Kurzfristige Kostenminimierung

Bei der folgenden Analyse wird nun unterstellt, dass mindestens ein Produktionsfaktor kurzfristig fix ist. Um die Ausführungen möglichst einfach zu halten, gehen wir wieder von lediglich zwei Inputfaktoren aus. Die Technologie der Firma lässt sich daher durch die Produktionsfunktion 1 2( , )y F x x= (5.19)

darstellen, wobei 1x einen kurzfristig variablen Produktionsfaktor repräsentiert, z.B. den Arbeitseinsatz, und 2x einen kurzfristig fixen Produktionsfaktor, z.B. bestimmte Kapitalgüter oder generell die Betriebsgröße. Bezeichnen wir die Faktorpreise wieder mit 1w und 2w , so sind die Ausgaben für den Faktor i gleich

i ip x und die Kosten insgesamt gleich 1 1C w x fix= + , (5.20)

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wobei mit 2 2fix w x= die fixen Kosten bezeichnet werden. Gleichung (5.20) wird als kurzfristige Kostengleichung bezeichnet.

Wenn das Unternehmen seinen Output erhöhen will, so ist dies kurzfristig nur durch einen stärkeren Einsatz der variablen Inputfaktoren, in unserer Analyse

1x , möglich. Abbildung 5.10 soll das verdeutlichen. Die drei eingezeichneten Iso-quanten repräsentieren drei verschiedene Outputniveaus y. Die Menge des Fak-tors zwei sei kurzfristig auf 2x fixiert. Eine Outputsteigerung ist daher nur ent-lang des kurzfristigen Expansionspfades, einer Parallele zur 1x -Achse, mög-lich.

Abb. 5. 10. Kurzfristiger Expansionspfad

Dies entspricht aber genau der im vorherigen Abschnitt behandelten partiellen Faktorvariation. Aufgrund dieses Umstandes lassen sich die entstehenden Kos-ten bei der Produktion eines bestimmten Outputs besonders leicht und direkt ableiten. In Abbildung. 5.10 gehen wir ganz einfach von bestimmten Outputni-veaus y, repräsentiert durch deren Isoquanten, aus und lesen auf der Abszisse die dazu notwendige Faktormenge, 1x , ab.

Die Menge 1x ist bei fixem 2x daher ausschließlich vom gewählten Outputni-veau y abhängig, also 1 *

1 2( , )x g y x= . (5.21)

Diesen Zusammenhang nennt man kurzfristige bedingte Faktornachfrage-funktionen (bedingt auf ein gegebenes Outputniveau y und ein bestimmtes Ni-veau des fixen Faktors).2 Setzt man die optimale Faktormenge *

1x in die Kos-tengleichung (5.20) ein, so erhält man die kurzfristige Kostenfunktion:

1 Weiterführend: Aus 1 2( , )y F x x= folgt, * 1

1 2( , )x F y x−= . Die Funktion g(.) in Gl. (5.21), ist daher die Umkehrfunktion der Ertragsfunktion für ein fixes 2x . 2 Wenn auch kurzfristig mehrere Inputfaktoren variabel sind, so wäre das kurzfristige Kos-tenminimierungsproblem formal völlig identisch zur in Abb. 5. 7 präsentierten langfristigen Analyse. Insbesondere wäre das Ausmaß der eingesetzten Faktoren auch von deren Preisen abhängig.

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*1 1 2 2( , ) ( , )C w x y x fix C y x= + = . (5.22)

Die kurzfristige Kostenfunktion ordnet daher jedem Outputniveau y die minima-len Kosten zu, wobei allerdings nur die kurzfristig variierbaren Faktoren optimal an das Outputniveau angepasst werden.

Die nun abgeleitete kurzfristige Kostenfunktion lässt sich auch grafisch darstel-len. Dies ist in Abb. 5.11 geschehen. Zu beachten ist, dass die kurzfristige Kos-tenfunktion nicht durch den Ursprung geht, sondern dass auch bei einer Null-Produktion Kosten in der Höhe von 2 2fix w x= anfallen. Steigt der Output, so steigen auch die Kosten.

Abb. 5.11. Kurzfristige Kostenfunktion der Firma

Wie bereits bekannt, geben die Grenzkosten an, um wie viel sich die Kosten er-höhen, wenn eine zusätzliche Einheit produziert wird. In Abb. 5.11 nehmen die Grenzkosten, also der Anstieg der Kostenfunktion, zuerst mit steigendem x ab und später zu. Dieser Verlauf erinnert natürlich stark and den ertragsgesetzli-chen Verlauf der Ertragsfunktion – vgl. Abb. 5.5. Dass dies kein Zufall ist, sollte aus der Herleitung der Kostenfunktion klar sein – partielle Faktorvariation.1

Die letztlich ab einem bestimmten Outputniveau überproportional ansteigenden Kosten sind auf das Gesetz der abnehmenden Grenzproduktivität zurückzufüh-ren: um eine weitere Einheit zu erzeugen sind immer größer werdende zusätzli-che Mengen des variablen Inputfaktors notwendig.

Neben den Durchschnittskosten C y können nun außerdem noch die durch-schnittlichen variablen Kosten (engl.: Average Variable Costs, AVC) definiert werden. Dabei sind die variablen Kosten die vom Outputniveau abhängigen und daher gleich den Gesamtkosten C minus den Fixkosten fix. Bezieht man

1 Weiterführend: Aus der vorhergehenden Fußnote wissen wir, dass * 1

1 2( , )x F y x−= . Die Kostenfunktion ist daher * 1

1 1 1( ) ( )C w x y fix w F y fix−= + = + und die Grenzkosten sind ( )1 11C y w F∂ ∂ = , also der Kehrwert der Grenzproduktivität des Faktors eins multipliziert

mit dem Faktorpreis 1w .

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nun die variablen Kosten auf die produzierte Menge, so erhält man die durch-schnittlichen variablen Kosten, also: C fixAVC

y−

≡ . (5.23)

Die Zusammenhänge zwischen Kostenfunktion, Grenzkosten, Durchschnittskos-ten und durchschnittlicher variabler Kosten können in einem Diagramm darge-stellt werden. Dabei ist die prinzipielle Vorgangsweise unabhängig davon, ob es sich um kurz- oder langfristige Kostenfunktionen handelt. Lediglich die durch-schnittlichen variablen Kosten stellen eine Ausnahme dar, da sich diese nur bei kurzfristiger Analyse von den Durchschnittskosten unterscheiden.

Im oberen Teil der Abb. 5.12 ist eine kurzfristige Kostenfunktion dargestellt (Fixkosten größer null), im unteren die Grenzkosten, Durchschnittskosten und durchschnittliche variable Kosten.

Die Herleitung der Grenzkosten ist am einfachsten. Wie wir bereits wissen, ent-sprechen sie dem Anstieg der Kostenfunktion. Die Grenzkosten nehmen zuerst mit steigendem x ab und später zu. Das Minimum liegt bei Punkt W, dem Wen-depunkt der Kostenfunktion. Der steigende Verlauf der Grenzkosten ab Punkt W ist eine Folge der abnehmenden Grenzproduktivität, wenn es sich um eine kurz-fristige Kostenfunktion handelt. Bei langfristigen Kosten bestimmen, wie wir be-reits wissen (Seite 91), die Skalenerträge den Verlauf der Grenzosten.

Zur grafischen Herleitung der Durchschnittskosten kann wieder der auf Seite 83 beschriebene „Trick“ verwendet werden.

Wir legen in Abb. 5.12 einen Strahl vom Ursprung durch einen beliebigen Punkt der Kostenfunktion, z.B. durch Punkt P. Der Anstieg dieses Strahles (der Tan-gens des Steigungswinkels = Gegenkathete durch Ankathete) ist gleich C durch y und somit gleich den (gesamten) Durchschnittskosten. Punkt P wurde dabei so gewählt, dass der Anstieg des Strahles am kleinsten ist – jeder andere Strahl vom Ursprung durch einen beliebigen Punkt der Kostenfunktion weist einen größeren Anstieg auf. Im Punkt P liegt daher das Minimum der Durchschnittskosten.

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Abb. 5.12. Kostengeometrie

Da im Punkt P der Strahl durch den Ursprung gleich der Tangente an die Kos-tenfunktion ist, stimmen in diesem Punkt Grenzkosten und Durchschnitts-kosten überein. Im unteren Teil der Grafik erreichen die Durchschnittskosten daher beim Punkt P ihr Minimum und außerdem schneidet die Grenzkosten-kurve die Durchschnittskostenkurve genau in diesem Punkt.

Den Bereich sinkender Durchschnittskosten nennt man Economies of Scale, den Bereich von steigenden Durchschnittskosten bezeichnet man als Diseco-nomies of Scale.

Die gleiche Vorgangsweise kann auch für die durchschnittlichen variablen Kos-ten angewendet werden. Nur wird in diesem Fall der Strahl nicht durch den Ur-sprung gelegt, sondern durch den Punkt fix. Das Minimum der variablen Durch-schnittskosten befindet sich daher im Punkt V. Da im Punkt V der Strahl gleich der Tangente an die Kostenfunktion ist, stimmen in diesem Punkt Grenzkosten und variable Durchschnittskosten überein. Im unteren Teil der Grafik erreichen daher die variablen Durchschnittskosten beim Punkt V ihr Minimum und au-ßerdem schneidet die Grenzkostenkurve die variable Durchschnittskostenkurve genau in diesem Punkt.

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Klarerweise müssen die variablen Durchschnittskosten immer unter den gesam-ten Durchschnittskosten liegen. Die Differenz zwischen diesen beiden Kurven sind die durchschnittlichen Fixkosten, ( )fix y . Da die durchschnittlichen Fix-kosten mit steigendem Output y gegen null konvergieren – dieses Phänomen nennt man Fixkostendegression – wird der Abstand zwischen Durchschnitts-kosten und variablen Durchschnittskosten mit steigendem Output immer klei-ner.

Außerdem führt die Existenz von Fixkosten dazu, dass kurzfristige Durch-schnittskosten einen wesentlich stärkeren U-förmigen Verlauf annehmen als die variablen Durchschnittskosten. Daher kann bei kurzfristiger Betrachtung – so-lange nicht alle Faktoren variabel sind – regelmäßig von einem U-förmigen Ver-lauf der Durchschnittskostenkurve ausgegangen werden.

Beispiel: Kurzfristige Kosten bei einer Aluminiumerzeugung

Als Beispiel sollen nun die Kosten einer Aluminiumerzeugung diskutiert wer-den.1 Eine typische Aluminiumschmelzeinheit wird meist im Zweischichtbetrieb betrieben, wobei dabei in jeder Schicht rund 300 Tonnen pro Tag erzeugt werden können. Wir betrachten hier die kurzfristigen Kosten, die Errichtung einer neu-en Schmelzeinheit benötigt etwa vier Jahre.

Der Grossteil der variablen Kosten besteht aus Energiekosten und den Aufwen-dungen für den Rohstoff Bauxit. Diese Kosten verhalten sich proportional zum Output. Dies gilt auch für den Arbeitseinsatz solange im Zweischichtbetrieb ge-arbeitet wird. Will man die Produktion über 600 Tonnen pro Tag ausweiten ist eine dritte Schicht erforderlich. Dies erfordert aber einen Überstunden- bzw. Nachtarbeitszuschlag. Daher weist die Kostenfunktion im oberen Teil der Abbil-dung 5.13 bei 600 Tonnen eine Knick auf. Bei 900 Tonnen ist schließlich Kapazi-tätsgrenze auch für den Dreischichtbetrieb erreicht.

Im unteren Teil der Abbildung 5.13 sind die dazugehörigen Grenzkosten darge-stellt. Diese betragen für die ersten 600 Tonnen ca. 1140 Euro und ab 600 Ton-nen aufgrund der höheren Löhne 1300 Euro. Die Grenzkostenkurve weist daher bei 600 Euro eine Sprungstelle auf. Ab 900 Euro werden die Grenzkosten unend-lich.

Dieses Beispiel zeigt, dass die Gestalt der Kosten- bzw. Grenzkostenfunktionen nicht immer den idealisierten Verlauf, wie, z.B. in Abbildung 5.12, aufweisen müssen. Trotzdem bleiben aber die wesentlichen Einsichten unserer Analyse aufrecht.

Auch die Sprungstelle stellt kein wesentliches Problem dar. Wir brauchen ledig-lich vorauszusetzen, dass der Knick im oberen Teil von Abbildung 5.13 nicht wirklich ein Knick ist, sondern lediglich ein Abschnitt mit „besonders starker Krümmung“. In Wahrheit ist ein Knick auch in diesem Beispiel nicht ganz plau-sibel, da die Kapazitätsgrenze auch im Zweischichtbetrieb wahrscheinlich nicht 1 Diese Beispiel stammt aus dem Buch von Pindyck-Rubinfeld, S. 213.

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genau bei 600 Tonnen liegt, sondern mit teilweisen Überstunden ein bisschen nach außen verschoben werden kann. Dies würde aber den Knick vermeiden und im unteren Teil der Grafik zu keiner Sprungstelle bei den Grenzkosten führen, sondern lediglich zu einem Teilstück mit besonders großem Anstieg.

Abb. 5.13. Kosten- und Grenzkostenfunktion einer typischen Aluminiumerzeugung

Zusammenhang zwischen kurz- und langfristigen Kosten

In welcher Beziehung stehen nun kurz- und langfristige Kosten? Die langfristige Kostenfunktion zeichnet sich dadurch aus, dass alle Produktionsfaktoren varia-bel sind und daher für jedes Outputniveau y die kostenminimale Inputkombina-tion gewählt werden kann. Da kurzfristig zumindest ein Inputfaktor fix und damit nicht kostenoptimal eingesetzt werden kann, werden die kurzfristigen Kosten immer größer oder bestenfalls gleich den langfristigen sein. Dieser Um-stand ist in Abb. 5.14 dargestellt.

Mit LC wird die langfristige Kostenfunktion bezeichnet. C0 bis C2 bezeichnen drei kurzfristige Kostenfunktionen. Diese drei kurzfristigen Kostenfunktionen unterscheiden sich durch unterschiedliche Niveaus von 2x , des kurzfristig fixen

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Faktors zwei – vgl. Gleichung (5.22). Die kurzfristigen Kostenfunktionen liegen immer über der langfristigen, mit Ausnahme der Punkte, wo sie die langfristige Kostenfunktion gerade berühren. Die Berührungspunkte sind dadurch charak-terisiert, dass hier zufällig der fixe Faktor gerade in der optimalen Menge vor-liegt.

Nehmen wir als Beispiel Berührungspunkt P1. Die zugehörige kurzfristige Kos-tenfunktion ist C1. Diese kurzfristige Funktion ist für eine bestimmte Menge des kurzfristig fixen Faktors zwei – bezeichnen wir diese mit #

2x – abgeleitet wor-den. Bei der Outputmenge 1y würde aber zufällig bei der langfristigen Kosten-minimierung genau jenes Einsatzniveau an Faktor zwei gewählt werden, näm-lich #

2x . Daher sind bei diesem Outputniveau kurz- und langfristige Kosten gleich.

Abb. 5.14. Zusammenhang zwischen kurz- und langfristigen Kostenfunktionen

Bei anderen Outputniveaus ist die fixe Einsatzmenge #2x aber nicht mehr kos-

tenoptimal – die langfristige Optimierung würde ein anderes Niveau ergeben – und daher liegen bei anderen Outputniveaus die kurzfristigen Kosten über den langfristigen. Dieses Argument gilt natürlich für alle drei eingezeichneten kurz-fristigen Kostenfunktionen.

Die langfristige Kostenfunktion ist daher eine sog. Umhüllende für die kurz-fristigen Kostenfunktionen – die kurzfristigen Funktionen liegen über der lang-fristigen, berühren diese aber in einem Punkt.

Der letztlich steilere Verlauf der kurzfristigen Kostenfunktionen ist auf das Ge-setz der abnehmenden Grenzproduktivität zurückzuführen (partielle Faktorva-riation, es wird nur ein Inputfaktor verändert). Bei der langfristigen Kosten-funktion ist dieses Gesetz nicht wirksam, da langfristig die Skalenerträge rele-vant sind (proportionale Faktorvariation).

Generell gilt, dass sie Gestalt (Form) der kurzfristigen Kostenfunktionen durch den Verlauf der Grenzproduktivitäten determiniert wird, während die Gestalt der langfristigen Kostenfunktion von den Skalenerträgen abhängig ist.

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5. Theorie der Unternehmung free download version 99

Die Faktorpreise bestimmen die Lage bzw. den Anstieg sowohl der kurz-, als auch der langfristigen Kostenfunktionen.

In Abb. 5.15 ist der Zusammenhang zwischen langfristigen Durchschnitts- bzw. Grenzkosten und den kurzfristigen Durchschnitts- bzw. Grenzkosten dargestellt.

Abb. 5.15. Kurz und langfristige Durchschnitts- bzw. Grenzkosten

Mit LAC sind die langfristigen Durchschnittskosten und mit LMC sind die lang-fristigen Grenzkosten bezeichnet. Die LMC-Kurve schneidet die LAC in ihrem Minimum, im Punkt P1.

Mit SAC0 bis SAC2 werden die kurzfristigen Durchschnittskosten und mit SMC0 bis SMC2 die kurzfristigen Grenzkosten bezeichnet. Diese unterscheiden sich wieder durch unterschiedliche Niveaus 2x des kurzfristig fixen Faktors zwei. Die Grenzkostenkurven schneiden die Durchschnittskosten jeweils in ihren Minima.

Die Punkte P0 bis P2 bzw. die Outputniveaus 0y bis 2y entsprechen genau jenen aus Abb. 5.14, d.h. dass etwa bei Punkt P0 und der Outputmenge 0y die kurzfris-tige Durchschnittskostenkurve SAV0 die langfristige Durchschnittskostenkurve LAC berührt. Bei jedem anderen Outputniveau müssen die kurzfristigen Durch-schnittskosten höher sein als die langfristigen, da bei anderen Outputniveaus als 0y die Menge des fixen Faktors zwei nicht mehr dem optimalen Wert ent-spricht – vgl. dazu die obige Argumentation. Dieselbe Begründung gilt auch für alle andern kurzfristigen Durchschnittskostenkurven.

Damit hat auch die langfristige Durchschnittskostenkurve die Eigenschaft einer Umhüllenden – die kurzfristigen Funktionen liegen stets über der langfristigen, berühren diese aber in einem Punkt, bei dem das jeweilige Niveau des fixen In-putfaktors für diesen Output gerade optimal ist.

Interessant ist noch, dass beispielsweise die kurzfristigen Grenzkosten SMC0 sich mit den langfristigen Grenzkosten LMC beim Outputniveau 0y schneiden.

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Bei Betrachtung von Abb. 5.14 wird klar warum. Im Punkt P0 bei der Menge 0y berühren die kurzfristige Kostenfunktion C0 und langfristige Kostenfunktionen LC einander. Daher müssen sie in diesem Punkt den gleichen Anstieg haben und folglich gleich hohe Grenzkosten. Dieselbe Argumentation gilt natürlich auch für alle anderen kurzfristigen Grenzkostenkurven.

Generell gilt, dass die kurzfristigen Grenzkostenkurven einen letztlich steileren Verlauf aufweisen als die langfristige Grenzkostenkurve (Prinzip der abnehmen-den Grenzproduktivitäten bei partieller Faktorvariation).

Außerdem sind die kurzfristigen Grenzkosten mit höherem Niveau des fixen In-putfaktors generell niedriger (die 2SMC liegt rechts bzw. unter der 1SMC und diese wiederum rechts bzw. unter der 0SMC ). Dies liegt am Umstand, dass ein höheres Niveau des fixen Inputfaktors die Grenzproduktivität des variablen In-putfaktors erhöht (zusätzliche Arbeiter sind produktiver, wenn die Ausstattung mit Maschinen besser ist) und damit die zusätzlichen Arbeitskosten für eine weitere Outputeinheit verringert.

In Abb. 5.16 sind die lang- und kurzfristigen Durchschnitts- bzw. Grenzkosten für den Fall konstanter Skalenerträge der Produktionsfunktion dargestellt. In diesem wichtigen Spezialfall ist die langfristige Kostenfunktion eine Gerade durch den Ursprung und die Grenz- bzw. Durchschnittskosten sind identisch und konstant.

Die prinzipielle Gestalt der kurzfristigen Funktionen wird davon aber nicht be-rührt (konstante Skalenerträge sind eine Eigenschaft bei proportionaler und nicht bei partieller Faktorvariation).

Abb. 5.16. Kurz- und langfristige Durchschnitts- bzw. Grenzkosten bei konstanten

Skalenerträgen

Die U-förmige Gestalt der kurzfristigen Durchschnittskosten resultiert einerseits aus der Fixkostendegression (fallender Verlauf) und andererseits aus den ab-nehmenden Grenzproduktivitäten bei partieller Faktorvariation, die ab einem be-

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5. Theorie der Unternehmung free download version 101

stimmten Outputniveau den Effekt der Fixkostendegression dominieren (steigen-der Verlauf).

Bei steigenden Skalenerträgen hätten sowohl die langfristige Grenz- als auch die langfristige Durchschnittskostenkurve einen fallenden Verlauf und die Durchschnittskostenkurve würde über der Grenzkostenkurve liegen.

Bei der Darstellung der langfristigen Kosten- bzw. Durchschnitts- und Grenz-kostenfunktionen in den Abbildungen 5.14 bis 4.16 wurde davon ausgegangen, dass der kurzfristig fixe Inputfaktor, also z.B. der Kapitaleinsatz, langfristig in stetiger Weise variierbar ist. Dies stellt sehr oft eine gute Approximation zur Wirklichkeit dar. Denken wir z.B. an eine Baufirma, die sehr viele LKWs bzw. Baumaschinen verwendet. Diese Firma kann ihren Kapitalstock in fast stetiger Weise verändern.

Es gibt aber sicherlich auch technologische Umstände, wo dies nicht möglich ist. In den Abbildungen 5.17 und 5.18 ist der Fall dargestellt, wenn der Kapitalein-satz nur in diskreten Schritten veränderbar ist. Stellen wir uns z.B. ein Stahl-werk vor, dass entweder nur mit einem, zwei oder drei Hochöfen betrieben wer-den kann. In Abbildung 5.17 gilt die kurzfristige Kostenfunktion 1C , wenn das Werk nur einen Hochofen hat, die kurzfristige Kostenfunktion 2C gilt, falls zwei Hochöfen vorhanden sind und 3C gilt für drei Hochöfen.

Das Outputniveau ist aber kurzfristig, also für eine gegebene Anzahl von Hoch-öfen nicht fix, da ein Hochofen kurzfristig unterschiedlich intensiv genutzt wer-den kann, z.B. mit einer zusätzlicher Nachtschicht oder mit unterschiedlichen Füllmengen.

Wie man sieht, ist es ab der Outputmenge 2y langfristig vorteilhaft, auf zwei Hochöfen umzustellen, ab der Outputmenge 3y auf drei. Die langfristige Kosten-funktion entspricht daher wieder der fett gezeichneten Umhüllenden der kurzfris-tigen.

Abb. 5.17. Kurz- und langfristige Kostenfunktionen bei diskreter Veränderung des fixen In-

putfaktors

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102 free download version 5. Theorie der Unternehmung

In Abbildung 5.18 sind die dazugehörigen kurzfristigen Durchschnitts- bzw. Grenzkostenfunktionen dargestellt. Die Outputmengen 2y und 3y entsprechen jenen der vorhergehenden Abbildung. Auch hier entspricht die langfristige Durchschnittskostenkurve wieder gleich der fett gezeichneten Umhüllenden der kurzfristigen Durchschnittkostenkurven 1SAC bis 3SAC .

Interessant ist noch, dass die langfristige Grenzkostenkurve LMC, in der Abbil-dung 5.18 fett und strichliert gezeichnet, nun bei den Outputmengen 2y und 3y Sprungstellen aufweist.

Der Umstand, dass der Kapitalstock gelegentlich auch langfristig nur in diskre-ten Sprüngen veränderbar ist, macht zwar die Analyse etwas komplizierter, än-dert aber nichts Grundsätzliches. Manchmal kann es dadurch zu mehrdeutigen Lösungen bei der langfristigen Gewinnmaximierung kommen, sodass man ge-sondert überprüfen muss, ob die Lösungen auch tatsächlich ein globales Maxi-mum darstellen.

Abb. 5.18. Kurz- und langfristige Durchschnitts- bzw. Grenzkostenfunktionen bei diskreter

Veränderung des fixen Inputfaktors

Abschließend soll noch einmal auf den engen Zusammenhang zwischen der Pro-duktionsfunktion (Technologie) und der Kostenfunktion hingewiesen werden. Wie wir gesehen haben, spielt sowohl bei der Herleitung der kurzfristigen als auch der langfristigen Kostenfunktion die Gestalt der Produktions- bzw. Er-tragsfunktion eine wesentliche Rolle. Der Zusammenhang der beiden Konzepte ist so eng, dass man bei Kenntnis der Kostenfunktion im Allgemeinen auf die zugrunde liegende Produktionsfunktion zurückschließen kann, d.h. kennt man die Kostenfunktion einer Firma, so kennt man auch alle relevanten Aspekte ih-rer Technologie. Dieser Umstand wird als Dualität der Produktions- und Kos-tentheorie bezeichnet.

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5.3. Formale Analyse des Kostenminimierungsproblems **

Das Minimierungsproblem der Firma lautet:

1 21 1 2 2,

minz z

w x w x+ (5.24)

unter der Nebenbedingung: 0 1 2( , )y F x x= . (5.25) Bildung der Lagrangefunktion (Zielfunktion minus λ mal der Nebenbedingung in implizi-ter Form) liefert: ( )1 1 2 2 1 2 0( , )L w x w x F x x yλ= + − − . (5.26) Die Bedingungen 1. Ordnung erhalten wir durch Bildung der partiellen Ableitungen der Lagrangefunktion und Nullsetzen:

1 11

0L w Fx

λ∂= − =

∂,

2 22

0L w Fx

λ∂= − =

∂, (5.27)

1 2 0( , ) 0L F x x yλ∂

= − =∂

.

Elimination von λ aus den beiden ersten Gleichungen liefert:

1 1

2 2

w F TRSw F

= = . (5.28)

Dies ist völlig identisch zu der Optimalitätsbedingung (5.13). Demnach muss das Preisver-hältnis (Anstieg der Kostengeraden) gleich dem Verhältnis der Grenzproduktivitäten sein (Grenzrate der technischen Substitution). Der Lagrangemultiplikator λ entspricht den Grenzkosten. Zum Beweis setzen wir die op-timale Inputwahl in die Kostengleichung ein und erhalten so die Kostenfunktion:

* *1 1 1 2 2 2 1 2 1 2( , , ) ( , , ) ( , , )w x w w y w x w w y C w w y+ = . (5.29)

Differentiation nach x ergibt:

1 2 1 21 2 1 2

x x x xC w w F Fy y y y y

λ λ∂ ∂ ∂ ∂∂ = + = + = ∂ ∂ ∂ ∂ ∂ . (5.30)

Dabei wurde berücksichtigt, dass gemäß der Bedingungen 1. Ordnung i iw Fλ= gilt. Der Term in der Klammer ist schließlich gleich eins, was man durch Differenzieren der Neben-bedingung (5.25) nachweisen kann:

1 21 2 1 2( , ) 1x xF x x y F F

y y y y∂ ∂∂ ∂

= ⇒ + =∂ ∂ ∂ ∂

. (5.31)

Ganz allgemein geben die Lagrangemultiplikatoren an, wie sich die Zielfunktion verändert, wenn die Nebenbedingungen „ein klein wenig“ gelockert werden. Daraus folgt aber unter Berücksichtigung der Bedingungen 1. Ordnung i iw Fλ= :

1 2

1 2

w w MCF F

λ= = = . (5.32)

Wir wollen nun ein Beispiel für die Cobb-Douglas Produktionsfunktion rechnen. Es sei

11 2y x xα α−= .

Die drei Bedingungen 1. Ordnung lauten dann:

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104 free download version 5. Theorie der Unternehmung

1 11 1 2

1

0L w x xx

α αλα − −∂= − =

∂,

2 1 22

(1 ) 0L w x xx

α αλ α −∂= − − =

∂,

11 2 0 0L x x yα α

λ−∂

= − =∂

.

Division der ersten durch die zweite Bedingung führt zu:

21 2

1 1wx xw

αα

=−

. (5.33)

Einsetzen in die Produktionsfunktion (3. Bedingung) liefert:

122 2 0

1 1w x x yw

α

ααα

− = −

.

Lösen nach x2 ergibt schließlich:

* 22 0

11wx yw

ααα

= − .

Neuerliches Einsetzen in die Produktionsfunktion liefert die Lösung für x1:

1

* 21 0

11wx yw

ααα

= − .

Diese Gleichungen repräsentieren die bedingten Faktornachfragefunktionen der Firma in Abhängigkeit von Preisen und Produktionsniveau y. Einsetzen der bedingten Faktornachfragefunktionen in die Kostengleichung liefert die Kos-tenfunktion:

12 2

1 0 2 01 1

10 1 2 1

1 1

1 .(1 )

w wC w y w yw w

y w w

α α

α αα α

α αα α

α α

− −

−−

= + = − −

= −

Die Kostenfunktion ist demnach linear in y (aufgrund der konstanten Skalenerträge).

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5. Theorie der Unternehmung free download version 105

Kontrollfragen zu Kapitel 5: Theorie der Unternehmung

1. Welche Ziele verfolgen Unternehmen? Diskutieren Sie dabei das Ziel der Gewinnmaximierung. Welche Rolle spielt hie das Principal-Agent-Problem?

2. Wie können die technologischen Möglichkeiten einer Firma beschrieben werden?

3. Was sind Isoquanten? Welchen Verlauf können diese annehmen?

4. Was versteht man unter der Grenzrate der technischen Substitution? Warum fällt diese im Allgemeinen?

5. In welchem Bereich der Isoquante wird technisch effizient produziert?

6. Was versteht man unter partieller Faktorvariation? Wann ist diese be-sonders relevant?

7. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Produktionsfunktion und Er-tragsfunktion?

8. Was versteht man unter der Grenz- bzw. der Durchschnittsproduktivi-tät? Was besagt das Gesetz der abnehmenden Grenzproduktivität?

9. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Grenzproduktivität und TRS?

10. Was versteht man unter proportionaler Faktorvariation? Wann ist diese besonders relevant? Was sind Skalenerträge?

11. Finden Sie Argumente für konstante, steigende und fallende Skalener-träge.

12. Was besagt das Opportunitätskostenprinzip?

13. Welchen Zusammenhang bilden die (bedingten) Faktornachfragefunkti-onen ab? Wie unterscheiden sich diese kurz- und langfristig?

14. Welche Marginalbedingung muss im Kostenminimum bei mehreren va-riablen Inputfaktoren gelten? Wie kann man diese interpretieren?

15. Was versteht man unter dem Expansionspfad der Firma? Wie sieht die-ser bei nur einem bzw. bei zwei variablen Inputfaktoren aus?

16. Was ist die Kostenfunktion einer Firma? Wie kann diese hergeleitet werden? Welcher Unterschied besteht zwischen kurz- und langfristiger Kostenfunktion?

17. Hängt die Lage der Kostenfunktion auch von den Faktorpreisen ab?

18. Was versteht man unter den Grenz- bzw. Durchschnittskosten? Wie hängen diese geometrisch zusammen?

19. Warum haben die kurzfristigen Durchschnittskosten einen U-förmigeren Verlauf als die langfristigen Durchschnittskosten?

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106 free download version 5. Theorie der Unternehmung

20. Welche Gestalt weisen die Kostenfunktion und die Durchschnittskos-tenkurve bei konstanten und steigenden Skalenerträgen auf?

21. Welcher Zusammenhang besteht zwischen kurz- und langfristigen Kos-ten?

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6. Vollkommene Konkurrenz free download version 107

6. Vollkommene Konkurrenz

Im letzten Kapitel behandelten wir die Technologie der Firma, das Kostenmini-mierungsproblem und die daraus abgeleiteten Kostenfunktionen. Die Stellung der Firma auf dem Produktmarkt blieb bis jetzt jedoch völlig ausgeklammert. In diesem und in den nächsten beiden Kapiteln werden wir uns genau damit be-schäftigen.

Wir beginnen mit der vollkommenen Konkurrenz und leiten die gewinnmaximale Ausbringungsmenge und damit die Angebotsfunktion der Firma ab. Anschlie-ßend untersuchen wir, ähnlich wie in Kapitel 2, das Marktgleichgewicht, wel-ches aus dem Zusammentreffen des aggregierten Angebots der Firmen und der aggregierten Nachfrage der Haushalte auf einem vollkommenen Konkurrenz-markt resultiert. Dabei werden wir über die Analyse des 2. Kapitels hinausge-hen und insbesondere auch langfristige Aspekte untersuchen. Auch die Wohl-fahrtseigenschaften eines vollkommenen Konkurrenzgleichgewichtes und wohl-fahrtstheoretische Wirkungen staatlicher Eingriffe in Märkte werden behandelt.

Schließlich wird auch die Faktornachfrage von Firmen untersucht, wenn diese sowohl auf Güter- als auch auf Faktormärkten unter vollkommenen Konkur-renzbedingungen agieren.

Ein Markt mit vollkommener Konkurrenz (Perfect Competition) liegt vor, wenn die folgenden drei Bedingungen erfüllt sind:

1. Auf dem betreffenden Markt wird ein homogenes Gut produziert und gehandelt. Homogene, d.h. gleichartige Güter liegen vor, wenn es aus der Sicht des Nachfragers völlig irrelevant ist, wer der Hersteller ist und von welcher Firma sie letztendlich kaufen. Typischer Weise sind solche Güter in bestimmter Weise standardisiert, wie z.B. gewisse landwirt-schaftliche Güter (Weizen), Rohstoffe, bestimmte Halbfertigwaren und Finanzgüter (Devisen, Wertpapiere). Die meisten Finalgüter und Dienstleistungen fallen nicht in diese Kate-gorie. Diese sind sog. heterogene Güter – z.B. Autos von unterschiedli-chen Herstellern, Fernsehgeräte oder die Dienste eines Friseurs.

2. Auf dem Markt gibt es eine große Anzahl von Anbietern und Nachfra-gern, sodass niemand (für sich alleine) einen Einfluss auf den Markt-preis hat. Außerdem kann jeder Marktteilnehmer davon ausgehen, dass andere Marktteilnehmer nicht auf seine eigenen Aktionen reagieren.

3. Die Marktteilnehmer kennen alle ökonomisch relevanten Aspekte, ins-besondere die Preise.

Für langfristige Aspekte wird gelegentlich noch eine vierte Bedingung gefordert:

4. Es herrscht freier Marktzutritt und Marktaustritt. Firmen können je-derzeit und kostenlos in einen Markt eintreten und diesen auch verlas-sen.

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108 free download version 6. Vollkommene Konkurrenz

6.1. Gewinnmaximierung auf einem vollkommenen Konkurrenzmarkt

Aus den oben genannten ersten drei Bedingungen folgt, dass es auf einem voll-kommenen Konkurrenzmarkt nur einen Preis, nämlich den Marktpreis geben kann. Wenn ein Anbieter glaubt, er könne mehr als den Marktpreis verlangen, so wird er aufgrund der Gleichartigkeit der Güter und der Informiertheit der Konsumenten keine einzige Einheit mehr verkaufen können.

Ein Unterbieten des Marktpreis wäre zwar möglich, würde den Produzenten a-ber nichts nützen. Aufgrund seiner geringen Größe relativ zum gesamten Markt kann er aus seiner Sicht zum Marktpreis ohnehin jede beliebige Menge abset-zen. Als Beispiel können wir uns einen amerikanischen Weizenbauer vorstellen, der für den Weltmarkt produziert. Zum Weltmarktpreis kann er seine Ernte, egal wie groß sie ist, immer absetzen. Es ist daher aus seiner Sicht nicht opti-mal, weniger als den Marktpreis zu verlangen. Wenn er mehr verlangt, setzt er überhaupt nichts mehr ab.

Eine einzelne Firma auf einem vollkommenen Konkurrenzmarkt sieht sich da-her folgender, in Abb. 6.1 dargestellten Nachfragefunktion gegenüber.

Abb. 6. 1. Nachfragefunktionen aus der Sicht einer Firma bei vollkommener Konkurrenz

Die Nachfragefunktion in Abb. 6.1 ist horizontal, d.h. unendlich preiselastisch. Zum jeweiligen Marktpreis *p kann aus der Sicht der Firma jede beliebige Men-ge abgesetzt werden – aufgrund der Kleinheit im Verhältnis zum Gesamtmarkt – und eine winzige Preiserhöhung genügt, um überhaupt nichts mehr zu verkaufen – aufgrund der Homogenität der Güter und der Informiertheit der Nachfrager.

Selbstverständlich ist die Marktnachfrage, wie zum Beispiel im Kapitel 2 in Abb. 2.1 abgebildet, im Allgemeinen negativ geneigt. Aufgrund der Kleinheit re-lativ zum Markt sieht sich aber die Firma bei vollkommener Konkurrenz nicht der gesamten Marktnachfrage gegenüber, sondern eben einer horizontalen Nachfragefunktion wie in Abb. 6.1. Marktnachfrage und Nachfragefunktionen aus der Sicht der Firma bei vollkommener Konkurrenz müssen strikt unterschie-den werden.

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6. Vollkommene Konkurrenz free download version 109

Aus der obigen Argumentation folgt, dass der Preis für das produzierte Gut für die Firma auf einem vollkommenen Konkurrenzmarkt fix vorgegeben ist.

Die Firma agiert daher als Preisnehmer und kann lediglich den für sie optima-len Output bestimmen – man spricht daher auch von einem Mengenanpasser.

Wenden wir uns nun dem Problem der Gewinnmaximierung bei vollkomme-ner Konkurrenz zu. Der Gewinn Π einer Firma ist definiert als Erlös (Umsatz) minus Kosten also ( )px C xΠ ≡ − , (6.1)

wobei p x R⋅ ≡ den Erlös R bezeichnet (Preis mal produzierter Menge) und C(x) die Kostenfunktion des Unternehmens repräsentiert. (Das Symbol R für Erlös steht für das englische „Revenue”).

Man beachte, dass wir ab diesem Kapitel den Output der Firma mit x bezeich-nen, und nicht mit y wie im Kapitel 5, wo mit xi die Inputfaktoren bezeichnet wurden!

Wir erinnern uns, dass die Kostenfunktion einem gegebenen Outputniveau die jeweils minimalen Kosten zuordnet. Das Kostenminimierungsproblem, d.h. die optimale Wahl der Inputfaktoren, ist somit bereits gelöst. Wir brauchen uns da-her bei bekannter Kostenfunktion über die optimale Inputwahl keine Gedanken mehr zu machen.

Zu beachten ist allerdings, dass bei einer kurzfristigen Gewinnmaximierung die kurzfristige Kostenfunktion relevant ist (in diesem Fall sind nicht alle Inputfak-toren veränderbar), während bei einer langfristigen Gewinnmaximierung die langfristige Kostenfunktion wesentlich ist (in diesem Fall sind alle Inputfaktoren veränderbar).

Weiters wurde Gleichung (6.1) unter der Annahme konstanter Faktorpreise an-geschrieben. Wie wir aus der Analyse des Kapitels 5 wissen, führen Variationen in den Faktorpreisen zu einer anderen Wahl der Inputfaktoren und zu Verschie-bungen der Kostenfunktion. Davon wird in der folgenden Analyse abgesehen. Die entsprechenden Effekte von Änderungen in den Inputpreisen könnten mit unserem Instrumentarium aber relativ leicht analysiert werden.

Die einzige Variable der Gewinnfunktion (6.1), die eine Firma bei vollkommener Konkurrenz beeinflussen kann ist somit der Output x. Das Optimierungsprob-lem besteht nun darin, die produzierte Menge x so zu wählen, sodass die Ge-winnfunktion (6.1) maximiert wird. Die Bedingung 1. Ordnung lautet daher:

( ) ( ) 0d x dC xpdx dxΠ

= − = . (6.2)

Da dC dx definitionsgemäß gleich den Grenzkosten ist, folgt aus (6.2): ( )p MC x= . (6.3)

Die Outputmenge x muss daher so gewählt werden, dass die Grenzkosten dem Preis entsprechen (Bedingung 1. Ordnung).

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110 free download version 6. Vollkommene Konkurrenz

Bei einer langfristigen Gewinnmaximierung wird der Output daher anhand der Bedingung Preis = langfristige Grenzkosten ermittelt, bei einer kurzfristigen Gewinnmaximierung anhand der Bedingung Preis = kurzfristige Grenzkosten.

Die Bedingung 2. Ordnung für ein Maximum erfordert, dass die zweite Ablei-tung negativ ist. Es muss somit gelten:

( ) ( )2

2

( )( ) ( ) 0 ( ) 0

dC xd pd x d ddx MC x MC x

dx dx dx dx

− Π = = − < ⇒ > . (6.4)

Die Ableitung der Grenzkostenkurve, das ist deren Anstieg, muss positiv sein. Mit anderen Worten, die Grenzkostenkurve muss im Gewinnmaximum anstei-gend sein.

In Abb. 6.2 ist das Gewinnmaximierungsproblem des Unternehmens grafisch dargestellt. Die Gerade durch den Ursprung ist die Erlösfunktion p x⋅ . Auf-grund der Konstanz des Preises ist der Erlös R nur von der produzierten Menge abhängig und daher eine Gerade mit dem Anstieg p. Weiters ist die Kostenfunk-tion der Firma eingezeichnet. Deren Anstieg sind die Grenzkosten. Da der Ge-winn als Erlös minus Kosten definiert ist, ergibt sich der Gewinn Π in der Gra-fik als vertikaler Abstand zwischen Erlös- und Kostenfunktion.

Abb. 6. 2. Bestimmung der gewinnoptimalen Outputmenge

Der Gewinn ist dort maximal wo der Vertikalabstand am größten ist. Dies ist der Fall, wo die Anstiege von Erlös- und Kostenfunktion identisch sind, also p = MC gilt. In der Abb. 6.2 trifft dies bei der Menge *x zu.

Interessant ist in Abb. 6.2 noch der Punkt A, wo sich Erlös- und Kostenfunktion schneiden. Ab der zugehörigen Menge 1x macht das Unternehmen Gewinn. Dies wird als Break-Even Punkt bezeichnet.

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Die Bestimmung der optimalen Outputmenge ist auch an Hand der Darstellung in Abb. 6.3 möglich.1

Dort ist die Grenzkostenkurve der Firma eingezeichnet. Die Gewinnmaximale Outputmenge für den gegebenen Marktpreispreis *p finden wir dort, wo p = MC(x) gilt, also im Punkt X bei der Menge *x .

In dieser Darstellung lässt sich auch die Marginalbedingung (6.3), p = MC, sehr anschaulich interpretieren. Angenommen die Firma produziere die Menge 1x . Diese Menge ist nicht gewinnoptimal, weil bei einer Produktionsausweitung um eine Einheit Kosten in Höhe der Grenzkosten, repräsentiert durch Punkt A, und ein zusätzlicher Erlös in Höhe des Marktpreises, repräsentiert durch Punkt B, anfallen. Da hier der Marktpreis höher als die Grenzkosten ist, ist eine Produk-tionsausweitung um eine Einheit gewinnsteigernd. Die Produktion wird daher solange ausgeweitet, bis die Grenzkosten der letzten produzierten Einheit schließlich dem Preis entsprechen, wo also p = MC gilt.

Abb. 6. 3. Bestimmung der gewinnoptimalen Outputmenge

Abbildung 6.3 macht folgenden Umstand deutlich: Eine Veränderung des Preises, z.B. auf das Niveau 2p , würde zu einer Anpas-sung der gewinnoptimalen Ausbringungsmenge entlang der Grenzkostenkurve führen, in diesem Fall auf die Outputmenge 2x . Dies gilt allgemein und ist auf die Bedingung 1. Ordnung für das Gewinnmaximum zurückzuführen; Preisvari-ationen führen zu Outputänderungen entlang der Grenzkostenkurve (aber nur am steigenden Ast – Bedingung 2. Ordnung!). Damit ist auch folgende wichtige Implikation bewiesen:

Der steigende Teil der Grenzkostenkurve entspricht der Angebotsfunktion einer Firma bei vollkommener Konkurrenz.

Lage und Anstieg der Angebotsfunktion richten sich daher nach Lage und An-stieg der Grenzkostenkurve. Sie wird somit von der Technologie und von den 1 Man beachte, dass die Punkte A und Β in Abb. 6.3 nicht den Punkten A und B in Abb. 6.2 entsprechen.

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Faktorpreisen maßgeblich beeinflusst. Eine höhere Grenzproduktivität der In-putfaktoren bzw. eine Reduzierung der Faktorpreise würden daher die Ange-botsfunktion der Firma nach rechts bzw. nach unten verschieben – vgl. dazu auch die Ausführungen im Kapitel 2, wo diese Zusammenhänge ohne theoreti-sche Untermauerung postuliert wurden.

Ein weiterer interessanter Aspekt ist, dass der gewinnoptimale Output und damit die Angebotsfunktion von einer Gewinn- oder Pauschalsteuer nicht beeinflusst werden. Um dies zu beweisen nehmen wir an, dass die Firma einen Prozentsatz t ihres Gewinns als Körperschaftsteuer, und außerdem noch eine von der Ge-winn- bzw. Produktionshöhe unabhängige Pauschalsteuer T abführen muss. Der Nettogewinn der Firma ist dann: ( )(1 ) ( )netto t px C x TΠ = − − − . (6.5)

Differenzieren nach x ergibt aber genau dieselbe Marginalbedingung wie im Fal-le ohne Steuern, nämlich:

( )(1 ) 0

( ).

nettod dC xt pdx dx

p MC x

Π = − − =

⇒ =

(6.6)

Daher beeinflussen weder eine Gewinn- noch eine Pauschalsteuer die gewinnop-timale Angebotsmenge, obwohl die Gewinne natürlich sinken. Dieses Resultat gilt aber nur für diese beiden Steuertypen. Eine Umsatz- der Mengensteuer würde bei gegebenem Preis zu einer Verringerung des Angebotes führen, also zu einer Linksverschiebung der Angebotsfunktion. (Beweisen Sie diese Behaup-tung.)

Aus der Bedingung 2. Ordnung für ein Maximum – Gleichung (6.4) – wissen wir, dass nur der steigende Ast der Grenzkostenkurve relevant ist. Was wir aller-dings an den Marginalbedingungen nicht erkennen können, ist die Frage, ob im Gewinnmaximum überhaupt ein positiver Gewinn erwirtschaftet wird. Dieses Problem wollen wir an Hand der Abb. 6.4 erörtern.

Abb. 6. 4. Gewinn und kurz- bzw. langfristige Preisuntergrenzen

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6. Vollkommene Konkurrenz free download version 113

In Abb. 6.4 sind zusätzlich zur Grenzkostenkurve MC auch noch die Durch-schnittskosten AC (Stückkosten) und die variablen Durchschnittskosten VAC eingezeichnet – vgl. auch die Abbildung 5.12 des Kapitels 5.

Das Gewinnoptimum liegt hier wieder bei der Menge *x , wo der Marktpreis gleich den Grenzkosten ist. Die Differenz zwischen Preis und Durchschnittskos-ten gibt den durchschnittlichen Gewinn pro produzierter Einheit wieder. In der Abb. 6.4 ist das für die Menge *x die Strecke zwischen den Punkten X und A. Der Gewinn entspricht daher der grauen Fläche, nämlich durchschnittlicher Gewinn pro produzierter Einheit mal Anzahl der produzierten Einheiten *x .

Bei sinkenden Preisen nimmt nicht nur der Preis ab sondern auch die angebote-ne Menge entlang der Grenzkostenkurve und damit klarerweise auch der Ge-winn – die graue Fläche in Abb. 6.4 wird kleiner. Wenn der Preis das Niveau up erreicht hat, wird nur noch die Menge 2x angeboten. Da bei dieser Menge von x

up genau den Durchschnittskosten entspricht und damit der Gewinn in dieser Situation null beträgt, ist bei noch niedrigeren Preisen als up nur noch ein Ver-lust zu erwirtschaften. Langfristig wird daher die Firma bei Preisen unterhalb von up keine Güter mehr anbieten und aus dem Markt ausscheiden. Das Preis-niveau up , dass dem Minimum der Durchschnittkosten entspricht, stellt daher die langfristige Preisuntergrenze der Firma dar.

Kurzfristig kann es aber für das Unternehmen sinnvoll sein, auch bei Markt-preisen unterhalb von up weiterhin anzubieten. Bei Preisen zwischen up und

kup in Abb. 6.4 wird zwar ein Verlust erwirtschaftet, der Verlust bei einer Null-produktion und gleichzeitigem Aufrechterhalten der Produktionskapazität wäre allerdings aufgrund der anfallenden Fixkosten noch höher. Solange nämlich der Marktpreis über kup , dem Minimum der variablen Durchschnittskosten liegt, werden nicht nur die variablen Kosten zur Gänze durch den Preis abgedeckt, sondern zusätzlich auch ein Teil der Fixkosten. In diesem Fall spricht man von einem positiven Deckungsbeitrag.

Bei Preisen unterhalb von kup werden nicht einmal mehr die variablen Kosten zur Gänze abgedeckt und daher ist in diesem Fall auch ein kurzfristiges Auf-rechterhalten der Produktion nicht vorteilhaft. Die Firma wird daher die Pro-duktion unmittelbar einstellen und, wenn der Preis permanent auf diesem nied-rigen Niveau bleibt, schließlich aus dem Markt ausscheiden. Das Minimum der variablen Durchschnittskosten stellt daher die kurzfristige Preisuntergrenze der Firma dar.

Um zusammenzufassen: Die kurzfristige Angebotsfunktion der Unternehmung bei vollkommener Konkur-renz entspricht ihrer kurzfristigen Grenzkostenkurve im steigenden Ast oberhalb der variablen Durchschnittskosten.

Die langfristige Angebotsfunktion der Unternehmung bei vollkommener Konkur-renz entspricht ihrer langfristigen Grenzkostenkurve im steigenden Ast oberhalb der Durchschnittskosten.

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114 free download version 6. Vollkommene Konkurrenz

6.2. Die Produzentenrente

Ähnlich dem Konzept der Konsumentenrente (Abschnitt 3.6) lässt sich auch eine Produzentenrente definieren. Sie ist der Vorteil, den ein Produzent aus dem Umstand schöpft, seine Produkte zu einem einheitlichen Preis absetzen zu kön-nen.

Betrachten wir zur Erläuterung Abb. 6.4a. Wie wir bereits wissen, entspricht die Angebotsfunktion der Firma bei vollkommener Konkurrenz der Grenzkosten-kurve. Diese ist in Abb. 6.4a für eine repräsentative Firma eingezeichnet. Wenn der Marktpreis 0p beträgt, so ist die Firma bereit 0x Einheiten zu produzieren. Die Grenzkosten für die Produktion einer geringeren Menge, z.B. 1x , sind aber geringer, und entsprechen beispielsweise 1p Euro. D.h., wenn die Firma gerade

1x produziert und die Produktion um eine Einheit ausweitet, so fallen für diese zusätzliche Einheit 1p Euro an zusätzlichen Kosten an. Wenn diese zusätzliche Einheit zu 0p Euro verkauft wird, profitiert die Firma von dieser zusätzlichen Einheit im Ausmaß von 0 1( )p p− Euro (Grenzgewinn, vgl. Abb. 6.3).

Abb. 6. 4a. Produzentenrente

Summiert man diesen Vorteil für alle zusätzlichen Einheiten bis zur Menge 0x auf, so erhält man die Produzentenrente, die der Fläche über der Grenzkosten-kurve (Angebotsfunktion) bis zum tatsächlich gezahlten Preis 0p entspricht. Aus der Konstruktion (Summierung der Grenzgewinne) sollte klar sein, dass die Produzentenrente dem Gewinn plus etwaigen Fixkosten (Entlohnung, bzw. Ren-te für fixe Faktoren) entspricht.

6.3. Marktgleichgewicht

Wie bereits im Kapitel 2 behandelt, treffen auf einem Markt für ein bestimmtes Gut Angebot und Nachfrage zusammen. Mit Angebot und Nachfrage sind hier die Marktnachfrage und das Marktangebot gemeint. Welchen Zusammenhang gibt es nun zwischen individueller Nachfrage der Konsumenten und der Markt-

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nachfrage und welcher Zusammenhang besteht zwischen dem Angebot einer einzelnen Firma und dem Marktangebot?

Die Antwort darauf ist relativ einfach. Die Marktnachfrage nach einem be-stimmten Gut ist die Summe der individuellen Nachfragen der Konsumenten. Äquivalentes gilt auch für das Marktangebot. Diesen Übergang von individuel-ler Nachfrage (Angebot) zu Marktnachfrage (Marktangebot) nennt man Aggre-gation. Abb. 6.5 soll das verdeutlichen.

In dieser Grafik sind zwei Nachfragefunktionen zweier Konsumenten, Konsu-ment A und B, eingezeichnet. Wir haben dabei in Erinnerung, wie diese Nach-fragefunktionen im Kapitel 3 aus der Nutzenmaximierungshypothese hergelei-tet wurden

Abb. 6. 5. Horizontale Aggregation individueller Nachfragefunktionen

Angenommen der Preis des Gutes liegt bei 1p . Bei diesem Preis plant Konsu-ment A die Menge Ax nachzufragen (Punkt A auf seiner Nachfragefunktion), Konsument Β die Menge Bx (Punkt B auf seiner Nachfragefunktion). Die Sum-me dieser beiden Mengen ist Gx . Damit haben wir schon einen Punkt auf der aggregierten Nachfragefunktion, nämlich Punkt 1G .

Dieses Verfahren kann nun für jeden beliebigen Preis durchgeführt werden. Beim Preis 2p würden wir so zum Punkt 2G gelangen. Auf diese Weise, nämlich durch horizontale Aggregation, erhalten wir aus den individuellen Nachfrage-funktionen der Konsumenten die aggregierte, d.h. die Marktnachfrage.

Das gleiche Verfahren kann auch auf die Angebotsfunktionen der Firmen ange-wendet werden. Durch horizontale Aggregation der individuellen Angebotsfunk-tionen (Grenzkostenkurven) erhalten wir die Marktangebotsfunktion.1

1 Weiterführend: Dabei könnte allerdings eine Komplikation auftreten. Wenn bei steigen-dem Preis des produzierten Gutes alle Firmen von diesem Gut mehr produzieren und anbie-ten wollen, so könnten die Preise für die benötigten Inputfaktoren steigen. Dies würde aber die individuellen Grenzkostenkurven nach oben verschieben. Damit würde im Aggregat das Angebot der Firmen bei höherem Preis insgesamt weniger ansteigen, mit anderen Worten, die Marktangebotsfunktion wäre in diesem Fall steiler als die horizontale Aggregation aller individuellen Angebotsfunktionen.

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Das Marktgleichgewicht bestimmt sich dann als Schnittpunkt von Marktange-bot und Marktnachfrage, genauso wie wir dies im Kapitel 2 bereits analysiert haben. Abb. 6.6 ist daher lediglich eine Wiederholung aus Kapitel 2.

Der Gleichgewichtpreis *p führt dazu, dass jeder Konsument seinen, für diesen Preis geplanten und nutzenoptimalen Konsum auch verwirklichen kann und dass jede Firma ihre, für diesen Preis geplante und gewinnmaximale Output-menge auch absetzen kann.

Damit wird bei *p nicht nur der Markt geräumt – keine Überschussnachfrage und kein Überschussangebot – sondern alle Marktteilnehmer erreichen dabei auch die für diesen Preis bestmögliche Situation; die Konsumenten ihr Haus-haltsoptimum (Nutzenmaximum) und die Firmen ihr Gewinnmaximum.

Abb. 6.6. Marktgleichgewicht

Das Marktgleichgewicht auf einem vollkommenen Konkurrenzmarkt hat daher auch aus wohlfahrtstheoretischer Sicht gewisse optimale Eigenschaften. Darauf werden wir später in diesem Kapitel noch ausführlicher zu sprechen kommen.

Veränderungen der Marktnachfrage

Nun kann genauso wie im Kapitel 2 beschrieben, eine komparativ statische Ana-lyse durchgeführt werden. Eine Erhöhung der Marktnachfrage würde dabei zu einer Rechtsverschiebung der Marktnachfragefunktion führen und sowohl einen höheren Gleichgewichtpreis als auch eine größere produzierte und gehandelte Menge implizieren. Dies ist in Abb. 6.7 dargestellt.

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Abb. 6.7. Effekt einer Veränderung der Nachfrage

Eine Veränderung der Marktnachfrage kann durch alle Faktoren verursacht werden, die auch zu einer Veränderung der individuellen Nachfragefunktionen der Konsumenten führen. Aus der Theorie des Haushalts (Kapitel 3) wissen wir, dass die Lage der individuellen Nachfragefunktion neben den Präferenzen der Konsumenten in erster Linie durch das Einkommen der Haushalte und durch die Preise alternativer (evt. auch komplementärer) Güter bestimmt wird. Der Leser überlege sich, in welche Richtung eine Veränderung dieser Faktoren kon-kret wirken würde.

Die relative Stärke der Effekte einer Nachfrageänderung auf den Gleichgewichts-preis und die Gleichgewichtsmenge hängt von den Anstiegen der Angebots- und Nachfragefunktion ab.

Eine steile Nachfragefunktion bewirkt generell, dass eine Veränderung der Marktnachfrage zu stärkeren Mengeneffekten führt. Wie wir aus Kapitel 3 wis-sen, bestimmt vor allem das Ausmaß der Substitutionseffekte, und damit die Krümmung der Indifferenzkurven den Anstieg der Nachfragefunktionen. Ein-kommenseffekte sind hingegen nur bei wenigen Gütern relevant – lediglich bei Gütern, die einen hohen Anteil an den Gesamtausgaben ausmachen, können Einkommenseffekte eine merkbare Rolle spielen (z.B. Mieten).

Eine steile Angebotsfunktion bewirkt generell, dass eine Veränderung der Marktnachfrage eher zu Preis- und weniger zu Mengeneffekten führt. Wie wir aus der Theorie der Unternehmen (Kapitel 5) wissen, bestimmt die Technologie der Firma (kurzfristig eher die Grenzproduktivitäten – daher steiler, langfristig eher die Skalenerträge – daher flacher) die Gestalt der Grenzkostenkurve und damit die Marktangebotsfunktion.

Um die wichtige Rolle der Unterscheidung zwischen kurz- und langfristigen Ef-fekten näher zu untersuchen betrachten wir Abbildung 6.8.

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Abb. 6.8. Effekt einer Veränderung der Nachfrage, kurz- bzw. langfristig

Dort bezeichnet der Punkt 0P das Ausgangsgleichgewicht als Schnittpunkt der Nachfragefunktion 1D mit der kurzfristigen Angebotsfunktion 1S . Die kurzfris-tige Angebotsfunktion resultiert aus dem Umstand, dass kurzfristig nicht alle Inputfaktoren angepasst werden können. Die kurzfristige Angebotsfunktion (= kurzfristige Grenzkostenkurve) verläuft steiler als die langfristige, weil kurzfris-tig das Gesetz der abnehmenden Grenzproduktivität relevant ist, langfristig a-ber die Skalenerträge die Gestalt der Kostenfunktion bestimmen (vgl. dazu die Ausführungen in Kapitel 5). In Abbildung 6.8 unterstellen wir konstante Skalen-erträge, daher verläuft die langfristige Grenzkostenkurve (=Angebotsfunktion),

LS , horizontal.

Aufgrund einer Nachfrageerhöhung verschiebt sich nun die Marktnachfrage auf die Position 1D . Das neue kurzfristige Gleichgewicht liegt dann bei Punkt 1P , mit höheren Marktpreis und größerer gehandelter Menge, genau wie anhand der Abbildung 6.7. schon diskutiert.

Die langfristige Angebotsfunktion wird aber durch LS repräsentiert. D.h. lang-fristig ergibt sich Punkt 2P mit konstantem Preis und stärkerem Mengeneffekt.

Der Übergang vom kurzfristigen Gleichgewicht 1P zum langfristigen 2P erfolgt durch die Anpassung des fixen Inputfaktors (Kapitalausstattung) an das für den höheren Output kostenminimale Niveau. Der höhere Kapitalstock verschiebt die kurzfristige Angebotsfunktion nach rechts (unten)1 bis sie schließlich ebenfalls durch den Punkt 2P geht. Erst dann ist die Anpassung des Kapitalstocks abge-schlossen.

Auch Markteintritte anderer Firmen, angelockt durch den kurzfristig höheren Preis im Punkt 1P , könnten eine Verschiebung der kurzfristigen Angebotsfunk-tion nach rechts verursachen.

1 Für eine Begründung siehe die Diskussion auf der Seite 100.

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Veränderungen des Marktangebotes

Eine Verringerung des Marktangebotes führt zu einer Linksverschiebung der Marktangebotsfunktion und damit zu einem höheren Gleichgewichtpreis aber auch zu einer geringeren produzierten und gehandelten Menge. Dieser Fall ist in Abb. 6.9 dargestellt.

Abb. 6.9. Veränderung des Angebotes

Eine Veränderung der Angebotsfunktion kann durch alle Faktoren verursacht werden, die auch zu einer Veränderung der individuellen Angebotsfunktionen (Grenzkostenkurven) der Unternehmen führen. Aus der Theorie der Unterneh-men (Kapitel 5) wissen wir, dass die Lage der individuellen Grenzkostenkurven von der Technologie (Produktionsfunktion), vom jeweiligen Ausmaß der fixen Produktionsfaktoren und von den Faktorpreisen abhängig ist. Der Leser überle-ge sich wieder, in welche Richtung eine Veränderung dieser Einflussfaktoren konkret wirken würde.

Der Effekt einer Angebotsänderung auf den Gleichgewichtspreis und die Gleich-gewichtsmenge hängt wieder von den relativen Anstiegen der Angebots- und Nachfragefunktion ab. Eine steile Angebotsfunktion bewirkt generell, dass eine Veränderung des Angebotes eher zu Mengeneffekten führt. Eine steile Nachfrage-funktion bewirkt, dass eine Veränderung des Angebotes eher zu Preis- und weni-ger zu Mengeneffekten führt.

Was die Steilheit dieser Funktionen anbelangt, so gilt hier genau das gleiche, wie es schon weiter oben bei der Behandlung der Nachfrageeffekte dargelegt wurde.

6.4. Konkurrenzgleichgewicht und Wohlfahrtsoptimum

Abb. 6.10 zeigt die Konsumenten- und Produzentenrente beim Marktgleichge-wicht. Der Gleichgewichtspreis liegt bei *p . Die Fläche unter der Nachfrage-funktion bis zum Niveau *p repräsentiert daher die Konsumentenrente, die Flä-

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che oberhalb der Angebotsfunktion bis zum Niveau *p entspricht der Produzen-tenrente.

Abb. 6.10. Konsumenten- und Produzentenrente beim Marktgleichgewicht

Die Summe der beiden Flächen zeigt die Gesamtrente, die als Nettowohlfahrts-gewinn interpretiert werden kann, der durch die Produktion und dem Handel mit dem betreffenden Gut entsteht.

Das Bemerkenswerte daran ist, dass ein vollkommenes Konkurrenzgleichge-wicht die Gesamtrente maximiert. Betrachten wir dazu die Menge 1x in Abb. 6.10. Die Grenzkosten bei dieser Menge – also die zusätzlichen Kosten zur Pro-duktion einer zusätzlichen Einheit – betragen 1MC . Der sog. Vorbehaltspreis, welcher der marginalen Zahlungsbereitschaft des Konsumenten für eine weitere Einheit des Gutes entspricht, ist dann 1MZB (der entsprechende Punkt auf der Nachfragefunktion). Da die Zahlungsbereitschaft der Konsumenten für eine wei-tere Einheit größer ist als die Kosten der Produktion einer weiteren Einheit, kann durch eine Ausweitung der Produktion die Gesamtwohlfahrt erhöht wer-den!

Dieses Argument gilt, solange die Zahlungsbereitschaft der Konsumenten höher ist als die Grenzkosten. Im Marktgleichgewicht mit * *( , )x p sind diese genau gleich groß. Ab der Menge *x würde eine weitere Ausweitung der Produktion mehr kosten, als die Konsumenten bereit wären zu zahlen. Daher wird im voll-kommenen Konkurrenzgleichgewicht die Wohlfahrt maximiert.

Der hier verwendete Wohlfahrtsbegriff bedarf allerdings noch einiger Erörterungen. Das hier implizit zugrunde gelegte Konzept ist die sog. Pareto-Effizienz. Ein pare-to-effizienter Zustand liegt dann vor, wenn durch eine Umverteilung der Güter oder durch einen anderen Einsatz der Ressourcen niemand besser gestellt werden kann, ohne einen anderen schlechter zu stellen. Verharrt die Ökonomie in einem nicht pa-reto-effizienten Zustand (z.B. bei 1x in Abb. 6.10), so könnten durch eine Umvertei-lung der Güter oder durch einen anderen Einsatz der Ressourcen alle besser gestellt werden (Mehrproduktion bei 1x in Abb. 6.10). Solch ein Zustand kann daher keines-falls ein Wohlfahrtsoptimum darstellen. Pareto-Effizienz sagt allerdings nichts über

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die Verteilung der Güter aus. Ein Zustand, bei dem ein Konsument alles hat und der andere nichts, kann pareto-effizient sein!

Wenn die Summe aus Produzenten- und Konsumentenrente maximiert wird, wie das bei vollkommenen Konkurrenzgleichgewichten der Fall ist, so kann e-benfalls niemand besser gestellt werden, ohne einen anderen schlechter zu stel-len. Über die resultierende Verteilung der Güter und des Einkommens wird da-bei aber nichts ausgesagt.

Vollkommene Konkurrenzgleichgewichte sind daher im Allgemeinen pareto-effizient. Dies ist der Inhalt des sog. 1. Wohlfahrtstheorems. Die daraus resul-tierende Einkommens- und Güterverteilung hängt von den Erstausstattungen der Konsumenten mit Gütern oder Ressourcen ab.

Wohlfahrtsverluste bei staatlichen Eingriffen

Im vorherigen Abschnitt wurde argumentiert, dass in einem vollkommenen Konkurrenzgleichgewicht die Wohlfahrt maximiert wird. Es ist daher nicht ver-wunderlich, dass staatliche Eingriffe in den Marktmechanismus bei Vollkom-mener Konkurrenz im Allgemeinen zu Wohlfahrtsverlusten führen. Wir wollen nun zwei Beispiele für diese Problematik geben.

Im Kapitel 2.3 diskutierten wir kurz den Fall, dass die Regierung auf einem Markt (z.B. dem Wohnungsmarkt) einen Höchstpreis, der unter dem Gleichge-wichtpreis liegt, festlegt. Wir wollen nun die Konsequenzen für die Wohlfahrt solch einer Politik untersuchen.

Betrachten wir dazu Abb. 6.11. Das Marktgleichgewicht liegt bei *p und *x und entspricht jenem aus Abb. 6.10. Die Regierung setzt nun einen Höchstpreis maxp fest. Zu diesem Preis herrscht eine Überschussnachfrage, und die von den Fir-men angebotene und letztlich gehandelte Menge liegt bei 1x .

Abb. 6.11. Wohlfahrtseffekte eines Höchstpreises

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Die grauen Flächen repräsentieren die Konsumenten- und Produzentenrente. Die Konsumentenrente ist nun um das Dreieck A kleiner und um das Rechteck C größer als in der Ausgangslage eines Marktgleichgewichts. In der hier darge-stellten Grafik gewinnen die Konsumenten durch einen Höchstpreis, weil C grö-ßer als A ist (bei einer steileren Nachfragefunktion könnte allerdings A größer als C sein).

Die Produzentenrente ist deutlich kleiner als in der Ausgangslage eines Markt-gleichgewichts. Die Produzenten verlieren das Rechteck C und das Dreieck B.

Die Summe der beiden Renten ist um die Dreiecke A und B kleiner als in der Si-tuation des Marktgleichgewichtes. Diese Dreiecke repräsentieren daher den Nettowohlfahrtsverlust, den sog. deadweight loss, eines Höchstpreises.

Wie kommt es zu diesem Nettowohlfahrtsverlust? Durch den niedrigeren Preis profitieren die Konsumenten, deren Nachfragewünsche erfüllt werden – Recht-eck C. Diese Besserstellung mancher Konsumenten geht aber zulasten der Pro-duzenten, die das Rechteck C verlieren. Der daraus resultierende Nettoeffekt ist daher null. Darüber hinaus verlieren aber jene Konsumenten, die aufgrund des geringeren Angebotes nicht zum Zuge kommen – Dreieck A, und die Produzen-ten verlieren außerdem noch zusätzlich, weil aufgrund des niedrigeren Preises insgesamt weniger angeboten wird und daher auch aus diesem Grund die Ge-winne sinken – Dreieck B.

Die Ursache des Nettowohlfahrtsverlustes liegt daher am niedrigeren Angebot – also einem „Mengeneffekt“. Der „Preiseffekt“ – Rechteck C – führt lediglich zu einer Umverteilung, die durch eine Besteuerung wieder rückgängig gemacht werden könnte.

Obwohl in Abb. 6.11 die Konsumenten scheinbar profitieren, führt ein Höchst-preis insgesamt zu einem Nettowohlfahrtsverlust. Einerseits fließt auch die Produzentenrente letztlich den Konsumenten zu, da diese die Eigentümer der Firmen sind, andererseits könnten die Konsumenten bei einem Marktgleichge-wicht ohne Höchstpreis noch besser gestellt werden. Die Produzenten könnten z.B. mit einer Gewinnsteuer oder einer Pauschalsteuer belegt werden, die an die Konsumenten weitergeleitet wird.1 Die Steuer könnte so bemessen werden, dass sowohl die Konsumenten als auch die Produzenten besser gestellt sind als bei einem Höchstpreis. Die in Abb. 6.11. dargestellte Situation ist daher nicht pare-to-effizient, weil bei einem Marktgleichgewicht ohne Höchstpreis alle besser ge-stellt werden können.

Ein weiteres Beispiel für einen staatlichen Eingriff ist die Einführung einer Mengensteuer, d.h. die Unternehmen müssen pro abgesetzter Einheit einen be-stimmten Betrag an Steuern abführen. Dieser Fall ist in Abb. 6.12 dargestellt.

Die Ausgangslage stellt wieder das Marktgleichgewicht mit *p und *x dar. Die Regierung führt nun eine Stücksteuer t ein, die von den Unternehmen abzufüh-ren ist. Die Unternehmen bekommen pro abgesetzter Einheit nun nicht mehr p 1 Wie wir bereits wissen verändern sowohl eine Gewinn- als auch eine Pauschalsteuer den gewinnoptimalen Output einer Firma nicht.

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sondern lediglich (p – t). Daher verschiebt sich die Angebotsfunktion der Firmen um t nach oben auf die Lage 1S . Das neue Marktgleichgewicht liegt nun bei 1p und 1x .

Die sich daraus ergebenden Konsumenten- und Produzentenrenten sind wieder als graue Flächen eingezeichnet. Zu den beiden Renten müssen aber auch noch die Steuereinnahmen hinzugezählt werden, da diese an die Konsumenten bzw. Produzenten weitergegeben werden könnten. Diese „Staatsrente“ wird in der Grafik durch das Viereck ST repräsentiert (Steuersatz t mal Menge 1x ). Selbst unter Hinzurechnung der Steuereinnahmen ST ist die Summe der Renten KR+PR+ST kleiner als in der Situation ohne Stücksteuer. Der Nettowohlfahrts-verlust wird durch das Dreieck A repräsentiert.

Abb. 6. 12. Wohlfahrtseffekte einer Stücksteuer

Auch hier ist die eigentliche Ursache des Nettowohlfahrtsverlustes ein Mengen-effekt. Die Stücksteuer führt zu einer geringeren angebotenen Menge und daher zu einer schlechteren Marktversorgung.

Die obige Grafik kann auch eine weitere interessante Frage beantworten; wer bezahlt letztendlich die Steuer? Wie man in der Abbildung 6.12 erkennt, ist der Preisanstieg von *p auf 1p geringer als die Stücksteuer t, d.h. die Produzenten können die Steuer nicht vollständig auf die Konsumenten überwälzen. In unse-rem Beispiel tragen Konsumenten und Produzenten ungefähr gleich viel zum Steueraufkommen bei. Hätte die Nachfragefunktion einen steileren Verlauf (preisunelastischer) oder die Angebotsfunktion einen flacheren Verlauf (preis-elastischer) so würde der Preis stärker steigen und damit ein größeres Ausmaß der Steuer auf die Konsumenten überwälzt.

Als letztes Beispiel wollen wir uns die Wohlfahrteffekte von Importbeschrän-kungen näher ansehen. Betrachten wir dazu Abbildung 6.13.

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Abb. 6. 13. Wohlfahrtseffekte vom Importbeschränkungen

Dort bezeichnet D die heimische Nachfragefunktion nach einem Gut (z.B. Wei-zen) und dS die heimische Angebotsfunktion. Weizen wird aber auch auf dem Weltmarkt gehandelt, und der Weltmarktpreis für Weizen sei wp . Zu diesem Preis produzieren die heimischen Produzenten dwx und die Nachfrage beträgt

wx . Die Differenz zwischen beiden wird importiert.

Nun führt der Staat zum Schutz der heimischen Bauern ein Importverbot für Weizen ein. Es ergibt sich dann ein Gleichgewicht am heimischen Weizenmarkt aus dem Schnittpunkt der heimischen Nachfrage- und Angebotsfunktion mit dem Gleichgewichtspreis dp und der gehandelten Menge dx .

Wie sind die Wohlfahrtseffekte zu beurteilen? Dazu sind in der Grafik nicht mehr die Renten eingezeichnet, sondern die Veränderungen der entsprechenden Renten. Durch den Übergang auf die Importbeschränkung verlieren die Konsu-menten die Flächen A, B und C (um diese Flächen ist die Konsumentenrente nun kleiner).

Die Produzenten gewinnen durch die Importbeschränkung die Fläche Α. Der Nettowohlfahrtsverlust wird demnach durch die Flächen B und C repräsentiert.

Aus den drei obigen Beispielen kann folgende Schlussfolgerung gezogen werden: Staatliche Eingriffe in einen vollkommenen Wettbewerbsmarkt führen immer dann zu Wohlfahrtsverlusten, wenn dadurch die letztendlich gehandelte Menge verändert wird. Staatliche Eingriffe, die die letztlich gehandelte Menge nicht be-einflussen, wie z.B. Gewinn- oder Pauschalsteuern, führen lediglich zu Umvertei-lungseffekten und lassen die Gesamtrente unverändert.

Weiters können staatliche Eingriffe auch zu Wohlfahrtsgewinnen führen, wenn Grundannahamen der vollkommenen Konkurrenz nicht erfüllt sind, z.B. bei Mo-nopolen oder bei Vorliegen sog. externer Effekte und öffentlicher Güter. Letztere Probleme werden im Rahmen dieses Skriptums nicht behandelt.

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6.5. Gleichgewicht auf den Inputmärkten bei vollkommener Konkurrenz

Im folgenden Abschnitt soll die Nachfrage der Firmen nach den Inputfaktoren und das Marktgleichgewicht auf Märkten für Inputfaktoren untersucht werden. Dabei nehmen wir an, dass sowohl am Gütermarkt (Markt für das eigene Pro-dukt) als auch auf den Faktormärkten vollkommene Konkurrenz herrscht, so-dass die Firmen auf allen Märkten als Preisnehmer agieren.

Im Kapitel 5 wurden bereits bedingte Faktornachfragefunktionen hergeleitet. Diese resultierten aus dem Kostenminimierungsproblem für ein fixes Outputni-veau. Bei der Gewinnmaximierung wird zusätzlich auch der Output optimiert. Wir wie aus Gl. (6.1) bereits wissen, ist der Gewinn als Erlös minus Kosten defi-niert, also ( )px C xΠ = − . (6.7)

Durch die Berücksichtigung der Kostenfunktion C(x) ist das Kostenminimie-rungsproblem bereits gelöst. Da wir nun aber in erster Linie an den nachgefrag-ten Inputfaktoren interessiert sind, schreiben wir (6.7) etwas anders an: ( , )pF l k wl rkΠ = − − . (6.8)

Dabei wurde für den Output x die Produktionsfunktion ( , )x F l k= und für C(x) die Kostengleichung C wl r k= + eingesetzt. Um das Problem etwas anschauli-cher zu gestalten, interpretieren wir dabei den Inputfaktor eins als Arbeitsein-satz l. Der Preis für den Faktor Arbeit ist dann der Lohnsatz w. Der zweite In-putfaktor sei das eingesetzte Kapital, das mit k bezeichnet wird, und den Preis des Kapitals bezeichnen wir mit r (den „Mietpreis“ des Kapitals). In Abweichung von der üblichen Schreibweise aus Kapitel 5 haben wir daher: 1l x= , 2k x= ,

1w w= , 2r w= .

Kurzfristige Analyse

Wir nehmen wieder an, dass der Kapitaleinsatz kurzfristig nicht verändert wer-den kann. Die Firma maximiert daher kurzfristig ihren Gewinn durch Variation des Arbeitseinsatzes l. Dies kommt unter Berücksichtigung der Produktions-funktion einer Variation des Outputs gleich, und somit ist das hier behandelte Optimierungsproblem äquivalent zu dem am Anfang dieses Kapitels auf Seite 109 behandelten. Differenzieren von Gl. (6.8) nach l liefert die Bedingung 1. Ordnung:

( ) 0lpF l wl

∂Π= − =

∂,

( )lw pF l⇒ = . (6.9)

Der Arbeitseinsatz l wird daher so gewählt, dass der Lohnsatz w gleich dem Grenzprodukt des Faktors Arbeit, l lF F l MP≡ ∂ ∂ ≡ , mal dem Produktpreis p ist.

lp F bezeichnet man auch als Wertgrenzprodukt (engl.: Value of Marginal

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Product), weil es angibt, um wie viel wertmäßig mehr produziert wird, wenn vom Faktor Arbeit eine Einheit (ein Arbeiter oder eine Arbeitsstunde) mehr ein-gesetzt wird.1

Abb. 6.14 soll die Marginalbedingung (6.9) veranschaulichen. Die eingezeichnete Kurve entspricht dem Wertgrenzprodukt. Die Kurve ist fallend, weil mit stei-gendem Arbeitseinsatz (und konstantem Kapitaleinsatz) das Grenzprodukt der Arbeit lF abnimmt (Gesetz der abnehmenden Grenzproduktivität, vgl. dazu die Ausführungen über die Ertragsfunktion in Kapitel 5, insbesondere Abb. 5.5).

Der Lohnsatz sei *w . Bedingung (6.9) verlangt, dass vom Faktor Arbeit soviel eingesetzt wird, bis das Wertgrenzprodukt dem Lohnsatz w entspricht. Das ist im Punkt *P der Fall und der gewinnoptimale Arbeitseinsatz liegt daher bei *l .

Abb. 6. 14. Kurzfristige Arbeitsnachfrage

Warum liegt beispielsweise beim Arbeitseinsatz 1l kein Gewinnmaximum vor? Das Wertgrenzprodukt bei einem Arbeitseinsatz von 1l liegt bei Punkt A und ist somit höher als der Lohnsatz *w . Das bedeutet, dass der Wert der Mehrproduk-tion aufgrund des Einsatzes eines weiteren Arbeiters höher ist als die Kosten ei-nes weiteren Arbeiters, *w . Der Gewinn kann dadurch um die Differenz der Punkte A und B in Abb. 6.14 gesteigert werden, wenn der Arbeitseinsatz um ei-ne Einheit erhöht wird.

Dasselbe Argument gilt für alle Mengen, die kleiner als *l sind. Bei Einsatz-mengen größer als *l gilt genau das Umgekehrte. So ist z.B. bei dem Arbeitsein-satz 2l der Lohn höher als das entsprechende Wertgrenzprodukt, und bei einer Ausweitung des Arbeitseinsatzes würde der Gewinn um die Differenz der Punk-te C und D fallen.

1 Weiterführend: Die Marginalbedingung (6.9) kann zu lp w F= umgeformt werden und ist somit äquivalent zur „üblichen“ Gewinnmaximierungsbedingung ( )p MC x= da 1 lF an-gibt, wie viel Arbeit zusätzlich eingesetzt werden muss, um eine weitere Outputeinheit zu produzieren. Multiplikation mit dem Lohnsatz ergibt dann die kurzfristigen Grenzkosten. Vgl. dazu auch die beiden Fußnoten zur kurzfristigen Kostenminimierung in Kapitel 5.2.

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Die Einsatzmenge *l ist daher gewinnoptimal, da dort das Wertgrenzprodukt dem Lohnsatz entspricht, genau wie dies die Marginalbedingung (6.9) verlangt.

Aus der Analyse folgt auch, dass die Wertgrenzproduktskurve der Arbeitsnach-fragefunktion der Firma entspricht. Sinkt beispielsweise der Lohn auf das Ni-veau 2w , so ist die Arbeitsmenge 2l die optimale. Die Anpassung der Arbeit-nachfrage bei variierendem Lohnsatz erfolgt daher entlang der Wertgrenzpro-duktskurve.

Die graue Fläche unter der Arbeitsnachfragefunktion bis zum Preis *w ent-spricht dem Vorteil (Rente) der Firma, den sie aus dem Umstand schöpfen kann, dass sie alle Arbeiter zum gleichen Lohnsatz *w entlohnt, obwohl die zuerst ein-gestellten Arbeiter ein höheres Wertgrenzprodukt als *w aufweisen. Nur die zu-letzt eingesetzte Arbeitseinheit weist ein Wertgrenzprodukt in der Höhe von *w auf. Addiert man für alle Arbeiter die Differenz zwischen Wertgrenzprodukt und Lohnsatz auf, so erhält man den Gewinn der Firma (abgesehen von Fixkosten). Die graue Fläche in Abb. 6.14 ist daher ein Maß für den Gewinn des Unterneh-mens – vgl. die Ausführungen zur Produzentenrente in Abschnitt 6.2.

Im Abschnitt 3.9 wurde gezeigt, dass die Arbeitsangebotsentscheidung der Haushalte ebenfalls vom Lohnsatz abhängig ist, wobei mit steigendem Lohn das Arbeitsangebot der Haushalte in der Regel ansteigt. Die sich nach Aggregation über alle Haushalte ergebende Arbeitsangebotsfunktion und die aggregierte Ar-beitsnachfragefunktion der Firmen sind in Abb. 6.15 eingezeichnet. Diese Grafik stellt daher den Arbeitsmarkt dar.

Abb. 6. 15. Arbeitsmarktgleichgewicht

Beim Lohnsatz *w sind Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage gleich, und es herrscht somit ein Gleichgewicht am Arbeitsmarkt.

Da der Schnittpunkt *P notwendigerweise auch auf der Arbeitsnachfragefunk-tion liegt, entspricht der Gleichgewichtslohnsatz dem Wertgrenzprodukt, d.h. al-le Arbeiter werden mit dem Wertgrenzprodukt des zuletzt eingesetzten Arbeiters entlohnt. Wenn eine Firma einen Arbeiter weniger beschäftigt, dann hätte sie eine wertmäßige Produktionseinbuße von lp F . Und genau dies ist der Lohn, den

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die Arbeiter bei einem vollkommenen Konkurrenzgleichgewicht am Arbeits-markt erhalten. Der Gewinn der Firma (die Produzentenrente) entsteht da-durch, dass das Wertgrenzprodukt der Arbeiter im Durchschnitt höher ist als das Wertgrenzprodukt des zuletzt eingesetzten Arbeiters – vgl. dazu die graue Fläche in Abb. 6.14.

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Kontrollfragen zu Kapitel 6: Vollkommene Konkurrenz

1. Wie ist ein vollkommener Konkurrenzmarkt definiert?

2. Welcher Nachfragefunktion sieht sich ein Unternehmen bei vollkomme-ner Konkurrenz gegenüber?

3. Wie lautet die Marginalbedingung für das Gewinnmaximum bei voll-kommener Konkurrenz? Interpretieren Sie diese Bedingung.

4. Wie lässt sich die Angebotsfunktion einer Firma bei vollkommener Kon-kurrenz charakterisieren? Gibt es einen Unterschied zwischen kurz- und langfristiger Betrachtung? Was ist der Deckungsbeitrag?

5. Wie wirken sich Veränderungen der Marktnachfrage oder des Marktan-gebotes auf das Marktgleichgewicht aus? Welche Rolle spielen dabei die jeweiligen Anstiege der Angebots- und Nachfragefunktion? Was be-stimmt deren Anstieg?

6. Gibt es einen Unterschied zwischen kurz- und langfristigen Effekten ei-ner Nachfrageerhöhung?

7. Was versteht man unter der Konsumenten- bzw. Produzentenrente?

8. Diskutieren Sie die Wohlfahrtseigenschaften von vollkommenen Kon-kurrenzgleichgewichten.

9. Welche Wohlfahrteffekte können staatliche Eingriffe auf vollkommenen Konkurrenzmärkten haben?

10. Wie bestimmt sich die Inputnachfrage einer Firma bei vollkommener Konkurrenz?

11. Wie bestimmt sich das Angebot an Arbeitskraft bei vollkommener Kon-kurrenz(siehe Kapitel 3) ?

12. Welchen Lohn erhalten die Arbeiter auf einem vollkommenen Arbeits-markt? Ist diese Entlohnung gerecht?

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7. Monopol und monopolistische Konkurrenz free download version 131

7. Monopol und monopolistische Konkurrenz

In diesem Kapitel wollen wir uns mit der Marktform des Monopols und der mo-nopolistischen Konkurrenz beschäftigen. Ein Monopol liegt vor, wenn es in ei-ner Branche nur einen Anbieter gibt. Dieser sieht sich daher der gesamten Marktnachfrage gegenüber. Neben staatlichen Monopolen, die heute aber eine immer geringere Rolle spielen, ist insbesondere das Patentrecht für die Entste-hung von Monopolen wichtig. Aber auch bestimmte technologische Umstände – insbesondere fallende Durchschnittskosten (sog. natürliches Monopol) – die wir später noch genauer erörtern werden, können zu einer Monopolsituation führen.

Bei der monopolistischen Konkurrenz gibt es in einer Branche sehr viele An-bieter, die aber ein heterogenes Gut erzeugen, d.h. viele Anbieter erzeugen ein ähnliches, aber nicht genau identisches Gut. So gibt es z.B. viele Hersteller von Bier, doch die Konsumenten unterscheiden zwischen den verschiedenen Herstel-lern. Dies ist der wesentliche Unterschied zur vollkommenen Konkurrenz, wo al-le Hersteller in der Branche ein homogenes Gut erzeugen.

Auf den ersten Blick scheinen Monopol und monopolistische Konkurrenz nicht viel gemeinsam zu haben. Trotzdem ist die Analyse sehr ähnlich, sodass es sinn-voll ist, diese Fälle gemeinsam zu behandeln.

Auch von der inhaltlichen Seite her sind diese beiden Marktformen durchaus ähnlich. Sowohl ein Monopolist als auch ein Unternehmen bei monopolistischer Konkurrenz nehmen den Marktpreis nicht als gegeben hin, sondern erkennen ihre Möglichkeiten, auf den Preis Einfluss zu nehmen.

Dabei sind sie in der Wahl des Preises natürlich nicht völlig frei, sondern müs-sen berücksichtigen, dass sie zu einem bestimmten Preis nur die Menge verkau-fen können, die der Markt aufnimmt, mit anderen Worten, sie sehen sich einer negativ geneigten Nachfragefunktion gegenüber.

Der Unterschied besteht letztendlich darin, dass sich der Monopolist der gesam-ten Marktnachfrage gegenübersieht, während ein Unternehmen bei monopolis-tischer Konkurrenz nur einen kleinen Teil der Branchennachfrage bedient und der Preisspielraum aus der Heterogenität der angebotenen Güter herrührt.

Die Definition einer Branche bzw. die Abgrenzung des Marktes ist allerdings meist nicht ganz eindeutig. Ist Coca-Cola beispielsweise nur einer unter vielen Getränkeanbietern, oder ist Coca-Cola Monopolist für Coca-Cola Getränke. Oder wie ist die Lage zu beurteilen, wenn ein Pharmakonzern ein patentgeschütztes Medikament vertreibt und ein Konkurrent ein anderes Präparat verkauft, dass eine ähnliche aber doch nicht gleiche Wirkung hat.

Die Frage, ob wir es mit einem Monopol zu tun haben oder mit monopolistischer Konkurrenz ist also nicht immer eindeutig zu beantworten, obwohl es typischer Weise bei monopolistischer Konkurrenz viele andere Güter gibt, die ähnliche Be-dürfnisse befriedigen und die Konsumenten daher leichter umsteigen können. Die Preiselastizität der Nachfrage bei monopolistischer Konkurrenz wird daher

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aufgrund der leichteren Substituierbarkeit meist deutlich höher sein, als bei einer reinen Monopolsituation.

Es gibt noch eine weitere wichtige Gemeinsamkeit dieser beiden Marktformen. Sowohl der Monopolist als auch die Firmen bei monopolistischer Konkurrenz gehen davon aus, dass eigene Preis- oder Outputentscheidungen keinen Einfluss auf das Verhalten von anderen Firmen haben. Beim Monopolisten ist diese Vor-aussetzung klar, bei Firmen unter monopolistischer Konkurrenz ist diese An-nahme nur dann gerechtfertigt, wenn es in der Branche tatsächlich sehr viele Mitbewerber gibt, und die eigene Firma im Verhältnis zur gesamten Branche klein ist. Es werden also strategische Interdependenzen zwischen den Firmen ausgeschlossen. Sollten solche strategische Interdependenzen bestehen, haben wir es mit einer Oligopolsituation zu tun, die wir im nächsten Kapitel behandeln werden.

7.1. Gewinnmaximierung beim Monopol

Wir beginnen mit der Analyse des Gewinnmaximierungsproblems des Monopo-listen, wobei wir im Auge behalten, dass die Analyse einer Firma bei monopolis-tischer Konkurrenz völlig formal identisch ist. Lediglich die Nachfragefunktion, der sich solch eine Firma gegenübersieht, wird im Allgemeinen flacher sein, als beim reinen Monopol.

Der Gewinn eines Monopolisten ist wie üblich als Erlös R minus den Kosten C definiert, also ( ) ( )R x C xΠ = − . (7.1)

Der Erlös R (Umsatz) ist definiert als Preis mal Menge, also p x⋅ . Nun muss a-ber berücksichtigt werden, dass sich der Monopolist (eine Firma bei monopolisti-scher Konkurrenz) einer negativ geneigten Nachfragefunktion gegenübersieht. Dies ist der zentrale Unterschied zur vollkommenen Konkurrenz, wo sich die Firmen aufgrund ihrer Kleinheit und der Homogenität der angebotenen Güter einer horizontalen (unendlich preiselastischen) Nachfragefunktion gegenüberse-hen und damit einem aus ihrer Sicht fest vorgegebenen Preis.

Bezeichnen wir die Nachfragefunktion mit

( ), 0dxx x pdp

= < . (7.2)

Bei einem bestimmten Preis kann demnach vom Monopolisten nur die Menge x(p) abgesetzt werden. Daraus folgt aber, dass die Firma, wenn sie eine vorgege-bene Menge absetzen will, auch nur einen bestimmten Preis verlangen kann. Diesen Zusammenhang bildet die sog. inverse Nachfragefunktion

( ), 0dpp p xdx

= < (7.3)

ab, die einfach die Umkehrfunktion der Nachfragefunktion (7.2) darstellt. Be-rücksichtigt man diesen Umstand, so kann der Erlös des Monopolisten als

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7. Monopol und monopolistische Konkurrenz free download version 133

( )R p x x= (7.4)

angeschrieben werden. Die Optimierungsaufgabe lautet nun: Maximiere den Gewinn, Gleichung (7.1), durch Variation der Outputmenge unter Berücksichti-gung der inversen Nachfragefunktion (7.3).

Völlig äquivalent hätten wir auch formulieren können: Maximiere den Gewinn, Gleichung (7.1), durch Variation des Preises unter Berücksichtigung der Nach-fragefunktion (7.2). Die erste Variante erweist sich aber als leichter handhab-bar.

Beide Spielarten laufen letztlich auf dasselbe hinaus: Wähle jenen Punkt (Preis- Mengenkombination) auf der Nachfragefunktion, der den Gewinn maximiert.

Die Bedingung erster Ordnung finden wir durch Ableitung von (7.1) nach der Outputmenge x:

0d dR dCdx dx dxΠ

= − = . (7.5)

( ) ( )MR x MC x⇒ = . (7.6)

D.h., im Gewinnmaximum muss der Output so gewählt werden, dass der Grenz-erlös MR den Grenzkosten MC gerade entspricht.1 (Dabei steht MR für das engl. Marginal Revenue, mit MR dR dx≡ ).

Solange der Grenzerlös, das ist der zusätzliche Erlös, der aus einer weiteren Out-puteinheit resultiert, höher als die Grenzkosten ist, kann durch eine Produktions-ausweitung der Gewinn gesteigert werden. Erst wenn der zusätzliche Erlös den zusätzlichen Kosten einer weiteren Outputeinheit entspricht, kann durch eine Produktionsausweitung der Gewinn nicht mehr gesteigert werden. Genau dies sagt aber die Marginalbedingung (7.6) aus.

Wir wollen nun für eine lineare Nachfragefunktion das Gewinnmaximierungs-problem grafisch darstellen. Der Grund dafür, dass wir eine lineare Nachfrage-funktion betrachten liegt einfach darin, dass für diesen Fall die Grenzerlösfunk-tion ebenfalls linear ist und besonders leicht zu zeichnen ist.

Die Nachfragefunktion ( )x x p= sei gegeben durch:

1( ) ax p pb b

= − , (7.7)

wobei a und b positive Parameter sind. Wir benötigen die inverse Nachfrage-funktion, die einfach die Umkehrfunktion von (7.7) ist: ( )p x a bx= − . (7.8)

Den Erlös p x⋅ erhalten wir, indem wir die inverse Nachfragefunktion (7.8) mit x multiplizieren:

2( )R x ax bx= − . (7.9)

1 Die Bedingung 2. Ordnung für ein Maximum fordert, dass * *( ) ( )R x C x′′ ′′< . Die Grenzerlös-kurve muss also im Optimum einen geringeren Anstieg aufweisen als die Grenzkostenkurve.

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134 free download version 7. Monopol und monopolistische Konkurrenz

Der Grenzerlös, MR = dR dx , ist daher: ( ) 2MR x a bx= − . (7.10)

Verglichen mit der inversen Nachfragefunktion (7.8) hat die Grenzerlösfunktion (7.10) den doppelten Anstieg, nämlich 2b− , aber den gleichen Ordinatenab-schnitt a. Sowohl die inverse Nachfragefunktion als auch die Grenzerlösfunktion sind in Abb. 7.1 eingezeichnet. Die Nachfragefunktion ist mit D bezeichnet, die Grenzerlösfunktion mit MR. Man beachte, wie hier die Grenzerlösfunktion in einfacher Weise konstruiert werden kann (gleicher Ordinatenabschnitt wie D und aufgrund des doppelten Anstieges halber Abszissenabschnitt).

Die Gewinnmaximierungsbedingung (7.6) verlangt, dass der Output so gewählt werden muss, dass der Grenzerlös MR den Grenzkosten MC entspricht. Wir su-chen also in Abb. 7.1 den Schnittpunkt der Grenzelösfunktion mit der Grenzkos-tenfunktion und erhalten so den gewinnoptimalen Output *x . Den dazugehöri-gen Preis finden wir auf der Nachfragefunktion D im Punkt C, den sog. Cour-not’schen Punkt. Für den Monopolisten ist daher die Preis-Mengen-Kombination ( *p , *x ) auf der Nachfragefunktion D die gewinnoptimale Wahl.

Abb. 7. 1. Gewinnmaximum eines Monopolisten

Der Cournot’sche Punkt liegt immer im elastischen Bereich der Nachfragefunk-tion. Im unelastischen Bereich, also bei einer Preiselastizität betragsmäßig klei-ner eins, wäre es für die Firma immer optimal, den Preis anzuheben – und da-mit die Produktion zu senken – da dadurch der Erlös p x⋅ immer steigen würde. Bei nicht negativen Grenzkosten würde daher auch der Gewinn in dieser Situa-tion bei einer Preiserhöhung stets steigen. Daher kann im unelastischen Bereich der Nachfragefunktion niemals das Gewinnoptimum liegen.

Den Gewinn der Firma kann man ebenfalls grafisch darstellen. Der durch-schnittliche Gewinn pro verkaufter Einheit ist gleich der Differenz aus dem Preis p und den Durchschnittskosten AC. Multiplikation mit der Menge *x er-gibt dann den Gewinn. Dieser wird in der Grafik daher durch das graue Recht-eck repräsentiert.

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Der Grenzerlös beim Monopol

Die Gewinnmaximierungsbedingung (7.6) des Monopolisten lautet: Grenzerlös gleich Grenzkosten. Wie wir aus dem letzten Kapitel wissen, verlangt die Ge-winnmaximierungsbedingung einer Unternehmung bei vollkommener Konkur-renz, dass der Preis gleich den Grenzkosten ist. Bei vollkommener Konkurrenz ist aber der Grenzerlös, also der zusätzliche Erlös für eine weitere Einheit gleich dem Preis, sodass man die Gewinnmaximierungsbedingung auch bei vollkom-mener Konkurrenz als Grenzerlös gleich Grenzkosten formulieren könnte. Der Unterschied liegt aber darin, dass der Grenzerlös eines Monopolisten oder einer Firma bei monopolistischer Konkurrenz nicht mehr gleich dem Preis, sondern geringer ist. Dies ist relativ leicht einzusehen, da ein Monopolist den Preis sen-ken muss, und zwar für die gesamte Produktion (einheitlicher Preis für den ge-samten Output 1), wenn er eine zusätzliche Einheit verkaufen will. Je steiler die Nachfragefunktion, der sich der Monopolist gegenübersieht, umso mehr muss der Preis gesenkt werden, um eine zusätzliche Einheit zu verkaufen.

Wir wollen nun den Grenzerlös eines Monopolisten berechnen:

( )( )( )

d p x xdR dpMR p x xdx dx dx

≡ = = + . (7.11)

Dabei wurde beim Differenzieren von ( )p x x nach x die Produktregel angewen-det. Da dp dx , der Anstieg der inversen Nachfragefunktion, regelmäßig negativ ist (Ausnahme: Giffengüter), ist gemäß Gleichung (7.11) der Grenzerlös kleiner als der Preis, genau wie es zu erwarten war. Im rechten Teil der Beziehung (7.11) repräsentiert dabei der Term p den zusätzlichen Erlös der weiteren Out-puteinheit und der Term ( )dp dx x repräsentiert die Einbußen beim Erlös, die sich aus der notwendigen Preissenkung ergeben (Preissenkung mal Menge x).

Der Ausdruck (7.11) für den Grenzerlös kann noch weiter umgeformt werden. Wir erweitern mit 1 p und multiplizieren gleichzeitig mit p und gelangen so zur sog. Amoroso-Robinson-Formel, die den Grenzerlös in Abhängigkeit von der Preiselastizität der Nachfrage pε darstellt.

MR = ( ) 1( ) ( ) 1( ) ( ) ( )p

dp p x dp xp x x p x pdx p x dx p x xε

+ = + = + . (7.12)

Demnach ist der Grenzerlös des Monopolisten gleich dem Preis multipliziert mit eins plus dem Kehrwert der Preiselastizität. Wenn beispielsweise die Preiselas-tizität der Nachfrage gleich –2 ist, so ist der Klammerausdruck auf der rechten Seite von Ausdruck (7.12) gleich 1 2 und somit der Grenzerlös gleich 2p .

1 Wir sehen von den Möglichkeiten einer Preisdifferenzierung ab. Diese interessante und auch in der Praxis relevante Möglichkeit von Monopolisten wird erst in späteren Lehrveran-staltungen behandelt. Aus Abb. 7.1 ist aber schon zu erkennen, dass beim Output *x der Preis höher als die Grenzkosten ist. Daher würde der Monopolist seinen Gewinn erhöhen, wenn er weitere Einheiten zu einem Preis zwischen *p und GK verkaufen könnte, ohne da-bei den Preis der ersten *x Einheiten verringern zu müssen.

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136 free download version 7. Monopol und monopolistische Konkurrenz

Die Darstellung des Grenzerlöses in der Form (7.12) lässt auch eine weitere In-terpretation der Gewinnmaximierungsbedingung eines Monopolisten zu, die auch als Daumenregel von Firmen verwendet werden kann, die keine präzise Kenntnis über die Gestallt ihrer Nachfragefunktion haben: Die Bedingung Grenzerlös gleich Grenzkosten wird unter Berücksichtigung von Gleichung (7.12) zu:

11 ( )( )p

p MC xxε

+ =

, (7.13)

bzw. nach Division durch dem Klammerausdruck:

1 ( )11( )p

p MC x

=

+

. (7.14)

Für den Fall einer Preiselastizität der Nachfrage von –2 ist der Klammeraus-druck gleich 1 2 und der Preis somit doppelt so hoch wie die Grenzkosten.

Die optimale Preispolitik des Monopolisten besteht daher gemäß (7.14) in einem Aufschlag auf die Grenzkosten, wobei die Höhe des Aufschlages von der Preiselas-tizität der Nachfrage abhängig ist.

Diese Regel kann auch näherungsweise verwendet werden, wenn die genau Ges-talt oder Lage der Nachfragefunktion nicht bekannt ist. Man muss lediglich ü-ber eine Einschätzung die Preiselastizität der Nachfrage verfügen und Kenntnis über die eigenen Grenzkosten haben. Setzen des Preises gemäß (7.14) generiert automatisch die gewinnoptimale Nachfrage.

Ein fixer Aufschlag auf die Durchschnittskosten, wie dies öfters in der betriebs-wirtschaftlichen Kostenrechnung durchgeführt wird, ist somit im Allgemeinen keine optimale Preispolitik. Zum einen müsste vorausgesetzt werden, dass die Preiselastizität der Nachfrage bei variierenden Mengen konstant ist. Zum ande-ren stimmen nur im Falle konstanter Skalenerträge, also bei linearen Kosten-funktionen ohne Fixkosten, Grenz- und Durchschnittskosten überein und nur in diesem Fall wäre ein fixer Aufschlag auf die Durchschnittskosten die optimale Strategie.

Bei vollkommener Konkurrenz würde der Preis gemäß Gleichung (7.14) genau den Grenzkosten entsprechen. Dies kann man leicht überprüfen, indem man die Preiselastizität der Nachfrage unendlich setzt, wie dies bei vollkommener Kon-kurrenz der Fall ist. In diesem Fall konvergiert der Klammerausdruck in (7.14) gegen eins und wir erhalten als Grenzfall p MC= .1

1 Weiterführend: Gl. (7.14) kann dazu verwendet werden, das Ausmaß der Monopolstellung einer Firma zu messen. Je preisunelastischer die Nachfrage, umso größer die Monopolmacht und umso stärker weicht der gesetzte Preis von den Grenzkosten ab. Ein entsprechendes Maß ist die prozentuelle Abweichung des Preises von den Grenzkostosten, der sog. Lerner-Index: ( ) / 1 (1 1 ) 1p pL p MC p p p MC p ε ε= − = − = − + = − . Bei vollkommener Konkur-renz wäre L gleich 0.

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7. Monopol und monopolistische Konkurrenz free download version 137

Komparative Statik beim Monopol

Auch für den Monopol-Fall kann selbstverständlich untersucht werden, wie sich Nachfrageänderungen oder Veränderungen der Kosten auf das Marktergebnis auswirken.

Eine Steigerung der Grenzkosten, z.B. durch höhere Löhne oder Energiekosten, würde in Abb. 7.1 die Grenzkostenkurve nach oben verschieben. Der Schnitt-punkt mit der fallenden Grenzerlöskurve wäre daher weiter links und die ge-winnoptimale Angebotsmenge wäre kleiner. Der Gleichgewichtspreis wäre in diesem Fall ebenfalls höher.

Eine größere Nachfrage würde in Abb. 7.1 zu einer Rechtsverschiebung der Nachfragefunktion und damit auch der Grenzerlösfunktion führen. Dies würde zu einer Erhöhung des gewinnoptimalen Outputs führen – der Schnittpunkt der verschobenen Grenzerlöskurve mit der Grenzkostenkurve wäre weiter rechts. Die Konsequenzen für den Gleichgewichtspreis wären nicht eindeutig und hän-gen von der Gestalt der Grenzkostenkurve bzw. der Nachfragefunktion und auch von der Art der Nachfrageänderung ab. Bei steigenden Grenzkosten ergibt sich nach einer Nachfrageerhöhung im Allgemeinen ein höherer Preis.

Bei vollkommener Konkurrenz gibt es eine eindeutige Beziehung zwischen Preis- und Mengenänderungen nach Variationen der Nachfrage, nämlich die aggregier-te Angebotsfunktion. Bei Monopolen existiert keine eindeutige Beziehung zwi-schen Preis- und Mengenänderungen bei einer Veränderung der Nachfrage, weil hier das Ergebnis stark von der Art der Nachfrageänderung abhängig ist. D.h., ein monopolistischer Markt hat im Allgemeinen keine Angebotsfunktion.

Zum Schluss dieses einführenden Abschnittes in die Monopoltheorie wollen wir noch die Monopollösung mit der Outputmenge vergleichen, die sich bei voll-kommener Konkurrenz ergeben würde.

Nehmen wir dazu an, man könnte den Monopolisten zwingen, sich wie ein Un-ternehmen bei vollkommener Konkurrenz zu verhalten. Die gewinnmaximieren-de Bedingung wäre dann Preis gleich Grenzkosten und die Grenzkostenkurve würde der Angebotsfunktion des Unternehmens entsprechen. Alternativ könn-ten wir uns vorstellen, dass der Monopolist in eine große Zahl kleinerer Firmen zerlegt wird und sich diese Firmen daher wie bei vollkommener Konkurrenz verhalten. Die Aggregation der Grenzkostenkurven würde dann der Marktange-botsfunktion entsprechen.

Das Marktergebnis finden wir dann in Abb. 7.1 im Schnittpunkt der Grenzkos-tenkurve (der Marktangebotskurve bei vollkommener Konkurrenz) mit der Marktnachfragekurve D. Dieser Schnittpunkt ist in Abb. 7.1 mit V bezeichnet. Wie man erkennen kann, impliziert die vollkommene Konkurrenzlösung einen niedrigeren Preis und vor allem auch eine höhere Outputmenge. Monopole füh-ren daher im Vergleich zur vollkommenen Konkurrenz zu einer schlechteren Marktversorgung.

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7.2. Wohlfahrtseigenschaften des Monopols bzw. der monopolisti-schen Konkurrenz

Am Schluss des letzten Abschnittes gingen wir bereits kurz auf die Wohlfahrts-eigenschaften des Monopols ein. Wir wollen dieses Problem nun etwas genauer untersuchen. Dabei sind uns wieder die Konzepte der Konsumenten- bzw. Pro-duzentenrente behilflich.

Betrachten wir dazu Abb. 7.2. Dort wird die Nachfragefunktion, der sich der Monopolist bzw. das Unternehmen bei monopolistischer Konkurrenz gegenüber-sieht, wieder mit D bezeichnet. Die Monopollösung ergibt sich als Schnittpunkt der Grenzerlöskurve MR mit der Grenzkostenkurve MC. Der gewinnoptimale Output liegt daher bei *x und der zugehörige Gleichgewichtspreis bei *p . Die Konsumentenrente bei diesem Marktergebnis * *( , )x p wird mit KR bezeichnet und entspricht der dunkelgrauen Fläche. Die Produzentenrente ist mit PR be-zeichnet und wird durch die hellgraue Fläche repräsentiert.

Abb. 7. 2. Konsumenten- und Produzentenrente beim Monopol

Wie wir aus dem vorherigen Abschnitt wissen, liegt die vollkommene Konkur-renzlösung beim Schnittpunkt der Grenzkostenkurve (Marktangebot bei voll-kommener Konkurrenz) mit der Nachfragefunktion. Das Marktergebnis ist in diesem Fall somit ( , )voko vokop x . Die Summe der Renten ist im Monopolfall um die Dreiecke A und B kleiner als bei vollkommener Konkurrenz. Das Monopol führt daher zu einem Wohlfahrtsverlust.

Die Produzenten gewinnen dabei das Rechteck C auf Kosten der Konsumenten und verlieren das Dreieck B. Die Konsumenten verlieren das Dreieck A und das Rechteck C. Das Rechteck C repräsentiert dabei die Umverteilung zu Gunsten der Firmen durch den im Vergleich zur vollkommenen Konkurrenz höheren Preis. Doch diese Umverteilung ist nicht die Ursache des Wohlfahrtsverlustes, da sie durch eine Gewinn- bzw. Pauschalsteuer wieder wettgemacht werden könnte. Außerdem fließen die höheren Gewinne den Eigentümern, also Konsumenten zu.

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7. Monopol und monopolistische Konkurrenz free download version 139

Die Ursache des Wohlfahrtsverlustes liegt an dem Umstand, dass beim Monopol die angebotene Gütermenge kleiner ist. Der daraus resultierende Rentenverlust wird durch die Dreiecke A und B repräsentiert.

Dass die Monopollösung nicht pareto-effizient sein kann erkennt man auch dar-an, dass bei der Menge *x die marginale Zahlungsbereitschaft bzw. der Vorbe-haltspreis der Konsumenten *p beträgt und somit größer als die Grenzkosten ist. Zur Erinnerung sei nochmals darauf hingewiesen, dass ein Punkt auf der in-versen Nachfragefunktion p(x) den Betrag misst, den die Konsumenten bei die-sem Outputniveau x bereit sind, für eine weitere Einheit des Gutes zu bezahlen – also repräsentiert p(x) die marginale Zahlungsbereitschaft der Konsumenten. Die Grenzkosten der Produktion bei der Menge *x sind aber deutlich geringer als

*p , nämlich gleich dem Grenzerlös.

Die Konsumenten könnten sich nun besser stellen, in dem sie den Produzenten mit einem Geldbetrag, der etwas über den Grenzkosten liegt, zur Produktion ei-ner weiteren Einheit „bestechen“. In diesem Fall würden sowohl die Konsumen-ten als auch die Firma profitieren. Für die Firma wäre dies deshalb vorteilhaft, weil sie nur für die zusätzlichen Einheiten den Preis senken müsste, und nicht für die bereits vorher verkauften. Die Konsumenten würden profitieren, weil sie für das Gut weniger als ihre Zahlungsbereitschaft bezahlen müssten.

So eine Pareto-Verbesserung wäre immer möglich, solange die marginale Zah-lungsbereitschaft der Konsumenten höher als die Grenzkosten ist. In der voll-kommenen Konkurrenzlösung sind diese beiden Größen gleich hoch, da sich dort die Nachfragefunktion mit der Grenzkostenkurve schneidet. Die vollkommene Konkurrenzlösung ist daher pareto-effizient.

Bei einer Monopolsituation könnten daher staatliche Eingriffe wohlfahrtsför-dernd wirken. So könnte die Regierung einen Höchstpreis festsetzen, z.B. auf das Niveau vokop in Abb. 7.2. Bei diesem amtlichen Höchstpreis wäre es für den Monopolisten optimal die Menge vokox zu produzieren. Dies liegt an dem Um-stand, dass für alle geringeren Outputmengen als vokox die Grenzkosten niedri-ger als der amtlich geregelte Preis vokop sind. Daher ist es für das Unternehmen gewinnsteigernd den Output bis auf das Niveau vokox auszuweiten. Auf diese Weise könnte die pareto-effiziente vollkommene Konkurrenzlösung, Punkt V, durch den staatlichen Eingriff erreicht werden.

Manchmal kann es langfristig gesehen aber besser sein, den Firmen ein gewis-ses Ausmaß an Monopolgewinnen zu überlassen. Denken wir z.B. an sehr for-schungsintensive Produktionen wie Medikamente. Wenn die Unternehmen für neue Entwicklungen nicht durch entsprechende Gewinne belohnt werden, so fällt der Anreiz für die Forschungstätigkeit weg. Daher wird den Firmen gerade für solche Produktionen durch das Patentrecht eine zeitlich begrenzte Monopol-macht garantiert. Ökonomisch betrachtet besteht hier das Problem, das richtige Ausmaß des Patentschutzes zu wählen. Wird der Patentschutz zu lange ge-währt, dominieren die in Abb. 7.2 dargestellten Wohlfahrtsverluste, ist der Pa-tentschutz zu kurz, kann dadurch die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit der Firmen zu stark beeinträchtigt werden.

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7.3. Natürliches Monopol

Was verursacht eigentlich Monopole? Neben staatlichen Monopolen und Mono-polen, die auf irgendeiner Form des Patentschutzes basieren, spielt die zur Ver-fügung stehende Technologie und damit die Kosten eine wesentliche Rolle. Wenn das Minimum der langfristigen Durchschnittskosten bei einer Output-menge liegt, die im Verhältnis zur Marktnachfrage sehr klein ist, so ist in die-sem Markt für viele Unternehmen Platz. In diesem Fall kann man mit der Ent-stehung eines vollkommenen Konkurrenzmarktes, oder bei heterogenen Gütern mit monopolistischer Konkurrenz rechnen.1

Ist auf der anderen Seite das Minimum der langfristigen Durchschnittskosten bei einem Outputniveau, das im Vergleich zur Marktnachfrage sehr groß ist, so ist mit der Entwicklung eines Monopols zu rechnen, weil in diesem Fall große Firmen immer kostengünstiger als kleinere produzieren können, und diese so-mit vom Markt verdrängen. Dieser Prozess kann solange fortschreiten bis nur noch eine Firma übrig bleibt.

Im Extremfall liegt das Minimum der Durchschnittskosten sogar jenseits (rechts) der Marktnachfragekurve, sodass die Durchschnittskosten im gesamten relevanten Bereich mit steigendem Output fallen. Diesen Fall bezeichnet man als natürliches Monopol.

Als typische Beispiele für natürliche Monopole werden häufig Energieversor-gungsunternehmen, Eisenbahnen, Busunternehmen, Telekommunikationsun-ternehmen oder Kabelfernsehen genannt. Diesen ist allen ein sehr hoher Fixkos-tenanteil gemeinsam, zum Beispiel durch die Verlegung und Instandhaltung von Rohren, Leitungen, Wähleinrichtungen oder Funkstationen. Sind die Leitungen einmal verlegt, so sind die anfallenden (kurzfristigen) Grenzkosten sehr niedrig. Es kostet z.B. sehr wenig, ein Telefongespräch zu vermitteln, wenn alle techni-schen Anlagen bereits installiert sind. Daher sinken die Durchschnittskosten aufgrund der Fixkostendegression in einem weiten Bereich.

In Abbildung 7.3 ist eine Firma mit einer derartigen Kostenstruktur dargestellt. Mit D ist wieder die Marktnachfrage bezeichnet. MC bezeichnen die Grenzkos-ten der Firma und AC die Durchschnittskosten. Das Minimum der Durch-schnittskosten liegt rechts von der Nachfragefunktion, sodass die Durch-schnittskosten im relevanten Bereich einen fallenden Verlauf annehmen. Der gewinnoptimale Punkt der Firma liegt im Cournot’schen Punkt C über dem Schnittpunkt der Grenzerlöse mit den Grenzkosten. Punkt C liegt knapp über den Durchschnittskosten, sodass das Unternehmen gerade noch einen Gewinn aufweist. Gäbe es aber noch eine zweite Firma am Markt, so würde die Nachfragefunktion D, der sich die Firma gegenübersieht, weiter links liegen (links von der AC-Kurve), sodass die Firma unter keinen Umständen mehr einen Gewinn erwirtschaften könnte. Das Gleiche würde auch für die andere Firma 1 Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der „minimalen effizienten Größe“ „mini-mum efficient scale“, jenem Outputniveau, bei dem die Durchschnittskosten minimal sind, relativ zum Ausmaß der Nachfrage.

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7. Monopol und monopolistische Konkurrenz free download version 141

erwirtschaften könnte. Das Gleiche würde auch für die andere Firma gelten. Es ist also aufgrund der Kostenstruktur im Vergleich zur Marktnachfrage nur für ein Unternehmen Platz. Die Firma wird daher ein Monopolist bleiben, auch bei prinzipiell freiem Marktzugang.

Abb. 7. 3. Natürliches Monopol

Punkt C ist aber, wie wir bereits wissen, ineffizient. Eine Möglichkeit der Regie-rung bestünde nun darin, einen amtlichen Höchstpreis auf das Niveau des voll-kommenen Konkurrenzgleichgewichtes festzusetzen – also Punkt B, wo sich die Grenzkostenkurve mit der Nachfragefunktion schneidet. Der festgesetzte Preis wäre dann GKp , der sog. Grenzkostenpreis.

Im Falle eines natürlichen Monopols, also bei fallenden Durchschnittskosten, würde die Firma zu diesem Preis keinen Gewinn erwirtschaften, weil der Preis

GKp niedriger wäre als die Durchschnittskosten bei der Outputmenge GKx . Die Firma hätte in diesem Fall einen Verlust, der durch das graue Rechteck V reprä-sentiert wird. Sie könnte daher bei dieser Form der Regulierung langfristig nicht existieren.

Welche Maßnahmen bleiben nun für eine Regulierungsbehörde übrig? Eine Mög-lichkeit wäre, den Preis auf das Niveau DKp , den sog. Durchschnittskostenpreis, festzusetzen. Bei diesem Preis wäre es für die Firma optimal, den Output bis auf das Niveau DKx auszuweiten und Punkt A auf der Nachfragefunktion zu wählen (Begründen Sie warum). Bei diesem Preis hätte die Firma einen „Nullgewinn“ und könnte daher auch langfristig existieren. Allerdings entsteht bei dieser Form der Regulierung weiterhin ein Wohlfahrtsverlust, der durch das „Dreieck“ mit den Eckpunkten A, B und D repräsentiert wird.

Als letztes Mittel bleibt schließlich noch der Ausweg, dass das Unternehmen vom Staat oder der Kommune selbst geführt wird. In diesem Fall könnte der Grenzkostenpreis GKp festgesetzt werden, und die anfallenden Verluste müss-ten durch (steuerfinanzierte) Subventionen abgedeckt werden.

Eine Verstaatlichung mit anschließender Grenzkostenpreissetzung wäre daher eine optimale Lösung. Allerdings wird häufig argumentiert, dass sich bei staatli-

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142 free download version 7. Monopol und monopolistische Konkurrenz

chen Unternehmen andere Formen der Ineffizienz ergeben können, z.B. durch die Entwicklung bürokratischer Strukturen. Weiters ist der Anreiz für Firmen zu weiteren Kostensenkungen gering, wenn automatisch jeder Verlust durch die öffentliche Hand abgedeckt wird. Die Lösung durch staatliche Führung des na-türlichen Monopolisten ist daher immer durch entsprechende Anreizsysteme zu ergänzen.

Aufgrund dieser Schwierigkeiten wird in vielen Fällen einer Regulierung mit Durchschnittskostenpreisen der Vorzug gegeben, wobei die Regulierung meist durch eigene Aufsichtsbehörden – sog. Regulatoren – durchgeführt wird.

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7. Monopol und monopolistische Konkurrenz free download version 143

Kontrollfragen zu Kapitel 7: Monopol und monopolistische Konkurrenz

1. Wie ist die Situation eine Monopols charakterisiert?

2. Wie kann eine Monopolsituation entstehen?

3. Was versteht man unter monopolistischer Konkurrenz? Kann diese im-mer von einer Monopolsituation eindeutig unterschieden werden? Wel-che Unterschiede gibt es aber typischerweise?

4. Welche Nebenbedingung muss ein Monopolist bei der Gewinnmaximie-rung berücksichtigen?

5. Wie lautet die gewinnmaximierende Marginalbedingung eines Monopolisten? Interpretieren Sie diese.

6. Wie wirkt sich eine Erhöhung der Grenzkosten auf die Monopollösung aus? Stellen Sie dies grafisch dar.

7. Wie wirkt sich eine Erhöhung der Nachfrage auf die Monopollösung aus? Stellen Sie dies grafisch dar.

8. Warum ist der Grenzerlös eines Monopolisten kleiner als der eines Unternehmens bei vollkommener Konkurrenz?

9. Wie lautet die Amoroso-Robinson-Formel für den Grenzerlös? Was pas-siert, wenn die Preiselastizität der Nachfrage gegen unendlich geht?

10. Von welchen Faktoren hängt der optimale Preisaufschlag eines Monopolisten ab? Auf welche Kostengröße wird aufgeschlagen?

11. Warum sind Monopole schlecht?

12. Warum existiert auf einem Monopolmarkt keine Angebotsfunktion?

13. Gegeben sei die Marktnachfragefunktion 2 7dx p= − + . Die Kostenfunkti-on des Monopolisten sei: 21 4 1 2C x= + . Berechnen Sie den optimalen Preis und die optimale Angebotsmenge des Monopolisten sowie den Ge-winn.

14. Was versteht man unter einem natürlichen Monopol? Geben Sie einige typische Bespiele.

15. Warum führen Monopole im Allgemeinen zu Wohlfahrtsverlusten?

16. Wie kann ein natürliches Monopol sinnvoll reguliert werden? Welche Probleme treten dabei auf?

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144 free download version 7. Monopol und monopolistische Konkurrenz

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8. Oligopoltheorie free download version 145

8. Oligopoltheorie

In diesem Kapitel wollen wir uns kurz mit der Marktform des Oligopols beschäftigen. Ein Oligopol liegt vor, wenn es in einer Branche eine kleine Anzahl von Anbietern gibt. Das wichtige dabei ist aber, dass bei dieser Marktform eine strategische Interdependenz der Entscheidungen vorliegt. D.h. wenn eine Firma eine Entscheidung trifft, z.B. über ihr Outputniveau oder den verlangten Preis, muss sie damit rechnen, dass ihre Mitkonkurrenten auf diese Entscheidung reagieren. Rationale Firmen sollten daher versuchen, mögliche Reaktionen der anderen auf eigene Entscheidungen bei der Entscheidungsfindung mit zu berücksichtigen.

Dies ist auch der wesentliche Unterscheid zu den bis jetzt untersuchten Marktformen. Bei vollkommener Konkurrenz ist die betrachtete Firma im Vergleich zum Gesamtmarkt so klein, dass sie davon ausgehen kann, dass die Mitkonkurrenten auf die eigenen Entscheidungen nicht reagieren. Ähnliches gilt auch für die monopolistische Konkurrenz, obwohl dort die Firmen aufgrund von Produktdifferenzierung und der Heterogenität der Güter einen Preisspielraum haben und das Entscheidungsproblem dem eines Monopolisten sehr ähnlich ist. Beim reinen Monopol kann es definitionsgemäß keine strategische Interdependenz geben, weil ein Monopolist der einzige Anbieter in der Branche ist. Lediglich bei der Abwehr eines potentiellen Markteintritts anderer Firmen kann es auch beim Monopol zu einer strategischen Interdependenz der Entscheidungen kommen. Die Analyse von Oligopolmodellen ist aufgrund der strategischen Interdepen-denz schwieriger als bei den anderen Marktformen. Im Allgemeinen können nur ganz bestimmte Modelltypen explizit gelöst werden. Außerdem muss berück-sichtigt werden, dass es unterschiedliche Verhaltensweisen in oligopolistischen Umgebungen gibt. Wir können daher kein allumfassendes Modell zur Erklärung monopolistischer Verhaltensweisen erwarten. Wir können lediglich mögliche Verhaltensmuster aufzeigen und Hinweise geben, welche Faktoren für die Ent-scheidungen und das Marktergebnis wichtig sein könnten.

Um die Analyse zu vereinfachen, beschränkt man sich meist auf den Fall von zwei Unternehmen, ein sog. Duopol. Insgesamt sind somit vier Variablen von Interesse, nämlich die Preise, die jedes Unternehmen verlangt und die beiden Outputmengen der Firmen.

Es können nun mehrere Fälle auftreten. Einerseits kann es sein, dass die beiden Firmen ihre Entscheidungen simultan treffen. In diesem Fall muss die Firma eine Annahme über die Entscheidung der anderen Firma treffen. Es kann sein, dass die Firmen simultan die Preise oder simultan die Produktionsmenge festle-gen. Eine Festlegung der Produktionsmengen ist insbesondere dann zu erwar-ten, wenn die Produktion stark kapazitätsorientiert ist. Steht die Kapazität nicht im Vordergrund, ist eher mit einer Preissetzung zu rechnen und die Pro-duktionsmengen werden dann der sich ergebenden Nachfrage angepasst.

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146 free download version 8. Oligopoltheorie

Es wäre auch möglich, dass Firmen ihre Entscheidungen nicht simultan sondern sequenziell treffen. Wenn ein (marktbeherrschendes) Unternehmen die Produk-tionsmenge vor dem anderen bestimmt, so sprechen wir von einem Mengenfüh-rer, das andere Unternehmen ist dann der Mengenfolger. Setzt die (marktbe-herrschende) Firma zuerst den Preis, so ist sie Preisführer und das andere Un-ternehmen ein Preisanpasser.

Diese Art der Klassifikation gibt uns daher vier Möglichkeiten: Simultane Men-genfestsetzung, simultane Preisfestsetzung, Mengenführerschaft und Preisführerschaft. Jede dieser verschiedenen Möglichkeiten führt zu unterschiedlichen strategischen Problemen und zu unterschiedlichen Marktergebnissen. Schließlich ist es noch möglich, dass sich die Firmen absprechen und die Mengen oder den Preis so festsetzen, dass die Summe ihrer Gewinne maximiert wird. Dies nennt man ein kollusives Oligopol. In diesem Fall wäre es für die Unter-nehmen optimal, jenes Outputniveau zu wählen, das den Gewinn der ganzen Branche maximiert und sich den Gewinn dann untereinander aufzuteilen. Man spricht dann von einem Kartell. Ein Kartell ist also eine Gruppe von Unter-nehmen, die sich wie ein Monopolist mit mehren Betriebsstätten verhält und so die Summe ihrer Gewinne maximiert.

Wenn sich die Firmen auf eine Aufteilung der Produktion geeinigt haben, bleibt noch das Problem der Aufteilung des Gewinns, z.B. über Ausgleichszahlungen.

Weiters besteht ein prinzipielles Problem bei Kartelllösungen darin, dass Fir-men häufig einen Anreiz zum Schwindeln haben, d.h. sich nicht an die verein-barten Produktionsmengen zu halten, und zwar unabhängig davon, ob sich die andere Firma an die Vereinbarung hält oder nicht. Schwindeln wäre in diesem Fall eine sog. Dominante Strategie. Dies führt zu einer Situation, die man in der Spieltheorie als Gefangenendilemma bezeichnet - eine Situation, wo für beide Spieler Schwindeln (d.h. nicht kooperatives Verhalten) eine dominante Strategie wäre.

Eine genauere Analyse von Oligopolen, sowohl von kooperativen als auch von nicht kooperativen, ist ziemlich kompliziert und wird daher in dieser Einfüh-rung nicht weiter verfolgt.

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8. Oligopoltheorie free download version 147

Kontrollfragen zu Kapitel 8: Oligopoltheorie

1. Wie ist die Situation eines Oligopols charakterisiert? Worin besteht der wesentliche Unterschied zu den anderen Marktformen?

2. Welche Fälle (Formen von Verhaltensweisen der Firmen) können in Oli-gopolsituationen prinzipiell auftreten?

3. Was versteht man unter einem kollusiven Oligopol?

4. Welche Probleme können bei Kartellabsprachen auftreten?

5. Was versteht man unter einem Gefangenendilemma?

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149

Teil II: Makroökonomik

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M/(pY) i

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9. Empirische Beobachtungen und Makroökonomik free download version 151

9. Empirische Beobachtungen und Makroökonomik

Wie alle Wissenschaften beruht die Makroökonomik auf Theorie und Beobach-tung. Die Beobachtung wirtschaftlicher Zusammenhänge liefert die Basis für unsere Theorien. Aus diesem Grund sind systematische Verfahren zur Daten-gewinnung wichtig. Eine wichtige Informationsquelle sind statistische Erhebun-gen bei Haushalten und Unternehmen, z.B. über deren Einkommen, Ausgaben-struktur, Art der Beschäftigung oder Informationen über Umsatz und Gewinn. Aber auch Daten der Finanzbehörden, der Notenbank und der Sozialversiche-rungsträger spielen eine wichtige Rolle. Auf Grundlage dieser Erhebungen wer-den eine Vielzahl von statistischen Kennzahlen errechnet, welche die wirtschaft-liche Lage in zusammengefasster Form beschreiben sollen. Einen systemati-schen Rahmen für die Berechnung dieser Kennzahlen stellt die sog. Volkswirt-schaftliche Gesamtrechnung dar (VGR). Die VGR ist einer betrieblichen Buchhaltung nicht unähnlich. Auch dort soll ja die wirtschaftliche Lage einer Firma dargestellt werden.

Sozialproduktsrechnung

Ein zentraler Bereich der VGR ist die sog. Sozialproduktsrechnung. Das Brutto-inlandsprodukt (BIP, engl.: Gross Domestic Product, GDP) ist dabei die Sum-me aller Güter und Dienstleistungen, die während eines Jahres im Inland produ-ziert und an die Endnachfrage ausgeliefert werden. Es ist somit ein Indikator für die wirtschaftliche Aktivität. Das BIP misst aber nicht nur das Produktionsvo-lumen sondern auch die Ausgaben für Güter und das Einkommen der Haushal-te. Dies kann anhand einer schematischen Darstellung eines volkswirtschaftli-chen Kreislaufes erklärt werden.

Betrachten wir dabei eine Wirtschaft, die nur aus Haushalten und Unterneh-men besteht, die ein Gut erzeugen (kein Staat, kein Ausland). In Abbildung 9.1 ist der zugehörige Wirtschaftskreislauf dargestellt. Der äußere Kreis stellt die monetären Ströme dar, der innere, strichlierte die realen Ströme. Das BIP kann in diesem Kreislauf an drei Stellen gemessen werden. Zum einen bei Punkt „1“ durch die Aufsummierung der von den Firmen produzierten Güter – Summe der sog. Nettoproduktionswerte. Diese Art der Berechnung nennt man Entste-hungsrechnung. Die zweite Methode setzt bei Punkt „2“ an und misst die ge-samten Ausgaben – die sog. Verwendungsrechnung. Die dritte Methode schließlich ermittelt das BIP bei Punkt „3“ über die Summierung der Einkom-men (Löhne und Gewinne) – Verteilungsrechnung.

Alle drei Verfahren sollten das gleiche Ergebnis liefern, wobei allerdings die Entstehungsrechnung im Allgemeinen den genauesten Wert ergibt (bessere Da-tenlage, z.B. Steuerstatistiken).

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152 free download version 9. Empirische Beobachtungen und Makroökonomik

Aus diesem schematischen Kreislauf wird klar, dass die Summe der Einkommen der Summe der Ausgaben entsprechen muss und diese wiederum dem Wert der Produktion. Dies gilt auch für kompliziertere Kreislaufsysteme, wo die Konsu-menten sparen, die Firmen investieren (zählt ebenfalls zur Güternachfrage) und Kredite aufnehmen, der Staat Steuern einhebt und ebenfalls Güter nachfragt und außerdem exportiert und importiert wird.

Abb. 9.1 Volkswirtschaftlicher Kreislauf

Auf eine Besonderheit der VGR muss allerdings noch hingewiesen werden, näm-lich die Behandlung von Lagerinvestitionen. Angenommen die Firmen stellen einen zusätzlichen Arbeiter ein, der ein zusätzliches Gut produziert. Wenn die-ses Gut verkauft wird steigt das BIP. Was passiert aber, wenn das Gut nicht verkauft wird? Angenommen das Gut verdirbt; dann werden zwar die höheren Löhne ausbezahlt, um denselben Betrag sinken aber die Gewinne, sodass das Gesamteinkommen und somit das BIP konstant bleibt. Wird das zusätzliche Gut aber auf Lager gelegt, dann wird in der VGR so getan, als ob die Firma das Gut für die Lagerhaltung ankauft. In diesem Fall sinkt der Gewinn nicht, weil der Wert der Lagerveränderungen quasi den Gewinnen zugerechnet wird. Das BIP steigt somit um den Wert dieser Gütereinheit. Auch die Ausgaben steigen um diesen Betrag, weil die Lagerinvestitionen in der VGR der Endnachfrage – den Investitionen – hinzugerechnet wird.

Eine weitere Komplikation bei der Ermittelung des BIP wollen wir anhand eines Beispiels einer Wirtschaft mit zwei Firmen erörtern. Die eine Firma sei ein Stahlwerk, die andere eine Autofabrik. Diese beiden Firmen haben folgende Einnahmen und Ausgaben:

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9. Empirische Beobachtungen und Makroökonomik free download version 153

Stahlwerk

Umsatz 100

Löhne 60

Indirekte Steuern 20

Gewinn 20

Autofabrik

Umsatz 220

Ausgaben für Stahl 100

Löhne 70

Indirekte Steuern 20

Gewinn 30

Wie hoch ist das BIP dieser Ökonomie gemäß der Entstehungsrechnung? Man könnte versucht sein, einfach die beiden Umsätze (Bruttoproduktionswerte) zu addieren, also 100 + 220 = 320. Dies würde aber zu einer Doppelzählung führen, da im Wert der Autos der Wert des eingesetzten Stahls bereits enthalten ist. Daher müssen die Ausgaben für Stahl (die sog. Vorleistungen oder auch In-termediärverbrauch) abgezogen werden. Das BIP dieser Ökonomie ist daher 320 – 100 = 220. Man könnte auch sagen, das BIP ist die Summe der Wertschöpfun-gen (= Bruttoproduktionswert – Vorleistungen). Dies entspricht weiters genau dem Wert der Güter und Dienstleistungen, die der Endnachfrage zugeführt werden, also den Autoverkäufen – Verwendungsrechnung.

Wie würde das Ergebnis nach der Verteilungsrechnung aussehen? Summe aus Löhnen, Gewinnen und indirekten Steuern (Einkommen des Staates) also 60 + 20 + 20 + 70 + 20 + 30 = 220.

Aus dem BIP können noch weitere sinnvolle Größen abgeleitet werden:

• BIP = Summe der Wertschöpfungen

• BIP – Abschreibungen = NIP (Nettoinlandsprodukt)

• NIP – indirekte Steuern + Subventionen = Volkseinkommen oder Nationaleinkommen 1

1 Bei der Berechnung des Volkseinkommens wird üblicherweise nicht vom BIP sondern vom Bruttosozialprodukt (BSP) ausgegangen. Ersteres beruht auf dem Inlandskonzept, letzteres basiert auf dem sog. Inländerkonzept (Güter und Dienstleistungen, die von Inländern er-zeugt werden). Die Unterschiede zwischen diesen beiden Konzepten sind jedoch für die meis-ten Länder im Allgemeinen vernachlässigbar klein.

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154 free download version 9. Empirische Beobachtungen und Makroökonomik

• Volkseinkommen – direkte Steuern (inkl. Sozialversicherungsbeiträge) + Transferleistungen des Staates = persönlich verfügbares Einkommen der privaten Haushalte 1

Dabei entsprechen die Abschreibungen dem Wertverzehr der Kapitalgüter durch die laufende Produktion. Es muss ein Teil des BIP, nämlich in der Höhe der Abschreibungen, aufgewendet werden, um den Kapitalstock konstant zu halten. Das Nettoinlandsprodukt unterscheidet sich daher vom BIP durch die Berücksichtigung dieses Wertverzehrs bei der Produktion.

Direkte Steuern sind Abgaben, die unmittelbar von jenen Personen (auch juris-tischen) eingehoben werden, die gemäß der Intention des Gesetzgebers die Steu-erlast zu tragen haben (Steuerträger). Sie hängen in der Regel direkt von der Leistungsfähigkeit der Besteuerten ab – durch Besteuerung von Einkommen und Vermögen (z.B. Lohn- und Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Vermö-genssteuer, Erbschaftssteuer). Indirekte Steuern sind Abgaben, die nicht di-rekt vom Steuerträger eingehoben werden. Hier liegt die Vorstellung zugrunde, dass der Steuerpflichtige (z.B. ein Unternehmen, dass MWST abführen muss), die Steuern auf andere überwälzen kann. Indirekte Steuern setzen nur mittel-bar an der Leistungsfähigkeit der Steuerträger an – durch Besteuerung der Einkommensverwendung (Konsum- und Verbrauchssteuern, z.B. MWST, Ta-baksteuer, Mineralölsteuer, usw.).

Transferleistungen sind Ausgaben des Staates, die nicht dem Kauf von Gütern oder Dienstleistungen dienen. Sie beinhalten in erster Line Pensionszahlungen, Familienbeihilfe, Arbeitslosenunterstützung, Karenzgeld, usw.

Bei den Sozialversicherungsbeiträgen (Krankenversicherung, Pensionsbeiträge, etc.) werden auch die Arbeitgeberanteile mitberücksichtigt.

Das Bruttoinlandsprodukt und seine Ausgabenkomponenten

Wie bereits oben erläutert, lässt sich das BIP gemäß der Verwendungsrechnung als Summe der Ausgaben für Güter und Dienstleistungen ermitteln. Die Ver-wendungsrechnung ist für weitere theoretische Überlegungen von besonderem Interesse, weil sie die Struktur der Ausgaben darlegt. In der VGR werden vier große Ausgabenkomponenten (Endnachfragekomponenten) unterschieden, nämlich

• Privater Konsum (C) • Investitionen (I) • Öffentlicher Konsum (Staatsausgaben) (G) • Exporte (Nachfrage aus dem Ausland) (Ex)

1 Hier sollten auch noch die nicht ausgeschütteten Unternehmensgewinne abgezogen wer-den.

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9. Empirische Beobachtungen und Makroökonomik free download version 155

Dabei versteht man unter dem privaten Konsum die Ausgaben der Haushalte für Konsumgüter und Dienstleistungen (man kann hier noch zwischen dauer-haften Konsumgütern – z.B. Autos – und nicht dauerhaften – z.B. Lebensmittel – unterscheiden).

Zu den Investitionen werden die Ausgaben der Firmen für Ausrüstungsgüter (z.B. Maschinen, die nicht innerhalb eines Jahres „verbraucht“ werden) und Ge-bäude (z.B. Fabriken, Lagerhallen) gezählt. Aber auch der private Wohnbau wird den Investitionen zugezählt. Eine weitere wichtige Komponente der Inves-titionen stellen die sog. Lagerinvestitionen dar, also das Produzieren auf La-ger (positive Lagerinvestition), oder der Verkauf vom Lager (negative Lagerin-vestition). Vgl. dazu die obigen Ausführungen zur Behandlung von Lagerinver-sionen in der VGR. In Österreich werden auch die Investitionen der öffentlichen Hand (insbesondere Gebäude und Straßenbau) den Investitionen zugerechnet.

Der öffentliche Konsum beinhaltet alle Güter und Dienstleistungen die vom Staat (Bund, Länder, Gemeinden, Sozialversicherungsträger, Kammern) der Volkswirtschaft zur Verfügung gestellt werden. Die staatlichen Investitionen (z.B. Ausgaben für Straßenbau, Errichtung von Bundesgebäuden, etc.) werden hier aber nicht berücksichtigt (diese werden in Österreich den Investitionen zu-gerechnet). Somit verbleiben im Wesentlichen die bereitgestellten öffentlichen Dienstleistungen wie z.B. die Ausgaben für das Schulwesen, Universitäten, Krankenhäuser, Justiz, Polizei, Hoheitsverwaltung, usw. Da diesen Dienstleis-tungen häufig kein Marktpreis zugeordnet werden kann, werden diese Dienst-leistungen mit den anfallenden Kosten bewertet, also hauptsächlich mit den Personalkosten. Der öffentliche Konsum ist eine Komponente der Endnachfrage, weil hier die Vorstellung zugrunde liegt, dass der Staat Dienstleistungen an-kauft (z.B. von seinen Hochschullehrern) und diese Dienstleistungen unentgelt-lich an seine Bürger weitergibt. Etwaige Kostenbeteiligungen (z.B. Studienge-bühren) werden als Steuern behandelt und führen lediglich zu Umverteilungsef-fekten.

Transferleistungen der öffentlichen Hand an die Haushalte, wie etwa Pensi-onszahlungen, Arbeitslosenunterstützung, Karenzgeld, etc. zählen nicht zum öf-fentlichen Konsum, da es sich hierbei nur um eine Umverteilung von bestehen-den Einkommen handelt und nicht um eine Bereitstellung von Gütern oder Dienstleistungen. Transferleistungen sind daher auch kein direkter Bestandteil des BIPs. Ähnliches gilt auch für die Zinszahlungen der Staatsschuld – auch diese zählen nicht zum öffentlichen Konsum und sind daher auch keine Kompo-nente der Endnachfrage. Sie führen zwar zu Einkommen bei den Kreditgebern (z.B. Banken), verringern aber gleichzeitig das Einkommen des Staates aus Be-sitz und Unternehmungen. Daher ebenfalls nur ein Umverteilungseffekt.

Die Exporte enthalten die Auslandsnachfrage sowohl nach Gütern als auch nach Dienstleistungen, wobei beispielsweise die Einnahmen aus dem Fremden-verkehr als exportierte Dienstleistungen betrachtet werden.

Das BIP lässt sich somit gemäß Verwendungsrechnung folgendermaßen definie-ren:

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156 free download version 9. Empirische Beobachtungen und Makroökonomik

Y C I G Ex Im= + + + − . (9.1)

Dabei wird das BIP wie allgemein üblich mit Y bezeichnet. Dieses setzt sich demnach aus den oben erwähnten Endnachfragekomponenten zusammen. Da in allen diesen Komponenten, insbesondere beim privaten Konsum und bei den In-vestitionen auch importierte Güter enthalten sind, müssen die gesamten Im-porte (Im) abgezogen werden – das BIP misst ja nur die heimische Güterpro-duktion. Die Differenz aus Exporten und Importen, ( )Ex Im− , bezeichnet man oft als Nettoexporte oder Außenbeitrag.

Nominelle und reale Größen

Die bisherigen Definitionen bezogen sich alle auf nominelle Größen, d.h. Güter und Dienstleistungen wurden mit den jeweiligen Preisen bewertet. Wie wir be-reits wissen, soll das BIP ein Maß für die wirtschaftliche Aktivität und damit für die Güterversorgung bzw. den Wohlstand einer Ökonomie sein. Dieses Maß kann dann herangezogen werden, um den Wohlstand verschiedener Länder zu vergleichen (z.B. mit dem BIP pro Kopf) oder auch die Veränderung des Wohlstandes von Jahr zu Jahr zu messen. Hier tritt jedoch das Problem auf, dass eine Erhöhung des BIP, sagen wir um 4%, zwar eine bessere Güterversor-gung bedeuten kann, aber es könnte auch sein, dass lediglich die Preise um 4% gestiegen sind.

Um diesen Preiseffekt zu eliminieren, benötigt man Informationen, wie sich die Preise der einzelnen Güter im Zeitablauf verändert haben. Diese Information kann (gemeinsam mit Informationen über die Erlöse) zur Konstruktion des sog. BIP-Deflators verwendet werden. Beim BIP-Deflator handelt es sich um einen Preisindex (Durchschnittspreis) aller produzierten Güter und Dienstleistungen. Betrachten wir dazu die dritte Spalte in Tabelle 9.1. Dort ist der BIP-Deflator für Österreich für den Zeitraum 1980-1999 dargestellt. Für das Jahr 1995 weist er den Wert 1 auf. 1995 ist daher das Basisjahr. Der BIP-Deflator gibt nun an, um wie viel der Warenkorb des Berichtsjahres teurer oder billiger ist als zu Preisen des Basisjahres. Für 2001 nimmt er z.B. den Wert 1.064 an, d.h. der Warenkorb des BIP für 2001 ist um 6.4% teurer gegenüber einer Bewertung mit den Preisen von 1995.

Jahr BIP (nom) BIP-Deflator BIP (real) zu Preisen 95) reales Wachstum 1982 85452.5 0.681 125539.5 - 1983 90914.3 0.704 129170.7 2.89 1984 95503.2 0.737 129648.6 0.37 1985 100771.6 0.759 132800.9 2.43 1986 105861.3 0.781 135630.2 2.13 1987 109913.7 0.797 137845.1 1.63 1988 115118.9 0.807 142593.8 3.44 1989 123475.9 0.831 148650.8 4.25 1990 133602.9 0.858 155667.2 4.72

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9. Empirische Beobachtungen und Makroökonomik free download version 157

1991 143228.6 0.891 160838.5 3.32 1992 151831.4 0.923 164545 2.30 1993 156938.9 0.950 165230.5 0.42 1994 165411.4 0.976 169535.4 2.61 1995 172287.4 1.000 172287.4 1.62 1996 178045.5 1.013 175735.7 2.00 1997 182485.8 1.022 178536.4 1.59 1998 189936.8 1.028 184822.8 3.52 1999 196657.6 1.035 190010.8 2.81 2000 204842.6 1.047 195633.7 2.96 2001 210283.5 1.064 197556 0.98

Tabelle 9.1 reales und nominelles BIP in Mio Euro bzw. BIP-Deflator für Österreich

1982 – 2001

Mit Hilfe dieses Preisindex kann dann aus dem nominellen BIP das sog. reale BIP berechnet werden. Es gilt folgender Zusammenhang: reales BIP = nominelles BIP / BIP-Deflator (9.2)

Man erhält daher das reale BIP, indem man das nominelle BIP durch den BIP-Deflator dividiert. Beim realen BIP werden somit die produzierten Güter und Dienstleistungen eines Jahres mit den Preisen einer bestimmten Basisperiode be-wertet. Es wird so getan, als ob sich die Preise nicht verändert hätten. Verände-rungen des realen BIP spiegeln daher die tatsächlichen Mengenänderungen wi-der. In Tabelle 9.1 sind in der zweiten Spalte das nominelle BIP (BIP zu laufen-den Preisen) und in der vierten Spalte das reale BIP (BIP zu Preisen 1995) dar-gestellt. Klarerweise hat dann das reale BIP für das Basisjahr (1995) denselben Wert wie das nominelle.

Das sog. reale Wirtschaftswachstum kann nun ganz einfach durch die prozentuelle Veränderung des realen BIPs berechnet werden:

1 1( ) / *100t t tBIP BIP BIP− −− . Die jährlichen Wachstumsraten sind in Tabelle 9.1 in der letzten Spalte dargestellt.

Abbildung 9.2 stellt die zeitliche Entwicklung des nominellen BIP und des rea-len BIP (hier zu Preisen 1983) graphisch für den Zeitraum 1960 – 1999 dar. Zu beachten ist, dass das nominelle BIP im Zeitablauf wesentlich stärker angestie-gen ist. Dies ist einfach auf den Umstand zurückzuführen, dass in diesem Zeit-raum auch die Preise deutlich gestiegen sind. Im Jahr 1983 (dem Basisjahr in dieser Grafik) schneiden die Kurven einander.

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BIP BIP_nom

Abb. 9.2 Nominelles und reales BIP für Österreich in 1000 ATS, 1960 – 1999

Verbraucherpreisindex versus BIP-Deflator

Zur Messung von allgemeinen Preissteigerungen – der Inflationsrate – werden Preisindizes (Durchschnittspreise) verwendet. Einen Preisindex haben wir be-reits kennen gelernt, nämlich den BIP-Deflator. Bei allen Preisindizes ergibt sich das Problem, mit welchen Gewichten die Preise von verschiedenen Gütern in den Index eingehen sollen. Beim BIP-Deflator ändert sich diese Gewichtung jedes Jahr, da sich auch die Zusammensetzung des BIP Jahr für Jahr ändert (z.B. größeres Gewicht von Dienstleistungen) 1. Daher ist es denkbar, dass der BIP-Deflator ansteigt, auch wenn alle Preise konstant geblieben sind; nämlich dann, wenn relativ mehr teurere Produkte nachgefragt und produziert wurden.

Ein anderer wichtiger Preisindex ist der sog. Konsumgüterpreisindex oder Verbraucherpreisindex. Dieser unterscheidet sich vom BIP-Deflator in meh-rer Hinsicht. Zum einen werden beim Konsumgüterpreisindex andere Güter be-rücksichtigt, nämlich jene Güter, die eine „Durchschnittsfamilie“ im Jahr kon-sumiert. So werden bei diesem Index z.B. auch im hohen Ausmaß importierte Güter berücksichtigt. Beim BIP-Deflator werden dagegen definitionsgemäß nur die Preise von im Inland produzierten Gütern aufgenommen.

Der zweite wichtige Unterschied besteht darin, dass beim Verbraucherpreisin-dex die Gewichte, mit denen die einzelnen Preise in den Index eingehen, sich nicht im Zeitablauf verändern. Diese Gewichte richten sich nach dem konsu-mierten Warenkorb einer Durchschnittsfamilie in einem bestimmten Basisjahr.

1 Der BIP-Deflator ist daher ein sog. Paasche-Index.

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Die Gewichte bleiben fix, solange der Warenkorb nicht neu ermittelt wird (in Österreich alle 10 – 15 Jahre). 1

Eine interessante Frage ist nun, welcher Index die Inflation besser wiedergibt. In einer kleinen offenen Volkswirtschaft mit hohem Anteil von importierten Gü-tern ist im Allgemeinen der Konsumgüterpreisindex die bessere Wahl. Aller-dings kann bei diesem Index das Problem auftreten, dass das tatsächliche Aus-maß der Inflation überschätzt wird. Der Grund liegt darin, dass aufgrund der konstanten Gewichtung (fixer Warenkorb) die Substitutionsmöglichkeiten der Konsumenten nicht berücksichtigt werden. Wenn beispielsweise bestimmte Gü-ter überproportional teurer werden, so werden die Konsumenten diese Güter teilweise durch andere, billigere ersetzen. Damit verändert sich aber der durch-schnittliche Warenkorb hin zu Gütern, deren Preise weniger stark gestiegen sind. Da diese Veränderung des Warenkorbes beim Verbraucherpreisindex nicht berücksichtigt wird, überschätzt dieser regelmäßig das Ausmaß der allgemeinen Preissteigerungen. Diese Verzerrung kann durchaus beträchtlich sein (bis zu ei-nem Prozentpunkt). Die Diskussion, ob der Konsumgüterpreisindex tatsächlich die Inflation überschätzt, ist insbesondere bei Lohnverhandlungen relevant.

In Abbildung 9.3 ist die Änderungsrate des BIP-Deflators für Österreich als Maß für die Inflationsrate der im Inland produzierten Güter dargestellt (sog. Kernin-flation). Mitte der 70er Jahre betrug diese ca. 9%. Der hier nicht dargestellte Konsumgüterpreisindex stieg zu diesem Zeitpunkt deutlich stärker (ca. 10%) aufgrund der damals stark gestiegenen Ölpreise.

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Konsumdeflator BIP-Deflator

Abb. 9.3 Inflation: Jährliche Änderungsrate des Konsum- bzw. BIP-Deflators, 1964-2002

1 Der Konsumgüterpreisindex ist daher ein sog. Laspeyres-Index.

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Andere wichtige empirische Kenngrößen

Aus der VGR und anderen Datenquellen (z.B. Sozialversicherungsregister, Da-ten der Finanzbehörden, Budgetdaten, Außenhandelsstatistiken, etc.) können eine Vielzahl von interessanten Kennzahlen abgeleitet werden. Einige besonders häufig verwendete werden wir hier kurz erwähnen.

Arbeitslosenrate u: Anzahl der Arbeitslosen dividiert durch die Anzahl der Be-schäftigten plus den Arbeitslosen also:

ArbeitsloseuBeschäftigte Arbeitslose

=+

. (9.3)

Nach der sog. traditionellen Berechnungsmethode werden unter arbeitslos jene Personen verstanden, die bei den Arbeitsämtern als solche gemeldet sind. Mit Beschäftigte sind nur die unselbständig Beschäftigten gemeint (diese sind in erster Linie von Arbeitslosigkeit betroffen).

Gemäß der sog. EU-Methode wird die Anzahl der Arbeitlosen mittels repräsen-tativer Umfragen ermittelt. Als arbeitslos gelten nur Personen, die nicht einmal eine Stunde pro Woche beschäftigt sind und gleichzeitig aktiv Arbeit suchen. Ein arbeitsloser Lehrer, der zwei Stunden pro Woche Nachhilfe gibt, ist gemäß die-ser Definition nicht arbeitslos! Außerdem gibt es bei diesem Verfahren erhebli-che Probleme mit Antwortverweigerungen (tritt wahrscheinlich bei Arbeitslosen häufiger auf als bei Beschäftigten, was zu einer statistischen Verzerrung führen kann). Bei den Beschäftigten werden auch die selbständig Erwerbstätigen hin-zugerechnet. Deshalb ist bei der EU-Methode der Zähler im Allgemeinen kleiner und der Nenner größer als bei der sog. traditionellen Methode, sodass die EU-Berechnungsmethode auch deutlich niedrigere Arbeitslosenraten liefert.

Die Abbildung 9.4 stellt die Entwicklung der Arbeitslosenrate für Österreich und die USA dar (traditionelle Berechnungsmethode; in den USA wird jedoch die Anzahl der Arbeitslosen mittels Mikrozensus erhoben).

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U_AUT U_USA

Abb. 9.4 Arbeitslosenraten für Österreich und die USA, 1964 – 2002

Interessant ist hier, das die Arbeitslosenraten zyklische Schwankungen aufwei-sen, die in den USA aber wesentlich ausgeprägter sind. D.h. in Jahren der Hochkonjunktur (hohes reales Wachstum des BIPs) sinkt die Arbeitslosenrate, in Zeiten geringen realen Wachstums steigt sie. Diesen negativen Zusammen-hang zwischen der Veränderung der Arbeitslosenrate und der realen Wachs-tumsrate des BIPs nennt man Okun’s Law und ist in Abbildung 9.5 dargestellt. Für beide Länder ist dieser negative Zusammenhang festzustellen, allerdings für die USA deutlich stärker.

Darüber hinaus ist Abb. 9.4 zu entnehmen, dass die österreichische Arbeitslo-senrate, im Unterschied zur amerikanischen, seit den 80er Jahren ein trendhaf-tes Ansteigen aufweist. Dieses Phänomen wird auch in den meisten anderen eu-ropäischen Ländern beobachtet und als Hysteresis der Arbeitslosigkeit bezeich-net. Die Ursachen für diesen trendhaften Anstieg der Arbeitslosigkeit sind ein wichtiger Gegenstand der gegenwärtigen makroökonomischen Forschung.

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reale jährliche Wachstumsrate des BIPs

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reale jährliche Wachstumsrate des BIPs

Ver

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der

Arb

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lose

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e

Abb. 9.5 Okun’s Law für die USA (links) und für Österreich (recht), 1965 – 1999

Lohnquote: Diese gibt den Anteil von Löhnen und Gehältern (Lohn- und Gehaltssumme) am BIP oder Volkseinkommen an, also

LohnsummeLohnquoteVolkseinkommen

= . (9.4)

Die Lohnquote ist ein wichtiges Maß für Verteilungsfragen. Für die meisten Länder liegt sie zwischen 60 und 70 Prozent. Veränderungen der Lohnquote im Zeitablauf können Hinweise auf Umverteilungseffekte liefern.

Export- bzw. Importquoten: Diese geben den Anteil von nominellen Exporten bzw. nominellen Importen am nominellen BIP an und sind damit ein Indikator für die Außenhandelsverflechtung eines Landes. Die beiden Quoten liegen für Österreich derzeit bei ca. 45% mit steigender Tendenz. Große Länder wie die USA oder die EU insgesamt weisen deutlich niedrigere Export- bzw. Importquo-ten auf, nämlich zwischen 10 und 15 Prozent. Da die meisten EU-Länder wie Österreich Export- bzw. Importquoten zwischen 40% und 60% aufweisen, zeigt dies, dass ein Großteil des Außenhandels der EU-Länder zwischen diesen selbst erfolgt und die Außenhandelsverflechtung der EU insgesamt mit dem Rest der Welt relativ gering ist.

Staatsquote: Dabei versteht man den Anteil der Staatsausgaben (Ausgaben-quote) bzw. der Staatseinnahmen (~Abgabenquote) am BIP. Die Abgabenquote liegt derzeit in Österreich bei ca. 45%, was sowohl im internationalen Vergleich als auch aus historischer Sicht ein ungewöhnlich hoher Wert ist.

Verschuldungsquote: Diese zeigt den Anteil der öffentlichen Verschuldung am BIP. Sie liegt derzeit in Österreich bei rd. 63% (je nach Berechnungsart – Prob-lematik mit Ausgliederungen). Die Verschuldungsquote ist von zentraler Bedeu-tung, weil die Bedienung dieser (Zinszahlungen, in Österreich derzeit ca. 7 Mrd. € pro Jahr!) den Handlungsspielraum der öffentlichen Hand wesentlich ein-

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schränkt. Die meisten Staaten haben sich daher zum Ziel gesetzt, diese zu sen-ken. Vgl. dazu Tabelle 2.2 auf der übernächsten Seite.

Ein weiterer wichtiger Begriff ist das sog. Nettodefizit. Darunter versteht man die Staatsausgaben ohne Schuldentilgungen minus den Staatseinnahmen. Das Nettodefizit ist somit gleich der Neuverschuldung.

Die Defizitquote ist definiert als das Verhältnis von Nettodefizit zum BIP. In Abbildung 9.6 ist die zeitliche Entwicklung der Verschuldungs- bzw. Defizitquo-te für Österreich dargestellt. Man beachte, wie stark die Defizitquote seit 1995 mit einem Spitzenwert vom 5.0% auf derzeit rd. 1% gesunken ist (linke Gra-phik!).

.00

.01

.02

.03

.04

.05

.06

1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000

DEFIZITQUOTE

.2

.3

.4

.5

.6

.7

1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000

VERSCHULDUNGSQUOTE

Abb. 9.6. Nettodefizitquote des Bundes (links) und Verschuldungsquote des Staates insge-samt laut Maastricht (rechts) für Österreich, 1972 – 2001

Es drängt sich nun unmittelbar die Frage auf, wie hoch das Nettodefizit der öf-fentlichen Haushalte maximal sein darf, damit die Verschuldungsquote nicht ansteigt. Die intuitive Antwort wäre ein Nettodefizit von Null. Dies ist aber im Allgemeinen inkorrekt: Der Zähler der Verschuldungsquote ist gleich der Ver-schuldung. Der Wert der Verschuldung steigt ohne Neuverschuldung nicht (Net-todefizit=0). Im Nenner verändert sich aber das BIP mit der nominellen Wachs-tumsrate. Daher würde bei einem Nettodefizit von null die Verschuldungsquote sinken!

Wächst aber der Zähler, also die Verschuldung, genau um die Zinszahlungen (Zinssatz mal Verschuldung) und ist der Zinssatz gleich der nominellen Wachs-tumsrate, so verändert sich die Verschuldungsquote nicht. Dies führt uns zur Definition des sog. Primärdefizits. Unter dem Primärdefizit versteht man das Nettodefizit abzüglich der Zinszahlungen. Bei Gleichheit von Zinssatz und no-mineller Wachstumsrate bzw. bei realer Betrachtungsweise, wenn der Realzins (=Zinssatz minus Inflationsrate) gleich der realen Wachstumsrate ist, ist somit ein positiver Primärüberschuss hinreichend für eine Reduktion der Verschul-dungsquote. Die Höhe des Nettodefizits ist daher für die Entwicklung der Ver-schuldungsquote von sekundärer Bedeutung.

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164 free download version 9. Empirische Beobachtungen und Makroökonomik

Österreich weist, wie die meisten anderen OECD-Länder auch, seit einigen Jah-ren einen positiven Primärüberschuss auf. Ist der Realzins jedoch höher als die reale Wachstumsrate, so ist ein deutlicherer Primärüberschuss zur Reduktion der Verschuldensquote notwendig.

Land Verschuldungsquote 1981

Verschuldungsquote 1995

Verschuldungsquote 2000

Österreich 1 38 69 63 USA 25.8 49.2 34.7 EU insgesamt 24.0 53.5 47.7 Italien 56.4 108.7 98.7 Belgien 82.2 125.2 103 Griechenland 26.1 108.7 103.8

Tab. 2.2 Verschuldungsquoten ausgewählter Länder für 1981, 1998 und 2000 (OECD-Economic Outlook, June 2001)

Ein Blick auf Abbildung 9.7 zeigt, dass seit den 80er Jahren der Realzins durchwegs über der realen Wachstumsrate liegt. Der dramatische Anstieg der Verschuldungsquote in den 80er und 90er Jahren in Österreich und in vielen anderen Ländern (vgl. Tabelle 2.2) ist daher teilweise auch auf eine zu geringe reale Wachstumsrate bzw. auf einen zu hohen Realzinssatz zurückzuführen.

-2

0

2

4

6

8

65 70 75 80 85 90 95

Realzins Reale Wachstumsrate

Abb. 9.7 Realzins und reale Wachstumsrate für Österreich, 1965 – 1999

Ein weiterer wichtiger Begriff ist das sog. Strukturelle Defizit. Darunter ver-steht man jenes Nettodefizit, das sich einstellen würde, wäre die Wirtschaft „normal“ ausgelastet. Das strukturelle Defizit dient somit zur „Konjunkturberei-

1 Bezogen auf die Bruttoschuld.

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9. Empirische Beobachtungen und Makroökonomik free download version 165

nigung“ des Nettodefizits. Dies ist sinnvoll, weil in einer Rezession des Defizit automatisch ansteigt (weniger Steuereinahmen, höhere Ausgaben der Arbeitslo-senversicherung) und sich in einer Hochkonjunktur automatisch verbessert. Der Stabilitätspakt der Eurozone bezieht sich im Wesentlichen auf das strukturelle Defizit.

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166 free download version 9. Empirische Beobachtungen und Makroökonomik

Kontrollfragen zu Kapitel 9: Empirische Beobachtungen und Makroökonomik

1. Was versteht man unter dem Bruttoinlandsprodukt?

2. Auf welche Arten kann das BIP ermittelt werden?

3. Erläutern Sie die Begriffe Nettoinlandsprodukt, Volkseinkommen und persönlich verfügbares Einkommen der privaten Haushalte.

4. Was ist der Unterschied zwischen direkten und indirekten Steuern?

5. Welche Komponenten der Endnachrage werden bei der Verwendungsrechnung unterschieden?

6. Was versteht man unter den Investitionen? Welche Rolle spielen die Lagerinvestitionen?

7. Was versteht man in der VGR unter öffentlichem Konsum? Wie wird dieser bewertet? Zählen Transferzahlungen zum öffentlichen Konsum?

8. Was versteht man unter nominellen bzw. realen Größen?

9. Welche Unterschiede gibt es zwischen dem BIP-Deflator und dem Konsumgüterpreisindex?

10. Wenn die Löhne geringer steigen als der Konsumgüterpreisindex, be-deutet dies automatisch, dass die Arbeitnehmerhaushalte Realeinkom-menseinbußen ausgesetzt sind?

11. Was versteht man unter der Arbeitslosenrate? Welche unterschiedlichen Berechnungsarten gibt es?

12. Was versteht man unter „Okun’s Law“?

13. Wie kann die Außenhandelsverflechtung gemessen werden? Warum ist die Außenhandelsverflechtung der EU relativ klein?

14. Was versteht man unter der Staatsquote? Welche Spielarten gibt es da-bei? Welchem Zweck dient die Lohnquote?

15. Was versteht man unter dem Nettodefizit des Staates, was unter dem Primärdefizit?

16. Was ist die Verschuldungsquote? Welche negativen Effekte kann eine „zu hohe“ Verschuldungsquote haben? Wie kann die Verschuldungsquo-te reduziert werden?

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10. Der Gütermarkt free download version 167

10. Der Gütermarkt

In diesem Kapitel werden wir uns der Analyse des Gütermarktes widmen. Dabei stellen wir uns vor, dass alle Güter der Wirtschaft zu einem einzigen Gut aggre-giert werden. Wir gehen also von einer Ökonomie aus, die nur ein einziges Gut produziert. Dieses Gut kann aber für verschiedene Zwecke dienen, nämlich so-wohl als Konsumgut (privat oder öffentlich) als auch als Investitionsgut. Diese Annahme erlaubt es uns, nur einen (aggregierten) Gütermarkt zu untersuchen und macht es wesentlich einfacher, das Zusammenspiel mit anderen Märkten (z.B. Geld- oder Arbeitsmarkt) zu analysieren.

Weiters werden wir uns in diesem Kapitel auf eine kurzfristige Analyse be-schränken, also auf die Erklärungen von jährlichen Schwankungen der ökono-mischen Aktivität. Wenn Ökonomen eher kurzfristige Schwankungen untersu-chen, konzentrieren sie sich in erster Linie auf die Zusammenhänge zwischen Produktion, Einkommen und Nachfrage, wobei meist von fixen Preisen ausge-gangen wird. Veränderungen der Nachfrage führen zu Veränderungen der Pro-duktion und diese beeinflussen das Einkommen. Das Einkommen hat aber wie-derum Auswirkungen auf die Güternachfrage. Diese Zusammenhänge soll Ab-bildung 10.1 veranschaulichen.

Abb. 10.1 Die Interaktion zwischen Produktion, Einkommen und Nachfrage

Wie bereits erwähnt, beschränken wir uns in diesem Kapitel auf die Analyse kurzfristiger Effekte. Mit kurzfristig meint man jene Periode, innerhalb derer die Preise als annähernd fix betrachtet werden können oder zumindest keine wesentlichen Effekte von Preisänderungen ausgehen.

Bei einer mittelfristigen Analyse werden selbstverständlich auch die Effekte von variablen Preisen und Löhnen berücksichtigt . Eine langfristige Analyse würde auch noch Aspekte der Kapitalakkumulation und des Wachstums beinhalten.

10.1. Das Einkommens- Ausgabengleichgewicht

Aus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) wissen wir bereits, dass die Produktion (X) immer gleich dem Einkommen (Y) ist. Dies liegt daran, dass für jede produzierte Einheit Faktoreinkommen (Löhne, Gewinne) anfällt. Sollte

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168 free download version 10. Der Gütermarkt

eine Einheit nicht verkauft werden, so wird sie auf Lager genommen und erhöht auf diese Weise das Vermögen. Es gilt daher definitionsgemäß: 1 X Y≡ . (10.1)

Wir werden daher in Zukunft Einkommen und Produktion als synonyme Begriffe verwenden und die Produktion ebenfalls mit Y bezeichnen.

Aus der VGR folgt weiters, dass das Einkommen immer gleich den Ausgaben sein muss. Daraus folgt, dass ex-post (das heißt für realisierte Werte) die Pro-duktion immer gleich der Nachfrage (Z) ist. Also: Y Z≡ . (10.2)

Die interessante Frage ist nun: Gilt diese Gleichheit von Y und Z auch für ge-plante Werte (ex-ante)? Da die Produktionspläne von den Unternehmen erstellt werden und die Nachfragepläne in erster Linie von den Haushalten (aber auch von Firmen – Investitionen – und vom Staat – öffentlicher Konsum), wäre es ge-radezu ein Zufall, wenn die Produktionspläne immer genau den Nachfrageplä-nen entsprechen würden. Wenn wir daher die Gleichheit von den Produktions- und Nachfrageplänen verlangen, so stellt dies eine Gleichgewichtsbedingung dar. Also Y Z= , (10.3)

wobei wir jetzt Y und Z als geplante (ex-ante) Größen interpretieren. In der makroökonomischen Theorie sind wir hauptsächlich an solchen geplanten Grö-ßen interessiert und wie das Zusammentreffen dieser Pläne auf Märkten zu den jeweils realisierten Größen führt.

Wenn die Gleichgewichtsbedingung (10.3) erfüllt ist, so sprechen wir von einem Einkommens- Ausgabengleichgewicht oder von einem Gleichgewicht am Gütermarkt. Was passiert aber, wenn kein Gleichgewicht am Gütermarkt vor-liegt. Wie kann es dann insbesondere sein, dass ex-post (also für realisierte Wer-te) die Bedingung (10.2) stets gültig ist. Die Antwort liegt wieder in den Verbu-chungskonventionen der VGR.

Nehmen wir einmal an, dass Y Z> , dass also die geplante Nachfrage kleiner als die geplante Produktion und damit das Einkommen ist. In diesem Fall würden lagerfähige Güter ungeplanter Weise auf Lager produziert werden. Lagerverän-derungen werden aber in der VGR der Investitionsgüternachfrage zugerechnet sodass die von der VGR verbuchten Investitionen genau um den „Fehlbetrag“ ( )Y Z− ansteigen. Es ergibt sich daher buchungstechnisch Y Z= für die reali-sierten Werte und somit Gl. (10.2).

Wenn die Nachfrage nach nichtlagerfähigen Gütern (Dienstleistungen) zu gering ist, so wird die geplante Dienstleistung gar nicht produziert und die realisierte Produktion ist genau um den „Fehlbetrag“ ( )Y Z− kleiner als die eigentlich ge-plante. Auch dann ergibt sich ex-post Y Z= .

1 Das Symbol „≡“ soll andeuten, dass es sich bei dieser Beziehung um eine Identität (Defini-tion) handelt.

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10. Der Gütermarkt free download version 169

Wir sehen also, dass die ex-post Gleichheit von Einkommen (Produktion) und Nachfrage durch ungeplante Komponenten in Y und Z sichergestellt wird.

Als Ökonomen sind wir aber in erster Linie an den geplanten Größen interes-siert, insbesondere an der Frage, ob ein Gleichgewicht (10.3) vorliegt und ob es Mechanismen gibt, die die Wirtschaft zu einem Gleichgewicht führen. Liegt nämlich kein Gleichgewicht vor, so sind die Pläne der Wirtschaftssubjekte nicht miteinander vereinbar. Dies wird zu einer Verhaltensreaktion derjenigen füh-ren, die ihre Pläne nicht verwirklichen können. Ein „Ruhezustand“ setzt daher ein Gleichgewicht der geplanten Größen voraus. Nur so ein Zustand kann für ei-ne längere Zeit aufrecht erhalten werden.

Bei der Frage, wie ein Gleichgewicht am Gütermarkt zustande kommt, könnten wir ähnlich wie in der Mikroökonomik vorgehen; Marktangebot und Marktnach-frage hängen vom Preis ab, die Nachfrage zusätzlich noch vom gegebenen Ein-kommen. Auf einem vollkommenen Konkurrenzmarkt bildet sich dann augen-blicklich der Gleichgewichtspreis p* und damit würde sich ein Gleichgewicht für die geplanten Größen realisieren. * *( ) ( , )Y p Z p Y= . (10.4)

Diese Vorgangsweise ist bei Betrachtung eines aggregierten Gütermarktes in mehrerer Hinsicht problematisch. Zum einen haben wir es hier nicht mit einem Preis zu tun, sondern mit dem allgemeinen Preisniveau (Preisindex). Eine Ver-änderung des Preisniveaus führt aber keineswegs automatisch zu Nachfrageän-derungen, da es hier keine Substitutionseffekte gibt (wenn sich alle Preise im gleichen Ausmaß verändern, gibt es keinen unmittelbaren Grund die Nachfra-gepläne zu ändern). Weiters ist das Einkommen hier eben nicht gegeben son-dern bestimmt sich am Gütermarkt, wobei es aber zu Interaktionen mit dem Kapital- und Arbeitsmarkt kommen kann. Auch der Einfluss des Preisniveaus auf die Produktionspläne ist nicht ganz klar, da ein höheres Preisniveau im All-gemeinen zu höheren Löhnen führt, was die Grenzkosten und damit die Ange-botsfunktionen verändert. Aus diesen Gründen ist die Analyse aggregierter Märkte wesentlich komplizierter als bei einer mikroökonomischen Partialbe-trachtung.

Um die Analyse zu vereinfachen, wird daher in der Makroökonomik schrittweise vorgegangen. Am Beginn steht meist eine kurzfristige Analyse. Dabei macht man sich das empirische Faktum zunutze, dass die Preise vieler Produkte im Zeitablauf ziemlich konstant sind und von den Firmen nur von Zeit zu Zeit ver-ändert werden. Die Gründe für diese Preisrigiditäten stehen im Zentrum der gegenwärtigen Forschung. Ein wichtiger Umstand zur Erklärung von Preis-starrheiten liegt aber darin, dass die meisten Güter nicht auf vollkommenen Konkurrenzmärkten gehandelt werden, sondern auf oligopolistischen Märkten oder auf Märkten mit monopolistischer Konkurrenz. Die Preise sind daher von den Firmen selbst zu bestimmen und nicht von einem fiktiven Auktionator, wie dies in mikroökonomischen vollkommenen Konkurrenzmodellen angenommen wird. In solch einer Situation kann es aber für Firmen aus vielen Gründen opti-mal sein nicht bei jeder Nachfrage- oder Kostenänderung mit Preisanpassungen

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170 free download version 10. Der Gütermarkt

zu reagieren.1 Wir wollen hier nicht näher auf die teilweise komplizierten theo-retischen Begründungen eingehen, sondern treffen folgende Annahme:

Annahme 1: In der kurzen Frist bleiben die Preise konstant und die Firmen pas-sen ihre Produktion der laufenden Nachfrage an.2 Die Produktion sei weiters nicht durch Kapazitätsengpässe beschränkt.

Aus Gleichgewichtsbedingung (10.4) wird dann: ( )Y Z Y= . (10.5)

Das Einkommen (Produktionsniveau) Y, das Bedingung (10.5) erfüllt ist dann das Gleichgewichtseinkommen. Es ist somit jenes Einkommen, das eine Güter-nachfrage erzeugt, die gleich hoch ist wie das Einkommen. Es passen sich daher unter unserer Annahme 1 nicht die Preise an um die Pläne kompatibel zu ma-chen, sondern die Produktion bzw. das Einkommen. Im Abschnitt 9.3 wird die-ses Einkommens- Ausgabengleichgewicht noch ausführlicher behandelt werden.

Zum Abschluss soll nochmals betont werden, dass bei einer mittelfristigen Ana-lyse die Effekte von variablen Preisen und Löhnen berücksichtigt werden müs-sen. Eine langfristige Analyse würde auch noch die Aspekte der Kapitalakkumu-lation und des Wachstums beachten.

10.2. Die Konsumfunktion

Aus der Gleichgewichtbedingung (10.5) wird klar, dass die Abhängigkeit der Nachfrage vom Einkommen zentral für die kurzfristige Bestimmung des Gleich-gewichtseinkommens und der Produktion ist. Wir müssen daher klären, ob und wie diese Abhängigkeit zustande kommt.

In der VGR werden folgende Nachfragekomponenten unterschieden (vgl. dazu die Ausführungen zur Verwendungsrechnung auf Seite 155 und 155): Z C I G Ex Im≡ + + + − . (10.6)

Die Güternachfrage setzt sich demnach aus dem privaten Konsum C, den Inves-titionen I, den Staatsausgaben G und der Differenz aus Exporten und Importen, dem Außenbeitrag (EX – Im), zusammen. Dies gilt sowohl für nominelle als auch für reale Größen. Im Folgenden werden wir aber stets reale Größen unterstellen. Wenn einmal nominelle Größen gemeint sind, so wird dies extra angemerkt werden. Zur weiteren Vereinfachung der Untersuchung gehen wir von einer ge- 1 Z.B. Unsicherheit über die Gestalt der Nachfragefunktion, Unsicherheit über das zukünfti-ge Niveau von Nachfrage und Kosten, Verärgerung der Kunden durch ständige Preisände-rungen, verwaltungstechnische Kosten bei Preisänderungen, etc. Außerdem ist noch der Umstand wichtig, dass nicht optimal gesetzte Preise kaum zu Gewinneinbußen führen so-lange der Preis nicht „zu weit“ vom Optimum entfernt ist. Wenn z.B. der Preis zu hoch ist, wird zwar weniger verkauft, dafür aber pro Stück mehr erlöst. Diese beiden Effekte heben sich unter der obigen Bedingung nahezu zur Gänze auf. 2 Bei fixen Preisen ist die Anpassung der Produktion an die Nachfrage (bei Vernachlässi-gung von geplanten Lagerveränderungen) für die Firmen optimal, solange die Grenzkosten niedriger als der Preis sind. Bei unvollkommener Konkurrenz ist dies regelmäßig der Fall.

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10. Der Gütermarkt free download version 171

schlossenen Wirtschaft aus, sodass die Nachfrage lediglich aus folgenden Kom-ponenten besteht. Z C I G≡ + + . (10.7)

Beginnen wir mit der Analyse des privaten Konsums. Aus einer einfachen, stati-schen mikroökonomischen Analyse folgt, dass die Nachfrage nach Konsumgütern vom Einkommen und von den relativen Preisen abhängig ist. Da wir hier die ge-samtwirtschaftliche Konsumnachfrage untersuchen, spielen die Preise keine Rolle mehr – die Substitutionseffekte zwischen den einzelnen Gütern gehen bei der Aggregation verloren. Es bleibt somit lediglich die Abhängigkeit vom Ein-kommen übrig. Wir postulieren daher folgenden Zusammenhang: ( )C C Y T= − . (10.8)

Der gesamtwirtschaftliche Konsum ist demnach eine Funktion des persönlich verfügbaren Einkommens der Haushalte. Dieses Nettoeinkommen ist gleich dem Volkseinkommen Y abzüglich der Steuern T, wobei die Steuern hier als „Netto-steuern“ zu verstehen sind, also gezahlte Steuern abzüglich staatlicher Transfer-leistungen an die Haushalte (vgl. die Definition des persönlich verfügbaren Ein-kommens auf Seite 154). Gleichung (10.8) nennt man die gesamtwirtschaftliche Konsumfunktion.1 Eine besonders einfache Variante dieser Verhaltensgleichung ist eine lineare Konsumfunktion: 0 1 ( )C c c Y T= + − . (10.9)

Dabei nennt man den Parameter 0c den autonomen Konsum (der vom Ein-kommen unabhängige Teil des Konsums – man könnte diesen als Mindestkon-sum interpretieren), und der Parameter 1c stellt die sog. marginale Konsum-quote dar. Die marginale Konsumquote ist die Ableitung der Konsumfunktion nach dem Einkommen, also 1c dC dY= , und gibt an um wie viel sich der Kon-sum ändert, wenn das Einkommen um eine Einheit variiert. Wir nehmen an, dass die marginale Konsumquote stets einen Wert zwischen Null und Eins an-nimmt, also 10 1c< < gilt. In Abbildung 10.2 ist diese lineare Konsumfunktion dargestellt. Dort wird der Parameter 0c durch den Ordinatenabstand repräsen-tiert, der Parameter 1c durch den Anstieg der Konsumfunktion.

Aus Gleichung (10.9) kann noch die durchschnittliche Konsumquote ( )C Y T− berechnet werden:

0 1 01

( )c c Y T cC cY T Y T Y T

+ −= = +

− − −. (10.10)

1 Die Hypothese, dass der Konsum in erster Linie vom Einkommen abhängig ist, wurde erstmals vom britischen Ökonomen John Maynard Keynes betont, dessen Hauptwerk, „A General Theory of Employment, Interest and Money“, 1936 erschien und stark von der da-mals herrschenden Weltwirtschaftskrise geprägt war. Diese, aus heutiger Sicht scheinbar triviale Einsicht über das Konsumverhalten stand aber im Gegensatz zur damals vorherr-schenden Ansicht Klassischer Ökonomen, dass die Spar-, und damit die Konsumentschei-dung in erster Line vom Zinssatz determiniert wird.

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172 free download version 10. Der Gütermarkt

Die durchschnittliche Konsumquote nimmt somit mit steigendem Nettoeinkom-men ab, solange 0c positiv ist.

Abb. 10.2 Konsumfunktion

Die Annahme einer linearen Konsumfunktion scheint eine starke Einschrän-kung zu sein. Doch ein Blick auf Abbildung 10.3 zeigt uns, dass die lineare For-mulierung des Zusammenhangs zwischen Konsum und Einkommen durch die Daten gestützt wird.

0

400000

800000

1200000

1600000

0 500000 1000000 1500000

Persönlich verfügbares Einkommen

Priv

ater

Kon

sum

Abb. 10.3 Abhängigkeit des realen Konsums vom realen Nettoeinkommen der Haushalte,

1960 – 2002

In Abbildung 10.3 ist der Zusammenhang zwischen persönlich verfügbarem Re-aleinkommen der Haushalte und dem realen Konsum für Österreich für den Zeitraum 1960 – 2002 dargestellt. Jeder Punkt in der Graphik repräsentiert die tatsächlichen jährlichen Realisationen von Konsum und Einkommen. Wie man

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10. Der Gütermarkt free download version 173

erkennt, zeigt sich ein sehr enger empirischer Zusammenhang dieser beiden Größen im Zeitablauf, der außerdem fast einen perfekt linearen Verlauf auf-weist. Die Annahme einer linearen Konsumfunktion vom Typ (10.9) scheint da-mit mehr als gerechtfertigt.

Es muss allerdings angemerkt werden, dass es alternative Konsumtheorien gibt, die nicht das laufende, sondern eher auf das langfristige Durchschnittseinkom-men als Haupteinflussgröße für den Konsum betonen, und die sich in der Empi-rie noch besser bewähren (permanente Einkommenshypothese, vgl. dazu auch Abschnitt 3.8).

10.3. Bestimmung des kurzfristigen Gleichgewichtseinkommens

Wir sind nun bereits in der Lage, ein einfaches makroökonomisches Modell einer geschlossenen Volkswirtschaft zu entwickeln. Dazu brauchen wir nur noch die bereits entwickelten Konzepte zusammenzuführen. Das Modell besteht aus den folgenden Gleichungen: Z C I G≡ + + (10.11)

0 1 ( )C c c Y T= + − (10.12)

, ,I I G G T T= = = (10.13)

Y Z= . (10.14)

Das Modell besteht somit aus sechs Gleichungen. Gleichung (10.11) stellt eine Definitionsgleichung dar (deshalb auch das " "≡ ). Sie definiert die gesamtwirt-schaftliche Nachfrage.

Gleichung (10.12), die Konsumfunktion, stellte Verhaltensgleichung, weil eine Hypothese über das wirtschaftliche Verhalten der Haushalte aufgestellt wird.

Die Beziehungen (10.13) legen die Investitionen, Staatsausgaben und Steuern als exogene Variable fest (angedeutet durch den Querbalken über den Vari-ablennamen). Für die Investitionen ist dies mit Sicherheit eine stark einschrän-kende Annahme, die wir im nächsten Abschnitt lockern werden. Was die Staatsausgaben und die Steuern betrifft, so lässt sich die Exogenität rechtferti-gen, da beide Variable Instrumente der Wirtschaftspolitik darstellen (sog. In-strumentvariable) und in einem gewissen Ausmaß vom Staat autonom festge-legt werden können.

Gleichung (10.14) „schließt“ das Modell indem sie die Gleichheit von Produktion (Einkommen) und Nachfrage fordert (Gleichgewichtsbedingung).

Wir haben in diesem Modell daher drei endogene, vom Modell erklärte Variable, nämlich Y, Z, und C, und drei exogene, nämlich I, G und T. Weiters enthält das Modell zwei Parameter, nämlich 0c , den autonomen Konsum, und 1c , die margi-nale Konsumquote.

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174 free download version 10. Der Gütermarkt

Algebraische Lösung

Das Modell kann nun algebraisch gelöst werden um die Werte für die endogenen Variablen zu ermitteln. Dazu setzen wir die Konsumfunktion und die exogenen Variablen in die Definitionsgleichung (10.11) für die Nachfrage ein. Die Nach-frage Z wird dann gemäß der Gleichgewichtsbedingung (10.14) der Produktion Y gleichgesetzt. Somit erhält man: 0 1 ( )Y c c Y T I G= + − + + . (10.15)

Wir fassen die autonomen (d.h. vom Einkommen unabhängigen) Komponenten zusammen und erhalten: 0 1 1( )Y c I G c T c Y= + + − + . (10.16)

Wir wollen die Lösung für Y, daher bringen wir den Term 1c Y auf die linke Seite und heben Y heraus: 1 0 1(1 ) ( )c Y c I G c T− = + + − . (10.17)

Nun dividieren wir durch den Term 1(1 )c− und erhalten die Lösung für Y:

( )*0 1

1

1(1 )

Y c I G c Tc

= + + −−

. (10.18)

Dies stellt das Gleichgewichtseinkommen dar, d.h. *Y ist jenes Einkommen (oder Produktionsniveau), das eine Nachfrage Z generiert, die genauso groß ist wie das Einkommen. Die Lösung des Modells für Y liefert daher das Einkommens- Aus-gaben Gleichgewicht, oder alternativ, das Gleichgewicht am Gütermarkt.

Die Lösung für den Konsum erhält man, indem *Y in die Konsumfunktion ein-gesetzt wird:

( )

( )

*

*0 1 0 1

1

0 11

1(1 )

1 ( ) .(1 )

Y

C c c c I G c T Tc

c c I G Tc

= + + + − − −

= + + −−

(10.19)

Wenden wir uns noch einmal der Lösung für Y zu, Gl. (10.18). Der Term in Klammer, 0 1( )c I G c T+ + − , wird als autonome Nachfrage bezeichnet, weil diese Nachfragekomponenten vom Einkommen unabhängig sind. Den Term 11 (1 )c− nennt man (Ausgaben-)Multiplikator, weil er regelmäßig größer eins ist. Wenn z.B. die marginale Konsumquote 1c gleich 0.8 ist, d.h. wenn von jedem zu-sätzlich verdienten Euro von den Haushalten 80 Cent zusätzlich für den Kon-sum ausgegeben werden, so nimmt der Multiplikator den Wert 1 (1 0.8) 1 0.2 5− = = an. Je größer die marginale Konsumquote 1c , umso höher ist der Wert des Multiplikators.

Wie ist der Multiplikator zu interpretieren? Angenommen, eine autonome Nachfragekomponente, z.B. die Staatsausgaben G oder der autonome Konsum

0c , steigt um eine Mrd., dann steigt das Gleichgewichtseinkommen nicht nur um diese eine Mrd., wie man vielleicht unmittelbar vermuten würde, sondern um 5

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10. Der Gütermarkt free download version 175

Mrd., wenn 1c beispielsweise einen Wert von 0.8 aufweist. Formal ist dies leicht zu überprüfen. Man muss lediglich die erste Ableitung des Gleichgewichtsein-kommens (10.18) nach der autonomen Nachfragekomponente berechnen, also

1 1

1 1(1 ) (1 )

dY dY dGc cdG

= ⇒ =− −

. (10.20)

Daraus folgt, dass die Einkommensänderung dY gleich der Änderung der auto-nomen Nachfragekomponente ist, hier dG , multipliziert mit dem Term 11 (1 )c− . Somit wird auch klar, warum dieser Term Multiplikator genannt wird.

Wie kann man dieses überraschende Ergebnis erklären? Steigen z.B. die Staatsausgaben um dG , so steigt damit unmittelbar die Produktion und das Einkommen um diesen Wert dG . Das höhere Einkommen verursacht nun aber größere Konsumausgaben in der Höhe von 1c dG⋅ (Einkommensanstieg mal marginaler Konsumquote). Dies führt zu einer weiteren Einkommenssteigerung um 1c dG⋅ , was wieder größere Konsumausgaben in der Höhe von

21 1 1( )c c dG c dG⋅ = ⋅ nach sich zieht, usw. Es ergibt sich somit folgende Sequenz

von Einkommenssteigerungen:

2 3 2 31 1 1 1 1 1

1

1(1 )(1 )

dY dG c dG c dG c dG c c c dG dGc

= + + + + = + + + + =−

… . (10.21)

Dies stellt eine geometrische Reihe dar, deren Summe gleich 11 (1 )c dG− ist, was natürlich genau Gleichung (10.20) entspricht 1.

Die Ursache für das Multiplikatorphänomen ist somit der Umstand, dass die Konsumausgaben vom Einkommen abhängen und Einkommenssteigerungen zu höherem Konsum führen, was wiederum Einkommenssteigerungen erzeugt, usw. (vgl. dazu auch die Abbildung 10.1 auf Seite 167).

Graphische Darstellung

Nachdem das Modell algebraisch gelöst wurde, soll nun eine graphische Darstel-lung geboten werden. Betrachten wir dazu Abbildung 10.4.

Auf der Abszisse ist das Einkommen Y aufgetragen, auf der Ordinate die Nach-frage Z. Gleichgewicht am Gütermarkt verlangt, dass Y=Z gilt, vgl. Gleichung (10.14). In der Abbildung 10.4 ist diese Gleichgewichtsbedingung durch die 45°-Gerade repräsentiert – auf jedem Punkt dieser 45°-Geraden ist der Abszissenwert Y gleich dem Ordinatenwert Z.

Weiters ist die Nachfragefunktion Z eingezeichnet. Die Nachfrage setzt sich aus C + I + G zusammen, wobei die Abhängigkeit des Konsums von Y berücksichtigt werden muss. Die Nachfragefunktion ist daher gleich (vgl. Gl. (10.16))

1 Solange 1c <1, da ansonsten die geometrische Reihe nicht konvergiert.

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176 free download version 10. Der Gütermarkt

( )

= + − + +

= + + − +

0 1

0 1 1

( )

.

C

Z c c Y T I G

c I G c T c Y (10.22)

Dies ist eine Geradengleichung in Y mit dem Anstieg 1c . Der Ordinatenabstand 0 1( )c I G c T+ + − repräsentiert dabei die autonomen Ausgaben.

Abb. 10.4 Graphische Bestimmung des Gleichgewichtseinkommens

Der Schnittpunkt der Nachfragefunktion Z mit der 45°-Geraden stellt das Ein-kommens- Ausgaben Gleichgewicht dar. Nur in diesem Schnittpunkt, *P , ist das Einkommen (die Produktion) gleich der Nachfrage, also * *( )Y Z Y= .

Die Einkommensniveaus 1Y und 3Y in Abbildung 10.4 sind keine Gleichge-wichtswerte. Im ersteren Fall ist das Einkommen zu niedrig. Bei diesem Ein-kommen wird eine Nachfrage generiert, die über der 45°-Geraden liegt – siehe Punkt 1P – daher ist die Nachfrage in diesem Fall größer als das Einkommen (die Produktion). Im zweiten Fall ist das Einkommen zu hoch. Bei diesem Ein-kommen wird eine Nachfrage generiert, die unter der 45°-Geraden liegt – siehe Punkt 3P . Daher ist die Nachfrage in diesem Fall kleiner als das Einkommen (die Produktion).

Damit ein Gleichgewichtskonzept sinnvoll ist, muss es Anpassungsprozesse ge-ben, die uns von einer Ungleichgewichtssituation wieder zum Gleichgewicht führen. Gleichgewichte mit dieser Eigenschaft nennt man stabile Gleichgewich-te.

Betrachten wir dazu wieder das Einkommensniveau 1Y in Abbildung 10.4. Die-ses Einkommen ist, wie soeben argumentiert, niedriger als das Gleichge-wichtseinkommen. Gibt es einen Anpassungsprozess, der das Einkommen zu seinem Gleichgewichtswert führt? Die Antwort ist „ja“. Unter der Voraussetzung von Annahme 1 auf Seite 170 passen die Firmen ihre Produktion an die nachge-

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10. Der Gütermarkt free download version 177

fragte Menge an. Beim Einkommen 1Y ist die Nachfrage höher als das Einkom-men und damit höher als die Güterproduktion. Die Firmen steigern daher ihre Produktion, z.B. auf das Niveau 2Y . Bei diesem höheren Einkommen steigt aber auch die Nachfrage, sodass das zugehörige Nachfrageniveau wiederum über dem Einkommen liegt (Punkt 2P befindet sich über der 45°-Geraden). Die Firmen weiten daher ihre Produktion neuerlich aus, was abermals zu Nachfrageerhö-hungen führt, usw. Die Anpassung an das Gleichgewicht erfolgt daher entlang der in Abbildung 10.4 eingezeichneten „Treppe“. Erst beim Einkommensniveau

*Y stimmt die Produktion mit der Nachfrage überein und der Anpassungspro-zess kommt zum Stillstand.

Somit folgt, dass unter der Voraussetzung von Annahme 1 das in Abbildung 10.4 dargestellte Einkommens- Ausgabengleichgewicht stabil ist.

In Abbildung 10.5 werden die Auswirkungen einer Erhöhung einer autonomen Nachfragekomponente, z.B. der Staatsausgaben, graphisch dargestellt.

Abb. 10.5 Grafische Darstellung des Multiplikators

Die Ausgangslage ist das Gleichgewichtseinkommen 1Y . Die Erhöhung der Staatsausgaben führt zu einer Parallelverschiebung der Nachfragefunktion um

G∆ nach oben (G ist ein Teil der autonomen Ausgaben, die durch den Ordina-tenabstand gemessen werden, vgl. Abb. 10.4). Es ergibt sich ein neuer Schnitt-punkt mit der 45°-Geraden im Punkt 2P mit dem neuen Gleichgewichtseinkom-men 2Y .

Wie wir bereits wissen, ist das neue Gleichgewicht stabil, d.h. der oben beschrie-bene Anpassungsprozess führt uns tatsächlich zu Punkt 2P . Das Interessante daran ist aber, dass die Einkommensänderung Y∆ deutlich größer ist als die Änderung der autonomen Nachfragekomponente G∆ . Dies entspricht aber ge-nau dem Multiplikatorphänomen, welches bereits anhand von Gleichung (10.20) bzw. (10.21) besprochen wurde. Außerdem ist leicht zu erkennen, dass eine stei-

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178 free download version 10. Der Gütermarkt

lere Nachfragefunktion (höhere marginale Konsumquote) zu einer stärkeren Einkommensänderung führt und damit der Multiplikator größer ist.

Der Multiplikator des ausgeglichenen Budgets

Wir haben bereits gezeigt, dass sich bei einer Variation einer autonomen Nach-fragekomponente das Einkommen im stärkeren Ausmaß verändert als der ur-sprüngliche Impuls. Die dafür relevante Multiplikatorformel sei hier noch ein-mal für den Fall einer Erhöhung der Staatsausgaben angeschrieben.

1

1(1 )

dY dGc

=−

.

Eine weitere interessante Frage ist, wie sich das Gleichgewichtseinkommen verändert, wenn die Steuern erhöht werden. Zur Beantwortung dieser Frage muss die Lösung für Y, Gleichung (10.18) auf Seite 174, lediglich nach T differenziert werden. Wir erhalten dann:

1

1(1 )cdY dT

c= −

−. (10.23)

Der Steuermultiplikator ist somit gleich 1 1(1 )c c− und daher kleiner als der Ausgabenmultiplikator. Die Ursache dafür liegt an dem Umstand, dass die Steuern keine Nachfragekomponente darstellen. Die Wirkungen von Steuerän-derungen auf das BIP sind daher lediglich indirekter Natur; eine Erhöhung der Steuern reduziert das Nettoeinkommen und damit die Konsumausgaben. Dies führt zu einer weiteren Einkommensverringerung und damit neuerlich zu einem Rückgang des Konsums, usw.1 Der Multiplikatorprozess einer Steueränderung ist somit ähnlich wie bei einer Veränderung einer Nachfragekomponente, ledig-lich der „Erstrundeneffekt“ einer veränderten Nachfragekomponente fehlt hier.

Was passiert nun, wenn die Staatsausgaben und die Steuern gleichzeitig und im selben Ausmaß erhöht werden, (dG=dT), sodass sich das Defizit des Staates nicht verändert? Formal lässt sich der zu erwartende Gesamteffekt durch Addi-tion des Ausgabenmultiplikators und des Steuermultiplikators berechnen. Wir erhalten dann den sog. Multiplikator des ausgeglichenen Budgets:

1

1 1

1(1 ) (1 )dG dT

cdY dG dGc c=

= − = − −

. (10.24)

Wie man erkennt, steigt in diesem Fall das Gleichgewichtseinkommen genau um die Veränderung der Staatsausgaben. Der Multiplikator des ausgeglichenen Budgets ist somit gleich eins. Dieses Ergebnis ist auch plausibel wenn man be-denkt, dass sich Ausgabenmultiplikator und Steuermultiplikator lediglich durch den Erstrundeneffekt der autonomen Nachfragekomponente unterscheiden.

1 Etwaige Effekte von Steuern auf die Leistungsbereitschaft und Produktivität der Akteure werden in diesem Modell nicht berücksichtigt.

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10. Der Gütermarkt free download version 179

Es sei aber darauf hingewiesen, dass nur in diesem einfachen Modellrahmen der Multiplikator des ausgeglichenen Budgets genau eins ist. In realistischeren Mo-dellen (Berücksichtigung von Zins- und Preiseffekten) ist er regelmäßig kleiner eins.

Automatische Stabilisatoren

Bis jetzt sind wir von konstanten, vom Einkommen unabhängigen Steuern aus-gegangen (z.B. einer sog. Kopfsteuer). Die meisten Steuereinnahmen sind natür-lich vom Einkommen abhängig, wie die Einkommensteuer, Lohnsteuer, Umsatz- bzw. Mehrwertsteuer usw. Um dies zu berücksichtigen ersetzen wir in unserem Makro-Modell die Annahme konstanter Steuern, T T= , durch eine Steuerfunk-tion 0 1T t tY= + . Dabei repräsentiert der Parameter 0t die vom Einkommen un-abhängigen Steuern, und der Parameter 1t den marginalen Steuersatz.

Einsetzen der Konsumfunktion (10.12) und der obigen Steuerfunktion in die Definitionsgleichung (10.11) der Nachfrage und Gleichsetzen mit Y ergibt dann

0 1 0 1( )Y c c Y t tY I G= + − − + + .

Nach ausmultiplizieren bringen wir alle Terme mit Y nach links, heben Y her-aus und dividieren durch – es ergibt sich dann folgende Lösung:

( ) ( )0 1 0

1 1 1

11

*Y c I G c tc c t

= + + −− +

. (10.25)

Der Ausgabenmultiplikator ist nun kleiner als in Lösung (10.18). Wenn die mar-ginale Konsumquote, 1c , 0.8 beträgt so ergibt sich bei konstanten Steuern, 1 0t = , ein Multiplikator von 5. Berücksichtigen wir vom Einkommen abhängige Steu-ern mit einem marginalen Steuersatz von 0.3, so ergibt sich gemäß (10.25) ein Multiplikator von 2.27, also nur etwa halb so groß. Der Grund ist, dass nun Teile der Einkommenssteigerungen als Steuer abgeführt werden müssen, und daher die Effekte auf die Konsumausgaben kleiner sind. Damit wirken sich aber Ver-änderungen in der autonomen Nachfrage nicht mehr so stark auf das Gleichge-wichtseinkommen aus. Einkommenssteuern haben daher eine stabilisierende Wirkung auf das Gleichgewichtseinkommen, sie wirken daher als automati-sche Stabilisatoren.

Eine alternative Sicht des Einkommens- Ausgabengleichgewichts

Bis jetzt interpretierten wir das Gleichgewicht als Gleichheit zwischen Güterangebot (oder Einkommen) und Güternachfrage, also Y=Z. Es ist allerdings auch noch eine andere, völlig äquivalente Interpretation möglich, nämlich die Gleichheit von geplanten Investitionen und geplantem Sparen.

Definitionsgemäß ist das private Sparen gleich dem verfügbarem Einkommen (Y-T) minus den Konsumausgaben C, S Y T C≡ − − . (10.26)

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Die Gleichgewichtsbedingung für den Gütermarkt lautete: Y C I G= + + , (10.27)

also Produktion (Einkommen) ist gleich der Nachfrage – vgl. Gl. (10.14). Auflö-sen von Gleichung (10.26) nach Y und Einsetzen für Y in Gleichung (10.27) lie-fert C S T C I G+ + = + + . (10.28)

Jetzt können wir C auf beiden Seiten eliminieren und erhalten: S T I G+ = + , (10.29) oder äquivalent: ( )I S T G= + − . (10.30)

Ein Gleichgewicht am Gütermarkt verlangt demnach, dass die geplanten Inves-titionen gleich dem geplanten privaten Sparen S und dem öffentlichen Sparen (T-G) sind.1 Zu betonen ist, dass die Bedingungen (10.27) und (10.30) völlig äquiva-lent sind. Ist eine dieser beiden Bedingungen erfüllt, so ist automatisch auch die andere erfüllt.2

Das Sparparadoxon

Eine weitere interessante Implikation unseres einfachen Makromodells soll hier noch erörtert werden, nämlich das sog. Sparparadoxon. Dabei geht es um die Frage, welche Konsequenzen ein Anstieg der Sparquote der Haushalte hat. Eine höhere Sparneigung könnte z.B. durch ein verringertes Vertrauen in die zukünf-tige Wirtschaftsentwicklung ausgelöst werden (Abnahme der sog. Consumer Confidence). Die Auswirkungen für das BIP kennen wir bereits. Eine Senkung des autonomen Konsums 0c bewirkt eine Verringerung des Gleichgewichtsein- 1 (G-T) entspricht dem Primärdefizit des Staates, vgl. dazu die Ausführungen auf Seite 163.

2 Weiterführend: Die Gleichheit von Investitionen und Sparen hat gelegentlich zur Be-hauptung geführt, dass wir es hier nicht mit einem Gütermarktgleichgewicht zu tun haben, sondern eigentlich mit einem Kapitalmarktgleichgewicht. Dabei liegt der Gedanke zugrun-de, dass Sparen gleich dem Angebot von finanziellen Mitteln am Kapitalmarkt ist, und In-vestieren gleich der Nachfrage von finanziellen Mitteln am Kapitalmarkt (wenn die Firmen die Gewinne voll ausschütten, müssen die Investitionen über den Kapitalmarkt finanziert werden). Diese Sichtweise ist allerdings für Ungleichgewichtssituationen nicht haltbar, selbst wenn wir von Portefeuilleumschichtungen und den daraus ableitbaren Konsequenzen für den Kapitalmarkt absehen. Nehmen wir an, S sei größer als I und das Budget sei ausgeglichen, G=T. Dies ist gleichbedeutend mit Z<Y. Wie wir bereits wissen, kommt es in diesem Fall zu einem ungeplanten Lageraufbau (bei lagerfähigen Gütern), sodass ex-post Y=Z und I=S gilt (für jede noch so kleine Zeitperiode), wobei I nun auch eine ungeplante Komponente enthält. Für die Nachfrage nach Krediten ist es aber unerheblich, ob die Investitionen geplant oder ungeplant sind. Auch ungeplante Lagerinvestitionen müssen finanziert werden. Damit ist klar, dass die geplanten Investitionen nicht gleich der Kreditnachfrage sind (wie dies für die Interpretation von (10.30) als Kapitalmarktgleich-gewicht notwendig wäre), sondern die realisierten.

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kommens um das 11 (1 )c− -fache.1 Was passiert aber mit dem aggregierten Sparvolumen? Um diese Frage beantworten zu können, muss untersucht wer-den, wie sich die Gleichgewichtslösung für das Sparen S bei einer Variation des autonomen Konsums 0c oder der marginalen Konsumquote 1c verändert. Da das Sparen definitionsgemäß gleich Y C T− − ist – vgl. Gleichung (10.26) – lautet die Gleichgewichtslösung für S:

( ) ( )

* *

*0 1 0 1

1 1

*

1 1 ( )(1 ) (1 )

( ).

Y C

S c I G c T c c I G T Tc c

S I G T

= + + − − + + − − ⇒− −

= + −

(10.31)

Dabei wurden die Gleichgewichtslösungen für Y und C – die Gleichungen (10.18) und (10.19) – in die Definitionsgleichung für das Sparen – Gleichung (10.26) – eingesetzt. Das bemerkenswerte an dieser Lösung ist, dass die Gleichgewichtslö-sung für das Sparen sowohl vom autonomen Konsum 0c als auch von der margi-nalen Konsumquote 1c unabhängig ist. Das bedeutet aber, dass ein verstärktes Sparen der Haushalte zu keiner Änderung des gesamtwirtschaftlichen Sparvo-lumens führt. Dies ist der Inhalt des sog. Sparparadoxon.

Eine Erklärung für dieses Resultat ist leicht gefunden und kann anhand der Abbildung 10.5a diskutiert werden. Grundlage dieser Grafik ist die alternative Form der Gleichgewichtsbedingung (10.30), nämlich S+(T-G)=I. Demnach muss im Einkommens- Ausgabengleichgewicht die Summe aus privaten Sparen S und öffentlichen Sparen (T-G) gleich den Investitionen sein.

Abb. 10.5a Sparparadoxon

In der Abbildung 10.5a sind nun die Investitionen als horizontale Gerade einge-zeichnet (exogen, d.h. vom Einkommen Y unabhängig). Weiters ist eine Spar-

1 Eine Erhöhung des geplanten Sparens bedeutet definitionsgemäß eine Reduzierung des geplanten Konsums. Bei einer Konsumfunktion vom Typ 0 1( )C c c Y T= + − kann eine Steige-rung des Sparens daher auf zweierlei Arten vollzogen werden. Entweder durch eine Redu-zierung des autonomen Konsums 0c oder durch eine Reduzierung der marginalen Konsumquote 1c .

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funktion 0S dargestellt. Das private Sparen ist vom Einkommen abhängig und der Anstieg der Sparfunktion ist gleich der sog. marginalen Sparneigung, welche eins minus der marginalen Konsumneigung ist.1 Im Schnittpunkt 0P befindet sich das Ausgangsgleichgewicht mit 0Y . Nun nehmen wir an, dass das private Sparen steigt und sich die Sparfunktion in Abbildung 10.5a nach oben ver-schiebt (oder dreht), auf die Position 1S . Es ergibt sich ein neues Einkommens- Ausgabengleichgewicht mit Punkt 1P . Das Sparvolumen hat sich aber nicht ver-ändert, es entspricht nach wie vor dem konstanten Niveau von I.

Wie kommt es dazu? Eine Erhöhung des Sparens kommt einer Reduzierung der Konsumausgaben gleich. Dies führt, verstärkt durch den Multiplikatoreffekt, zu einer Verringerung des Gleichgewichtseinkommens. In der Abbildung 10.5.a sinkt das Einkommen von 0Y auf 1Y . Bei einem niedrigeren Einkommen sinkt jedoch das Sparaufkommen, weil auch dieses vom Einkommen abhängig ist.

Weiters ist ersichtlich, dass eine Erhöhung des öffentlichen Sparens (Defizitre-duktion), auf jeden Fall auf Kosten der privaten Ersparnisbildung geht, weil die Summe aus privaten und öffentlichen Sparen konstant bleibt.

Dieses Resultat muss aber relativiert werden. Es gilt nur für diesen speziellen Modellrahmen, der ausdrücklich für eine kurzfristige Analyse ausgelegt ist (ins-besondere die Annahme fixer Preise). Längerfristig würden durch Preis- und Lohnveränderungen Anpassungsprozesse in Gang kommen, sodass bei einer verstärkten Sparneigung sowohl das Einkommen als auch das Sparvolumen an-steigen könnte.

10.4. Die Investitionsfunktion

Bei der bisherigen Analyse wurden die privaten Investitionen als exogen behan-delt. Diese restriktive Annahme soll jetzt gelockert werden. Dazu müssen wir eine Theorie entwickeln, mit deren Hilfe die Entwicklung der gesamtwirtschaft-lichen Investitionen erklärt werden kann. Wie üblich ist unser Ausgangspunkt die Betrachtung eines gewinnmaximierenden Unternehmens. Wir stellen uns die Frage, unter welchen Umständen eine Firma ein Investitionsprojekt durch-führt.

Nehmen wir dazu an, die Firma steht vor der Entscheidung, eine zusätzliche Kapitaleinheit K (z.B. eine neue Maschine) anzuschaffen. Bei der Abwägung, ob sich die Investition in diese Kapitaleinheit rechnet, müssen die zukünftigen Net-toerträge berücksichtigt werden, die aus dem größeren Kapitalstock resultieren.

1 Aus der Definition S Y C T= − − und der Konsumfunktion 0 1( )C c c Y T= + − kann durch Einsetzen für C die Sparfunktion abgeleitet werden. Diese lautet dann

0 1(1 )( )S c c Y T= − + − − , wobei die sog. marginale Sparquote gleich (1 – 1c ) ist. Diese ist posi-tiv, wenn die marginale Konsumquote, wie vorausgesetzt, zwischen Null und Eins liegt. Da-her besteht auch ein positiver Zusammenhang zwischen Einkommen und Sparen – ein Sin-ken des Einkommens führt somit zu einem Sinken des geplanten Sparens.

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Bezeichnen wir diese zusätzlichen erwarteten Nettoerträge mit ety . Dabei deutet

das hochgestellte e an, dass es sich hier um eine erwartete Größe handelt, und der Index t bezeichnet die Periode, für die der zusätzliche Ertrag erwartet wird. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass ein Ertrag, der erst nächstes Jahr anfällt weniger wert ist, als ein gleich hoher Betrag, der bereits in diesem Jahr erwirtschaftet wird. Wenn nämlich ein Ertrag 0y bereits heute anfällt (in der Periode t=0), kann er zum Zinssatz r angelegt werden1 und repräsentiert in der nächsten Periode (in der Periode t=1) den Wert 1 0 0 0(1 )y y ry r y= + = + . Daraus folgt, dass ein Ertrag der nächsten Periode in der Höhe von 1y einem heutigen Wert von 1 (1 )y r+ repräsentiert. So muss z.B. für die Rückzahlung eines heuti-gen Kredites in der Höhe von 1 (1 )y r+ in der nächsten Periode ein Wert von 1y aufgewendet werden.

Weiters entspricht ein Ertrag von 2y , der erst in zwei Perioden anfällt, einem heutigen Wert von 2

2 (1 )y r+ wenn der Zinssatz im Zeitablauf konstant bleibt, usw. Die Summe q der zukünftig erwarteten Nettoerträge einer zusätzlichen Kapitaleinheit, bewertet zum heutigen Wert, ist daher gleich:

1 2 30 2 3

0(1 ) (1 ) (1 ) (1 )

e e e ee t

tt

y y y yq yr r r r

=

= + + + + =+ + + +∑… . (10.32)

Eine Anmerkung ist noch zum Abzinsungszinssatz r notwendig. Da wir hier die zukünftigen Erträge e

ty und q als reale Größen interpretieren (also zu konstan-ten, heutigen Güterpreisen), muss als Abzinsungszinssatz der sog. Realzins verwendet werden. Dieser ist definiert als der Nominalzinssatz i minus der er-warteten Inflationsrate eπ , also er i π≡ − . Durch die reale Betrachtungsweise sowohl der Erträge als auch der Verzinsung wird eine asymmetrische Behand-lung von Inflationseffekten auf q ausgeschlossen.2

Damit sich das Investitionsprojekt rentiert, muss q größer als die Anschaffungs-kosten sein. Wenn der Preis der Kapitaleinheit gleich eins ist, so ist es vorteil-haft die zusätzliche Kapitaleinheit anzuschaffen, wenn q größer Eins ist. Die In-vestitionstätigkeit einer repräsentativen Firma hängt daher im Wesentlichen von der Größe q ab. Es gilt somit gesamtwirtschaftlich:

( )( )I I q+

= . (10.33)

Demnach hängen die gesamtwirtschaftlichen Investitionen von den abgezinsten zukünftig erwarteten Nettoerträgen ab, die aus einer Ausweitung des Kapital-stocks resultieren. Wird ein Ansteigen dieser Erträge erwartet, so steigt q und das gesamtwirtschaftliche Investitionsvolumen wird ebenfalls ansteigen. Damit wird klar, dass die Erwartung über die zukünftige Wirtschaftslage von entschei-dendem Einfluss für q und damit für die Investitionen sein wird.3

1 Bei einem Zinssatz von 10% wäre r gleich 0.1. 2 Alternativ könnte man die nominellen erwarteten Erträge (also zu laufenden Preisen) auf-summieren und jeweils mit dem Nominalzinssatz i abzinsen. Dies würde 0p q ergeben.

3 Weiterführend: Wir wollen untersuchen aus welchen Komponenten sich die erwarteten realen Erträge e

ty zusammensetzen. Gegeben sei die Produktionsfunktion ( , )Y F K L= , wo-

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Der zweite wichtige Einflussfaktor ist der Realzinssatz r. Steigt dieser, so redu-ziert sich q und die Investitionen werden sinken. Intuitiv könnten wir uns vor-stellen, dass die Firma die Investitionen mit Kredit finanzieren muss und bei ei-nem höheren Zinssatz die Erträge aus der Investition nicht ausreichen, den Kredit zu bedienen. Dies ist genau dann der Fall wenn q kleiner Eins ist. Alter-nativ könnten wir uns vorstellen, dass die Firma die Investition aus Eigenmittel finanziert. In diesem Fall muss aber berücksichtigt werden, dass der Kaufpreis das Kapitalgutes auch zum Zinssatz r mittels Kauf von festverzinslichen Wert-papiere angelegt werden könnte. Ab einer bestimmten Höhe von r würden die entgangenen Zinserträge der (nicht angeschafften) Wertpapiere höher sein als die Erträge, die aus der Investition resultieren. Auch das ist genau dann der Fall wenn q kleiner Eins ist.

Berücksichtigen wir, dass q einerseits von der erwarteten Wirtschaftslage und andererseits von r abgängig ist und gehen wir weiters davon aus, dass der heu-tige Output Y von den Firmen als Indikator für die zukünftige Wirtschaftlage angesehen wird, so lässt sich die obige Investitionsfunktion (10.33) auch folgen-dermaßen darstellen:

( ) ( )( , )I I Y r+ −

= . (10.34)

Die Investitionen sind demnach eine Funktion des Outputs Y und des Zinssatzes r. Das „+“ unter Y bedeutet, dass ein Ansteigen von Y zu höheren Investitionen führt, und das „–“ unter dem r, dass ein höherer Zinssatz zu einer Reduzierung

bei K den Kapitaleinsatz und L den Arbeitseinsatz repräsentieren. Der Arbeitseinsatz kann jederzeit vollständig seinem optimalen Wert angepasst werden, der Kapitalstock nur verzö-gert. Gehen wir von vollkommener Konkurrenz am Gütermarkt aus, so sind die Firmen nicht nachfragebeschränkt. Mit einer zusätzlichen Kapitaleinheit kann daher der Output um

KF gesteigert werden ( KF ist gleich dem Grenzprodukt des Kapitals). Außerdem muss noch berücksichtigt werden, dass ein höherer Kapitaleinsatz auch zu einem höheren optimalen Arbeitseinsatz führt (wenn LKF positiv ist). Also steigt der Output zusätzlich um dL

L dKF . Als Kosten fallen einerseits die zusätzlichen Lohnkosten dL

dKw an (w ist gleich dem Reallohn), anderseits die Abschreibungen δ, die notwendig sind, um den Kapitalstock auf dem neuen Niveau zu halten. Es folgt daher: e dL dL

t K L dK dKy F F w δ= + − − . Dieser Ausdruck vereinfacht sich, wenn man berücksichtigt, dass bei der Wahl des optimalen Arbeitseinsatzes die Ar-beitsnachfrage soweit ausgedehnt wird, bis der zusätzliche Ertrag den zusätzlichen Kosten entspricht. Bei vollkommener Konkurrenz ist das der Fall wenn LF w= gilt (Grenzprodukt der Arbeit gleich dem Reallohn). Daraus folgt: e

t Ky F δ= − und ( ) /Kq F rδ= − wenn sowohl der Realzins r als auch y im Zeitablauf konstant bleiben. Dies entspricht genau der üblichen Definition von „Tobin’s marginalem q“ wenn der Preis einer Einheit des Kapitalsstocks auf eins normiert ist. Ist der Aktienwert einer Firma, qK, größer als K, ( 1 1qK K q> ⇒ > ), so erhöht eine Ausweitung des Kapitalstocks den Marktwert des Unternehmens. Bei unvollkommener Konkurrenz muss berücksichtigt werden, dass eine Outputerhöhung mit einer Preissenkung verbunden ist. Relevant sind dann nicht mehr die Grenzprodukte der Faktoren, sondern die Grenzerlösprodukte. Ein ähnliches Argument wie oben führt dann zu 1(1 )e

t Ky F ε δ= + − , wobei ε gleich der Preiselastizität der Güternachfrage ist. In dieser Formulierung können auch erwartete Nachfrageschwankungen berücksichtigt werden.

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der Investitionen führt.1 In der Abbildung 10.6 ist der Zusammenhang zwischen den österreichischen Ausrüstungsinvestitionen und den beiden Einflussfaktoren aus Gl. (10.34) für den Zeitraum 1965 – 1995 graphisch dargestellt. Als Maß für den Output wurde dabei die Industrieproduktion der Vorperiode herangezogen, als Zinssatz wurde die Sekundärrendite festverzinslicher Wertpapiere der Vor-periode verwendet. Wie man sieht, haben beide Faktoren den erwarteten Ein-fluss auf die Investitionen.

-50000

0

50000

100000

-400 -200 0 200 400 600

Industrieproduktion der Vorperiode

Aus

rüst

ungs

inve

stiti

onen

R2 = 0.9743

-20000

-10000

0

10000

20000

-2 -1 0 1 2 3

Zinssatz der Vorperiode

Aus

rüst

ungs

inve

stiti

onen

R2 = 0.3604

Abb. 10.6 Zusammenhang zwischen den Ausrüstungsinvestitionen und dem Output bzw.

dem Zinssatz, 1965 – 1995 2

1 Weiterführend: Die Abhängigkeit der Investitionen von q und damit vom Einkommen Y und vom Realzinssatz r verdeckt ein wenig den Umstand, dass es eigentlich der Kapitalstock ist, der gemäß der obigen Analyse von diesen beiden Variablen abhängig ist. Stillschweigend wurde hier unterstellt, dass der gewünschte (gewinnoptimale) Kapitalstock nicht sofort er-reicht werden kann (z.B. wegen Anpassungskosten) und dass daher Investitionen über meh-re Perioden notwendig sind, um den optimalen Kapitalstock zu erreichen. Das bedeutet aber, dass beispielsweise ein Anstieg des Einkommens (was zu einer besseren Einschätzung der zukünftigen Wirtschaftslage führt) die Investitionen einige Perioden stark ansteigen lässt um später wieder abzufallen. Dieser Umstand kann zu einem sog. Beschleunigungseffekt (Akzeleratoreffekt) führen. So erhöht ein permanenter Anstieg einer autonomen Nachfra-gekomponente den gleichgewichtigen Output. Durch den Anstieg des Einkommens steigen aber auch die Investitionen, welche über induzierte Konsumausgaben das Einkommen wei-ter steigern. Dadurch kann es zu einem „Überschießen“ des Outputs über sein Gleichge-wichtsniveau kommen. Wenn sich jedoch im Laufe der Zeit der Kapitalstock seinem ge-wünschten Niveau annähert, kommt es zu einem Rückgang der Investitionen, sodass der Output wieder unter sein Gleichgewichtsniveau abfallen kann. Durch die Kombination des Multiplikators mit dem Akzeleratoreffekt kann es daher zu Schwingungen des Outputs um sein Gleichgewichtsniveau kommen. Dieser Umstand wurde in der traditionellen Konjunk-turtheorie verwendet, um insbesondere die oberen und unteren Wendepunkte des Konjunk-turzyklus zu erklären. In der Investitionsfunktion (10.34) könnte durch Aufnahme des Kapi-talstocks der Vorperiode dieser Effekt berücksichtigt werden: 1( , , )t t t tI I Y r K −= mit 1 0tKI − < . 2 Bei diesen Graphiken handelt es sich um sog. partielle Scatterplots. Das bedeutet, dass et-wa die rechte Graphik anzeigt, wie stark die Investitionen auf Zinssatzvariationen reagie-

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10.5. Die IS-Kurve

In diesem Abschnitt soll untersucht werden, welche Konsequenzen sich für das Gütermarktgleichgewicht ergeben, wenn die gesamtwirtschaftlichen Investitio-nen vom Zinssatz abhängen. Die Nachfragefunktion ist nun folgendermaßen de-finiert:

( ) ( , )Z C Y T I Y r G= − + + (10.35)

Dies unterscheidet sich von der Spezifikation in Gleichung (10.22) auf Seite 175 dadurch, dass nun zum einem die Konsumfunktion nicht mehr explizit als linear angenommen wird (was nicht wesentlich ist) und zum anderen, dass die Investi-tionen nun nicht mehr exogen sind, sondern gemäß Gleichung (10.34) vom Ein-kommen und vom Zinssatz abhängen. Der Anstieg der Nachfragefunktion ist daher

Y T YdZ C IdY −= + (10.36)

und somit gleich der Summe aus marginaler Konsumquote Y TC − und marginaler Investitionsquote YI .1 Der Anstieg von Z ist daher größer als bei exogenen Investitionen und damit auch der Multiplikator, nämlich 1 (1 )Y T YC I−− − . Anhand von Abbildung 10.7 kann analysiert werden, wie sich das Einkommens- Ausgabengleichgewicht verändert, wenn das Zinsniveau sinkt.

Abb. 10.7 Veränderung des Einkommens- Ausgabengleichgewichts wenn der Zinssatz fällt

ren, wenn gleichzeitig die Industrieproduktion konstant ist. Der Effekt einer veränderten Industrieproduktion ist also gleichsam herausgefiltert. 1 Dabei ist beispielsweise YI nur eine andere Schreibweise für I Y∂ ∂ . Die marginale Kon-sumquote, Y TC − in der neuen Schreibweise, entspricht dem Parameter 1c des vorherigen Ab-schnittes.

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Die Ausgangslage ist wieder Punkt 1P mit dem Gleichgewichtseinkommen 1Y . In dieser Situation herrscht der Realzinssatz 1r , der die Nachfragefunktion 1( )Z r definiert. Nun sinkt der Realzinssatz auf das Niveau 2r . Dieser niedrigere Zins-satz führt zu einem Anstieg der Investitionen um I∆ und daher zu einer Ver-schiebung der Nachfragefunktion nach oben auf die Lage 2( )Z r . Das neue Gleichgewichtseinkommen ist demnach 2Y . Ein niedrigerer Zinssatz führt daher über gestiegene Investitionen zu einem höheren Gleichgewichtseinkommen. Dar-aus ergibt sich ein negativer Zusammenhang zwischen Gleichgewichtseinkom-men und Realzinsniveau. Dieser Zusammenhang ist in Abbildung 10.8 darge-stellt.

Abb. 10.8 Die IS-Kurve

In Abbildung 10.8 stimmen die Punkte 1P und 2P mit den gleichnamigen Punk-ten in Abbildung 10.7 überein. Dabei entspricht der Punkt 1P dem Zinsniveau 1r und der Punkt 2P dem niedrigeren Realzinssatz 2r . Diese Zinssatzreduktion führt zu einer Erhöhung des Gleichgewichtseinkommens von 1Y auf 2Y .

Diesen negativen Zusammenhang zwischen Realzins und Gleichgewichtsein-kommen nennt man IS-Kurve.

Man beachte, dass jeder Punkt auf der IS-Kurve ein Einkommens- Ausgaben-gleichgewicht darstellt, allerdings bei einem alternativen Realzinsniveau. Dies ist auch der Grund für die Namensgebung; wie wir aus der Analyse von Seite 179 bereits wissen, impliziert eine Gleichheit von Y und Z auch eine Gleichheit von I und S + (T–G), also Investitionen und Sparen (privates + öffentliches), vgl. Glei-chung (10.30).

Was bestimmt den Anstieg (die Steilheit) der IS-Kurve? Je stärker die Reaktion der Investitionen auf Zinssatzänderungen (was in Abb. 10.7 durch das Ausmaß der Verschiebung von Z repräsentiert wird) und je größer der Multiplikator (was in Abb. 10.7 durch die Steilheit von Z repräsentiert wird) umso stärker der Ef-fekt einer Zinssatzänderung auf das Gleichgewichtseinkommen und daher umso

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flacher die IS-Kurve.1 Daraus folgt, dass eine sehr geringe Reaktion der Investi-tionen auf Zinssatzänderungen eine sehr steile IS-Kurve impliziert. Im Extrem-fall, wenn die Investitionen überhaupt nicht auf Zinssatzänderungen reagieren, führt dies zu einer vertikalen IS-Kurve.

Die Lage der IS-Kurve wird durch das Niveau der autonomen Ausgaben im Zu-sammenwirken mit dem Multiplikator determiniert. Betrachten wir dazu wieder Abbildung 10.7. Stellen wir uns vor, eine autonome Nachfragekomponente, z.B. die Staatsausgaben G, wären höher als in Abb. 10.7 vorausgesetzt. Für diesen Fall wissen wir, dass sich die Nachfragefunktionen 1( )Z r und 2( )Z r dann ober-halb der in Abb. 10.7 eingezeichneten Lagen befinden würden. Die Gleichge-wichtspunkte 1P und 2P würden sich dann etwas weiter rechts oben befinden und die zugehörigen Gleichgewichtseinkommen 1Y und 2Y wären höher. Die daraus folgende Auswirkung auf die Lage der IS-Kurve ist in Abbildung 10.9 dargestellt. 2

Die Kurve 0IS repräsentiert die ursprüngliche IS-Kurve. Die Kurve 1IS ist für ein höheres Niveau der Staatsausgaben G gezeichnet. Diese liegt weiter rechts, da eine Erhöhung einer autonomen Nachfragekomponente bei konstantem Zins-niveau zu einem höheren Gleichgewichtseinkommen führt. Das Ausmaß der Verschiebung bei konstantem Realzins, z.B. 0r in Abbildung 10.9, entspricht ge-nau dem Multiplikator, da dieser unter der Annahme eines konstanten Zinsni-veaus abgeleitet wurde.

1 * Formal kann der Anstieg der IS-Kurve durch totales Differenzieren der Gleichgewichts-bedingung für den Gütermarkt und Auflösen nach dr dY ermittelt werden:

( ) ( , )Y C Y T I Y r G= − + + . Totales Differenzieren und Auflösen nach dr liefert: 1 ( )

(1 ) r Y TY T Y

dY I dr dG C dTC I −

= + −− −

. → 1 0Y T Y

rIS

dr C IdY I

−− −= < da 0rI < .

2 * Das Ausmaß einer Verschiebung der IS-Kurve, bei konstantem Zinssatz (dr = 0), lässt sich wieder durch das totales Differenzieren der Gleichgewichtsbedingung für den Güter-markt berechnen. Die Gleichgewichtsbedingung lautet: ( ) ( , )Y C Y T I Y r G= − + + . Totales

Differenzieren und Auflösen nach dY liefert: 1 ( )(1 ) r Y T

Y T Y

dY I dr dG C dTC I −

= + −− −

.

Die Verschiebung der IS-Kurve bei einer Veränderung von G entspricht daher 1

(1 )Y T Y

dY dGC I−

=− −

,

und die Verschiebung der IS-Kurve bei einer Veränderung von T ist gleich

(1 )Y T

Y T Y

CdY dTC I

−=

− −.

Page 191: Skriptum Inst Stiassny

10. Der Gütermarkt free download version 189

Abb. 10.9 Verschiebung der IS-Kurve aufgrund einer Veränderung einer autonomen

Nachfragekomponente

Generell führt jede Erhöhung einer autonomen Nachfragekomponente zu einer Rechtsverschiebung der IS-Kurve und vice versa. Eine Erhöhung der autonomen Steuern würde zu einer Linksverschiebung der IS-Kurve führen. Dies hätte bei konstantem Zinssatz einen Rückgang des verfügbaren Einkommens und damit des Konsums zur Folge. Über Multiplikatorwirkungen würde der Gleichge-wichtsoutput bei gegebenem Zinssatz weiter fallen. Allerdings wäre das Ausmaß der Verschiebung der IS-Kurve etwas kleiner als bei einer Veränderung einer autonomen Nachfragekomponente, da der Steuermultiplikator im Allgemeinen geringer als der Ausgabenmultiplikator ist, vgl. dazu die Analyse auf Seite 178 ff.

Aufgrund des Umstandes, dass der Realzins gleich dem Nominalzins minus der erwarteten Inflationsrate ist, er i π= − , lässt sich die Investitionsfunktion (10.34) auch als ( , )eI I Y i π= − anschreiben. Die IS-Kurve kann daher auch in einem Nominalzins- Einkommensdiagramm dargestellt werden. In diesem Fall ist die Lage der IS-Kurve aber von der erwarteten Inflationsrate abhängig. Steigt die-se, so verschiebt sich die IS-Kurve in einem (i, Y)-Diagramm genau um den Be-trag der Steigerung von eπ nach oben.

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190 free download version 10. Der Gütermarkt

Kontrollfragen zu Kapitel 10: Der Gütermarkt

1. Was ist in der Makroökonomik mit kurzfristiger Analyse gemeint?

2. Erklären Sie den Unterschied zwischen einer Identität und einer Gleichgewichtsbedingung anhand der Beziehung Y = Z .

3. Wie kommt es ex-post immer zur Gleichheit von Y = Z, auch wenn die geplante Nachfrage ungleich dem Einkommen (der Produktion) ist?

4. Was versteht man unter einem Einkommens- Ausgabengleichgewicht? Welche Größe passt sich kurzfristig an, um dieses Gleichgewicht sicher zu stellen?

5. Welchen Zusammenhang postuliert die Konsumfunktion?

6. Was versteht man unter der marginalen und der durchschnittlichen Konsumquote?

7. Was ist der autonome Konsum?

8. Beschreiben Sie verbal, wie es zu dem Multiplikatorphänomen kommt. Welcher Parameter bestimmt in erster Linie die Größe des Multiplika-tors?

9. Gehen Sie vom Modell der Gleichungen (10.11) bis (10.14) auf Seite 173 aus. Die Steuern seien jetzt aber nicht mehr vollständig autonom, son-dern auch vom Einkommen abhängig. Im Speziellen nehmen wir folgen-de Steuerfunktion an: 0 1T T t Y= + . Dabei repräsentiert 0T den autono-men, d.h. den vom Einkommen unabhängigen Teil der Steuern und 1t ist der sog. marginale Steuersatz. Berechnen Sie das Gleichgewichtsein-kommen für diese Steuerfunktion. Wie groß ist in diesem Fall der Aus-gabenmultiplikator? Diskutieren Sie im Lichte dieses Ergebnisses die Aussage, dass vom Einkommen abhängige Steuern als automatische Stabilisatoren wirken.

10. * Untersuchen Sie mit Hilfe des obigen Modells die Auswirkungen eines niedrigeren autonomen Konsums 0c auf Y. Nehmen Sie in einem weite-ren Schritt an, dass der Staat kein Defizit aufweist und gesetzlich dazu verpflichtet ist, kein Defizit zuzulassen. Welche Konsequenzen hat das für die Auswirkungen eines niedrigeren autonomen Konsums 0c ? Wirkt die gesetzliche Vorschrift für ein ausgeglichen Budget stabilisierend o-der destabilisierend? Hinweis: Berücksichtigen Sie bei der Bildung des totalen Differentials der Gütermarktsgleichgewichtsbedingung, dass nun auch 1dG dT t dY= = gelten muss und berechnen Sie 0dY dc .

11. Welchen Anpassungsprozess kann man sich vorstellen, der die Ökono-mie von einer Ungleichgewichtssituation zum Einkommens- Ausgaben-gleichgewicht führt?

12. Was versteht man unter dem Sparparadoxon?

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10. Der Gütermarkt free download version 191

13. Welche Überlegungen stellt eine gewinnmaximierende Firma an, wenn diese über die Anschaffung einer weiteren Kapitaleinheit entscheidet? Welche Größen spielen daher bei der Investitionsentscheidung eine wichtige Rolle?

14. Warum werden die gesamtwirtschaftlichen Investitionen bei einer Zins-satzsenkung steigen? Muss das immer so sein?

15. Was ist der Unterschied zwischen Real- und Nominalzins? Welcher Zinssatz spielt bei der Investitionsentscheidung eine größere Rolle?

16. Was versteht man unter der IS-Kurve? Wie kann diese hergeleitet wer-den? Warum hat diese einen negativen Anstieg?

17. Was bestimmt den Anstieg und was die Lage der IS-Kurve? Um wie viel verschiebt sich die IS-Kurve, wenn die Staatsausgaben und die autono-men Steuern um den gleichen Betrag erhöht werden?

18. Angenommen die erwartete Inflationsrate steigt und der Nominalzins-satz bleibt gleich. Welche Konsequenz ergibt sich dann für die Lage der IS-Kurve? Wie sieht Ihre Antwort aus, wenn auf der Ordinate nicht der Realzinssatz r sondern der Nominalzinssatz i aufgetragen wird?

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192 free download version 10. Der Gütermarkt

Page 195: Skriptum Inst Stiassny

11.Die Finanzmärkte free download version 193

11. Die Finanzmärkte

Während wir uns im letzten Kapitel den Gütermärkten und der Erklärung des Gleichgewichtseinkommens bei exogen gegebenem Zinssatz widmeten, beschäf-tigen wir uns in diesem Kapitel mit der Analyse der Finanzmärkte. Das Ziel der Analyse besteht darin Faktoren herauszuarbeiten, die für die Entwicklung des Zinsniveaus ausschlaggebend sind. Wir sind also auf der Suche nach einer Zins-theorie.

Unsere methodische Vorgangsweise wird ähnlich zu der im Kapitel 10 sein; ge-nauso wie im Kapitel 10, wo alle Gütermärkte zu einem Gütermarkt zusam-mengefasst wurden, wird hier die Vielzahl von Finanzmärkten zu einem einzi-gen Kapitalmarkt aggregiert. Auf diesem Markt werden Wertpapiere mit einer Laufzeit von einer Periode gehandelt.1 Das Gewähren von Krediten ist dann gleichbedeutend mit dem Kauf dieser Wertpapiere, eine Kreditaufnahme ent-spricht dem Verkauf (Emission) dieser Papiere. In unserem Modell existieren somit nur zwei verschiedene Anlageformen, die den Akteuren zur Aufteilung ih-res Finanzvermögens zur Verfügung stehen, nämlich die soeben beschriebenen Wertpapiere und Geld. Im Folgenden wollen wir untersuchen, von welchen Fak-toren die Aufteilung des Vermögens auf diese zwei Anlageformen abhängig ist. Weiters wird sich zeigen, dass diese Anlageentscheidungen der Akteure (Haus-halte, Firmen) gemeinsam mit den jeweils vorhandenen Beständen an diesen Vermögenstiteln das Zinsniveau in einer Wirtschaft bestimmen.

11.1. Der Geldmarkt

Wie bereits oben erwähnt, gehen wir davon aus, dass die Akteure – insbesondere Haushalte und Firmen – zwei Anlageformen halten können, nämlich Wertpapie-re und Geld. Das Wertpapier hat eine Laufzeit von einer Periode und verspricht am Ende der Laufzeit eine Zahlung von beispielsweise 100 Geldeinheiten. Der Zinsertrag i (die Rendite) des Papiers ist daher gleich:

100 B

B

pip−

= . (11.1)

Wird das Papier z.B. zu einem Kurs von 95 angekauft, 95Bp = , so beträgt die Verzinsung (100 95) 95 0.053− = oder 5.3% pro Periode. Bei einem Kurs von 90 beträgt die Verzinsung (100 90) 90 0.111− = oder 11.1%. Je höher der Kurs Bp , um den das Wertpapier gekauft wurde, umso geringer seine Verzinsung. Daraus folgt, dass der Kurs, zu dem die Wertpapiere gehandelt werden den Zinssatz i (deren Rendite) determiniert. Eine Zinstheorie muss daher den Kurswert der

1 Tatsächlich gibt es natürlich Wertpapiere mit einer Vielzahl unterschiedlicher Laufzeiten. Die Betrachtung nur eines einzigen Wertpapiertyps mit einer Laufzeit von einer Periode stellt jedoch keine starke Einschränkung dar, da längere Laufzeiten durch Neukauf oder neuerlicher Emission von einperiodigen Papieren erreicht werden können.

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194 free download version 11. Die Finanzmärkte

Wertpapiere erklären.1 Da diese Papiere am Kapitalmarkt gehandelt werden, bestimmen Angebot an bzw. Nachfrage nach diesen Papieren deren Preis und damit das Zinsniveau i.

Wie zuvor beschrieben, können die Anleger ihr Finanzvermögen nur auf zwei Anlageformen aufteilen, nämlich auf Geld (liquide Mittel) oder auf das zinsbrin-gende Wertpapier. Bezeichnen wir das gesamte Finanzvermögen zu einem be-stimmten Zeitpunkt mit W, die existierende Geldmenge mit M und den existie-renden Bestand an Wertpapieren mit B, so gilt definitorisch für das Gesamt-vermögen: BW M p B≡ + , (11.2)

wobei die Anzahl der umlaufenden Wertpapiere B mit deren (Durchschnitts-)Preis Bp bewertet wird. Bezeichnen wir nun das Ausmaß der gewünschten Geldhaltung der Anleger mit dM (Geldnachfrage) und die gewünschte Menge an Wertpapieren mit d

Bp B (Wertpapiernachfrage), so erfordert ein Gleichgewicht auf den Finanzmärkten, dass die Nachfrage nach Geld gleich der existierenden Geldmenge ist und die Nachfrage nach Wertpapieren gleich dem existierenden Bestand an Wertpapieren ist: dM M= , (11.3)

dB Bp B p B= . (11.4)

Gleichung (11.3) stellt die Gleichgewichtsbedingung für den sog. Geldmarkt und Gleichung (11.4) die Gleichgewichtsbedingung für den Wertpapiermarkt (Kapi-talmarkt) dar. Dabei ist es aber wichtig anzumerken, dass der Begriff „Geld-markt“ hier in gewisser Weise irreführend ist. Der Geldmarkt im Sinne der Gleichgewichtsbedingung (11.3) ist kein Markt im eigentlichen Sinne, auf dem Geld gehandelt wird.2 Dies geschieht vielmehr am Kapitalmarkt durch An- und Verkauf von Wertpapieren (Kreditvergabe bzw. Kreditnahme).

Der Geldmarkt ist in diesem Modell als ein fiktiver Markt zu verstehen. Ein Gleichgewicht auf diesem fiktiven Markt bedeutet lediglich, dass die Liquiditäts-wünsche der Anleger genau mit den vorhandenen liquiden Mittel (der Geldmen-ge) übereinstimmen. Dass der so definierte Geldmarkt aber sehr eng mit dem tatsächlich existierenden Kapitalmarkt zusammenhängt – gleichsam dessen Spiegelbild ist – soll durch die folgende Analyse dargelegt werden.

1 Weiterführend: Aus Gleichung (11.1) kann der Kurs eines Papiers bei gegebenem Zins-

satz i errechnet werden: 100(1 )Bp

i=

+.

Werden die Papiere auch während ihrer Laufzeit gehandelt, was bei unserer Analyse vor-ausgesetzt wird, so müssen diese (bei Erwartung eines konstanten Zinssatzes) aufs Jahr ge-rechnet alle die gleiche Verzinsung i bieten, da ansonsten die Papiere mit geringerer Verzin-sung niemand halten würde. Daraus ergibt sich der Kurs eines Papiers mit einer Restlauf-

zeit von R (R z.B. gleich 1/3) als: 100(1 )B Rp

i=

+.

2 Bankfachleute würden unter Geldmarkt einen Markt für kurzfristige Zwischenbankkredite verstehen. Unser Begriff des Geldmarktes ist völlig anders zu interpretieren.

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11.Die Finanzmärkte free download version 195

Annahmegemäß haben die Anleger nur die Wahl zwischen den beiden Alternati-ven Geld und Wertpapieren. Daher muss die Summe der Nachfrage nach diesen beiden Vermögenstiteln genau dem Gesamtvermögen entsprechen, also

d dB BM p B W M p B+ = ≡ + . (11.5)

Daraus folgt aber nach Umgruppierung der Variablen

( ) ( )d dBM M p B B− = − − . (11.6)

Das bedeutet, dass eine Überschussnachfrage nach Geld ( dM M> ) ein Über-schussangebot an Wertpapieren ( dB B> ) impliziert und dass weiters ein Gleich-gewicht am Geldmarkt ( dM M= ) ein Gleichgewicht am Wertpapiermarkt ( dB B= ) impliziert. Ist also einer der beiden Märkte im Gleichgewicht, so ist auch der zweite Markt zwingend im Gleichgewicht.1 Der eine Markt ist daher gleichsam das Spiegelbild des anderen. Diese Einsicht ist von großer Bedeutung, weil sie es ermöglicht die Analyse auf einen Markt zu beschränken. Traditionel-lerweise wird dabei der Geldmarkt behandelt. In weiterer Folge wird daher un-tersucht, von welchen Faktoren die gewünschte Geldhaltung abhängig ist und welche Prozesse für einen Ausgleich von Geldnachfrage und Geldangebot ver-antwortlich sind.

Motive für die Geldhaltung

Da das Halten von liquiden Mitteln, wie z.B. Geld, mit Kosten verbunden ist, kann man sich die Frage stellen, warum die Anleger überhaupt Geld halten. Statt in Geld könnte das Vermögen auch in Wertpapieren angelegt werden und würde dort einen jährlichen Zinsertrag in der Höhe von i erbringen, vgl. Glei-chung (11.1). Der Zinssatz i stellt somit die Opportunitätskosten der Geldhal-tung dar.

Auf der anderen Seite kann aber nur mit Geld der Kauf von Waren durchgeführt werden.2 Würde ein Haushalt sein gesamtes Vermögen in Wertpapieren halten, so müsste er bei jedem Kauf von Gütern einen entsprechenden Teil seiner Wertpapiere verkaufen um damit den Güterkauf zu ermöglichen. Da das ständige Umwechseln von Wertpapieren in Geld und umgekehrt aber mit zeitlichem Aufwand und Transaktionskosten verbunden ist, kann es keineswegs optimal sein, das gesamte Vermögen zinsbringend anzulegen. Es ist daher sinnvoll, einen Teil des Vermögens liquid in Form von Geld zu halten um damit die täglichen Transaktionen leichter abwickeln zu können. Dieses Motiv für die Geldhaltung wird als Transaktionsmotiv bezeichnet.

1 Weiterführend: Dieser Umstand ist ein Spezialfall des sog. Gesetz von Walras. Dieses besagt: Wenn Akteure auf n Märkten agieren und alle ihre Budgetbeschränkungen beach-ten, so muss die Summe der Überschussnachfragen auf den Märkten gleich null sein. Dar-aus folgt, dass ein Gleichgewicht auf n–1 Märkten auch ein Gleichgewicht am n-ten Markt impliziert. 2 Auf mögliche Effekte von Kreditkarten werden wir später noch eingehen. Die Existenz von Kreditkarten ändert jedenfalls nichts Prinzipielles an der Analyse.

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196 free download version 11. Die Finanzmärkte

Wovon wird das Ausmaß der Geldhaltung bestimmt?

• Zum einen natürlich vom erwarteten Transaktionsumfang. Dieser wird in erster Linie vom nominellen Einkommen pY abhängig sein; bei höherem Einkommen werden im Allgemeinen mehr Güter gekauft und damit steigt auch das Transaktionsvolumen. Man kann als erste Annäherung davon ausgehen, dass die gewünschte Geldhaltung proportional zum Einkom-men ist.

• Da der Zinssatz i den Opportunitätskosten der Geldhaltung entspricht, werden bei einem hohen Zinssatz die Anleger einen stärkeren Anreiz ha-ben, mehr Wertpapiere und weniger Geld zu halten und auf diese Weise auch eher bereit sein, die Transaktionskosten beim Umtauschen von Wertpapieren in Geld in Kauf zu nehmen. Das heißt, die gewünschte Geldhaltung wird mit steigendem Zinssatz abnehmen.

Das Ausmaß der gewünschten Geldhaltung, die Geldnachfrage, kann daher fol-gendermaßen dargestellt werden:

( )( )dM pY L i−

= ⋅ . (11.7)

Die Geldnachfrage dM ist demnach proportional zum nominellen Einkommen pY und weiters eine Funktion L(.) des Zinssatzes i, wobei das „–“ andeuten soll, dass ein höherer Zinssatz zu einer geringeren Geldhaltung führt ( 0iL < ).

Die Beziehung zwischen Geldnachfrage dM und dem Zinssatz i wird in Abbil-dung 11.1 wiedergegeben. Die Geldnachfragefunktion hat einen negativen An-stieg in i – d.h. ein höherer Zinssatz führt zu einer geringeren Geldnachfrage. Eine Erhöhung des Realeinkommens Y oder des Preisniveaus p würde die Geld-nachfragefunktion in Abbildung 11.1 nach rechts verschieben, da in diesem Fall die Geldnachfrage für jedes gegebene Zinsniveau höher wäre.

Abb. 11.1 Geldnachfragefunktion

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11.Die Finanzmärkte free download version 197

Geldnachfrage und Zinssatz – die empirische Evidenz

Wie gut bildet Gleichung (11.7) die tatsächlichen Daten ab. Insbesondere ist da-bei interessant, wie stark die Geldnachfrage auf Zinssatzänderungen reagiert. Um dies zu untersuchen, dividieren wir Gleichung (11.7) durch pY und erhalten:

( )dM L i

pY= . (11.8)

Der linke Term von Gleichung (11.8) entspricht dem Quotienten aus Geldnach-frage und nominellem Einkommen, d.h. wie viel Geld die Leute in Relation zum Einkommen halten wollen. Der Kehrwert dieses Quotienten ( dpY M ) wird als Umlaufgeschwindigkeit des Geldes bezeichnet, weil er gleichsam angibt, wie oft das Geld „von Hand zu Hand wechseln“ muss um ein bestimmtes Transakti-onsniveau zu ermöglichen.

Wenn Gleichung (11.7) und damit auch Gleichung (11.8) eine gute Abbildung der Wirklichkeit ist, so sollten wir einen negativen Zusammenhang zwischen dem Quotienten aus Geldnachfrage und nominellem Einkommen und dem Zinssatz beobachten. Dieser Zusammenhang ist in Abbildung 11.2 für Österreich darge-stellt.

0.14

0.16

0.18

0.20

0.22

0.24

5

6

7

8

9

10

11

55 60 65 70 75 80 85 90

M/(pY) i

Abb. 11.2 M/pY (linke Skala), Rendite festverzinslicher Wertpapiere (rechte Skala), 1953 – 1995

Wie der Abbildung zu entnehmen ist, besteht tatsächlich ein augenscheinlich negativer Zusammenhang zwischen ( )M pY und i. In Zeiten mit hohem Zins-satz war ( )M pY eher niedrig und umgekehrt. Ein ähnliches Bild ergibt sich auch wenn man die jährlichen Änderungsraten dieser Variablen in einem Scat-terplot betrachtet. Abbildung 11.3 zeigt diese Darstellung wieder für österreichi-sche Daten. Auch hier ergibt sich ein deutlicher negativer Zusammenhang zwi-schen M/(pY) und dem Zinssatz i. Die negative Abhängigkeit der Geldnachfrage vom Zinssatz kann daher durch die Daten gestützt werden.

Page 200: Skriptum Inst Stiassny

198 free download version 11. Die Finanzmärkte

Auf einen interessanten Aspekt soll noch aufmerksam gemacht werden. Bei Be-trachtung von Abbildung 11.2 fällt eine trendhafte (langfristige) Abnahme von M/(pY) auf. Dies ist gleichbedeutend mit einer Zunahme der Umlaufgeschwin-digkeit des Geldes (pY)/M. Warum hat sich diese in den letzten 40 Jahren um rund 50% erhöht? Die Antwort darauf ist nicht schwer zu erraten. Viele Innova-tionen auf den Finanzmärkten erlauben es, mit einer geringeren durchschnittli-chen Geldhaltung das gleiche Transaktionsvolumen durchzuführen. Eine dieser Innovationen ist sicherlich die Kreditkarte. Kreditkarten erhöhen zwar nicht die umlaufende Geldmenge, aber sie machen es möglich, die Bezahlung von Käufen auf einen einzigen Tag zu konzentrieren, nämlich auf jenen Tag, wo die Monats-rechnung tatsächlich bezahlt wird. Dadurch wird der durchschnittlich benötigte Liquiditätsbedarf für das restliche Monat reduziert und somit sinkt im Durch-schnitt auch die gewünschte Geldhaltung.

-0.3

-0.2

-0.1

0.0

0.1

0.2

0.3

-0.15 -0.10 -0.05 0.00 0.05 0.10

jährliche Veränderungsrate in M/(pY)

jähr

liche

Ver

ände

rung

srat

e in

i

Abb. 11.3 Zusammenhang zwischen der jährlichen Veränderungsrate von M/pY und der

jährlichen Veränderungsrate von i, 1954 – 1995

Das Geldangebot

Unter dem Geldangebot verstehen wir einfach die existierende, sich gerade in Umlauf befindliche Geldmenge. Eine interessante Frage die sich stellt: Was be-stimmt das Niveau der Geldmenge? Sehen wir der Einfachheit wegen vorerst von der Existenz von Geschäftsbanken ab1 – es gibt lediglich die Notenbank, die das Recht hat, Banknoten zu drucken und auszugeben. Auf welche Weise bringt nun die Notenbank die Banknoten in Umlauf? Dazu ist es sinnvoll, die Bilanz einer Notenbank näher zu betrachten.

1 Dies ist überraschenderweise keine große Beschränkung der Allgemeinheit wie in einem Exkurs am Ende dieses Kapitels noch gezeigt wird.

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11.Die Finanzmärkte free download version 199

Bilanz der Notenbank

Wertpapiere Banknoten Devisen (Mindestreserven) Gold Sonstiges Vermögen

Auf der Aktivseite sind die Vermögenstitel der Notenbank angeführt. Diese bestehen in erster Linie aus Wertpapieren (z.B. Bundesanleihen) aber auch aus Devisen, Goldbeständen und anderen Vermögenswerten. Die Verbindlichkeiten der Notenbank bestehen in erster Linie aus den ausgegebenen Banknoten (diese stellen eine Forderung gegenüber der Notenbank dar). Gibt es in der Wirtschaft auch noch Geschäftsbanken, was wir vorerst ausgeschlossen haben, so sind auf der Passivseite auch noch die sog. Mindestreserven angeführt (Zwangseinlagen der Geschäftsbanken bei der Notenbank).

Möchte die Notenbank die Geldmenge erhöhen, so kann das durch Ankauf von Vermögenswerten geschehen. Diese werden mit Banknoten bezahlt und auf die-se Weise kommen die zusätzlichen Banknoten in Umlauf. Diesen Prozess nennt man auch Geldschöpfung. Die häufigste Art der Geldschöpfung besteht in ei-nem Ankauf von Wertpapieren.1 Solche An- oder Verkäufe von Wertpapieren nennt man Offenmarktgeschäfte. Aber auch der An- und Verkauf von Devi-sen, Gold oder noch nicht fälliger Wechsel (Rediskontgeschäfte) hat einen direk-ten Einfluss auf die umlaufende Geldmenge.

Im Folgenden werden wir daher annehmen, dass die Geldmenge von der Noten-bank bestimmt werden kann.

Gleichgewicht am Geldmarkt

Wie bereits weiter oben dargelegt, verstehen wir unter einem Gleichgewicht auf dem Geldmarkt einen Zustand, bei dem Liquiditätswünsche der Anleger, die Geldnachfrage, genau mit den vorhandenen liquiden Mittel (der Geldangebot) übereinstimmen. Es muss also gelten: ( )sM pY L i= ⋅ . (11.9)

Dabei repräsentiert die linke Seite das Geldangebot. Diese ist gleich der existie-renden Geldmenge und wird von der Notenbank bestimmt. Die rechte Seite ist gleich der Geldnachfrage, vgl. Gleichung (11.7). Diese wird aufgrund des Trans-aktionsmotivs in erster Linie vom nominellen Einkommen pY und vom Zinssatz i determiniert. Gehen wir davon aus, dass das Geldangebot der Notenbank und kurzfristig auch das nominelle Einkommen fixiert ist, so erkennt man bereits

1 Staatsanleihen dürfen von den Notenbanken in den meisten Ländern nicht direkt vom Staat angekauft werden, sondern lediglich am sog. Sekundärmarkt. Ein direkter Ankauf wä-re eine direkte Kreditgewährung an den Staat und würde daher eine Finanzierung des staatlichen Defizits durch die „Notenpresse“ ermöglichen.

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200 free download version 11. Die Finanzmärkte

aus der Gleichgewichtsbedingung (11.9), dass lediglich Variationen im Zinssatz i zu einem Ausgleich von Geldangebot und Geldnachfrage führen können.

Diesen Umstand wollen wir anhand der Abbildung 11.4 genauer studieren. In Abbildung 11.4 ist das Geldangebot als vertikale Linie dargestellt. Dies soll ein-fach dem Umstand Rechnung tragen, dass die Geldmenge exogen ist, d.h. von der Notenbank determiniert wird. Außerdem ist in der Abbildung auch die Geldnachfragefunktion aus Abbildung 11.1 eingezeichnet. Diese hat, wie wir be-reits wissen, einen negativen Anstieg in i (wenn i steigt, so geht die Geldnach-frage zurück) und ihre Lage hängt vom nominellen Einkommen ab.

Abb. 11.4 Gleichgewicht am Geldmarkt

Im Schnittpunkt von Geldangebot und Geldnachfrage liegt ein Gleichgewicht am Geldmarkt vor. Der dazugehörige Gleichgewichtszinssatz ist *i . Nur bei diesem Zinssatz entsprechen die Liquiditätswünsche der Anleger genau der umlaufenden Geldmenge. Beim Zinsniveau 1i in Abbildung 11.4 wäre beispielsweise die Geld-nachfrage geringer als die Geldmenge ( s dM M> ) – es würde somit ein Überschussangebot am Geldmarkt vorliegen. Beim Zinsniveau 2i hätten wir es mit einer Überschussnachfrage zu tun ( s dM M< ).

Was passiert nun, wenn der Geldmarkt nicht im Gleichgewicht ist? Angenom-men der Zinssatz wäre gleich 1i in Abbildung 11.4 und es läge daher ein Über-schussangebot am Geldmarkt vor. In diesem Fall hätten die Anleger mehr liqui-de Mittel als sie eigentlich halten wollen. Sie werden daher versuchen, ihr Ver-mögen in Richtung verstärkter Wertpapierhaltung umzuschichten. Auf dem Wertpapiermarkt (Kapitalmarkt) entsteht daher eine Überschussnachfrage. Dies wird die Kurse dieser Papiere in die Höhe treiben. Aus Gl. (11.1) auf Seite 193 wissen wir aber bereits, dass dies gleichbedeutend mit einer geringen Ver-zinsung der Wertpapiere ist. Das bedeutet, dass der Zinssatz in Abbildung 11.4 fallen wird. Bei niedrigerem Zinssatz sinken jedoch die Opportunitätskosten der Geldhaltung und die Anleger werden zu einer höheren Geldhaltung bereit sein. Dadurch verringert sich mit niedrigerem Zinssatz das Überschussangebot am

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11.Die Finanzmärkte free download version 201

Geldmarkt. Da weder die Geldmenge noch die Anzahl der Wertpapiere vom Pub-likum unmittelbar verändert werden können, ist der Anpassungsprozess erst zu Ende, wenn der Gleichgewichtszinssatz *i erreicht ist.

Wenn die Ausgangslage in Abbildung 11.4 das Zinsniveau 2i wäre, so hätten wir es mit einer Überschussnachfrage am Geldmarkt zu tun. In diesem Fall hätten die Anleger weniger liquide Mittel als sie eigentlich halten wollen. Sie werden daher versuchen, ihr Vermögen in Richtung verstärkter Geldhaltung umzu-schichten und zwar durch Verkauf von Wertpapieren. Am Kapitalmarkt ent-steht daher ein Überschussangebot an Wertpapieren, was zu niedrigeren Kursen dieser Papiere führen wird. Dies ist aber gleichbedeutend mit einer höheren Ver-zinsung der Wertpapiere. Der Zinssatz in Abbildung 11.4 steigt daher. Da damit aber auch die Opportunitätskosten der Geldhaltung ansteigen, wird die gewünschte Geldhaltung geringer und die Überschussnachfrage am Geldmarkt reduziert. Erst wenn der Gleichgewichtszinssatz *i erreicht ist, liegt ein Gleich-gewicht am Geld- und Kapitalmarkt vor und der Anpassungsprozess ist zu En-de.

Diese Anpassungsprozesse verdeutlichen, wie das Anlageverhalten des Publi-kums den Zinssatz determiniert. Der Zinssatz muss sich immer so anpassen, so-dass die Anleger liquide Mittel in jener Höhe halten wollen, die der existieren-den Geldmenge genau entspricht. In diesem Fall stimmt natürlich auch die ge-wünschte Wertpapierhaltung mit der existierenden Anzahl von Wertpapieren B überein, vgl. dazu Gleichung (11.6). Wird dieses Gleichgewicht durch irgendei-nen Umstand gestört, so erfolgt sofort eine Zinsanpassung (Kursanpassungen auf den Kapitalmärkten sind meist sehr schnell), sodass die Anleger mit den e-xistierenden Beständen an M und B wieder „zufrieden“ sind.

Eine mögliche Störung des Gleichgewichts am Geldmarkt wäre eine Ausweitung der Geldmenge durch die Notenbank. Dieser Fall ist in Abbildung 11.5 darge-stellt.

Abb. 11.5 Effekte einer Geldmengenerhöhung auf den Geldmarkt

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202 free download version 11. Die Finanzmärkte

Die Ausgangslage wird durch die Geldmenge 0sM und dem dazugehörigen Gleich-

gewichtszinssatz *0i repräsentiert. Nun erhöhe die Notenbank zum Beispiel mittels

Offenmarktkäufen von Wertpapieren die Geldmenge auf das Niveau 1sM . Beim

Zinsniveau *0i würde nun ein Überschussangebot am Geldmarkt vorliegen. Die oben

beschriebenen Anpassungsprozesse führen dann zu einem Sinken des Zinssatz auf sein neues Gleichgewichtsniveau *

1i . Eine Erhöhung der Geldmenge durch die No-tenbank führt daher zu einem Sinken des Zinssatzes. Das Ausmaß der Zinssatzre-duktion hängt neben der Stärke der Geldmengenerhöhung vom Anstieg der Geld-nachfragefunktion ab. Je steiler diese ist, d.h. je geringer die Anleger auf Zinssatz-änderungen bei ihren Portefeuilleentscheidungen reagieren ( iL klein), umso stärker ist die notwendige Zinssatzänderung um die Finanzmärkte wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

Ein oft genannter Spezialfall ergibt sich, wenn die Anleger extrem stark auf Zins-satzänderungen reagieren ( iL sehr groß). In diesem Fall ist die Geldnachfragefunk-tion nahezu horizontal und eine Geldmengenerhöhung würde zu (fast) keiner Zins-satzreduktion führen. Diesen etwas pathologischen Spezialfall nennet man Liquidi-tätsfalle, weil gleichsam jede Geldmengenerhöhung von den Anlegern in ihren Por-tefeuilles aufgenommen wird, ohne eine Änderung des Zinssatzes zu erfordern.1

Eine weitere Störung des Geldmarktgleichgewichts würde durch eine Verände-rung des Einkommens verursacht werden. Dieser Fall wird im Folgenden be-handelt.

11.2. Die LM-Kurve

Abbildung 11.6 zeigt uns die Konsequenzen einer Erhöhung des Realeinkom-mens Y auf den Gleichgewichtszinssatz. Die Ausgangslage ist die Geldnachfra-gefunktion 0 ( )pY L i⋅ mit dem Realeinkommen 0Y , dem Gleichgewichtspunkt 0P und dem Gleichgewichtszinssatz 0i .

Wenn sich das Realeinkommen auf 1Y erhöht, so verschiebt sich die Geldnachfragefunktion nach rechts auf die Position 1 ( )pY L i⋅ . Der Grund ist, dass bei steigendem Einkommen auch der Liquiditätsbedarf steigt und daher für jedes Zinsniveau die Geldnachfrage höher ist. Das neue Gleichgewicht liegt nun bei Punkt 1P mit dem neuen Gleichgewichtszinssatz 1i . Ein größeres Einkommen resultiert deshalb in einem höheren Zinssatz.

1 * Der Effekt einer Geldmengenänderung auf den Zinssatz bei fixem nominellen Einkom-men lässt sich durch Bildung des totalen Differentials der Gleichgewichtsbedingung (11.9) berechnen: 1 ( ) 0s s

i idM pY L di di dM pY L= ⋅ ⇒ = ⋅ < da 0iL < .

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11.Die Finanzmärkte free download version 203

Abb. 11.6 Effekte einer Einkommenserhöhung auf den Geldmarkt

Genau dieser Zusammenhang ist in Abbildung 11.7 wiedergegeben. In Abbil-dung 11.7 entsprechen die Punkte 0P und 1P den gleichnamigen Gleich-gewichtspunkten aus Abbildung 11.6. Auch die Einkommens- und Zinsniveaus

0 1 0 1, , und Y Y i i entsprechen genau den Werten aus Abbildung 11.6.

Abb. 11.7 Die LM-Kurve

Der Einkommensanstieg von 0Y auf 1Y bewirkt einen Anstieg des gleichgewich-tigen Zinssatzes von 0i auf 1i . Diesen positiven Zusammenhang zwischen gleich-gewichtigem Zinssatz und alternativen Realeinkommensniveaus nennt man LM-Kurve.

Man beachte, dass jeder Punkt auf der LM-Kurve einem Gleichgewicht am Geldmarkt (und auch am Kapitalmarkt) bei alternativen Einkommensniveaus entspricht. Die LM-Kurve ist daher die Menge aller Einkommens- Zinssatzkom-binationen, für die die Finanzmärkte im Gleichgewicht sind.

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204 free download version 11. Die Finanzmärkte

Die LM-Kurve hat einen positiven Anstieg, da ein größeres Einkommen zu einer höheren Geldnachfrage führt. Damit der Geldmarkt bei konstanter Geldmenge ausgeglichen bleibt, muss der Zinssatz steigen. Ein höherer Zinssatz vergrößert nämlich die Opportunitätskosten der Geldhaltung und veranlasst die Anleger weniger Geld zu halten.1

Die LM-Kurve hat einen umso steileren Anstieg, je geringer die Anleger bei ihrer Liquiditätsentscheidung auf Zinssatzänderungen reagieren ( iL klein). In die-sem Fall muss nämlich bei einem Einkommensanstieg der Zinssatz stark an-steigen, damit der Geldmarkt ausgeglichen bleibt. Im Extremfall, iL =0. verläuft die LM-Kurve dann vertikal.

Reagieren hingegen die Anleger sehr stark auf Zinssatzänderungen ( iL sehr groß), so genügen bereits sehr kleine Variationen im Zinsniveau, um die Aus-wirkungen von Einkommensschwankungen auf die Geldnachfrage zu kompen-sieren. In diesem Fall verläuft die LM-Kurve nahezu horizontal – Fall der Li-quiditätsfalle.

Was bestimmt die Lage der LM-Kurve? Die Lage der LM-Kurve wird durch die Gleichgewichtsbedingung für den Geldmarkt, Gleichung (11.9) determiniert. Diese sei hier noch einmal angeschrieben: ( )sM pY L i= ⋅ . (11.10)

Die LM-Kurve ist die Menge aller (i, Y)-Kombinationen, die diese Bedingung er-füllen. Somit determinieren alle Variablen außer Y und i die Lage der LM-Kurve, also die Höhe des Geldangebotes sM und das Preisniveau p.

Wenn die Notenbank die Geldmenge verändert wird sich daher die LM-Kurve verschieben. So würde z.B. eine Erhöhung des Geldangebotes durch die Noten-bank die linke Seite der Gleichgewichtsbedingung (11.10) größer machen. Damit wieder ein Gleichgewicht vorliegt, muss auch die rechte Seite ansteigen. Bei konstantem Zinssatz i und Preisniveau p ist das nur durch ein höheres Y mög-lich (höheres Einkommen => höherer Transaktionsbedarf). Daher verschiebt sich die LM-Kurve in einem (i, Y)-Diagramm nach rechts wenn die Geldmenge erhöht wird. Eine Verringerung der Geldmenge würde zu einer Verschiebung nach links führen. Abbildung 11.8 stellt die Verschiebung der LM-Kurve aufgrund ei-ner höheren Geldmenge dar.2

Völlig äquivalent hätten wir auch folgendermaßen argumentieren können: Eine Erhöhung des Geldangebotes durch die Notenbank macht die linke Seite der Gleichgewichtsbedingung (11.10) größer. Damit wieder ein Gleichgewicht vor- 1 * Der Effekt einer Einkommensänderung auf den Zinssatz bei fixer Geldmenge lässt sich wieder durch Bildung des totalen Differentials der Gleichgewichtsbedingung (11.9) berech-nen: 0 ( ) ( ) 0i iLMpdY L i pY L di di dY L Y L= ⋅ + ⋅ ⇒ = − ⋅ > da 0iL < . Dieser Ausdruckes beschreibt den Anstieg der LM-Kurve. 2 * Formal kann die Verschiebung der LM-Kurve bei Geldmengenveränderungen wieder aus dem totalen Differential der Gleichgewichtsbedingung (11.9) berechnet werden:

1 ( ) 0s si idM pY L di di dM pY L= ⋅ ⇒ = ⋅ < . Die Verschiebung aufgrund einer Variation

im Preisniveau p ist: 0 ( ) ( ) ( ) 0i iYdp L i pY L di di dp L i p L= ⋅ + ⋅ ⇒ = − ⋅ >

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11.Die Finanzmärkte free download version 205

liegt, muss auch die rechte Seite ansteigen. Bei konstantem Einkommen Y und Preisniveau p ist das nur durch eine Senkung von i möglich (niedrigerer Zins-satz => höhere Geldnachfrage). Daher verschiebt sich die LM-Kurve in einem (i, Y)-Diagramm nach unten wenn die Geldmenge erhöht wird. Diese äquivalente Interpretation entspricht vielleicht eher einer allgemeinen Intuition, da sich bei Ungleichgewichten auf den Finanzmärkten unmittelbar der Zinssatz und nicht das Einkommen anpasst. Vgl. dazu auch die Abbildung 11.5, wo der Effekt einer Geldmengenerhöhung auf das Zinsniveau untersucht wurde.

Abb. 11.8 Verschiebung der LM-Kurve bei Erhöhung der Geldmenge M oder Reduktion des

Preisniveaus p

Eine ähnliche Rechtsverschiebung (bzw. Verschiebung nach unten) der LM-Kurve würde sich auch aus einer Reduktion des Preisniveaus p ergeben. So würde z.B. eine Senkung des Preisniveaus p die rechte Seite der Gleichge-wichtsbedingung (11.10) kleiner machen. Damit wieder ein Gleichgewicht vor-liegt, muss bei Konstanz der linken Seite (konstante Geldmenge) und bei kon-stantem Y der Zinssatz i niedriger sein, sodass ( )pY L i⋅ wieder seinen ursprüng-lichen Wert annimmt. Daher verschiebt sich die LM-Kurve in einem (i, Y)-Diagramm nach unten bzw. nach rechts wenn das Preisniveau p sinkt. Vgl. dazu auch die Abbildung 11.6, wo der Effekt einer Veränderung des nominellen Ein-kommens auf das Zinsniveau untersucht wurde. Ein höheres Preisniveau würde für jedes Realeinkommensniveau einen höheren Gleichgewichtszinssatz impli-zieren und daher zu einer Verschiebung der LM-Kurve nach oben bzw. nach links führen. Die in Abbildung 11.8 dargestellte Verschiebung der LM-Kurve könnte daher auch durch ein sinkendes Preisniveau verursacht sein.1

1 Weiterführend: Eine interessante Frage, die in der Literatur teilweise sehr kontrovers diskutiert wurde, ist, ob eine Ausweitung der Anzahl der Wertpapiere B, z.B. durch ein kre-ditfinanziertes staatliches Defizit (Emission von Staatsanleihen) die LM-Kurve im Zeitab-

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206 free download version 11. Die Finanzmärkte

Exkurs: Gleichgewicht auf den Finanzmärkten mit Bankensektor *

In diesem Exkurs soll untersucht werden, ob durch Berücksichtigung eines Bankensektors unsere Analyse und Ergebnisse wesentlich modifiziert werden müssen. Bis jetzt wurde davon ausgegangen, dass es lediglich eine Bank gibt, nämlich die Notenbank, die das Recht der Geldschöpfung hat und das Geld vor-wiegend mittels Offenmarktoperationen in die Wirtschaft bringt.

Tatsächlich existiert aber eine Vielzahl sogenannter Finanzintermediäre, die fi-nanzielle Mittel von Anlegern sammeln und für diese weiter veranlagen. Der Vorteil für die Anleger ist im Wesentlichen die Risikostreuung und der bessere Zugang zu den Kapitalmärkten und das Know How der Finanzintermediäre.

Eine Gruppe der Finanzintermediäre ist aber für unsere Analyse besonders in-teressant, nämlich die Geschäftsbanken. Banken bieten täglich fällige Konten an, die sog. Girokonten, die für die Inhaber die Funktion von Geld übernehmen können. Ein Inhaber eines Girokontos kann mittels Scheck oder evt. Bankomat-karte bezahlen. Daher werden die täglich fälligen Forderungen der Nichtbanken gegenüber den Banken (die Girokonten) üblicherweise der Geldmenge zugezählt. Dies führt uns zur Definition des Geldmengenaggregats M1.

Unter der Geldmenge M1 versteht man den Banknotenumlauf (+Münzen) im Nichtbankensektor plus den täglich fälligen Forderungen der Nichtbanken ge-genüber den Banken. Das heißt, M1 besteht aus den im Umlauf befindlichen Banknoten und den Girokonten.1

Banken bieten aber nicht nur Girokonten an, sie gewähren auch Kredite und halten Liquiditätsreserven. Diese Reserven sind teils freiwillig (zur Überbrü-ckung von Unausgeglichenheiten bei Ein- und Auszahlungen), teils unfreiwillig; Banken sind verpflichtet einen Teil ihrer Einlagen in Form von Mindestreserven bei der Notenbank zu halten.

Mit diesem Basiswissen können wir die Analyse mit Berücksichtigung des Ban-kensektors beginnen. Die gewünschte Geldhaltung sei wieder vom nominellen Einkommen und Zinssatz abhängig:

lauf verschiebt. Ein Argument, das dafür spräche wäre, dass durch einen höheren Wertpa-pierbestand in den Portefeuilles der Anleger diese auch versuchen könnten, ihre Geldbe-stände anzuheben. Dies würde zu einer Verschiebung der LM-Kurve nach links (oben) füh-ren. Unter unseren Annahmen ist dies jedoch ausgeschlossen. Wir haben nämlich still-schweigend angenommen, dass die Geldnachfrage unabhängig von der Höhe des Gesamt-vermögens W ist, also 0WL = . Daraus folgt aber, dass 1WB = gilt. Dies ist auf den Umstand zurückzuführen, dass die Anleger ja nur zwischen diesen beiden Alternativen wählen kön-nen (vgl. dazu die Diskussion auf Seite 170 ff.). Daher sind die Anleger bereit, eine höhere Anzahl von Wertpapieren B in ihren Portefeuilles aufzunehmen, wenn auch das Gesamt-vermögen W im gleichen Ausmaß steigt. Dies ist aber bei einer Neuemission von Staatsan-leihen zur Defizitabdeckung der Fall. Die LM-Kurve verschiebt sich also bei Neuemissionen von Wertpapieren nur dann nach links, wenn 0.WL > 1 Werden zu M1 auch noch die Termineinlagen hinzugezählt, erhält man das Geldmengen-aggregat M2. Kommen dazu noch die Spareinlagen hinzu, erhält man M3.

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11.Die Finanzmärkte free download version 207

( )dM pY L i= ⋅ . (11.11)

Die liquiden Mittel können nun aber von den Anlegern auf Bargeld CU (für Cur-rency) und Girokonto D (für Deposits) aufgeteilt werden. Dabei eignet sich Bar-geld eher für kleinere Anschaffungen und das Girokonto zur Bezahlung teuerer Güter. Wir nehmen hier einfach an, dass die Leute einen Teil des Geldes in bar halten – dieser Anteil sei c und wird Bargeldabflusskoeffizient genannt – und den restlichen Teil (1 – c) am Girokonto. Daraus folgt für die Nachfrage von Bargeld und Girokonten: d dCU c M= , (11.12)

(1 )d dD c M= − . (11.13)

Wir nehmen weiters an, dass die Reservenhaltung der Banken R proportional zu den Giroeinlagen D ist, also dR Dθ= , (11.14)

wobei wir den Parameter θ als Reservesatz bezeichnen.

Für die weitere Analyse benötigen wir noch einen weiteren wichtigen Begriff, näm-lich die sog. Monetäre Basis H (für High Powered Money). Die Monetäre Basis be-steht im Wesentlichen aus dem gesamten Banknotenumlauf. Während CU lediglich den Bargeldumlauf im Nichtbankensektor bezeichnet, so inkludierte die Monetäre Basis zusätzlich die Banknoten im Bankensektor. Die Monetäre Basis ist für die geldpolitische Betrachtung wichtig, weil diese zum Unterschied von der Geldmenge M1 fast vollständig von der Notenbank kontrolliert werden kann.

Zur Bestimmung des Zinssatzes betrachten wir den Markt für kurzfristige Zwi-schenbankkredite. Auf diesem Markt können die Banken überschüssige Liquidi-tät anlegen oder sich fehlende Liquidität beschaffen. Die Nachfrage nach Liqui-dität auf diesem Markt ist gleich der gewünschten Reservehaltung der Banken also dR . Das Angebot an Liquidität auf diesem Markt ist gleich dem gesamten Bargeldumlauf H minus dem Teil des Bargeldes, das von Nichtbanken (also Pri-vaten) gehalten wird, CU. Daher ist das Angebot gleich dH CU− . Das Bestands-gleichgewicht auf diesem Markt erfordert daher:

d dH CU R− = . (11.15)

Der Zinssatz für die kurzfristigen Zwischenbankkredite muss sich so anpassen, sodass die obige Gleichgewichtsbedingung erfüllt ist.1

Im vorherigen Paragraphen wurde argumentiert, dass sich das Zinsniveau aus den Anlageentscheidungen der Haushalte und Firmen ergibt. Ein Gleichgewicht auf dem Geldmarkt determiniert dann den Zinssatz, vgl. Abbildung 11.4. Muss diese Erkenntnis im Lichte der Gleichgewichtsbedingung (11.15) für den Markt für kurzfristige Zwischenbankkredite revidiert werden? Die Antwort ist nein! Der Punkt ist, dass aufgrund der Gleichungen (11.12), (11.13) und (11.14) so-

1 Eine andere Interpretation von Bedingung (11.15) wäre d dH CU R= + . Der gesamte Bar-geldumlauf müsste dann gleich den Liquiditätsbedürfnissen der privaten Anleger und der Banken sein.

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208 free download version 11. Die Finanzmärkte

wohl die Angebotsseite, als auch die Nachfrageseite der Gleichgewichtsbedin-gung (11.15) von der gewünschten Geldhaltung dM der privaten Anleger ab-hängig ist. Berücksichtigen wir diese Abhängigkeiten durch Einsetzen der er-wähnten Beziehungen in Gleichung (11.15), so erhalten wir: (1 )d dH cM c Mθ− = − . (11.16)

Auflösen nach dM liefert dann:

1(1 )

dH Mc cθ

= + − . (11.17)

Die rechte Seite ist gleich der Geldnachfrage und die linke gleich dem Geldange-bot M1. Diese ist gleich der Monetären Basis H mal dem Term ( )1 (1 ) ,c cθ+ − der als Geldangebotsmultiplikator bezeichnet wird. Dieser Term ist größer eins und nimmt beispielsweise für 0.1θ = und 0.4c = einen Wert von 2.2 an. Die Geldmenge M1 ergibt sich daher als Monetäre Basis mal dem Geldangebotsmul-tiplikator. Die Gleichgewichtsbedingung (11.17) fordert nun, dass das Geldange-bot gleich der Geldnachfrage ist und damit kann Abbildung 11.4 weiterhin zur Analyse des Geldmarktes und des Zinsniveaus herangezogen werden. Es muss lediglich berücksichtigt werden, dass das Geldangebot nun einerseits von der Monetären Basis H abhängig ist (diese wird weitgehend von der Notenbank festgelegt) und andererseits vom Bargeldabflusskoeffizienten c und dem Reser-vesatz θ .

Der Unterschied zur Analyse ohne Bankensystem besteht im Wesentlichen dar-in, dass wir jetzt zusätzlich einen expliziten Markt haben, nämlich den Markt für kurzfristige Zwischenbankkredite, auf dem der kurzfristige Zinssatz festge-legt wird. Die Anlageentscheidungen der Haushalte und der Firmen bei der Wahl zwischen Geld und Wertpapieren spielen aber hier eine äquivalente Rolle wie bei der Analyse ohne Geschäftsbanken. Eine Komplikation besteht jedoch darin, dass auch die Rendite der Wertpapiere determiniert werden muss. Dies ist eine Frage der sog. Zinsstruktur, die hier nicht behandelt wird. Grob gesagt ergibt sich aber die Verzinsung der längerfristigen Wertpapiere als Durch-schnittswert des heutigen kurzfristigen Zinssatzes und der für die Zukunft er-warteten kurzfristigen Zinssätze.

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11.Die Finanzmärkte free download version 209

Kontrollfragen zu Kapitel 11: Die Finanzmärkte

1. Welche „Güter“ werden auf den Finanzmärkten gehandelt?

2. Was bestimmt die Verzinsung von festverzinslichen Wertpapieren?

3. In welche Anlageformen können die Anleger in der hier betrachteten Modellwelt investieren?

4. Welche zwei Gleichgewichtsbedingungen müssen erfüllt sein, damit die Finanzmärkte im Gleichgewicht sind? Sind diese Bedingungen vonein-ander unabhängig?

5. Was verstehen wir unter dem Geldmarkt? Warum ist die Bezeichnung „Markt“ hier irreführend?

6. * Was besagt das Gesetz von Walras?

7. Warum halten Anleger (Haushalte, Firmen) überhaupt liquide Mittel? Sind damit auch Kosten verbunden?

8. Was versteht man unter Geldnachfrage? Von welchen Größen hängt die-se ab?

9. Welchen Einfluss haben Kreditkarten auf die Geldnachfrage?

10. Was versteht man unter dem Geldangebot? Wie kann die Notenbank das Geldangebot in Umlauf bringen?

11. Wie bestimmt ein Gleichgewicht am „Geldmarkt“ den Gleichgewichtszinssatz? Welche Anpassungsprozesse auf welchem Markt laufen ab, wenn der Geldmarkt nicht im Gleichgewicht ist?

12. Wie wirkt eine Erhöhung (Senkung) der Geldmenge auf den Gleichge-wichtszinssatz?

13. Wie wirkt eine Erhöhung (Senkung) des Realeinkommens auf den Gleichgewichtszinssatz?

14. Wie wirkt eine Erhöhung (Senkung) des Preisniveaus auf den Gleichge-wichtszinssatz?

15. Was versteht man unter der LM-Kurve? Warum weist diese einen posi-tiven Anstieg auf?

16. Welche Variablen beeinflussen die Lage der LM-Kurve?

17. Wie wirkt sich eine Erhöhung (Senkung) der Geldmenge auf die LM-Kurve aus?

18. Wie wirkt sich eine Erhöhung (Senkung) des Preisniveaus auf die LM-Kurve aus?

19. * Unter welchen Umständen führt eine Veränderung der Anzahl der Wertpapiere (z.B. durch Emission von Staatsanleihen zur Deckung eines Budgetdefizits) zu einer Verschiebung der LM-Kurve im Zeitablauf?

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210 free download version 11. Die Finanzmärkte

20. Was versteht man unter den Geldmengendefinitionen M1, M2, M3?

21. Was sind Mindestreserven?

22. Was versteht man unter der Monetären Basis?

23. * Für welche Zwecke eignet sich Bargeld besser als Giralgeld?

24. * Wie lautet die Gleichgewichtsbedingung für den Markt kurzfristiger Zwischenbankkredite? Welcher Zinssatz wird auf diesem Markt be-stimmt?

25. * Wie kann die obige Gleichgewichtsbedingung äquivalent interpretiert werden (auf 2 Arten)?

26. * Was ist der Geldangebotsmultiplikator? Von welchen Größen hängt dieser ab?

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12.Das IS-LM-Modell free download version 211

12. Das IS-LM-Modell

In Kapitel 10 wurde das Einkommens-Ausgabengleichgewicht (das Gleichge-wicht am Gütermarkt) unter der Annahme eines fixen Zinssatzes untersucht. Dabei leiteten wir die IS-Kurve ab. Diese ordnet jedem Zinssatz das dazugehöri-ge Einkommens-Ausgabengleichgewicht zu, d.h. jenes Einkommen bzw. Produk-tionsniveau, bei dem die Güternachfrage genau dem Einkommen entspricht. Je-der Punkt auf der IS-Kurve entspricht einem Einkommens-Ausgabengleichgewicht (einem Gütermarktgleichgewicht) bei einem alternati-ven Zinssatz.

Im Kapitel 11 untersuchten wir die Finanzmärkte. Dabei leiteten wir die LM-Kurve ab. Diese ordnet jedem Einkommen das Zinsniveau zu, welches für ein Gleichgewicht auf den Finanzmärkten sorgt. Jeder Punkt auf der LM-Kurve entspricht einem Gleichgewicht auf den Finanzmärkten bei alternativen Ein-kommensniveaus.

Es ist somit offensichtlich, dass sich die Konzepte der IS- und LM-Kurve gegen-seitig ergänzen. Die IS-Kurve gibt uns das Gleichgewichtseinkommen für einen gegebenen Zinssatz an, die LM-Kurve liefert uns den Gleichgewichtszinssatz für ein gegebenes Einkommen. Der Schnittpunkt der beiden Kurven liefert uns daher jene Einkommens-Zinssatzkombination, wo sich sowohl der Gütermarkt als auch die Finanzmärkte simultan im Gleichgewicht befinden. Dieses sog. IS-LM-Gleichgewicht ist in Abbildung 12.1 dargestellt.

Abb. 12.1 Das IS-LM-Gleichgewicht

Der Schnittpunkt der beiden Kurven liefert das Gleichgewichtseinkommen *Y und den Gleichgewichtszinssatz *i . Formal müssen für ein IS-LM-Gleichgewicht die Gleichgewichtsbedingungen für Güter- und Geldmarkt (Finanzmärkte) si-multan erfüllt sein: ( ) ( , )eY C Y T I Y i Gπ= − + − + , (12.1)

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212 free download version 12. Das IS-LM-Modell

( )M pY L i= ⋅ . (12.2)

Dabei sind Y, i und daraus abgeleitet C und I die endogenen Variablen, während G, T, M und eπ die exogenen Variablen darstellen.

Einige Annmerkungen zu diesem Gleichgewichtskonzept sind an dieser Stelle notwendig:

• Der Arbeitsmarkt wird im IS-LM-Modell in keinster Weise berücksichtigt. Er spielt eine rein passive Rolle; die Beschäftigung ergibt sich einfach daraus, dass zur Produktion des Gleichgewichtseinkommen aus dem IS-LM-Modell eine bestimmte Anzahl von Beschäftigten notwendig ist. Die Arbeitslosenrate ist dann die prozentuelle Abweichung dieser Beschäftigung vom Arbeitsange-bot. Es gibt keine Rückwirkungen des Arbeitsmarktes auf IS-LM-Gleichgewicht.

• Bei der Analyse des Gütermarktes setzten wir fixe Güter- und Faktorpreise voraus, und nahmen weiters an, dass sich die Firmen keinen Kapazitätseng-pässen gegenübersehen und ihre Produktion stets der Nachfrage anpassen, vgl. Annahme 1 auf Seite 170. Diese Annahme ermöglicht es, das Einkom-mens-Ausgabengleichgewicht auch als Gütermarktgleichgewicht zu interpre-tieren. In der kurzen Frist ist die Annahme fixer Preise sicherlich zu rechtfer-tigen. Längerfristig passen die Unternehmen aber ihre Produktpreise sich ändernden Marktverhältnissen an. Ähnliches gilt für die Faktorpreise, z.B. den Löhnen (siehe den ersten Punkt). Preis- und Lohnänderungen können je-doch sowohl das Nachfrageverhalten der Haushalte als auch das Angebots-verhalten der Firmen beeinflussen. Daher kann das IS-LM-Gleichgewicht nur als kurzfristiges Gleichgewicht gesehen werden.

• Da die Investitionen vom Realzins r abhängen, wird die IS-Kurve normaler-weise in einem Einkommens-Realzinsdiagramm, (r, Y)-Diagramm, darge-stellt, so auch in Kapitel 10. In diesem Kapitel verwenden wir aber ein Ein-kommens-Nominalzinsdiagramm, ein (i, Y)-Diagramm. Dies bedeutet, wie schon zu Beginn des Kapitels 10 angemerkt, dass die Lage der IS-Kurve in einem (i, Y)-Diagramm von der erwarteten Inflationsrate eπ abhängig ist. Steigt diese, so verschiebt sich die IS-Kurve in einem (i, Y)-Diagramm genau um den Betrag der Steigerung von eπ nach oben. Da wir im Folgenden von einer konstanten erwarteten Inflationsrate ausgehen, spielt bei der weiteren Analyse die Unterscheidung zwischen Real- und Nominalzinssatz allerdings keine Rolle.

• Sowohl bei der Analyse des Güter- als auch bei der Betrachtung der Finanz-märkte wurde stillschweigend angenommen, dass die Vermögensbestände konstant sind. So erhöhen zwar Investitionen den Kapitalstock, kurzfristig kann man jedoch davon ausgehen, dass der Kapitalstock im Vergleich zu sei-nen Veränderungen, den Nettoinvestitionen, so dominierend groß ist, sodass man die Effekte eines veränderten Kapitalstocks vernachlässigen kann. Ähn-liches gilt für die Finanzmärkte. Auch dort führen Emissionen von Wertpa-pieren (z.B. durch den Staat) zu Vermögensänderungen, doch ist der Bestand an Wertpapieren so groß, dass die vergleichsweise kleinen Änderungen kaum

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12.Das IS-LM-Modell free download version 213

eine Rolle spielen. Längerfristig können aber die Kapazitätseffekte des Kapi-talstocks und die Vermögenseffekte eines wachsenden Wertpapierbestandes nicht vernachlässigt werden. Auch daraus folgt, dass das IS-LM-Modell nur für kurzfristige Aussagen sinnvoll ist.

Das IS-LM-Modell ist aus den oben genannten Gründen vor allem für kurz- bis mittelfristige Fragestellungen geeignet (solange etwaige Preis- oder Bestandsef-fekte noch zu vernachlässigen sind). Es wird sich aber zeigen, dass das IS-LM-Modell für solch eher kurzfristige Problemstellungen ein hervorragendes Analy-seinstrument darstellt und daher nicht umsonst ein zentrales Element jeder makroökonomischen Betrachtung ist.

12.1. Stabilität des IS-LM-Gleichgewichts

Nachdem das IS-LM-Gleichgewicht beschrieben wurde, stellt sich die Frage, ob dieses Gleichgewicht stabil ist, d.h. ob es Anpassungsprozesse gibt, die von einer Ungleichgewichtssituation aus zum Gleichgewicht führen. Da wir aus der Ana-lyse der Kapitel 10 und 11 wissen, dass sowohl das Einkommens-Ausgabengleichgewicht als auch das Gleichgewicht auf den Finanzmärkten sta-bil ist, können wir mit Recht erwarten, dass auch das IS-LM-Gleichgewicht sta-bil ist. Betrachten wir dazu Abbildung 12.2.

Abb. 12.2 Stabilität des IS-LM-Gleichgewichts

Beginnen wir mit Punkt A in dieser Abbildung. Punkt A liegt oberhalb der LM-Kurve. Für ein gegebenes Einkommensniveau Y ist daher der Zinssatz in Punkt A zu hoch. Dies ist gleichbedeutend mit einem Überschussangebot am Geld-markt bzw. einer Überschussnachfrage am Wertpapiermarkt. Die Anleger wer-den daher versuchen, ihr Portefeuilles in Richtung mehr Wertpapierhaltung umzuschichten. Dies treibt deren Kurse in die Höhe und deren Verzinsung nach unten. Dieser Anpassungsprozess wurde bereits in Kapitel 11 anhand der Abbil-

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214 free download version 12. Das IS-LM-Modell

dung 11.4 auf Seite 200 genauer erläutert. In Abbildung 12.2 bewegt sich daher der Zinssatz in Pfeilrichtung nach unten zur LM-Kurve. Bevor wir noch die An-passung am Gütermarkt näher behandeln, können wir bereits jetzt davon aus-gehen, dass die Anpassung auf den Finanzmärkten wesentlich schneller vor sich geht als jene am Gütermarkt. Wenn die Notenbank z.B. die Geldmenge mittels Offenmarktkäufe erhöht, so passen sich die Wertpapierkurse und damit deren Renditen meist sofort an. Das bedeutet, dass sich der Zinssatz in Abbildung 12.2 augenblicklich so verändert, dass ein Punkt auf der LM-Kurve genau unterhalb des Punktes A erreicht wird.

Nun zur Anpassung am Gütermarkt. Relevant ist jetzt der Punkt auf der LM-Kurve genau unter Punkt A. Dieser liegt links von der IS-Kurve. Das heißt, für einen gegebenen Zinssatz ist das Einkommen niedriger als das Gleichge-wichtseinkommen für den Gütermarkt. Aus der Analyse von Kapitel 9 wissen wir, dass in diesem Fall die geplante Güternachfrage höher als das Einkommen (die Produktion) ist. Die Unternehmen werden daher ihre Produktion ausweiten und damit steigt Y, welches sich nun in Richtung *Y bewegt. Dieser Anpas-sungsprozess entspricht genau jenem, der in Kapitel 9 anhand der Abbildung 10.4 auf Seite 176 eingehend erläutert wurde.

Ein höheres Einkommen bedeutet aber, dass aufgrund des größeren Transaktionsvolumens vermehrt liquide Mittel nachgefragt werden und damit steigt der Gleichgewichtszinssatz ebenfalls. Da die Zinssatzanpassung aber wesentlich schneller vor sich geht als die Anpassung am Gütermarkt, steigt das Einkommen entlang der LM-Kurve bis es schließlich seinen Gleichgewichtswert

*Y im Schnittpunkt der IS- mit der LM-Kurve erreicht hat.

Die Annäherung an ein IS-LM-Gleichgewicht erfolgt daher aufgrund der schnel-len Zinsanpassung immer zuerst in Richtung LM-Kurve. Ist diese Position er-reicht, erfolgt die Anpassung des Einkommens je nach Situation am Güter-markt. Punkte links von der IS-Kurve bedeuten eine Überschussnachfrage am Gütermarkt und das Einkommen bzw. die Produktion wird steigen. Punkte rechts von der IS-Kurve bedeuten eine Überschussangebot am Gütermarkt und das Einkommen bzw. die Produktion wird sinken. In beiden Fällen erfolgt die Anpassung aber entlang der LM-Kurve, da der Zinssatz jeweils sofort auf Stö-rungen des Finanzmarktgleichgewichtes reagiert. Zum besseren Verständnis möge der Leser die Anpassung an das IS-LM-Gleichgewicht für die Ausgangs-punkte B, C und D in Abbildung 12.2 selbst nachvollziehen.

12.2. Nachfrageschocks im IS-LM-Modell – Fiskalpolitik

In diesem Abschnitt sollen im Rahmen des IS-LM-Modells die Auswirkungen von Veränderungen der Güternachfrage auf Einkommen und Zinssatz studiert werden.

Solche Nachfrageänderungen können vielfältige Ursachen haben: Z.B. Verände-rungen im Vertrauen auf die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung durch Kon-sumenten und Unternehmen, was zu Konsum- oder noch wichtiger zu Verände-

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12.Das IS-LM-Modell free download version 215

rungen der Investitionen führen kann. Weiters spielen Veränderungen der Aus-landsnachfrage, Exporte, oder der Nachfrage nach importierten Gütern eine wichtige Rolle und schließlich ist auch die Nachfrage des Staates von großer Be-deutung.

Wie wir bereits aus Kapitel 9 wissen, kann der Staat mittels der Höhe seiner Ausgaben G oder seinen Steuereinnahmen T die wirtschaftliche Aktivität beein-flussen. Beide Aspekte sind Instrumente der sog. Fiskalpolitik. Im Folgenden werden wir die Auswirkungen von Nachfrageneränderungen anhand von fiskal-politischen Maßnahmen studieren. Die Resultate gelten aber auch für alle ande-ren der oben erwähnten Nachfrageschocks.

Im Kapitel 9 haben wir schon die Konzepte des Ausgaben- bzw. Steuermulti-plikators kennen gelernt. Diese wurden aber unter der Voraussetzung eines fi-xen Zinssatzes hergeleitet. In diesem Abschnitt wollen wir untersuchen, welchen Einfluss ein endogenes Zinsniveau für die Konsequenzen von Fiskalpolitik hat.

Betrachten wir dazu Abbildung 12.3. Die Ausgangslage ist durch die LM-Kurve und die IS0-Kurve mit dem Schnittpunkt 0P und den dazugehörigen Gleichge-wichtswerten 0i und 0Y charakterisiert. Nun nehmen wir an, der Staat erhöht seine Ausgaben G um dG. Wie im Kapitel 9 bereits behandelt, führt dies zu ei-ner Rechtsverschiebung der IS-Kurve um den Ausgabenmultiplikator mal dG. In Abbildung 12.3 wird die neue IS-Kurve mit IS1 bezeichnet.

Abb. 12.3 Fiskalpolitik im IS-LM-Modell

Käme es zu keiner Zinssatzänderung, so wäre das neue Gleichgewichtseinkom-men bei 2Y . Die Einkommenserhöhung von 0Y auf 2Y ist dabei deutlich stärker als die Änderung in G. Dies ist auf das Multiplikatorphänomen zurückzuführen, so wie es im Kapitel 9 beschrieben wurde (indirekte Wirkungen der Einkom-mensänderung auf den privaten Konsum und die Investitionen).

Doch der Punkt 2P liegt unterhalb der LM-Kurve. Die Kombination ( 0 2,i Y ) ist daher mit einem Gleichgewicht auf den Finanzmärkten nicht kompatibel. Im

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216 free download version 12. Das IS-LM-Modell

Punkt 2P herrscht eine Überschussnachfrage nach liquiden Mittel, weil auf-grund des höheren Einkommens ein größeres Transaktionsvolumen bei Güter-käufen anfällt. Die Anleger werden daher versuchen, ihre Portefeuilles in Rich-tung Geld umzuschichten, was bei konstanter Geldmenge und konstantem Wertpapierbestand zu einem Überschussangebot an Wertpapieren führt. Die Kurse der Papiere werden daher fallen und deren Rendite i wird steigen; und zwar solange, bis die Anleger aufgrund der nun höheren Opportunitätskosten der Geldhaltung mit den tatsächlich existierenden Geldbeständen gerade zu-frieden sind.

Der höhere Zinssatz hat allerdings Rückwirkungen auf den Gütermarkt. Da die Nachfrage nach Investitionsgütern I auch vom Zinssatz abhängt, ( , )eI I Y i π= − , führt der nun höhere Zinssatz zu einer geringeren Investitionsnachfrage. Dieser Nachfrageausfall bewirkt, dass das Gleichgewichtseinkommen niedriger als 2Y ist. Die neue Gleichgewichtslösung liegt daher im Punkt 1P mit den dazugehöri-gen Gleichgewichtswerten 1i und 1Y .

Tatsächlich wird die Anpassung von Punkt 0P direkt nach 1P erfolgen, und zwar entlang der LM-Kurve, so wie dies im obigen Abschnitt zur Stabilität beschrie-ben wurde.

Eine Steigerung von staatlichen Ausgaben führt also auch im IS-LM-Modell zu einem höheren Output Y. Die Berücksichtigung der Finanzmärkte lässt aber den Schluss zu, dass der Effekt auf den Output aufgrund von Zinssatzreaktionen geringer ist, als es eine Analyse ohne Berücksichtigung der Finanzmärkte nahe legen würde. In Abbildung 12.3 wird daher nicht 2Y realisiert, sondern lediglich

1Y . Der Grund liegt darin, dass die höheren staatlichen Ausgaben über Zinssatz-steigerungen zu einer Verringerung (Verdrängung) privater Ausgaben, insbe-sondere der Investitionen, führen. Daher nennt man diesen Effekt auch „Crow-ding-Out-Effekt“.

Die Stärke des Crowding-Outs ist in Abbildung 12.3 an der Differenz zwischen 2Y und 1Y ablesbar. Es ist klar, dass die Stärke dieses Effektes maßgeblich vom

Anstieg der LM-Kurve abhängig ist. So wäre zum Beispiel bei einer horizontalen LM-Kurve, der sog. Liquiditätsfalle, der Crowding-Out-Effekt überhaupt nicht vorhanden, weil ein Anstieg des Einkommens zu keiner Zinssatzerhöhung füh-ren würde. Auf der anderen Seite wäre bei einer vertikal verlaufenden LM-Kurve das Crowding-Out vollständig. In diesem Fall hätte eine Erhöhung einer Nachfragekomponente aufgrund der daraus folgenden starken Zinssatzsteige-rung überhaupt keine Auswirkung auf das Gleichgewichtseinkommen Y (vgl. dazu die Ausführungen zum Anstieg der LM-Kurve in Kapitel 10 auf Seite 204).

An dieser Stelle sei noch einmal in Erinnerung gerufen, dass prinzipiell jede Er-höhung einer autonomen Nachfragekomponente zu einer Verschiebung der IS-Kurve um den Ausgabenmultiplikator nach rechts führt. Abbildung 12.3 ist da-her beispielsweise auch für eine Erhöhung des autonomen Konsums relevant, oder bei einer Steigerung der Exporte in einer offenen Volkswirtschaft. Verrin-gerungen einer autonomen Nachfragekomponente führen selbstverständlich zu einer Linksverschiebung der IS-Kurve.

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12.Das IS-LM-Modell free download version 217

Auch für eine Senkung autonomer Steuern T wäre Abbildung 12.3 relevant. In diesem Fall verschiebt sich die IS-Kurve allerdings lediglich um den Steuermul-tiplikator nach rechts. Dieser ist kleiner als der Ausgabenmultiplikator, da Steuern keine Nachfragekomponente darstellen und daher nur indirekt über das verfügbare Einkommen die Nachfrage, insbesondere den Konsum, beeinflussen können (vgl. dazu die Diskussion in Kapitel 9 auf Seite 178).

Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass Veränderungen autonomer Nachfragekomponenten im IS-LM-Modell zu Verschiebungen der IS-Kurve und daraus folgend zu entsprechenden Veränderungen des Gleichgewichts-einkommens und des Gleichgewichtszinssatzes führen. Die Stärke des Effektes auf das Gleichgewichtseinkommen hängt von folgenden Faktoren ab:

• Vom Multiplikator. Dieser bestimmt das Ausmaß der Verschiebung der IS-Kurve und wird in erster Linie von der marginalen Konsumquote Y TC − und der marginalen Investitionsquote YI determiniert.

• Der Anstieg der LM-Kurve spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle. Je steiler die LM-Kurve ( iL klein), umso stärker fallen die Zinssatzreaktio-nen auf den Finanzmärkten aus und umso bedeutender der Crowding-Out-Effekt. Die Auswirkungen von Nachfrageschocks auf das Gleichgewichts-einkommen sind dann eher gering.

• Auch der Anstieg der IS-Kurve beeinflusst die Stärke des Crowding-Out-Effekts. Eine steile IS-Kurve schwächt den Crowding-Out-Effekt ab, da in diesem Fall die Investitionen I nur sehr schwach auf Zinsänderungen rea-gieren, ( rI klein).

Wie man sieht, beschreibt das scheinbar so einfache IS-LM-Modell bereits ziem-lich komplizierte ökonomische Zusammenhänge. Der große Vorteil dieses Mo-dells liegt darin, dass man damit das Ergebnis dieser komplizierten Zusammen-hänge anhand einer einfachen graphischen Analyse zumindest qualitativ able-sen kann. Außerdem macht es transparent, von welchen Modellparametern die Ergebnisse maßgeblich beeinflusst werden.

12.3. Monetäre Schocks im IS-LM-Modell – Geldpolitik

In diesem Abschnitt werden die Auswirkungen monetärer Schocks anhand von geldpolitischen Maßnahmen durch die Notenbank im Rahmen des IS-LM-Modells untersucht. Wir nehmen dabei an, dass die Notenbank die Geldmenge mittels Offenmarktkäufen von Wertpapieren erhöht. Wie bereits aus Kapitel 10 bekannt (vgl. insbesondere Abbildung 11.5 auf Seite 201 und die Argumentation auf Seite 204) führt dies zu einer Rechtsverschiebung der LM-Kurve.

Eine Rechtsverschiebung der LM-Kurve könnte aber auch durch eine Senkung der sog. Leitzinsen hervorgerufen werden. Wir bleiben aber der Einfachheit we-gen bei der Vorstellung einer expansiven Offenmarktoperation, also einer direk-ten Erhöhung der Geldmenge. Diese Situation ist in Abbildung 12.4 dargestellt.

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218 free download version 12. Das IS-LM-Modell

Die Ausgangslage ist durch die IS-Kurve und LM0 bzw. den Punkt 0P mit den dazugehörigen Gleichgewichtswerten 0i und 0Y charakterisiert. Die größere Geldmenge impliziert eine Rechtsverschiebung der LM-Kurve auf LM1. Die Kon-sequenzen dieser expansiven Geldpolitik können wir sofort ablesen. Das neue Gleichgewicht liegt im Punkt 1P . Dies bedeutet, dass aufgrund der größeren Geldmenge das Einkommen (der Output) Y auf 1Y steigt und der Zinssatz auf das Niveau 1i zurückgeht.

Abb. 12.4 Geldpolitik im IS-LM-Modell

Wie ist dieses Ergebnis inhaltlich zu erklären? Wenn die Notenbank die Geld-menge erhöht, so kauft diese Wertpapiere an (Offenmarktgeschäft). Dies führt zu einer Überschussnachfrage am Wertpapiermarkt und treibt daher die Wert-papierkurse in die Höhe, was direkt zu einer Verringerung deren Rendite i führt. Es kommt also zu einer Zinssatzsenkung. Diese ist auch notwendig, damit die Anleger überhaupt bereit sind, ihre Portefeuilles in Richtung höherer Geld-haltung umzuschichten. Der nun niedrigere Zinssatz wirkt aber auf die Güter-nachfrage, insbesondere die Investitionen I. Diese steigen und durch das nun höhere Einkommen kommt es über Multiplikatoreffekte auch zu einer Steige-rung des privaten Konsums. Dies hat wieder Rückwirkungen auf die Finanz-märkte; durch das höhere Einkommen steigt der Bedarf an liquiden Mitteln, was über eine verstärkte Geldnachfrage einen leichten Anstieg des Zinsniveaus impliziert. Der nun wieder etwas angestiegene Zinssatz macht aber einen Teil des expansiven Effektes der ursprünglichen Zinssenkung wieder zunichte, usw.

Die rein verbale Argumentation macht zwei Dinge deutlich. Zum einen zeigt diese neuerlich, welch komplizierte Abläufe im Hintergrund des IS-LM-Modells ablaufen. Zum zweiten wäre es schwierig, aus einer rein verbalen Argumentati-on den endgültigen Effekt einer Geldmengenerhöhung abzuschätzen. Aber der neue Schnittpunkt der IS-Kurve mit der LM1-Kurve in Abbildung 12.4 zeigt uns sofort das Endresultat.

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12.Das IS-LM-Modell free download version 219

Der dynamische Anpassungspfad wäre eine unmittelbare Senkung des Zinssat-zes, bis ein Punkt auf der LM1-Kurve erreicht wird, der genau unter Punkt 0P liegt. Daraufhin käme es zu einem Anstieg des Einkommens (da rechts von der IS-Kurve eine Überschussnachfrage am Gütermarkt vorliegt) entlang der LM-Kurve, bis schließlich Punkt 1P erreicht wird.

Aus obiger Argumentation folgt, dass für die Wirksamkeit von Geldpolitik im Rahmen des IS-LM-Modells zwei Voraussetzungen erfüllt sein müssen:

• Die Geldmengenänderung muss zu einer Veränderung des Zinssatzes füh-ren. Dies hängt in erster Linie davon ab, wie stark die Anleger auf Zins-satzvariationen reagieren. Ist z.B. iL groß, so genügen bereits sehr kleine Zinssatzänderungen, damit die Anleger bereit sind, eine größere Geldmen-ge zu halten. In diesem Fall wäre die LM-Kurve sehr flach (im Extremfall horizontal – Liquiditätsfalle) und eine Verschiebung der LM-Kurve würde daher den Zinssatz nur geringfügig verändern.

• Die Güternachfrage muss auf Zinssatzänderungen reagieren. Dies wäre z.B. nicht der Fall, wenn die Investitionen nur schwach auf Zinsvariationen ansprechen. Unter diesem Umstand wäre rI klein und damit die IS-Kurve sehr steil. Auch ein kleiner Multiplikator würde zu einer eher steilen IS-Kurve führen. Bei einer steilen IS-Kurve sind aber die Effekte einer sich verschiebenden LM-Kurve auf den Output Y klarerweise klein.

Damit ist klar, dass die relativen Anstiege der IS- bzw. LM-Kurve für die Wirk-samkeit von Geldpolitik (und natürlich auch von Fiskalpolitik) von entscheiden-der Bedeutung sind.

Eine steile IS-Kurve und eine flache LM-Kurve führen tendenziell zu einer höhe-ren Wirksamkeit von Fiskalpolitik und einer geringeren Wirksamkeit von Geldpo-litik. Umgekehrt bewirken eine flache IS-Kurve und eine steile LM-Kurve tenden-ziell eine geringere Wirksamkeit von Fiskalpolitik und eine höhere Wirksamkeit von Geldpolitik.

Die Anstiege dieser beiden Kurven hängen von den Modellparametern Y TC − , , , und Y r iI I L ab. Zur Wiederholung soll die folgende Tabelle dienen. Diese gibt

den Einfluss der in der ersten Spalte angeführten Modellparameter auf die An-stiege der IS- bzw. LM-Kurve wieder, wenn diese Parameter hohe Werte an-nehmen. So führt z.B. eine hohe marginale Konsumquote Y TC − zu einer flachen IS-Kurve (geringer Anstieg, deshalb „flach“) und hat keinen Einfluss auf den Anstieg der LM-Kurve. In der Tabelle ist außerdem noch der marginale Steuer-satz YT angeführt, obwohl in unserem Basismodell nur autonome, vom Ein-kommen unabhängige Steuern vorkommen. Die Berücksichtigung von Einkom-menssteuern ist aber im Rahmen des Modells einfach und wird z.B. in Frage 9 am Ende des Kapitels 10 behandelt.

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220 free download version 12. Das IS-LM-Modell

Anstiege der IS- und LM-Kurve Wenn Modellpa-rameter groß

Wirkung auf Anstieg der IS-Kurve

Wirkung auf Anstieg der LM-Kurve

Y TC − flach – YI flach – YT steil – rI flach – iL – flach

Im Abschnitt zur Fiskalpolitik wurde der Crowding-Out-Effekt beschrieben. Durch den kombinierten Einsatz von Fiskal- und Geldpolitik kann das Crow-ding-Out eliminiert werden. Betrachten wir dazu Abbildung 12.5. Die Ausgangs-lage ist IS0, LM0 mit dem Schnittpunkt 0P und den dazugehörigen Gleichge-wichtswerten 0i und 0Y . Expansive Fiskalpolitik verschiebt die IS-Kurve auf die Position IS1. Das neue Gleichgewicht liegt dann im Punkt 1P und das Crowding-Out wird durch die Differenz von 2Y und 1Y repräsentiert.

Abb. 12.5 Akkommodierende Geldpolitik im IS-LM-Modell

Die Notenbank kann nun durch eine gleichzeitige Ausweitung der Geldmenge versuchen, den Anstieg des Zinsniveaus zu verhindern. Dadurch verschiebt sich die LM-Kurve auf die Position LM1. Falls die Geldmengenausweitung genügend groß ist, kann damit der Gleichgewichtspunkt 2P erreicht werden. In diesem Fall kann tatsächlich der Crowding-Out-Effekt eliminiert werden. Solch eine Geldpolitik, die sich zum Ziel setzt, das Zinsniveau stabil zu halten, nennt man Akkommodierende Geldpolitik.

Das Problem mit einer zinsstabilisierenden Geldpolitik besteht in einer ver-stärkten Inflationsgefahr. Wenn nämlich das Outputniveau 2Y höher ist als das Outputniveau bei Vollbeschäftigung, würden in dieser Situation mit ziemlicher Sicherheit die Preise und Löhne steigen. Dies würde zu einer Überschussnach-frage am Geldmarkt führen (pY steigt). Wenn die Notenbank das Zinsniveau

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12.Das IS-LM-Modell free download version 221

weiterhin stabil halten wollte, so müsste sie ständig die Geldmenge ausweiten, was aber zu weiteren Preis- und Lohnsteigerungen führen würde.

Aus diesem Grund verfolgen die Notenbanken meist eine andere Politik, näm-lich eine Geldpolitik zur Preisstabilisierung. Betrachten wir dazu Abbildung 12.6.

Die Ausgangslage ist identisch zur Abbildung 12.5. Nehmen wir jetzt an, die IS-Kurve verschiebt sich aufgrund einer starken Erhöhung der privaten Nachfrage auf die Position IS1. Es ergibt sich der Gleichgewichtspunkt 1P . Als Beispiel könnte uns die deutsche Wiedervereinigung 1990 dienen. Nehmen wir weiters an, dass die deutsche Bundesbank der Meinung war, dass das Einkommensni-veau 1Y über dem Vollbeschäftigungsniveau liegt. Um die Inflationsgefahr ab-zuwenden, betreibt die Bundesbank nun eine restriktive Geldpolitik. Sie ver-ringert die Geldmenge, sodass sich in unserem Diagramm die LM-Kurve nach links auf die Position LM1 verschiebt. Dadurch wird z.B. das Gleichgewicht 2P erreicht.

Abb. 12.6 Geldpolitik zur Preisstabilisierung im IS-LM-Modell

Dieses neue Gleichgewicht zeichnet sich jetzt dadurch aus, dass die höhere Nachfrage durch den starken Zinsanstieg keinen Effekt auf das Gleichge-wichtseinkommen hat. Man bezeichnet diese Form der Geldpolitik daher manchmal auch als Hochzinspolitik. So eine Politik wirkt zwar in der Regel preisstabilisierend, der Nachteil liegt jedoch in einem zumindest kurzfristig ge-ringerem Output und damit verbunden in einem geringeren Beschäftigungsni-veau bzw. einer höheren Arbeitslosenrate.

Und tatsächlich ist die deutsche Konjunktur Mitte der 90er Jahre, wahrschein-lich aufgrund der stark restriktiven Geldpolitik der deutschen Bundesbank massiv eingebrochen. Über die längerfristigen Auswirkungen einer restriktiven Geldpolitik können im Rahmen des IS-LM-Modells jedoch keine Aussage getrof-fen werden. Für solch eine Analyse wäre ein makroökonomisches Modell mit en-dogenen Löhnen und Preisen notwendig.

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222 free download version 12. Das IS-LM-Modell

12.4. Preisvariationen im IS-LM-Modell

Wie schon zu Beginn des Kapitels erläutert, handelt es sich beim IS-LM-Modell um ein Fixpreismodell, das daher nur für kurz- bis mittelfristige Fragestellun-gen geeignet ist. Viele Problemstellungen sind aber naturgemäß längerfristig o-rientiert, so z.B. Fragen des langfristigen Wachstums oder auch die oben ange-sprochene Frage, ob restriktive Geldpolitik auch längerfristig negative Konse-quenzen für den Output und die Beschäftigung hat. Insbesondere bleiben bei der Analyse des IS-LM-Modells Rückwirkungen von Lohn- Preiszusammenhängen auf den Gütermarkt ausgeblendet.

Zur Behandlung solcher Probleme sind makroökonomische Modelle mit endoge-nen Löhnen und Preisen notwendig. Als ersten Schritt in diese Richtung können wir untersuchen, wie das IS-LM-Gleichgewicht auf Variationen des Preisniveaus reagiert. Das Preisniveau ist zwar im Rahmen des IS-LM-Modells eine exogene Variable, man kann aber untersuchen, welche Konsequenzen beispielsweise ein niedrigeres Preisniveau auf das Gleichgewichtseinkommen hat. In weitere Folge wäre dann eine Analyse des Arbeitsmarktes notwendig, um die Effekte der Lohnbildung auf das Preisniveau (und umgekehrt) zu untersuchen.

Der Keynes-Effekt

Das IS-LM-Gleichgewicht ist formal durch die Gleichgewichtsbedingungen (12.1) und (12.2) determiniert, die hier zur Bequemlichkeit nochmals angeführt werden:

( ) ( , )eY C Y T I Y i Gπ= − + − + , (12.3)

( )M pY L i= ⋅ . (12.4)

Die erste Gleichgewichtsbedingung für den Gütermarkt, Gleichung (12.3), be-stimmt die Lage der IS-Kurve. Da diese Bedingung das Preisniveau p nicht ent-hält, ist die Lage der IS-Kurve vom Preisniveau unabhängig.

Die Gleichgewichtsbedingung für die Finanzmärkte, Gleichung (12.4) beinhaltet jedoch das Preisniveau p. Daher ist die Lage der LM-Kurve vom Preisniveau ab-hängig. Sinkt beispielsweise das Preisniveau, so wird dadurch die rechte Seite der Bedingung (12.4) kleiner, die Geldnachfrage sinkt. Für ein gegebenes Real-einkommen Y und gegebener Geldmenge M muss daher der Zinssatz i sinken, damit die Geldnachfrage wieder ihren ursprünglichen Wert annimmt und die Gleichgewichtsbedingung (12.4) weiterhin erfüllt ist ( 0iL < ), vgl. dazu die fol-gende Abbildung 12.7.

Damit ist klar, dass sich bei sinkendem Preisniveau die LM-Kurve nach unten, bzw. rechts verschiebt.

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Abb. 12.7 Effekt eines sinkenden Preisniveaus auf den Geldmarkt

Inhaltlich würde eine Senkung des Preisniveaus die Liquiditätsbedürfnisse der Anleger reduzieren, da damit auch das nominelle Einkommen pY fällt (nicht das Realeinkommen Y!). In Abbildung 12.7 verschiebt sich daher die Geldnachfrage-funktion nach links ( 1 0p p< ). Die Anleger versuchen deshalb, ihre Portefeuilles in Richtung verstärkter Wertpapierhaltung umzuschichten. Bei fixer Geldmenge M und konstanten Wertpapierbeständen B führt dies zu einer Überschussnach-frage nach Wertpapieren. Dadurch steigen deren Kurse und die Verzinsung i fällt. Der neue Gleichgewichtspunkt liegt dann bei 1P mit dem niedrigeren Zins-satz 1i .

Die daraus folgenden Auswirkungen auf das IS-LM-Gleichgewicht können an-hand der Abbildung 12.8 abgelesen werden (vgl. dazu auch Abbildung 12.4 auf Seite 218).

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224 free download version 12. Das IS-LM-Modell

Abb. 12.8 Aggregierte Nachfragekurve

Durch das niedrigere Preisniveau verschiebt sich die LM-Kurve auf die Position LM1. Das Gleichgewichtseinkommen Y steigt und der Gleichgewichtszinssatz sinkt. Dieser Effekt des Preisniveaus auf das Gleichgewichtseinkommen bzw. den Output Y nennt man Keynes-Effekt. Die Ursache dieses Effektes sind Zins-satzveränderungen, die über die Investitionsnachfrage I(i) auf den Gütermarkt wirken.

Klarerweise führt ein Ansteigen des Preisniveaus zu einer Linksverschiebung der LM-Kurve und hat daher einen kontraktiven Einfluss auf Einkommen und Output.

Im unteren Teil der Abbildung 12.8 ist der daraus ableitbare Zusammenhang zwischen Preisniveau und Gleichgewichtseinkommen dargestellt. Die Gleichge-wichtspunkte 0P und 1P im unteren Teil der Grafik entsprechen den Punkten im oberen Teil. Allerdings gilt der Punkt 0P für das (im IS-LM-Modell exogene)

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Preisniveau 0p und der Punkt 1P für das niedrigere Preisniveau 1p . Daraus folgt ein negativer Zusammenhang zwischen Output Y und Preisniveau p.

Die entsprechend negativ geneigte Kurve nennt man Aggregierte Nachfra-gekurve oder AD-Kurve (AD für aggregate demand)1. Diese ordnet jedem Preis-niveau das zugehörige IS-LM-Gleichgewichtseinkommen zu. Die negative Nei-gung der AD-Kurve ergibt sich aus dem oben beschriebenen Keynes-Effekt – al-so sinkendes Preisniveau bewirkt ein Ungleichgewicht auf den Finanzmärkten, daraus folgt eine Zinssatzsenkung (Abbildung 12.7). Der niedrigere Zinssatz führt vor allem über eine höhere Investitionsgüternachfrage zu einem höherem Output (oberer Teil der Abbildung 12.8). 2

Für die Wirksamkeit des Keynes-Effekts, und damit für den negativen Anstieg der AD-Kurve, muss daher ein verändertes Preisniveau zu einer Zinssatzsen-kung führen, und der niedrigere Zinssatz muss einen Einfluss auf die Güter-nachfrage ausüben. Dies sind genau die gleichen Kriterien, die wir bereits für die Wirksamkeit von Geldpolitik im IS-LM-Modell erörtert haben. Damit sind auch die relativen Anstiege der IS- bzw. LM-Kurve für den Anstieg der AD-Kurve bestimmend; je steiler die IS-Kurve und je flacher die LM-Kurve, desto geringer der Effekt einer Preisvariation auf das Gleichgewichtseinkommen und daher umso steiler die AD-Kurve.

Jeder Punkt auf der AD-Kurve stellt ein IS-LM-Gleichgewicht für ein gegebenes Preisniveau dar. Daraus folgt, dass alle Größen, die zu einer Veränderung des IS-LM-Gleichgewichts führen, eine Verschiebung der AD-Kurve bewirken.

So bewirkt beispielsweise eine Erhöhung der Staatsausgaben G, eine Verringe-rung der Steuern T, eine Erhöhung des autonomen Konsums 0c , eine Erhöhung der Geldmenge M und eine Erhöhung der Inflationserwartung eπ eine Rechts-verschiebung der AD-Kurve. Alle diese Veränderungen würden nämlich bei ge-gebenem Preisniveau zu einer Erhöhung des Gleichgewichtseinkommens Y im IS-LM-Modell führen. Das Ausmaß der Verschiebung der AD-Kurve hängt von der Stärke der Auswirkungen dieser Effekte auf das Gleichgewichtseinkommen im IS-LM-Modell ab (vgl. dazu wieder die Erörterungen über die Wirksamkeit von Geld- und Fiskalpolitik im IS-LM-Modell).

Die AD-Kurve, mit ihrem negativen Anstieg in einem (p,Y)-Diagramm, hat große Ähnlichkeit mit den Marktnachfragefunktionen aus der Mikroökonomik. Man könnte daher zur Auffassung kommen, dass die Aggregierte Nachfragefunktion einfach aus einer Aggregation der Mikro-Nachfragekurven folgt. Dies ist aller- 1 In manchen Lehrbüchern wird die AD-Kurve auch als DD-Kurve bezeichnet.

2 Weiterführend: Es ist allerdings denkbar, dass die Konsumausgaben auch vom Realver-mögen W p abhängig sind, also ( , )C C Y T W p= − . Ein höheres Realvermögen würde dem-nach bei gleichem Realeinkommen zu höheren Konsumausgaben führen. In diesem Fall würde eine Senkung des Preisniveaus zu einer Rechtsverschiebung der IS-Kurve führen, da dadurch das Realvermögen W p steigt und damit auch der Konsum. Diesen Effekt nennt man Pigou-Effekt. Er wirkt in gleiche Richtung wie der im Text beschriebene Keynes-Effekt.

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226 free download version 12. Das IS-LM-Modell

dings nicht der Fall. Der Grund für den negativen Anstieg der Marktnachfrage-funktionen aus der Mikroökonomik liegt in erster Linie an Substitutionseffekten (wenn ein Gut relativ zu anderen, ähnlichen, billiger wird, so werden die Kon-sumenten verstärkt auf das billigere umsteigen) und in zweiter Linie an mögli-chen Einkommenseffekten (wenn ein Gut bei konstantem Nominalleinkommen und konstanten anderen Preisen billiger wird, so steigt das Realeinkommen).

Beide Effekte sind für den Anstieg der AD-Kurve jedoch irrelevant. Was die Sub-stitutionseffekte betrifft, so setzen wir bei der Herleitung der AD-Kurve eine Veränderung des Preisniveaus voraus, d.h. die relativen Güterpreise bleiben un-verändert, und somit gibt es auch keinen Grund für Substitutionseffekte. Auch der Einkommenseffekt ist nicht relevant, da bei einer Variation des Preisniveaus das Nominaleinkommen natürlich nicht konstant bleibt, während ceteris-paribus eine Variation des Preisniveaus das aggregierte Realeinkommen nicht verändert, dieses ist nämlich immer gleich der Produktion (vgl. dazu den Anfang von Kapitel 3.1).

Der negative Anstieg der AD-Kurve hat daher eine andere Ursache, nämlich den oben beschriebenen Keynes-Effekt. Der Keynes-Effekt wird den sog. Vermögenseffekten oder Realkasseneffekten zugerechnet, weil eine Störung eines Portefeuillegleichgewichtes der Ausgangspunkt seiner Wirkung ist (vgl. Abbildung 12.7).

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Kontrollfragen zu Kapitel 12: Das IS-LM-Modell

1. Warum passen die IS- und die LM-Kurve so gut zusammen?

2. Was versteht man unter einem IS-LM-Gleichgewicht?

3. Die Investitionen sind vom Realzins r abhängig. Wieso kann dann die IS-Kurve in ein (i, Y)-Diagramm eingezeichnet werden?

4. Warum ist das IS-LM-Modell nur für kurz- bis mittelfristige Fragestel-lungen geeignet? Was heißt in diesem Zusammenhang kurz- bzw. mittel-fristig?

5. Ist das IS-LM-Gleichgewicht stabil? Beschreiben Sie anhand der Abbil-dung 12.2 auf Seite 213 den dynamischen Anpassungspfad zum Gleich-gewicht und gehen Sie dabei vom Punkt D aus.

6. Was versteht man unter Fiskalpolitik? Welche Instrumente hat der Staat dabei zur Verfügung?

7. Angenommen, der Staat möchte sein Defizit durch Steuererhöhungen reduzieren. Analysieren Sie die Konsequenzen anhand des IS-LM-Modells. Welche Kurve verschiebt sich dabei in welche Richtung und wie stark ist diese Verschiebung?

8. Welcher dynamische Anpassungspfad wird für die obige Steuererhöhung im IS-LM-Diagramm zu erwarten sein? Beschreiben Sie dabei die ökonomischen Prozesse, die während der Anpassung an das neue Gleichgewicht ablaufen?

9. Was versteht man unter dem Crowding-Out? Von welchen Umständen hängt die Stärke dieses Effektes ab?

10. Welche Modellparameter bestimmen im IS-LM-Modell die Konsequenzen einer Nachfrageveränderung auf den Gleichgewichtsoutput und den Gleichgewichtszinssatz?

11. Wie können im Rahmen des IS-LM-Modell die Konsequenzen von Geldpo-litik untersucht werden?

12. Welche zwei Bedingungen müssen für die Wirksamkeit der Geldpolitik auf das Einkommen erfüllt sein?

13. Welche Ziele können mit der Geldpolitik verfolgt werden?

14. Was bestimmt die Wirksamkeit der Geld- aber auch Fiskalpolitik im IS-LM-Modell?

15. * Welche Modellparameter bestimmen in welcher Weise die Anstiege der IS- bzw. LM-Kurve?

16. Wie wirken sich Veränderungen des Preisniveaus im IS-LM-Modell aus?

17. Was versteht man unter dem Keynes-Effekt?

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228 free download version 12. Das IS-LM-Modell

Page 231: Skriptum Inst Stiassny

Stichwortverzeichnis free download version 229

Stichwortverzeichnis

A

Abgabenquote · 162 Abschreibungen · 154 AD-Kurve · 225 Aggregation · 7, 115 aggregierte Nachfragefunktion · 45 Aggregierte Nachfragekurve · 225 Aktienwert · 184 Akzelerator · 185 Allgemeine Gleichgewichtstheorie · 18 Amoroso-Robinson-Formel · 135 Angebotsfunktion · 16 Angebotsfunktion · 111 Arbeitsangebot · 60 Arbeitsangebotsfunktion · 61, 63 Arbeitslosenrate · 160 Arbeitsnachfragefunktion · 127 Auktionen · 20 Ausgabenmultiplikator · 174 Ausgabenquote · 162 Außenbeitrag · 156 automatische Stabilisatoren · 179, 190 autonomer Konsum · 171

B

backward bending · 63 Bargeldabflusskoeffizient · 207 BIP

nominelles · 157 reales · 157

BIP-Deflator · 156 Break-Even Punkt · 110 Bruttoinlandsprodukt · 151 Bruttorente · 55 Budgetbeschränkung · 36 Budgetgeraden · 38 Budgetmenge · 38

C

Cobb-Douglas Produktionsfunktion · 86 Consumer Confidence · 180 Core Inflation · 159 Cournot’scher Punkt · 134 Crowding-Out · 216

D

deadweight loss · 122 Deckungsbeitrag, positiver · 113 Defizitquote · 163 direkte Steuern · 154 Diseconomies of Scale · 95 Dominante Strategie · 146 Dualität · 102 Duopol · 145 durchschnittliche variable Kosten · 93, 94 Durchschnittskosten · 91 Durchschnittsproduktivität · 83

E

Economies of Scale · 95 Einkommens- Ausgabengleichgewicht · 168 Einkommenseffekt · 46, 63 Einkommensglättung · 59 Einkommens-Konsumkurve · 43 Elastizität · 15 Endnachfragekomponenten · 154 endogenen Variable · 21 Engelkurve · 43 Entscheidungstheorie · 5 Entstehungsrechnung · 151 Ertragsfunktion · 82 ertragsgesetzlicher Verlauf · 82 Erwartungswert · 68 ex-ante · 168 exogene Variable · 21 Expansionspfad · 90

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230 free download version Stichwortverzeichnis

Expansionspfad, kurzfristiger · 92 Exporte · 155 ex-post · 168

F

faire Prämie · 73 Faktornachfragefunktionen, bedingte · 89,

92 Fiskalpolitik · 215 Fixkostendegression · 96

G

Gefangenendilemma · 146 Geldangebotsmultiplikator · 208 Geldmarkt · 194 Geldmenge · 206 Geldnachfrage · 194, 196 Geldpolitik · 217

akkommodierende · 220 restriktive · 221

Geldschöpfung · 199 Gesetz der Nachfrage · 48 Gesetz von Angebot und Nachfrage · 20 Gesetz von Walras · 195 Gewinnmaximierung · 109 Giffen-Paradoxon · 47 Gleichgewicht · 18 Gleichgewicht am Gütermarkt · 168 Gleichgewichtsbedingung · 168 Gleichgewichtspreis · 18 Gleichgewichtsprinzip · 18 Grenzkosten · 91 Grenznutzen · 35 Grenznutzen des Geldes · 52 Grenzproduktivität · 83, 84, 95 Grenzrate der Substitution · 31, 79 Grenzrate der technischen Substitution · 79

H

Haushaltsoptimum · 41 heterogene Güte · 107 Hochzinspolitik · 221 Hysteresis · 161

I

implizite Kosten · 87 Importe · 156 Indifferenzkurven · 29 indirekte Steuern · 154 Inferiore Güter · 43 Inflationsrate · 158 Inländerkonzept · 153 Inlandskonzept · 153 Instrumentvariable · 173 Intermediärverbrauch · 153 Investitionen · 155 IS-Kurve · 187, 211 IS-LM-Gleichgewicht · 211

Stabilität · 213 Isoquanten · 78

K

Kapitalmarkt · 194 Kapitalmarktgleichgewicht · 180 kardinale Nutzenmessung · 35 Kartell · 146 Keynes-Effekt · 224, 226 Knappheitsindikatoren · 6 kollusives Oligopol · 146 Komparativ Statische Analyse · 21 komplementäre Güter · 45 Konkurrenz, vollkommene · 107 Konsum

öffentlicher · 155 privater · 155

Konsumentenrente · 54 Konsumfunktion · 171 Konsumgüterbündel · 28 Konsumgüterpreisindex · 158 Konvexität · 30 Kostenfunktion · 89, 92 Kostengleichung · 87 Kostenminimierung · 86 Kreditkarte · 198 kurzfristig · 87

Page 233: Skriptum Inst Stiassny

Stichwortverzeichnis free download version 231

L

Lagerinvestitionen · 152, 155 Lagrangefunktion · 52, 103 Lagrangemultiplikator · 52, 103 langfristig · 87 Lerner-Index · 136 limitationale Technologie · 80 Liquiditätsfalle · 202, 204 LM-Kurve · 203, 211 Luxusgüter · 16

M

M1 · 206 M2 · 206 M3 · 206 Makroökonomik · 7 marginale Konsumquote · 171 marginaler Steuersatz · 179, 219 Markt · 13 Marktabgrenzung · 13 Marktnachfrage · 115 Mengenanpasser · 109 Mengenfolger · 146 Mengenführer · 146 Mikroökonomik · 5 Mindestreserven · 206 Mindestreservesatz · 207 minimale effiziente Größe · 140 Modellparameter · 219 Monetäre Basis · 207 Monopol · 131 monopolistische Konkurrenz · 131 Multiplikator des ausgeglichenen Budgets ·

178

N

Nachfragefunktion · 13, 45 natürliches Monopol · 131, 140 Nettodefizit · 163 Nettoexporte · 156 Nettoinlandsprodukt · 154 Nettorente · 55 Nettowohlfahrtgewinn · 54

Neuverschuldung · 163 Nichtsättigung · 29 Nominalzinssatz · 183 normale Güter · 43 Nutzenfunktion · 34, 57 Nutzenfunktion, indirekte · 52

O

Offenmarktgeschäft · 218 Offenmarktgeschäfte · 199 Ökonometrie · 8 Okun’s Law · 161 Opportunitätskosten · 41 Opportunitätskostenprinzip · 87 Optimierungsprinzip · 5 ordinalen Nutzenmessung · 35

P

Pareto-Effizienz · 120 partialanalytische Untersuchung · 7 partielle Faktorvariation · 82 partielles Marktgleichgewicht · 18 Perfect Competition · 107 permanente Einkommenshypothese · 60,

173 Pigou-Effekt · 225 Präferenzen · 27 Preisanpasser · 146 Preisdifferenzierung · 135 Preiselastizität · 15 Preisführer · 146 Preisnehmer · 109 Preisrigiditäten · 169 Preistheorie · 6 Preisuntergrenze, kurzfristig · 113 Preisuntergrenze, langfristig · 113 Primärdefizit · 163 Principal-Agent-Problem · 77 Produktionsfaktoren · 78 Produktionsfunktion · 78 Produzentenrente · 114 proportionale Faktorvariation · 84

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232 free download version Stichwortverzeichnis

R

Rationalprinzip · 5, 27, 167 Realkasseneffekte · 226 Realzins · 183 Regulatoren · 142 Risikoaversion · 71 Risikoneutralität · 72 Risikonutzenfunktion · 69 Risikovorliebe · 71

S

Sicherheitsäquivalent · 72 Skalenerträge · 85 Sparparadoxon · 181 Spieltheorie · 146 Staatsquote · 162 Stetigkeit · 29 Steuerinzidenz · 123 Steuermultiplikator · 178 strategische Interdependenz · 145 Strukturelle Defizit · 164 Stückkosten · 91 substituierbare Güter · 45 Substitutionseffekt · 46, 62 Substitutionselastizität · 89

T

technisch effizient · 81 Tobin’s q · 184 Transaktionsmotiv · 195 Transferleistungen · 154, 155 Transitivität · 29

U

Überschussnachfrage · 20

Umlaufgeschwindigkeit des Geldes · 197 Unabhängigkeitsannahme · 69

V

variable Kosten · 93 Verhaltensgleichung · 173 Vermögenseffekte · 226 Verschuldungsquote · 162 Verteilungsrechnung · 151 Verwendungsrechnung · 151, 154 Volkseinkommen · 154 Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung · 151 vollkommenen Konkurrenzmarkt · 13, 151 Vollständigkeit · 29 Vorbehaltspreis · 55, 120 Vorleistungen · 153

W

Wahrscheinlichkeitsverteilungen · 67 Wertgrenzprodukt · 126 Wertpapiermarkt · 194 Wertpapiernachfrage · 194 Wirtschaftswachstum

reales · 157 Wohlfahrtstheorem, erstes · 121

Z

Zahlungsbereitschaft, marginale · 53, 55, 120

Zeitbeschränkung · 60 Zeitpräferenzrate · 57 Zinsstruktur · 208 Zustände · 67

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