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SELBSTHEILUNG VON DER SUCHT Von der Alltäglichkeit des selbst organisierten Ausstiegs aus der Sucht HK BF , S

SUCHT SELBSTHEILUNG VON DER - Caritas Bodensee … · SELBSTHEILUNG VON DER SUCHT Von der Alltäglichkeit des selbst organisierten Ausstiegs aus der Sucht HARALD KLINGEMANN BERNER

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  • SELBSTHEILUNG VON DER SUCHT

    Von der Alltäglichkeit des selbst organisierten Ausstiegs aus der Sucht

    HARALD KLINGEMANNBERNER FACHHOCHSCHULE, SCHWEIZ

  • (1) Das Konzept und seine Prüfung: Was wird in der Wissenschaft unter ‘Selbstheilung’ verstanden?

  • DEFINITIONEN

    WAS SIND…

    Klinische Definition:„… Verbesserung des Patientenzustandes bei fehlender

    Behandlung” (Roizen 1987)

    „SPONTANAUSSTEIGER“

    „NATÜRLICHE HEILUNGEN“

    „AUTOREMISSIONEN“

  • DEFINITIONEN

    WAS SIND…

    Soziologische Definition:„Prozess, in dessen Verlauf Personen eine Karriere

    problematischen (Alkohol-Drogen-) Konsums ohne formale Behandlung abbrechen” (Stall 1983)

    „SPONTANAUSSTEIGER“

    „NATÜRLICHE HEILUNGEN“

    „AUTOREMISSIONEN“

  • DEFINITIONEN

    WAS SIND…

    Allgemeine Projektdefinition:„… eine deutliche Verbesserung des Konsumverhaltens

    (Alkohol oder Heroin als Hauptproblematik), welche ohne nennenswerte Inanspruchnahme einer helfenden Einrichtung, von Therapie oder von Selbsthilfegruppen mindestens während eines Jahres vor dem Interviewzeitpunkt angehalten hat“.

    „SPONTANAUSSTEIGER“

    „NATÜRLICHE HEILUNGEN“

    „AUTOREMISSIONEN“

  • Grundlegende Forschungsfragen / Forschungsansätze:

    Achtung:      Heilungskriterien und -dauer bestimmen      die Autoremissionsrate.Plausibilitätsüberlegung:      Was passiert mit der grossen Gruppe      der Nichtbehandelten?Allgemeine Langzeit- und Repräsentativstudien:      Beträchtliches Ausmass an episodischer Veränderung      des Konsumverhaltens

    Sind Spontanheilungen überhaupt möglich? Die „wahren“ Autoremissionsraten?

  • Innovative Praxis: Deutsche Pioniereder Selbstheilungsforschung

    • Happel, Hans-Volker (1988): Selbstorganisierte Wege aus der Drogenabhängigkeit. Suchtgefahren 14, 491 – 496.

    • Happel, H.-V. (1988): Selbstheilung bei Drogenabhängigkeit. In: Bildung und Erziehung 41 (2), S. 183 - 200. 

    • Happel, H.-V. (1990) : "Therapie ist doch brotlose Kunst" - Was das ehemals drogenabhängige Subjekt hindert, sich zum Objekt der professionellen Begierde zu machen (bzw. machen zu lassen). In: Psychologie und Gesellschaftskritik 54/55, S. 93 - 108.

    • Weber, Georg & Wolfgang Schneider (1997): Herauswachsen aus der Sucht illegaler Drogen. Kontrollierter Konsum und Selbstheilung. Bd.14, Indro-Buchreiche, Verlag für Wissenschaft und Bildung, Berlin. 

    • Bischof, G., H.J. Rumpf, U.Hapke, C.Meyer und U.John (2000): Maintenance factors of recovery from alcohol dependence in treated and untreated individuals. Alcoholism, Clinical and Experimental Research 24 (12), 1773-1777. 

  • Abhängigkeit = Kontrollverlust? 

  • (2) Selbstheilungsstudien aber wie?Ein kurzer Blick in die Forschungswerkstatt

  • REKRUTIERUNG DATENSAMMLUNG ANALYSE -AUSWERTUNG

    MedienSchneeballWartelistenUmfragen

    Vorinterviewper Telefon

    mit Betroffenen und ‘Zeugen’

    ProjektinfoLebenslauf-

    rasterSouvenirs

    PersönlichesNarrativ-Interview

    Qualitative DatenanalysePerspektiven-

    vergleich

    Adaptiert von: Justyna Klingemann, Institute of Psychiatry & Neurology, Warsaw, Poland

  • DATA

  • Konventionelle Einfachzeichner

  • Naiver konventionelle Malerin

  • Wie wichtig können Suchtinterventionen im Lebenslauf überhaupt sein?

    Aufruf zur Bescheidenheit

    ID-Nr:300 Alkohol

    Alter: 39 / m

  • (3) Selbstheilung ist die Regel, nicht die Ausnahme!

  • Die Spitze des Eisbergs

    nichtschwerabhängig 

    Alkoholbezogene Probleme (aus Sobell & Sobell 2008)

  •  • „Ein grundlegendes Problem besteht darin, dass nur ein geringer Teil der Betroffenen in Deutschland .... professionelle Hilfe im Gesundheitssystem erhält. Die aktuellen Behandlungsraten betragen für Alkoholstörungen 5-16% und Cannabisstörungen  4-8% der Behandlungsbedürftigen. Damit gehören Suchterkrankungen zu den ... Störungen mit der größten Behandlungslücke.“ (Auszug Pressestatement 30. Heidelberger Kongress des Fachverbandes Sucht 2017, 21. – 23.6. 2017)

  • Prävalenzen und Behandlung – Glücksspiel international

    • USA: Weniger als 3% der pathologisch Spielenden waren in 

    irgendeiner Form von Behandlung (National Gambling Impact 

    Study Commission 1999)

    • Schweiz: 2,8%-3.1% pathologisches Spielende sind in 

    Behandlung (ESBK 2003:1000-1500 Betroffene/35‘000 - 48‘000 

    gem. Bondolfi et al. & Molo Bettelini 2003). 

    • Deutschland: Selbstheilung bei pathologischen Glücksspielern.. 

    Jens Kalke, ISD 2014. 

  • Sucht keine Behandlung weil…                                                                          (Erstbefragung 1988)

    Stigma, MoralAblehnung,

    Angst

    Leugnen

    Infomangel

    Stolz, eig.Methode

    Stolz, eig. MethodeStigma, MoralAblehnung, AngstInfomangelLeugnen

  • Behandlungsbarrieren (Tucker 2011, S.375)

    • Soziales Stigma des Hilfesuchens

    • Problem nicht schwer genug für Hilfe

    • Problem kann ohne Hilfe gelöst werden

    • Fehlende finanzielle Mittel, Versicherung

    • Wartelisten, ungünstige Zeiten

    • Vorbedingungen, nur Abstinenz akzeptiert

    • Kein Vertrauen in Profibehandlung

  • 44 %

    33% 32% 32%

    18%

    14%

    Im Schnitt: 49%ige Chance

    Veränderungschance vermutet

    Tobaccon=458

    Cannabisn=375

    Gamblingn=400

    Medication n=402

    Alcoholn=452

    Cocainen=376

    Heroinen=375

    Selbstheilungschancen wie die Bevölkerung CH sie einschätzt.

    (N=707, 10/2004 SWITZERLAND)

  • (4) “Wie geht Selbst-heilung?”

  •       Prozesstypologie Selbstheilung

    (I) Entschlussphase

  • NegativeÄnderungsmotivation:

    Leidensdruck

  • Negative Änderungsmotivation:

    Druckempfindliche

  • Negative Änderungsmotivation:

    Scheidewegfälle

  • Positive Änderungsmotivation:

    Lebensereignisse

  • Keine bewusste Änderungsmotivation:Herausreifen aus der

    Sucht

  • „Es gibt nichts Gutes, ausser man tut es“!Der beeindruckende Werkzeugkasten der Selbstheiler

  • Prozesstypologie Selbstheilung

    (II) Umsetzungsphase

  • Verhaltensstrategie:Ablenkung

  • ... und mit Bier, Bier habe ich am Anfang dann schon noch ein paar getrunken, aber das habe ich dann auch aufgegeben, es hat mir auf einmal nicht mehr gut getan und äh, Bier ganz aufgehört und so bis zum Schluss ist nur noch Wasser drin gewesen; und etwa vor einem Jahr, vor einem Jahr habe ich dann  ganz, da habe ich die Flasche dann gar nicht mehr gebraucht und die Gläschen auch nicht. Ich habe angefangen, dann Kaffee trinken literweise.“

    Gut, ich habe gesagt, vor drei oder vier Jahren, dass ich so nicht kann weitermachen; ich habe mir jetzt vorgenommen ich will Schriftstellerin werden, Journalistin und mit Alkohol ist das einfach nicht gegangen, habe nicht können schreiben. Und dann habe ich mir die Flasche Whiskey vorgenommen und habe mir selber gesagt, das muss irgendwie einen Weg geben und habe die Flasche lange immer angeschaut und bin auf die Idee gekommen, dass man das könnte verdünnen. Und dann habe ich angefangen, am ersten Tag habe ich so ein Gläschen so wie ich die kleinen Gläschen getrunken habe, habe ich ausgeschüttet aus der vollen Flasche und Wasser, so ein Gläschen Wasser reingetan. 

    Und jeden Tag habe ich wieder zwei Gläschen, dann drei Gläschen bis nichts mehr in der Flasche gewesen ist, nur noch Wasser, aber der Geschmack von dem Whiskey ist immer noch drin gewesen. Und habe mir dann jeden Tag auch wieder ein Glas oder zwei drei ausgeschenkt, bis nur noch Wasser drin war als ‚Substitute’ wie sagt man das auf Deutsch, als Ersatz, habe ich das dann getrunken und im Glauben das ist jetzt Whiskey. Und am Schluss ist der Geschmack ist dann auch nicht mehr da gewesen von dem Whiskey und dann habe ich immer noch immer die kleinen Gläschen nur noch Wasser eingeschenkt und mir gedacht, das ist jetzt Whiskey; oder 

    Der Flaschentrick

  • MONTAG

    1 9

    MONTAG

    26

    MITTWOCH

    21

    MITTWOCH

    28

    DIENSTAG

    2 0

    DIENSTAG

    2 7

    DONNERSTAG

    22

    FREITAG

    23

    SONNTAG

    25

    SAMSTAG

    2 4

    Verhaltensstrategie:Selbstbeobachtung

  • Verhaltensstrategie: Ersatz schaffen

  • Verhaltensstrategie:Distanz herstellen

  • Prozesstypologie Selbstheilung aus Erstuntersuchung (1988)

    (III) Konsolidierungs- und Normalisierungsphase

  • Konsolidierungsphase:‚Härtung‘ und neues Selbstvertrauen

  • Konsolidierungsphase:Das Gewonnene sichern

  • Konsolidierungsphase:Helfer werden!

  • (5) Und nun?Von Selbstheilern lernen?Lehren für die Praxis?

  • Gestützte Selbstheilung: Stärkung der Veränderungsbereitschaft

    • ‘Sucht’ gleicht einer heftigen Liebesbeziehung;

    • für deren Beendigung müssen gute pro- und contra 

    Gründe angegeben werden;

    • motivierende Gesprächsführung und ‘decisional 

    balancing’ stützen Selbstheilungen.

  • Das Tagebuch derBridget Jones

    Mittwoch, 15. März

    « 57 kg, Alkoholeinheiten 5 (eine Schande: Urin des 

    Satans), Zigaretten 14 (Kraut des Satans - werde es 

    an meinem Geburtstag aufgeben), Kalorien 1795.»

  • Bibliotherapie

  • Selbstbeobachtung: ‘Quantifiziertes Selbst’

  • iWatch Gesundheitsdauerbeobachtung

  • Stereotypes and visual presentation

  • Können TherapeutInnen von SelbstheilerInnen lernen?

    • PRO “Übernahme der Erfahrungen mit Alltagsmotivatoren und Bewältigungsstrategien, die sich ‘im echten Leben’ als wirksam erwiesen haben?”

    • KONTRA  Verlust der Authenzität, wenn Alltagsstrategien ‚kopiert‘ werden? 

    (Blomqvist 1998: 1830)

  • (6) Förderung von Selbstheilungskräften in einer selbstheilungsfreundlichen Gesellschaft?

  • DrogenNüchternbetrachtet

  • Drogennüchternbetrachtet

  • „Ich bin stärker“ SmokeFree –Kampagne des schweizerischen

    Bundesamtes für Gesundheit (BAG) 2015 -2017

  • Anfragen an eine selbst-heilungsfreundliche

    Gesellschaft• Stigma oder Problem aller?

    • Kontrollverlust oder Änderungsmacht?

    • Therapeutisierung/Eingriff in die Lebenswelten oder

    abgestufte Unterstützung?-> stepped care!

    • Einseitige oder gerechte Verteilung des sozialen

    Ausstiegskapitals?

    • Liberalisierung oder verantwortliche Suchtpolitik?• Integriertes Public Health Modell – NCD Konzept