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30 LWL Für die Menschen. Für Westfalen-Lippe. Integrationsamt Behinderte Menschen im Beruf Suchtmittel und ihre Auswirkungen im Arbeitsleben (am Beispiel Alkohol) Unser Serviceangebot für Betriebe und Verwaltungen

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30 LWLFür die Menschen. Für Westfalen-Lippe.

IntegrationsamtBehinderte Menschen im Beruf

Suchtmittelund ihre AuswirkungenimArbeitsleben(am Beispiel Alkohol)

Unser Serviceangebot für Betriebe und Verwaltungen

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Suchtmittelund ihre Aus-wirkungenim Arbeits-leben (am Beispiel Alkohol)

■ Unser Serviceangebotfür Betriebe und Verwaltungen

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ImpressumBernd Montjoie/Dr. Peter Bengelsdorfin Zusammenarbeit mit Heinz Toppmöller, Hans-Dieter Knöbel und Karin MartinLWL-Integrationsamt – Fachdienst für betriebliche Suchtprävention –

Suchtmittel und ihre Auswirkungen im ArbeitslebenSchriftenreihe des LWL-Integrationsamtes „Für schwerbehinderte Menschen“– Heft Nr. 30 – Stand: Januar 2002

Herausgeber:Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL)– Integrationsamt –48133 MünsterBroschüren-Hotline: 02 51/5 91-65 55, Telefax: 02 51/5 91-58 06E-Mail: [email protected]

2. Auflage 10.000-20.000

Druck: LV Druck, Hülsebrockstraße 2, 48165 Münster

© 2002: Landschaftsverband Westfalen-Lippe – Integrationsamt –

Gedruckt auf umweltverträglichem, chlorfrei gebleichtem Papier

ISSN 0935-8919

Sie erreichen denFachdienst des LWL-Integrationsamtes für betriebliche Suchtprävention:wie folgt:Fachdienst für betriebliche Suchtprävention, Bernhard-Salzmann-Klinik, Im Füchtei 150, 33334 GüterslohHeinz Toppmöller: Tel.: 0 52 41/5 02-5 37, E-Mail: [email protected],

Fax: 0 52 41/50 26 10Karin Martin: Tel.: 0 52 41/5 02-5 78, E-Mail: [email protected],

Fax: 0 52 41/50 26 10Hans-Dieter Knöbel: Tel.: 0 52 41/5 02-5 78, E-Mail: [email protected],

Fax: 0 52 41/50 26 10

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Inhaltsverzeichnis Seite

Um was es geht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7Suchtmittel und Gesellschaft

– Ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7– Zahlen, Definitionen, Beschreibungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7– Droge Alkohol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8– Risikokonsum – Missbrauch – Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

1. Alkohol und Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11Alkohol als Problemlöser?

1.1 Der Suchtmittelkonsum hat sich verändert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131.2 Alkohol und Arbeitsweg

– Arbeitsunfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151.3 Alkohol und Arbeitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161.4 Das Alkoholproblem ist ein betriebswirtschaftliches Problem . . . . . . . . 171.4.1 Betriebliche Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172. Psychische und körperliche Alkoholerkrankung . . . . . . . . . . . . . . . 19

– Was im Gehirn passiert2.1 Psychische Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212.2 Körperliche Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223. Alkoholkrankheit – langfristige Zerstörung von Gesundheit,

Arbeitsfähigkeit und sozialen Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253.1 Alkoholkrankheit – Gesundheit und Arbeitsfähigkeit

„Vier Phasen ins Elend“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263.2 Alkoholkrankheit – soziale Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273.3 Ein betriebstypischer Suchtverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284. Die problemfixierte Sichtweise:

Das betriebliche Tabuthema Alkoholproblem. . . . . . . . . . . . . . . . . . 315. Das Alkoholproblem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

– Wer verhält sich wie zum Alkoholproblem?5.1 Problematisches Verhalten der Kollegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365.2 Problematisches Verhalten des unmittelbaren Vorgesetzten . . . . . . . . . 375.3 Problematisches Verhalten des nächsthöheren Vorgesetzten . . . . . . . . 385.4 Problematisches Verhalten der Personalabteilung. . . . . . . . . . . . . . . . . 385.5 Problematisches Verhalten des Betriebsrats /

der Schwerbehindertenvertretung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395.6 Problematisches Verhalten des Mitarbeiters mit dem Suchtproblem . . . 405.7 Co-Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415.8 Das Alkoholproblem: Der problemfixierte Lösungsversuch

ist paradox, er bewirkt das Gegenteil des angestrebten Ziels . . . . . . . . 43

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44

6. Von der problemfixierten Sichtweise zur lösungsorientierten Sichtweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

6.1 Was ist Lösungsorientierung?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486.2 Lösungsorientierung beim Suchtproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496.3 Fragen und Antworten zum lösungsorientierten Verhalten. . . . . . . . . . . 517. Das Alkoholproblem. Das lösungsorientierte Verhalten im Betrieb . 53

– Wer hat wann was zu tun?7.1 Lösungsverhalten des Mitarbeiters mit dem Suchtproblem. . . . . . . . . . 547.2 Lösungsverhalten der Kollegen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557.3 Lösungsverhalten des unmittelbaren Vorgesetzten, Vorstufe. . . . . . . . . 567.4 Lösungsverhalten des unmittelbaren Vorgesetzten, 1. Stufe . . . . . . . . . 567.5 Lösungsverhalten des nächsthöheren Vorgesetzten, 2. Stufe . . . . . . . . 577.6 Lösungsverhalten der Personalabteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587.7 Lösungsverhalten des Betriebsrates /

der Schwerbehindertenvertretung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597.8 Das Lösungsverhalten im Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 608. Was muss sich im Betrieb ändern, um ein betriebliches

Präventionsprogramm aufzubauen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 638.1 Betriebliche Zielvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 648.2 Aufbau eines Arbeitskreises Sucht im Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 668.2.1 Die Aufgaben des Arbeitskreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 668.3 Betriebliche Umsetzung des Präventionsprogramms durch

betriebliche Ansprechpartnerin / betrieblicher Ansprechpartner . . . . . . 709. Die Aufgaben und Erfahrungen des Fachdienstes des

Integrationsamtes für betriebliche Suchtprävention . . . . . . . . . . . . 739.1 Aufgaben des Fachdienstes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 749.2 Erfahrungen des Fachdienstes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7510. Hilfsangebot des Fachdienstes zur praktischen Umsetzung

des betrieblichen Präventionsprogramms / Baukastensystems, nach dem Bedarf des jeweiligen Betriebes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79– Beschreibung der einzelnen Programmbausteine –

10.1 Beratung beim Aufbau eines betrieblichen Suchtpräventionsprogramms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

10.2 Informationsveranstaltungen – Sensibilisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8010.3 Schulung der personalverantwortlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

„Vorgesetzte nehmen Stellung“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8110.4 Training für Trainer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8210.5 Innerbetriebliche Öffentlichkeitsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8310.6 Gründung eines Arbeitskreises Sucht im Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . 8310.7 Ausbildung betrieblicher Helfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83Anhang: Rechtliche Aspekte von Dr. Peter Bengelsdorf, Kiel . . . . . . . . . . . . . . 85

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Jedes Ding hat zwei Seiten.

Wer nur die helle Vorderseite einerSache sieht, kann sich leicht auf derdunklen Rückseite wiederfinden, ohneden Übergang bemerkt zu haben.Auch Alkoholkonsum hat zwei Seiten.In der Werbung wird die helle Seitedargestellt, z. B. „Heute ein König“.Aber die dunkle Seite ist nicht wenigerbeachtenswert, z. B. „Morgen ein Bett-ler.“

Es gibt keine Kultur, die ganz auf Dro-gen (psychoaktive Substanzen) ver-zichtet. Schon vor der christlichen Zeit-rechnung wurde der Alkohol in unserenKulturkreis aufgenommen. Die Germa-nen brauten und tranken den Met,Mönche verfeinerten die Kunst derAlkoholgewinnung und schafften es,alkoholische Getränke haltbar unddamit ständig verfügbar zu machen.(Nicht der „Teufel“ hat „den Schnapsgemacht“.)

Nimmt man die psychoaktive SubstanzKoffein hinzu, gibt es in unserer Gesell-schaft wohl niemanden, der völlig ohnesolche Stoffe lebt.

Wir setzen sie ein, um ein Gleichge-wicht zwischen äußeren Anforderun-gen und innerer Befindlichkeit herzu-stellen. Häufig gelingt das auch. Prob-lematisch wird es dadurch, dass vieledieser Substanzen sich nicht völligkontrollieren lassen. Und dieses „Rest-

risiko“ kann für viele Menschen einengewissen „Kick“ ins Leben bringen.

Geht dabei die Kontrollfähigkeit verlo-ren, liegt eine Abhängigkeit vor, die fürdie Betroffenen selbst, ihr privates undbetriebliches Umfeld massive Proble-me verursacht.

Betriebe sind ein Ausschnitt unsererGesellschaft. Betrachtet man diesenAusschnitt genauer, stellt man fest,dass es sich um die Altersgruppe(Erwachsene) handelt, die auch Alko-hol konsumiert. Daher muss der Anteilder Alkoholabhängigen in dieser Grup-pe höher eingeschätzt werden, als inder Gesamtbevölkerung.

Keine Alkoholerkrankung fällt vomHimmel. Sie ist kein Schicksal. EineAlkoholkrankheit kann beendet undpräventiv verhindert werden.

Dazu muss sich im Umgang miteinan-der und im Umgang mit dem Alkoholund anderen Drogen etwas verändern.Der Arbeitsplatz bietet hierzu einenguten Rahmen, da es klare Spielregelngibt. Die wichtigste Spielregel ist hierder Arbeitsvertrag. Solche juristischenSpielregeln gibt es im privaten Bereichz. B. in einer Ehe nicht. Der Arbeitsver-trag ermöglicht eine Auseinanderset-zung mit der Problematik und denBetroffenen auf einer sachlichenEbene.

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Um was es geht

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Die katastrophalen Folgen einerAlkoholkrankheit können so geradeam Arbeitsplatz früher als im Privat-bereich beendet und präventiv ver-mieden werden.

In den letzten Jahren hat sich immermehr die Einsicht entwickelt, dassHilfssysteme effektivere Hilfe bietenkönnen, als einzelne noch so engagier-te und gut ausgebildete Personen.Betriebliche Suchtkrankenhilfe mussim „Gesamtsystem Betrieb“ unter ei-nem ganzheitlich systemischen Ansatzgesehen werden, in dem klar definiertist, wer wann was zu tun hat. Wenn-gleich andere Suchtprobleme in zu-nehmendem Maße in Betrieben undVerwaltungen gesehen werden, stehtimmer noch die Droge Alkohol absolutim Vordergrund.

Im Verhältnis zu anderen Gesundheits-problemen nehmen Suchtprobleme ofteher einen untergeordneten Stellen-wert ein. So verwundert es nicht, dassimmer häufiger in Betrieben undDienststellen der Begriff Gesundheits-prävention fällt und der Versuch un-ternommen wird, Suchtprävention imBereich der Gesundheitsfürsorge –Stichwort: Gesundheitszirkel – mit ein-zubinden.

Nach unserer Ansicht gibt es zwischenbeiden Ansätzen Verbindungen.Gleich-wohl muss und wird betrieblicheSuchtkrankenhilfe ihren eigenen Stel-lenwert behalten. Suchtprobleme ent-wickeln sich anders als andere ge-sundheitliche Belastungen und Krank-

heiten, sie müssen auch in andererWeise angegangen werden.

Sucht-, insbesondere Alkoholproble-me, führen, wenn nichts dagegen un-ternommen wird, mit hoher Wahr-scheinlichkeit zu Schwerbehinderung.Das Integrationsamt des Landschafts-verbandes sieht seine Aufgabe vorallem darin, durch frühzeitige Hilfs-angebote Schwerbehinderung zu ver-hindern. Daher hat es den Fachdienstfür betriebliche Suchtprävention ge-schaffen. Er steht den Betrieben undVerwaltungen zur Verfügung für Hilfenim Einzelfall. Schwerpunkt der Arbeitist allerdings der präventive Ansatz, mitdem Betriebe und Dienststellen in dieLage versetzt werden sollen, Sucht-probleme früher als bisher wahrzuneh-men und zu lösen.

Wie die Auswirkungen einer Sucht-bzw. Alkoholerkrankung im Betriebvermieden werden können, steht imMittelpunkt der folgenden Betrachtun-gen. Dabei geht es um die Beantwor-tung der Fragen, was im Betrieb ge-schehen muss, um Suchtprobleme amArbeitsplatz früher wahrzunehmen undzu stoppen, damit die betrieblicheSuchtproblematik insgesamt gelöstwerden kann, welche Hilfen dazu not-wendig sind und wo diese Hilfen zu fin-den sind.

Hans-Dieter KnöbelHeinz ToppmöllerKarin Martin

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Vorbemerkung

Um die Lesbarkeit des vorliegendenTextes zu erleichtern, verwenden wirdie männliche Form. Natürlich ist mitdem „Mitarbeiter“ auch immer die „Mit-arbeiterin“ gemeint. Mit den „Kollegen“sind auch immer die „Kolleginnen“gemeint.

Suchtmittel und Gesellschaft –Ein Überblick

Zahlen, Definitionen, Beschreibungen

Die gesellschaftlich meistgebrauchtenSuchtstoffe sind nach einer Repräsen-tativumfrage der Deutschen Hauptstel-le gegen die Suchtgefahren 19971)

– Tabak12 Millionen Bundesbürger sind ni-kotinabhängig

– Alkohol2,5 Millionen Bundesbürger in derAltersphase von 18 bis 69 Jahre sindbehandlungsbedürftig alkoholkrank

– Medikamente (schmerzstillend undzur Beruhigung)

1,5 Millionen Menschen sind abhän-gig von Medikamenten. 1,2 MillionenMenschen sind abhängig von Ben-zodiazepinen wie Schmerzmittel undTranquilizern (Valium u. a.), die aufdas zentrale Nervensystem wirken.300 000 Menschen sind abhängigvon anderen Medikamenten.

– illegale Drogen (Heroin, Kokain, Am-phetamine, Ecstasy, Cannabis) Die Konsumenten von illegalen Dro-gen mit unterschiedlicher Wirksam-keit werden auf 1 400 000, bei hartenDrogen (Heroin u. a.) auf 250 000 bis300 000 geschätzt (dabei wird vonetwa 100 000 bis 150 000 intravenösKonsumierenden ausgegangen).

In den zahlreichen Veröffentlichungenzum Thema Sucht werden unter-schiedliche Zahlen verwendet. Dieunterschiedlichen Zahlen erklären sichdurch die Entwicklung einer Sucht-erkrankung. Eine Suchterkrankungentwickelt sich nicht in klar abgrenz-baren Schritten, sondern als einschleichender Prozess. Deshalb wirdeine Suchterkrankung von den Betei-ligten selbst oftmals nicht bemerkt.Und auch wenn eine Suchterkrankungbemerkt wird, bedeutet das nicht,dass sie auch behandelt wird. Sucht-

7

1) Quelle Jahrbuch Sucht, Neuland 1999 (DHS Hrsg)– Zahlen: zur Nikotinabhängigkeit: B. Junge geht bei Nikotinabhängigkeit von 5 – 6 Mill. Frauen und

8 – 9 Mill. Männern aus.– Zahlen zur Alkoholabhängigkeit: Im Unterschied zu R. Hüllinghorst / Ch. Merfert-Diete (1,7 Mill. Alkohol-

abhängigen, Jahrbuch Sucht, S. 6), geht B. Junge von der in Publikationen bislang verwendeten Zahl von 2,5 Mill. alkoholabhängigen Bundesbürgern aus, vergl. B. Junge, Jahrbuch Sucht … ebda., S. 32

– Zahlen zur Medikamentenabhängigkeit, vergl. G. Glaeske, a. a. O., S. 45– Zahlen zur Drogenabhängigkeit, vergl. A. Holz., J. Leune, a. a. O., S. 158

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erkrankte, die sich nicht behandelnlassen, erscheinen in keiner Statistik.So kommt es bei den Suchtzahlen zueiner erheblichen Dunkelziffer unddeshalb zu unterschiedlichen Schät-zungen.

Droge Alkohol

Die gesellschaftlich anerkannte undlegale Droge Alkohol ist vielseitig. Sieist Medizin, Belohnung und Entlastung.Sie ist soziales Kontaktmittel, Rausch-mittel, Problemlöser, und deshalb kannHerbert Grönemeyer ein Lied singen, indem es heißt: „Alkohol ist dein Ankerund dein Rettungsboot“ (Herbert Grö-nemeyer, „Alkohol“).

Viele Menschen machen die Erfah-rung, dass Alkohol die Not erleichtertund über schwierige Situationen hin-wegretten kann. Aber das Rettungs-boot Alkohol kann leicht selbst unter-gehen. Und wer im Boot sitzt, ertrinkt.Alkohol kann, statt zu retten, in denAbgrund führen. Der SchriftstellerJack London, 1876 – 1916 („Lockrufdes Goldes“, „Der Seewolf“), berichtetvon seinem Erlebnis mit „König Alko-hol“:

„Je mehr ich trank, desto mehr mussteich trinken, um eine Wirkung zu erzie-len. So war ich denn schließlich soweit, dass mein Organismus nie mehrfrei von Alkohol war.“ (Jack London„König Alkohol“)2)

Risikokonsum – Missbrauch – Ab-hängigkeit

Risikokonsum bedeutet den Konsumvon mehr als 20 g reinen Alkohols proTag (bei Frauen) und mehr als 30 g proTag (bei Männern).

Das sind ungefähr z. B. ein bis zweihalbe Liter Bier täglich. Riskant ist dieserKonsum, weil körperliche Schäden nichtmehr ausgeschlossen werden können.

9 Millionen Bundesbürger haben einriskantes Konsumverhalten.

Missbrauch bedeutet einen erhöhtenund fortgesetzten Alkoholkonsum trotzdes Wissens um ein soziales, berufli-ches, psychisches oder körperlichesProblem, das durch den Alkoholkon-sum ausgelöst oder verstärkt wird.

Durch ein ausgedehntes Zechgelage(Alkoholmissbrauch) kann ein o.g.Problem ausgelöst oder verstärkt wer-den; sozial: Ärger in der Partnerschaft /Familie, beruflich: der Begriff „Montags-auto“ meint eine entsprechende Ar-beitsleistung nach dem Wochenende.Psychisch und körperlich: Nach Alko-holmissbrauch ist die Angeschlagen-heit als „Kater“ bekannt, als Geist undKörper umfassende Befindlichkeitsstö-rung. Auch Alkohol am Steuer kann einsoziales, berufliches, psychisches oderkörperliches Problem auslösen oderverstärken.

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2) Jack London: „König Alkohol“, München, 1973, S. 129

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Alkoholabhängigkeit bedeutet diezunehmende körperliche Unfähigkeitzur Abstinenz und / oder den Kontrollverlust über die Menge des Alkoholkonsums (vergl. auch Pkt. 2).

Von Alkohol körperlich abhängig sind1,7 Millionen Bundesbürger.3)

Befindlichkeitsstörungen und kleineSorgen sind nicht selten der Grund,aus dem heraus zum Alkohol gegriffen wird. Mit einem Gläschenfängt es an.

Was der Dichter Wilhelm Busch in einem Gedicht beschreibt: „Wer Sorgen hat, hat auch Liqueur“, ist alsAlltags(un)weisheit bekannt. Es wirdweise und witzig die entlastende Wirkung von Alkohol mit Sprüchen beschrieben, wie: „morgens ein Bierund der Tag gehört dir“, oder man soll„morgens weitermachen, womit manabends aufgehört hat“ und natürlichauch: „Auf einem Bein kann man nichtstehen…“, „einer geht noch…“.

Des Alkohols unweise Seite kann mitWilhelm Busch ebenfalls beschriebenwerden: „Wehe, wehe, wehe, wenn ichauf das Ende sehe,“ heißt es bei Wil-helm Busch, der damit Max und Moritzmeint. Dieser Spruch stimmt ebensofür das Erleichterungstrinken, wennversucht wird, Probleme und Belastun-gen mit Alkohol „wegzutrinken“.

Jeder kennt seine Belastungen, privatund am Arbeitsplatz. Am Arbeitsplatzwird eine lange Zeit des Lebens ver-bracht. Arbeit bedeutet die Sicherungder Existenz – Geld zu verdienen. Ar-beit muss nicht nur „Job“ sein. Sie kannErfüllung oder auch nur ein gewissesAusgefülltsein bringen. Arbeit kannFreude, aber auch Leid, Stress undProbleme machen.

Viele Menschen haben in Problem-und Krisensituationen bereits ihreErfahrungen mit Alkohol gesammelt.Möglicherweise hat ihnen Alkohol eineschwierige Situation etwas leichtergemacht. Hilft Alkohol bei Stress undProblemen?

9

3) Die Zahlen zu Risikokonsum, Missbrauch, Abhängigkeit, beziehen sich auf eine 1997 im Auftrag derBundesregierung für Gesundheit durchgeführten Repräsentativerhebung, vergl. R. Hüllinghorst, Ch. Merfert-Diete, Jahrbuch Sucht, 1999, a. a. O., S. 6Definitionen zu Risikokonsum, Missbrauch, Abhängigkeit bei A. Holz, J. Leune, a. a. O., S. 156

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11

1.

1. Alkohol und ArbeitAlkohol als Problemlöser?

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Rationalisierung und die Einführungneuer Technologien am Arbeitsplatzkennzeichnen u. a. die Umstrukturie-rungen von Betrieben und Verwaltun-gen.

Durch diese veränderten Rahmenbe-dingungen erhöhen sich die Leistungs-anforderungen an die Mitarbeiter. DieHierarchien werden flacher, es wirdmehr Eigenverantwortung gefordert.Die Tätigkeiten wechseln, es wird häu-figer Flexibilität erwartet. Bei gleichbleibenden Arbeitsanforderungennimmt in verschiedenen Arbeitsberei-chen die Zahl der Mitarbeiter ab. Dasbedeutet, dass weniger Mitarbeitermehr leisten müssen. Die vielen Verän-derungen des Gewohnten am Arbeits-platz können mehr und mehr Stressbedeuten. Folgende Probleme werdenals besonders stressreich und als belas-tend empfunden:

– ein wahrgenommener gravierenderUnterschied zwischen Leistung undBelohnung

– Arbeitstempo – Zeitdruck – unklareZuständigkeiten

– eine verschärfte Konkurrenzsituationzwischen Mitarbeitern bis hin zuMobbing

– diffuse Angst vor dem Verlust desArbeitsplatzes.

Finden diese Probleme weder Gehörnoch eine Lösung und macht ein sol-ches Erleben langfristig Stress, dannbestehen für den Konsum von Sucht-mitteln günstige Rahmenbedingungen.Alkohol, Tabletten, Drogen, könnengebraucht werden, um den Stress zuregulieren und um die Leistung zu stei-gern. Das belegen Forschungsergeb-nisse.4)

Bringen aber alle Anstrengungen (auchmit Alkohol, Tabletten, Drogen) keinenErfolg, kann diese Erfahrung zur Resig-nation führen. Es kann in der Folgeeines oftmals langen Enttäuschungs-prozesses zu Depressionen kommen.Dann wird wiederum vom Suchtmittelerwartet, dass es die depressivenZustände zu ertragen hilft.5)

1.

12

4) W. Puls, H. Wienold, T. Blank: „Die Einwirkung von Gratifikationskrisen am Arbeitsplatz auf den Kon-sum von Alkohol: Eine schriftliche Befragung in Betrieben der metallverarbeitenden Industrie“, in:„Sucht“ 44 (3) 1998, S. 194 f.

– W. Puls et al. gehen bei ihren Erhebungen von einem Gratifikationskrisenkonzept aus. Eine Abfolgevon Arbeitsstressoren, Stresswahrnehmungen und Alkoholkonsum halten sie für nicht gesichert(vergl. S. 193). Jedoch geht Puls in einem früheren Beitrag davon aus, dass in bestimmten Arbeits-kontexten, Stress den Alkoholkonsum fördern kann. W. Puls sieht aber auch in einer „Unterforderungder Handlungspotentiale“ eine Erhöhung der Motivation zum Konsum (vergl. Anm. 4).

5) W. Puls: „Stress am Arbeitsplatz und die Motivation zum Alkoholkonsum: Ein eindeutiger Zusam-menhang?“, in: „Sucht“ 38, 1992, S. 371 – 385vergl. die einschränkenden Bemerkungen zur Erregungs-Steigerungs-Hypothese und zur Span-nungs-Reduzierungs-Hypothese bei W. Puls, ebda., S. 381

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Dabei hängt der Griff zum Suchtmittelmit den Vorerfahrungen zusammen.Alkohol als der „Retter in der Not“ vonStress und Problemen wird wahr-scheinlich dann gerufen werden, wennman sich nicht anders zu helfen weißund die positive Wirkung von Alkohol inanderen, leichteren Situationen (Fei-ern), schon erlebt hat. Dann liegt derGedanke nahe, es auch in den schwe-ren Momenten des Lebens mit Alkoholzu versuchen. Wer gelernt hat, ohneSuchtmittel mit Stress und Problemenumzugehen, kann darauf verzichten.

Mit vielen verschiedenen Möglichkeitenlässt sich Stress regulieren und einProblem lösen. Im konkreten Fall ist eswichtig, mit einem Freund, einer Freun-din darüber reden zu können. Fehlt einAnsprechpartner, kann professionelleHilfe in Anspruch genommen werden.

Stress lässt sich mit Wandern, Laufen,Schwimmen, mit Sport und auchdurch die Beschäftigung mit einemHobby regulieren. Darüber hinaus gibt es viele andere Möglichkeiten, mit denen einmal „abgeschaltet“ und„zur inneren Ruhe“ gefunden werdenkann.

Wer mit Alkohol versucht hat, Stress,„Frust“ und Probleme „wegzutrinken“,kennt auch seine Wirkung. Alkoholberuhigt die Nerven, verbessert dieStimmung. Alkohol scheint zunächstauch zu helfen – kurzfristig. Mittel- undlangfristig verstärken sich die Prob-leme, gesundheitlich, privat und amArbeitsplatz. Dort ist eine deutlicheVeränderung des Suchtmittelkonsumszu beobachten.

13

1.

1.1 Der Suchtmittelkonsum am Arbeitsplatz hat sich verändert

Da sich die gesamte Arbeitswelt verän-dert hat, hat sich mit ihr auch der Alko-holkonsum am Arbeitplatz verändert.Am Arbeitsplatz ist Alkohol, ob ausFreude oder aus Frust konsumiert,zunehmend weniger „angesagt“.

Es kann ein Rückgang des traditionel-len Alkoholkonsums bei Betriebsfeiern,bei „Einständen“ u. a. betrieblichen An-lässen beobachtet werden. Die Zunah-

me des Konsums von alkoholfreienGetränken (alkoholfreies Bier u. a.)kann mit der Angst vor dem Verlustdes Führerscheins (viele kommen mitdem Auto zur Betriebsfeier), aber auchmit dem zunehmenden Negativimagevon Alkoholkonsum im Betrieb zu tunhaben.

Bei Seminaren zur betrieblichen Sucht-prävention werden diese Veränderun-

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gen des Suchtmittelkonsums von denBetriebsangehörigen bestätigt.

Die Veränderung der Arbeitsanforde-rungen, aber auch die Aufklärung überriskantes Konsumverhalten bewirken,dass die Unfallverhütungsvorschriftenstärker beachtet werden. Ebenso wirdin vielen Betrieben mehr auf die Einhal-tung der seit langem bestehenden be-trieblichen Alkoholverbote geachtet.Je mehr der Alkoholkonsum am Ar-beitsplatz ein Negativimage bekommt,desto näher liegt der Griff zum Ersatz-mittel.

Um am Arbeitsplatz nicht negativ auf-zufallen, können bei einer Alkoholab-hängigkeit zusätzlich Medikamenteoder illegale Drogen als Ersatzmittelkonsumiert werden. Bei einer Medika-mentenabhängigkeit kann das Sucht-mittel ebenfalls gewechselt werden.Bei Drogenabhängigen besteht über-wiegend eine Mehrfachabhängigkeitdurch den Konsum verschiedenerSuchtsubstanzen.

Wenn am Arbeitsplatz der Alkohol ten-denziell eher zurückhaltend konsumiertwird, kann deshalb nicht auf einengenerellen Rückgang des Alkoholkon-

sums geschlossen werden. Der gesell-schaftliche Gesamtkonsum an Alkoholist nur leicht zurückgegangen undstagniert weiterhin auf hohem Niveau.Das belegen eindeutig die aktuellenZahlen der Deutschen Hauptstellegegen die Suchtgefahren.6)

Der veränderte Alkoholkonsum be-steht in einer Verschiebung aus demArbeitsbereich in den Freizeitbereich.In der Freizeit und an Wochenendenwird als Gemeinschaftserlebnis dasnachgeholt, was am Arbeitsplatz aufwenig Gegenliebe stößt. Alkohol wirdin der Freizeit oftmals missbräuchlichkonsumiert.7) Um für diese Annahmeeine Bestätigung zu finden, brauchtman nicht unbedingt den Fernsehereinzuschalten (Mallorca, Schinken-straße / Ballermann 6). Es reicht einBlick zu später Stunde in die Bier-gärten und Kneipen.

Auch der Alkoholkonsum in der Freizeitkann Auswirkungen auf die Arbeithaben.

Auf dem Weg zur Arbeit und amArbeitsplatz droht durch Restalkoholeine erhöhte Unfallgefahr.

1.

14

6) vergl. Jahrbuch Sucht 99, a. a. O., S. 18, Alkoholkonsum in Deutschland pro Kopf in Liter reiner Alko-hol: 1994: 10,2 Liter, 1995: 9,9 Liter, 1996: 9,8 Liter

7) W. Puls et al. vermuten, dass in der Woche „… eher ein utilitaristischer Alkoholkonsum“ stattfindetund „… am Wochenende verstärkt ein konvivialer …“ vergl. W. Puls, H. Wienold, T. Blank: „Die Ein-wirkung von Gratifikationskrisen …“ a. a. O., S. 194

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15

1.

1.2 Alkohol und Arbeitsweg –Arbeitsunfälle

Der tägliche Arbeitsweg ist für vieleBeschäftigte, die unter Rest- oderaktueller Alkoholeinwirkung stehen,inzwischen gefährlicher geworden alsdie Arbeit selbst. Auf dem Weg vonund zur Arbeit verunglücken mehrMenschen tödlich als bei Unfällen amArbeitsplatz. Das belegen Untersu-chungen.8)

15 % bis 30 % aller Arbeitsunfälle sindnach Schätzungen auf Alkohol zurück-zuführen. Dabei ist beachtenswert,dass bei 0,5 Promille die Unfallgefähr-dung doppelt, bei 0,8 Promille bereits4-mal so hoch ist wie im nüchternenZustand.9)

Die Zahl der alkoholbedingten Unfälleim Betrieb muss wahrscheinlich höhereingeschätzt werden. Das lassen Fall-studien zur betrieblichen Unfallfor-schung vermuten.10) Danach ist dieGesamtzahl der Arbeitsunfälle 5- bis 6-mal so hoch wie die Zahl der offiziell

angezeigten Arbeitsunfälle. Das magbei alkoholbedingten Unfällen damit zutun haben, dass man dem Unfallopfer,das schon den Schaden hat, nichtnoch weitere negative Folgen zumutenmöchte. Bei Unfällen unter Alkoholein-wirkung entfällt eine Haftung durch dieVersicherungsträger. Hinweise auf Al-koholbeteiligung werden deshalb ver-ständlicherweise von den betrieblichBeteiligten vermieden, um den Mitar-beiter vor noch größerem Schaden zuschützen.

Alkohol hat nicht nur Auswirkungen aufdie Unfallgefahr auf dem Arbeitswegund am Arbeitsplatz. Auch die Arbeits-leistung ist durch Alkoholkonsum be-troffen. Wer denkt, Alkoholkonsum ha-be keine Auswirkungen auf die Arbeit,der irrt. Schon geringer Alkoholkonsummindert die Arbeitsleistung erheblich,egal wo er konsumiert worden ist. Daszeigt die folgende Auswahl von For-schungsergebnissen.11)

8) vergl. M. Resch / R. Fuchs, in R. Fuchs (Hrsg) Betriebliche Suchtprävention, Göttingen 1998, S. 319) vergl. M. Resch / R. Fuchs, ebda., S. 31, S. 32 ff.10) M. Resch / R. Fuchs, in Bzg. auf Fallstudien zur Unfallforschung, REFA - MBO 1991, ebda., S. 3211) vergl. M. Resch / R. Fuchs, ebda., S. 32 ff.

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1.

16

1.3 Alkohol und ArbeitsleistungAufmerksamkeit

Eine Aufmerksamkeitsstörung beginntbereits bei einem Blutalkoholspiegelvon 0,3 Promille. Das Ergebnis vonAufmerksamkeitstests: Bei gleicherFehlerquote wird mehr Zeit für dieBewältigung der Arbeitsaufgabe be-nötigt oder bei gleichbleibender Zeitwerden mehr Fehler gemacht.

Gleichgewichtsapparat

Versuchspersonen waren bei einer ein-fachen Körperhaltung und bei einerBlutalkoholkonzentration von 0,6 Pro-mille nicht mehr in der Lage vollkom-men ruhig zu stehen.

Reaktionszeit

Verlängerung der Reaktionszeit istbereits bei einem Blutalkoholspiegelvon 0,3 Promille bemerkbar. Alkohol-abhängigkeit bedeutet eine generellverlängerte Reaktionszeit.

Wahrnehmung

Eine Verschlechterung der allgemeinenSehschärfe tritt ab 0,8 Promille ein. DieEinschränkung des peripheren Ge-sichtsfeldes (Tunnelblick) beginnt ab0,5 Promille.

Handfertigkeit

Die Koordination und Feinabstimmungverschiedener Handfertigkeiten wird

unter Alkoholeinfluss stark beeinflusst.Bei einer einfachen Arbeitsaufgabe, dieeine hohe Handfertigkeit erfordert,kann bei 0,8 Promille eine Verschlech-terung der Leistung um 40 % erwartetwerden.

Denkvermögen

Die Gedächtnisleistung ist bereits bei0,2 Promille eingeschränkt. Mangeln-des Denkvermögen bewirkt eine Kon-zentrationsschwäche. Konzentrations-schwächen begünstigen Fehlentschei-dungen. Alkoholmissbrauch kann lang-fristig auch zu Hirnschädigungen füh-ren.

Antriebs- und Stimmungslage

Unter Alkoholeinfluss ist generell einehöhere Risikobereitschaft zu erwarten.Die Fähigkeit zur kritischen Selbstüber-prüfung lässt deutlich nach.

Die Studien zeigen die generell be-denkliche Wirkung von Alkoholkon-sum. Entwickelt sich aus Risikokon-sum Alkoholmissbrauch und Alkohol-abhängigkeit, kann das gravierendeAuswirkungen für den Alkoholkrankenund für den Betrieb haben.

Eine Alkoholkrankheit ist nicht nur einpersönliches Problem des Mitarbeiters.Für einen Betrieb, eine Verwaltung isteine Alkoholkrankheit auch ein be-triebswirtschaftliches Problem.

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17

1.

1.4 Das Alkoholproblem ist einbetriebswirtschaftliches Problem

5 % bis 7 % aller Mitarbeiterinnen undMitarbeiter im Betrieb und in der Ver-waltung sind alkoholkrank, weitere10 % bis 15 % sind gefährdet.

Diese Zahl gilt nicht nur für bestimmtesoziale Gruppen im Betrieb. Sie betrifftdie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufallen Hierarchieebenen.

1.4.1Betriebliche KostenDie mit dem Thema betriebliche Sucht-problematik befassten Verbände undFachinstitute schätzen die durch eineAlkoholkrankheit entstehenden Kostenauf etwa 25 % der betrieblichen Ge-samtkosten.12)

Betriebliche Kosten können u. a. ent-stehen durch:

– suchtmittelbedingte Fehlentschei-dungen auch im Management

– alkoholbezogene Arbeitsunfälle– Schädigung anderer durch alkohol-

bedingte Fehler– Reklamationen– deutliche qualitative und quantitative

Minderung der Arbeitsleistung– erhöhte Krankenfehlzeiten– krankheitsbedingte Ausfälle– kurz- und längerfristigen Personal-

ersatz

– Kosten durch Disziplinarmaßnahmen– intensive Betreuungsmaßnahmen

durch Vorgesetzte– Umorganisation der Arbeit durch

Vorgesetzte– Versetzung an einen anderen Ar-

beitsplatz

Kaum messbare betriebliche Kostenkönnen durch einen Imageverlust ge-genüber Kunden und Öffentlichkeit(Wartezeiten, unpassender Umgangmit Kunden, Alkoholfahne, Reklamatio-nen u. a.) entstehen. Auch lässt sicheine mögliche Verschlechterung desBetriebsklimas nicht gut in Zahlen aus-drücken.

In Zahlen lässt sich ausdrücken, dassKurzfehlzeiten bis zu 3 Tagen im Unter-schied zu nicht betroffenen Kollegenund Kolleginnen

12) Zu den betrieblichen Kosten, vergl. R. Fuchs / T. Petschler in „Betriebliche Suchtprävention“, (FuchsHrsg), a. a. O., S. 56: 25 % betriebliche Gesamtkosten: „Als grobe Faustregel …“, entbehre dieseZahl allerdings einer empirischen Untersuchung. Einen Überblick über differenzierte betriebsbezoge-ne Untersuchungen zu den betrieblichen Kosten seit den 70er-Jahren geben R. Fuchs, T. PetschlerS. 56 bis S. 74

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– bei alkoholabhängigen Mitarbeitern1,5-mal höher

und dass die durchschnittliche jähr-liche Fehlzeit – bei alkoholabhängigen Mitarbeitern

2,5-mal so hoch ist.13)

Kostenbeispiel

In seinem Kostenbeispiel geht Prof.Herbert Feser von einer realen Alkohol-krankheit im Betrieb aus. Ein alkohol-erkrankter Facharbeiter hatte eine betriebliche Ausfallzeit von 56 Tagen im Jahr. Dadurch entstand dem Betrieb durch Ausfalltage mit und ohne Lohnfortzahlung ein Verlust von29 757,00 DM.

Feser legt diese betrieblichen Kostenfür einen Betrieb mit 2 000 Beschäftig-ten zugrunde. Bei nur 5 % angenom-menen alkoholbedingten Krankheitenmit 56 Ausfalltagen im Jahr entstehtnach Feser ein betrieblicher Verlust von 2 975 700 DM.14 )

Wieviel kostet es, die Kosten zu sen-ken?

Würden ca 10 % dieser knapp 3 Millio-nen DM in Präventionsprogramme in-vestiert, ergäben sich nach Feser beieiner Laufzeit von über 5 Jahren knapp300 % Wirtschaftlichkeit. Diese Wirt-

schaftlichkeit ist u. a. durch den Rück-gang der alkoholbedingten Ausfallzei-ten bedingt. Dabei sind die Einsparun-gen benachbarter beteiligter Systeme,wie z. B. der Krankenkassen, nochnicht eingerechnet.

Dazu, so Herbert Feser, müssen Prä-ventionsprogramme allerdings strate-gisch geplant, gut vorbereitet undlangfristig angelegt sein. Dann könneangenommen werden, dass die Renta-bilität eines Suchtpräventionspro-gramms mit zunehmender Laufzeitsteige.15)

Fazit: Je besser ein Präventionspro-gramm eingespielt ist, desto gerin-ger werden die langfristig aufzu-wendenden betrieblichen Kostensein.

Eine Alkoholerkrankung kommt nichtaus „heiterem Himmel“, sie befällt unsnicht als „unabwendbares Schicksal“.Auch hat „der Teufel“ nicht „denSchnaps gemacht, um uns zu verder-ben“.

Eine Alkoholkrankheit hat ihren nach-vollziehbaren Verlauf, der auch einanderer Verlauf hätte sein können undein anderer Verlauf werden kann. EineAlkoholkrankheit lässt sich sowohl ver-hindern als auch beenden.

1.

18

13) K. Berger, B. May: „Fehlzeitenverhalten chronischer Alkoholiker in einem industriellen Großbetrieb –Untersuchungsergebnisse“, in: „Suchtgefahren“ 35. Jhrg. 1989, Heft 31, S. 145 – 163

14) H. Feser: „Umgang mit suchtgefährdeten Mitarbeitern“, in: „Arbeitshefte Führungspsychologie“, (Bienert W., Crisand E. Hrsg), Bd. 26, S. 22

15) H. Feser: „Umgang mit suchtgefährdeten Mitarbeitern …“ ebda.

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19

2.

2. Psychische und körperlicheAlkoholerkrankung

Was im Gehirn passiert

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Eine Abhängigkeitserkrankung ent-wickelt sich individuell unterschiedlich.Sie entsteht, von den Beteiligten selbst oftmals unbemerkt und verdeckt, in sehr langen Zeit-räumen. Das macht es für die Be-troffenen und für ihr privates undbetriebliches Umfeld besondersschwierig, eine Alkoholabhängigkeit zuerkennen.

Die Wirkung, die Alkohol in den Kör-perzellen erzeugt, ist komplex unddeshalb schwer zu analysieren. Eskann aber angenommen werden, dassAlkohol und andere Drogen mit jeweili-gen unterschiedlichen Folgen auf dassogenannte Belohnungssystem im Ge-hirn wirken. Dieses Belohnungssystemsteuert bestimmte Gefühle durch bio-chemische Vorgänge im zentralen Ner-vensystem. Es erzeugt Lust und Freu-de, durch körpereigene, opiatähnlicheBotenstoffe. Diese Wirkung ist spürbar,z. B. bei ausdauernder sportlicher Be-tätigung. Bei einem Langstreckenlaufz. B. entstehen euphorische Gefühle.Diese opiatähnlichen Botenstoffe wer-den vom Körper in bestimmten Situa-tionen selbst produziert. Suchtmittel,die von außen zugeführt werden, ver-drängen die körpereigenen Opiate undsetzen sich an deren Stelle.16) So wirdvon außen, durch das Suchtmittel, einkünstliches Gleichgewicht hergestellt,

auf das sich Körper und Geist (Psyche)einstellen.

Körper und Geist gewöhnen sich andie Droge und geraten ohne die Drogeaus dem Gleichgewicht. Das zeigt sichdurch die Entzugserscheinungen, dieauftreten, wenn Körper und Geist (Psy-che) das Suchtmittel fehlt. Die Psyche(„das seelische Gleichgewicht“) gerätaus dem Lot, der Körper reagiert mitAusfallerscheinungen (Händezittern,Schweißausbrüche etc.).

Bei der Wirkung von Alkohol wirdangenommen, dass er Stress und Auf-regung dadurch dämpft, indem ernatürliche biochemische Reaktionen,die im Körper die Gefühle steuern,behindert.17) Bestimmte Gefühle (Angst,Unsicherheit, Angespanntheit u. a.)können auch als Alarmsignale verstan-den werden, die anzeigen, dass etwasnicht in Ordnung ist. Alkohol beruhigtdiese Gefühle. Damit sind wichtigeGefühlsreaktionen bei Ereignissenblockiert, die normalerweise eine star-ke Beunruhigung auslösen würden.Nachlässigkeit kommt auf, wo Auf-merksamkeit gefragt ist. Man regt sichdann auch darüber nicht mehr auf,über was man sich aufregen sollte. Daskann nicht nur bei der Arbeit gefährlichwerden (siehe auch Pkt 1.3, Denkver-mögen).

2.

20

16) Einen optisch guten Durchblick durch das Zentralnervensystem, und was bei „von außen“ zugeführ-ten Rauschmitteln im Kopf passiert, bieten F. Mechsner, B. Michael, in: Geo – Wissen, Sucht undRausch, Hft. 3, 9 / 1990, S. 47

17) F. Mechsner, B. Michael, in Geo, a. a. O., S. 49

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Der Schriftsteller Jack London, der dieAlkoholabhängigkeit am eigenen Kopfund Bauch erfahren hatte, bemerkt:

„Das Verlangen nach Alkohol ist einerein geistige Angelegenheit, ist großge-zogen in der Geselligkeit. Alle Trinkertrinken zuerst in Gesellschaft, und die-ses Trinken hat stets Folgen von aller-größter Reichweite …“18)

Diese „rein geistige Angelegenheit“kann als Entwicklung zur psychischenAbhängigkeit beschrieben werden.Trinken ist demnach keine Willens-schwäche, sondern ein Lernprozess.Die positive Wirkung von Alkohol wirdin Gesellschaft (Feiern) erlebt. Alkoholerleichtert soziale Kontakte, macht„Stimmung“, indem er die Hemm-schwelle senkt. Für andere (Nachbarnam Nebentisch, Zimmernachbarn)kann diese „Stimmung“ allerdings sehrstörend sein. Denn auch die Kontroll-möglichkeit über das eigene Verhaltenwird deutlich geringer (vergl. Antriebs-und Stimmungslage u. Pkt. 1.3).

Die als positiv erlebte Wirkung vonAlkohol wird im Kopf programmiert.Der Kopf erinnert sich auch in anderenSituationen an diese positive Wirkung.Die Gefahr, psychisch abhängig zuwerden, wächst dann, wenn Alkoholnicht nur zur positiven Verstärkung(„Spaßtrinken“) konsumiert wird, son-dern wenn er auch in negativen, als

belastend empfundenen Situationen(„Frusttrinken“) gebraucht wird.

Gründe fürs „Frusttrinken“ lassen sichleicht finden. Schon z. B. die leise Ah-nung, möglicherweise den Arbeitsplatzzu verlieren, kann stark beunruhigen.

Die Zukunftsplanung gerät durcheinan-der. Vielleicht gibt es zudem auch nochÄrger mit Vorgesetzten und / oder Kol-legen.

Wenn auch noch private Probleme(Verlust des Partners) hinzukommen,kann der Frust ins Unermesslichewachsen. Das psychische (seelische)Gleichgewicht ist aus dem Lot. Den-noch geht das Leben, die Arbeit weiter.Weil erwartet wird, dass wir (auch mitProblemen) ständig funktionieren, er-warten wir das von uns selbst. Ein,zwei Gläser erleichtern das Problem.Wir nehmen uns vor: „Wenn wir ausder Misere raus sind, dann wird derAlkohol wieder abgesetzt.“

Dass der Verzicht auf Alkohol dannaber gar nicht so einfach ist, davonberichtet Jack London. Die Arbeitgelingt ihm nicht mehr ohne Alkohol.

Jack London: „Entschlossen wollte ichmich des Alkohols enthalten, bis meineArbeit getan war … Die Arbeit ließ sichnicht ohne Trinken tun. Es ging einfachnicht …

21

2.

2.1 Psychische Abhängigkeit

18) Jack London: „König Alkohol“, München 1998, S. 122

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… Mein Hirn konnte keinen Gedankenmehr fassen, weil es unaufhörlich nurvon dem einen besessen war, dass imLikörschrank nebenan König Alkoholwartete. Wenn ich dann schließlich in

der Verzweiflung ein Glas trank, wurdees plötzlich hell in meinem Hirn, und diehundert Zeilen flossen mir aus derFeder.“ 19)

2.

22

2.2 Körperliche AbhängigkeitWer z. B. Lampenfieber schon erfahrenhat, weiß, dass einem dabei unerklärli-cherweise „die Spucke“ wegbleibenkann. Der Mund ist zu trocken, um wiegewohnt zu sprechen. Das Blut steigtin den Kopf. Niemals, so glauben wir,wird uns der öffentliche Auftritt in einerderartigen Verfassung gelingen.

Wie nah liegt bei solch einer Erfahrungder Griff zum Glas. Und wer erfahrenhat, dass „zwei Schnäpse“ ruhiger undsicherer machen und die „freie Rede“vor 80 Personen enorm erleichtern, derwird Alkohol als den Retter in der Notauch zukünftig willkommen heißen.Alkohol beruhigt die Nerven, aber erblockiert damit auch die Wahrneh-mung, das Denkvermögen (vergl. Pkt.1.3) und die Gefühlsreaktionen, dieanzeigen, dass etwas nicht in Ordnungist. Was man bei sich selbst nichtbemerkt, bemerken andere (mit dem /mit der stimmt was nicht, tuschel,tuschel). Da man gewöhnlich über einAlkoholproblem nicht offen spricht, istman in dem Glauben, alles sei in Ord-nung. So wird weitergemacht, wie

gewohnt. Um die gleiche Wirkung zuerzielen, muss der Konsum langfristigallerdings erhöht werden.

Denn langfristig wird der Alkohol so inden Körper integriert, dass der Körperden Alkohol braucht, um überhauptfunktionieren zu können.

Entzugserscheinungen zeigen an,dass die natürlichen Körperfunktionengestört sind. Werden Entzugserschei-nungen ignoriert und weiterhin mitAlkohol behoben, wirken diese wiede-rum als Verstärker für den Konsum.Entzugserscheinungen, wie Antriebs-losigkeit, mögliches Händezittern undAngstzustände machen einen Auftritt,wie eine „freie Rede“ erst recht unmög-lich.

Also wird der Alkohol gebraucht, umdie Entzugserscheinungen zu überwin-den. Dann zittern die Hände nichtmehr, die Angstzustände sind ge-dämpft. Die Wirkungen der Droge wer-den mit der Droge bekämpft. Damit istder Übergang von psychischer zur kör-

19) Jack London: „König Alkohol“, a. a. O., S. 137

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perlichen Abhängigkeit vollzogen.Nicht nur die Psyche, auch der Körperbraucht jetzt die Droge, weil er sichlängst darauf eingestellt hat. Durch dieerhöhte Körpertoleranz für Alkoholbraucht der Körper immer mehr davon,um die gleiche Wirkung zu erzielen.

Das kann zu einer Umkehrung derAusgangssituation führen. 2 Schnäpsevor 80 Personen reichen letztlich nicht mehr. In der Spätphase einer Er-krankung werden möglicherweise 8 Schnäpse gebraucht, um vor zweiVortragsteilnehmern ohne Lampen-fieber „frei“ reden zu können. Wenndas dann noch geht.

Entzugserscheinungen sind negativeVerstärker, die den Weg in die Abhän-

gigkeit stabilisieren. Alkoholabhängig-keit kann mit einem Stimmungstiefbeginnen. Greifen wir in schlechterStimmung zur Flasche, laufen wirGefahr, dass schlechte Stimmungenwiederum ein Bedürfnis nach Alkoholerzeugen. „Wer Sorgen hat …“, hatAlkohol als Problemlöser. Wer sobeginnt, programmiert, auch ohne eszu wollen, den Körper auf Alkohol, bisdieser nur noch mit Alkohol funktio-niert. So kann Alkohol als Problemlöserunbemerkt in die Abhängigkeit führenund, weil wir nichts bemerken (wollen),auch zu der ehrlich gemeinten Aussa-ge: „Mit Alkohol habe ich kein Prob-lem.“

Vielleicht ist es dann schon später als„fünf vor zwölf“.

23

2.

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25

3.

3. Alkoholkrankheit – langfristigeZerstörung von Gesundheit,

Arbeitsfähigkeit und sozialenBeziehungen

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„Vier Phasen ins Elend“

Wie Alkoholkonsum vom Missbrauchin die Abhängigkeit führt und dabeiGesundheit und Arbeitsleistung glei-chermaßen zerstört, zeigt der Auszugaus einer Studie von Wolfgang Röhl:„Vier Phasen ins Elend“.20)

Die Entwicklung zur Abhängigkeit ver-läuft individuell sehr unterschiedlich.Dennoch ist eine bestimmte Tendenzerkennbar.

Frühphase

In der Frühphase wird Alkohol noch alsStressregulator und Problemlösungs-möglichkeit gesehen und konsumiert.Alkohol befreit von Sorgen und Stress.Dabei nimmt die Verträglichkeit (Kör-pertoleranz) von Alkohol zu.

Die Arbeitsleistung nimmt leicht ab,sie beträgt 90% der Normalleistung.

Mittlere Phase

In der mittleren Phase nimmt der Alko-holkonsum zu. Gelegentlich machensich „Black-outs“ und Vergesslichkeitbemerkbar. Es entstehen Schuldge-fühle, dass mit dem Trinkverhaltenetwas nicht in Ordnung sein könnte.

Gleichzeitig beginnt sich der Körper anden Alkohol zu gewöhnen.

Die Arbeitsleistung beträgt 75 % derNormalleistung.

Spätphase

Aus dem geselligen Trinken in derGemeinschaft hat sich ein Alleintrinkenentwickelt. Der Alkoholkranke kanndie Trinkmenge kaum mehr kontrollie-ren. Es tritt immer häufiger ein Kontroll-verlust ein.

Die Arbeitsleistung beträgt 50 % derNormalleistung.

Endphase

In der Endphase dreht sich beim Alko-holkranken alles nur noch um Alkohol.

Bei der Arbeit muss getrunken werden,um den Alkoholspiegel im Blut aufeinem bestimmten Niveau zu halten(Spiegeltrinken). Der Körper brauchtden Alkohol (bspw. Händezittern), umfunktionieren zu können. Dazu kommtdie Angst, im Betrieb als Alkoholiker zugelten. Um bei der Arbeit nicht aufzu-fallen, werden Tarnstrategien notwen-dig wie das Anlegen von Alkoholde-pots u. a.

3.

26

3.1 Alkoholkrankheit – Gesund-heit und Arbeitsfähigkeit

20) Wolfgang Röhl: „Vier Phasen ins Elend“ im „Stern“, Heft 21 / 15. 5. 97Quelle Trias Verlag

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Die Arbeitsleistung beträgt 25 % derNormalleistung.

Das Phasen-Modell beschreibt denWeg der wechselseitigen Zerstörungvon Arbeitsfähigkeit und Gesundheit.Gesundheitlich sind bei einer Alkohol-abhängigkeit nicht nur das Händezit-tern und die Leberwerte beachtens-wert. Die psychische und körperlicheGesundheit kann allumfassend zerstörtwerden.

Der Wortstamm von Sucht ist Siechen.Siechtum ist ein langwieriger gesund-heitszerstörender Prozess. Der Krankekämpft mit der Sucht. Das Gesund-heitssystem (Ärzte, Krankenkassen,Krankenhäuser etc.) kämpft mit. Allesind damit beschäftigt und belastet,das Siechtum zu stoppen.

27

3.

3.2 Alkoholkrankheit – soziale Beziehungen

Alkoholkranke sind für sich selbstunberechenbaren Stimmungsschwan-kungen (Entzugserscheinungen / Ner-venschädigungen) unterworfen. Dasmacht sie auch für ihre Familie und fürihre Partnerschaft unberechenbar.Alkohol und Gewalt in der Familie,Alkohol und Gewaltkriminalität sindbekannte Medienthemen.

Auch wenn eine nicht behandelte Alko-holkrankheit zerstörerische Auswir-kungen auf Familie und Partnerschafthaben kann, so scheint es doch sehrschwierig, im Privatbereich die Alko-holkrankheit zu stoppen und den Alko-holkranken oder die Alkoholkranke zueiner Therapie zu bewegen. Die Ent-scheidung liegt bei dem Alkoholkran-ken selbst. Sicher kommt es dabei aufdas Verhalten der Partnerin, des Part-ners, der Familienmitglieder, Freunde

und Freundinnen an. Eine konsequen-te, gemeinsame Haltung aller Beteilig-ten im privaten Umfeld könnte die Hilfezur Entscheidung für eine Therapiebringen. Aber was im Betrieb als Co-Alkoholismus (vergl. Pkt. 5.7, Co-Alko-holismus) beschrieben wird, gilt über-wiegend auch für den Privatbereich.Man arrangiert sich mit demSuchtproblem, schützt damit dieKrankheit, hilft aber dem Krankennicht, sie zu beenden.

Wie sind die Chancen, am Arbeitsplatzeine Alkoholkrankheit zu stoppen?Schließlich ist die eigene materielleExistenz gefährdet, wenn der Verlustdes Arbeitsplatzes droht. Der Erhaltdes Arbeitsplatzes scheint für einenAlkoholkranken im Entscheidungsfallfür oder gegen eine Therapie oftmalswichtiger zu sein als der Erhalt der

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Familie oder der Partnerschaft. Davongehen Beobachter der Suchtproble-matik aus.21)

Wenn diese Beobachtung stimmt, istdie Chance am Arbeitsplatz eine Alko-holkrankheit zu stoppen, bevor es zu

über Alkohol geredet. Man sei sichauch zeitweise einig gewesen, dass esso nicht weitergehen könne. Undtatsächlich sei die Arbeitsleistung wie-der, wie früher gewohnt, recht gutgeworden. Aber nur für kurze Zeit.

Aufs Ganze gesehen habe sich aberalles verschlechtert.

In letzter Zeit hätten sich Beschwerdenvon Kunden und Kollegen gehäuft. Esmüsse was passieren: Kündigung oderTherapie. Auch wenn der Mitarbeiterbehaupte, er habe keine Probleme mitAlkohol.

Ein Gespräch des Helfers mit dem Mit-arbeiter ergibt, dass er die verschlech-terte Arbeitsleistung auch zugesteht.Aber wer habe nicht einmal eine weni-ger gute Zeit. Mit Alkohol habe dasnichts zu tun. Zum Alkoholkonsum

3.

28

Ein Alkoholproblem wird im Betriebnormalerweise nicht frühzeitig wahrge-nommen und angesprochen. Dass eserst in der Spätphase „zum Knall“kommt, zeigt der folgende betriebsty-pische Verlauf eines Suchtproblems.

Gespräch des Vorgesetzten mit demHelfer:

Der Mitarbeiter sei jetzt 25 Jahre imBetrieb. Natürlich habe der Mitarbeiterauch früher schon Alkohol getrunken,verschiedentlich auch zu viel. Aber ersei immer ein guter, arbeitsamer Mitar-beiter gewesen. Das habe sich geän-dert. Die Leistungen hätten sich seitlangem schon verschlechtert. Und ver-mutlich sei da auch eine Verbindungmit den zeitweisen alkoholischenExzessen des Mitarbeiters zu allenmöglichen Feiern. Und natürlich habeder Vorgesetzte mit dem Mitarbeiter

3.3 Ein betriebstypischer Suchtverlauf

den gravierenden Folgen kommt,größer als im Privatbereich.

Wie ist der betriebliche Umgang miteiner Abhängigkeitserkrankung ei-nes Mitarbeiters?

21) J. Neffe, in: Geo – Wissen, Sucht und Rausch, a. a. O., S. 38: „Inzwischen, so wissen die Experten,veranlasst die Sorge um den Verlust des Arbeitsplatzes mehr Trinker zum Aufhören als die Angst, den Partner zu verlieren.“

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müssten vor allem die anderen Kolle-gen angesprochen werden. Er selbsthabe seinen Alkoholkonsum im Griff. Erwürde das schon regeln. Er ließe sichnicht als „Sündenbock“ aus der Firma„mobben“.

Beide Seiten stehen zuletzt unversöhn-lich gegeneinander. Eine Lösung wieTherapie und anschließende Reinte-gration scheint so kaum noch möglich.Obwohl alle am Alkoholproblem Betei-ligten in der Anfangsphase einesbetrieblichen Suchtproblems gutenWillens und ernsthaft bemüht sind, dasProblem zu lösen, gelingt es letztlichdoch nicht mehr.

Das betriebstypische Beispiel zeigt,dass frühzeitig nur unwirksame Versu-che unternommen werden, dasbetriebliche Suchtproblem zu lösen.Selbst wenn ein Vorgesetzter häufigenKontakt zu einem Alkoholkranken hat,fällt es ihm doch schwer, frühe Anzei-chen der Alkoholkrankheit wahrzuneh-men.22)

Auch wenn ein Vorgesetzter ahnt, dassAlkohol hinter den Auffälligkeiten amArbeitsplatz stecken kann, weiß erdoch nicht so recht, was zu tun ist,blendet deshalb das Problem Alkoholaus, und sieht darüber hinweg. Alko-holbedingte Auffälligkeiten (Fehlzeiten /Minderleistungen) werden Privatprob-lemen, Bauch-, Zahn-, Kopfschmerzenu. a. Ursachen zugerechnet. Auchwenn sich die Anzeichen mehren, dieauf ein Alkoholproblem schließen las-sen könnten, wird ein weiteres Nach-denken in diese Richtung meistensvermieden.

Dieses hat mit der Sichtweise zu tun,wie ein Alkoholproblem im Betrieb all-gemein wahrgenommen und gesehenwird.

Die betriebliche Sicht auf das Prob-lem Alkohol bestimmt dann auchdas betriebliche Verhalten zumProblem Alkohol.

29

3.

22) vergl. C. Domaschke, R. U. Wohlfarth: „Alkohol am Arbeitsplatz – Vorgesetzte nehmen Stellung“, in:„Sucht“ Hft. 37, 1991, S. 173: „Trotz des häufigen Kontakts zu Alkoholikern fällt es den Vorgesetztenschwer, die ersten Anzeichen für Alkoholismus wahrzunehmen.“

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4.

4. Die problemfixierte Sichtweise:Das betriebliche Tabuthema

Alkoholproblem

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Wenn ein Tabuthema öffentlich keinThema ist, kann es nur verdeckt the-matisiert werden. Das bedeutet für dasvermutete Alkoholproblem bei einemMitarbeiter, dass im Betrieb nur hinter„vorgehaltener Hand“ über ihn geredetwird, nicht mit ihm selbst.

Möglicherweise wird Alkohol als Prob-lem im Betrieb deshalb kaum wahrge-nommen, weil damit die allgemeineSelbstverständlichkeit des Alkoholkon-sums in der Gesellschaft überhaupt inFrage gestellt werden könnte.23) Diepositive Seite des Alkoholkonsumsscheint mehr in den Köpfen verankert(z. B. durch eigene Erlebnisse, durchdie Werbung etc.) als die negative Seite.

Auch als Kollege und als Vorgesetztertrinkt man bisweilen Alkohol. Vielleichtglaubt man deshalb, dass man das,was man selbst konsumiert, den ande-ren Kollegen und Mitarbeitern schlechtvorwerfen könne. Man will ihnen auchbei Auffälligkeiten, nicht „zu nahe treten“.

Bei dieser schwierigen Ausgangslagegegenüber einem vermuteten Alkohol-problem im Betrieb ist es nicht leicht,sich passend zu verhalten. FolgendeFragen werden einem dabei durch denKopf gehen:

„Wird nicht jeder geäußerte Verdacht,jemand im Betrieb könnte Probleme

mit Alkohol haben oder alkoholkranksein, auch wenn er berechtigt er-scheint, als unhaltbarer Vorwurf ver-standen?“

„Mischt man sich als Kollege, als Vor-gesetzter mit einem solchen Vorwurfnicht in die Privatsphäre eines Mitar-beiters, einer Mitarbeiterin ein?“

„Und wie reagiert der Betroffene?Wenn ein solches Ansprechen weitereKreise schlägt, wie reagieren die ande-ren Kollegen? Wird sich das Arbeitskli-ma nicht verschlechtern, wenn dasAnsprechen eines möglichen Sucht-problems als unkollegial empfundenwird?“

„Welche möglichen Auseinanderset-zungen mit Personalabteilung undBetriebsrat stehen bevor? Vielleicht hatdas Ansprechen eines Suchtproblemssogar rechtliche unangenehme Konse-quenzen für einen Kollegen, für einenVorgesetzten?“

Mit diesen Bedenken im Kopf wirdman wenig tun können. Man wirdwahrscheinlich bei einer Auffälligkeit imBetrieb zunächst mal „ein Augezudrücken“ oder vielleicht auch beideAugen. Wer die Augen zumacht, siehtkein Problem mehr – zunächst einmal.Wie sieht das aber bei der nächstenund bei der übernächsten Störung

4.

32

23) vergl. H. D. Knöbel: „Suchtkrankenhelfer im Betrieb oder betriebliche Suchtkrankenhilfe“, in: „DerWeggefährte“, Hamm, 8 / 1999, S. 3 f.: „Der Alkohol und die Fähigkeit, ihn uneigeschränkt zu konsu-mieren, hat in unserer Gesellschaft immer noch einen extrem hohen Stellenwert. Diese Fähigkeit inFrage zu stellen, rührt an ein Tabu.“

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aus, die bei einer Alkoholkrankheitzwangsläufig kommt?

Die Sichtweise der Beteiligten auf dasTabuthema Alkoholproblem scheintetwas mit dem Blick des Kaninchensauf die Schlange gemeinsam zuhaben. Die Schlange „darf nicht wahrsein“, aber das Kaninchen ist auf sie fixiert. Die Schlange bleibt im Blick-feld.

Ebenso bleibt das Verhalten einesAlkoholkranken, das von den Kollegenund Vorgesetzten beobachtet wird, im Blickfeld. Es bleibt auch die bange Frage: „Was passiert als Nächs-tes?“

Eine solche Problemfixierung kannAngst machen.

Angst ist kein guter Ratgeber auf derSuche nach Lösungen. Angst machtmehr Angst und verengt das Blickfeldzu einem Blick durch den Tunnel. „Nurnichts falsch machen“, ist die Devise.Der „Tunnelblick“ erlaubt nur einen klei-nen Ausschnitt von Möglichkeiten, umein Problem zu lösen.

Diese Sichtweise ist problemfixiert, weilsie zwischen zwei unangenehmenMöglichkeiten (Dilemma) zu keiner Ent-scheidung findet. Die Angst davor,dass unter Alkoholeinfluss eine Mengeunangenehmer Dinge im Betrieb pas-sieren können, ist ebenso groß wie dieAngst davor, ein „Problemfass“ aufzu-machen, wenn das Problem offenangesprochen wird.

Kollegen, Vorgesetzter, Betriebsrat undPersonalabteilung u. a. haben ausunterschiedlichen Interessen herausund zu unterschiedlichen Zeitpunktenmit dem betrieblichen Alkoholproblemzu tun.

Vor dem Hintergrund, dass ein betrieb-liches Alkoholproblem kein öffentlichesThema, sondern ein Tabuthema ist,handeln die Beteiligten nicht offen. Siehalten das Thema geheim, bis es danndoch „zum Knall“ kommt. Die betrieb-lich Beteiligten haben ein gemeinsa-mes Problem. Es kommt zu unter-schiedlichen Zeitpunkten auf jeden ein-zelnen Beteiligten zu. Deshalb versuchtjeder für sich dieses Problem zu lösen.Dabei steckt jeder für sich in demDilemma zweier unangenehmer Mög-lichkeiten. Das Problem „aufzudecken“ist unangenehm, weil die befürchtetennegativen Folgen nicht absehbar sind.Das Problem „zuzudecken“ ist unan-genehm, weil die befürchteten negati-ven Folgen auch nicht absehbar sind.

Auf das Suchtproblem fixiert, glaubtman es im Griff zu haben, und lässt es„zugedeckt“, vermutlich, weil dieseAngst kleiner ist als die vor dem Öffneneines Problemfasses, wenn man es„aufdeckt“.

Darin ähnelt sich das Verhalten derunmittelbar am betrieblichen Sucht-problem Beteiligten. Dieses Verhaltenlässt kaum einen Spielraum für einemögliche frühzeitige Lösung desSuchtproblems, weil der Blick sichnicht an einer Lösung orientiert,

33

4.

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sondern auf das Problem fixiert bleibt.Ein solcher problemfixierter Blick(Kaninchen / Schlange) führt zu einemproblematischen Verhalten: DasAlkoholproblem wird ignoriert.

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4.

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5.

5. Das AlkoholproblemWer im Betrieb verhält sich wie zum Alkoholproblem?

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Die Kollegen bemerken eine Störungdes gewohnten Arbeitsablaufs norma-lerweise zuerst. Wird die bemerkteStörung mit Alkohol in Verbindunggebracht, setzt eine Hemmung ein,weil ein Alkoholproblem im Betrieb einTabuthema ist.

Mit der Zuschreibung „Alkoholiker“wird eine erhebliche betrieblich-sozialeEntwertung verbunden.

In der problematischen Sichtweisebedeutet Kollegialität, kollegial zu hel-fen, was heißt, ihn zu schützen. DieEinschaltung von Personalverantwortli-chen gilt als unkollegial, als Denunziati-on. Wer möchte als „unkollegial“ undals „unsolidarisch“ gelten?

Überschreiten aber die Probleme einebestimmte Zumutbarkeitsgrenze (Fehl-zeiten, Mehrarbeit, Reklamationen,Angst vor Arbeitsunfällen u. a.) werdenaus Verständnis und Mitgefühl Vorhal-tungen. Aus Schutz wird Kontrolle. Eswird versucht, das Alkoholproblem miteiner „härteren Gangart“ zu lösen.

Beaufsichtigung und Kontrolle bewir-ken aber wenig. Eine Alkoholkrankheitlässt sich nicht kontrollieren.

Wenn auch Appelle und Kontrollennichts nutzten, wird die Kollegialitätentzogen. Das Verhalten des Kollegenwird als unkollegial empfunden, daman dadurch selbst mit unangeneh-men Erlebnissen belastet wird.

Irgendwann kann der Zeitpunkterreicht sein, an dem der Kollege durchsein Verhalten in das Bild passt, dasman von einem Alkoholiker hat. DiesesBild im Kopf erleichtert die Abschot-tung gegenüber dem Kollegen. Zuletztsehen sich die unmittelbar Beteiligtenzur Aufgabe ihres Lösungsversuchsgezwungen.

Die Kollegen haben dann nur noch denWunsch, das Problem möglichstschnell zu lösen. Aber wie? Wasanfangs als unkollegial ausgeschlos-sen wurde, wird jetzt notwendig. DasProblem wird dem Vorgesetzten zuge-schoben.

5.

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5.1 Problematisches Verhalten der Kollegen

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Der unmittelbare Vorgesetzte steht ineinem „Spannungsverhältnis“24) zwi-schen „oben“ und „unten“.

Er befindet sich in einer schwierigenSituation. Er ist gegenüber demnächsthöheren und damit dem ent-fernteren Vorgesetzten verantwortlichfür die Arbeitsergebnisse, für Arbeits-sicherheit u. a. Die Mitarbeiter erwartenvom ihm eine gerechte Verteilung derArbeit und einen angemessenenUmgang miteinander. Sie erwarten eingutes Betriebsklima.

Ein betriebliches Suchtproblem kannden unmittelbaren Vorgesetzten in dasDilemma zweier unangenehmer Mög-lichkeiten bringen: Er müsste den Mit-arbeiter nach Hause zu schicken (Un-fallverhütungsvorschriften § 38 Abs. 1,2). Das bedeutet aber einen Total-ausfall und keine Leistung für den Tag.

Ihn am Arbeitsplatz zu behaltenbedeutet aber auch, die Angst zuhaben, dass etwas Unangenehmespassieren könnte (Fehlleistungen,Unfall u. a.).

Ein nahe liegender Versuch des unmit-telbaren Vorgesetzten ist es, sowohl

Kollegialität zu beweisen als auch aufdie Arbeitsergebnisse zu achten. Dannwird die Arbeit umorganisiert, andersverteilt. Das finden die Kollegen nur biszu einer bestimmten Grenze in Ord-nung. Ansonsten fühlen diese sichdurch mögliche Mehrarbeit ungerechtbehandelt. Gleichzeitig bleibt die Angstdes Vorgesetzten vor unberechenba-ren Ausfällen des alkoholkranken Mit-arbeiters. Und es bleibt die Angst vorProblemen mit den durch Mehrarbeitbelasteten Kollegen.

Dieser „Sowohl-als-auch“-Lösungs-versuch des Vorgesetzten bleibt aufdas Problem fixiert wie das Kaninchenauf die Schlange. Veränderung istgefährlich, keine Veränderung ist auchgefährlich. Die Angst, dass etwas pas-sieren könnte, bleibt. Was tun?

Verschärft sich das Problem durchReklamationen, Verschlechterung desBetriebsklimas, unzumutbare Fehlzei-ten u. a., zeigt dieser Lösungsversuch,dass er keine Lösung bringt. Das Prob-lem wird dem nächsthöheren Vorge-setzten zugeschoben.

37

5.

5.2 Problematisches Verhaltendes unmittelbaren Vorgesetzten

24) H. Ziegler, Grafik, in: H. Ziegler: „Co-Abhängigkeit am Arbeitsplatz“, in: „Guttempler“, 4 / 91

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Der nächsthöhere Vorgesetzte hat denVorlauf des Suchtproblems kaum mit-bekommen. Er ist oftmals spät infor-miert worden und steht unter Problem-lösungsdruck.

Zudem ist ein Suchtproblem für ihneine Imagefrage. Es könnte als einmögliches Eingeständnis von Füh-rungsschwäche gesehen werden, sei-ne Abteilung nicht „im Griff“ zu haben.

Dieses Verhalten kann, je nach „Hand-lungsbedarf“ zu einer weiteren „Ver-schleppung“ des Problems führen.

Eventuell wird versucht, informelleLösungen zu finden. So könnte ver-sucht werden, einen Mitarbeiter „weg-zuloben“, intern zu versetzen, o. a.Sind keine informellen Alternativenmöglich, wird das Suchtproblem derPersonalabteilung zugeschoben.

5.

38

5.3 Problematisches Verhalten desnächsthöheren Vorgesetzten

5.4 Problematisches Verhaltender Personalabteilung

Die Möglichkeiten der Personalabtei-lung sind begrenzt. Für arbeitsrechtli-che Maßnahmen hat sie kaum verwert-bare Fakten. Die Problemsichtweiseund das Problemverhalten der bislangBeteiligten blendete schriftliche Doku-mentationen über Fehlverhalten alsunkollegial aus. Die Erinnerungen undVorwürfe sind noch lebhaft emotional,aber niemand weiß mehr genau, wannwas wo wie stattfand. Die Personalab-teilung kann versuchen, mit der Abtei-lung / Arbeitsgruppe intern eine Lö-sung zu finden, wie die Versetzung aneinen anderen Arbeitsplatz, „Weglo-ben“ oder evtl. auch eine Frühverren-

tung oder einen Auflösungsvertrag zuerreichen.

Derartiges Unterfangen findet evtl.„zunächst hinter dem Rücken“ einesMitarbeiters statt. Wird das dem Mit-arbeiter bekannt, ist es für diesenspätestens jetzt ein Grund, den Betriebsrat einzuschalten, wenn ersich dadurch ungerecht behandeltfühlt.

Vorgesetzte und Personalabteilungschieben das für sie bislang nicht lös-bare Problem dem Betriebsrat in derHoffnung zu, dieser könne es lösen.

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Es ist ein weit verbreitetes Verhaltendes Betriebsrates, den einzelnen Mit-arbeiter vor Disziplinarmaßnahmenschützen zu wollen und gleichzeitig„moralisierend“ die Rolle des Ersatz-vorgesetzten einzunehmen.

Da der Betriebsrat das Wohl des ein-zelnen Mitarbeiters, die Interessen derGesamtheit der Mitarbeiter und dieInteressen des Betriebes im Blickfeldhat, wird es für ihn schwer, in der Spät-phase eines Alkoholproblems zu ver-mitteln. Die Fronten sind verhärtet. DerBetriebsrat fühlt sich verpflichtet zuhelfen. Er versucht den Mitarbeiter vor Konsequenzen zu schützen undappelliert gleichzeitig an seine Verän-derungsbereitschaft.

Liegt bei dem alkoholkranken Mitarbei-ter eine Schwerbehinderung vor, dannkann die Schwerbehindertenvertretungformell wirksam schützen, wenn sie auf das Kündigungsschutzrecht fürSchwerbehinderte besteht. Die Frageist, ob dieses Verhalten eine Hilfe fürden Mitarbeiter bedeutet. Dieser ist imBetrieb möglicherweise sozial längstausgegrenzt und steht gesundheitlichvielleicht kurz vor dem Zusammen-bruch. Die Schwerbehindertenvertre-tung kann also auf den Kündigungs-schutz für schwerbehinderte Men-schen bestehen. Aber was nützt das

für die Beendigung der Abhängig-keitserkankung des Mitarbeiters?

Verhält die Schwerbehindertenvertre-tung sich nur formell schützend,schützt sie die Entwicklung der Abhän-gigkeitserkrankung des Mitarbeiters.

Sie verhindert durch ihr Verhalten(zudeckend statt konfrontativ) die Aus-einandersetzung des Suchtkrankenmit seiner Krankheit.

Wenn sich die Schwerbehindertenver-tretung nicht konfrontativ verhält, bleibtin der unbewussten Kosten-Nutzen-Rechnung eines alkoholkranken Mitar-beiters die Krankheit im Plus. Alles wasKonfrontation verhindert, veranlasstdazu, alles beim Alten zu lassen. Kon-frontation zwingt zur Veränderung.Nur wenn für einen Alkoholkrankendie Nachteile größer werden als dieVorteile, besteht Veränderungsmög-lichkeit. Verhält sich die Schwerbehin-dertenvertretung zudeckend und nichtkonfrontativ, besteht für den alkohol-kranken Mitarbeiter kein Anlass zurVeränderung.

Die Schwerbehindertenvertretung ver-hält sich damit ebenso problematischwie die vorangegangenen betrieblichBeteiligten. Diese bemerken die Auffäl-ligkeiten und Störungen einer Abhän-

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5.

5.5 Problematisches Verhalten des Betriebsrats / der Schwerbehindertenvertretung

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gigkeitserkrankung zwar, sie konfron-tieren den Erkrankten aber nicht mitden Auffälligkeiten. So hat er auchkeine Chance, von außen einen Anstoßzur Einsicht in seine Krankheit zubekommen. Die Beteiligten im proble-matischen Lösungsversuch „jeder fürsich“ schützen nicht den Alkohol-kranken, sondern die Fortsetzung sei-ner Krankheit.

Der späte betriebliche Lösungsver-such: „schnell jemanden loswerden“,

bringt keine Veränderung der Alkohol-krankheit. Ein solcher Versuch bewirktmöglicherweise durch den unerwarte-ten „massiven Druck“ des betriebli-chen Umfelds bei dem Betroffeneneine Verschlimmerung.

Das problematische Verhalten allerBeteiligten schützt den Mitarbeiter vorden Konsequenzen seines Verhaltens.Damit wird bei dem Mitarbeiter die Ein-sicht verhindert, dass sein Verhalten imBetrieb nicht akzeptiert werden kann.

5.

40

5.6 Problematisches Verhalten des Mitarbeiters mit demSuchtproblem

Beim Suchtproblem dominiert der Kör-per den Kopf: „Sucht ist ein unabweis-bares Verlangen nach einem bestimm-ten Erlebniszustand. Diesem Verlangenwerden die Kräfte des Verstandesuntergeordnet. Es beeinträchtigt diefreie Entfaltung einer Persönlichkeitund zerstört die sozialen Bindungenund die sozialen Chancen eines Indivi-duums.“25)

Der Kranke braucht den Alkohol, weiler bei einer psychischen und körperli-chen Abhängigkeit nur noch mit demSuchtmittel funktioniert.

Die Sicht beim Alkoholkranken beinhal-tet, dass er vom Alkohol eine positiveWirkung als Lösungsmöglichkeit er-wartet. Dieser Sichtweise folgt derLösungsversuch: „Viel trinken hilftgegen Probleme.“

Bei einer Abhängigkeit konzentriertsich das Verhalten zunehmend auf dieBeschaffung des Suchtmittels. Abhän-gigkeit braucht keine Begründung: esmuss getrunken werden, weil getrun-ken werden muss. Es scheint mit derAlkoholabhängigkeit so zu sein wie inder Geschichte vom kleinen Prinzen.

25) Klaus Wanke, zit. n. R. Rußland: „Suchtverhalten und Arbeitswelt“, Ffm. 1989, S. 68

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Der kleine Prinz besucht einen Trinker.Der kleine Prinz fragt den Trinker:„Warum trinkst du?“ Der Trinker ant-wortet: „Weil ich mich schäme.“ Derkleine Prinz fragt: „Warum schämst dudich?“ Der Trinker antwortet: „Weil ichtrinke.“26)

Am Arbeitsplatz kommt zu der Schamdie Angst vor Entdeckung des Alkohol-konsums hinzu. Alkoholkranke wollenim betrieblichen Umfeld, bei Kollegen,

Kolleginnen und Vorgesetzten, keines-falls als Alkoholiker, als Alkoholikeringelten. Gleichzeitig müssen sie aberweiterhin Alkohol konsumieren, umfunktionieren zu können. Das ist einDilemma. Wenn sich alkoholbedingteAuffälligkeiten nicht vermeiden lassen,versucht ein alkoholkranker Mitarbeiterdeshalb mit allen möglichen Begrün-dungen (private Probleme u. a.), Ver-ständnis dafür in seinem betrieblichenUmfeld zu erreichen.

41

5.

5.7 Co-Verhalten des betrieblichen Umfeldes

Die einzige Möglichkeit der Hilfe durchden Betrieb ist, dass der Mitarbeitermit seiner Sucht ein Problem imBetrieb bekommt, weil die Sucht fürden Betrieb ein Problem ist. Sie führtzu Auffälligkeiten, die von den Beteilig-ten bemerkt werden. Aber statt denMitarbeiter damit zu konfrontieren, ver-halten sie sich lange Zeit kooperativ.So bewirken die Beteiligten im betrieb-lichen sozialen Umfeld ungewollt dieFortsetzung des Suchtproblems. Des-halb kann dieses kooperative Verhaltenauch als Co-Verhalten mit dem Sucht-kranken beschrieben werden. Sucht-krankheit und Verhalten des be-trieblichen Umfeldes ergänzen sich.Dadurch wird das Suchtproblem erhal-ten. Co-Verhalten wirkt sich in unter-

schiedlichen Zeitphasen unterschied-lich aus.

Am Anfang wird von dem Mitarbeiterund vom betrieblichen Umfeld keinProblem gesehen. Für Auffälligkeitengibt es Begründungen des Mitarbeitersund Verständnis für diese Begründun-gen. Werden die Probleme größer,funktionieren die Begründungen nichtmehr – dann wird vom betrieblichenUmfeld kontrolliert. Funktioniert auchKontrolle nicht mehr, soll der Alkoholfallschnell gelöst werden. Das Umfeldgrenzt den Mitarbeiter aus. Der alko-holkranke Mitarbeiter gibt sich schließ-lich auf, weil er keine Lösungsmöglich-keit mehr sieht.

26) vergl. A. de Saint-Exupery: „Der kleine Prinz“, Düsseldorf 1990

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Das problematische Verhalten imErgebnis – Eine kurze Zusammen-fassung

Die Kollegen wollen mit dem für siejetzt unerträglich gewordenen „Alko-holfall“ nichts mehr zu tun haben. Sieversuchen sich abzuschotten, wo-durch der Mitarbeiter eine sozialeAusgrenzung am Arbeitsplatz erlebt.

Aus Kollegialität wird Unkollegia-lität.

Der unmittelbare und der nächst-höhere Vorgesetzte möchten ver-ständlicherweise jetzt, da nichts mehrzu gehen scheint, den „Problemfall“schnell lösen und schieben das Prob-lem der Personalabteilung zu.

Aus Zudecken wird Aufdecken.

Und vielleicht ist der befürchtete Imageverlust („in der Abteilung wirdgetrunken“), der verhindert werdensollte, längst eingetreten.

Die Personalabteilung hat aber keinerechtswirksamen Beweismittel für ar-beitsrechtliche Möglichkeiten, da in der

Fachabteilung keine Fakten, sondernnur verbale Anschuldigungen gesam-melt wurden.

Der Betriebsrat und die Schwerbe-hindertenvertretung können im Spät-stadium von „verhärteten“ Frontenkaum erfolgreich vermitteln. Sie habenmöglicherweise das Gefühl, „zwi-schen allen Stühlen“ zu sitzen.

Der Betriebsrat erlebt sich so in eineraussichtslosen Lage, in der kaum et-was bis nichts mehr „zu retten“ ist.

Das Betriebsklima ist eher schlechtergeworden.

Das Alkoholproblem bleibt in diesem,oftmals langen Zeitverlauf nicht nurungelöst, es hat sich stabilisiert. Esfunktioniert weiter, in der Form vonSchuldzuweisungen der am Problemauch weiterhin Beteiligten. Die Perso-nalabteilung verweist auf die un-brauchbare Faktenlage: „Die Fachab-teilungen melden sich nicht, bringenkeine verwertbaren Fakten, wollen abervon der Personalabteilung Ergebnissesehen.“

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5.

5.8 Das Alkoholproblem: Der problemfixierte Lösungs-versuch ist paradox, erbewirkt das Gegenteil desangestrebten Ziels

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Die Fachabteilungen sehen es genauumgekehrt: „Die Personalabteilungunternimmt nichts.“

Der aus der jeweiligen Sichtweise ver-ständliche und gutgemeinte Lösungs-versuch der Beteiligten verläuft sich imErgebnis in eine Paradoxie. Es wirddas Gegenteil von dem erreicht, wasangestrebt war. Das Problem erhältund stabilisiert sich in der Form fortge-setzter Zuschreibungen von betriebli-

chen Verantwortlichkeiten. Ein betrieb-liches Alkoholproblem soll gelöst wer-den, aber der Lösungsversuch selbstschafft außer der Beibehaltung desSuchtproblems ein zusätzliches Prob-lem: Alle Beteiligten sind frustriert.

Wie kann diese Paradoxie entfaltet unddas betriebliche Problem Sucht gelöstwerden? Wie kann aus einem proble-matischen Verhalten ein Verhalten wer-den, das das Problem löst?

5.

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6.

6. Von der problemfixierten Sichtweise zur lösungs-orientierten Sichtweise

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Paradoxien sind unvermeidlich. Jederhandelt für sich passend, was imErgebnis dennoch unpassend seinkann. Fehler müssen oftmals erstgemacht werden, um sie zu erkennen.

Im Kopf entsteht der mögliche Gedan-ke, dass es sich bei einer betrieblichenAuffälligkeit um ein Suchtproblem han-deln könnte.

Je länger das mögliche Suchtproblemeines Mitarbeiters aber nur im Kopf derBeteiligten bleibt, ohne es anzuspre-chen, desto mehr Frust kann entste-hen. Die Erwartung des betrieblichenUmfeldes, der Mitarbeiter könne dieeigenen kritischen Gedanken „zwi-schen den Zeilen“ kritischer Blicke undvager Bemerkungen lesen unddadurch sein Verhalten ändern, wirdsich möglicherweise bei Alkoholmiss-brauch (mal „über die Stränge schla-gen“) bestätigen. Eine Alkoholkrankheitbedeutet, dass die Wahrnehmungs-fähigkeit auch für subtile Kritik einge-schränkt ist. Der „schiefe Blick“ wirdkaum bemerkt. Der Gemeinte weißnicht, was gemeint ist.

Die Wertschätzung für den Mitarbeiternimmt mit zunehmenden Problemen,die er im Betrieb macht, ab. Im Kopfformt sich der Kollege dann langsamzum Alkoholiker, weil er dem Bild ent-spricht, das man von einem Alkoholi-ker im Kopf hat.

Bei einem sonst normalen Ereignis(z. B. eine Reklamation) können dann

die Emotionen überkochen. Die folgen-de offene Ansprache, etwa: „ReißenSie sich doch zusammen“, bewirktkaum den gewünschten Erfolg. Siewird als nicht wertschätzend empfun-den. Eine so ausgesprochene Ermah-nung basiert auf dem falschen Wissen,dass eine Suchterkrankung vom Willenher gesteuert werden könne: „Schuldsei ein schwacher Wille, ein wenig fester Charakter.“

Aber eine solche Schuldzuweisung(schwacher Charakter, auch schwereKindheit etc.) hilft kaum weiter. Auseiner schweren Kindheit lässt sichnachträglich keine leichte Kindheitmachen. Aus einem „schwachen Cha-rakter“ kein „starker Charakter“ etc.

Eine solche Erklärung entlastet vonweiteren schwierigen Überlegungenund möglichen unangenehmen Hand-lungen.

Da das Alkoholproblem durch eineErklärung aber nicht beseitigt ist, son-dern weitere Schwierigkeiten auslöstund verstärkt, muss doch etwas unter-nommen werden. Aber die Problemfi-xierung lässt, weil durch sie der Blickauf andere Lösungsmöglichkeiten ver-stellt ist, einen Lösungsversuch in nureine Richtung zu: man versucht es mitAppellen, Vorwürfen, Kontrollen.

Wird dieser Lösungsversuch von denbetrieblich Beteiligten wiederholt undverstärkt unternommen, handelt essich um den vielfach angewandten

6.

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Lösungsversuch Marke: „mehr dessel-ben“ (Paul Watzlawick).27)

Marke „mehr desselben“, das meint:„viel hilft viel“, allerdings in der falschenRichtung.

„Mehr desselben“ – Problem imMärchen

In einem Märchen der GebrüderGrimm wird der Lösungsversuch„mehr desselben“ gut beschrieben.Und von Märchen heißt es, dass sie einSymbol für die Wirklichkeit sind. Sieerinnern sich noch an das Märchen„vom Hasen und dem Igel“? 28)

Der Igel findet den Hasen sehr hoch-näsig und fordert ihn zum Wettlauf heraus.

Der Hase willigt sofort in die Wette ein,weil er sicher ist, der Schnellere zusein.

Aber der Igel gewinnt den Wettlauf miteinem Trick. Die Frau des Igels ist amStart. Der Igel selbst ist am Ziel. Beidesehen gleich aus, und der Hasebemerkt den unfairen Wettkampf nicht.Egal, wie schnell der Hase läuft, er hatkeine Chance zu gewinnen. Aber dasbemerkt der Hase nicht, weil er (Tun-

nelblick) nicht seitwärts blickt. Er ist aufsein Ziel fixiert und läuft und läuft undläuft … immer geradeaus.

Der Hase verliert gegen den Igel denWettlauf und fordert Revanche. Er läuftschneller und verliert wieder. Er läuftnoch schneller und verliert wieder. DerLösungsversuch des Hasen „schnellerlaufen“ wird selbst zum Problem.Zuletzt läuft der Hase so schnell, dasser dabei sein Leben verliert: ihm gehtdie Luft aus.

„Mehr desselben“ – Problem imBetrieb

Ein solcher Lösungsversuch „mehrdesselben“ wird auch im Betrieb leichtselbst zum Problem. Sowohl der alko-holkranke Mitarbeiter als auch diebetrieblich Beteiligten ähneln sich inihrem Verhalten: Sie benutzen beidedenselben Lösungsversuch: „mehrdesselben“.

Ein Mitarbeiter versucht sein Problemmit Alkohol und anderen Suchtmittelnzu lösen, immer wieder „mehr dessel-ben“ Suchtmittels. Der Lösungsver-such wird selbst zum Problem, weil erzur Sucht führt (siehe Pkt. 2, psychi-sche und körperliche Alkoholerkran-kung).

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6.

27) Die Idee „mehr desselben“ meint bei Watzlawick Problemlösungsversuche, die das Problem verstär-ken, weil sie selbst zum Problem werden. „Mehr desselben“ und Hinweise auf Unterbrechungsmög-lichkeiten erscheinen bei Watzlawick über die letzten Jahrzehnte hinweg variationsreich, als Beispiel:Paul Watzlawick, J. Weakland, R. Fisch: „Lösungen“, Bern, Stuttgart 1986, Paul Watzlawick: „Anlei-tung zum Unglücklichsein“, München 1988, S. 27 ff.

28) vergl. Grimms Märchen: „Vom Hasen und vom Igel“, München 1969, S. 575 ff.

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Kollegen und Vorgesetzte versuchendas betriebliche Suchtproblem ver-deckt zu lösen. Immer wieder ange-wandt wird auch dieser Lösungsver-such „mehr desselben“ selbst zumProblem: Das Suchtproblem wird:zugedeckt, zugedeckt, um letztlichdoch zu explodieren. Dann wird das Suchtproblem zu einem Füh-rungsproblem und zu einem Problemauf den unterschiedlich beteiligtenbetrieblichen Ebenen. Jetzt, nachdemdas Suchtproblem „aufgedeckt“ ist,geht es darum, „schnell jemanden los-werden zu wollen“. Aber dieses Vor-haben führt weniger zum Ziel (bei einerAlkoholerkrankung muss vor einerKündigung ein Hilfsangebot gemachtwerden, vergl. Pkt. 9.1, Helfen vor kündigen), sondern eher zu mehrwechselseitigen Frusterlebnissen.

Da ein solcher Lösungsversuch alstypisches, allgemeines betrieblichesVerhalten von allen Beteiligten als

problematisch beschrieben wird, undweil sich alle Beteiligten, jeder für sich und im Ergebnis in der gleichenproblemfixierten Richtung verhalten,bekommt dieses Problem ein System.Es entwickelt sich ein ProblemsystemSucht.

Um das Problemsystem Sucht auf-zulösen, muss der Lösungsversuch„mehr desselben“ unterbrochen wer-den. Aus der Problemfixierung musseine Lösungsorientierung werden.Dazu bedarf es eines Wechsels derPerspektive. Schon dieser Wechsel istlösungsorientiert. Denn die dadurchveränderte Sichtweise auf die betriebli-che Suchtproblematik kann eine mög-liche Lösung ins Blickfeld bringen. Sobleibt der Blick nicht auf das Problemfixiert und führt nicht zu dem proble-matischen Verhalten, das Problem„zuzudecken“. Der Blick schaut nacheiner möglichen Lösung. Er istlösungsorientiert.

6.

48

6.1 Was ist Lösungsorientierung?Wer merkt, dass nach der dritten DoseÖl, die er / sie ins Feuer gießt, dasFeuer, das gelöscht werden sollte,noch heller brennt, ist noch im proble-matischen Verhalten, befindet sichaber schon auf dem Weg zur Lösungs-orientierung. Lösungsverhalten be-stände bspw. jetzt im Benutzen vonWasser oder Sand, um das Feuer zulöschen und damit das Problem zulösen.

Lösungsorientierung im Märchen

Zurück zum Hasen. Der Hase, beimWettlauf gegen den Igel, verhielte sichlösungsorientiert, wenn er im Unter-schied zu seinem Problemverhalten„mehr desselben“ laufen, laufen, ein-mal stehen bliebe. Die Lösung tauchtedann in seinem Blickfeld auf: Der Hasewürde erkennen, dass er gegen zweiIgel keine Chance hat.

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In dem Märchen: „Die Bremer Stadt-musikanten“29) geht es nicht darum,wie aus der Problemfixierung eingroßes Problem entsteht, sondern esgeht um die Lösung eines Problems.

Das Problem ist: vier Tieren soll es „anden Kragen“ gehen. Der Esel soll ausdem Futter, der Hahn soll in den Topf.Der Hund soll erschlagen und dieKatze soll verjagt werden. Keine gutenAussichten.

Der Hahn weiß, dass er in den Topf sollund schreit deshalb aus Leibeskräftenauf dem Hof herum. Etwas anderesfällt ihm als problemfixierter Lösungs-versuch nicht ein. Der Esel befindetsich schon auf dem Weg zur Lösungs-orientierung. Der Esel hat eine Idee undaus dieser Idee ein konkretes Zielgemacht. Er erzählt dem Hahn von sei-nem Ziel, in Bremen Musik machen zuwollen. Der Hahn denkt plötzlich nichtmehr daran, den Kopf zu verlieren. Der

Hahn schließt sich dem Esel an. Genaudas machen auch Hund und Katze.

Auch wenn sie nicht bis Bremen kom-men, sondern unterwegs eine Wohn-gemeinschaft gründen, so schaffen sieim Unterschied zum Hasen (Problemfi-xierung) mit ihrem lösungsorientiertenVerhalten als Bremer Stadtmusikantendoch eine gelungene Lösung.

Verhalten sich im Betrieb dem Sucht-problem gegenüber alle Beteiligten wieder Hase im Märchen, bleiben sie aufdas Problem fixiert. Problemfixierungmacht Angst, erzeugt den Tunnelblickund sieht deshalb nur eine Lösung.Der Hase schaut nur nach vorn, aberdie Lösung liegt seitwärts. EineLösungsorientierung erweitert denBlick, es kann mit den Bremer Stadt-musikanten gesehen werden, dass esfür jeden Fall verschiedene Lösungengeben kann.

49

6.

6.2 Lösungsorientierung beimSuchtproblem im Betrieb

Lösungsorientierung suchen heißt,einen Unterschied zum bisherigennicht erfolgreichen Lösungsversuch zumachen. Wir machen einen Unter-schied, indem wir etwas anderes alsdas Gewohnte im Umgang mit einemProblem tun.

Angenommen, es werden gewöhnlichnervende Störungen mit Bauch-schmerzen und „schiefen Blicken“ he-runtergeschluckt. Dabei ist vielleichtder Gedanke an das Sprichwort imKopf: „Schweigen ist Gold.“ Nehmendie Nervereien und damit auch die

29) vergl. Grimms Märchen: „Die Bremer Stadtmusikanten“, München 1969, S.110 ff.

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Bauchschmerzen zu, reicht irgend-wann möglicherweise eine Bagatelle,die das „Fass zum Überlaufen“ bringt.Dieses ist aber keine gute Vorausset-zung für ein Gespräch. Wir lassenunseren aufgestauten Frust auf einmalheraus, aber wie wir in den Wald rufen,so schallt es hinaus. Das Echo führtwahrscheinlich zu einem noch größe-ren Problem (Rückzug oder Gegenan-griff des Adressaten) als zur Lösung.

Man verhält sich lösungsorientiert,wenn man das schlechte Gefühl imBauch über eine Störung, über das,was nervt, offen und rechtzeitig aus-drückt. Man ist dabei „hart in derSache“ aber „nett in der Form“. Beiwichtigen Dingen, die es anzuspre-chen gilt, ist Schweigen nicht Gold.Dann ist Reden Gold.

Wenn Ereignisse Bauchschmerzenund Probleme machen, man abergewohnt ist, darüber zu schweigen,sollte versucht werden, das zu ändern.

Verändert sich der Umgang mit demProblem, verändert sich auch dasProblem.

Für die betriebliche Suchtproblematikbedeutet die lösungsorientierte Sicht-weise eine Veränderung des Verhal-tens „jeder für sich“ gegenüber einemSuchtproblem. Ein gemeinsamesProblem erfordert eine gemeinsameLösung. Verhalten sich alle anders,bekommt dieses Verhalten ein System,dann entsteht ein Lösungssystem.

Niemand braucht in diesem neuenSystem Angst zu haben, den falschenSchritt zu tun, wenn alle gemeinsamdiesen Schritt tun. Diese Schritte bein-halten ein betriebliches Suchtpräven-tionsprogramm (Pkt. 9), das auf einerlösungsorientierten Sichtweise basiert(Pkt. 8).

Ein Präventionsprogramm verwan-delt die Unsicherheit mit dem Umgangeines betrieblichen Alkoholproblems inSicherheit: jeder weiß, wer wann waszu tun hat.

Ein betriebliches Suchtpräventionspro-gramm beginnt mit einer verändertenSichtweise in den Köpfen der Beteilig-ten. Ein Lösungsverhalten für dasAnsprechen von Auffälligkeiten beginntmit der Einstellung und dem sicherenGefühl,

– sich verantwortlich zu verhalten,– sich kollegial zu verhalten.

Verantwortung für die Arbeitsergeb-nisse und Kollegialität gehören auchbei einer betrieblichen Störung undeinem Suchtproblem zusammen. DieEinstellung zum Problem bestimmtauch das Verhalten.

Seine betrieblich rechtlich verankerteBasis hat das lösungsorientierte Ver-halten im Arbeitsvertrag.

Ein Arbeitsvertrag ist eine Absprachezwischen Arbeitnehmer und Arbeit-geber. Mit der Unterzeichnung eines

6.

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Arbeitsvertrages entsteht ein Rechts-verhältnis, zu dem sich mit ihrer Unter-schrift beide Seiten im Betrieb einver-standen erklären. Dieses Rechtsver-hältnis umfasst auch die im Betriebabgeschlossenen Verträge, Arbeits-platzbeschreibungen, Dienstvereinba-rungen. Eine Dienstvereinbarung / Be-triebsvereinbarung über Sucht ist einsolches Rechtsverhältnis.

Im Arbeitsvertrag korrespondiert dieTreuepflicht des Arbeitnehmers mit derFürsorgepflicht des Arbeitgebers. Da-

raus resultieren für Mitarbeiter wie fürVorgesetzte eindeutige Aufträge: derArbeitnehmer sorgt sich um die Erhal-tung seiner Leistung am Arbeitsplatz(Treuepflicht). Der Arbeitgeber sorgtsich um die Probleme des Mitarbeiters,die Arbeit betreffend (Fürsorgepflicht).

Eine Auffälligkeit im Betrieb aus Sorgefür den Mitarbeiter anzusprechen, istim Arbeitsvertrag rechtlich fundiert undenthält einen deutlichen Auftrag fürVorgesetzte.

51

6.

6.3 Fragen und Antworten zumlösungsorientierten Verhalten

Ein Auftrag muss immer noch prak-tisch umgesetzt werden. Dabei ist einVerhalten hilfreich, das sich an deminakzeptablen Verhalten im Betrieb ori-entiert und den Mitarbeiter damit kon-frontiert.

Es ist immer eine Grenzentscheidungfür einen Vorgesetzten, wann eineKonfrontation, wann das Ansprecheneiner Auffälligkeit sinnvoll ist. Dass manals Folgewirkung einer Feier bei derArbeit „nicht ganz bei der Sache“ ist,hat man vielleicht selbst schon erlebt.Warum sollte man das nicht aucheinem Mitarbeiter zugestehen? Sollteman also aus einer Mücke einen Ele-fanten machen? Häufen sich die Auf-

fälligkeiten aber nach vielen Feiern,wird deutlich, dass auch riskanterAlkoholkonsum in der Freizeit zu einemFolgeproblem im Betrieb werden kann,sobald es die Arbeitsleistung betrifft.

Es erscheint dann sinnvoll, eine Auffäl-ligkeit anzusprechen bevor aus derMücke ein Elefant wird. Aber wie? Eini-ge Fragen tauchen auf:

– Muss ein Vorgesetzter das Alkohol-problem einem Mitarbeiter beweisenkönnen, bevor er es anspricht?

– Soll er ihm direkt sagen, dass er ihnfür einen Alkoholiker hält?

– Soll er in einem Gespräch die Grün-de des Trinkens klären?

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Diese Fragen können mit einem klaren„Nein“ beantwortet werden!

Es reicht, aus der Sorge für den Mitar-beiter (Fürsorgepflicht) und aus derVerantwortung für die Arbeitsergebnis-se sich mit der Angelegenheit zubefassen, die den normalen Arbeits-ablauf stört. Das bedeutet:

– Keine Personifizierung des Sucht-problems (keine Abwertung der Per-son als Alkoholiker, schwacher Cha-rakter etc.)

– keine Ursachenforschung – keine Diagnosen– Klärung der Störung auf einer sach-

lichen Ebene in Wertschätzung fürdie Person.

Sind das Gefühl und die Sicherheitvorhanden, dass sich alle gemeinsamlösungsorientiert verhalten und dasTabuthema Alkoholproblem im Betrieboffen behandelt werden kann, dannwird auch ein hilfreiches Konzept keineTheorie bleiben.

Wie alle am Suchtproblem Beteiligtensich gemeinsam lösungsorientiert ver-halten können, zeigt der betrieblicheLösungsversuch im lösungsorientier-ten Verhalten.

6.

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7.

7. Das Alkoholproblem.Das lösungsorientierte Verhalten

Wer hat wann was zu tun?

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Auch bei einer körperlichen Abhängig-keit kann der Kopf dem Bauch trotzen,sich für oder gegen das Suchtmittel zuentscheiden. Sieht ein Mitarbeiter aberkein Problem bei sich selbst, wozu soller dann etwas verändern?

Bei der Entscheidungsfindung desalkoholkranken Mitarbeiters zur Verän-derung spielt der Betrieb eine wichtigeRolle.

Der Betrieb leistet dabei die Hilfe zurEinsicht, dass es für den alkoholkran-ken Mitarbeiter ein Problem gibt.

Der Betrieb kann die Auffälligkeitenzum Anlass nehmen und zur Auseinan-dersetzung damit auffordern. Nachdieser Auseinandersetzung kann sichder Betroffene entscheiden.

Wie sich der Patient beim Arzt beigesundheitlich bedenklichen Werten(Leber-, Blutwerte etc.) durch dessenInformationen vor die Alternative auf-hören oder weitermachen gestelltsieht, so provoziert auch der Betriebdie Entscheidung bei dem Mitarbeiter.Der Betrieb provoziert bei ihm immerwieder, sich für oder gegen das Sucht-mittel zu entscheiden (entweder /oder). Nervt ein Arzt mit unbequemenFragen und Diagnosen, kann man ihnwechseln. Der Vorgesetzte im Betriebkann weniger leicht gewechselt wer-den.

Bei einer Suchtkrankheit vertritt dasbetriebliche Umfeld oftmals die Mei-nung, dass Abhängige nur wollen müs-sen, um sich zu verändern. Das Wollenmuss aber auch gekonnt sein. DerBetrieb konfrontiert und kann überarbeitsrechtliche Möglichkeiten denDruck zum Wollen erzeugen. DerBetrieb hilft beim Können, indem er dieVeränderungsabsicht eines Alkohol-kranken unterstützt und begleitet.

So betrieblich eingebettet, kann es zuder möglichen Entscheidung der Mitar-beiterin / des Mitarbeiters kommen, dielauten könnte:

„So geht es nicht mehr weiter.“

Eine zweite Entscheidung betrifft danndas Wie.

„Ich schaffe es allein. / Ich schaffees nicht allein.“

Wie eine Krankheit geheilt werdenkann, kennen wir im Erkältungsfall.

Möglicherweise kurieren wir die Erkäl-tung mit heilenden Gedanken selbst,wenn das nicht hilft, mit dem Mittel ausder Apotheke. Hilft aber auch dasnicht, gehen wir zum Arzt. Ähnlich kön-nen wir bei einer Alkoholkrankheit, mitder wir allein nicht fertig werden, aufden Gedanken kommen:

7.

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7.1 Lösungsverhalten des Mitar-beiters mit dem Suchtproblem

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„Ich lasse mir helfen.“

Damit unterbricht der Mitarbeiter denProblemlösungsversuch „mehr dessel-ben“ (Suchtmittel). Der Mitarbeiterkann sich lösungsorientiert verhalten,

weil der Betrieb sich lösungsorientiertverhält. Beide unterbrechen ihrenproblematischen Lösungsversuch„mehr desselben“. Sie löschen dasFeuer nicht mit immer mehr Öl, sondern mit Wasser.

55

7.

7.2 Lösungsverhalten der Kollegen

In diesem Sinne bedeutet richtig ver-standene Kollegialität, eine Auffälligkeitaus der Sorge für den Kollegen herausanzusprechen.

Über die Problemmücke zu sprechen,bevor aus ihr der Problemelefant wird,ist präventiv. Die negativen Gefühle, dieein Gespräch emotional aufheizen,sind noch nicht entstanden. Die Belas-tungen sind noch nicht so hoch, dassdie Wertschätzung für den Kollegengemindert ist. Im Gespräch unter Kol-legen und Kolleginnen kann wertschät-zend über Störungen und auch überHilfsmöglichkeiten gesprochen wer-den.

Helfen kollegiale Gespräche nicht wei-ter, haben die Kollegen ihre Grenze

erreicht. Der direkte Vorgesetzte istgefragt. Kollegen denunzieren nicht,wenn sie dem Kollegen, dessen Ver-halten sich nicht ändert, die Einschal-tung des Vorgesetzten offen ankündi-gen und den Mitarbeiter entscheidenlassen, ob es dazu kommt. Es kanndoch auch gemeinsam das Gesprächmit dem Vorgesetzten gesucht wer-den.

Im Unterschied zum problematischenVerhalten geht es nicht darum, demVorgesetzten das Problem zuzuschie-ben (siehe Pkt. 5.1, ProblematischesVerhalten der Kollegen), sondern ihnmit einzubeziehen, wenn die Grenzeder kollegialen Eingriffsmöglichkeitenerreicht ist.

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Auf Wunsch des Mitarbeiters kannselbstverständlich auf allen Ge-sprächsstufen der Betriebsrat (dieSchwerbehindertenvertretung beiSchwerbehinderten) teilnehmen.

Ziel eines ersten Gesprächs ist es, eineVereinbarung zu treffen, die Klarheitschafft. Es ist sehr wichtig, in diesemGespräch das Problem klar zu definie-ren. Erst wenn das Problem bekanntist, kann überlegt werden, was getanwerden muss, um das Problem zulösen.

Der Vorgesetzte sollte in diesemGespräch das Problem eingrenzen,z. B. eine Auffälligkeit sind ständige

Unpünktlichkeiten oder andere Fehl-zeiten. Können diese Auffälligkeiten aufbestimmte Probleme zurückgeführtwerden, wie Schulden, Partner-schaftsprobleme, Stress, Suchtproble-me o. Ä., weiß der Vorgesetzte, wo esdazu intern im Betrieb oder extern Hilfegibt: Familienhilfe, Schuldnerhilfe, Psy-chotherapiemöglichkeiten oder auchSuchtberatung, je nach dem Problem.

Vom ersten Gespräch werden keineAufzeichnungen gemacht. Es wirdfestgelegt, was in Zukunft zu beachtenist und wer auf dessen Einhaltungachtet, bspw. auf die Einhaltung derArbeitszeiten.

7.

56

7.3 Lösungsverhalten des unmittelbaren Vorgesetzten,Vorstufe

7.4 Lösungsverhalten desunmittelbaren Vorgesetzten,1. Stufe

Der Vorgesetzte verhält sich lösungs-orientiert, wenn er aus Sorge (Fürsor-gepflicht) und aus der Verantwortungfür die Arbeitsergebnisse die Auffällig-keiten / Fehlleistungen (Treuepflicht desMitarbeiters) anspricht. Das Risiko istsehr gering, dass ein solch ruhig, sach-lich und wertschätzend geführtes Ge-

spräch eskaliert. Das Problem wird nurvon den Personen angesprochen undbehandelt, die daran beteiligt sind. Nurdie Personen sind beteiligt, die auchreal das Problem miteinander haben.

Von diesem Gespräch werden keineschriftlichen Aufzeichnungen festge-

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halten. Es gibt nur mündliche Verein-barungen. Die Vereinbarungen könnenauf folgende Fragen fokussiert sein:„Wer achtet zukünftig auf Fehlzeiten?Wie wird der Erfolg der Veränderungüberprüft?“

Bei einem Suchtproblem weiß derVorgesetzte, wo es betriebliche oderaußerbetriebliche Hilfsmöglichkeitengibt. Der Vorgesetzte verweist aufdiese Hilfen, die klären sollen, ob dasProblem ein Suchtproblem ist.

Es geht also zunächst nicht darum, einbetriebliches Suchtproblem zu lösen.Es geht erst einmal darum zu klären,ob die Auffälligkeiten überhaupt mitSucht etwas zu tun haben.

Nur wenn Vorgesetzter und Mitarbeitermiteinander kein befriedigendes Er-gebnis erzielen, wird die Grenze aufge-zeigt, die der unmittelbare Vorgesetztegesetzt hat.

Wird diese Grenze durch weiteres Fehlver-halten des Mitarbeiters überschritten,erweitern sich auch die Grenzen des Lö-sungsversuchs 2. Der entferntere, nächst-höhere Vorgesetzte wird eingeschaltet.

Auch ihm wird das Problem nichtzugeschoben. Er kennt das Präven-tionsprogramm und weiß, was auf ihnzukommt. Gemeinsam wird nun ver-sucht, das Problem zu lösen. Ab der 2. Stufe werden Gesprächsverlauf undAbsprachen dokumentiert.

57

7.

7.5 Lösungsverhalten des nächsthöheren Vorgesetzten,2. Stufe

Kommt der unmittelbare Vorgesetztean seine Grenze, dann wird er von demnächsthöheren Vorgesetzten unter-stützt. Der nächsthöhere Vorgesetzteanerkennt die bisherige Initiative desunmittelbaren Vorgesetzten mit einerpositiven Bestätigung.

Der Lösungsversuch wird gemeinsam,d. h. mit dem Mitarbeiter, dessenVerhalten im Betrieb problematischerscheint, fortgesetzt.

Die gemeinsame Perspektive gilt derUnterbrechung der Auffälligkeiten. Beieinem vermuteten Suchtproblem, z. B.bei einem vermuteten Alkoholproblem,nimmt der betriebliche Ansprechpart-ner am Gespräch teil.

Mit dem betrieblichen Ansprechpartnerwird geklärt, ob die Auffälligkeit z. B. miteinem Suchtproblem in einem Zusam-menhang steht oder ob evtl. Drogen-,Medikamente-, Schulden-, Partner-

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schafts-, psychische Probleme o. a.das problematische Verhalten des Mit-arbeiters verursachen. Danach erst wirdentschieden, welche Hilfen gebrauchtund angeboten werden müssen.

Der Ansprechpartner hilft bei derKlärung des Problems, das der Auffällig-keit zugrunde liegt. Er entscheidet nichtüber die weiteren möglichen Initiativen,die aus dieser Klärung folgen können.

Die Erfahrung zeigt, dass Mitarbeitermit Suchtproblemen, oftmals erhebli-che Ängste vor einem Gespräch mitSuchtfachleuten haben. Sie habenmöglicherweise die Angst, durch einsolches Gespräch könnten Unan-nehmlichkeiten entstehen, z. B. imBetrieb als Alkoholiker zu gelten. Diegemeinsame Problemklärung mit dembetrieblichen Ansprechpartner solldem Mitarbeiter diese Angst nehmen.

Die Zusammensetzung der Gesprächs-runde in Stufe 2 beinhaltet drei Mög-lichkeiten:

1. Mitarbeiter, der unmittelbare Vorge-setzte und der Ansprechpartner

2. Mitarbeiter, der nächsthöhere Vor-gesetzte und der Ansprechpartner

3. Mitarbeiter, der unmittelbare Vorge-setzte, der nächsthöhere Vorge-setzte und der Ansprechpartner

Ziel des Gespräches ist es, den Mitar-beiter zu einer Veränderung des rekla-mierten Verhaltens zu aktivieren undHilfe anzubieten indem man den Kon-takt zu den Helfern herstellt. In derzweiten Stufe werden die Vereinbarun-gen schriftlich festgehalten.

Ändert sich durch diese Initiativenichts, ist die Grenze des bisherigenLösungsversuchs wiederum erreicht.

7.

58

7.6 Lösungsverhalten der Personalabteilung

Die Gesprächsrunde erweitert sich umdie Hinzunahme der Personalabtei-lung.

Da die Vereinbarung vom Mitarbeiternicht eingehalten worden ist, hat diePersonalabteilung von der Fachabtei-lung rechtswirksame Fakten erhalten.Die Personalabteilung hat dadurch erstdie Möglichkeit, initiativ zu werden, ihreAutorität hat Konsequenzen. Dochauch die Initiative der Personalabtei-

lung geschieht unter dem Leitsatz:„Helfen vor kündigen“.

Das Gespräch in der 3. Stufe ist mitAuflagen und, im Fall der Nichteinhal-tung der Auflagen, mit einer Abmah-nung verbunden.

Mögliche Auflagen können sein: derNachweis des Gesprächs mit einemprofessionellen externen Suchtberater,die Verpflichtung zur Teilnahme an

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einer Selbsthilfegruppe und / oder eineArbeitsunfähigkeitsbescheinigung vomArzt, die bereits nach dem 1. Tag vor-zulegen ist, u. a.

Diese Vereinbarung mit Auflagen kanndie Vorankündigung einer möglichenschriftlichen Abmahnung bei Nichtein-haltung der Auflagen enthalten. Eben-so kann eine mögliche Kündigung inAussicht gestellt werden, wenn alleInitiativen des Betriebes nichts nützen.

Die Vorgesetzten und die Personalab-teilung helfen dem Betroffenen zurmöglichen Einsicht, indem sie ihn mitseinem auffälligen Verhalten konfrontie-ren. Der Betriebsrat / die Vertrauens-person der schwerbehinderten Men-schen hilft, indem sie diese Konfronta-tion nicht verhindert und begleitendeHilfe anbietet.

59

7.

7.7 Lösungsverhalten desBetriebsrates / der Schwer-behindertenvertretung

Der Betriebsrat verhält sich lösungsori-entiert, wenn er darauf achtet, dass dieRechte des Mitarbeiters nicht verletztwerden. Der Betriebsrat wacht alsoüber die Rechte des Mitarbeiters.Ansonsten hält er sich mit Initiativenzurück. Er übernimmt weder die Rolledes Retters (schützen) noch über-nimmt er die Rolle als Ersatzvorgesetz-ter (appellieren).

Der Betriebsrat überlässt es dem Mit-arbeiter, die Verantwortung für dieUnterbrechung seines Problems selbstzu übernehmen. Der Betriebsrat hilftdabei wie alle anderen beteiligtenSysteme im Betrieb im Rahmen seinerdefinierten Möglichkeiten.

Der Betriebsrat als Gesamtheit, alsGremium, verhält sich lösungsorien-

tiert, wenn er zur betrieblichen Sucht-problematik Stellung bezieht. Da dierechtlichen Möglichkeiten des Be-triebsrates im betrieblichen Suchtprob-lemfall gering sind, kann er ein Pro-gramm zur betrieblichen Suchtpräven-tion fordern, um die Interessen und dieRechte der Mitarbeiter in einer mögli-chen Betriebs- / Dienstvereinbarungschützen zu können. Der Betriebsratachtet dabei auf die regelgerechteDurchführung des Präventionspro-gramms.

Dieses Lösungsverhalten gilt ebensofür die Schwerbehindertenvertretung.

Die Schwerbehindertenvertretung soll-te den Kranken, aber nicht seineKrankheit schützen.

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Wie alle anderen lösungsorientiertarbeitenden Beteiligten, konfrontiertauch die Schwerbehindertenvertretungden Mitarbeiter mit den Konsequenzeneines nicht akzeptablen Verhaltens imBetrieb.

Dabei räumt auch die Schwerbehin-dertenvertretung die Steine nicht ausdem Weg, über die ein Mitarbeiter stol-pern kann, wenn er sich diese Steineselbst durch seine Regelverletzungenin den Weg gelegt hat.

Die Schwerbehindertenvertretung bietetaber ihre Hilfe zur Selbsthilfe an, damitdie Steine von dem Mitarbeiter selbstaus dem Weg geräumt werden können.Die Rechte der schwerbehindertenMenschen bleiben dadurch unberührt.

Die Schwerbehindertenvertretung soll-te darauf achten, dass der Antrag aufSchwerbehinderung nicht dazu miss-braucht wird, eine Kündigung zuerschweren. Eine Kündigung kann einwichtiges Signal für einen Mitarbeitersein, dass es ein Problem gibt unddass er selbst etwas ändern muss.

Bei einer Kündigung Schwerbehinder-ter muss die Zustimmung des Integra-tionsamtes eingeholt werden.

Alle Beteiligten verhalten sichlösungsorientiert in den Grenzenihrer Verantwortung.

7.

60

7.8 Das Lösungsverhalten im Ergebnis – Eine kurzeZusammenfassung

Ein koordiniertes Lösungsverhaltenbedeutet in den einzelnen Stufen:

Vorstufe

Die Anwesenheit des Betriebs-rates / der Vertrauensperson derschwerbehinderten Menschen istselbstverständlich in allen Stufen mög-lich.

Vorgesetzter und Mitarbeiter führen ein vertrauliches, klärendes Gespräch.Wie geht es weiter?

1. Stufe

Vorgesetzter und Mitarbeiter führen einvertrauliches Gespräch. Was musssich ändern? Welche Hilfe wird ge-braucht? Keine Änderung?

2. Stufe

Hinzunahme des betrieblichen An-sprechpartners und / oder des nächst-höheren Vorgesetzten. Was muss sichändern? Welche Hilfe wird gebraucht?Keine Änderung?

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3. Stufe

Hinzunahme der Personalabteilung.Ankündigung schriftlicher arbeitsrecht-licher Maßnahmen. Was muss sichändern? Welche Hilfe wird gebraucht?Keine Änderung?

4. Stufe

Umsetzung arbeitsrechtlicher Maßnah-men / mögliche Kündigung.

Die Methodik des Konzepts bestehtsowohl in der Zunahme der Konfronta-tion als auch in der Erweiterung vonHilfen für die Mitarbeiterin / den Mitar-beiter.

Je verbindlicher die Absprachen in die-sem Lösungskonzept geregelt sind(Dienst- / Betriebsvereinbarung), umsogrößer ist erfahrungsgemäß die Bereit-schaft aller Beteiligten, sich entspre-chend lösungsorientiert zu verhalten.

61

7.

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8.

8. Was muss sich im Betriebändern, um ein betriebliches

Präventionsprogrammaufzubauen?

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Voraussetzung für den Aufbau einesbetrieblichen Präventionsprogrammsist die Einigung von Unternehmens- /Verwaltungsleitung und Betriebs- / Per-sonalrat über betriebliche Hilfsangebo-te und entsprechende Maßnahmen.

Das Ziel besteht darin, das ProblemAlkohol im Betrieb frühzeitig zu erken-

nen und anzusprechen und den Mitar-beitern Hilfsangebote zu machen. Jenach betrieblichen Bedürfnissen undMöglichkeiten können einzelne Bau-steine aus dem Angebot des Fach-dienstes für betriebliche Suchtpräven-tion (vergl. Aufgaben des Fachdiens-tes, Pkt. 9, Hilfsangebote des Fach-dienstes, Pkt. 10) genutzt werden.

8.

64

8.1 Betriebliche Zielvereinbarung

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65

8.

Verlauf

Schritt

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Ein neues Programm erfordert neueInitiativen im Betrieb. Dabei ist es hilf-reich, die Aufgaben auf mehrere Schul-tern zu verteilen. Das erfordert dort, woes möglich ist, den Aufbau einesArbeitskreises Sucht im Betrieb. Ineinem Kleinbetrieb können ein bis zweiMitarbeiter diese Aufgabe überneh-men.

Der Arbeitskreis Sucht kann sichzusammensetzen aus Vertretern vonPersonalabteilung, Betriebs- /Perso-nalrat, Schwerbehindertenvertretung,Betriebskrankenkasse, Arbeitssicher-heit, betriebsärztlichem Dienst, Mitar-beitern, Vorgesetzten. Dadurch hältder Arbeitskreis den Kontakt zu allen

relevanten betrieblichen Gruppen. Erhält Kontakt zum betrieblichenAnsprechpartner, ohne dass dieserMitglied des Arbeitskreises sein muss.Der Arbeitskreis sollte Entscheidungs-befugnis haben, damit seine geplantenAktivitäten nicht in verschiedenenGremien zeit- und arbeitsaufwendigdurchgesetzt werden müssen.

Die Aufgaben des Arbeitskreises liegenin der Organisation und Koordinationder Fragen zur betrieblichen Sucht-problematik. Direkte Einzelfallhilfe solltedurch einen betrieblichen Ansprech-partner oder durch die Kooperation mitaußerbetrieblichen Beratungsstellenstattfinden.

8.

66

8.2 Aufbau eines ArbeitskreisesSucht im Betrieb

8.2.1Die Aufgaben des ArbeitskreisesVorsorge – Innerbetriebliche Öffent-lichkeitsarbeit

Mit Vorsorge ist vor allem die Öffent-lichkeitsarbeit im Betrieb gemeint.

Der Arbeitskreis Sucht entwickeltdabei Strategien zur betrieblichenÖffentlichkeitsarbeit. Wichtige Aufga-ben sind:

– Bekannt machen des Problems Alko-hol und anderer Suchtmittel im Betrieb

– Veränderung des betrieblichen An-gebots an alkoholischen Getränken

– Veränderung der Trinkanlässe (Ju-biläen, Betriebsfeiern)

– Veröffentlichung von Artikeln in derWerkszeitung, Aktionstage planenu. a.

Der Arbeitskreis arbeitet mit seinenInitiativen an einer Einstellungsände-rung gegenüber dem Alkohol undanderen Suchtmitteln im Betrieb.Dabei sollte deutlich werden, dass esnicht darum geht, missliebige Mitarbei-

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ter zu entlassen, sondern dass es umdie Hilfe für Mitarbeiter in Prob-lemsitutationen geht.

Der Arbeitskreis sollte auch die Erkenntnisin die Köpfe bringen, dass Suchtmittelund Arbeit nicht zusammenpassen.

Dazu gehört auch eine kritische Über-prüfung der Arbeitsbedingungen unterdem Blickwinkel suchtfördernder Fak-toren.

Wichtig erscheint, Alternativen zumproblematischen Umgang mit Sucht-mitteln zu entwickeln und einen pro-duktiven Umgang mit Stress undProblemen theoretisch und praktisch(Seminarangebote u. a.) zu vermitteln.

Einzelfälle

Die Aufgaben im Suchtpräventionspro-gramm sind klar verteilt.

Vorgesetzte im Betrieb werden beieinem Problem zuerst initiativ. Daserfordert ein bestimmtes Know-how,um für den Umgang mit der Sucht-problematik sensibilisiert und sicherergemacht zu werden. Von den Weiter-bildungsangeboten, die den Umgangmit auffälligen Mitarbeitern zum Inhalthaben, kann außerdem generell eineStärkung der Führungskompetenzerwartet werden.

Betriebliche Ansprechpartner vermit-teln im Einzelfall zu Beratungsstellenund Therapiemöglichkeiten.

Der Arbeitskreis organisiert Weiterbil-dung und Training für Vorgesetzte umdas entsprechende Know-how zu ver-mitteln. Der Arbeitskreis plant, welcheFührungskräfte in welchem Umfanggeschult werden sollen.

Um eine Gleichbehandlung zu gewähr-leisten, sollte die Teilnahme an Schu-lungen für alle Ebenen der Personal-verantwortlichen verpflichtend sein. BeiSchulungen reichen kurze Basisinfor-mationen zur Suchtprävention nichtaus. Schulungen beinhalten die grund-sätzliche Auseinandersetzung mit derBedeutung, den Erscheinungsformenund den Auswirkungen der betrieb-lichen Suchtproblematik.

Darüber hinaus geht es bei den Schu-lungen um die Auseinandersetzung mitden eigenen Handlungsmöglichkeitenim Problemfall. Dazu sind praktischeGesprächführungstrainings erforder-lich. Um eine entsprechende Personal-führungskompetenz zu erreichen, sindnach den Erfahrungen des Fachdiens-tes 1,5 bis 2 Tage für diese Schulungenerforderlich.

Nur wenn alle Hierarchieebenen glei-chermaßen geschult sind, kann dasLösungskonzept funktionieren und imBetrieb verankert werden. Bewährtsich das Konzept dadurch, dass jederim Betrieb weiß, wer wann was zu tunhat, dann ist es sinnvoll, diesesPräventionskonzept in einer Dienst-bzw. Betriebsvereinbarung rechtlichverbindlich zu machen.

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8.

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Der Arbeitskreis sorgt dabei für dieAusarbeitung von betrieblichen Richt-linien / Dienstvereinbarungen (EineMustervereinbarung kann beim Fach-dienst angefordert werden).

Da der Arbeitskreis in Einzelfällen nichtaktiv werden sollte (nur bei besondersstrittigen Fällen, die bereits bekanntsind, 3. Stufe, oder in späteren Pha-sen, bspw. bei Rückfällen), sorgt erauch für den Aufbau von betrieblichenHelferpositionen: Ansprechpartner /Suchtkrankenhelfer etc.

Dazu sollte der Arbeitskreis ei-nen Ansprechpartner (betrieblichenAnsprechpartner) benennen, der vonmöglichst vielen Mitarbeitern und Mit-arbeiterinnen akzeptiert wird.

Der Arbeitskreis ist für die zwingendnotwendige Aus- u. Fortbildung desbetrieblichen Ansprechpartners ver-antwortlich. Dieser sollte auch imArbeitskreis seinen Rückhalt finden.

Nachsorge

Bei der Rückkehr des Mitarbeiters auseiner Therapie regelt der Arbeitskreisgrundsätzlich die Möglichkeiten derWiedereingliederung in den Betrieb. Diepraktische Ausführung (Begleitung derMitarbeiterin / des Mitarbeiters u. a.),übernimmt der betriebliche Ansprech-partner (vergl. Pkt. 8.3, Helfer). Zu dengrundsätzlichen Überlegungen desArbeitskreises kann auch die möglicheEinrichtung einer Nachsorgegruppe fürRückfallprävention gehören.

Der Arbeitskreis sollte das ThemaSuchtprobleme im Betrieb dauerhaftinteressant gestalten, um eine Konti-nuität in der Auseinandersetzung mitdem Thema im Betrieb zu erreichen.

Nur wenn Suchtprävention als Dauer-thema im Betrieb etabliert ist, kannsich ein waches Problembewusstseinmit Lösungsalternativen in den Köpfenhalten.

8.

68

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69

8.

Verlauf

Schritt

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Der betriebliche Helfer ist das Bin-deglied zwischen Betrieb und thera-peutischen Angeboten, Beratungsstel-len und Selbsthilfegruppen.

Die Aufgabe des Helfers ist es, sowohlVorgesetzte zu unterstützen und (beider Suchtproblematik) zu beraten alsauch Mitarbeiter im Problemfall zuberaten und zu motivieren.

Der betriebliche Helfer vermittelt undbegleitet den Mitarbeiter auf Wunschzu örtlichen betrieblichen Selbsthilfe-gruppen und zu Beratungsstellen. Erinformiert über ambulante, stationäreTherapiemöglichkeiten und vermitteltund begleitet in therapeutische Einrich-tungen.

Er vermittelt und unterstützt auch beider Rückkehr an den Arbeitsplatz und /oder bei der Umsetzung auf einenanderen Arbeitsplatz. Das gilt beson-ders für die Integration des Mitarbeitersin das alte oder das neue betrieblichesoziale Umfeld. Der betrieblicheAnsprechpartner ist dabei mit den Fra-

gen befasst: Wer informiert dasbetriebliche Umfeld und bereitet es aufdie Rückkehr des Mitarbeiters vor?Was ist bei der Versetzung an einenanderen Arbeitsplatz zu bedenken?Was ist bei einem Rückfall zu beach-ten? etc.

In Betrieben, in denen der Aufbau derPosition eines ausgebildeten An-sprechpartners (betrieblicher An-sprechpartner) wegen der Betriebs-größe nicht möglich ist, könnenKooperationen mit verschiedenen In-stitutionen der Suchtkrankenhilfe, Be-ratungsstellen, Selbsthilfegruppen etc.aufgebaut werden.

Der betriebliche Helfer berät Vor-gesetzte, Mitarbeiterinnen und Mit-arbeiter und nimmt an den Stufen-gesprächen teil. Er vermittelt und begleitet zu Beratungsstellen und The-rapiemöglichkeiten. Der betrieblicheAnsprechpartner in Verbindung mitdem Arbeitskreis bildet so den „Motor“des betrieblichen Präventionspro-gramms.

8.

70

8.3 Betriebliche Umsetzung des Präventionsprogramms –Helfer

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8.

Verlauf

Schritt

BetrieblicheAnsprechpartnerinnen,

Ansprechpartner

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73

9.

9. Die Aufgaben und Erfahrungendes Fachdienstes für betriebliche

Suchtprävention des Integrationsamtes

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Die Aufgaben des Fachdienstes beste-hen in der Hilfe bei der Veränderungdes betrieblichen problematischen

Verhaltens hin zu einem Verhalten, dasdas betriebliche Suchtproblem lösenhilft.

9.

74

Der Fachdienst hat in den vergange-nen Jahren in sehr vielen Betriebenund Verwaltungen Erfahrungen in derbetrieblichen Suchtkrankenhilfe ge-sammelt. Aufgrund dieser Erfahrungenin der betrieblichen Suchtpräventionhat der Fachdienst ein Baukastensys-tem (Pkt. 10) entwickelt, das auf diespezifischen betrieblichen Bedürfnisseabgestimmt ist. Das Baukastensystemsteht unter dem Titel:

Helfen vor kündigen

„Helfen ist billiger als kündigen“

Diese These mag provokant erschei-nen, schaut man genauer hin (Pkt.1.4.1), wird deutlich, dass ein Präven-tionsprogramm billiger ist als die lang-fristigen Kosten für ein betrieblichesSuchtproblem. Nicht nur reine Sach-kosten, auch andere Kosten, wie Ima-geverlust und ein verschlechtertes Be-triebsklima sind schwer zu berechnen-de Größen, die dennoch eine großeRolle spielen können. Informelle be-triebliche Prozesse bestimmen dasBetriebsklima und das Betriebsimage.Hilfe bei Alkoholproblemen verbessern

9.1 Aufgaben des Fachdienstesbeides. Gute, langgediente Mitarbeite-rinnen und Mitarbeiter bleiben demBetrieb erhalten.

Zudem kann eine Kündigung arbeits-gerichtlich aufgehoben werden, wennein Mitarbeiter eine Alkoholabhängig-keit für sich reklamiert, die vorher nichterkannt worden ist.

Von daher gilt: je früher der Zeitpunktist, an dem eine Änderung eines be-trieblichen Alkoholproblems be-ginnt, desto billiger und effektiver istes für den Betrieb.

Aus gesundheitlicher und sozialerSicht ist es vernünftig, eine Alkoholab-hängigkeit zu beenden und Abhängigeaus ihrer Abhängigkeit zu befreien(vergl. Pkt. 3, Alkoholkrankheit …).

Aus arbeitsrechtlicher Sicht bestehteine Verpflichtung zur Hilfe, weil Alko-holabhängigkeit seit 1968 (Urteil desBundessozialgerichts) als Krankheitanerkannt ist. Bevor es zu einer krank-heitsbedingten Kündigung kommt,muss vom Betrieb Hilfe angebotenwerden.

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Im Mittelpunkt der Einzelfallhilfe imSinne des SGB IX steht der Mitarbeiter,der durch die Sucht schwerbehindertgeworden – oder von Schwerbehinde-rung bedroht ist. Die Einzelfallhilfebesteht jetzt darin, eine drohende Kün-digung durch entsprechende Abspra-chen zwischen den Beteiligten zu ver-meiden und Hilfen einzuleiten.

Das Integrationsamt hat den Auftrag,einen Ausgleich der Interessen derschwerbehinderten Menschen undseines Betriebes vorzunehmen und diedurch die Behinderung entstandenenNachteile auszugleichen. Das Integrati-onsamt muss die Interessen desSchwerbehinderten mit den Interessendes Betriebes im Kündigungsfallabwägen.

Neben der Einzelfallhilfe kommt derHilfe zur Selbsthilfe in Betrieben undVerwaltungen eine erhöhte Bedeutungzu. Helfen vor kündigen setzt einemöglichst frühe Hilfsinitiative voraus.

Hierbei nimmt das Integrationsamt des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe einen präventiven Aspekt derSchwerbehindertenarbeit wahr.

Der suchtabhängige Mitarbeiter, ob schwerbehindert oder nicht, istdirekt vom Fachdienst nicht oder erstsehr spät erreichbar. Deshalb ist das unmittelbare betriebliche Umfeld

(besonders der unmittelbare Vorge-setzte) gefragt.

Der Betrieb hat das Problem mitdem Suchtproblem des Mitarbeiters.Das kann frühzeitig gelöst werden,wenn die unmittelbaren Vorgesetzteninitiativ werden und Hilfen anbieten,das mögliche Problem präventiv zuerkennen, bevor es eins wird. DieBereitschaft und die Fähigkeit, initiativzu werden, hängt im hohen Maße vonder Personalführungskompetenz derVorgesetzten ab.

Die frühzeitige Initiative des betriebli-chen Umfeldes ist möglich durch dieUmstellung des problematischen Ver-haltens auf ein lösungsorientiertes Ver-halten (siehe Pkt. 7).

Während zuvor der schwerbehinderteSuchtkranke vorwiegend Kunde desFachdienstes war, ist durch diesenPerspektivwechsel vom Einzelproblemzum betrieblichen Umfeld inzwischender Betrieb zum Kunden des Fach-dienstes geworden.

Der Fachdienst sieht mittlerweileseine Aufgabe darin, dem Betriebdabei zu helfen, die für die Sucht-prävention notwendigen Schritteselbst zu gehen. Dadurch kann derBetrieb dem Mitarbeiter und sichselbst frühestmöglich helfen.

75

9.

9.2 Erfahrungen des Fachdienstes

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Wenn der Schlüssel zur frühzeitigenLösung des betrieblichen Suchtprob-lems in der Führungskompetenz liegt,muss es eine Hauptaufgabe des Fach-dienstes sein, die Führungskompetenzin diese Richtung zu verbessern.

Nachdem die Vorgesetzten durch ihrekonfrontative Initiative das Suchtprob-lem „angestoßen“ haben (vergl. Pkt.8.3, 8.4, Lösungsverhalten …), helfenbetriebliche Ansprechpartner dort wei-ter, wo die Grenze der Handlungsmög-lichkeit von Vorgesetzten erreicht ist(vergl. Pkt. 8.3, Helfer).

Nur wenn die Vorgesetzten sichlösungsorientiert verhalten, indem sieein Suchtproblem frühzeitig erkennenund ansprechen, kann die weitere Hilfedurch betriebliche Ansprechpartner andieses Verhalten anschließen.

In jedem Betrieb, in jeder Verwaltungsind Ressourcen vorhanden, diegenutzt werden können. Diese Res-sourcen sind bei Mitarbeitern zu fin-den, die möglicherweise selbst eineAlkoholtherapie gemacht haben.Ebenso sind Ressourcen vorhandenbei Mitarbeitern von Sozialdiensteno. Ä., die selbst Beratungserfahrunghaben, und / oder Mitarbeitern, diedurch andere Bezüge an der Suchtthe-matik interessiert sind.

Diese Ressourcen können hilfreichgenutzt werden, um die vom Fach-dienst angebotene Hilfe zur Selbsthilfe– durch Aufbau eines Suchtpräven-tionsprogramms (vergl. Pkt. 8, Lö-

sungsverhalten / Pkt. 9, Aufbau einesbetrieblichen Suchtpräventionspro-gramms) – praktisch umzusetzen, in-dem sich Mitarbeiter als betrieblicheAnsprechpartner oder für einenArbeitskreis Sucht im Betrieb zur Verfü-gung stellen (vergl. Pkt. 8.2, Aufbaueines Arbeitskreises Sucht im Betrieb).

Ein neues Programm bedeutet immereine Veränderung eingespielter undgewohnter Programme und Verhal-tensweisen. Damit stößt ein neuesProgramm auf Widerstände. Es tan-giert die Zumutbarkeit für alle Mitarbei-ter. Ein betriebliches Präventionspro-gramm ist damit immer auch ein Prob-lem für Vorgesetzte, von denen einanderer Führungsstil verlangt wird,damit ein Suchtproblem frühzeitigangesprochen werden kann.

Nur durch die Veränderung gewohn-ter Verhaltensweisen kann ein neuesProgramm: ein Suchtpräventionspro-gramm funktionieren. Der Fachdienstachtet dabei auf die sanfte Integrati-on. Sanfte Integration bedeutet, dassdie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterdort abgeholt werden, wo sie sich mitihren aktuellen Sichtweisen und Verhal-ten im Umgang mit Suchtproblemenbefinden.

Eine Veränderung des Verhaltens derBeteiligten kann nur gelingen, wenn siemit dieser Veränderung nicht überfor-dert werden. Der Fachdienst hilftdabei, das bislang problematische Ver-halten durch ein lösungsorientiertesVerhalten zu ersetzen.

9.

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Die Integration des Programms oderseiner einzelnen Programmbausteinefür den betrieblichen Aufbau einereffektiven betrieblichen Suchtpräven-

tion geschieht nach Maßgabe der spe-zifischen betrieblichen Erfordernisse(siehe Pkt. 10, Baukastensystem desFachdienstes).

77

9.

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79

10.

10. Hilfsangebot des Fachdiensteszur praktischen Umsetzung des

betrieblichen Präventions-programms/Baukastensystems jenach Bedarfslage des jeweiligen

Betriebes – Beschreibung der einzelnen Programmbausteine –

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Hierbei geht es um die Beantwortungder Frage, welche Programmbausteinedes Fachdienstes für welchen Betriebzu welchem Zeitpunkt passend undhilfreich sind.

Hierzu finden ein oder mehrere Be-ratungsgespräche mit betrieblichenInteressenten oder bereits bestehen-den Arbeitskreisen statt.

Es hat sich als sinnvoll erwiesen, zuprüfen, ob es bereits Maßnahmen zurLösung anderer Probleme (Arbeitssi-

cherheit, Gesundheitsförderung, Kom-munikation, Personalentwicklung etc.)gegeben hat und ob aus diesen Berei-chen Ressourcen genutzt werden kön-nen.

Auch das Programm muss den Beson-derheiten des Unternehmens ange-passt werden.

Der Fachdienst prüft, welche Anteilevon ihm übernommen werden könnenund was das Unternehmen / die Ver-waltung leisten muss.

10.

80

10.1 Beratung beim Aufbau einesbetrieblichen Suchtpräven-tionsprogramms

Informationsveranstaltungen sind einzeitlich kurzer Input für betriebliche Lei-tungen und Gremien. Es geht um eineSensibilisierung hinsichtlich der be-trieblichen Suchtproblematik bei denMitarbeitern eines Betriebes in Per-sonalverantwortung. Dabei soll derLeitsatz „Helfen vor kündigen“ erklärtwerden.

10.2 Informationsveranstal-tungen – Sensibilisierung für die betriebliche Sucht-problematik

Bei dieser Auftaktveranstaltung für Ent-scheidungsträger soll die Darstellungder betrieblichen Lösung der Sucht-problematik dazu motivieren, weitereBausteine umzusetzen.

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Alle Mitarbeiter in Personalverantwor-tung: Führungskräfte auf allen Ebenender Hierarchien bis hinunter auf dieEbene des Fachvorgesetzten könnenhilfreich nur handeln, wenn sie dieMöglichkeit der Schulung und des Trai-nings bekommen. Es geht darum, a) zu wissen, wer im Betrieb im Sucht-problemfall wann was zu tun hat, (kennen lernen des Suchtpräventions-programms).

Und es geht b) darum, ein neues Ver-halten zu erlernen und zu praktizieren,d. h. Problemgespräche auf der sach-lichen Ebene zu trainieren.

Im Problemgespräch Vorgesetzter –Mitarbeiter sind positive Auswirkungenvor allem dann zu erwarten, wenn manmiteinander wertschätzend im Kontaktist. Das gilt auch für den Aufbau einesbetrieblich transparenten und einheit-lich abgestimmten Stufenkonzepts zurbetrieblichen Suchtprävention.

Die Bedeutung dieses Bausteins bele-gen folgende Studien:

Vorgesetzte nehmen Stellung (vergl.Anm. 32)

Zum Ansprechen des betrieblichenSuchtproblems

Eine Untersuchung der Umgehenswei-se mit betrieblichen Suchtproblemenunter Vorgesetzten der unteren Hierar-chieebene bei einem großen Automo-bilbetrieb ergab als ein hervorstechen-des Resultat:

– bei der überwiegenden Zahl derVorgesetzten bestand den alkohol-abhängigen Mitarbeitern gegenübereine passive abwartende Haltung,obwohl nahezu alle Vorgesetztendurch diese Mitarbeiter belastetwaren und deren auffällige Alkohol-abhängigkeit schon mehrere Jahrezu beobachten war.30)

81

10.

10.3 Schulung der personal-verantwortlichen Mitarbeiterals Voraussetzung einereinheitlichen, transparentenund gemeinsamen Vorgehens-weise bei einem betrieblichenSuchtproblem

30) C. Domaschke, R. U. Wohlfarth: „Alkohol am Arbeitsplatz“, a. a. O., S. 167

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Zur Gesprächsführung

– Bei als verletzend erlebter Kritikhaben 69 % der so kritisierten Mitar-beiter ihre Leistung verschlechtert.

– Bei ruhiger, sachlicher Kritik haben83 % der Mitarbeiter ihre Leistungverbessert.31)

Zum betrieblichen Suchtpräven-tionsprogramm nach Seminar –Schulungen

Aussagen von Seminarteilnehmern

– Für über 80 % der Vorgesetzten wardas Präventionsprogramm neu.

– Sie sind sensibler geworden fürProbleme (auch Suchtprobleme) ihrerMitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

– Sie fühlen sich sicherer im Umgang.

Zu unmittelbaren Erfolgserlebnissen

– „Beseitigung von Störungen imbetrieblichen Ablauf“

– „Verbesserung der Arbeitsleistungoder des Betriebsklimas“

Annahme der Hilfsmöglichkeiten durchden Mitarbeiter und die damit verbun-dene Möglichkeit, ihn langfristig zu hal-ten.

Das Präventionsprogramm halten

– für uneingeschränkt hilfreich: 80 %– für teilweise sinnvoll: 17 %

suchtpräventive Seminare

– halten für sinnvoll: 92 %

der befragten Mitarbeiter in Vorgesetz-tenfunktion.32)

10.

82

10.4 Training für TrainerDie personellen Kapazitäten des Fach-dienstes sind begrenzt. Betriebe mitinternen Weiterbildungsmöglichkeitenkönnen das Angebot des Fachdiens-tes nutzen, Trainingseinheiten zurSuchtprävention in eigener Regie undmit eigenen Trainern durchzuführenund damit die vorhandenen eigenenRessourcen zu erweitern.

Sind in Betrieben Weiterbildungstrainerund -möglichkeiten vorhanden, dannkönnen durch den Fachdienst auchTrainer weitergebildet werden. Nach-dem der Fachdienst die Basisseminaredurchgeführt hat, kann ein Betrieb ineigener Regie die Aufbau-Seminareübernehmen. Der Fachdienst stelltdabei seine Medien als Hilfe zur Selbst-hilfe zur Verfügung.

31) Rolf Locher: „So führt man ein Kritikgespräch richtig“, Expert Verlag 198432) R. Fuchs, M. Rummmel: „Eine Evaluationsstudie zum Präventionsprogramm der Landesbank Berlin“,

in R. Fuchs (Hrsg): „Betriebliche Suchtprävention“, a. a. O., S. 225

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Bei innerbetrieblicher Öffentlichkeitsar-beit zur betrieblichen Suchtpräventiongeht es um die Frage der Beratung unddie Begleitung verschiedener Projekte,z. B. Präsentation des Themas imBetrieb.

Der Fachdienst unterstützt dabei mitAusstellungswänden und Referatenbei Betriebsversammlungen u. a.

83

10.

10.5 Innerbetriebliche Öffentlich-keitsarbeit

Der betriebliche Arbeitskreis Sucht hatu.a. die Aufgabe der Konzipierung undUmsetzung betrieblicher Suchtpräven-tionsprogramme. Diese sollen denspezifischen betrieblichen Möglichkei-ten und Bedürfnissen angepasst wer-den.

Bei der Gründung des Arbeitskreisesunterstützt der Fachdienst. Bei wichti-gen Schritten begleitet der Fachdienstz. B. bei Erstellung einer Dienst-/Betriebsvereinbarung, bei der Planungvon Aktionswochen u.a.

10.6 Gründung und Aufbau einesArbeitskreises Sucht imBetrieb

10.7 Ausbildung betrieblicherHelfer

Betriebliche Helfer stehen Beschäftig-ten zur Verfügung, wenn diese kom-men und bei der Bewältigung von Prob-lemen um Hilfe bitten. Dies geschiehtbei einem Menschen, der Suchtproble-me bekommt, in der Regel sehr spät.

Hier wird betrieblicherseits auf der dis-ziplinarischen Seite häufig schon vieles

geschehen müssen, ehe die Helfer-seite ins Spiel kommt.

Großbetriebe verfügen in der Regelüber einen Gesundheits- oder psycho-sozialen Dienst. Diese werden dieBetreuung der Beschäftigten mitSuchtproblemen übernehmen. Kleine-re Betriebe verfügen nicht über solche

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Möglichkeiten. Hier hat sich im Bereichder Suchtprävention die Funktion desbetrieblichen Ansprechpartners be-währt.

Die Bezeichnung „Suchtkrankenhelfer“ist ein gewachsener Begriff aus derSelbsthilfe. Bei einer Intervention derFührungskräfte auf der sachlichenEbene kann diese Bezeichnung zu Irri-tationen führen. Es gehört mit zur Pla-nung des gesamten Programms, einenakzeptablen Begriff für die Helferseitezu finden.

Der betriebliche Helfer soll Zwi-schenstation oder Bindeglied zwi-schen Betrieb und therapeutischenAngeboten vor Ort, wie Beratungsstel-le und Selbsthilfegruppen sein. Er hatdie Aufgabe, zu motivieren, Vorgesetz-te zu unterstützen und zu beraten(siehe: Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Integrationsamt, Heft 24, Alko-

hol und andere (Sucht-) Probleme amArbeitsplatz. Eine Information für Be-triebe und Verwaltungen.

Klein- und Mittelbetriebe, für die auchdie Funktion des betrieblichen An-sprechpartners nicht in Frage kommt,können sich überlegen, wie sie mitKooperationsmodellen ihre Suchtprob-leme angehen können. Gerade imBereich der Vernetzung und Kooperati-on mit verschiedenen Institutionen derSuchtkrankenhilfe entwickeln sich zurZeit neue Möglichkeiten.

Der Fachdienst bildet betrieblicheAnsprechpartner-Sucht im Rahmeneiner anderthalbjährigen Ausbildungaus.

Die Konzeption der Ausbildung zum betrieblichen Ansprechpartner– Sucht –, Termine etc. können beimFachdienst angefordert werden.

10.

84

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Anhang:

Rechtliche Aspekte

Verfasser: Dr. Peter Bengelsdorf, Kiel

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Inhaltsverzeichnis Seite

1. Ausgangslage: Gesetzliches/berufsgenossenschaftliches/betriebliches Alkoholverbot. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

1.1 Gesetzliches Alkoholverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 871.2 Berufsgenossenschaftliches Alkoholverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 871.3 Betriebliches Alkoholverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 881.3.1 Absolutes Alkoholverbot. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 881.3.2 Abgestuftes/relatives Alkoholverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

2. Gezieltes Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 892.1 Aufgaben der Vorgesetzten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 892.2 Feststellung der Alkoholisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 912.3 Dokumentation der Fakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92

3. Sicherungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

4. Interventionsgespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 934.1 Kürzung der Arbeits-/Ausbildungsvergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 944.2 Ausfall der Entgelt-/Ausbildungsvergütungsfortzahlung . . . . . . . . . . . 944.2.1 Alkoholbedingte Unfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 944.2.2 Alkoholabhängigkeit/Alkoholsucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 954.3 Abmahnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 964.3.1 Alkoholbedingtes Fehlverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 964.3.2 Alkoholabhängigkeit/Alkoholsucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 974.4 Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 974.4.1 Außerdienstlicher Alkoholkonsum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 974.4.2 Alkoholkonsum während der Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 984.4.2.1 Verhaltensbedingte Kündigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 994.4.2.2 Personenbedingte Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1004.5 Unfallversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1004.5.1 Unfall im Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1014.5.1.1 Leistungsausfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1014.5.1.2 Leistungsabfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1014.5.2 Wegeunfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

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4.5.2.1 Absolute Fahruntüchtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1024.5.2.2 Relative Fahruntüchtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1024.5.2.3 Radfahrer/Fußgänger/Beifahrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1034.6 Haftung des Mitarbeiters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1034.6.1 Eigener Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1034.6.2 Gegenüber Arbeitskollegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1034.6.3 Gegenüber Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1044.6.4 Gegenüber Fremden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1044.7 Strafrechtliche Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

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Der Vorgesetzte hat ein eigenes Inter-esse, die rechtliche Seite der Alkohol-problematik am Arbeitsplatz sowieseine rechtliche Verantwortung in die-sem Bereich zu klären. Er benötigt dasentsprechende Kernwissen vor allem

als Grundlage für sein Handelngegenüber dem alkoholauffälligen Mit-arbeiter und zur Absicherung seinereigenen Belange bei alkoholbedingtenFehlleistungen und Unfällen diesesMitarbeiters.

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Rechtliche Aspekte

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1. Ausgangslage:Gesetzliches/berufsgenossen-

schaftliches/betriebliches Alkoholverbot

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Der Vorgesetzte, der in seinem Bereichden Alkoholkonsum unterbinden will,kann sich nicht auf ein generellesgesetzliches Alkoholverbot berufen.Es existiert nicht. Nur bei der Beschäf-tigung von Jugendlichen ist in § 31Abs. 2 Satz 2 JArbSchG bestimmt,dass Jugendlichen unter 16 Jahrenkeinerlei alkoholische Getränke undJugendlichen über 16 Jahren keinBranntwein gegeben werden dürfen.

Eine der wenigen generellen gesetzli-chen Reglementierungen des Alkohol-konsums findet sich im Straßenver-kehrsgesetz (StVG). Dort sind dieGrenzwerte festgelegt, die das Fahreneines Kraftfahrzeugs ab einer BAK von0,5 ‰ ahnden (§ 24 a StVG). Die Vor-schrift zeigt, dass der Gesetzgeberden Konsum geringer Alkoholmengen

toleriert. Sofern für bestimmte Tätigkei-ten BAK-Werte aufgestellt sind, geltendiese auch im Rahmen des Arbeitsver-hältnisses. Danach sind für Kraftfahrerdie Richtwerte 0,5 ‰ BAK (§ 24 aStVG: relative Fahruntüchtigkeit) bzw.1,1 ‰ BAK (§§ 315 c Abs.1 Nr. 1 a,316 StGB: absolute Fahruntüchtigkeit)zu beachten. Diese Werte lassen sichim Übrigen nicht ohne weiteres auf diedifferenzierten Bedingungen in derArbeitswelt übertragen, in der vielfacheher niedrigere Werte einzuhalten sind.Selbst wenn die geschuldete Arbeitnicht mit Alkoholkonsum schlechthinunvereinbar ist, wird grundsätzlich nurein geringer Alkoholkonsum erlaubtsein, z.B. ein Glas Bier in der Pau-se. Mathematische Toleranzgrenzenkönnen nicht aufgestellt werden (BAG26.1.1995 NZA 1995, 517).

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1.1 Gesetzliches Alkoholverbot

1.2 BerufsgenossenschaftlichesAlkoholverbot

Der Mitarbeiter darf sich nach § 38Abs. 1 Unfallverhütungsvorschrift „All-gemeine Vorschriften“ – VBG 1 – durchseinen Alkoholkonsum nicht in einenZustand versetzen, durch den er sichselbst oder andere gefährden kann.Die Norm enthält kein absolutesAlkoholverbot. Es wird lediglich eineEinschränkung des Konsums alkoholi-

scher Getränke am Arbeitsplatz ange-ordnet. Nach diesem relativen Alko-holverbot kann je nach Art der aus-geübten Tätigkeit bereits der Konsumgeringer Mengen Alkohol verbotensein, z.B. bei Kraftfahrern, Gabelstap-lerfahrern, Mitarbeitern an gefahrträch-tigen Maschinen oder beim Umgangmit gefährlichen Stoffen oder beim Ein-

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satz an unfallträchtigen Orten, u.a.Hochleitungs- und Untertagebergbau,oder in Schalt-/Leitzentralen. Nach der Durchführungsanweisung zu § 38Abs. 1 VBG 1 darf der Vorgesetzte beider Beurteilung einer Gefährdung unterBerücksichtigung der Eigenart desBetriebs und der ausgeübten Tätigkeitstrenge Maßstäbe anlegen. Der Kon-sum alkoholischer Getränke bedeutetregelmäßig eine Erhöhung der Unfall-gefahr.

Mitarbeiter, die infolge des Alkoholkon-sums nicht mehr in der Lage sind, ihreArbeit ohne Gefahr für sich oder ande-re auszuführen, sind nach § 38 Abs. 2

VBG 1 nicht mehr zu beschäftigen. Eshandelt sich um ein absolutesBeschäftigungsverbot (LAG Schles-wig-Holstein 28.11.1988 DB 1989,630).

Abweichend besteht ein absolutesAlkoholverbot nach einzelnen lan-desrechtlichen Vorschriften für dengesamten Bereich des Bergbaus, nach§ 5 VBG 68 für Werkschutz- undBewachungsunternehmen, § 16 Abs.2 VBG 81 bei der Verarbeitung vonKlebestoffen sowie § 8 Verordnungüber den Betrieb von Kraftfahrunter-nehmen im Personenverkehr. Es giltdie 0,0-Promillegrenze.

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1.3 Betriebliches Alkoholverbot1.3.1 Absolutes Alkoholverbot

Ein absolutes Alkoholverbot kann mitdem Betriebsrat für alle Mitarbeiter imWege einer Betriebsvereinbarungnach § 87 Abs. 1 Nrn. 1, 7 BetrVGbegründet werden (BAG 10.11.1987NZA 1988, 255).

Ein absolutes Alkoholverbot darf in denArbeitsverträgen festgelegt oder mit-tels Direktionsrechts des Arbeitge-

bers angeordnet werden. Existiert einBetriebsrat, sind dessen Mitbestim-mungsbefugnisse aus § 87 Abs. 1 Nrn.1, 7 BetrVG zu beachten. Die Mitbe-stimmung kann nicht durch ein einzel-vertraglich vereinbartes Alkoholverbotoder durch die Anordnung des Arbeit-gebers aufgrund seines Direktions-rechts ausgeschlossen werden.

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Die Vereinbarung eines abgestuftenAlkoholverbots mit dem Betriebsratgemäß § 87 Abs. 1 Nrn. 1, 7 BetrVG istrechtlich möglich. Es verfolgt das Ziel,durch entsprechende Differenzierun-gen den unterschiedlichen Konzentra-tions-, Qualitäts- und Sicherheitsanfor-derungen der einzelnen ArbeitsplätzeRechnung zu tragen. Einem solchenVerbot stehen gravierende Schwie-rigkeiten im praktischen Umgang ent-gegen. Es kann nicht sicher kontrolliertwerden.

Der Arbeitnehmer darf sich durchAlkoholkonsum vor oder während derArbeitszeit und -pausen nicht in einenZustand versetzen, in dem er seineArbeit nicht mehr ordnungsgemäß leisten kann. Aus dieser vertraglichen

Nebenpflicht leitet sich ein relativesAlkoholverbot ab. Es gilt unabhängigdavon, ob auf dem BetriebsgeländeAlkohol erhältlich ist (BAG 26.1.1995NZA 1995, 517). Eine feste Grenze,mit wieviel Alkohol im Blut der Mitarbei-ter zur Arbeit erscheinen oder wievielAlkohol er während der Arbeitszeit zusich nehmen darf, lässt sich nichtabstrakt festlegen. Art und Brancheder Tätigkeit sind entscheidend (BAG26.1.1995 NZA 1995, 517). Je nachGefährdungspotenzial der zu leisten-den Arbeit, vor allem in alkoholsensi-blen/sicherheitsrelevanten Bereichen(siehe unter 1.2) verbietet sichgrundsätzlich jeder Alkoholkonsum voroder während der Arbeitszeit und der -pausen sowie innerhalb oder außer-halb des Betriebs.

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1.3.2 Abgestuftes/relatives Alkoholverbot

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2. Gezieltes Vorgehen

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Der Vorgesetzte ist aufgrund seinesArbeitsvertrags gegenüber demArbeitgeber und dem ihm unterstell-ten Mitarbeiter sowie dessen Arbeits-kollegen verpflichtet, bei Alkoholmiss-brauch tätig zu werden.

Der Vorgesetzte ist in seinem Zustän-digkeitsbereich für einen ordnungs-gemäßen Betriebsablauf und ord-nungsgemäße Arbeitsleistungen ver-antwortlich. Sie können durch denalkoholisierten Mitarbeiter beeinträch-tigt werden. Es gehört zu den wesent-lichen Führungsaufgaben des Vorge-setzten, den Alkoholmissbrauch früh-zeitig zu erkennen und zu reagieren.

Die Durchsetzung des jeweiligen Alko-holverbots hängt davon ab, wie genauder Vorgesetzte seine Überwa-chungspflichten wahrnimmt. Er kenntseine Mitarbeiter, deren Tätigkeitenund die damit verbundenen Gefahrenfür Betriebsablauf, Arbeitsleistungenund Unfälle. Auf dieser Basis hat er füreine strikte Einhaltung des Alkoholver-bots zu sorgen.

Der Vorgesetzte trägt für die Arbeitssi-cherheit seiner Mitarbeiter die Verant-wortung. Er kann am besten beurtei-len, ob ein alkoholisierter Mitarbeiterseine Tätigkeit noch ohne Gefahr fürsich und andere verrichten kann. Dader Vorgesetzte bei einem Betriebsun-fall unter Alkohol selbst belastet wer-den kann, hat er seine Aufsichts-

pflichten konsequent zu handhaben.Der Vorgesetzte hat den alkoholisiertenMitarbeiter im Zweifel umgehend vonseinem Arbeitsplatz zu entfernen unddarf ihm auf keinen Fall „wenigergefährliche“ Arbeiten oder überhauptirgendwelche Tätigkeiten zuweisen.

Abgeleitet aus der allgemeinen Fürsor-gepflicht hat der Vorgesetzte schließ-lich einen sicheren Heimtransportdes alkoholisierten Mitarbeiters zu ver-anlassen. In dieser Situation wird derVorgesetzte das notwendige Interven-tionsgespräch mit dem Mitarbeiternicht führen. Diese vertrauliche Unter-redung sollte erst stattfinden, wenn derbetroffene Mitarbeiter – am folgendenTag – nüchtern zur Arbeit erscheint.

Die wiederholte Verletzung dieserPflichten trotz entsprechender Ab-mahnung kann die Kündigung desArbeitsvertrags des Vorgesetztenrechtfertigen. In besonders schwerwie-genden Fällen kann bereits das einma-lige Fehlverhalten einen Kündigungs-grund darstellen. Eine solche Konstel-lation ist z.B. gegeben, wenn in derPflichtverletzung zugleich eine straf-rechtlich relevante Handlung liegt.Der Vorgesetzte wird mit einer Bestra-fung wegen fahrlässiger Körperver-letzung (§ 230 StBG) bzw. fahrlässi-ger Tötung (§ 222 StGB) zu rechnenhaben, falls er die Weiterarbeit oder dieTrunkenheitsfahrt des Mitarbeiters trotzbesseren Wissens und Könnens nicht

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2.1 Aufgaben des Vorgesetzten

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verhindert oder die Dienstfahrt inKenntnis der Trunkenheit des Mitarbei-ters ausdrücklich anordnet. EineBestrafung des Vorgesetzten wegenAussetzung einer hilflosen Person(§ 221 StGB) kommt in Betracht,sofern er den erkennbar volltrunkenenund hilflosen Mitarbeiter vor demWerktor sich selbst überlässt.

Außerdem setzt sich der VorgesetzteErsatzansprüchen des Arbeitgebersaus, falls er den alkoholisierten Mitar-beiter weiterarbeiten lässt oder diesemdas Arbeitsgerät (z.B. ein Kraftfahr-zeug) zur Verfügung stellt und es infol-ge der Alkoholisierung zu Sach- undPersonenschäden kommt. Lässt derVorgesetzte den alkoholisierten Mitar-beiter z.B. als Kraftfahrer im öffentli-chen Verkehr tätig werden und verur-sacht dieser infolge Trunkenheit einenVerkehrsunfall, kann der Mitarbeitergegen den Arbeitgeber einen An-

spruch auf Freistellung von allen For-derungen der durch den Unfall beein-trächtigten Dritten erwerben (BAG23.6.1988 NZA 1989, 181). DerArbeitgeber kann gegen den Vorge-setzten wegen Verletzung seiner Auf-sichtspflichten Rückgriff nehmen.

Es liegt somit im ureigenen Interessedes Vorgesetzten, konsequent und für-sorglich gegen den alkoholisiertenMitarbeiter vorzugehen. Dabei sollte er sich von der Personalverwaltungund/oder dem Werksarzt sowie denFachkräften des Betriebs unterstützenlassen.

Andererseits gehört die Durchführungder eigentlichen Personalmaßnah-men – Abmahnung und Kündigung –als allerletzte Maßnahmen nicht zu sei-nen Aufgaben. Dafür ist die Personal-verwaltung zuständig.

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2.2 Feststellung der Alkoholisierung

Das gezielte Vorgehen gegen den alko-holauffälligen Mitarbeiter setzt dasgenaue Erfassen der konkret beob-achteten Tatsachen voraus, die zuArbeitsdefiziten bzw. Störungen imVerhalten am Arbeitsplatz führen. DerZusammenhang mit dem Alkoholkon-sum ist unbedingt herzustellen.

Der Vorgesetzte hat eigenverantwort-lich zu entscheiden, ob der Mitarbeiter

alkoholisiert ist. Zur Feststellung desAlkoholkonsums ist der Einsatz tech-nischer Hilfsmittel (z.B. Atemmess-gerät oder chemische Untersuchungder Blutprobe durch den Werksarzt)nicht erforderlich. Sie dürfen ohnehinnur mit Einverständnis des Betroffenengenutzt werden (BAG 26.1.1995 NZA1995, 517). Der Vorgesetzte darf auf-grund seiner Arbeits- und Lebens-erfahrung die Alkoholisierung aus Art

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und Weise des (Arbeits-)Verhaltensdes Mitarbeiters ableiten, z.B. Alkohol-fahne, lallende Sprache, Rededrang,schwankender Gang, Ausbalancierendes Gewichts, verquollenes Gesicht,gerötete Augen, aggressives Verhaltengegenüber dem Vorgesetzten, Lethar-gie (LAG Schleswig-Holstein28.11.1988 DB 1989, 630; LAGHamm 11.11.1996 LAGE § 1 KSchGVerhaltensbedingte Kündigung Nr. 56;BAG 26.1.1995 NZA 1995, 517).

Der Vorgesetzte hat ebenfalls in eige-ner Verantwortung zu entscheiden, obder Mitarbeiter einen gefährlich hohenAlkoholisierungsgrad erreicht hat.Angesichts der Tatsache, dass bereitsab 0,3 ‰ BAK Verminderungen derSehleistung, Verlängerungen derReaktionsgeschwindigkeit auf akusti-sche oder optische Reize, Veränderun-gen der manuellen Geschicklichkeitauftreten, und wegen der erheblichenarbeits-, strafrecht- und haftungsrecht-lichen Risiken für den Vorgesetzten(siehe unter 2.1) sollte jeder festgestell-te Alkoholkonsum im Zweifel zumAusspruch eines Beschäftigungs-verbots (siehe unter 1.2) ausreichen.Das gilt insbesondere für Mitarbeiter an alkoholsensiblen, gefahrträchtigenArbeitsplätzen (siehe unter 1.2).

Besteht ein absolutes Alkoholverbotim Betrieb (siehe unter 1.3.1), ist des-

sen Einhaltung am leichtesten zu kon-trollieren. Es kann die Feststellunggenügen, dass der Mitarbeiter beimAlkoholkonsum beobachtet wordenist. Dessen Weigerung, den Verdachtder Verletzung des betrieblichen Alko-holverbots durch Einleitung einerwerksärztlichen Blutalkoholuntersu-chung zu widerlegen, stellt gleichfallsein erhebliches Indiz für das Vorliegeneiner Pflichtverletzung dar (LAG Hamm11.11.1996 LAGE § 1 KSchG Verhal-tensbedingte Kündigung Nr. 56).

Der Vorgesetzte sollte bei seiner Entscheidung zu Beweissicherungs-zwecken als sachverständige Zeu-gen den Suchtberater bzw. die Sicher-heitskraft des Betriebs oder einenzuverlässigen Kollegen und möglichstein Mitglied des Betriebsrats hinzuzie-hen.

Der Vorgesetzte hat dem MitarbeiterGelegenheit zu geben, den Verdachtder Alkoholisierung durch objektiveTests (z.B. Atemmessgeräte oder che-mische Untersuchung der vom Werks-arzt entnommenen Blutprobe) aus-zuräumen. Das setzt indessen voraus,dass im Betrieb entsprechende Mög-lichkeiten vorhanden sind. Ein solcherTest ist überflüssig, falls die Alkoholisie-rung offensichtlich vorliegt, z.B. beierkennbarer Volltrunkenheit (BAG26.1.1995 NZA 1995, 517).

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Die festgestellten alkoholbedingtenAusfallerscheinungen sind jeweils zudokumentieren. Pauschale Vorwürfeoder Vermutungen genügen nicht. DieStörungen im Arbeitsverhalten bzw. imVerhalten am Arbeitsplatz sind genauzu beschreiben und mit Ort, Datumund Uhrzeit aufzuzeichnen. Die Zeu-gen sind zu benennen. Die detaillierteSachverhaltsschilderung dient

– dem Vorgesetzten als Begründungfür seine (Sicherungs-)Maßnahmengegenüber dem alkoholisierten Mit-arbeiter.

– dem Vorgesetzten als Grundlage fürsein Interventionsgespräch mit demalkoholisierten Mitarbeiter, in demdieser mit seinem Verhalten konfron-tiert wird.

– der Personalverwaltung für dieAbfassung einer rechtlich einwand-freien Abmahnung (siehe unter 4.3).

– dem Arbeitgeber als gerichtsver-wertbarer Vortrag in einem etwaigenArbeitsgerichtsprozess. Der Arbeit-geber hat dort den pflichtwidrigenAlkoholkonsum des Mitarbeiters imEinzelnen darzulegen und zu beweisen (BAG 26.1.1995 NZA1995, 517). Dazu darf er sich derAussage von Zeugen – z.B. der Vor-gesetzte – bedienen (LAG Schles-wig-Holstein 28.11.1988 DB 1989,630; LAG Hamm 11.11.1996 LAGE§ 1 KSchG Verhaltensbedingte Kün-digung Nr. 56; BAG 26.1.1995 NZA1995, 517).

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2.3 Dokumentation der Fakten

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3. Sicherungsmaßnahmen

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Der Vorgesetzte darf den alkoholisier-ten Mitarbeiter gemäß § 38 Abs. 2VBG 1 nicht beschäftigen, wenn auf-grund der Beschäftigung eine Gefahrfür diesen oder für andere Mitarbeiterbesteht (siehe unter 1.2). Dem erkenn-bar alkoholisierten Mitarbeiter ist derZutritt zum Betrieb und die Aufnahmeder Arbeit zu verweigern bzw. er istunverzüglich von seinem Arbeitsplatzzu entfernen.

Der Vorgesetzte hat anschließendMaßnahmen zur Sicherung des alko-holisierten Mitarbeiters vor Gefahren zuveranlassen, die sich aus dessenHeimweg bis zu seiner Wohnung erge-ben können. Die Maßnahmen sind amAlkoholisierungsgrad des Betroffenenauszurichten. Es ist ihm Gelegenheitzur Ausnüchterung zu geben, soferndafür ein Raum mit einer Aufsichtsper-son zur Verfügung steht (z.B. Sanitäts-station) und die Ausnüchterung sowieWiedererlangung der Arbeitsfähigkeitnoch während der Arbeitszeit zuerwarten sind. Anderenfalls hat derVorgesetzte dafür zu sorgen, dass der Mitarbeiter sicher nach Hausegebracht wird. Er kann sich verschie-

dener Mittel bedienen. So kann ernahe Angehörige des Betroffenenbenachrichtigen, damit diese denHeimtransport übernehmen. In größe-ren Betrieben können die Werkfeuer-wehr oder der Werkschutz eingeschal-tet werden. Beim Benutzen öffentlicherVerkehrsmittel oder eines Taxis ist dieBegleitung durch einen zuverlässigenMitarbeiter erforderlich. Bei schwerenAusfallerscheinungen ist die Ein-schaltung des Werksarztes bzw. dieEinweisung ins Krankenhaus zu ver-anlassen.

Sämtliche Kosten des Heimtransports(z.B. Telefongebühren, Fahr-, Taxigeld,Bruttoarbeitsentgelt des begleitendenMitarbeiters) hat der alkoholisierte Mit-arbeiter zu tragen.

An der Fahrt mit dem eigenen Kraft-fahrzeug, Motorrad, Moped, Fahr-rad ist der alkoholisierte Mitarbeiter zuhindern. Das gilt auch, wenn dem Vor-gesetzten die Alkoholisierung erst beioder nach Schichtende auffällt. Zeigtsich der Mitarbeiter uneinsichtig, sollteunverzüglich die Polizei eingeschaltetwerden.

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4. Interventionsgespräch

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Der Vorgesetzte hat den alkoholauffälli-gen Mitarbeiter sachlich auf sein Fehl-verhalten hinzuweisen, ihn anhand vonTatsachen mit seinem eigenen Verhal-ten zu konfrontieren, auf Änderungenzu drängen und ihm vor allem auch dierechtlichen Folgen des Alkoholkon-sums zu verdeutlichen. Dem Betroffe-nen sollte vor allem klargemacht wer-den, dass

– er bei einem (übermäßigen) Alkohol-konsum seinen Anspruch auf Ar-beits-/Ausbildungsvergütung ver-liert.

– bei einem alkoholbedingten Unfall im oder außerhalb des Betriebs kein Anspruch auf Entgelt-/Aus-bildungsvergütungsfortzahlung

wegen Arbeitsunfähigkeit entsteht.

– die Alkoholisierung im Dienst undaußerhalb des Dienstes zur Ab-mahnung berechtigen kann.

– die wiederholte Alkoholisierung imDienst und außerhalb des Diensteszur Kündigung des Arbeitsvertragsmit anschließender Sperrzeit führenkann.

– bei einem Arbeitsunfall, dessen allei-nige Ursache der Alkoholkonsum ist, der Schutz der gesetzlichenUnfallversicherung entfällt.

– die unter Alkoholeinfluss verursach-ten Schäden zu Schadensersatz-ansprüchen führen können.

102

Im Einzelnen:

4.1 Kürzung der Arbeits-/Ausbildungsvergütung

Der Mitarbeiter, der infolge Alkohol-konsums nicht ordnungsgemäß odergefahrlos arbeiten kann, verletzt seinearbeitsvertragliche Pflicht, dem Arbeit-geber seine Arbeitskraft ohne (al-koholbedingte) Einschränkung zurVerfügung zu stellen. Er verliert abFeststellung der alkoholbedingtenArbeits-/Arbeitsverhaltensdefizite zeit-anteilig seinen Anspruch auf Arbeits-vergütung (LAG Schleswig-Holstein28.11.1988 DB 1989, 630). Das Glei-che gilt für den Auszubildenden.

Es ist gleichgültig, ob der Mitarbeiteralkoholisiert zur Arbeit erscheint oderim Betrieb Alkohol trinkt. Art und Bran-che der Tätigkeit sind für die Beant-wortung der Frage entscheidend, mitwieviel Alkohol der Mitarbeiter zurArbeit kommen oder wieviel Alkohol erwährend der Arbeitszeit zu sich neh-men darf (siehe unter 1.3.2).

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Der Mitarbeiter/Auszubildende verliertseinen Anspruch auf Entgelt-/Ausbil-dungsvergütungsfortzahlung, falls ihnan der Arbeitsunfähigkeit ein Verschul-den trifft. Betriebliche oder außer-betriebliche Unfälle aufgrund eines vor-ausgegangenen Alkoholkonsums sindregelmäßig als verschuldet anzusehen.So hat ein Mitarbeiter, der einen Ver-kehrsunfall mit einer BAK von 2,7 ‰verursacht und deswegen arbeitsun-fähig krankgeschrieben wird, keinenAnspruch auf Entgeltfortzahlung (LAGDüsseldorf 18.5.1971 BB 1971, 1196).Die gesetzlichen Richtwerte von 0,5 ‰BAK für die relative und 1,1 ‰ BAK fürdie absolute Fahruntüchtigkeit gelteninsoweit auch im Rahmen des Arbeits-verhältnisses. Ein Verschulden trifft auchdie Mitarbeiterin, die nach dem Genussmehrerer Gläser Bier und Schnaps vonihrem Stuhl aufstehen will, stürzt undsich verletzt. Der Schuldvorwurf bestehtdarin, nicht rechtzeitig mit dem Trinkenaufgehört zu haben (BAG 11.3.1987NZA 1987, 452).

Der Arbeitgeber ist im Streitfall für dasVerschulden des Mitarbeiters an des-sen Arbeitsunfähigkeit darlegungs-und beweispflichtig. Er darf sich aufdie Regeln des Beweises des erstenAnscheins berufen (BAG 11.3.1987NZA 1987, 452). Dieser ist geführt,

wenn der Nachweis gelingt, dass beimUnfall Alkohol im Spiel gewesen ist,z.B. der Kraftfahrer vor Antritt der zueinem Verkehrsunfall und seiner Verlet-zung führenden Fahrt etwa einen LiterBier getrunken hat (LAG Rheinland-Pfalz 17.10.1980 DB 1981, 223). DerMitarbeiter muss dann darlegen undbeweisen, dass es auch ohne die Alko-holbeeinflussung zum Unfall gekom-men wäre.

Diese Grundsätze gelten gleicher-maßen für den alkoholabhängi-gen/alkoholsüchtigen Mitarbeiter(LAG Hessen 23.7.1997 DB 1998,782). Die Existenz einer Alkoholabhän-gigkeit schließt nicht automatisch einVerschulden des Mitarbeiters aus.Fährt ein Mitarbeiter, dem seine Abhän-gigkeit bekannt ist, morgens fahrtüchtigund nüchtern mit seinem PKW zurArbeit, trinkt dort im Übermaß Alkoholund benutzt anschließend mit einerBAK von 2,7 ‰ seinen PKW zur Heim-fahrt, bei der er infolge seiner Alkoholi-sierung einen Verkehrsunfall erleidetund sich verletzt, handelt er schuldhaft.Sein Verschulden besteht darin, seinFahrzeug für die Fahrt zur Arbeitsstellebenutzt und sich damit der ihmbekannten unbeherrschbaren Gefahrendes Alkohols ausgesetzt zu haben(BAG 30.3.1988 NZA 1988, 537).

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4.2 Ausfall der Entgelt-/Aus-bildungsvergütungsfortzahlung

4.2.1 Alkoholbedingte Unfälle

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Für die durch Alkoholabhängigkeit desMitarbeiters verursachte Arbeitsun-fähigkeit ist eine andere rechtlicheWertung maßgebend. Alkoholabhän-gigkeit liegt vor, wenn die Abhängig-keit derart zwanghaft ist, dass derBetroffene mit eigener Willensanstren-gung nicht mehr vom Alkoholloskommt. Entscheidend ist die psy-chische Abhängigkeit mit der Folgedes Verlustes der Selbstkontrolle undder Unfähigkeit zur Abstinenz (BAG9.4.1987 NZA 1987, 811). DieseAbhängigkeit ist eine Krankheit, diewie jede andere Erkrankung als nichtverschuldet zu behandeln ist. DerArbeitgeber muss im Einzelfall unterDarlegung konkreter Umstände einVerschulden des Mitarbeiters nachwei-sen. Ein Erfahrungssatz, dass Alkohol-abhängigkeit regelmäßig selbst ver-schuldet ist, wird nicht anerkannt (BAG7.8.1991 BB 1991, 2224).

Ein schuldhaftes Verhalten wird beieinem alkoholabhängigen Mitarbeiter

ausnahmsweise in den Fällen ange-nommen, in denen zusätzliche vor-werfbare Verhaltensweisen des Mit-arbeiters vorliegen. So ist ein schuld-haftes Verhalten gegeben, falls derMitarbeiter nach einer erfolgreichenEntziehungskur und fünfmonatigenAbstinenz rückfällig wird und dieeindringlichen Belehrungen über dieGefahren des Alkohols nicht beachtet(LAG Frankfurt 6.2.1991 LAGE § 1LohnFG Nr. 30; BAG 11.11.1987 DB1988, 402). Der Rückfällige muss aller-dings so wiederhergestellt und derWille zur Abstinenz soweit gefestigtsein, dass er sein Verhalten verant-wortungsbewusst steuern konnte(BAG 27.5.1992 EzA § 1 LohnFG Nr.123). Dazu ist er z.B. nicht in der Lage,soweit die Ursachen für die Alkoholab-hängigkeit in seiner Persönlichkeit lie-gen, u.a. erbliche Belastung, Geistes-störung, psychische Fehlentwicklungaufgrund belastender Kindheitserleb-nisse in Verbindung mit Hirnschädi-gungen, Milieuschädigungen.

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4.2.2 Alkoholabhängigkeit/Alkoholsucht

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Der Mitarbeiter darf sich durch Alkohol-konsum vor oder während der Arbeits-zeit bzw. -pausen nicht in einenZustand versetzen, in dem er seineArbeit nicht mehr ordnungsgemäß leis-ten kann (siehe unter 1.3.2). Verletztder Mitarbeiter diese arbeitsvertrag-liche Pflicht, darf er wegen alkohol-bedingter Schlecht-, Minder- oderNichtleistungen ohne Mitwirkung desBetriebsrats abgemahnt werden. Dastrifft auch bei einem Verstoß gegen dasbetriebliche Alkoholverbot zu. Einabmahnungsrelevantes Fehlverhaltenist ausnahmsweise bei einem außer-dienstlichen Alkoholkonsum gege-ben, falls dadurch die Arbeitsfähigkeitbeeinträchtigt wird, z.B. bei einemKraftfahrer, der nach einer Feier bis indie Morgenstunden alkoholisiert zurArbeit erscheint.

Eine vergebliche Abmahnung ist beieinem Verstoß gegen das betrieblicheAlkoholverbot oder bei alkoholbeding-

ten Schlecht-, Minder- oder Nichtleis-tungen vor Ausspruch einer verhal-tensbedingten Kündigung grund-sätzlich geboten (siehe unter 4.4.2.1).Lediglich in Sonderfällen ist die Ertei-lung einer Abmahnung entbehrlich,z.B. wenn der Mitarbeiter mit demAlkoholkonsum betriebserheblicheSicherheitsvorschriften zum Schutz fürLeib und Leben der Arbeitskollegensowie bedeutsamer Sachwerte vor-sätzlich missachtet oder wenn im Falleder Alkoholisierung von den ihm über-tragenen Aufgaben besondere Ge-fahren für die Arbeitskollegen oder Drit-te ausgehen (siehe unter 1.2).

Nach erfolgter Abmahnung bedarf eseines weiteren gleichgelagerten Ver-stoßes, um die Kündigung ausspre-chen zu können. Der übermäßigeAlkoholkonsum bildet nach richtigerAnsicht die Klammer, die alle auf denAlkoholmissbrauch beruhenden Fehl-verhaltensweisen verbindet.

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4.3 Abmahnung4.3.1 Alkoholbedingtes Fehlverhalten

4.3.2 Alkoholabhängigkeit/Alkoholsucht

Gegenstand einer Abmahnung kannnur die Verletzung arbeitsvertraglicherPflichten sein, sodass eine Abmah-nung wegen Alkoholabhängigkeit oderkrankheitsbedingter Ausfallzeiten infol-ge dieser Abhängigkeit ausscheidet.

Eine Krankheit stellt kein vertragswidri-ges Verhalten dar.

Andererseits schließt die Alkoholab-hängigkeit nicht stets ein abmahnba-res (schuldhaftes) Fehlverhalten aus.

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Eine Abmahnung darf ausgesprochenwerden, sofern der abhängige Mitar-beiter die ihm verbleibende Entschei-dungsfreiheit nicht nutzt und esdadurch zu alkoholbedingten Pflicht-verletzungen kommt. Ist der Betroffenez.B. in der Lage, seinen Alkoholkon-sum zu steuern, indem er zu Hausekeinen und nur außerhalb u.a. imBetrieb Alkohol zu sich nimmt oder

rechtzeitig vor Arbeitsbeginn mit demAlkoholkonsum aufzuhören, handelt erschuldhaft, falls er gegen ein betriebli-ches Alkoholverbot verstößt oder alko-holbedingte Vertragsverstöße begeht(LAG Köln 11.9.1987 LAGE § 1 KSchGVerhaltensbedingte Kündigung Nr. 14;BAG 30.9.1993 EzA § 626 BGB n.F.Nr. 152).

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4.4 Kündigung4.4.1 Außerdienstlicher Alkoholkonsum

Der außerdienstliche Alkoholkonsumist grundsätzlich Sache des Mitarbei-ters. Er berührt nur ausnahmsweise dieberechtigten Interessen des Arbeitge-bers und kann nur in diesen Sonderfäl-len eine Kündigung rechtfertigen (BAG4.6.1997 BB 1998, 109). So kann derArbeitsvertrag eines als Kraftfahrertätigen Mitarbeiters gekündigt werden,dem die Fahrerlaubnis wegen einerprivaten Trunkenheitsfahrt entzogenwird und für den keine andere Einsatz-möglichkeit im Betrieb besteht (BAG30.5.1978 DB 1978, 1790). Das trifftebenfalls für den Arbeitsvertrag desMitarbeiters zu, der infolge außer-dienstlichen Alkoholkonsums wieder-

holt angetrunken bzw. betrunken zurArbeit erscheint und damit gegen einbetriebliches Alkoholverbot verstößt(LAG Hamm 11.11.1996 LAGE § 1KSchG Verhaltensbedingte KündigungNr. 56; BAG 26.1.1995 NZA 1995,517) oder deswegen nicht in der Lageist, seine Arbeitsleistungen ordnungs-gemäß zu erbringen.

Der Berufskraftfahrer, dessen Arbeits-vertrag wegen Verlustes der Fahr-erlaubnis infolge Trunkenheitsfahrtgekündigt wird, hat die Verhängungeiner Sperrzeit nach § 144 SGB III zuerwarten (Bay LSG 25.9.1984 NZA1985, 608).

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Der Arbeitsvertrag darf wegen über-mäßigen Alkoholkonsums oder alko-holbedingter Ausfallzeiten aus verhal-tensbedingten Gründen (schuldhafteVerstöße gegen betriebliches Alkohol-verbot oder schuldhafte Schlecht-,Minder- oder Nichtleistungen infolgeAlkoholkonsums) oder aus personen-bedingten Gründen (Alkoholab-hängigkeit/Alkoholsucht) gekündigtwerden. Es ist in jedem Einzelfall abzu-grenzen, ob verhaltensbedingte Grün-de vorliegen oder die Maßstäbe einerpersonenbedingten Kündigung ausKrankheitsgründen anzuwenden sind(BAG 26.1.1995 NZA 1995, 517). Inder praktischen Handhabung beste-hen insoweit Unsicherheiten, wie fürden Arbeitgeber oft nicht zu erkennenist, ob dem Fehlverhalten eine Alkohol-abhängigkeit zugrunde liegt. Für dieAbgrenzung dürfte es darauf ankom-men, ob das vertragswidrige Verhaltendes Mitarbeiters (z.B. Schlechtleistung,

Streit mit Arbeitskollegen) durch einevorhandene Alkoholabhängigkeit be-günstigt wird oder ob diese selbst dasArbeitsverhältnis belastet (Fall wieder-holter Ausfälle infolge dieser Krank-heit). Besteht auf Seiten des Betroffe-nen noch die Einsichtsfähigkeit in dieVertragswidrigkeit und ist von einemsteuerbaren Verhalten auszugehen,kann eine verhaltensbedingte Kündi-gung begründet sein (LAG Köln11.9.1987 LAGE § 1 KSchG Verhal-tensbedingte Kündigung Nr. 14; LAGSaarland 12.12.1992 LAGE § 626BGB Nr. 65). Die Existenz einer Alko-holabhängigkeit schließt nicht zwangs-läufig ein Verschulden des Mitarbeitersaus (BAG 30.9.1993 EzA § 626 BGBn.F. Nr. 152). Der Arbeitgeber ist fürdie Einsichtsfähigkeit und die Steuer-barkeit des Fehlverhaltens des alkohol-abhängigen Mitarbeiters darlegungs-und beweispflichtig (LAG Saarland12.12.1992 a.a.0.).

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4.4.2 Alkoholkonsum während der Arbeitszeit

4.4.2.1 Verhaltensbedingte KündigungBesteht ein betriebliches Alkoholver-bot, kann ein wiederholter Verstoßgegen das Verbot eine außerordentli-che oder ordentlich Kündigung desArbeitsvertrags rechtfertigen (LAG Köln11.9.1987 LAGE § 1 KSchG Verhal-tensbedingte Kündigung Nr. 14; LAGHamm 11.11.1996 LAGE § 1 KSchGVerhaltensbedingte Kündigung Nr. 56;

BAG 26.1.1995 NZA 1995, 517). Es istgleichgültig, ob der Mitarbeiter alko-holisiert zur Arbeit erscheint oder imBetrieb Alkohol trinkt (LAG Hamm11.11.1996 a.a.0.; BAG 26.1.1995a.a.0.). Zu konkreten Störungen imbetrieblichen Ablauf muss es nichtkommen (LAG Köln 11.9.1987 a.a.0.;LAG Hamm 15.12.1989 LAGE § 1

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KSchG Verhaltensbedingte KündigungNr. 26).

Besteht kein betriebliches Alkoholver-bot, rechtfertigt der bloße Alkohol-konsum allein regelmäßig keine Kündi-gung des Arbeitsvertrags. Es muss einübermäßiger Alkoholkonsum vorlie-gen. Der Mitarbeiter darf aufgrund desKonsums nicht mehr in der Lage sein,seine Arbeitspflichten mit der gleichenSorgfalt zu erledigen wie ein Arbeits-kollege, der keinen Alkohol getrunkenhat. Die Menge des genossenen Alko-hols ist nicht quantifizierbar (sieheunter 1.3.2). Etwas anderes gilt in denFällen, in denen der Verzicht auf denAlkoholkonsum in alkoholsensiblenund sicherheitsrelevanten Bereichenarbeitsnotwendig ist. Es muss auf-grund des übermäßigen Alkoholkon-sums zu arbeitsvertraglichen Pflicht-verletzungen, insbesondere Schlecht-,Minder- oder Nichtleistungen kommen.

Der Mitarbeiter muss grundsätzlich vorAusspruch der Kündigung abge-mahnt werden (siehe unter 4.3.1).

Vor Ausspruch der verhaltensbeding-ten Kündigung soll nach der abzuleh-nenden höchstrichterlichen Rechtspre-chung (BAG 22.7.1982 DB 1983, 180)geprüft werden, ob der Mitarbeiter aneinem anderen zumutbaren freienArbeitsplatz im Betrieb beschäftigtwerden kann. Die Probleme des Ver-stoßes gegen ein Alkoholverbot sowieder alkoholbedingten Vertragsverlet-zungen sind durch eine Versetzungnormalerweise nicht zu lösen.

Vor Kündigungsausspruch sind stetsdie Kündigungsinteressen des Arbeit-gebers gegen das Bestandsschutzin-teresse des Mitarbeiters abzuwägen(BAG 30.9.1993 EzA § 626 BGB n.F.Nr. 152).

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4.4.2.2 Personenbedingte KündigungBeruht der wiederholte zu Vertragsver-letzungen führende Alkoholmissbrauchauf der Alkoholabhängigkeit/Alkohol-sucht des Mitarbeiters, sind an sichpersonen- und verhaltensbedingteEntlassungsgründe nebeneinandervon kündigungsrechtlicher Bedeutung(siehe unter 4.4.2). Es wird unter Beru-fung auf ein Urteil des BAG (9.4.1987NZA 1987, 811) die Meinung vertreten,wegen suchtbedingt fehlenden Ver-schuldens bei den arbeitsvertraglichenPflichtverletzungen sei eine verhaltens-

bedingte Kündigung stets ausge-schlossen. Es komme allein eine per-sonenbedingte Entlassung in Be-tracht. Diese Ansicht ist abzulehnen.Das Gericht hat sie in dieser Aus-schließlichkeit nicht vertreten. Es ist für das BAG selbstverständlich, dassder nüchterne Alkoholabhängigeschuldhaft handeln kann (BAG30.9.1993 EzA § 626 BGB n.F. Nr.152). Es ist der Beurteilung des Einzel-falls zu überlassen, ob der Mitarbeiteraufgrund seiner Alkoholabhängigkeit in

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der Lage ist, sein Verhalten im Sinneeiner Vorwerfbarkeit oder eines Ver-schuldens zu steuern (siehe unter4.3.2).

Soll der Arbeitsvertrag gekündigt wer-den, weil die Alkoholabhängigkeitselbst das Arbeitsverhältnis wegenwiederholter (alkohol-)krankheitsbe-dingter Ausfälle belastet, kommt einepersonenbedingte Kündigung inBetracht. Die Regeln der Kündigungwegen Krankheit sind anzuwenden.Die Alkoholabhängigkeit kann jeweilsnach Grad und Schwere der Erkran-kung sowie der dadurch verursachtenbetrieblichen Störungen und wirt-schaftlichen Belastungen wie jedeandere Erkrankung den Aussprucheiner ordentlichen Kündigung rechtfer-

tigen. Die Therapiebereitschaft desMitarbeiters ist von zentraler Bedeu-tung. Ist er im Zeitpunkt der Kündi-gung nicht bereit, sich einer Entzie-hungskur zu unterwerfen, kann davonausgegangen werden, dass er von der Alkoholabhängigkeit/-krankheit inabsehbarer Zeit nicht geheilt wird. DieNegativprognose, die die Kündigunglegitimiert, ist damit gegeben (BAG9.4.1987 NZA 1987, 811). Es bedarfabschließend einer umfassendenInteressenabwägung, in die allebetrieblichen Umstände und die Belan-ge des Mitarbeiters an der Erhaltungdes Arbeitsplatzes einzubeziehen sind.Wird der Mitarbeiter nach einer ab-geschlossenen Therapie rückfällig,spricht dies eher für den Aussprucheiner Kündigung.

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4.5 Unfallversicherung

Grundsätzliche Voraussetzung für dieAnnahme eines Arbeitsunfalls (§ 8 SGB III) zur Begründung der Leis-tungspflicht des Unfallversicherungs-trägers (BG) ist die Bindung an denBetrieb oder das Bestehen eines

inneren Zusammenhangs zwischender eigentlichen Arbeitstätigkeit undder unfallverursachenden Tätigkeit.Diese Bindung oder dieser Zusam-menhang kann durch Alkoholkonsumgelöst werden.

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Der Mitarbeiter darf sich hinsichtlichseiner konkret zum Unfall führendenTätigkeit vom Betrieb nicht gelösthaben. Eine solche Lösung liegt stetsvor, falls der Mitarbeiter infolge Alkohol-konsums außerhalb oder innerhalb derArbeitszeit seine Fähigkeit zur geschul-deten Arbeitsleistung zum Unfallzeit-punkt derart beeinträchtigt hat, dassjederzeit mit hoher Wahrscheinlich-

keit damit zu rechnen ist, er werde diewesentlichen Arbeitsvorgänge der ver-sicherten Arbeitstätigkeit nicht mehrbewältigen können. Diese Vorausset-zungen sind bei einer – individuell fest-zustellenden – Volltrunkenheit desMitarbeiters regelmäßig gegeben. DerMitarbeiter und seine Familienan-gehörigen erhalten keinerlei Leistungender BG.

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4.5.1 Unfall im Betrieb

4.5.1.1 Leistungsausfall

4.5.1.2 Leistungsabfall

Während der Leistungsausfall üblicher-weise auf einem schweren Grad derAlkoholisierung beruht, genügt für denLeistungsabfall ein minderer Grad derAlkoholisierung. Von einem Leistungs-abfall ist auszugehen, wenn der alko-holisierte Mitarbeiter noch imstande ist, im Rahmen der ihm obliegendengewöhnlichen Tätigkeit eine ernsthafteArbeit zu leisten. Ihm bleibt der Versi-cherungsschutz grundsätzlich erhal-ten. Etwas anderes gilt nur, falls derinnere Zusammenhang zwischen dereigentlichen Arbeitstätigkeit und derunfallverursachenden Tätigkeit fehlt.Insoweit ist entscheidend, ob der ver-unglückte Mitarbeiter Alkohol getrun-ken, dieser Alkoholkonsum tatsächlichzu einem Leistungsabfall bei ihmgeführt hat und ob für den Unfall ge-rade ein auf dem vorangegangenen

Alkoholkonsum beruhendes Fehlver-halten gegenüber etwaigen betriebs-bedingten Umständen eindeutig domi-nierend ursächlich gewesen ist (BSG30.4.1991 NZA 1992, 93). Alkoholbe-dingtes Fehlverhalten wird als alleinwesentliche Ursache angesehen,wenn der verunglückte Mitarbeiternach den Erfahrungen des täglichenLebens ohne Alkoholeinfluss bei sonstidentischen Voraussetzungen wahr-scheinlich nicht verunglückt wäre (BSG17.2.1998 BB 1998, 2319). Das Fehl-verhalten muss für einen unter Alko-holeinfluss Stehenden gerade typischsein und darf nicht ebensogut an-dere Ursachen haben, z.B. Unauf-merksamkeit, Leichtsinn, Übermü-dung, schlechte körperliche Verfas-sung (BSG 30.4.1991 a.a.0.). Wird ein alkoholtypisches Fehlverhalten als

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dominierende Unfallursache festge-stellt, ist der betroffene Mitarbeiter beiGelegenheit einer versicherten Tätig-

keit verunglückt. Der Schutz der Unfall-versicherung greift für ihn und seineFamilienangehörigen nicht ein.

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4.5.2 WegeunfallDer Unfall, den der Mitarbeiter aufeinem mit seiner betrieblichen Tätigkeitzusammenhängenden Weg nach undvom Ort der Tätigkeit erleidet, gilt nach§ 8 Abs. 2 SGB VII als Arbeitsunfall.Der Wegeunfall in Verbindung mit Alko-

holkonsum spielt in erster Linie beiFahrern von LKW, PKW, Motorrad,Moped, Mofa eine Rolle. Für sie gel-ten grundsätzlich die gleichen Wer-tungen.

4.5.2.1 Absolute FahruntüchtigkeitDie auf Alkoholkonsum zurückzu-führende absolute Fahruntüchtigkeitdes Kraftfahrers schließt den Schutzder gesetzlichen Unfallversicherunggrundsätzlich aus. Absolute Fahr-untüchtigkeit liegt vor, falls die BAKzur Unfallzeit mindestens 1,1 ‰

beträgt. Bei einer BAK mit diesem Wertwird zugleich angenommen, dass derAlkoholkonsum regelmäßig die recht-lich allein wesentliche Ursache desUnfalls ist (BSG 17.2.1998 BB 1998,2319).

4.5.2.2 Relative Fahruntüchtigkeit

Der Unfallversicherungsschutz kannbei relativer Fahruntüchtigkeit – BAKunter 1,1 ‰ zum Unfallzeitpunkt – ent-fallen, sofern neben der festgestelltenBAK weitere Indizien den Schluss aufeine tatsächlich bestehende Fahr-untüchtigkeit zuverlässig erlauben,z.B. Verhalten des Mitarbeiters vor undnach dem Unfall, seine Fahrweise undReaktionen, zum Unfall führende Ver-

kehrslage. Weiterhin ist entscheidend,ob sich eine Ausfallerscheinung desMitarbeiters feststellen lässt, die typi-scherweise ihren Grund gerade imAlkoholkonsum hat, und ob allein dieseAusfallerscheinung den Mitarbeiter indie unfallbringende Verkehrssituationverwickelt hat, die er in nüchternemZustand beherrscht hätte.

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Radfahrer werden grundsätzlich wieKraftfahrer behandelt. Der festeGrenzwert für absolute Fahruntüchtig-keit beträgt bei ihnen 1,5 ‰/ 1,6 ‰BAK.

Für Fußgänger gibt es keinen ver-bindlichen Grenzwert, bei dessenÜberschreitung von Volltrunkenheitauszugehen wäre. Es kommt auf dieindividuelle Alkoholverträglichkeit an.

Der nüchterne Arbeitskollege, der inKenntnis der Volltrunkenheit des Fah-rers zusteigt und mitfährt, muss mitdem Verlust des gesetzlichen Unfall-versicherungsschutzes für den Falleines Verkehrsunfalls rechnen. Er ver-stößt grob gegen das im eigenen Inter-esse zu beachtende Verhalten. Dervolltrunkene Beifahrer steht regel-mäßig nicht unter dem Schutz dergesetzlichen Unfallversicherung.

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4.5.2.3 Radfahrer/Fußgänger/Beifahrer

4.6 Haftung des Mitarbeiters4.6.1 Eigener Schaden

Der Mitarbeiter, der im alkoholisiertenZustand einen Unfall im Betrieb odereinen Wegeunfall verursacht, kann fürseinen dabei entstehenden Personen-und/oder Sachschaden grundsätzlichvon niemandem Ersatz verlangen.Etwas anderes gilt ausnahmsweise,wenn der Vorgesetzte seine dem alko-

holisierten Mitarbeiter gegenüberbestehende Fürsorgepflicht verletzt(siehe unter 2.1). Der Arbeitgeber bzw.der Vorgesetzte haften für die Schä-den, die infolge der Fürsorgepflichtver-letzung entstehen.

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Verletzt der alkoholisierte Mitarbeiter imBetrieb einen Arbeitskollegen oderbeschädigt er dessen Sachen, ohnedass seine Handlung in einem sachli-chen Zusammenhang mit seinerbetrieblichen Tätigkeit steht, ist er demArbeitskollegen nach §§ 823, 847BGB zum Ersatz des Personen- undSachschadens sowie zur Leistung vonSchmerzensgeld verpflichtet. Handeltes sich um eine betriebliche Tätigkeitdes alkoholisierten Mitarbeiters, durchdie er den Unfall herbeiführt, kommt

dem Mitarbeiter das Haftungsprivilegdes § 104 SGB VII zugute. Eine Haf-tung kommt nur bei vorsätzlicher Her-beiführung des Unfalls in Betracht. Esist jeweils zu prüfen, ob tatsächlichnoch eine betriebliche Tätigkeit vorge-legen hat oder ob es aufgrund desAlkoholkonsums zu einer Lösung vomBetrieb gekommen ist (siehe unter4.5.1.1). Für den letzteren Fall haftetder alkoholisierte Mitarbeiter nach denallgemeinen zivilrechtlichen Schadens-grundsätzen.

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4.6.2 Gegenüber Arbeitskollegen

4.6.3 Gegenüber Arbeitgeber

Der alkoholisierte Mitarbeiter hat demArbeitgeber die Kosten zu erstatten,die infolge der Sicherungsmaßnah-men entstehen (siehe unter 3.). FürSchäden an Arbeitsgeräten sowieBetriebseinrichtungen, die der Mit-arbeiter unter Alkoholeinfluss verur-

sacht, und wegen Arbeitsfehlernkann der Arbeitgeber Ersatz verlan-gen. Dazu kann bei einer Trunken-heitsfahrt der Vermögensschadenzählen, der dem Arbeitgeber durchdie Erhöhung der Haftpflichtver-sicherungsprämien entsteht.

4.6.4 Gegenüber Fremden

Verletzt der alkoholisierte Mitarbeitereinen im Betrieb anwesenden Frem-den, haftet er grundsätzlich für dessenKörper- und Sachschäden nach allge-meinen zivilrechtlichen Grundsätzengemäß §§ 823, 847 BGB. Kommt eszu einem vom Mitarbeiter alkoholbe-dingt verursachten Verkehrsunfall miteinem Privatfahrzeug, haftet er demFremden gemäß §§ 7, 18 StVG bzw.§§ 823 ff. BGB auf Schadensersatz.

Verursacht der alkoholisierte Mitarbei-ter den Verkehrsunfall mit einem Fir-menfahrzeug, haftet der Arbeitgeberals Halter dem Fremden gemäß § 7 StVG. Daneben haftet der Mit-arbeiter als Fahrzeugführer gemäß § 18 StVG, ohne sich auf besonderearbeitsrechtliche Haftungserleichterun-gen berufen zu können. Ferner haftetdie Kfz-Haftpflichtversicherung desHalters.

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Der alkoholisierte Mitarbeiter, der imBetrieb oder bei einem Wegeunfalleiner dritten Person einen Körper-oder Sachschaden zufügt oder derenTod herbeiführt, hat mit einer Bestra-fung wegen fahrlässiger Körperver-letzung (§ 230 StGB) bzw. fahrlässi-ger Tötung (§ 222 StGB) zu rechnen,wenn von einer vorsätzlichen Bege-hung abgesehen wird. Bei Führeneines Kraftfahrzeugs kann eine Bestra-

fung wegen Trunkenheit im Verkehr(§ 316 StGB; regelmäßig bei einer BAKab 1,1 ‰) oder eine Ahndung als Ord-nungswidrigkeit (§ 24 a StVG: bei einerBAK von 0,5 ‰ bis 1,09 ‰) hinzu-kommen. In den letzteren Fällen mussmit der Entziehung der Fahrerlaubnis(§ 69 StGB) und/oder dem Aussprucheines befristeten Fahrverbots (§ 44StGB bzw. § 25 StVG) gerechnet werden.

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4.7 Strafrechtliche Konsequenzen

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Notizen

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Notizen

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