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NH 82 56 Jurorin beim Filmfestival Türkei/Deutschland 2007: die Schau- spielerin Sibel Kekilli, bekannt aus dem Filmdrama „Gegen die Wand“ (rechts). Festivalchef Adil Kaya (oben) eröffnet die interkul- turellen Filmfest- spiele, die den Filmschaffenden will- kommene Gelegen- heit zum Austausch bieten (rechts). Text Inge Rauh · Fotos Bernd Böhner Kino ohne Grenzen Interkulturelle Filmfestivals

Text Inge Rauh · Fotos Bernd Böhner Kino ohne Grenzen · 2009. 11. 13. · Text Inge Rauh · Fotos Bernd Böhner Kino ohne Grenzen Interkulturelle Filmfestivals 07_ Kino 10.05.2007

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Jurorin beim FilmfestivalTürkei/Deutschland2007: die Schau-spielerin Sibel Kekilli,bekannt aus demFilmdrama „Gegendie Wand“ (rechts).

Festivalchef Adil Kaya (oben)eröffnet die interkul-turellen Filmfest-spiele, die den Filmschaffenden will-kommene Gelegen-heit zum Austauschbieten (rechts).

Text Inge Rauh · Fotos Bernd Böhner

Kino ohne GrenzenInterkulturelle Filmfestivals

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Ein Autogramm vom Star:Ehrengast MarioAdorf erfreut eineFestivalbesucherin.

Unauffällig und angeregt plaudernd sitzt Sibel Kekilliinmitten ihrer Kollegen. Sie findet es großartig, alsJurorin beim Dokumentarfilm-Wettbewerb dabei zusein, „da lernt man eine ganze Menge“. Die apartejunge Schauspielerin, die mit ihrer Rolle in Fatih AkinsBerliner Szene-Drama „Gegen die Wand“ auf Anhiebbekannt wurde, agiert auch gern hinter den Kulissen.„Ich bin der Typ fürs Kunst-Kino“, erklärt sie und fühltsich gut aufgehoben beim Nürnberger FilmfestivalTürkei/Deutschland, das sich zum wichtigen Treff-punkt der Cineasten beider Länder entwickelt hat.Seit Jahren wird hier ein Kultur-Dialog gepflegt, derunerlässliche Voraussetzung ist für den geschärftenBlick auf eine jeweils andere Tradition und auf ande-re gesellschaftliche Verhältnisse. Grenzüberschreitendsollen die Filme wirken, die in Nürnberg zur Auswahlstehen, und dabei sind interessante Strömungen zubeobachten.

Denn das jedes Jahr im März veranstaltete Festivalzieht auch junge türkische Regisseure an, die inDeutschland aufgewachsen sind und ihren eigenenStil fanden. Sie greifen Themen der Integration undMigration in handfesten Geschichten auf, scheuenwie Fatih Akin keine Provokation und rütteln an derWeltsicht der Elterngeneration – auf beiden Seiten.Züli Aladag zum Beispiel zeigte in Nürnberg sein um-strittenes, mehrfach ausgezeichnetes Drama „Wut“über den 14-jährigen Felix, der in die Fänge einer tür-kischen Gang gerät. Da ist es rasch vorbei mit der all-seits gepredigten Toleranz, der Ton wird feindselig,die Auseinandersetzung gewalttätig.

Hier setzt der „interkulturelle Dialog“ an, den dasNürnberger Festival von Jahr zu Jahr vertiefen will. MitErfolg haben die Organisatoren ihr Gesprächspodiumausgebaut und namhafte Künstler aus der Türkei ge-

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wonnen, die gern kommen und die offeneAtmosphäre zu schätzen wissen. Man trifft sich hiermanchmal leichter als in Istanbul oder Ankara, küm-mert sich nicht um irgendwelchen Glamour, sondernwill sich einfach austauschen, Filme sehen undabends in der Lounge beieinander sitzen. Konkur-renzgedanken kommen gar nicht erst auf, auch wenndie künstlerische Konkurrenz im Wettbewerb natür-lich immer als Herausforderung bestehen bleibt.

Ugur Yücel ist in der Türkei ein beliebter Komödiant,der inzwischen neue Wege geht. Er war dieses JahrGast bei der Festival-Eröffnung und führte vor, wie erjetzt neben der Schauspielerei im Regiefach reüssiert.In der von ihm inszenierten Lovestory „Die Frau mei-nes Lebens“ tritt er mit der türkischen Diva TürkanSoray auf: „Ich mag diese kleinen Filme, sie geben mirdie Chance, mich auszuprobieren“, erzählt Yücel, derdie türkische Kino-Branche im Aufwind sieht. Denndie Gesellschaft öffne sich, lasse Themen zu, die lan-ge tabu waren. „Das spiegelt sich natürlich auch inden Geschichten, die unsere Regisseure auf derLeinwand zeigen.“

Man kann also in der Nische, die sich in Nürnberg fürein bestimmtes Spektrum der Filmlandschaft auftut,eine Menge erfahren über die Szene im anderenLand. Umgekehrt dürfen die Veranstalter mitFestivaldirektor Adil Kaya an der Spitze die deutschenPartner noch animieren. Im Spielfilm-Wettbewerbkonkurrieren etablierte Namen mit den Newcomern,deutscher Nachwuchs mit künstlerisch ausgereiftenWerken aus der Türkei. Für die Jury wird's dann im-mer spannend, doch sie findet – wie diesmal – zu gu-ten Entscheidungen. Zeki Demirkubuz, der mit

Szenenfoto aus demprämiierten Spielfilm„Kader“/„Schicksal“(oben).Adil Kaya mitSchauspielerinMirjana Karnovic,Regisseur Ugur Yücelund ProgrammchefinAyten Akyrldiz(unten, von linksnach rechts).

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„Schicksal“, einem düsteren Beziehungskrimi ausIstanbul, schon in Antalya ausgezeichnet wurde, ge-wann auch den Nürnberger Festival-Preis. Beim Finaleentstand jenes spontane Wir-Gefühl, das ein Kinofestmit Publikumsnähe braucht. Dafür hat die Stadt nuneinen festen Haushaltsposten eingerichtet, wobei oh-ne Sponsoren gar nichts geht. Die Robert-Bosch-Stif-tung leistete bisher überlebenswichtige Finanzhilfe,ein deutsch-türkischer Freundeskreis mit NürnbergsOberbürgermeister Ulrich Maly ist aktiv und achtetauch auf den repräsentativen Rahmen.

Schließlich möchte die Kino-Szene feiern, beiEmpfängen, kleinen Meetings und Promi-Partys. Dasstimmigste Ambiente fand Ehrengast Mario Adorfvor, der so stilvoll zum italienischen Bufett gebetenwurde, als sei er noch einmal in Helmut Dietls„Rossini“ zurückgekehrt. Fernsehkameras, Foto-grafen, der Star lächelnd im Gewühl: So stellt mansich die Filmwelt vor. Nürnberg, nicht gerade ver-wöhnt mit Glanz dieser Art, könnte sich da in Zukunftdank des türkisch-deutschen Dialogs noch mehr her-vor tun. Zumal Mario Adorf mit seiner internationa-len Karriere daran erinnert, dass das Kino keineGrenzen kennt und offene Begegnungen mitFremden während der Arbeit am Filmset selbstver-ständlich sind.

Regisseur Zeki Demirkubuz gewinnt den Spielfilmwettbewerb mit„Kader“ / „Schicksal“ (oben). Sehen und gesehen werden: Gästedes Filmfestivals Türkei/Deutschland (rechts), darunter der Haupt-darsteller des Spielfilms „Kader”, Ufuk Bayraktar (unten).

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Die Begegnung mit Fremden ist Teil des Programms,das sich Nürnberg als Stadt der Menschenrechte vor-genommen hat. Das Medium Film transportiert dieIdeen und es regt auch ganz unkonventionelleDebatten an, die den Sonntagsredner-Rahmen spren-gen. Weil das Thema Menschenrechte in der Theorieleicht vertretbar, in der Praxis aber nicht so leicht um-setzbar ist, kommt die Dynamik des Kinos geraderecht. Nicht umsonst hat sich „Perspektive“, dasFilmfestival für Menschenrechte, als zweiter cineasti-scher Schwerpunkt etabliert. Es findet im zweijähri-

gen Turnus Anfang Oktober jeweils im Anschluss andie Verleihung des Internationalen NürnbergerMenschenrechtspreises statt und gewinnt zuneh-mend an Renommee. Nie zuvor gab es so vieleEinreichungen für die Sektionen im Spielfilm-,Dokumentar- und Animationsbereich wie 2007: DieAuswahl dürfte spannend werden.

Frischen Wind bringt auch die neue Festival-LeiterinAndrea Kuhn für „Perspektive“ mit. Sie hat bisher inErlangen höchst erfolgreich die StummFilmMusikTageorganisiert und dafür viel Publikum mobilisiert. AufsMobilisieren wird es bei dem Thema künftig immermehr ankommen, das weiß die 35-jährige Film-wissenschaftlerin. Deshalb strebt sie eine stärkereZusammenarbeit mit anderen Festivals an. DasHuman Rights Film Network, ein internationalerVerbund von 23 Filmfestivals in 17 Ländern, bietet da-für alle Voraussetzungen. Mit spröder Aufklärungs-

arbeit lässt sich im medialen Zeitalter wenig ausrich-ten: „Perspektive“ zielt auf die Vielfalt der künstle-risch aufbereiteten Auseinandersetzung mit denMenschenrechten.Dazu gehört ein schönes, zu-kunftsorientiertes Projekt namens „Open Eyes“, dassich in Schulvorstellungen speziell an Jugendlichewendet. Eine Jury aus Nürnberger Schülerinnen undSchülern vergibt einen eigenen Preis und intensiviertbeim Auswählen der Filme das Gefühl für universel-

Gespannte Aufmerk-samkeit herrscht imKinosaal bei derVorführung derWettbewerbsfilme.

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le Wertvorstellungen, die weder an verschiedeneKulturen, noch an verschiedene Ethnien undGesellschaftsformen gebunden sind. In „Perspektive“steckt nach Andrea Kuhns Meinung noch vielAusbaupotenzial, das sie auch für die Außenwirkungnutzen will. Dabei ist ein prominenter Name immerhilfreich. Zuletzt hatten der politisch engagierteMichael Verhoeven („Die weiße Rose“) und dieSchauspielerin Katja Riemann die Schirmherrschaftfür das Festival übernommen, jetzt wünschen sich dieOrganisatoren den englischen Regisseur Ken Loach.Er ist für sein sozialkritisches Werk berühmt und zeig-te, dass die Menschenrechtsprobleme vor der eige-nen Haustür beginnen.

Renate Schmidt, ehemalige Bundesfamilienminis-terin, wies „Perspektive“ einen hervorragenden Platzzu: „Dieses Festival ist deshalb so wichtig, weil es Mutmacht, zu widerstehen und Hilfe zu leisten . . . Weiles auffordert, sich mit der Geschichte des eigenenVolkes auseinander zu setzen“. Die Zuschauer sindeingeladen, auf Bildungsreise zu gehen und dabeianrührendes, aufwühlendes und packendes Kino zusehen. Total ohne Glamour-Faktor, aber verhaftet inder Wirklichkeit. ■

Zum Auftakt des Menschenrechts-Filmfestivals „Perspektive“ gibt es Open-Air-Kino auf dem Klarissenplatz (oben). Foto: Johannes Meyer

Schirmherr der „Perspektive“ im Jahr 2005: Der Regisseur Michael Verhoeven mit seiner Ehefrau, Schauspielerin Senta Berger (unten). Foto: Helmut Feil

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