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SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Josef Braml USA: Zwischen Rechtsschutz und Staatsschutz Einschrnkung persnlicher Freiheitsrechte S 5 Februar 2003 Berlin

USA: Zwischen Rechtsschutz und Staatsschutz · 2015-11-27 · Auswirkungen des 11. September auf die Gesellschaft der Vereinigten Staaten SWP-Berlin USA: Zwischen Rechtsschutz und

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SWP-StudieStiftung Wissenschaft und PolitikDeutsches Institut für InternationalePolitik und Sicherheit

Josef Braml

USA: ZwischenRechtsschutz undStaatsschutzEinschränkung persönlicher Freiheitsrechte

S 5Februar 2003Berlin

Nachweis in öffentlichzugänglichen Datenbankennicht gestattet.Abdruck oder vergleichbareVerwendung von Arbeitender Stiftung Wissenschaftund Politik ist auch in Aus-zügen nur mit vorherigerschriftlicher Genehmigunggestattet.

© Stiftung Wissenschaft undPolitik, 2003

SWPStiftung Wissenschaft undPolitikDeutsches Institut fürInternationale Politik undSicherheit

Ludwigkirchplatz 3−410719 BerlinTelefon +49 30 880 07-0Fax +49 30 880 [email protected]

Inhalt

Problemstellung und Schlußfolgerungen 5

Auswirkungen des 11. September auf dieGesellschaft der Vereinigten Staaten 7Vertrauen in die Regierung 8Präsidentielle Regierung 9Schutzbedürfnis der Amerikaner 13

Einschränkung persönlicher Freiheitsrechte 16Outlaws � der Status der gefangenen Taliban- undAl-Qaida-Kämpfer 16Einrichtung von Militärtribunalen durchexecutive order des Präsidenten 17Festnahme und »Vorbeugehaft«verdächtiger Ausländer 20Ausländische Studenten muslimischer Herkunftunter Generalverdacht 22

Vom Rechtsstaat zum Sicherheitsstaat? 25

Gewaltenkontrolle zum Schutz des einzelnen 27Judikative 27Legislative 27

Ausblick � A changing world view? 31

Abkürzungen 32

SWP-BerlinUSA: Zwischen Rechtsschutz

und StaatsschutzFebruar 2003

5

Problemstellung und Schlußfolgerungen

USA: Zwischen Rechtsschutz und Staatsschutz.Einschränkung persönlicher Freiheitsrechte

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001gewinnt in den Vereinigten Staaten der Schutz desStaates an Bedeutung gegenüber dem Schutz derindividuellen Freiheit. Eine Untersuchung der verän-derten innenpolitischen Rahmenbedingungen undeinzelner Problembereiche � der Status der gefan-genen Taliban- und Al-Qaida-Kämpfer, die Einrichtungvon Militärtribunalen, die Festnahme verdächtigerAusländer und deren »Vorbeugehaft« sowie die Ver-schärfung der Einreisebestimmungen und die allge-meine Stigmatisierung ausländischer Studentenmuslimischer Herkunft � liefert zahlreiche Indiziendafür, daß sich auf amerikanischer Seite ein proble-matisches nationales wie internationales Rechts-verständnis herausbildet.

Ungeachtet der verfassungsrechtlichen due process-bzw. equal protection-Bestimmungen, nach denendie individuellen Freiheitsrechte »jeder Person« zuschützen sind, genießen die sich in den VereinigtenStaaten aufhaltenden Ausländer nach Meinung derBush-Administration grundsätzlich nicht den gleichenRechtsschutz wie die amerikanischen Staatsbürger.Wenn sie als mutmaßliche Terroristen taxiert sind,haben sie zudem auch noch diesen »minderen An-spruch« verwirkt. Die Entscheidung, wer welcheRechte »verdient«, wird a priori von der Exekutivegetroffen, eine Ex-post-Überprüfung durch einejuristische Kontrollinstanz ist nicht möglich. Nichtwenige Beobachter sehen darin von der verfassungs-rechtlichen Warte aus einen gewagten Balanceakt,der die im politischen System der Vereinigten Staatenfest verankerten Prinzipien der checks and balances aus-zuhebeln droht.

Neben zahlreichen speziÞschen Verfassungs-prinzipien hat das Grundprinzip der konkurrieren-den, sich gegenseitig kontrollierenden Staatsgewalteneine besondere Bedeutung für die Sicherung indivi-dueller Freiheitsrechte. Das Vorliegen einer natio-nalen Bedrohung verschafft dem Präsidenten jedochsowohl gegenüber dem institutionellen GegenspielerKongreß als auch gegenüber der Judikative einenMachtzugewinn. In dieser Situation kommt dem Kon-greß, mehr noch als der richterlichen Gewalt, einebesondere Verantwortung zu. Er muß dafür Sorgetragen, daß auch in Zeiten nationaler Unsicherheit

Problemstellung und Schlußfolgerungen

SWP-BerlinUSA: Zwischen Rechtsschutzund StaatsschutzFebruar 2003

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individuelle Freiheiten nicht vom kollektiven Schutz-bedürfnis unterdrückt werden � zumal, wie die bis-herige Erfahrung gezeigt hat, die richterliche Kon-trolle in Kriegszeiten eher schwach ausgeprägt ist.

Die entscheidende Frage ist, ob gesellschaftlicherDruck � nicht zuletzt motiviert durch kritischeMedienberichterstattung und politische Prinzipien-treue, wie schon so oft in der amerikanischenGeschichte � einen Gegenimpuls auslöst, der dasPendel wieder stärker in Richtung persönliche Frei-heitsrechte ausschlagen läßt. Doch zunächst bewirktdie kollektive Unsicherheit die Priorität des Staats-schutzes.

Die Kongreßwahlen vom 5. November 2002 verdeut-lichten erneut Ausmaß und Folgewirkungen der Ver-unsicherung durch die Anschläge des 11. September2001. Der Kampf gegen den Terrorismus im Interesseder nationalen Sicherheit stand ganz oben auf derPrioritätenliste der Wähler. In Umfragen wurde zu-dem offensichtlich, daß die Amerikaner der Partei desPräsidenten die »notwendige Härte« in diesem Kampfzutrauten, während den Demokraten diese Eigen-schaft abgesprochen wurde. Die nationale Sicherheits-bedrohung bot dem Präsidenten in seiner Rolle alsOberster Befehlshaber (commander in chief) eine histo-rische Gelegenheit, auch im Kongreßwahlkampf fürdie Unterstützung seiner Politik gegen den Terroris-mus zu werben. Obwohl das Amt des Präsidentennicht zur Wahl stand, gilt George W. Bush als derSieger der Zwischenwahlen. Vor allem in den beson-ders umkämpften Staaten und Wahlbezirken ver-mochte Präsident Bush die Wähler zu überzeugen,daß eine republikanische Mehrheit im Kongreß einunited government hervorbringen würde, mit dem dasHeimatland besser verteidigt werden könne.

In der aktuellen Phase bleibt abzuwarten, inwieferndas allgemeine Kriegsbewußtsein und Schutzbedürf-nis durch weitere Anschläge oder Warnungen ver-stärkt wird. Bis auf weiteres besteht die Gefahr, daßder amerikanische Rechtsstaat zum Sicherheitsstaatmutiert. Diese Entwicklung ist um so prekärer, als diePraxis der als Vorbild geltenden freiheitlich verfaßtenoffenen Gesellschaft Amerikas auch die weltweite Per-zeption von demokratischer Rechtsstaatlichkeit unddie internationalen Rechts- und Ordnungsvorstellun-gen beeinßussen wird.

Auswirkungen des 11. September auf die Gesellschaft der Vereinigten Staaten

SWP-BerlinUSA: Zwischen Rechtsschutz

und StaatsschutzFebruar 2003

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Auswirkungen des 11. September auf dieGesellschaft der Vereinigten Staaten

Die Terroranschläge des 11. September 2001 erschüt-terten das Fundament der freiheitlich demokratischenGrundordnung der Vereinigten Staaten und wurdendaher auch als Angriff auf diese Ordnung angesehen.In der Folge wurde dem Staat eine besondere Schutz-funktion und damit die Aufgabe zugewiesen, dieamerikanischen Grundwerte zu verteidigen � auchum den Preis der Einschränkung individuellerFreiheitsrechte, der sogenannten civil liberties.1 Deraktuelle Feldzug im langwierigen »Krieg gegen denTerrorismus« trägt denn auch den bezeichnendenTitel »Operation Enduring Freedom«.

Anders als in Europa wurden in den VereinigtenStaaten die Anschläge des 11. September nicht alsterroristische, sondern als kriegerische Akte verstan-den. Amerika beÞndet sich nach dieser Auffassung imKriegszustand. Diese Wahrnehmung wurde auchdurch die internationale Reaktion auf die Anschlägegestützt: Am 12. September erklärte der Nato-Rat denBündnisfall nach Artikel V; am selben Tag verabschie-dete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eineResolution (U.N.S.C.Res. 1368), die den VereinigtenStaaten das Recht zur Selbstverteidigung zugesteht.Diese kollektive amerikanische Wahrnehmung hatnicht nur fundamentale Auswirkungen auf dieVerfassung der einzelnen Bürger, sondern auch aufdie der Gesellschaft der Vereinigten Staaten. Im »Kriegfür eine gerechte Sache« ist die Bevölkerung, sindauch die Intellektuellen eher bereit, materielle undideelle Opfer zu bringen. Darüber hinaus eröffnet einderartiges Szenario dem Präsidenten als OberstemBefehlshaber und der in seinem Namen handelndenExekutive einen umfangreichen Gestaltungs-spielraum. In diesem Kontext werden unter anderem

1 Die wichtigsten � im weiteren synonym als individuelleoder persönliche Freiheitsrechte bezeichneten � civil libertieswerden durch die ersten zehn Verfassungszusätze (amend-ments) garantiert. Diese auch unter den Begriff der Bill of Rightssubsumierten Grundsätze wurden am 15.12.1791 en bloc alsintegraler Bestandteil in die Verfassung aufgenommen. Nachdem Bürgerkrieg kamen weitere amendments hinzu, wobei dasvierzehnte wegen seiner due process- bzw. equal protection-Bestimmungen besonders signiÞkant für den Schutz der indi-viduellen Freiheitsrechte »jeder Person« (any person) ungeach-tet der Staatsbürgerschaft ist.

die grundlegenden Verfassungsprinzipien der staat-lichen Sicherheit und der individuellen Freiheit ineinem kriegsrechtlichen Rahmen neu bewertet.

Der 11. September 2001 verschaffte dem Präsiden-ten nicht nur einen Vertrauensvorschuß, er veränder-te auch die Ausgangslage und Dynamik der Zwischen-wahlen. In den Köpfen der Amerikaner verfestigte sichim Laufe des Wahljahres neben der lahmenden Wirt-schaft der Kampf gegen den Terrorismus bzw. dienationale Sicherheit als drängendstes Problem. Dochder Faktor Wirtschaft hat das Ergebnis dieserZwischenwahlen nicht entscheidend beeinßußt.2

Beim ausschlaggebenden Thema Terrorismus-bekämpfung fühlten sich die Amerikaner bei denRepublikanern besser aufgehoben: Gemäß einerGallup-Umfrage vom 8. bis 10. November 2002 warenknapp zwei Drittel (64%) der Befragten der Meinung,daß die Republikaner im Kampf gegen den Terroris-mus die nötige Härte zeigen (nur 27% äußerten, sieseien nicht hart genug). Den Demokraten wurde ent-schieden weniger Härte zugetraut: Nur etwa einDrittel (34%) der Befragten war kurz vor den Wahlendavon überzeugt, daß die Demokraten den Kampfgegen den Terrorismus entschlossen aufnehmenwürden, während 57% den Demokraten die nötigeHärte absprachen. So überrascht es auch nicht, daßdie überwältigende Mehrheit jener, die den Terroris-mus als wichtigsten Themenbereich identiÞzierten,für die Republikaner votieren wollten (81% versus 19%für einen Kandidaten der Demokraten).3

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß dienationale Sicherheitsbedrohung dem Präsidenten inseiner Rolle als Oberster Befehlshaber eine historischeGelegenheit bot, auch im Kongreßwahlkampf für dieUnterstützung seiner Politik gegen den Terrorismuszu werben. Vor allem in den beiden Wochen unmittel-bar vor der Wahl war der Präsident in die entscheiden-den Wahlkämpfe involviert. Allein in den letzten fünfTagen vor dem Wahltermin trat er in 15 sorgfältig aus-

2 Befragte, die das Wirtschaftsthema ganz oben auf ihrePrioritätenliste setzten, sprachen sich zu etwa gleichen Teilenfür die beiden Parteien aus (49% für die Republikaner und48% für die Demokraten); Gallup-Umfrage vom 31.10. bis3.11.2002.3 Ebd.

Auswirkungen des 11. September auf die Gesellschaft der Vereinigten Staaten

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gewählten Bundesstaaten auf. Bush suchte die Wählerzu überzeugen, daß er mit Hilfe einer Mehrheit imKongreß das nationale Territorium besser verteidigenkönne. Die Kampagne hatte Erfolg. Hatten sich in derGallup-Umfrage vom 21. bis 22. Oktober noch 49% füreinen Kandidaten der Demokraten und nur 46% füreinen Republikaner ausgesprochen, kehrte sich dasKräfteverhältnis bald danach um: In der Umfrage vom31. Oktober bis 3. November bekundeten 51% ihreAbsicht, einen Republikaner zu wählen, und nur 45%wollten ihre Stimme einem Demokraten geben. DasErgebnis der Wahl vom 5. November bestätigte dieseTendenz. Präsident Bush hat nunmehr die Möglich-keit, mit Republikanischen Mehrheiten in beidenKammern des Kongresses zu regieren.

Das Ergebnis der Kongreßwahlen ist ein weitererwichtiger Indikator für die Tatsache, daß die Anschlä-ge vom 11. September 2001 die Wahrnehmungen unddas Selbstverständnis der amerikanischen Gesellschaftverändert haben. Das Grundvertrauen in die eigeneStärke als einzig verbliebene Supermacht wich demBewußtsein der Verwundbarkeit im »Heimatland«:4

Nicht zuletzt wurden mit den Angriffen auf das WorldTrade Center und das Pentagon auch Symbole derwirtschaftlichen und militärischen Macht der Ver-einigten Staaten zerstört. Die Wahrnehmung eigenerVerwundbarkeit rief ein immenses Sicherheits-,Schutz- und Handlungsbedürfnis hervor. Entspre-chend forderte der amerikanische Präsident auch eineneue, aktive Strategie: »Amerika ist nicht mehr durchdie großen Ozeane geschützt. Nur energisches Han-deln im Ausland und erhöhte Wachsamkeit im Innernverschaffen uns Sicherheit vor Angriffen«.5 In derersten allgemeinen Verunsicherung und Orientie-rungslosigkeit wurde der Ruf nach staatlicher Auto-rität deutlich artikuliert.

4 So auch der Einleitungssatz eines Leitartikels im NationalJournal, dessen Ausgabe vom 10.8.2002 der Sicherheitsfragegewidmet war: »Am Morgen des 11. September ist AmerikasSicherheitsgefühl mit den Zwillingstürmen des World TradeCenter zusammengebrochen.« (Sydney J. Freedberg, Jr./SiobhanGorman, National Security: Are We Safer?, in: NationalJournal, 10.8.2002.)5 Übersetzt aus George W. Bush, Address before a JointSession of the Congress on the State of the Union, 29.1.2002(http://www.whitehouse.gov/news/releases/2002/01/print/20020129-11.html).

Vertrauen in die Regierung

Obschon der Begriff government über Jahrzehnte nega-tive Vorstellungen in den Köpfen der meisten Ameri-kaner hervorgerufen hat, wurde die amerikanischeRegierung von ihren Bürgern nunmehr merklichpositiver wahrgenommen. Eine seit den sechzigerJahren nicht mehr registrierte Vertrauensmarke von60% brach mit dem seit damals vorherrschendenMuster eines conÞdence gap.6 Auch die Ergebnisse einervon der Brookings Institution in Auftrag gegebenennationalen Umfrage bestätigen diesen signiÞkantenUmschwung in der öffentlichen Meinung. Ein genauerBlick zeigt jedoch, daß dieses überschwengliche Ver-trauen in die eigene Regierung in erster Linie alsunmittelbar emotionale Reaktion auf die Terror-anschläge zu interpretieren ist (siehe Tabelle 1). Aus-gehend von 29% im Juli 2001 schlug das Vertrauens-barometer kurz nach den Terrorangriffen auf eineHöhe von 57% aus und pendelte sich im Mai 2002wieder auf 40% ein. Gemessen an den Umfrageergeb-nissen vor den Terrorangriffen wird der amerikani-schen Regierung jedoch immer noch ein deutlichhöheres Vertrauen entgegengebracht.

Tabelle 1

Anstieg und Rückgang des Vertrauens in die Regierung

nach dem 11. September (in %)

Vertrauen, daß die Regierung

richtig handelt

Juli 2001 Okt. 2001 Mai 2002

immer 4 15 8

meistens 25 42 32

nur manchmal 66 39 53

nie 4 2 4

Quelle: Center for Public Service der Brookings Institution, 30.5.2002.

Konventionelle Erklärungsmuster unterstellen einekausale Beziehung zwischen der Einschätzung derbisher erbrachten Leistung der Regierungsvertreterund dem gezollten Vertrauen. Danach ist VertrauenResultat von Erfahrungen. Da jedoch der 11. Septem-ber den Erfahrungshorizont auch der amerikanischenBevölkerung sprengte, dürfte der enorme Vertrauens-vorschuß unmittelbar nach den Anschlägen nichtallein auf eine Ex-post-Bewertung des Regierungs-

6 Gemäß den Daten der National Election Studies (NES) desCenter for Political Studies, University of Michigan (bis 2000);entsprechende Umfrage für 2001 (5.�6.10.) durch Gallup/CNN/USA Today.

Präsidentielle Regierung

Abbildung 1

Anteil der Amerikaner, die der US-Regierung zutrauen,

ihr Land vor Terroranschlägen zu schützen, 1989�2001 (in %)

46

59

36 35 35

66

52

63

37

0

10

20

30

40

50

60

70

03.04.89 28.06.93 20.04.95 14.05.95 05.08.96 02.06.97 11.09.01 06.11.01 27.11.01

SWP-BerlinUSA: Zwischen Rechtsschutz

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Quelle: Washington Post/ABC News Poll.

verhaltens zurückzuführen sein. Vielmehr brachtendie Bürger damit vermutlich vor allem ihre Erwartungzum Ausdruck, daß die Regierung sie schützen werde.Insofern trägt es zum Verständnis dieses Phänomensbei, wenn man zwischen speziÞscher und diffuserUnterstützung differenziert. Erstere gründet aufder Zufriedenheit der Bürger mit konkreten Politik-inhalten bzw. mit der speziÞschen Leistung von Regie-rungsvertretern; letztere reßektiert eine allgemeineEinstellung der Bevölkerung gegenüber den politi-schen Institutionen.7 Umfrageergebnisse der Washing-ton Post/ABC News legen eine solche Differenzierungebenfalls nahe.

Sowohl der erste als auch der zweite terroristischeAnschlag auf das World Trade Center ließen jeweilsdas Vertrauens der Bevölkerung in die Schutzmachtihrer Regierung anwachsen. Hatte schon der ersteAnschlag auf das World Trade Center vom 26. Februar1993 einen Vertrauensschub bei der Bevölkerung be-wirkt, trauten nach den Terrorangriffen vom 11. Sep-tember fast doppelt so viele Menschen ihrer Regierung

7 Siehe David Easton, A Systems Analysis of Political Life, NewYork: Wiley, 1965.

zu, das Land vor weiteren Terrorangriffen wirksamschützen zu können (siehe Abbildung 1).

Präsidentielle Regierung

In Zeiten äußerster Bedrohung kommt dem Präsi-denten die Rolle des Schutzpatrons zu. Als ObersterBefehlshaber steht er im Mittelpunkt der Aufmerk-samkeit. Der patriotische Sammlungsaffekt des rallyaround the ßag bedeutet einen immensen Machtgewinnund Vertrauensvorsprung für den Präsidenten und dieExekutive. Nicht zuletzt symbolisiert das Präsidenten-amt die nationale Einheit, gilt das Weiße Haus als Ortder Orientierung, an dem in Krisenzeiten die Stan-darte hochgehalten wird.

Das schlägt sich auch im Selbstverständnis desWeißen Hauses nieder, denn, so Pressesprecher AriFleischer: »Aufgrund der Art und Weise, wie unsereNation konstituiert und unsere Verfassung geschrie-ben ist, liegt die politische Macht in Kriegszeitenhauptsächlich in den Händen der Exekutive.«8 Um

8 Übersetzt aus Dana Milbank, In War, It�s Power to the

Auswirkungen des 11. September auf die Gesellschaft der Vereinigten Staaten

SWP-BerlinUSA: Zwischen Rechtsschutzund StaatsschutzFebruar 2003

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jeglichen Mißverständnissen vorzubeugen, wurdeJustizminister John Ashcroft im Kongreß noch deut-licher: »Ich hoffe auch, daß der Kongreß die Amts-gewalt des Präsidenten respektiert, den Krieg gegenden Terrorismus zu führen und unsere Nation undihre Bürger mit der ganzen, ihm von der Verfassungzugedachten und vom amerikanischen Volk an-vertrauten Machtfülle zu verteidigen.«9

In der Tat legt eine differenziertere Untersuchungoffen, wie sehr die Bevölkerung ihrem Präsidentenvertraut (siehe Tabelle 2). Neben ihm kann nur seineunmittelbare Entourage von Amtsträgern der Exe-kutive auch nach dem inzwischen eingetretenen zeit-lichen Abstand zu den Anschlägen diesen immensenVertrauensbonus noch auf sich konzentrieren, wäh-rend die übrigen Volksvertreter und Staatsangestell-ten in der Gunst der Bevölkerung nach einem kurzenAusschlag wieder ihre gewohnten Positionen ein-nehmen.

Tabelle 2

Beliebtheit öffentlicher Amtsträger, Juli�Mai 2002 (in %)

Steht bzw. stehen in

(besonderer) Gunst �

Very/somewhat favorable

Juli

2001

Oktober

2001

Mai

2002

President Bush 57 83 75

Vice President Cheney 57 74 69

Presidential Appointees 60 79 69

Elected ofÞcials 58 71 62

Federal workers 69 76 69

Quelle: Center for Public Service der Brookings Institution, 30.5.2002.

Diese Tatsache ist um so bemerkenswerter, wennman sich vergegenwärtigt, wie schwach die Legitima-tion des Präsidenten durch den Wahlakt im November2000 gewesen ist. Obwohl es George W. Bush bei denPräsidentschaftswahlen nicht gelang, die Mehrheitder abgegebenen Wählerstimmen (popular vote) zu er-reichen, und obwohl auch seine Amtsführung in derBevölkerung geteilte und zunehmend negativeBeurteilungen fand, kann sich der Präsident seit denAnschlägen auf ein großes � wenn auch tendenziellwieder abnehmendes � Zutrauen seiner Landsleutestützen (siehe Abbildung 2).10

President, in: Washington Post (WP), 20.11.2001, S. A1.9 Übersetzt aus Testimony of Attorney General JohnAshcroft, Senate Committee on the Judiciary, 6.12.2001(http://www.justice.gov/ag/testimony/2001/1206transcriptsenatejudiciarycommittee.htm).10 Die Frage der laufenden Gallup-Umfrage lautet:

Diejenigen Amerikaner, die ihrem Präsidenten einpositives job approval attestierten, führten folgendeBegründungen an:11

! »seine allgemeine persönliche Stärke und seine Füh-rungsqualitäten seit dem 11. September« (44%);

! »seine Reaktion auf die Ereignisse des 11. Septem-ber und die Führung des Krieges in Afghanistan«(34%);

! »seine Politik hat bewirkt, daß keine weiteren Ter-rorangriffe stattgefunden haben« (6%);

! »die Reaktion der gegenwärtigen Exekutive/Admi-nistration auf den wirtschaftlichen Abwärtstrend«(6%).Nach diesen Bewertungen zu urteilen beruht der

Vertrauensbonus des Präsidenten überwiegend aufden Erwartungen an seine institutionelle Rolle alsOberster Befehlshaber im Krieg gegen den Terroris-mus. Auch 15 Monate nach den Anschlägen vom11. September 2001 sahen drei von vier Amerikanernin ihrem Präsidenten einen »starken Führer«.12 Dem-gegenüber hat der Kongreß eine relativ schwachePosition, was sich auch in den sinkenden Umfrage-werten seit dem 11. September widerspiegelt (sieheAbbildung 3, S. 12). Dieser Trend macht eine natür-liche Dynamik deutlich: »So effektiv die Arbeit desKongresses sein mag und so sehr sich der Kongreß inden letzten dreißig Jahren erfolgreich darum be-mühte, eine verantwortungsvollere Rolle in der poli-tischen Auseinandersetzung zu übernehmen � eineKrise wie diese, ein Pearl Harbor im eigenen Landgewissermaßen, verlangt nach politischer Führung.Der Kongreß ist keine Einheit. [�] Er hat politischeFührer, aber keinen Einzelführer. [�] Die Macht kannsich also nur zum Präsidenten verlagern. [�] Der Kon-greß nimmt in diesem Prozeß eine beratende undunterstützende Rolle ein. Aber sie ist nicht daraufangelegt, einen Krieg zu führen.«13

»Billigen oder mißbilligen Sie die Art und Weise, in derGeorge W. Bush sein Amt als Präsident versieht?«11 Umfrage der Public Opinion Strategies, 14.�17.1.2002;übersetzt aus AEI Studies in Public Opinion, American PublicOpinion on the Terrorist Attacks, Washington, D.C.: Ameri-can Enterprise Institute, 28.6.2002, S. 25.12 Umfrage der Washington Post/ABC News, zitiert in: DanaMilbank/Claudia Deane, President�s Ratings Still High, PollShows. 75 Percent View Bush As »Strong Leader«; 66 PercentApprove His Work Performance, in: WP, 22.12.2002, S. A04.13 Charles Jones, übersetzt aus John Cochran/Mike Christensen,Regrouping with a Common Purpose, in: CongressionalQuarterly (CQ) Weekly, 15.9.2001, S. 2114.

Präsidentielle Regierung

Abbildung 2

Zustimmungsrate (job approval) für den Präsidenten, 1.2.2001�16.1.2003 (in %)

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

Febr 1

-4

Mär

z 5-7

April 6

-8

Mai

10-14

Juni 1

1-17

Juli 19

-22

Aug 16-19

Sept 1

4-15

Okt 11-1

4

Nov 8-11

Dez 14

-16

Jan 2

5-27

Mär

z 1-3

Mär

z 18-20

April 8

-11

Mai

6-9

Juni 3

-6

Juni 2

1-23

Juli

9-11

Juli

29-31

Sept 2

-4

Sept 2

0-22

Okt 14-17

Nov 8-10

Dec 5

-8

Dec 19

-22

Jan 1

3-16

Zustimmung %

Mißbilligung %

2001 2002 2003

SWP-BerlinUSA: Zwischen Rechtsschutz

und StaatsschutzFebruar 2003

11

Quelle: Gallup.

In dieser Lage wäre die Legislative schlecht beraten,ihr institutionelles Gegengewicht14 in die politischeWaagschale zu werfen, um eine starke und markanteOppositionsrolle zu spielen. Der Kongreß hat in einersolchen Ausnahmesituation nicht das politischeGewicht, einen derartig populären Präsidenten imKampf gegen den Terrorismus herauszufordern,würde er doch damit den Garanten der nationalenEinheit und Handlungsfähigkeit in Frage stellen. Sowaren Anfang Oktober 2001 denn auch knapp zweiDrittel (65%) der Amerikaner der Meinung, der Kon-greß müsse alles absegnen, was vom Justizministerund den Sicherheitsdiensten als notwendig befundenwürde, um Terroristen das Handwerk zu legen und dienationale Sicherheit zu gewährleisten, selbst wenn diegewählten Mittel Privat- und Bürgerrechte beeinträch-tigten. Nur einer von fünf Amerikanern sprach sichdagegen aus, daß der Kongreß der Exekutive einen

14 Kurt Shell beschreibt die »antagonistische Partnerschaft«zwischen Kongreß und Präsident treffend als den »Kern desamerikanischen politischen Systems, der es von parlamen-tarischen europäischen [Systemen] unterscheidet.« (Kurt L.Shell, Kongreß und Präsident, in: Willi Paul Adams/Peter Lösche[Hg.], Länderbericht USA, Bonn: Bundeszentrale für politischeBildung, 1998, S. 207.)

Freibrief ausstellt.15 Der konservative RepublikanerBob Barr, ehemaliges Mitglied des Justizausschussesim Repräsentantenhaus und einer der prominentestenVerfechter der civil liberties, zeigte auf, wie eng derHandlungsspielraum des Kongresses ist: »Es ist sehrschwierig, Kongreßabgeordnete dazu zu bewegen,etwas zu tun, was für den Laien den Anschein habenkönnte, [�] als würden die Terroristen nicht richtigins Visier genommen. [�] Viele der Abgeordnetendenken, die Leute zu Hause im Wahlkreis hätten denEindruck, daß wir nicht die nötige Härte zeigen.«16

In der Tat gaben eben jene folks back home bei denletzten Kongreßwahlen einmal mehr ein deutlichesVotum darüber ab, wer sich in der nächsten Legis-laturperiode ihrer Ängste und Sorgen um ihr »Heimat-land« in Washington annehmen und für ihre Sicher-heit sorgen wird.

15 Fox News/Opinion Dynamics, 3./4.10.2001, zitiert in: AEIStudies in Public Opinion, American Public Opinion on theTerrorist Attacks, 28.6.2002, S. 53.16 Übersetzt aus Jennifer A. Dlouhy/Elizabeth A. Palmer, NewAssertions of Executive Power Anger, Frustrate Some on Hill,in: CQ Weekly, 24.11.2001, S. 2784.

Auswirkungen des 11. September auf die Gesellschaft der Vereinigten Staaten

Abbildung 3

Zustimmungsrate (job approval) für den Kongreß, 10.1.2001�8.12.2002 (in %)

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

Jan 1

0-14

Febr 1

-4

Mär

z 5-7

April 6-8

Mai

10-14

Juni 1

1-17

Juli 19

-22

Aug 3-5

Aug 16-19

Sept 7

-10

Okt 11-1

4

Nov 8-11

Dez 6-9

Jan 7

-9

Feb 4-6

Mär

z 4-7

Apr 8-11

Mai

6-9

Jun 3-6

Juli

9-11

Juli

26-28

Aug 5-8

Sept 5

-8

Okt 3-6

Nov 11-1

4

Dec 5-8

Zustimmung

Mißbilligung

2001 2002

SWP-BerlinUSA: Zwischen Rechtsschutzund StaatsschutzFebruar 2003

12

Quelle: Gallup.

Abbildung 4

Sicherheit auf Kosten der Freiheit?, März 1996�Juni 2002 (in %)

Quelle: PSRA/Pew Research Center, 06-2002.

30 29

55 5549

6562

3539

45

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

03/96 04/97 13-17/09/01 9-13/01/02 19-23/06/02

nein

ja

Schutzbedürfnis der Amerikaner

Abbildung 5

Bedenken der Amerikaner im Hinblick auf Anti-Terror-Gesetze, April 1995�Juni 2002 (in %)

60

Bedenken, daß die Regierung keine schärferen Anti-Terror-Gesetze verabschiedet

SWP-BerlinUSA: Zwischen Rechtsschutz

und StaatsschutzFebruar 2003

13

Quelle: Los Angeles Times, April 1995; PSRA/Pew Research Center, September 2001�Juni 2002.

Schutzbedürfnis der Amerikaner

In den Umfragen direkt nach den Anschlägen vom11. September artikulierte sich das emotionaleSchutzbedürfnis einer terrorisierten amerikanischenÖffentlichkeit, das auch in der Nachfrage nachgrößerer Sicherheit � auch um den Preis individuellerFreiheiten � zum Ausdruck kam (siehe Abbildung 4).17

Es ist jedoch anzunehmen, daß sich die Wahrneh-mung der Bedrohung mit zunehmendem zeitlichemAbstand und bei Ausbleiben neuer Anschläge weiterrelativieren und die amerikanische Öffentlichkeitwieder eine kritischere Haltung einnehmen wird.

Zunächst hatte die Bush-Administration gegenJahresende 2001 noch mehr oder weniger freie Handbei der Wahl ihrer Mittel zur Abwehr der Terrorismus-bedrohung: Einer repräsentativen Umfrage im Dezem-ber 200118 zufolge waren 29% der Befragten der An-sicht, daß die Maßnahmen der Bush-Administration

17 Die Frage lautete: »Denken Sie, daß jeder Durchschnitts-bürger notwendigerweise einige bürgerliche Freiheitsrechtepreisgeben muß, um in diesem Land den Terrorismus zubekämpfen?«18 CBS News/NYT vom 7. bis 10.12.2001, zitiert in: AEIStudies in Public Opinion, American Public Opinion on theTerrorist Attacks, 28.6.2002, S. 48.

genau richtig seien, 9% gingen sie nicht weit genug,und nur 12% der Bevölkerung gingen die Maßnahmenzu weit � dabei war in der Frage deutlich gemachtworden, daß sie auch einen Eingriff in die Privat- undBürgerrechte bedeuten können. Gleichzeitig wurdeaber auch erkennbar, daß es sich noch um keinefesten Überzeugungen handelte und die Exekutivesich zum Großteil auf blindes Vertrauen ihrer Bürgerstützen konnte, bekannten doch 49% der Befragten,daß sie nicht genug über diese Materie Bescheidwüßten.

Demnach käme dem Kongreß im amerikanischenSystem der checks and balances in erster Linie eine Kon-troll- und Kommunikationsfunktion zu � eine derwichtigsten Funktionen moderner Parlamenteschlechthin.19 Durch Anhörungen in den relevantenAusschüssen in Senat und Repräsentantenhaus könntedas Thema der civil liberties wieder auf die öffentlicheAgenda gebracht und für künftige Entscheidungenmobilisiert werden.

19 »Legitimation durch Kommunikation« � so der politik-wissenschaftliche Lehrsatz von Heinrich Oberreuter, Kann derParlamentarismus überleben? Bund�Länder�Europa,2. Außage, Zürich: Edition Interfrom, 1978, bes. S. 44�50.

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Bedenken, daß die Regierung neue Anti-Terror-Gesetze verabschiedet, die exzessiv die Bürgerrechte der Normalbürger beeinträchtigen

Auswirkungen des 11. September auf die Gesellschaft der Vereinigten Staaten

SWP-BerlinUSA: Zwischen Rechtsschutzund StaatsschutzFebruar 2003

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Inzwischen ist in der öffentlichen Meinung bereitseine Kehrtwende feststellbar (siehe Abbildung 5, S. 13).Während unmittelbar nach den Anschlägen vom11. September die Zahl derer anstieg, die von derRegierung schärfere Anti-Terror-Gesetze forderten,und analog dazu die Sorge derer seltener artikuliertwurde, die exzessive Eingriffe in die Bürgerrechtedurch neue Anti-Terror-Gesetze befürchteten, hattesich neun Monate nach den Anschlägen das Meinungs-bild bereits grundlegend verändert: Nur etwa einDrittel der amerikanischen Bevölkerung ist besorgt,daß die Regierung keine schärferen Anti-Terror-Gesetze verabschiedet, aber knapp die Hälfte derAmerikaner hegt mittlerweile Bedenken, daß dieseMaßnahmen schwerwiegende Eingriffe in die persön-lichen Freiheitsrechte darstellen.

Unter diesen Bedenkenträgern könnte man vorallem Angehörige solcher Gesellschaftsgruppen ver-muten, deren schlechte Erfahrungen mit staatlichenÜbergriffen und deren persönlich erfahrenes Leidim kollektiven Gedächtnis dieser Gruppen wach ge-blieben sind. So zeigt das Bewußtsein der schwarzenBevölkerung in den Vereinigten Staaten ein signi-Þkant speziÞsches Einstellungsmuster (sieheTabelle 3).20

Tabelle 3

Persönliche Freiheitsrechte � Einstellungsmuster der

schwarzen und weißen Bevölkerung (Zustimmung in %)

Denken Sie, daß die US-Regierung im Kampf gegen den Terro-

rismus genügend Vorkehrungen trifft, um die Rechte folgender

Gruppen zu schützen

Weiße Schwarze Gesamt

Normalbürger

(average Americans)

86 62 81

Amerikaner arabischer

Herkunft und ameri-

kanische Muslime

77 62 73

Staatsbürger arabischer

und muslimischer

Länder

73 44 69

Personen, die untersucht

oder terroristischer

Aktivitäten verdächtigt

wurden

75 63 71

Quelle: Washington Post/ABC-Umfrage, 27.11.2001.

20 Siehe auch: Black Leaders Attack Bush on Civil Rights.Voting Faults Unremedied, NAACP Says, in: WP, 9.7.2002,S. A04.

Die Unterschiede werden noch deutlicher, wenn esum die Beurteilung konkreter Maßnahmen geht: Sounterstützten beispielsweise nur 55% der schwarzenBevölkerung � aber 84% der weißen Bevölkerung � dievon der Bush-Administration angekündigte Absicht,etwa 5000 junge Männer aus dem Mittleren Osten, diezeitlich begrenzte Visa für die USA besaßen, zu soge-nannten interviews einzuladen.21 Auch die Internie-rungspraxis wurde von weißen und schwarzen Ameri-kanern unterschiedlich bewertet: Erstere befürwor-teten diese Maßnahmen zu 90%, letztere nur zu 75%.22

Der schwarze Abgeordnete Melvin Watt (D-NC), Mit-glied des Justizausschusses des Abgeordnetenhauses,betonte denn auch: »Einige von uns, die unterschied-liche historische Erfahrungen mit dem Delegieren vonAutorität an die Regierung und dem Mißbrauch dieserMacht haben, verhalten sich anders als andere, wennes darum geht, der Regierung Machtbefugnisse an dieHand zu geben, die mißbraucht werden können.«23

Hingegen sind jüdische Amerikaner, eine zweitewichtige moralische Instanz in den VereinigtenStaaten und eine Gruppe, die traditionell für dieMenschen- und Bürgerrechte eintritt, bislang nochmerklich ruhig geblieben.24 Senator Charles Schumer(D-NY) bietet eine plausible Erklärung für dieses Phä-nomen: »Der 11. September hat alle, mit Ausnahmeder doktrinärsten Vertreter der Linken und Rechten,gezwungen, die Balance zwischen Sicherheit und Frei-heit neu zu kalibrieren. [�] Jüdische Gruppen stehendieser Neubewertung offener gegenüber, da so vieleBedrohungen nicht nur gegen Israel, sondern gegendie Juden weltweit gerichtet sind.«25

Insgesamt stellt inzwischen die Zahl der Ameri-kaner, die fordern, daß die Regierung ungeachtet derEinschränkungen der persönlichen Freiheitsrechtealle notwendigen Maßnahmen ergreifen müsse, umweitere terroristische Anschläge zu verhindern, eineMinderheit (40%) dar. Eine Mehrheit (56%) würdemittlerweile Maßnahmen ablehnen, wenn sie grund-

21 Quelle: Washington Post/ABC-Umfrage, 27.11.2001.22 Ebd.23 Übersetzt aus Elizabeth R. Palmer, Terrorism Bill�s SparsePaper Trail May Cause Legal Vulnerabilities, in: CQ Weekly,27.10.2001, S. 2533.24 »Selbst einige Gruppen, die traditionell die persönlichenFreiheitsrechte verteidigen, haben, unter erstaunlich weni-gen Vorbehalten, die harte Vorgehensweise der Regierungunterstützt.« (Übersetzt aus Ronald Dworkin, The Threat toPatriotism, in: New York Review of Books, 28.2.2002, S. 45.)Siehe auch Laurie Goodstein, Jewish Groups Endorse ToughSecurity Laws, in: New York Times (NYT), 3.1.2002.25 Übersetzt aus Goodstein, ebd.

Schutzbedürfnis der Amerikaner

SWP-BerlinUSA: Zwischen Rechtsschutz

und StaatsschutzFebruar 2003

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legende individuelle Freiheitsrechte beeinträchtigten.Im Januar 2002 hielten sich Befürworter und Gegnersolcher Maßnahmen noch in etwa die Waage (47 ver-sus 49%).26 Die Daten stützen die These, »daß dieBereitschaft, Freiheit einzuschränken, um Sicherheitzu gewährleisten, um so höher ist, je größer die Angstist. [�] Wenn die Panik sich legt, wird der Anteil der-jenigen, die eine Beschneidung der Rechte unter-stützen, weiter abnehmen.«27

Dieser Perzeptionswandel in der öffentlichenMeinung dürfte einige Volksvertreter ermutigen,neben den dominierenden Sicherheitsaspekten auchdie individuellen Freiheitsrechte wieder stärker in denMittelpunkt der gesetzgeberischen Betrachtungsweisezu rücken. Denn, so auch die New York Times: »Verant-wortungsbewußtes Hinterfragen und abweichendeMeinungen sind essentielle Elemente der [amerikani-schen] Demokratie. Wie Senator Charles Schumertreffend bemerkt hat, gibt es kein Thema, das sichbesser für eine öffentliche Debatte und für legislativeKontrolle eignet als das Spannungsverhältniszwischen Freiheit und Sicherheit.«28 Nach wie vorsteht aber der Sicherheitsaspekt im Zentrum dernationalen Aufmerksamkeit, was dem Präsidenten �auch gegenüber dem Kongreß � die Möglichkeit gibt,eine dominierende Rolle im Kampf gegen den Terroris-mus zu spielen.

26 Gallup/CNN/USA Today, 25.�27.1.2002 bzw. 21.�23.6.2002,zitiert in: AEI Studies in Public Opinion, American PublicOpinion on the Terrorist Attacks, 28.6.2002, S. 53.27 Übersetzt aus Amitai Etzioni, How Democracy Is Preserved,in: Christian Science Monitor, 26.8.2002.28 Übersetzt aus: The Role of Congress, in: NYT, 6.6.2002.

Einschränkung persönlicher Freiheitsrechte

SWP-BerlinUSA: Zwischen Rechtsschutzund StaatsschutzFebruar 2003

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Einschränkung persönlicher Freiheitsrechte

Das Spannungsverhältnis zwischen persönlichen Frei-heitsrechten und Sicherheit betrifft neben zahl-reichen Problembereichen, die überwiegend auf dieinnenpolitische Debatte beschränkt bleiben, auchsolche von internationaler Brisanz. Dabei geht es inerster Linie um (1) den Status der gefangenen Taliban-und Al-Qaida-Kämpfer, (2) die Einrichtung von Militär-tribunalen, (3) die Festnahme und »Vorbeugehaft« ver-dächtiger Ausländer sowie (4) die Verschärfung derEinreisebestimmungen und die allgemeine Stigmati-sierung ausländischer Studenten muslimischer Her-kunft.

Outlaws � der Status der gefangenenTaliban- und Al-Qaida-Kämpfer

Etwa 600 bis 800 der vornehmlich bei Kriegshandlun-gen in Afghanistan gefangengenommenen Taliban-und Al-Qaida-Kämpfer wurden seit Anfang Januar2002 auf dem US-Marinestützpunkt in GuantánamoBay, Kuba, interniert.29 Die Wahl des Ortes war sicherkein Zufall, wurde doch nunmehr auch gerichtlichbestätigt, daß Guantánamo Bay außerhalb des souve-ränen Staatsgebietes der Vereinigten Staaten vonAmerika liegt. Entsprechend könnten dort internierteausländische Staatsangehörige � in diesem Fall zweiBriten und ein Australier � keinen Anspruch auf einenProzeß vor einem amerikanischen Gericht geltendmachen.30 Ohne jeden Zweifel wurde mit diesen

29 »Wir haben beinahe unsere volle Kapazität erreicht« � soBrigadegeneral Rick Baccus, der ehemalige Kommandeur desGefangenenlagers. Nach einer Meldung der Associated Presswird das Gefangenenlager um 204 Zellen auf eine Gesamt-kapazität von 816 erweitert. Siehe AP, New Expansion atPrison Camp in Guantánamo, in: NYT, 9.8.2002.30 Siehe Neil MacFarquhar, Kuwaitis Sue U.S. over 12 Held atGuantánamo, in: NYT, 26.6.2002; Rebecca Allison, Terror Sus-pects »Have No Right to US Trial«, in: The Guardian, 1.8.2002,S. 1. Der vorläuÞge Bericht der American Bar Associationdokumentiert den juristischen Stand der Dinge: »ZweiUS-Bezirksgerichte haben unlängst Habeas Corpus-/Haft-prüfungs-Ansprüche für die Inhaftierten auf Guantánamomit dem juristischen Argument zurückgewiesen, daß sich dieHäftlinge nicht innerhalb der örtlichen Zuständigkeit derGerichte befanden.« (Zitiert aus American Bar Association Task

Entscheidungen eine rechtsfreie Zone geschaffen. Dasbestätigte auch eine Arbeitsgruppe der American BarAssociation mit dem Verweis auf frühere Urteils-sprüche des Obersten Gerichts: »Ausländer, die sichnicht in den Vereinigten Staaten aufhalten, haben,wenn überhaupt, nur geringe verfassungsmäßigeSchutzrechte.«31 Abgesehen davon lassen eine Reiheweiterer Indizien darauf schließen, daß die Bush-Administration diese Gefangenen in der Tat als Out-laws ansieht.

Als in den Medien Fotos der ersten Häftlinge gezeigtwurden, die mit Kapuzen verhüllt und in Ketten aufder Ladeßäche kniend zum »Camp X-Ray« transpor-tiert wurden, gab es internationale Proteste, unteranderem von Mary Robinson, der ehemaligen Kommis-sarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen. DieUS-Regierung rechtfertigte diese Vorsichts- und Sicher-heitsmaßnahme während des Transports als notwen-dig. Schwerwiegendere und grundsätzlichere Protesterief der Status hervor, der den Häftlingen verliehenwurde. Der amerikanische Präsident hatte sich � ohnevorher den Kongreß zu konsultieren � eigenmächtigüber international geltendes Recht hinweggesetzt, denInhaftierten den Kriegsgefangenenstatus aberkanntund sie als »illegale Kämpfer« (unlawful combatants)bezeichnet. Gemäß Artikel 5 der Dritten Genfer Kon-vention hätte diese Entscheidung jedoch von einemzuständigen Gericht getroffen werden müssen.32 Über-dies befanden Präsident Bush, Vizepräsident Cheneyund Verteidigungsminister Rumsfeld, daß ohnehin

Force on Treatment of Enemy Combatants, Preliminary Report,8.8.2002, S. 5 [http://www.abanet.org/leadership/enemy_combatants.pdf]).30 Ebd.; siehe auch: Coalition of Clergy v. Bush, 189 F.Supp.2d1036 (C.D.Cal. 2002); Rasul v. Bush, 2002 WL 1760825 (D.D.C.2002).31 Übersetzt aus American Bar Association Task Force on Terrorismand the Law, Report and Recommendations on Military Com-missions, 4.1.2002 (http://www.abanet.org/leadership/military.pdf). Die von der ABA zitierten Urteile sind: Johnson v.Eisentrager, 339 U.S. 763 (1950); Zadvydas v. Davis (28.6.2001);United States v. Verdugo-Urquidez, 494 U.S. 259 (1990).32 Siehe OfÞce of the High Commissioner for Human Rights, (http://193.194.138.190/html/menu3/b/91.htm).

Einrichtung von Militärtribunalen durch executive order des Präsidenten

SWP-BerlinUSA: Zwischen Rechtsschutz

und StaatsschutzFebruar 2003

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keiner der Inhaftierten in den Geltungsbereich derDritten Genfer Konvention falle.33

Diese Verlautbarungen riefen nicht nur internatio-nale Entrüstung hervor, sie stießen auch innerhalbder amerikanischen Exekutive auf geteilte Meinung.In erster Linie war es Außenminister Colin Powell, der,gestärkt durch die Bedenken der Joint Chiefs of Staff,Verteidigungsminister Rumsfeld gewinnen konnte,gegen die Entscheidung des Präsidenten Position zubeziehen.34 Den Ausschlag gab die Sorge des Militärs,daß auch amerikanische Soldaten bei künftigen Ein-sätzen keine internationalen Schutzrechte für sichbeanspruchen könnten, wenn diese grundlegendenNormen solcherart mißachtet würden. Der Präsidentrevidierte daraufhin am 7. Februar 2002 seine Positionund erklärte, daß die Dritte Genfer Konvention für dieTalibankämpfer nun doch Anwendung fände, nichtaber für Mitglieder der al-Qaida. Dabei hielt Bushweiterhin an seiner Entscheidung fest, beiden Grup-pen den Status von Kriegsgefangenen (prisoners of waroder kurz POWs) zu verwehren.35 Diese Entscheidungwar wohl unter anderem dadurch motiviert, daßKriegsgefangene neben weiteren Privilegien auch dasRecht haben, ihre Aussage zu verweigern, und nurverpßichtet sind, ihren Namen, Geburtstag undDienstgrad zu nennen. Der vom Präsidenten atte-stierte Status eröffnete nunmehr den Sicherheits-diensten die Möglichkeit, die Gefangenen zu verhören,um operativ nutzbare Informationen für den Kampfgegen den Terrorismus zu gewinnen.

Einrichtung von Militärtribunalen durchexecutive order des Präsidenten

Als Oberster Befehlshaber hat Präsident Bush auchdie Rolle des Gesetzgebers und Richters für sich rekla-miert. Ohne Rückendeckung des Kongresses � dem

33 Siehe Katharine Seelye, Detainees Are Not P.O.W.�s, Cheneyand Rumsfeld Declare, in: NYT, 28.1.2002; Tom Shanker/Katharine Seelye, Behind-the-Scenes Clash Led Bush to ReverseHimself on Applying Geneva Conventions, in: NYT, 22.2.2002.34 Siehe Katharine Seelye, Powell Asks Bush to Reverse Standon War Captives, in: NYT, 27.1.2002, S. 1; William SaÞre, ColinPowell Dissents, in: NYT, 28.1.2002, S. A21; John Mintz, DebateContinues on Legal Status of Detainees, in: WP, 28.1.2002,S. A15; Katharine Seelye/David Sanger, Bush Reconsiders Standon Treating Captives of War, in: NYT, 29.1.2002.35 Für die Rechtfertigung dieser Position siehe »Fact Sheet«des Weißen Hauses zum Status der Gefangenen auf Guan-tánamo, OfÞce of the Press Secretary, 7.2.2002 (http://www.whitehouse.gov/news/releases/2002/02/20020207-13.html).

eigentlichen Gesetzgeber � hat Bush im Alleingangam 13. November per executive order Militärtribunale(military commissions) autorisiert.36 Nach dieser Orderwürden die Angeklagten nicht von einem Geschwore-nengericht, sondern von einem Militärgericht zurRechenschaft gezogen, unter Ausschluß der Öffent-lichkeit. Die Verteidiger erhielten in diesem Fallekeinen Einblick in belastendes Zeugenmaterial. Fürdie Verurteilung � auch zur Todesstrafe � reichtenbereits zwei Drittel der Stimmen des Militärpanelsaus, und nicht, wie sonst üblich, ein einstimmigesVotum der Jury. Dabei behielt sich jedoch der Präsi-dent das abschließende Urteil vor (»a Þnal decisionby me«) � ohne Revisionsinstanz.

Massive öffentliche Kritik37 führte dazu, daß dieseOrder entschärft wurde: Die Tribunale sollten nun-mehr öffentlich abgehalten werden, der Verteidigungwürde Einblick in die Beweismaterialien der Anklagegewährt, dem Angeklagten stünde das Aussage-verweigerungsrecht offen, und schließlich hätte auchder Präsident nicht mehr das allerletzte Wort in juri-stischen Angelegenheiten: »Die ursprüngliche Orderdes Präsidenten, in der er anmaßend die letzte Ent-scheidung in den Verfahren dieser Tribunale bean-spruchte, wurde durch eine Richtlinie des PentagonmodiÞziert (niemand wagt �aufgehoben� zu sagen), diebesagt, daß ein Freispruch �nicht abgeändert wird�.«38

Ungeachtet dieser ModiÞzierung sehen viele Beobach-ter in dieser Art von Militärtribunalen ein juristischproblematisches und verfassungsrechtlich schwachlegitimiertes Instrument, das von der nationalenwie internationalen Öffentlichkeit sehr kritischbeurteilt wird.39

36 Siehe White House Press Release � OfÞce of the Spokes-man, Detention, Treatment, and Trial of Certain Non-Citizensin the War against Terrorism � Military Order, Washington,D.C., 13.11.2001 (http://www.state.gov/coalition/cr/prs/6077.htm).37 Der konservative Meinungsführer William SaÞre gingso weit, den Präsidenten für die Anmaßung »diktatorischerMachtbefugnisse« zu geißeln. »Schlecht beraten von einemfrustrierten und von panischem Schrecken gepackten Justiz-minister«, so SaÞre weiter im Klartext, »ersetzt George W.Bush die amerikanische Rechtsstaatlichkeit durch illegaleMilitärgerichte [military kangaroo courts], und wir lassen ihngewähren.« (Übersetzt aus William SaÞre, Seizing DictatorialPower, in: NYT, 15.11.2001, S. A31.)38 Übersetzt aus ders., Military Tribunals ModiÞed, in: NYT,21.3.2002. Siehe auch: ReÞning Military Tribunals, in: NYT,22.3.2002.39 Die Herausgeber des American Journal of International Lawhaben in der Aprilausgabe 2002 durchaus gegensätzlicheStellungnahmen zur internationalen Rechtmäßigkeit der

Einschränkung persönlicher Freiheitsrechte

SWP-BerlinUSA: Zwischen Rechtsschutzund StaatsschutzFebruar 2003

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Aus politischer Sicht interpretierte Jerrold Nadler(D-NY), Mitglied des Justizausschusses im Abgeord-netenhaus, das Vorgehen des Präsidenten als »Macht-anmaßung«: »Daß die Exekutive/Administration [dieseMaßnahme] ergriffen hat, ohne den Kongreß zu kon-sultieren, bedeutet eine ungeheure Machtanmaßung.[�] Hätten sie Militärtribunale vorgeschlagen, hättensie im Kongreß schallendes Gelächter geerntet. Des-halb, um den Kongreß zu umgehen, haben sie denWeg der executive order eingeschlagen.«40

Präsident Bush legitimierte seine Entscheidungeinerseits mit der Resolution des Kongresses, die ihnzum Einsatz der Streitkräfte im Kampf gegen denTerrorismus ermächtigte.41 Andererseits berief sich dieExekutive auf historische Präzedenzfälle. Beide Recht-fertigungen sind jedoch am Maßstab des Verfassungs-prinzips der checks and balances höchst umstritten. Zumeinen stellte der Kongreß mit seiner Resolution auchnach Auffassung einer Arbeitsgruppe der AmericanBar Association dem Präsidenten weder den gewünsch-ten Freibrief noch einen Blankoscheck aus.42 Zumanderen greift auch die historische Rechtfertigung zukurz. Im ersten der beiden relevanten Fälle argumen-tierte das Oberste Gericht 1866 (Ex Parte Milligan),43 daßPräsident Lincoln keine vom Kongreß erteilte Befugnishatte, Militärtribunale einzurichten. Und auch derBezug zum Urteil des Supreme Court im Jahre 1942(Ex Parte Quirin)44 ist nicht einwandfrei herzustellen, daim Zweiten Weltkrieg eine formale Kriegserklärungdurch den Kongreß erfolgte, der Präsident Rooseveltexplizit ermächtigte, Militärgerichte einzusetzen.45

executive order des Präsidenten abgegeben. Siehe: Agora: Mili-tary Commissions, in: American Journal of International Law,96 (April 2002) 2, S. 320�364. Für eine weitere kontroverseDebatte zwischen George P. Fletcher, Cass Sunstein undLaurence Tribe siehe »The Military Tribunal Debate«, in:American Prospect � Letter Section, 11.2./25.2./25.3.2002(http://www.prospect.org/print-friendly/webfeatures/2002/03/ßetcher-g-03-05.html).40 Übersetzt aus Dlouhy/Palmer, New Assertions of ExecutivePower Anger, Frustrate Some on Hill [wie Fn. 16].41 Joint Resolution to Authorize the Use of United StatesArmed Forces against Those Responsible for the RecentAttacks Launched against the United States, 18.9.2001 (PublicLaw No. 107�40, 115 Stat. 224).42 Siehe American Bar Association Task Force on Terrorism and theLaw, Report and Recommendations on Military Commissions[wie Fn. 31]. Siehe auch John Lancaster/Helen Dewar, CongressClears Use of Force, $40 Billion in Emergency Aid, in: WP,15.9.2001, S. A4.43 Ex Parte Milligan, 71 U.S. 2 (1866).44 Ex Parte Quirin, 317 U.S. 1 (1942).45 Das oberste Gericht hatte in seiner Entscheidung Ex Parte

Überdies waren damals noch zusätzliche Sicherungs-instanzen intakt, wie die der juristischen Überprüfungexekutiver Entscheidungen.

Neben dieser wichtigen verfassungspolitischen Dis-kussion über die institutionelle Machtbalance undLegitimation präsidentiellen Handelns gab es auchpolitische Bedenken, die auf der Sorge vor negativenaußenpolitischen Wirkungen beruhten. »Wir müssendie internationale Bedeutung der präsidentiellenOrder begreifen, die der Welt zu verstehen gibt, daßes akzeptabel sei, geheime Tribunale und Schnell-verfahren ohne die Möglichkeit einer juristischenÜberprüfung durchzuführen, zumindest wenn es sichbeim Angeklagten um einen ausländischen Staats-angehörigen handelt«, gab Patrick J. Leahy (D-VT),Vorsitzender des Justizausschusses, seinen Kollegenim Senat zu bedenken.46 In der Tat ist die Auffassungder Exekutive, nach der es zwei Klassen von Angeklag-ten gibt, bedenklich: »Ausländische Terroristen, diemit einer Verhandlung vor einem Militärtribunal kon-frontiert würden, �verdienen nicht dieselben Rechte[guarantees and safeguards], die für einen Bürger der Ver-einigten Staaten gelten, über den in einem normalenjuristischen Prozeß geurteilt wird.�« � so die Rechts-auslegung von Vizepräsident Dick Cheney.47 Dabeikonnte sich die Exekutive zunächst auf eine breiteZustimmung in der Bevölkerung stützen � zumindestsolange der Geltungsbereich dieser Militärtribunaleauf Ausländer im weit entferntesten Sinne begrenztblieb.48 Bislang wurden amerikanische Terroristen wie

Quirin angesichts der Ermächtigung durch den Kongreß offen-gelassen, ob die Autorität des Präsidenten als commander inchief ausreicht, ohne Zustimmung der Legislative Militär-tribunale einzusetzen: »It is unnecessary for present purposesto determine to what extent the President as Commander inChief has constitutional power to create military commis-sions without the support of Congressional legislation. Forhere Congress has authorized trial of offenses against the lawof war before such commissions.« (Ex Parte Quirin, 317 U.S. 1[1942].)46 Übersetzt aus Dlouhy/Palmer, New Assertions of ExecutivePower Anger, Frustrate Some on Hill [wie Fn. 16].47 Ebd.48 Bei der Billigung von Militärtribunalen unterscheidet dieöffentliche Meinung zwischen »ausländischen Verdächtigen,die in Übersee gefangengenommen wurden« (74% stimmenMilitärtribunalen für diesen Personenkreis zu), »ausländi-schen Verdächtigen, die erst vor einigen Jahren in die USAgekommen sind« (46%), und anderen »verdächtigen nicht-amerikanischen Bürgern, die schon viele Jahren in denVereinigten Staaten leben« (33%). Die Bereitschaft, Militär-tribunale zu billigen, reßektiert also eine soziologisch inter-essante Wahrnehmung von »innen versus außen«, »wir versus

Einrichtung von Militärtribunalen durch executive order des Präsidenten

SWP-BerlinUSA: Zwischen Rechtsschutz

und StaatsschutzFebruar 2003

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Richard Reed und John Walker Lindh jedenfalls vorregulären Gerichten angeklagt (und im Falle vonLindh verurteilt).

Mittlerweile wurden jedoch mit Yaser Esam Hamdiund Jose Padilla (alias Abdullah al-Muhajir) zwei ame-rikanische Staatsbürger als »feindliche Kämpfer«(enemy combatants) eingestuft. Damit wurde das Kriegs-recht auch auf Amerikaner angewendet, denen da-durch grundlegende Rechte vorenthalten wurden.Seitdem erhielt die Debatte um die Anwendung vonKriegsrecht eine neue juristische Qualität und zogerhöhte öffentliche Aufmerksamkeit auf sich. Dennmit dieser Ausweitung des Geltungsbereichs wurdedas öffentliche Bewußtsein geschärft, daß jederBürger der Vereinigten Staaten von einem derartigenEingriff in seine persönlichen Freiheitsrechte betrof-fen sein könnte. In Anbetracht dieser Zuspitzungkonnte auch die American Bar Association nicht mehrumhin, eine erste öffentliche (wenn auch noch keineofÞzielle) Stellungnahme in Form eines »vorläuÞgenBerichts« abzugeben, zumal »die Bedeutung dieserHaftbedingungen weit über die beiden Fälle [YaserHamdi and Jose Padilla] hinausgeht.«49 Entsprechendalarmiert waren auch die Meinungsführer der NewYork Times, standen doch nunmehr die domestic civilliberties auf dem Spiel und nicht mehr nur die persön-lichen Freiheitsrechte von Ausländern.50

Die Bush-Administration hielt dem entgegen, daßes in Kriegszeiten einzig Aufgabe der Exekutive sei,über den Status eines enemy combatant zu beÞnden.

die anderen«. Deutlich wird aber auch, daß sich dieses Zu-gehörigkeitsgefühl nicht allein auf den Besitz der Staats-bürgerschaft beschränkt. Siehe PSRA/Newsweek-Umfragevom 29./30.11.2001, zitiert in: AEI Studies in Public Opinion,American Public Opinion on the Terrorist Attacks, 28.6.2002,S. 35.49 »So traurig es auch ist«, so die ABA weiter, »in einem zuerwartenden langen, komplizierten und schwierigen Kampfmit einem weltweiten terroristischen Netzwerk erscheint esunwahrscheinlich, daß dies der letzte Fall ist, bei dem einamerikanischer Staatsangehöriger verdächtigt oder ange-klagt wird, gemeinsam mit solchen Terroristen gehandelt zuhaben.« (Übersetzt aus American Bar Association Task Force onTreatment of Enemy Combatants, Preliminary Report [wie Fn. 30],S. 3).50 »[�] amerikanische Staatsbürger zu feindlichen Kämpfernzu erklären und ihnen damit den Anspruch auf grundlegen-de verfassungsmäßige Schutzrechte zu verwehren betriffteindeutig die persönlichen Freiheitsrechte von Inländern [is aclear matter of domestic civil liberties]. Die Gerichte stehen in derPßicht, eine aktive Rolle bei der Überprüfung dieser Bestim-mungen zu spielen.« (Übersetzt aus Unlimited PresidentialPower, in: NYT, 8.8.2002.)

Auch die Jurisdiktion hätte keine konstitutionellenMachtbefugnisse, eine entsprechende Entscheidungdes Obersten Befehlshabers in Frage zu stellen. Geht esdoch laut Justizminister Ashcroft auch hier um Lebenund Tod: »Wir handeln sehr vorsichtig, um amerikani-sche Leben zu schützen.«51 Aufgrund der als essentielleingestuften akuten »Gefahr für die Sicherheit der Ver-einigten Staaten und aufgrund der Natur des inter-nationalen Terrorismus«52 sieht sich der Präsident �nach den jüngsten richterlichen Entscheidungen umso mehr � legitimiert, auch für amerikanische Staats-bürger die bei der regulären Strafverfolgung allge-mein üblichen rechtlichen Prinzipien und Regeln derBeweisÞndung eigenmächtig außer Kraft zu setzen.

Nach richterlicher Auffassung ist der Präsident imFalle Jose Padilla befugt, »die Machtfülle des OberstenBefehlshabers auszuüben, welche auch die Amts-gewalt beinhaltet, illegale Kämpfer zu inhaftieren. DieTatsache, daß Padilla US-Staatsbürger ist und auf ame-rikanischem Boden gefangengenommen wurde, spieltdabei keine Rolle.«53 Wenn auch die Präzedenz-wirkung eines weiteren Urteils im Fall Yaser EsanHamdi, des zweiten »feindlichen Kämpfers« mitUS-Staatsbürgerschaft, nach Meinung von Expertenauf Personen beschränkt bleibt, die in Kriegshand-lungen und nicht auf amerikanischem Boden gefaßtwurden, haben die Richter in diesem Fall in punctoMachtbefugnisse des Präsidenten eine noch deut-lichere Sprache gesprochen: Getragen von der »Über-zeugung, daß der Gewaltenteilung eine besondereBedeutung zukommt, wenn die Nation selbst ange-griffen wird«, erklärten die drei Richter unisono, daß»die verfassungsmäßige Zuteilung von Machtbefug-nissen in Kriegszeiten dem Präsidenten außerordent-lich weitreichende Autorität als Oberster Befehlshaberzuweist und die Gerichte dazu nötigt, bei der Über-prüfung der Ausübung dieser [präsidentiellen] Macht-befugnisse eine rücksichtsvolle Haltung [deferentialposture] einzunehmen.«54 Auch liege es nach Meinung

51 So der Justizminister, zum Beispiel in einem Interviewmit dem Sender NBC vom 19.11.2001, übersetzt aus Dlouhy/Palmer, New Assertions of Executive Power Anger, FrustrateSome on Hill [wie Fn. 16].52 Übersetzt aus Section 1 der »Executive Order« des Präsi-denten vom 13.11.2001 mit dem Titel »Detention, Treatment,and Trial of Certain Non-Citizens in the War against Terror-ism«.53 Übersetzt aus: An »Enemy Combatant�s« Rights, in: WallStreet Journal, 10.12.2002.54 Übersetzt aus dem Urteilsspruch des U.S. Court of Appealsfor the Fourth Circuit im Falle Hamdi v. Rumsfeld, 8.1.2003(02-7338), zugänglich über http://pacer.ca4.uscourts.gov/.

Einschränkung persönlicher Freiheitsrechte

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der Richter im Ermessen der Exekutive zu bestimmen,wie lange der Kriegszustand andauert.

Es ist wichtig hervorzuheben, daß die Richter inihrem Urteilsspruch � wie schon ihre Kollegen imFalle Padilla � nicht so weit gegangen sind, die Habeas-Corpus-Rechte zu verwehren, doch sollte die juristi-sche Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Inhaftie-rung auf ein Minimum reduziert werden. Die Sicher-heitsbehörden widersetzten sich denn auch derrichterlichen Anordnung im Falle Padilla und ver-wehrten dem Angeklagten das Recht, mit seinemAnwalt zu sprechen: Dies würde nur die BereitschaftPadillas zur Kooperation mit den Sicherheitsdienstenbeeinträchtigen. »Ich schätze Padillas möglichen Infor-mationswert sehr hoch ein [�] und bin fest davonüberzeugt, daß, würde man Padilla einen Rechts-beistand gewähren, eine wichtige Informationsquelleversperrt werden könnte, was eine schwerwiegendeund direkte Bedrohung der nationalen Sicherheit zurFolge hat«, so Vizeadmiral Lowell Jacoby, Direktor derDefense Intelligence Agency.55 Schließlich hatte mannach allgemeinen Angaben der Behörden schon über100 geplante Terrorangriffe vereitelt. Diesbezüglichforderten jedoch einige Senatoren des für sicherheits-dienstliche Angelegenheiten zuständigen Select Com-mittee on Intelligence ausführlichere Informationen.56

Früher oder später wird sich wohl auch das ObersteGericht mit dem Rechtsstatus der unlawful combatantsund der Aufteilung institutioneller Zuständigkeitenbeschäftigen müssen.

Festnahme und »Vorbeugehaft«verdächtiger Ausländer

Am 18. September 2001 erließ die Bush-Administra-tion eine Direktive, gemäß derer Sicherheitsbeamtebei Vorliegen eines nationalen Ausnahmezustandsberechtigt sind, verdächtige Immigranten oder Aus-länder in Gewahrsam zu nehmen, die sich in den Ver-einigten Staaten aufhalten. Nach inofÞziellen Schät-zungen wurden auf dieser Grundlage mehr als 1200Personen zumeist arabischer oder südasiatischer Her-kunft in »Vorbeugehaft« (preventive detention) genom-men, von denen mittlerweile ein Großteil in ihreHeimatländer abgeschoben bzw. wieder auf freien Fuß

55 Übersetzt aus Richard A. Serrano/Greg Miller, 100 TerroristAttacks Thwarted, U.S. Says, in: Los Angeles Times, 11.1.2003.56 Ebd.

gesetzt wurde.57 Bislang wurden die genaue Anzahlund Identität der meisten Inhaftierten, Freigelassenenoder Abgeschobenen � auch ungeachtet wiederholterrichterlicher Entscheidungen und Anweisungen �geheimgehalten. Unter den präventiv InhaftiertenbeÞnden bzw. befanden sich nicht wenige Personen,die wegen geringfügiger Vergehen festgehaltenwurden � beispielsweise wegen Überschreitung der imVisum gesetzten Aufenthaltsfrist �, sowie Personen,die man für nützliche Informationsquellen hielt (soge-nannte material witnesses). Zudem wurden gemäß einesMemorandums vom 21. September 200158 auch dieAnhörungen in sogenannten special interest cases, beidenen über Verstöße gegen die Einreise- bzw. Aufent-haltsbestimmungen und daraus resultierende Aus-weisungen entschieden wird, streng geheim gehalten:»keine Besucher, keine Familie, keine Presseleute«.59

Auch wegen dieser Praxis sind mehrere juristische Pro-zesse im Gange, die sich angesichts ihrer Komplexitätnoch länger und über mehrere Instanzen � wohl biszum Obersten Gericht � hinziehen dürften.

Um die eigene Position auf diesem Schauplatz desKampfes gegen den Terrorismus zu stärken, erwirktedie Bush-Administration die Rückendeckung des Kon-gresses: Der USA Patriot Act vom 26. Oktober 200160

ermächtigte unter anderem den Justizminister, Aus-länder auf unbestimmte Zeit zu inhaftieren, wennderen Abschiebung bis auf weiteres nicht möglichoder absehbar erscheint61 oder wenn diese Ausländernach seinem Ermessen eine Gefahr für die nationaleSicherheit der Vereinigten Staaten darstellen, die all-gemeine Sicherheit oder einzelne bedrohen.62 Der

57 Siehe Susan Sachs, U.S. Deports Most of Those Arrested inSweeps after 9/11, in: NYT, 11.7.2002.58 Dieses Memo wird nach seinem Autor, Chief ImmigrationJudge Michael J. Creppy, auch als »Creppy Memo« bezeichnet.59 Übersetzt aus: Open the Hearings, in: WP, 8.4.2002, S. A16.60 Siehe Sektion 236 (A) (a) »Detention of Terrorist Aliens«des sogenannten Uniting and Strengthening America by Pro-viding Appropriate Tools Required to Intercept and ObstructTerrorism (USA PATRIOT) Act of 2001, PL 107�56, 115 Stat.272 (HR 3162).61 Zum Beispiel wenn der Betroffene keine Staatsbürger-schaft besitzt, sein Herkunftsland die Aufnahme verweigertoder die Gefahr von Folter besteht.62 Der Betroffene kann zunächst sieben Tage festgehaltenwerden, ohne daß dafür eine speziÞsche Anklage vorliegenmuß. Wird der Verdächtige dann für ein Vergehen angeklagt,selbst wenn es nicht in unmittelbarem Zusammenhang mitTerrorismus steht, und existiert nach dem Ermessen desJustizministers ein Sicherheitsrisiko, kann diese Person fürsechs Monate, dann wiederholt für jeweils weitere sechsMonate in Gewahrsam genommen werden � solange der

Festnahme und »Vorbeugehaft« verdächtiger Ausländer

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Justizminister ist also autorisiert festzulegen, ob essich bei einem Ausländer um einen gefährlichenTerroristen handelt, der Angriffe plant oder unter-stützt. Seine Ermessensentscheidung kann sich auchauf geheime Beweismittel stützen, die dem Inhaftier-ten bzw. dessen Anwälten nicht bekanntgemachtwerden müssen. Freilich dürfen diese Beweismittel beider späteren RechtsÞndung nicht herangezogenwerden; sie bilden dennoch die Legitimationsgrund-lage für einen Freiheitsentzug zum Zwecke der Prä-vention terroristischer Akte.

Dieses Beispiel ist bezeichnend für die momentanin den USA zu beobachtende Tendenz, die Rolle desGesetzes grundlegend neu zu interpretieren. Justiz-minister Ashcroft brachte sie im Dezember 2001 vordem Justizausschuß des Senats deutlich zum Aus-druck: »Herr Vorsitzender, Mitglieder des Ausschusses,wir beÞnden uns im Krieg gegen einen Feind, derindividuelle Rechte ebenso mißbraucht wie Passagier-ßugzeuge: als Waffen zum Töten von Amerikanern.Wir haben darauf reagiert, indem wir den Auftrag desJustizministeriums neu deÞniert haben. UnsereNation und ihre Bürger gegen terroristische Angriffezu verteidigen ist nunmehr unsere erste und vorran-gige Aufgabe.«63 Aus Sicht der Exekutive hat die Prä-ventionsfunktion Vorrang vor der RechtsÞndungs-und Rechtsstaatsfunktion.

Dieses Rechtsverständnis ist umstritten. Am2. August 2002 befand ein Gericht, daß die auf ihmberuhende Praxis der Vorbeugehaft »einer demokra-tischen Gesellschaft zuwider ist bzw. zuwiderläuft[odious to a democratic society]«. Vertreter von 22 Inter-essengruppen, die für die persönlichen Freiheitsrechteeintreten � darunter das Center for National SecurityStudies, die American Civil Liberties Union, dasReporters Committee for Freedom of the Press, dasAmerican-Arab Anti-Discrimination Committee unddie People for the American Way Foundation � hatteneine Klage wegen der Inhaftierungspraxis des Staateseingereicht. Richterin Gladys Kessler vom FederalDistrict Court in Washington ordnete in ihrem Urteilan, daß die Regierung die Namen der in Haft Genom-menen, bis auf wenige Ausnahmen, zu veröffentlichenhabe. In ihrer Urteilsbegründung betonte sie, daß esungeachtet der Aufgabe der Exekutive, den Schutz deramerikanischen Bevölkerung zu gewährleisten, doch

Justizminister beÞndet, daß diese Person eine Bedrohung fürdie nationale Sicherheit darstellt.63 Übersetzt aus Testimony of Attorney General JohnAshcroft, Senate Committee on the Judiciary [wie Fn. 9].

oberste Priorität bleibe, dabei an demokratischenRechtsstaatsprinzipien festzuhalten.64 Transparenz seiunabdingbar, um überhaupt feststellen zu können, obder Staat im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungenhandle.

Der Urteilsspruch stellt die bislang deutlichste juri-stische Herausforderung der Exekutive dar. NachdemRichterin Kessler jedoch die Revision gegen das Urteilzugelassen hat, bleibt die Entscheidung höherer juri-stischer Instanzen abzuwarten. Schließlich wird sichauch der Supreme Court mit dieser heiklen Materieauseinanderzusetzen haben.65 Viele juristische Beob-achter hegen jedoch Zweifel, ob das Oberste Gerichtangesichts der allgemeinen Bedrohungslage denHandlungsspielraum der Exekutive begrenzen wird.66

Daß die Bush-Administration an ihrer Position fest-halten würde, machte sie schon in ihrer ersten Reak-tion deutlich. Robert McCallum, Assistant AttorneyGeneral for the Civil Division, verurteilte die Entschei-dung von Richterin Kessler aufs schärfste.67 Die Ver-fechter juristischer Deutungshoheit der Exekutivehalten an der bisherigen Strategie fest und beschwö-ren einmal mehr das Bedrohungsszenario möglicherweiterer Angriffe: »Wir bleiben standhaft in unsererVerpßichtung, amerikanische Leben zu schützen. DasJustizministerium führt einen überlegten Feldzug derFestnahme und der Inhaftierung, um amerikanischeLeben zu schützen. Wir entfernen verdächtige Terro-risten, die das Gesetz brechen, von unseren Straßen,

64 Im Wortlaut: »Die oberste Priorität der Judikative muß essein sicherzustellen, daß unsere Regierung immer im gesetz-lichen und verfassungsmäßigen Rahmen operiert, der eineDemokratie von einer Diktatur unterscheidet.« (Übersetzt ausNeil Lewis, Judge Orders Names of Sept. 11 Detainees Released,in: NYT, 2.8.2002.)65 In einem Kommentar zum Stand der juristischen Debatteübt die New York Times scharfe Kritik an der bisherigenZurückhaltung des Obersten Gerichts. Siehe: Closing theDoor to Public Scrutiny, in: NYT, 29.6.2002. Für eine Bericht-erstattung über die bisherige juristische Auseinandersetzungsiehe Steve Fainaru, U.S. Loses a Ruling on Secret Detentions.Judge Rejects Order Closing Hearings, in: WP, 30.5.2002,S. A01; Dan Eggen, U.S. Must Keep Terror Hearings Open,Court Says, in: WP, 18.6.2002, S. A10; Susan Sachs, AshcroftPetitions Justices for Secrecy in Deportations, in: NYT,22.6.2002; Steve Fainaru, Immigration Hearings Case Goes toHigh Court. U.S. Wants Justices to Block Order OpeningSessions on Terror Probe Suspects, in: WP, 22.6.2002, S. A11;Steve Fainaru, Court Allows Closed Immigration Hearings toContinue, in: WP, 29.6.2002, S. A14; Supreme Court AllowsSecrecy to Stand in Deportation Cases, in: NYT, 29.6.2002.66 Zur Rolle der Judikative siehe den Abschnitt auf S. 27.67 Siehe Lewis, Judge Orders Names of Sept. 11 DetaineesReleased [wie Fn. 64].

Einschränkung persönlicher Freiheitsrechte

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um weitere terroristische Angriffe zu verhindern. Wirglauben, daß wir Mitglieder von al-Qaida in Gewahr-sam haben, und wir werden jedes verfassungsmäßigeMittel nutzen, um die verdächtigen Terroristen inHaft zu behalten.«68

Während jedoch speziÞsche Belege für die Effek-tivität der »Vorbeugehaft«-Praxis auf sich wartenlassen,69 sehen sich die Verantwortlichen zunehmendgezwungen, zu konkreten Mißbrauchsfällen Stellungzu nehmen. Es mehren sich die Berichte und Ankla-gen von Betroffenen, die offenkundig Opfer eines Miß-brauchs staatlicher Gewalt geworden sind.70 Unterden Inhaftierten befand sich zum Beispiel AbdallahHigazy, ein ägyptischer Student, der wieder frei-gelassen wurde, als sich herausstellte, daß ein Sicher-heitsbeamter Indizien konstruiert hatte. Anschuldi-gungen, wonach Beamte des FBI Higazy gedroht habensollen, daß er die Sicherheit seiner Familie aufs Spielsetze, wenn er nicht gestehe, werden noch auf ihrenWahrheitsgehalt überprüft.71 Nach bisherigen Infor-mationen scheint es sich bei derartigen Praktiken umEinzelfälle zu handeln. Es ist aber nicht auszuschlie-ßen, daß weitere Fälle von Machtmißbrauch ansTageslicht kommen, wenn der Justizminister die bis-lang geheimgehaltenen Namen der Inhaftierten preis-gibt � einschließlich die Namen derer, die mittler-weile wieder freigelassen und/oder abgeschobenwurden.

68 So Justizminister Ashcroft in seiner Presseerklärungvom 27.11.2001 (http://www.justice.gov/ag/speeches/2001/agcrisisremarks11_27.htm).69 So resümiert auch Stuart Taylor, daß »die Berichte bislangden Anschein erwecken, als wäre der Gewinn an Sicherheitäußerst gering, wenn wir so viele Menschen auf der Grund-lage derartig geringfügiger Beweise inhaftieren. Vielleichtkann ja [Justizminister] Ashcroft das Gegenteil beweisen.Der Kongreß sollte ihn auffordern, dies zu überprüfen.«(Übersetzt aus Stuart Taylor, Jr., Legal Affairs: Congress ShouldInvestigate Ashcroft�s Detentions, in: National Journal,25.5.2002.)70 Siehe beispielsweise Steve Fainaru, Judge to Hear AbuseCase of Sept. 11 Detainee. Student Indicted on PerjuryCharges, in: WP, 15.2.2002, S. A16; ders., Jordanian DetaineeTestiÞes on Abuse. Student Alleges Kicks and Threats, in: WP,19.2.2002, S. A09; ders., Detainees Offer Glimpse of Life in N.Y.Facility. 3 in Sept. 11 Probe Say They Were Abused in TopSecurity, in: WP, 17.4.2002, S. A01; Benjamin Weiser, F.B.I.Faces Inquiry on a False Confession from an Egyptian Stu-dent, in: NYT, 6.8.2002.71 Siehe Christine Haughney, A Sept. 11 Casualty: »Radio Man«Jailed for a Month, Then Freed. Egyptian Student Perplexedby Mistaken Arrest, in: WP, 11.3.2002, S. A03; BenjaminWeiser, F.B.I. Faces Inquiry on a False Confession from anEgyptian Student, in: NYT, 6.8.2002.

Ausländische Studenten muslimischerHerkunft unter Generalverdacht

Seitdem bekannt wurde, daß viele der an den An-schlägen beteiligten Terroristen mit Studentenvisaeingereist waren, sind vor allem muslimische Studen-ten ins Visier der Fahnder geraten. Bildung ist aber,neben der Unterhaltung, eines der wichtigsten Export-güter der Vereinigten Staaten. Gemäß den Daten desU.S. Department of State Bureau of Consular Affairshat sich die Anzahl ausländischer Studenten, die überNichteinwanderungsvisa der Kategorie F, J und M indie Vereinigten Staaten eingereist sind, innerhalb derletzten zwei Jahrzehnte mehr als verdoppelt(1979 224 030; 1989 373 932; 1999 537 755).72 DieseKlientel bedeutet nicht nur eine kulturelle und Þnan-zielle Bereicherung für den amerikanischen Univer-sitätsbetrieb, sie bietet den Vereinigten Staaten aucheine willkommene Gelegenheit, soft power auszuüben.Handelt es sich bei den ausländischen Studierendendoch häuÞg um die künftige Elite ihrer Herkunfts-länder, die über die professionelle Ausbildung in denUSA auch persönliche Bindungen und Kontakte mitamerikanischen Eliten etablieren können. Diese wech-selseitigen Investitionen in ausländisches Human-kapital amortisieren sich nicht zuletzt auch in derForm, daß hüben wie drüben künftige Entscheidungs-träger und Multiplikatoren ein besseres Verständnisfür das Regierungs- und Gesellschaftsmodell des ande-ren gewinnen und die gewonnenen Erkenntnisse inihr Handeln einßießen lassen können.

Gleichzeitig bedeutet dieser freie Fluß von Human-kapital und Ideen auch ein erhöhtes nationales Sicher-heitsrisiko. Bereits vor den Terroranschlägen vom11. September gab es diesbezüglich Bedenken undSicherheitsvorkehrungen.73 Der Kongreß hatte 1996den Illegal Immigration Reform and Immigrant

72 Quelle: CRS-Präsentation der Daten des U.S. Departmentof State Bureau of Consular Affairs. Siehe Ruth Ellen Wasem,Foreign Students in the United States: Policies and Legis-lation, Washington, D.C.: Congressional Research Service,28.3.2002, S. 5f.Die sogenannten Nichteinwanderungsvisa werden zweck-gebunden und nur für eine begrenzte Aufenthaltsdauererteilt. Die Visakategorien F (für akademische Studien),M (für berufsbildende Maßnahmen) und J (für kulturellenAustausch) stellen die gängigsten Wege für ausländischeStudenten dar, in die USA einzureisen.73 Bereits beim ersten Anschlag auf das World Trade Centerim Jahre 1993 entpuppte sich einer der verurteilten Täter alsStudent, der sich illegal in den Vereinigten Staaten aufgehal-ten hatte, nachdem er exmatrikuliert worden war.

Ausländische Studenten muslimischer Herkunft unter Generalverdacht

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Responsibility Act (IIRIRA) verabschiedet. Darin wurdeder Justizminister angewiesen, in Zusammenarbeitmit dem Außen- und dem Bildungsministerium biszum Jahre 2003 eine umfassende Datenbank aufzu-bauen, in der die persönlichen Merkmale und derschulische bzw. universitäre Status sämtlicher Inhabereines Nichteinwanderungsvisums der Klassen F, J undM gespeichert werden sollte. Die Einrichtung diesesÜberwachungssystems (Student and Exchange VisitorInformation System, SEVIS) sollte mit VisagebührenÞnanziert und im Anschluß an regional begrenztePilotprojekte auf die gesamten Vereinigten Staatenausgeweitet werden. Verschiedene Bildungseinrich-tungen hatten sich zunächst gegen Verstöße gegendas Datengeheimnis gewehrt und Einßuß auf Kon-greßabgeordnete ausgeübt, damit das Vorhaben vor-erst auf Eis gelegt werde;74 diese Proteste verstummtenaber nach den Terroranschlägen vom 11. September.Mit dem USA Patriot Act vom Oktober 2001 wurdenschließlich weitere Maßnahmen gebilligt, um SEVISzu forcieren, für das zusätzlich 36 Millionen US-Dollarbewilligt wurden.

Eine weitere Initiative rief Protest und Widerstandin der academic community hervor: Im November 2002ersuchte das FBI die einschlägigen Bildungseinrich-tungen, Namen, Adressen, Telefonnummern, Staats-bürgerschaft, Geburtsdatum und -ort sowie weitereAngaben über ihre ausländischen Studenten und ihrinternationales Lehrpersonal herauszugeben � ohnedie Betroffenen zu benachrichtigen. Justizministeriumund FBI sehen auch diese Maßnahme durch den USAPatriot Act legalisiert und betonen, daß die Angabenauf »freiwilliger Basis« erfolgten. Dabei schließen dieBehörden nicht aus, daß sie die Bildungseinrichtun-gen wenn nötig mit juristischen Mitteln unter Straf-androhung zur Kooperation zwingen werden. DieMeinungen über die Legalität dieser Maßnahme sindgeteilt. Während neben zahlreichen Verbänden undBildungseinrichtungen auch zwei Mitglieder desJustizausschusses im Senat, Patrick Leahy (D-VT) undEdward Kennedy (D-MA), ihre Rechtmäßigkeit in Fragestellen, haben andere Vertreter, wie etwa SheldonSteinbach vom American Council on Education, keinProblem mit den jüngsten Anfragen des FBI: »Das istTeil einer neuen Landschaft, an die wir uns alle seitdem 11. September gewöhnen.«75

74 Eric Schmitt, Agency Finds Itself under Siege, with ManyResponsibilities and Many Critics, in: NYT, 15.3.2002.75 Übersetzt aus Dan Eggen, FBI Seeks Data on Foreign Stu-dents. Colleges Call Request Illegal, in: WP, 25.12.2002, S. A01.

Daneben gab es auch eine Reihe von Initiativen imKongreß. In einigen wird sogar gefordert, die Aus-stellung der Studentenvisa so lange auszusetzen, bisentsprechende Sicherheitsvorkehrungen getroffenwären.76 Diese Gesetzesvorlagen sind wohl nichtzuletzt auch durch entsprechende Präferenzen in derBevölkerung inspiriert: Unmittelbar nach denAnschlägen sprachen sich 84% der Amerikaner dafüraus, die Vergabe der Visa für Studenten und andereEinreisewillige an strengere Außagen zu knüpfen;77

noch im Mai 2002 wären 36% der Bevölkerung bereitgewesen, alle Visa für ausländische Studenten auf-zuheben.78

Für Studenten und Einreisewillige aus muslimi-schen Herkunftsländern gelten nunmehr besondereSicherheitsvorkehrungen. So müssen zum Beispiel seitNovember 2001 aus 26 designierten muslimischenLändern kommende männliche Visabewerber im Alterzwischen 16 und 45 Jahren mit einer zusätzlichenWartezeit von 20 Tagen rechnen, während der dieSicherheitsdienste entsprechende Überprüfungen vor-nehmen. Diese Zielgruppe ist auch angehalten, um-fangreichere Fragebögen für den Einreiseantrag aus-zufüllen. Männliche Gäste aus Iran, dem Irak, Libyen,Sudan und Syrien werden bei ihrer Ankunft zudemmit ihren Fingerabdrücken und einem Paßfoto regi-striert.79

Darüber hinaus wurden auch Personen, die sichbereits in den Vereinigten Staaten aufhalten, einerbesonderen Überprüfung unterzogen. Etwa 5000ausländische Studenten, Geschäftsreisende und Tou-risten aus Ländern, die in Verdacht standen, mit Terro-risten zu kooperieren, wurden persönlich gebeten,sich bei den Sicherheitsbehörden zum Verhör (inter-view) zu melden. Obschon, wie betont wird, dieseBefragungen auf freiwilliger Basis stattÞnden, ist dieGefahr nicht von der Hand zu weisen, daß diejenigen,die dieser Bitte nicht nachkommen, den Verdacht aufsich ziehen, daß sie etwas zu verbergen haben. Da-neben wurden aber auch positive Anreize geboten:

76 Zum Beispiel HR 3181 (Rep. Michael Bilirakis) oder HR 322(Rep. Marge Roukema).77 Los Angeles Times, 13./14.9.2001, zitiert in: AEI Studies inPublic Opinion, American Public Opinion on the TerroristAttacks, 28.6.2002, S. 59.78 Immerhin sprechen sich mehr als die Hälfte (53%) gegensolche Maßnahmen aus. Siehe Fox News/Opinion Dynamics,14.�15.5.2002, zitiert in: AEI Studies in Public Opinion, Amer-ican Public Opinion on the Terrorist Attacks, 28.6.2002, S. 61.79 Siobhan Gorman/Sydney J. Freedberg, Jr./Neil Munro/Peter H. Stone/James KitÞeld, National Security: PreventingNew Attacks, in: National Journal, 10.8.2002.

Einschränkung persönlicher Freiheitsrechte

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Als Belohnung für nützliche Hinweise wird den Infor-manten die amerikanische Staatsbürgerschaft in Aus-sicht gestellt.80

Im November 2002 erließ der Justizminister eineweitere Verfügung, die männliche Angehörige 20 mus-limischer Staaten ab dem 16. Lebensjahr aufforderte,sich innerhalb bestimmter festgelegter Zeiträume mitFoto und Fingerabdrücken registrieren zu lassen. EineNichtbeachtung dieses Befehls hat Strafverfolgungund eine unmittelbare Ausweisung zur Folge. Eineerste Frist für Staatsbürger Irans, des Irak, Libyens,Sudans und Syriens lief am 16. Dezember 2002 ab.Nach inofÞziellen Schätzungen wurden in Kalifornienetwa 1000 Personen, zumeist Iraner, inhaftiert, diesich zur Registrierung meldeten.81 Für Januar undFebruar 2003 sind weitere Fristen gesetzt, die unteranderem für Personen aus Afghanistan, Algerien, demJemen, Marokko, Pakistan und Saudi-Arabien gelten.

Am 16. Januar 2003 wurde ofÞziell bestätigt, daßim Rahmen dieser Registrierungen bislang 1169Menschen, überwiegend wegen Verstößen gegen dasImmigrationsgesetz, festgenommen wurden. Bis aufetwa 170 Fälle wurden die Inhaftierten unter derAußage wieder freigelassen, bei Ausweisungsverneh-mungen zu erscheinen.82 Anläßlich der Bekannt-machung der ofÞziellen Zahlen � die nahezu doppeltso hoch waren wie ursprünglich zugegeben � wurdedie Liste der Herkunftsländer, für deren AngehörigeMeldepßicht besteht, um weitere fünf (Ägypten,Bangladesch, Indonesien, Jordanien und Kuwait) auf25 erweitert.83 Staatsbürger dieser Länder sindaufgefordert, sich zwischen dem 24. und 28. März2003 registrieren zu lassen.

Während die Frist für Pakistaner und Saudiarabernoch bis zum 21. Februar läuft, erhielten diejenigen,deren Frist bereits abgelaufen war, von den zustän-digen Behörden eine »weitere Gelegenheit« (anotherchance), sich im Zeitraum vom 27. Januar bis 7. Februarregistrieren zu lassen.84 Berichte über die bisherigen

80 »Wir haben ausländischen Staatsangehörigen, die willenssind, wertvolle Informationen zu geben, die Möglichkeit inAussicht gestellt, in diesem Land zu leben und eines TagesStaatsbürger zu werden.« (Übersetzt aus Testimony ofAttorney General John Ashcroft, Senate Committee on theJudiciary [wie Fn. 9]).81 (Reuters), Arab, Muslim Groups Sue INS, Ashcroft overDetentions, in: WP, 25.12.2002, S. A13.82 U.S. Detains Nearly 1,200 during Registry, in: WP,17.1.2003, S. A14.83 Nick Madigan, U.S. Expands List of Nations Whose VisitorsMust Register, in: NYT, 17.1.2003.84 Betroffen sind Personen aus Afghanistan, Algerien,

Registrierungspraktiken und über Verhaftungenhatten Verunsicherung und mancherorts Panik aus-gelöst, was viele davon abhielt, ihrer Meldepßichtnachzukommen. Das American-Arab Anti-Discrimi-nation Committee, die Alliance of Iranian Americans,der Council on American-Islamic Relations sowie derNational Council of Pakistani Americans haben wegender erfolgten Massenfestnahmen eine Sammelklagegegen den Immigration and Naturalization Service(INS) und Justizminister Ashcroft eingereicht.85

Bahrain, Eritrea, Iran, Irak, Jemen, Katar, Libanon, Libyen,Marokko, Nordkorea, Oman, Somalia, Sudan, Syrien, Tune-sien und den Vereinigten Arabischen Emiraten.85 Immigrants Sue over Detentions after Checking In, in:NYT, 25.12.2002. Und (Reuters), Arab, Muslim Groups Sue INS,Ashcroft over Detentions, in: WP, 25.12.2002, S. A13.

Vom Rechtsstaat zum Sicherheitsstaat?

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Vom Rechtsstaat zum Sicherheitsstaat?

An den einzelnen Bereichen, in denen die Problematikder Einschränkung persönlicher Freiheitsrechte auf-gezeigt wurde, ließ sich erkennen, daß die Verant-wortlichen zwischen zwei Klassen von Rechtsträgernunterscheiden: zwischen amerikanischen Bürgernund »Nicht-Amerikanern«. Ungeachtet der verfassungs-rechtlichen due process- bzw. equal protection-Bestim-mungen, in denen vom Schutz der individuellen Frei-heitsrechte »jeder Person« (any person) die Rede ist,genießen die sich in den Vereinigten Staaten auf-haltenden Ausländer nach Auffassung der Bush-Admi-nistration � im Widerspruch zur gängigen Lehr-meinung und zu bisherigen juristischen Interpreta-tionen86 � grundsätzlich nicht den gleichen Rechts-schutz wie die Staatsbürger der Vereinigten Staaten.Wenn sie als mutmaßliche Terroristen eingestuftwerden, haben sie zudem auch noch diesen »min-deren Anspruch« verwirkt. Sie werden gar als Outlawsbehandelt, wenn sie sich nicht auf dem souveränenStaatsgebiet der Vereinigten Staaten beÞnden � wiedie gefangenen Taliban- und Al-Qaida-Kämpfer aufdem US-Marinestützpunkt in Guantánamo Bay, Kuba.Die Entscheidung, wer welche Rechte »verdient«, wirda priori von der Exekutive getroffen, die Möglichkeiteiner Ex-post-Überprüfung durch eine juristische Kon-trollinstanz besteht nicht. Nicht wenige Beobachtersehen in dieser Praxis aus verfassungsrechtlicherWarte ein gefährliches Wagnis, bei dem die im politi-schen System der Vereinigten Staaten fest verankertenPrinzipien der checks and balances ausgehebelt zuwerden drohen.

Hingegen sehen deren Befürworter die außer-ordentlichen Machtbefugnisse der Exekutive durchdie alles überragende Schutzrolle des Obersten

86 »Ausländer, die sich in den Vereinigten Staaten aufhalten,haben einen Anspruch auf rechtliches Gehör/rechtsstaat-lichen Schutz [due process protections].« (Übersetzt aus AmericanBar Association Task Force on Terrorism and the Law, Report andRecommendations on Military Commissions [wie Fn. 31]).Ferner wird in einem richtungweisenden Urteil des OberstenGerichts vom 28.6.2001 � Zadvydas v. Davis � präzisiert: »Aberwenn ein Ausländer im Land ist, ändert sich der rechtlicheSachverhalt, da die due process-Klausel für alle �Personen�innerhalb der Vereinigten Staaten gilt, inklusive Ausländer,ungeachtet dessen, ob ihr Aufenthalt hier legal, illegal, tem-porär oder dauerhaft ist.«

Befehlshabers legitimiert. Aus dieser Sicht erscheint esvertretbar, daß in Kriegszeiten das zivile Recht, dasstärker den Anspruch auf individuelle Freiheitsrechtebetont, zum Kriegsrecht mutiert, in dem der kollek-tive Sicherheitsaspekt alle anderen überragt. In denillustrierten Problembereichen läßt sich entsprechendein gemeinsamer Nenner ausmachen: Es geht wenigerum die strafrechtliche Verantwortung einzelner Täterund deren Verfolgung wegen begangener Taten,sondern vielmehr um die allgemeine Verhinderungkünftiger Attentate. Denn laut Justizminister Ashcroftwar die »Kultur der Hemmung« (culture of inhibition) vordem 11. September »so stark auf die Strafverfolgungbegangener Straftaten fokussiert, daß sie die Präven-tion künftiger Terroranschläge einschränkte.«87

Die »Ashcroft-Doktrin« der Prävention,88 die sichsolcher Hemmungen entledigt hat, äußert sich nun-mehr darin, daß Gruppen von potentiellen Gefahren-trägern, die gewissen Merkmalen entsprechen, einfachnicht ins Land gelassen, abgeschoben, »von der Straßeentfernt« (remove from the street) oder in »Vorbeugehaft«(preventive detention) genommen werden. MöglicheInformanten können zudem als sogenannte wichtigeZeugen (material witnesses) festgesetzt werden. Auch dieMilitärtribunale sind als Waffen im Kampf gegen denTerrorismus vorgesehen: »Die Order zur Errichtungvon Militärtribunalen [The Military Order] fügt dempräsidentiellen Köcher weitere Pfeile hinzu« � so dieErläuterung der Administration gegenüber dem Senatdurch Pierre-Richard Prosper, Ambassador-at-Large forWar Crimes Issues, U.S. Department of State.89

Die Grenzen zwischen ziviler Strafverfolgung undPrävention einerseits sowie militärischer Operationund Kriegsrecht andererseits verwischen zusehends.

87 Übersetzt aus Justizminister Ashcrofts Ansprache an dieU.S. Attorneys Conference in New York vom 1.10.2002; Ex-zerpte in: Siobhan Gorman, There Are No Second Chances, in:National Journal, 21.12.2002.88 Siehe auch ders., The Ashcroft Doctrine, in: NationalJournal, 21.12.2002.89 Übersetzt aus Pierre-Richard Prosper, Ambassador-at-Largefor War Crimes Issues, U.S. Department of State, Testimonybefore the United States Senate Committee on the Judiciary,DOJ Oversight: Preserving Our Freedoms while Defendingagainst Terrorism, 4.12.2001 (http://judiciary.senate.gov/print_testimony.cfm?id=129&wit_id=77).

Vom Rechtsstaat zum Sicherheitsstaat?

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Insofern hat der sich abzeichnende Paradigmen-wechsel in der Interpretation der staatlichen Schutz-funktion nicht nur Auswirkungen auf das Verständnisdemokratischer Rechtsstaatlichkeit, sondern auch aufdas Funktionieren des politischen Systems sich gegen-seitig kontrollierender Gewalten, welches den Schutzder persönlichen Freiheitsrechte gewährleistet.

Judikative

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Gewaltenkontrolle zum Schutz des einzelnen

Persönliche Freiheitsrechte sollen vor allem durchdas Prinzip der checks and balances, der konkurrieren-den, sich gegenseitig kontrollierenden politischenGewalten der Exekutive, Legislative und Judikativegesichert werden.90 In der amerikanischen Geschichtegab es jedoch immer wieder Phasen äußerer Bedro-hung, in denen sich die Machtbalance dieser kon-kurrierenden branches of government zugunsten derExekutivgewalt verschoben hat. In einer eingehendenAnalyse dieses Phänomens mit dem Titel »All the Lawsbut One: Civil Liberties in Wartime«91 warnte WilliamRehnquist, Chief Justice des Supreme Court, vor derGefahr, daß der Oberste Befehlshaber in Kriegszeitendurch zusätzliche Machtbefugnisse dazu verleitet ist,den konstitutionellen Rahmen auszureizen.92

Judikative

Nach seinem Blick in die Geschichte hat der ChiefJustice jedoch kein allzu großes Vertrauen, daß seineZunft der Exekutive die zu wahrenden Grenzen un-mittelbar aufzeigt: »Wenn die [höchstrichterliche]Entscheidung getroffen wird, nachdem die Kriegs-handlungen beendet sind, ist es wahrscheinlicher, daßdie persönlichen Freiheitsrechte favorisiert werden,als wenn sie getroffen wird, während der Krieg nochandauert.«93 Obschon vereinzelt zivilgesellschaftlicheadvocacy groups bereits einige Teilerfolge erzielt undeinschlägige Urteile erwirkt haben, wurden diese inder Regel nach Gegenhalten der Exekutive vonhöheren Instanzen wieder zurückgewiesen oder fürnicht rechtskräftig erklärt. Solange der Krieg gegenden Terrorismus andauert � nach wiederholten Aus-

90 Richard Neustadt beschreibt das amerikanische Systemtreffend als »separate authorities sharing power«. (Richard E.Neustadt, Presidential Power and the Modern Presidents. ThePolitics of Leadership from Roosevelt to Reagan, New York/Toronto/New York: Free Press/Collier Macmillan Canada/Maxwell Macmillan, 1990.)91 Siehe William H. Rehnquist, All the Laws but One: CivilLiberties in Wartime, New York/Toronto: Alfred A. Knopf/Random House, 1998.92 Ebd., S. 224.93 Übersetzt aus ebd.

sagen des Präsidenten und seines Verteidigungs-ministers also noch lange Zeit �, wird wohl dierömische Maxime »inter arma silent leges«94 auch impolitischen System der Vereinigten Staaten in Geltungbleiben. Wenn auch das Recht nicht völlig geschwie-gen hat, so erweisen sich ihre bisherigen Äußerungendoch als kraftlos. Das Oberste Gericht hält sich inKrisen- und Kriegszeiten als nicht politische Instanzeher zurück; es will dem Obersten Befehlshaber nichtin den Arm fallen. Das Augenmerk richtet sich dem-nach vor allem auf den Kongreß. Entsprechendmahnte die Washington Post in einem Meinungsartikel:»Die Exekutive/Administration ist dem Land einebesonnenere Balance schuldig; die Rolle des Kon-gresses � seine patriotische Aufgabe � ist es, dabei zuhelfen, diese zu Þnden.«95

Legislative

Nationale wie internationale Organisationen, diesich für die Wahrung der persönlichen Freiheitsrechteeinsetzen, wären demnach gut beraten, ihre diplo-matischen Aktivitäten auch auf die einzelnen Kon-greßabgeordneten und ihre federführenden Mit-arbeiter zu richten. Entsprechend dem höherenStanding einzelner Abgeordneter im checks andbalances-System der Vereinigten Staaten nehmen derenMitarbeiter wichtige Schlüsselpositionen im Gesetz-gebungsprozeß ein. Nicht zuletzt aufgrund ihrer imVergleich zu den Abgeordneten längeren Verweil-dauer im Kongreß und ihrer größeren Erfahrungspielen congressional staffers eine entscheidende Rollebei der Sicherung der grundlegenden Kontinuität despolitischen Entscheidungsprozesses.96

94 Wenn die Waffen sprechen, schweigen die Gesetze. ImKrieg ist das Recht kraftlos. Cicero, Rede für Milo § 11 a.A.S.a.C 88, J 114 u. V 32. Übersetzung von Detlef Liebs, LateinischeRechtsregeln und Rechtssprichwörter, München: Beck, 1982,S. 197.95 Übersetzt aus: Detaining Americans, in: WP, 11.6.2002,S. A24.96 Der Politikwissenschaftler Michael Malbin bezeichnetdiese Eliten als die »ungewählten Repräsentanten« (Michael J.Malbin, Unelected Representatives: Congressional Staff and

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Der amerikanische Kongreß ist, anders als etwa derhomogenere, geschlossenere und parteidisziplinierteDeutsche Bundestag, eine einzelunternehmerische,stärker wettstreitende Arena, die Außenstehendenweitaus mehr Gelegenheit zur Einßußnahme bietet.Nicht zuletzt hat der Kongreß im politischen Systemder Vereinigten Staaten, anders als die Legislative inparlamentarischen Regierungssystemen, allgemeineine sehr starke, institutionell fundierte Macht-stellung gegenüber der Exekutive � ein Machtpoten-tial, mit dem freilich in Zeiten nationaler Bedrohungsehr behutsam umgegangen wird.

Denn in Kriegszeiten ist jeder einzelne, in seinempolitischen Handeln ansonsten überwiegend nur sichselbst und seinen Wählern verantwortliche Abgeord-nete angehalten, Partei für die nationale Sicherheit zuergreifen. Obschon amerikanische Abgeordnete grund-sätzlich keine Parteisoldaten sind, stehen auch sie insolchen Zeiten an der Seite des Obersten Befehls-habers, wenn es darum geht, ihm »patriotische Hand-lungsbefugnisse« zu geben und ihn bei der »Verteidi-gung des Heimatlandes« zu unterstützen. Die Sorgeum den Schutz individueller Freiheitsrechte und dieinstitutionelle Machtbalance bleibt dabei »notwendi-gerweise« zweitrangig � solange Gefahr in Verzug ist.

Es überrascht daher nicht, daß der USA PatriotAct,97 der eine Reihe gravierender Einschränkungender civil liberties zur Folge hat, mit administrativemHochdruck und ohne großen Widerstand der Abgeord-neten durch die legislativen Kanäle auf dem CapitolHill geschleust werden konnte. Der Handlungsdruckwurde am 11. Oktober 2001 noch zusätzlich erhöhtdurch eine öffentliche Warnung des FBI vor weiterenterroristischen Anschlägen innerhalb der nächstenTage. Der Kongreß verzichtete in Anbetracht dieser»eindeutigen und gegenwärtigen Bedrohung«98 aufsigniÞkante Änderungen.99 Die parlamentarische

the Future of Representative Government, New York: BasicBooks, 1980).97 Uniting and Strengthening America by Providing Approp-riate Tools Required to Intercept and Obstruct Terrorism (USAPATRIOT) Act of 2001, PL 107�56, 115 Stat. 272 (HR 3162).98 So F. James Sensenbrenner, Jr. (R-WI), der Vorsitzende desJustizausschusses im Abgeordnetenhaus; übersetzt ausElizabeth A. Palmer, House Passes Anti-Terrorism Bill ThatTracks White House�s Wishes, in: CQ Weekly, 13.10.2001,S. 2399.99 Immerhin wurden einige von der Administration ur-sprünglich erwogene Maßnahmen entschärft. Zum Beispielhätte es in der Version der Exekutive bereits ausgereicht, daßder Justizminister »Gründe für die Annahme hat [had reason tobelieve]«, daß es sich bei einem Verdächtigen um einen Terro-

Diskussion war auf ein Minimum beschränkt, vieleKongreßabgeordnete stimmten dem umfangreichenGesetzespaket zu, ohne den Inhalt zu kennen.100 Mitt-lerweile wurden bereits Bedenken laut, daß das Gesetzaufgrund seiner unzureichenden legislative history einerjuristischen Überprüfung nicht standhalten würde.101

Mit der Verabschiedung des USA Patriot Act gab derKongreß dem Obersten Befehlshaber die von ihmgeforderte Rückendeckung im Kampf gegen den Terro-rismus. Justizminister Ashcroft ging in seinen Ausfüh-rungen vor dem Kongreß sogar so weit, Kritik an derEinschränkung der persönlichen Freiheitsrechte in dieNähe des Landesverrates zu bringen.102 Mitte 2002konnte die Legislative aber einen Zwischenerfolg ver-buchen, der zeitlich mit einer Periode wahrgenom-mener Schwäche der Führungskraft (leadership) desPräsidenten zusammenÞel. Der Anteil der Ameri-kaner, die in Umfragen ihre Zweifel am politischenKurs der Nation artikulierten, stieg merklich an. Auchdie Popularität des Präsidenten geriet in den Strudeleiner zunehmend unzufriedenen öffentlichenMeinung. Innerhalb einer Woche Þel der Anteil öffent-lichen Vertrauens in George W. Bush um sieben Pro-zentpunkte von 77% in der Gallup-Umfrage vom 28.

risten handelt, um diesen auf unbestimmte Zeit zu inter-nieren. In der vom Kongreß gebilligten Version braucht derJustizminister für derartige Maßnahmen nunmehr »gewich-tige Gründe« (reasonable grounds). Doch liegt auch dieseGewichtung letztendlich in seinem Ermessen; und es dürfteschwierig bleiben, seine Auffassung mit einer gegenteiligenBeweislast aufzuwiegen, um damit die getroffenen Schutz-maßnahmen anzufechten.100 Der Senat verabschiedete seine Vorlage nach nur drei-stündiger Plenumsdebatte, ohne die Gesetzesvorlage zuvorin den relevanten Ausschüssen behandelt zu haben. ImRepräsentantenhaus wurde eine Vorlage, die zuvor in denAusschüssen behandelt worden war, vom MehrheitsführerJ. Dennis Hastert (R-IL) � aufgrund massiven Drucks desWeißen Hauses � kurzerhand durch eine neue Vorlage ersetztund noch am selben Tag durch das Plenum manövriert. SiehePalmer, House Passes Anti-Terrorism Bill That Tracks WhiteHouse�s Wishes [wie Fn. 98], S. 2399.101 Siehe Palmer, Terrorism Bill�s Sparse Paper Trail MayCause Legal Vulnerabilities [wie Fn. 23].102 »An diejenigen, die Amerikaner gegen Einwanderer aus-spielen und Bürger gegen Nicht-Bürger; an diejenigen, diemit dem Schreckgespenst verlorener Freiheit friedenslieben-den Menschen Angst einjagen, richte ich folgende Mitteilung:Ihre Taktiken helfen nur den Terroristen � weil sie unserenationale Einheit untergraben und unsere Entschlossenheitschwächen. Sie liefern Munition für die Feinde Amerikas undgeben unseren Freunden Anlaß zu zögern. Sie begünstigendas Verstummen wohlgesinnter Menschen angesichts desBösen.« (Übersetzt aus Testimony of Attorney General JohnAshcroft, Senate Committee on the Judiciary [wie Fn. 9]).

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bis 29. Mai 2002 auf 70% in der vom 3. bis 6. Juni 2002(siehe auch Abbildung 2, S. 11).

Indem jedoch der Präsident am 6. Juni 2002 derÖffentlichkeit seinen Plan zur Schaffung eines Depart-ment of Homeland Security (DHS) vorstellte,103 gelanges ihm nicht nur, den Abwärtstrend seiner Umfrage-werte aufzuhalten, er konnte auch in der öffentlichenWahrnehmung die Initiative vom Kongreß zurück-gewinnen. Damit machte der Präsident sich eine Ideezu eigen, die er noch kategorisch abgelehnt hatte, alsim Kongreß entsprechende Pläne ausgearbeitet undgegenüber der Exekutive artikuliert worden waren.Zudem forderte Bush den Kongreß auf, seinen Reorga-nisationsplan noch vor Jahresende umzusetzen, unddrohte im Falle einer Verzögerung, daß er die Unter-stützung der amerikanischen Öffentlichkeit für seinePläne mobilisieren würde. In einer Gallup-UmfrageAnfang Juni 2002 hatten sich immerhin knapp dreiViertel (72%) der amerikanischen Bevölkerung für dieSchaffung eines neuen Heimatschutzministeriumsausgesprochen.104 Die Kongreßabgeordneten, ins-besondere die Führung der Demokraten im Abgeord-netenhaus, ließen sich von Tempo und Zielstrebigkeitdes Präsidenten nicht beeindrucken und suchten ihnihrerseits zu überbieten. Richard Gephardt (D-MO),obschon als Minority Leader im Repräsentantenhausohne direkten Einßuß auf bzw. Verantwortung fürden Zeitplan, ging in die politische Offensive undforderte, daß das Gesetz zur Einrichtung des neuenMinisteriums so rechtzeitig vom Kongreß abgesegnetwerden solle, daß es der Präsident noch vor demersten Jahrestag der Terroranschläge unterzeichnenkönne.

Mit weniger als 50 Sitzungstagen und angesichtseiner Reihe von schwierigen Haushaltsgesetzen aufder legislativen Agenda blieben dem Senat und demAbgeordnetenhaus jeweils nur wenig Zeit für eineintensive Beschäftigung mit dieser sehr komplexenund politisch heiklen Materie. Schließlich ging es umden wohl umfassendsten Umbau der Regierungsorga-nisation in den Vereinigten Staaten seit dem Ende desZweiten Weltkriegs. Dem Plan des Präsidenten zufolgesollen 22 Bundesbehörden mit etwa 170 000 Bedien-steten und einem jährlichen Budget von 37,5 Milliar-den US-Dollar im neuen Ministerium für Heimat-schutz zusammengefaßt werden. Bislang haben etwa

103 Für ein Transkript der Ansprache des Präsidenten GeorgeW. Bush siehe: »Overriding and Urgent Mission« for NewAgency, in: WP, 7.6.2002, S. A19.104 Quelle: Gallup Organization, 10.6.2002.

80 Ausschüsse und Unterausschüsse im Kongreß dieKontrolle über die gegenwärtigen exekutiven Organi-sationsstrukturen.

Der Präsident unterzeichnete am 25. November2002 das entsprechende Gesetz;105 einige umstrittenePunkte wurden aber ausgeklammert und derenVerhandlung auf die neue Legislaturperiode verscho-ben. Auch bei der Umsetzung der Pläne ist mit einemheftigen politischen Ringen um die Neuverteilung vonÞnanziellen Ressourcen und politischen Machtbefug-nissen sowohl in der Exekutive als auch innerhalb derLegislative und nicht zuletzt zwischen den beidenbranches of government zu rechnen. Doch auch hierdürfte die Exekutive unter Führung des OberstenBefehlshabers gegenüber der Legislative die Oberhandbehalten. In einem Bericht des Congressional Quarterlymit dem Titel »Das Ministerium für Heimatschutz, einweiterer Sieg für die Bush-Administration« heißt es:»das sich langsam und subtil verändernde Macht-verhältnis zwischen Weißem Haus und Kongreßverschob sich zugunsten der Exekutive.«106 NachMeinung der Experten »hat der Präsident ausgezeich-nete Arbeit bei dem Bemühen geleistet, die Aufmerk-samkeit der Amerikaner auf den Terrorismus zurichten [�], so daß der Kongreß im wesentlichen lahm-gelegt ist.«107 Unter diesen Umständen wird � wieschon der Name des geplanten Ministeriums vermu-ten läßt � bei der Schaffung des Department of Home-land Security wohl erneut der Aspekt nationalerSicherheit in den Vordergrund rücken, möglicheBedenken hinsichtlich der Beschneidung von per-sönlichen Freiheitsrechten werden im Hintergrundbleiben.

Das heißt nicht, daß der Kongreß bisher keine Kon-trollen erwirkt hätte. Vor allem auch die Republikani-sche Führung des Abgeordnetenhauses sprach sichvehement gegen die Pläne des Justizministers aus, einInformantensystem einzusetzen, das unter dem be-zeichnenden Akronym TIPS (Terrorism Informationand Prevention System) Þrmieren soll.108 Zudem soll

105 Homeland Security Act of 2002 (P.L. 107�296, 116 Stat.2135).106 Übersetzt aus Mary Dalrymple, Homeland Security Depart-ment Another Victory for Administration, in: CQ Weekly,16.11.2002, S. 3002.107 Übersetzt aus ebd.108 Siehe Adam Clymer, Ashcroft Defends Plan for NationalHotline on Terrorism, in: NYT, 25.7.2002; Adam Clymer,Worker Corps to be Formed to Report Odd Activity, in: NYT,26.7.2002; Dan Eggen, Ashcroft: TIPS Plan Won�t Have CentralDatabase. Anti-Terror Information Will Be Passed On, He TellsCommittee, in: WP, 26.7.2002, S. A10.

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ein sogenannter privacy ofÞcer Amt und Funktion imneuen Heimatschutzministerium haben. Es bleibt aberabzuwarten, mit wieviel Wirkungsbefugnissen er tat-sächlich ausgestattet sein wird.

Man kann also festhalten, daß sich der Kongreß,wie schon beim USA Patriot Act deutlich wurde, bis-lang noch nicht als die institutionelle Instanz bewährthat, die wirksam für eine ausgewogenen Balancezwischen staatlicher Sicherheit und individuellenFreiheitsrechten sorgt. Dennoch wurde ein ent-sprechendes taktisches Potential deutlich: Es zeigtesich, daß selbst ein wartime president gezwungen ist,auf die Initiative des Kongresses zu reagieren � diejedoch nicht im Widerspruch zur öffentlichenMeinung stehen darf. Damit bleiben sowohl das all-gemeine Kriegsbewußtsein der Bevölkerung als auchderen speziÞsche Sicht auf bestimmte Maßnahmenvon besonderer Bedeutung � auch für mögliche künf-tige Anhörungen und Gesetzesvorlagen des Kon-gresses, die darauf abzielen, den persönlichen Frei-heitsrechten wieder mehr Gewicht zu verschaffen.

Ausblick � A changing world view?

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Ausblick � A changing world view?

»Die amerikanische Weltsicht wird sich verändern,Freund- und Feindbilder werden schärfer deÞniert.Amerikaner werden grundsätzliche Fragen der Frei-heit und Sicherheit diskutieren.«109 Das neue Weltbildamerikanischer Entscheidungsträger und seine Aus-wirkungen gilt es zu verstehen und aufmerksam zubeobachten.

Nicht nur das politische Handeln, auch juristischeInterpretationen von Verfassungsprinzipien sind andas öffentliche Bewußtsein und gesellschaftlicheWertepräferenzen gebunden. Entsprechend erfahrenkonkurrierende Werte, wie zum Beispiel die der staat-lichen Sicherheit und der individuellen Freiheit, ineiner lebenden Verfassung wie jener der VereinigtenStaaten eine kontinuierliche Neubewertung. DieAnschläge vom 11. September haben im kollektivenBewußtsein tiefe Spuren hinterlassen. Sie bilden denHintergrund dafür, daß in den Vereinigten Staaten dieSchutzfunktion des Staates auf Kosten der indivi-duellen Freiheit an Bedeutung gewinnt.110

Neben zahlreichen speziÞschen Verfassungs-prinzipien spielt das Prinzip der checks and balances,das das amerikanische politische System grundlegendkennzeichnet, eine besondere Rolle für die Sicherungindividueller Freiheitsrechte. Die nationale Bedro-hung verschafft dem Präsidenten jedoch sowohlgegenüber dem institutionellen Gegenspieler Kongreßals auch gegenüber der Judikative einen Zugewinn anMacht. Insofern kommt dem Kongreß eine besondereVerantwortung zu. Er muß dafür Sorge tragen, daßauch in Zeiten nationaler Unsicherheit individuelleFreiheiten nicht unter Berufung auf das kollektiveSchutzbedürfnis über Gebühr eingeschränkt werden �zumal, wie die bisherige Erfahrung gezeigt hat, dierichterliche Kontrolle in Kriegszeiten eher schwachausgeprägt ist. Vor diesem Hintergrund ist das Ver-halten der Abgeordneten als Resultat des Spannungs-verhältnisses zwischen politischer Führung und

109 Übersetzt aus Cochran/Christensen, Regrouping with aCommon Purpose [wie Fn. 13], S. 2114.110 Für eine grundsätzliche Kritik an der Annahme einessogenannten »trade-off« oder einer »balance« zwischen denzwei Werten der Freiheit und der Sicherheit siehe Dworkin,The Threat to Patriotism [wie Fn. 24].

»Responsivität«111 zu bewerten. Die entscheidendeFrage ist, ob gesellschaftlicher Druck � nicht zuletztmotiviert durch kritische Medienberichterstattungund politische Prinzipientreue, wie schon so oft in deramerikanischen Geschichte geschehen � einen Gegen-impuls auslöst, der das Pendel künftig wieder stärkerin Richtung persönliche Freiheitsrechte ausschlagenläßt. Aktuell bewirkt die kollektive Unsicherheit, daßder Staatsschutz Priorität genießt.

Die Kongreßwahlen am 5. November 2002 verdeut-lichten einmal mehr die SigniÞkanz der nationalenSicherheitsbedrohung und die Sonderstellung desPräsidenten. Angesichts dessen ist verständlich, daßbislang weder das Oberste Gericht noch der Kongreßnachhaltig für die Garantie der Freiheitsrechte ein-getreten sind. Es bleibt abzuwarten, inwiefern dasallgemeine Kriegsbewußtsein und das Schutzbedürf-nis durch weitere Anschläge oder Warnungen genährtwerden. Bis auf weiteres besteht die Gefahr, daß deramerikanische Rechtsstaat zum Sicherheitsstaatmutiert. Eine Untersuchung der veränderten innen-politischen Rahmenbedingungen liefert entsprechendIndizien dafür, daß sich auf amerikanischer Seite einproblematisches nationales wie internationalesRechtsverständnis artikuliert. Diese Entwicklung istum so prekärer, als der Zustand der amerikanischen,freiheitlich verfaßten offenen Gesellschaft aufgrundihres Vorbildcharakters die weltweite Perzeptiondemokratischer Rechtsstaatlichkeit und internatio-nale Rechts- und Ordnungsvorstellungen beeinßußt.

111 Politische Repräsentation hat gleichermaßen zwei Auf-gaben zu erfüllen: Responsivität � das Eingehen auf Anliegender Wähler � und politische Führung. Beide Aufgaben stehenin der Regel in einem Spannungsverhältnis. Siehe hierzuHannah F. Pitkin, The Concept of Representation, Berkeley/LosAngeles/London: University of California Press, 1967, S. 209f.

Abkürzungen

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Abkürzungen

ABA American Bar AssociationCNN Cable News NetworkCQ Congressional QuarterlyDHS Department of Homeland SecurityFBI Federal Bureau of InvestigationIIRIRA Illegal Immigration Reform and Immigrant

Responsibility ActINS Immigration and Naturalization ServiceNES National Election StudiesNYT New York TimesPOW Prisoner of WarSEVIS Student and Exchange Visitor Information SystemTIPS Terrorism Information and Prevention SystemUSA Patriot Uniting and Strengthening America by Providing

Appropriate Tools Required to Intercept andObstruct Terrorism (Act)

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